Kitabı oku: «Elfenzeit 5: Trugwandel», sayfa 3
»Fast wie daheim«, flüsterte Pirx, als sie ausstiegen – die beiden Kobolde natürlich unsichtbar.
Nadja und Fabio gingen gemeinsam zum Eingang und drückten auf die Klingel. Auf dem Schild daneben stand »O’Sullivan«. Nur wenig später öffnete eine kleine, schlanke Mittfünfzigerin die Tür, die sie freundlich anlächelte und begrüßte: »Wie geht es Ihnen heute, an diesem wunderbaren Abend?«
Fabio schien ein wenig irritiert, aber Nadja kannte dies bereits. »Bestens, bei so einem Wetter«, antwortete sie. »Haben Sie zwei Zimmer für eine Nacht?«
»Nun, Sie haben Glück, ich habe gerade eine Absage bekommen, sonst wäre ich voll belegt gewesen. Zu dieser Jahreszeit ist es besser, zu reservieren.«
»Ach, wir wissen meistens nicht, wo wir heute oder morgen sind«, meinte Nadja leichthin. »Aber hier gefällt es uns so gut … die Aussicht aufs Boyne Valley …«
»Oh ja, wir haben die beste!«, sagte die Frau eifrig und deutete über den Hügel. »Wenn Sie ein Stück nach vorn sehen, können Sie zwischen den Bäumen rechts Newgrange erkennen. Haben Sie das schon besichtigt?«
»Ich, vor Jahren, aber meine Freunde und mein Vater noch nicht, wir wollen es uns morgen ansehen.«
»Also gut, kommen Sie erst einmal herein. Wollen Sie zuerst die Zimmer sehen? Ich gehe voran. Übrigens, ich bin Mrs O’Sullivan. Sagen Sie Anna.«
Nadja folgte ihr. »Ich bin Nadja Oreso, mein Vater Fabio, und meine Freunde David und Rian Bonet.«
»Freut mich! Machen Sie eine Rundreise? Das sollten Sie unbedingt, und sich viel Zeit nehmen, es gibt so viel zu besichtigen. So, sehen Sie hier, die beiden Zimmer. Nummer 5 gleich rechts, und die 9 den Flur runter, links. Die Schlüssel stecken.«
»Was kosten sie?«, fragte Nadja, bevor Fabio etwas sagen konnte, und versetzte ihm einen leichten Stoß, um zu verhindern, dass er zu handeln anfing.
Die Wirtin nannte den Preis, der Nadja völlig angemessen schien. Die Zimmer waren groß, hell und freundlich, mit viel Holz, knalliger Blumentapete, gemütlicher Sitzgelegenheit, eigenem Bad und Vorrichtungen zum Teekochen. Zum Abschluss fragte Mrs O’Sullivan, ob sie ein irisches Frühstück wünschten, und alle sagten begeistert zu.
Dann konnte David sich nicht mehr zurückhalten: »Bitte, gibt es einen Pub hier in der Nähe?«
Mrs O’Sullivan lachte. »Selbstverständlich! Sogar zu Fuß erreichbar, in zehn Minuten. Gehen Sie zurück zur Straße, dann rechts, und an der nächsten Kreuzung gleich wieder rechts. Da ist eine kleine Ortschaft, Boyne Hills heißt es, und der Pub Smoking Cat ist sehr beliebt. Keine Angst, natürlich raucht niemand mehr drin, und das Essen ist gut. Wenn Sie Glück haben, spielen dort heute Abend ein paar Freunde.«
Nadja und Fabio nahmen nach kurzer Diskussion das erste Zimmer, die Zwillinge und die Kobolde das andere. Sie verabredeten sich eine halbe Stunde später und spazierten dann gemeinsam in den Pub, der tatsächlich nicht weit entfernt lag. Wie alle Pubs war das Smoking Cat vollständig mit Holz verkleidet und eingerichtet, mit schummriger Beleuchtung, jeder Menge Bier-Werbeblechschildern an den Wänden, Murphy’s Laws, Dartscheibe, ein paar gerahmte Fotos mit Berühmtheiten und sonstiger Krimskrams, den irgendwann mal jemand einfach hingepinnt hatte. Es ging bereits hoch her, von überall kamen Arbeiter, die schnell ein Pint vor dem Heimweg zu sich nahmen. Dazu ein paar verirrt wirkende, viel zu fein gekleidete Touristen, die solche eher einfachen Pubs abseits der gewohnten Pfade wohl nicht kannten, sowie Ortsansässige, und im Nebenraum eine kleine Gruppe Musiker, die temperamentvoll fiedelten. Sie verliehen den Traditionals oder kurz trads eine rockige Note, was sofort für viel Stimmung sorgte.
»Hi folks, how’s the craic?«, rief der Barmann, als sie nach einem Platz Ausschau hielten. »Was geht ab, Leute?«
Nadja kannte den Ausdruck, und sie antwortete: »Hauptsächlich Bier!«, woraufhin die Arbeiter grölend die Pintgläser hoben. Damit waren sie schon mal willkommen.
»Hier gefällt’s mir«, sagte David grinsend.
Während sie sich setzten, holte der Prinz Bier und Cider, und für sich und Fabio dazu zwölf Jahre alten Bushmills, »weil sich das so gehört«. Eine Weile saßen sie stillvergnügt um einen niedrigen wackligen Tisch auf schäbigen Ledersesseln und ließen alles auf sich einwirken. Pirx und Grog waren ebenfalls versorgt und achteten darauf, dass niemand über sie stolperte.
»Also gut«, sagte Nadja, nachdem sie gegessen hatten, und packte Unterlagen über Irland aus ihrem Rucksack, von dem sie sich nie trennte. »Fangen wir an. Ich habe mich ein bisschen vorbereitet.«
Sie unterhielten sich auf deutsch, das hier vermutlich niemand verstand, außerdem war es ziemlich laut und voll, und keiner achtete auf sie.
»Newgrange wurde vor über fünftausend Jahren erbaut und ist damit älter als die ägyptischen Pyramiden«, fing sie an. »Das ist deswegen von Bedeutung, weil Newgrange selbst ebenfalls ein Kraggewölbe ist, wie es teilweise auch in Ägypten gebaut wurde, nur eben viel später. Das älteste dieser Gewölbe hier in Europa ist der Cairn von Barnenez in der Bretagne, sechseinhalbtausend Jahre alt. Man nimmt an, dass es sich in Newgrange um ein Ganggrab handelt, weil menschliche Überreste sowie verbrannte Knochen auf einer Art Altar gefunden wurden. Gleichzeitig aber ist es auch ein Kalenderbau, denn dreizehn Tage im Jahr, um die Wintersonnenwende, gelangt ein Sonnenstrahl ins Innere des Baus, genau in die Hauptkammer, auf den Altar. Damit ging es also nicht nur um den Tod, sondern auch um das neue Leben, das sich im Frühjahr regt. Deshalb geht die Öffnung nach Osten, zum Sonnenaufgang. Wie übrigens bei allen Tumuli – Tod bedeutet zugleich immer Leben. Die nahebei gelegenen Knowth und Dowth, die früher errichtet wurden, hingegen waren wohl keine reine Nekropolen, sondern dort lebten Menschen um ihren Tumulus. Die beiden Anlagen sind von der Gesamtfläche wegen der Nebengebäude größer, aber Newgrange ist das größte europäische Ganggrab.«
»Wahrscheinlich«, sagte Fabio dazwischen, »halfen die Tuatha damals beim Aufbau, da einige Steine von sehr weit her kamen, die nur schwer transportiert werden konnten. Vielleicht hat sogar Fanmór selbst den Transport unterstützt. Das Volk, das Newgrange baute, ist unbekannt, es existierte lange vor den Kelten. Diese Megalithkultur war sehr spirituell, die Verbindung zur Geisterwelt nahe. Das kann man gut an den Mustern der behauenen Ringsteine erkennen. Vermutlich lebten sie mit den Tuatha in friedlicher Gemeinschaft und vermischten sich sogar.«
Nadja fuhr fort: »Das Ganggrab ist rund zwanzig Meter lang und endet in einer kreuzförmigen Hauptkammer mit drei Nischen. Das innere Kraggewölbe ist sieben Meter hoch und bis auf den heutigen Tag zu hundert Prozent regendicht. Kein Tropfen Wasser gelangte jemals seit der Erbauung ins Innere.« Sie öffnete einen Reiseführer und zeigte einige Bilder des äußeren Rundbaus mit der schwarzweißen Steineinfassung beim Eingang.
»Sieht sehr modern aus«, befand Pirx.
»Es handelt sich hier um eine umstrittene Rekonstruktion«, erklärte Nadja. »Die Steine fand man aber genau hier, und eine Führerin hat mir erzählt, dass sie exakt so, wie sie gefunden worden waren, wieder eingepasst wurden. Angeblich wurde kein Stein hinzugefügt, es blieben sogar ein paar übrig, die sie in einem Korb beim Eingang sammelten. Jahrtausendelang hat wohl niemand die Quarze geholt, um sie selbst zu verwenden. So wird es hier erzählt, in Führern steht wieder was anderes. Außerdem fehlen von der Steinumfassung mit Monolithen zwei Drittel, diese schweren Brocken sind irgendwie abhandengekommen.«
»Aber eine Tatsache ist«, sagte Fabio, »dass dieses Gebiet gemieden und nicht besiedelt wurde, auch nachdem das Grab längst vergessen und mit Bäumen und Gras überwuchert war. Selbst Wikinger oder sonstige Grabräuber, die überall auf den Inseln Vandalismus betrieben, haben dieses Grab nie betreten. Dass sie es nie entdeckten, ist unwahrscheinlich, Knowth und Dowth in der Nähe haben sie auch gefunden. Daher wurde in Newgrange nicht die Decke aufgebrochen, wie sonst üblich, weswegen wir heute immer noch in der Lage sind, diese hohe Baukunst zu bewundern – egal, ob von Menschen oder Elfen errichtet.« Er hob die Hände. »Ich habe nichts damit zu tun, falls ihr das annehmen wolltet, mein Spezialgebiet war Venedig – und Jahrtausende später.«
»Also haftet etwas Mystisches diesem Ort an?«, fragte Rian.
Fabio und Grog hoben die Schultern. »Es muss wohl so sein.«
»Ganz sicher«, bestätigte Nadja. »Ihr werdet es feststellen, wenn wir morgen hingehen. Obwohl es heutzutage ein fürchterlicher Touristenrummel ist, vor der EU-Umstellung und den EU-Fördergeldern muss es anders gewesen sein, erhabener, weil man es besser auf sich einwirken lassen konnte.«
»Fabio, hast du eine Vorstellung, wo dieses Zeitgrab genau liegt?«, fragte David.
»Ich hoffe, wir entdecken es, wenn wir drin sind«, antwortete der Venezianer.
»Was genau ist denn nun dieses Zeitgrab?«, wollte Pirx wissen.
»Ein Portal zur Vergangenheit«, erklärte Grog. »Auch … für die Toten, die dann zu Wiedergängern würden.«
»Das klingt nicht gut«, murmelte Nadja.
»Gar nicht gut«, stimmte David zu.
»Und passt genau zum Getreuen«, stellte Rian fest.
»Möglicherweise öffnet das Grab sich auch vorwärts in der Zeit«, setzte Fabio noch einen drauf. »Ich möchte sogar darauf wetten, dass der Getreue genau das versuchen wird.«
Daraufhin herrschte nachdenkliches Schweigen. Schließlich sagte David: »Also gut, dann lasst uns mal Kräfte sammeln.« Damit stand er auf und ging an die Theke. Kurz darauf hatte er schon die Seite gewechselt und gab die ersten Drinks aus, die umgehend reißenden Absatz fanden. In die Augen des Barmanns trat ein zunehmend stärker werdendes Leuchten.
Pirx und Grog waren schon bei den Musikern, und auch Rian ging nach nebenan; kurz darauf klang ihre glockenreine Stimme herüber und lockte noch mehr Zuhörer an. Fabio ging mit grüblerischem Gesicht an die Theke, und Nadja saß auf einmal allein am Tisch. Achselzuckend widmete sie sich ihrem Cider und beobachtete die Leute, legte die Hand an den Bauch und erzählte ihrem Kind, was ihr auffiel. Es schien aufmerksam zuzuhören, denn es rührte sich ausnahmsweise einmal nicht, trotz der Musik.
Die Stimmung im Pub wurde zusehends gelöster und heiterer, aber das war für Nadja nichts Neues. Die Zwillinge verbreiteten überall Leben und Frohsinn, wo sie auftraten.
Die junge Frau sah kurz auf, als ein Mann sich über ihren Tisch beugte. Er musste sich ziemlich nah zu ihr neigen, damit sie ihn verstehen konnte, denn es war recht laut. Der Mann mochte um die Sechzig sein und war nicht weiter auffällig. Er trug eine Schiebermütze, Jeans und Streifenhemd, seine Finger waren gelb von Nikotin, die Gesichtshaut großporig und wettergegerbt. »Er gefällt dir«, sagte er und wies mit dem Daumen auf David, der hinter der Theke die Regale entlangtanzte, Flaschen durch die Luft wirbeln ließ und lachte, wobei seine Augen verräterisch violett im Schummerlicht aufblitzten.
»Natürlich, er ist …«, begann sie, doch der Mann hob die Hand.
»Ich weiß, was er ist, und seine Schwester. Dass die beiden blutsverwandt sind, ist nicht zu übersehen. Bei dem Weißhaarigen bin ich mir nicht sicher, aber du passt nicht hinein.«
»Inwiefern?«, wollte sie leicht gereizt wissen.
»Ich meine, du solltest auf deine Seele aufpassen, und darauf, wohin du gehst.«
»Danke für den guten Rat, aber ich kann tatsächlich schon selbst auf mich aufpassen.«
Das sollte eine deutliche Abfuhr sein, aber der Mann setzte sich jetzt erst recht zu ihr.
»Dann verrat mir doch mal, was ihr hier macht.«
»Ich wüsste nicht, wieso dich das was angeht.«
»Was hier in meinem Land passiert, geht mich sehr wohl was an, Kleine, und ich lasse mich nicht für dumm verkaufen.«
In Nadjas bernsteinfarbene Augen trat ein spöttisches Funkeln. »Würde mir nicht im Traum einfallen.«
Der Mann musterte sie aus unstet wirkenden blauen Augen. »Gehört ihr zu den anderen?«
Nadja wurde hellhörig. »Welche anderen?«
»Aha, also doch. Es gibt mehr von der Sorte deiner Freunde hier. Sie treiben sich in der Nähe von Newgrange herum, als ob sie auf der Suche wären. Sind das eure Freunde oder Feinde?«
Nadja hatte nicht die geringste Ahnung, worauf der Mann hinauswollte. »Feinde«, antwortete sie ruhig. »Zumindest nehme ich das an. Was hast du mit Newgrange zu tun?«
»Ich kümmere mich dort um die Elektrik.«
»Und wieso kannst du meine Freunde erkennen?«
Er hob die Schultern. »Manche von uns können das. Hab’s wohl von meiner Mutter gelernt, die sich viel mit diesen Dingen beschäftigt hat und hellsehen konnte. Sie sagte vor gut einem Jahr voraus, dass im Jahr der Zeitenwende jemand hierher kommen würde. Sie gab eine Beschreibung, die auf euch zutreffen könnte.«
Nadjas Herz fing an, schneller zu schlagen. Hatte Fabio etwa recht? Vor allem das Wort »Zeitenwende« beunruhigte sie, damit konnte der Verlust der Unsterblichkeit der Elfen gemeint sein. Ein besonderer kalendarischer Wechsel stand nicht an. »Was genau willst du von mir?«
»Nichts weiter«, sagte der Ire. »War bloß neugierig. Zumindest weiß ich jetzt, dass meine alte Mutter nicht verrückt ist. Damit hab ich gute Chancen, meinst du nicht?« Er tippte sich an die Schläfe und grinste. Seine Zähne waren nur noch braune Stumpen.
Nadja war völlig verwirrt, dabei sollte sie es besser wissen. Es war nicht ihre erste Unterhaltung mit schrulligen Iren, die zu einsam waren und ein bisschen zu viel ins Pintglas schauten. Erleichtert sah sie, dass Fabio ihren Tisch ansteuerte.
Er legte dem uneingeladenen Tischgast die Hand auf die Schulter und sagte: »Hi, Bob. Marsha braucht dich hinten, sieh mal nach ihr.« Sein Griff verstärkte sich, und er zog den etwa Gleichaltrigen mühelos vom Hocker hoch und schob ihn nachdrücklich Richtung Theke. Ohne etwas zu erwidern, ging Bob weiter.
Fabio setzte sich. »Alles in Ordnung?«
»Er erkennt Elfen.«
»Sicher doch. Seine Mutter hat während ihrer Schwangerschaft versehentlich ein falsches Gartentor geöffnet, seither ist sie ein wenig seltsam, und ihr Sohn ebenso.«
Nadja lachte leise. »Du hast also gleich alles mitbekommen und dich kundig gemacht.«
»Ich lasse dich nie aus den Augen, wie du weißt.« Fabio drehte sich leicht und winkte einem anderen Mann zu, der ebenfalls weißhaarig war und gleich näherkam. »Seamus, das ist meine Tochter Nadja. Nadja, das ist Seamus.«
»Freut mich.« Der Händedruck des Iren war kräftig, genauso wie seine Statur, und listige Schlauheit funkelte aus seinen Augen. »Ich hoffe, Bob hat dich nicht zu sehr erschreckt. Das macht er gern bei Fremden, ist sein höchstes Vergnügen.«
Nadja schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich erlebe das nicht zum ersten Mal.«
»Seamus hat ein Cottage, das er ab morgen an uns vermietet«, erklärte Fabio den Grund der Bekanntschaft. »Es liegt ziemlich nah an Newgrange, quasi nur ein Katzensprung entfernt.«
»Das Haus gehört meinem Sohn, aber er wohnt und arbeitet in Dublin und kommt nur selten her«, sagte Seamus. »Ich vermiete es ab und zu an Leute, die mir zusagen. So wie ihr.« Er grinste. »Marsha macht heute wahrscheinlich den Umsatz des Jahres. Ihr seid ja eine lustige Gesellschaft.« Er hielt Fabio die Hand hin. »Also sind wir uns einig?«
»Wir sind uns einig«, sagte Fabio und schlug ein.
Seamus stand auf und nickte Nadja zu. »Hat mich gefreut.« Er ging zur Theke zurück, wo David gerade laut im Chor mitsang und vier Drinks auf einmal mixte, während die weibliche Kundschaft heftig mit Euroscheinen wedelte.
»Bob hat gesagt, dass noch andere hier sind«, sagte Nadja zu Fabio, kaum dass sie unter sich waren, und berichtete von dem seltsamen Gespräch.
Fabio legte die Stirn in Falten. »Also ist der Getreue noch nicht unmittelbar am Werk, aber zumindest treiben sich seine Helfer hier herum. Ich nehme an, dass die Öffnung des Zeitgrabs eine Menge Vorbereitung in Anspruch nimmt, selbst für ihn. So etwas ist eine sehr machtvolle, gefährliche Angelegenheit, die wohldosiert eingesetzt werden muss, sonst verliert er schnell die Kontrolle. Das kann von Glück für uns sein, dass wir ihm rechtzeitig ins Handwerk pfuschen. Wenigstens diesmal!«
»Dann werden wir morgen also Newgrange unter die Lupe nehmen und das Cottage beziehen, um dort Pläne zu schmieden«, schlussfolgerte Nadja.
»Ganz recht.«
»Hoffentlich gibt es in dem Haus genug Zimmer, denn noch einmal nehme ich nicht mit dir vorlieb.«
Er grinste. »Es hat deren drei. Und wir werden jetzt aufbrechen.«
Das war Nadja sehr recht, denn David war inzwischen etwas zu sehr von jungen Damen umlagert, fand sie. Kurz überlegte sie, dann blitzte Schalk in ihren Augen auf. Sie stand auf, brachte die Kleidung in den richtigen Sitz und schritt dann mit wiegenden Hüften und strahlendem Lächeln auf die Theke zu. Demonstrativ zeigte sie ihren leicht gewölbten Bauch unter dem hautengen T-Shirt, der bei ihrer schlanken, straffen Figur nur eine Deutung zulassen konnte. Die Menschen wichen ihr unwillkürlich, unbewusst aus, mit leicht verdutzten, aber nicht ablehnenden Gesichtern. Als ihr Blick sich mit Davids kreuzte, schien er für einen Moment flüchtig darüber hinweggehen zu wollen und mit dem Mixen fortzufahren. Doch dann ließ er die Hände sinken, die Augen unverwandt auf sie gerichtet. Ein verklärtes Lächeln erhellte seine Züge, und Nadja sah ein sanftes Glühen im Zentrum seiner Brust, knapp über dem Herzen. Dies galt allein ihr.
Enttäuschung malte sich auf den Gesichtern der Mädchen und jungen Frauen ringsum, die anhand der Miene erkannten, dass sie verloren hatten. Ab diesem Moment waren sie für den attraktiven neuen Barmann gar nicht mehr existent.
»Es ist spät«, sagte Nadja sanft. Die Polizeistunde schlug ohnehin gleich. Immerhin besaß der Pub eine Konzession bis Mitternacht, und vermutlich ging es danach hinter geschlossenen Türen weiterhin hoch her. Doch nicht für sie.
Um sie herum herrschte immer noch Stille. Nadja spürte Fabios Präsenz im Rücken, als er sich langsam näherte und weitere Menschen zum Abrücken brachte.
»Dann … wollen wir mal«, sagte David, der nicht mehr so recht zu sich zu finden schien, denn seine Bewegungen waren immer noch leicht fahrig. Er nickte dem Barmann und Marsha zu. »Ab jetzt übernehmt ihr wieder.« Damit verließ er unter Beifall seinen Platz hinter der Theke. Aus dem Nebenraum kam gerade Rian, mit den unsichtbaren Kobolden im Gefolge, und unter lauten Verabschiedungsrufen verließen sie alle den Pub und fanden sich in einer milden Nacht voller Sternglitzer und Vollmond wieder. Es war angenehm still, nur gelegentliche ferne Autogeräusche, und auf den Weiden wanderten grasende Pferde und Kühe, schwache Silhouetten im Mond- und Straßenlicht. Und das mitten im geschäftigen Europa.
»Hier gefällt’s mir«, stellte Pirx fest und tanzte die Straße entlang. »Es ist fast wie daheim, und die Menschen verstehen echt was von Musik!«
Auch der alte Grogoch wirkte bedeutend munterer als sonst und erzählte, dass er ähnliche Abende in den Schwarzbergen erlebt habe. Rian und Fabio gingen untergehakt und sangen von der steinigen Straße nach Dublin. David hatte den Arm um Nadjas Taille gelegt, halb an ihren leicht vorgewölbten Bauch, und wanderte still mit ihr dahin, sein Gesicht völlig entspannt und friedlich.
Das ist es, was wir brauchen, dachte Nadja. Zuversicht, Hoffnung.
3.
Der Getreue: Auf der Suche
Erregung erfasste den Getreuen, er vibrierte durch und durch, als er auf das Tor zuschritt. Er konnte es schon deutlich erkennen: Es war stabil!
Die Mühen hatten gefruchtet, es hatte geklappt! Ein Plan nach dem anderen ging auf, unaufhaltsam wie der Löwenzahn im Frühjahr, wenn die Wiesen gelb wurden. Nun konnte Bandorchu nichts und niemand mehr aufhalten. Der große Schritt war getan.
Der Getreue hielt die Schultern gerade, als er gemessenen Schrittes durch das Tor des Schattenlandes ging, den vertrauten privaten Raum vor sich sah, Zeuge so vieler leidenschaftlicher Stunden …
… aber er war leer.
Verblüfft blickte der Mann ohne Schatten sich um. Es gab nur wenig, das ihn aus der Fassung bringen konnte, und dies hier … brachte ihn an den Rand der Beherrschung.
Wo war Bandorchu? Das Tor war geöffnet und dauerhaft, das konnte nur das Werk der Königin gewesen sein! Aber weshalb war sie dann nicht hier und erwartete ihn? Gewiss, er hatte nach dem Setzen des Stabs ein wenig länger zur Erholung gebraucht, aber damit hatten sie ja beide gerechnet. Oder nahm sie etwa an, er sei tot? Nein, unmöglich, sie wusste, dass er nicht einfach so sterben konnte, nicht einmal nach einem Kampf gegen Morgana und einer gewaltigen Machtentfaltung, die einen Vulkan zur Explosion brachte.
Er witterte in die Luft, tastete mit seinen magischen Sinnen. Sie ist nicht hier. Ihr Blütenduft schwang durch die Luft, erfüllte den ganzen Raum, doch war er bereits am Verwelken. Und ihre magische Spur …
Der Getreue fuhr herum. War es möglich … sein mächtiger Körper setzte sich in Bewegung, und er hastete den Weg zurück, in die Menschenwelt. Unterwegs hatte er plötzlich das Gefühl, etwas würde reißen in ihm, und ein kurzer Schmerz durchzuckte ihn, doch er achtete nicht darauf. Er verließ das Portal und fand sich am schwarzen Felshang des Ätna wieder, und da saßen Cor und der Kau und sahen ihn erstaunt an. Dann sprangen sie hastig auf und verneigten sich.
»Ist sie hier?«, schrie er die beiden an, die sich daraufhin wieder aufrichteten. Verständnislosigkeit lag in ihren großen Augen, und sie warfen sich unsichere Blicke zu.
»Die Königin!«, fuhr er fort. »Ist sie bereits hier durchgekommen?«
Besorgnis zerknitterte das hagere Gesicht des Kau. »Nein, Meister«, fistelte er betreten und verknotete die Finger ineinander.
»Wir haben hier auf Euch gewartet, wie Ihr befohlen habt«, fügte der Spriggans hinzu. »Wir hätten nicht erwartet, Euch so schnell …«
»Setzt die Wache fort!«, unterbrach er zornig. »Dies wird eine Weile dauern.« Er wandte sich ab und schritt ein weiteres Mal durch das Portal, diesmal alle Sinne angespannt, auf der Suche nach einer Spur. Das Seltsame war, seitdem er dieses Gefühl des Reißens gehabt hatte, war er innerlich leer. Beinahe so wie in der Höhle der Skylla, doch diesmal bei vollem Bewusstsein. Was war nur geschehen?
Mit raschen Schritten durchquerte er den Privatraum der Dunklen Frau und riss die Tür auf.
Niemand da, der Gang leer und verlassen, nicht einmal eine Wache. Auch der Zofensitz war unbesetzt, eine unverzeihliche Nachlässigkeit. Der Mann ohne Schatten eilte lautlos den Gang entlang, dessen teils kristalline Wände durch Bandorchus Gedanken geschwärzt waren. Nur am Rande registrierte er, dass auch hier ein gewaltiges Erdbeben stattgefunden hatte. So viele filigrane Dekorationen, Kristallblumen, selbst Gewächse, waren vernichtet und dem Verfall ausgesetzt. Als er aus einem Fenster blickte, sah er, dass ein Großteil der Außenmauer eingestürzt war, der Park zerstört. Stellenweise erreichten die Schatten der schwarzen Wolken Kammern, deren Dach abgedeckt oder eingebrochen war. Im Park schimmerte sogar hier und da der Spiegelboden durch. Dieser Bereich aber war die Zitadelle, das erste errichtete Fundament. So stabil, dass es dem Untergang getrotzt hatte, die Mauern standen unversehrt, auch wenn es innen verheerend aussah.
Der Getreue erreichte den Thronsaal, dessen hölzernes Portal – in dem ein Wurzelfüßer eingebaut worden war, der sich aufgegeben hatte – sich von selbst vor ihm öffnete, als es ihn nahen spürte. Das Geisterabbild trauriger Augen verfolgte den Getreuen, als er hindurchschritt und neben den Thron trat.
Schweigen schlug ihm entgegen, und er war selbst für einen Augenblick wie erstarrt.
Der Thronsaal war berstend voll, selbst an den Wänden hingen und klammerten sich Elfen fest, noch an der Decke, den Kerzenleuchtern. Der Boden war übersät mit Körpern, jeder freie Platz war besetzt.
Mit einem Blick erfasste der Getreue die Wesen, erkannte das eine oder andere.
»Herr!«, rief die Dryade Melemida. Sie raschelte auf ihn zu und verneigte sich zitternd. »Habt Ihr Nachricht von meiner Königin … unserer Gebieterin? Könnt Ihr mir sagen, wo sie ist, damit ich zu ihr und sie versorgen kann? Wie geht es ihr?«
Der Getreue schwieg, und Dunkelheit breitete sich in ihm aus.
Melemida war eine sehr mutige Frau. Sie wich vor seiner Kälte nicht zurück, sondern insistierte sogar: »Herr? Was habt Ihr für Nachrichten?«
»Keine«, antwortete er grollend, und ganz tief unten in der Dunkelheit entzündete sich Zorn. »Die Königin ist nicht hier, sagst du?«
Ein Raunen und Flüstern ging durch den großen Saal, von dessen einstiger Pracht nichts mehr geblieben war. Nur die Wände und der Thron standen noch, das meiste Stuckwerk, Dekoration, Pflanzenwerk waren zerstört. Wie im ganzen Schloss.
Viele Elfen richteten sich auf und streckten die Hände flehend nach ihm aus.
»Wo ist unsere Königin?«
»Was könnt Ihr uns sagen?«
»Bringt uns zu ihr!«
»Wir sind wie erstarrt vor Furcht und Sorge!«
»Seit Beginn der Zerstörung haben wir nichts mehr zu uns genommen!«
»Helft uns!«
Er hatte genug. »Ruhe!«, donnerte er, und sie duckten sich alle furchtsam. Was für ein elender Haufen, dachte er voller Verachtung. Sklaven sind sie, allesamt, haben kein Rückgrat, können nichts selbst entscheiden und besitzen keinen Stolz.
»Wieso seid ihr noch hier? Das Portal ist offen, das müsst ihr doch alle gespürt haben! Ihr seid frei!«, rief er.
Sie begriffen nicht, was er damit meinte, das konnte er deutlich den Mienen ablesen, egal wie fremdartig sie waren. Er wiederum verstand, dass sie noch gar nicht gewagt hatten, das private Gemach der Königin zu betreten, dass sie hier die ganze Zeit auf sie warteten. Dementsprechend wussten sie auch nichts von dem offenen Portal. Der Raum war magisch abgeschirmt, sie hatten es nicht spüren können.
»Warum seid ihr hier?«, scholl seine tiefe Stimme durch den Saal.
Melemida sah sich plötzlich allein mit dem Getreuen, alle starrten sie an, als wäre sie zur Sprecherin erkoren worden. »Die Königin gab uns keine Erlaubnis zu gehen«, flüsterte sie.
»Aber sie ist nicht hier«, erwiderte der Verhüllte.
»Herr … wohin sollten wir denn gehen?«, fuhr die Dryade verzweifelt fort. »Der Weg führt in die Menschenwelt. Wir wissen nicht, ob wir dort draußen noch Kräfte besitzen, und was sich verändert hat. Wir sind sterblich, verbannt und heimatlos …«
Der Getreue schüttelte fassungslos das Haupt. »Dann fangt neu an!«, fauchte er. »Habt ihr wirklich so große Angst vor diesem einen Schritt?«
Die meisten Elfen lagen flach am Boden, der Rest versuchte, sich unsichtbar zu machen.
»Es ist so …«, begann Melemida zaghaft. »Bandorchu hat uns den Lebenswillen zurückgegeben. Sie schenkte uns eine Heimat. Wir führen ein gutes Leben hier in diesem Grauen. Sie hat versprochen, uns herauszuführen, und nun ist es soweit. Wir werden aber nicht ohne die Königin gehen. Sie soll uns den Weg weisen, sie ist unsere Zukunft. Wir folgen ihr.«
Der Getreue ließ seinen Blick schweifen. »Gilt das für euch alle? Auch für die, die zitternd draußen harren? Sagt es!«
Zuerst folgte nur ein schüchternes »Ja«, doch bald wurden es mehr Stimmen, die sich schließlich gegenseitig anspornten, und zuletzt war der Saal erfüllt von unterschiedlichem »Ja!«-Geschwirr, und selbst von draußen scholl es noch herein.
Da nickte der Getreue zufrieden. »Damit seid ihr, die ihr geantwortet habt, durch Treueid an die Königin gebunden und werdet ihr weiterhin folgen, wohin sie auch geht, ihr dienen und gehorchen. Der Schwur gilt, bis sie euch davon freispricht!«
Da erst begriffen sie, dass er sie in eine Falle gelockt hatte. Und sie waren auch noch sehenden Auges hineingetappt! Er hatte ihnen doch zuvor genau gesagt, dass sie frei wären …
»Und nun«, fuhr der Mann ohne Schatten fort, »sucht nach Bandorchu!«
Je länger die Suche dauerte, umso ungeduldiger wurde der Verhüllte. Die Elfen suchten zusehends panischer, zogen immer weitere Kreise und setzten sich lieber den schwarzen Wolken und dem Spiegelboden aus, nur um so weit wie möglich vom Getreuen entfernt zu sein. Und er wütete unter ihnen, je mehr sein Zorn wuchs. Er zerschmetterte die Hände der Steinzwerge, setzte die Wurzeln des letzten Wulkbaums in Brand, riss dem Basilisken die Augen aus … Leid und Schmerz kam über das Volk der Verbannten. Sie verdoppelten ihre Bemühungen, spornten sich gegenseitig an, doch die Königin blieb spurlos verschwunden. Auch auf magischem Wege gab es keine Möglichkeit, sie zu finden. Selbst der Aurenseher, der die letzten Ereignisse an einem Ort erfassen konnte, wusste nicht mehr zu sagen, als dass die Königin einige Seelen verschlungen hatte und anschließend das Portal öffnete.
»Was geschah, nachdem sie die Seelen verschlungen hatte?«, hakte der Getreue nach. Noch niemand hatte das miterlebt, nicht einmal er.
»N-nichts«, stotterte der Aurenseher ängstlich und schrie auf, als der Verhüllte mit einem Messer auf ein Auge zielte. Die Augen des Aurensehers beherrschten sein Gesicht, sie waren so groß wie Handflächen, und von unendlicher Tiefe. Für die normale Sicht waren sie blind, doch in der Welt der Magie sahen sie nahezu alles.
»Und jetzt noch einmal«, befahl der Getreue drohend.
Der Aurenseher sank auf die Knie. »Herr, ich schwöre Euch … ich kann es nicht erkennen. Es ist völlig verschwommen. Die magischen Strömungen überlagern und vervielfachen sich, als ob die Königin sich wie ein Baum verzweigt. Aus einem mir unbekannten Grund ist keine klare Sicht darauf möglich. Erst mit dem Beginn des Öffnungszaubers kann ich sie wieder erkennen.«
Der Getreue war versucht, seine Kapuze zurückzuschlagen, um sich allen im Thronsaal zu zeigen.
Aber das wäre nicht sinnvoll. Und er sollte sich auch in seinem zerstörerischen Zorn mäßigen, sondern sich mehr auf die Vernunft konzentrieren. Der Aurenseher konnte ihm nicht weiterhelfen, seine eigene Magie stieß an ihre Grenzen. Was blieb ihm zu tun?