Nur einen kurzen Weg von Longbourn entfernt wohnte eine Familie, die zu den engeren Freunden der Bennets zählte. Sir William Lucas hatte früher ein Geschäft in Meryton geführt, das ihm zu einem annehmbaren Vermögen verholfen hatte. Eine Ansprache an den König während seiner Bürgermeisterzeit hatte ihm den Titel »Sir« eingebracht. Die Ehrung war ihm ein wenig zu Kopfe gestiegen; er fasste eine plötzliche Abneigung gegen das Geschäft und gegen sein Haus in dem kleinen Marktflecken, gab beides auf und bezog mit seiner Familie etwas außerhalb Merytons ein Landhaus, das von da an Lucas Lodge hieß. Hier konnte er zu seinem ständigen Vergnügen über seine eigene Bedeutsamkeit Betrachtungen anstellen und, ungehindert von jedweder Arbeit, sich damit beschäftigen, gegen die ganze Welt höflich zu sein. Denn wenn sein Titel ihn auch erhöht hatte, er machte ihn nicht hochfahrend; im Gegenteil, er war mehr denn je eines jeden gehorsamer Diener. Von Natur aus schon liebenswürdig, freundlich und gefällig, hatte seine Vorstellung bei Hofe ihn nur noch höflicher gemacht.
Lady Lucas war eine sehr gute Frau und nicht klug genug, um eine schlechte Nachbarin für Mrs. Bennet abzugeben. Die älteste von den Lucas-Kindern, Charlotte, eine ruhige, vernünftige junge Dame von siebenundzwanzig, war Elisabeths beste Freundin.
Es war natürlich unumgänglich notwendig, dass die Schwestern Lucas und die Schwestern Bennet den Ball gemeinsam durchsprachen. Am Morgen nach dem Fest erschienen jene in Longbourn, um zu hören und gehört zu werden.
»Du hast aber den Abend gut begonnen, Charlotte«, sagte Mrs. Bennet mit höflicher Selbstbeherrschung zu Miss Lucas. »Dich hat ja Mr. Bingley sich zuerst ausgesucht.«
»Ja, aber seine zweite Wahl schien ihm besser zu gefallen.«
»Ach so, du meinst Jane – weil er zweimal mit ihr getanzt hat; du hast recht, das machte allerdings den Eindruck, als ob er sie bevorzugte. Hm, weißt du, ich glaube, er zog sie den anderen tatsächlich vor; ja, ja, ich hörte so etwas, ich weiß nicht mehr genau was… irgendetwas von Mr. Robinson –«
»Sie meinen wahrscheinlich das Gespräch zwischen ihm und Mr. Bingley, das ich zufälligerweise mit anhörte; hab’ ich Ihnen noch nicht davon erzählt? Mr. Robinson fragte ihn, wie ihm unser Ball in Meryton gefalle und ob er nicht auch der Meinung sei, dass eine ungewöhnlich große Anzahl schöner Damen anwesend wäre; und dann fragte Mr. Robinson ihn noch, welche er denn am schönsten finde? Worauf er sogleich erwiderte: aber da gibt es doch gar keinen Zweifel, die älteste Schwester Bennet natürlich!«
»Was du nicht sagst! Das ist allerdings sehr deutlich.«
»Ich hab’ wenigstens etwas Nettes zu hören bekommen, Lizzy, wenn auch nur über andere«, sagte Charlotte zu ihrer Freundin. »Mr. Darcy zuzuhören lohnt sich nicht so sehr wie seinem Freund. Arme Lizzy, nur gerade noch erträglich zu sein!«
»Ich bitte dich, Charlotte, versuch nicht, Lizzy auch noch mit seiner Unhöflichkeit zu ärgern; er ist ein so scheußlicher Mensch, dass es geradezu ein Unglück wäre, ihm zu gefallen. Mrs. Long erzählte mir, er habe eine halbe Stunde neben ihr gesessen, ohne ein einziges Mal den Mund aufzumachen.«
»Hat sie das gesagt, Mutter? Hat sie sich nicht vielleicht geirrt?« fragte Jane. »Ich sah genau, wie er zu ihr sprach.«
»Ja, da hatte sie ihn gerade gefragt, wie ihm Netherfield gefalle, und darauf musste er jawohl oder übel etwas sagen; aber sie sagt, er sei richtig wütend gewesen, angesprochen zu werden.«
»Miss Bingley erzählte mir«, sagte Jane, »dass er nie sehr viel redet außer im engsten Freundeskreis. Dann kann er ganz ungewöhnlich sympathisch und freundlich sein.«
»Ich glaube nicht ein Wort davon, meine Liebe. Wenn er das wäre, dann hätte er mit Mrs. Long gesprochen. Ich kann mir schon denken, was los war: alle Welt weiß, dass er vor Hochmut beinahe erstickt, und er hat wahrscheinlich von irgendjemand erfahren, dass Mrs. Long sich keinen eigenen Wagen halten kann und in einer Mietskutsche zum Ball gekommen war.«
»Dass er nicht mit Mrs. Long geredet hat, stört mich nicht weiter«, meinte Charlotte, »aber ich wünschte, er hätte mit Lizzy getanzt.«
»Ein anderes Mal, Lizzy«, sagte Mrs. Bennet, »würde ich nicht mit ihm tanzen, wenn ich du wäre.«
»Ich glaube, ich kann dir ziemlich fest versprechen, überhaupt nie mit ihm zu tanzen, Mutter.«
»Sein Hochmut verletzt mich nicht einmal so sehr, wie es sonst der Fall wäre«, sagte Charlotte, »denn er hat doch eine Art Entschuldigung dafür. Man kann sich eigentlich nicht darüber wundern, dass ein so stattlicher junger Mann von so vornehmer Familie und so großem Vermögen sich selbst sehr hoch einschätzt. Ich finde, er hat gewissermaßen ein Recht zum Hochmut.«
»Ganz richtig«, erwiderte Elisabeth, »ich könnte ihm seinen Hochmut auch leicht verzeihen, wenn er nicht meinen Stolz gekränkt hätte.«
»Stolz«, sagte Mary, die auf die Tiefsinnigkeit ihrer Gedanken stolz war, »gehört zu den verbreitetsten unter allen menschlichen Schwächen, wenn ich mich nicht irre. Denn nach allem, was ich bisher gelesen habe, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es so ist: Die menschliche Natur neigt überaus leicht dazu, diesem Übel zu verfallen, und es gibt nur wenige Menschen, die frei davon sind, aus diesem oder jenem, tatsächlichen oder eingebildeten Grunde ein Gefühl von Selbstgefälligkeit zu verspüren. Man muss auch Stolz und Eitelkeit auseinanderhalten, wenn die beiden Worte auch oft für ein und dieselbe Sache gebraucht werden: man kann stolz sein, ohne eitel zu sein. Der Stolz bezieht sich mehr auf unsere eigene Meinung von uns selbst, die Eitelkeit jedoch auf die Meinung, die wir gern von anderen über uns hören möchten.«
»Wenn ich so reich wäre wie Mr. Darcy«, rief der junge Lucas, der seine ältere Schwester begleitet hatte, in die achtungsvolle Stille, die nach Marys Allerweltsweisheit eingetreten war, »wenn ich so reich wäre, dann könnte ich gar nicht stolz genug sein! Ich würde Fuchsjagden reiten und jeden Abend eine Flasche Wein trinken.«
»Das wäre viel zu viel für dein Alter«, meinte Mrs. Bennet, »und wenn ich dich dabei träfe, würde ich dir die Flasche sofort wegnehmen.«
Der Junge trumpfte auf, das dürfe sie ja gar nicht; und sie bestand darauf, sie würde es doch tun, und das Hin und Her fand erst mit dem Besuch sein Ende.
Die Damen von Longbourn machten bald darauf denen von Netherfield ihre Aufwartung, und der Besuch wurde in aller Form erwidert. Janes natürliches und freundliches Wesen gewann ihr schnell die Zuneigung von Mrs. Hurst und deren Schwester Caroline. Die Mutter Bennet war ja zwar kaum zu ertragen, und zu den beiden jüngeren Mädchen auch nur höflich zu sein, lohnte sich eigentlich nicht; aber mit den beiden älteren Freundschaft zu schließen, erschien ihnen wünschenswert. Jane erwiderte diesen Wunsch voller Dankbarkeit und aus ganzem Herzen; aber Elisabeth erkannte die Anmaßung, die allen Äußerungen der Damen in Netherfield zu Grunde lag, nicht zum wenigsten Jane gegenüber, und sie konnte es nicht über sich bringen, ihr anfängliches Misstrauen fallen zu lassen; mochte ihre Freundlichkeit gegen Jane, wenn man es schon so nennen wollte, auch dadurch einen gewissen Wert annehmen, dass sie ihren Ursprung in der Bewunderung des Bruders, Mr. Bingley, hatte.
Dass eine solche Bewunderung wirklich bestand, war ganz unverkennbar, so oft sie zusammenkamen. Und für Elisabeth war es ebenso unverkennbar, dass Jane der Neigung, die sie von Anfang an für ihn empfunden hatte, nachzugeben begann und auf dem besten Wege war, sich gründlich zu verlieben. Der Gedanke, dass die anderen diesen Zustand nicht so bald würden entdecken können, war ihr eine große Beruhigung; denn Jane verband mit der Fähigkeit eines tiefen Gefühls eine Gleichmäßigkeit und ständige Heiterkeit, die sie vor Verdächtigungen und üblen Nachreden böser Zungen bewahrte. Sie sprach darüber mit ihrer Freundin Charlotte.
»Es mag schon nützlich sein«, meinte diese, »in solchen Fällen der Umwelt etwas vormachen zu können; aber es kann einem auch schaden, wenn man zu beherrscht ist. Wenn eine Frau dem Gegenstand ihrer Neigung ihre Gefühle ebenso geschickt verbirgt, wird sie sich leicht um die Gelegenheit bringen, diese Gefühle eines Tages ausdrücken zu dürfen; und der Trost, dass die Welt ja nichts davon erfahren hat, scheint mir sehr schwach zu sein. In fast jeder Liebe steckt ein kleiner Kern von Eitelkeit oder Dankbarkeit, und den sollte man nicht sich selbst überlassen. Wir machen alle den ersten Schritt ganz unbefangen – dass man einen Menschen einem anderen vorzieht, ist meist selbstverständlich; aber nur die wenigsten von uns haben ein Herz, das groß genug ist, um ohne Ermunterung und Nachhilfe zu lieben. In neun von zehn Fällen ist es ratsam für eine Frau, eher mehr zu zeigen, als sie fühlt. Bingley mag deine Schwester ganz ohne Zweifel; doch wenn sie ihm nicht weiterhilft, wird er vielleicht nie etwas anderes tun, als sie nur mögen.«
»Aber sie tut ja schon so viel, wie ihre Natur es ihr erlaubt. Wenn ich ihre Zuneigung entdecken kann, dann muss er schon sehr dumm sein, wenn er nicht dasselbe entdeckt.«
»Vergiss nicht, Lizzy, dass er Janes Art nicht so gut kennt wie du.«
»Wenn eine Frau einen Mann bewundert und ihre Bewunderung nicht bewusst verbirgt, dann muss er es schon selbst merken.«
»Vielleicht ja, wenn er sie oft genug zu sehen bekommt. Bingley und Jane kommen ja recht häufig zusammen, aber erstens niemals sehr lange auf einmal und dann auch nur auf großen Gesellschaften, und da kannst du nicht verlangen, dass sie jeden Augenblick nur miteinander reden. Jane sollte daher jede Viertelstunde ausnutzen, in der sie ein wenig ungestört sind. Ist sie seiner erst sicher, dann ist immer noch Zeit genug, um sich gründlich zu verlieben.«
»Der Plan ist nicht schlecht«, erwiderte Elisabeth, »aber nur für den Fall einer Heirat um jeden Preis; handelte es sich bloß darum, einen reichen Mann oder überhaupt einen Mann zu bekommen, dann würde ich wahrscheinlich auch nicht anders vorgehen. Aber so etwas steckt nicht hinter Janes Gefühlen; sie verfolgt keinen Zweck und keine Absicht. Bis jetzt weiß sie selbst wahrscheinlich nicht, wie weit ihre Neigung geht, und noch weniger hat sie über Vernunft oder Unvernunft nachgedacht. Sie kennt ihn erst seit zwei Wochen; sie hat viermal mit ihm in Meryton getanzt; sie war einmal bei ihm zu Hause und hat auf vier Abendgesellschaften mit ihm an einem Tisch gesessen. Das dürfte kaum genügen, um ihn näher kennenzulernen.«
»Nein; wenigstens nicht, wenn es sich so verhielte, wie du eben sagtest. Hätte sie nur mit ihm zusammen gegessen, dann könnte sie heute bestenfalls etwas über seinen Appetit erfahren haben; aber sie haben ja vier ganze Abende miteinander in Gesellschaft verbracht – und vier lange Abende können manches zuwege bringen!«
»Sicher; die vier Abende haben ihnen Gelegenheit gegeben, ihre gegenseitige Vorliebe für ein bestimmtes Kartenspiel festzustellen. Aber was ihre sonstigen Charaktermerkmale anlangt, glaube ich nicht, dass sich sehr viel geklärt hat.«
»Nun, einerlei«, meinte Charlotte, »ich wünsche Jane von ganzem Herzen Erfolg; und ich glaube nicht, dass sie eine geringere Aussicht hat, glücklich zu werden, wenn sie ihn morgen heiraten sollte, als wenn sie seinen Charakter erst ein Jahr lang studieren wollte. Glück in der Ehe ist sowieso nur von Zufälligkeiten abhängig. Zwei Leute können sich noch so gut gekannt haben, können noch so viel miteinander gemein gehabt haben, auf das Glücklichwerden hat das nicht den geringsten Einfluss. Der eine oder andere von ihnen wird sich immer genügend verändern, um beiden ihr Teil Kummer und Ärger zu sichern; und da ziehe ich es doch vor, von vornherein möglichst wenig über die schlechten Eigenschaften des Mannes zu erfahren, mit dem ich mein ganzes Leben verbringen muss.«
»Das ist ein guter Scherz, Charlotte; aber ernst kann ich das nicht nehmen. Du kannst das doch selber nicht, und du weißt, dass du nie nach solchen Grundsätzen handeln würdest.«
Elisabeth war so eifrig damit beschäftigt, Mr. Bingley’s Aufmerksamkeiten gegen Jane zu beobachten, dass ihr das Interesse vollkommen entging, das sein Freund für sie zu empfinden begann. Anfangs wollte Darcy sie nicht einmal als hübsch gelten lassen; auf dem Ball hatte er sie voll Gleichgültigkeit angeschaut; und als sie sich danach wieder trafen, hatten seine Augen sie höchstens kritisch gestreift. Aber kaum war er sich darüber im Klaren – und hatte er es seinen Freunden klargemacht –, dass sie ein fast völlig uninteressantes Gesicht besaß, als er entdeckte, dass dieses Gesicht ungewöhnlich intelligente Züge trug, die von dem wunderbaren Ausdruck der dunklen Augen noch unterstrichen wurden. Dieser Entdeckung folgten andere, ähnlich verdrießliche. Obgleich sein kritisches Auge mehr als ein Merkmal vermisst zu haben glaubte, das für eine vollkommene Körperharmonie unerlässlich war, musste er sich jetzt eingestehen, dass ihre Figur schlank und ansprechend war; und wo er früher ihr ungewandtes Auftreten betont hatte, wurde er jetzt durch die natürliche Heiterkeit ihres Wesens angezogen. Aber hiervon wusste sie nichts; für sie war er ein Mann, der sich überall unbeliebt machte und der sie nicht für hübsch genug erachtet hatte, um mit ihr zu tanzen.
Er verspürte den Wunsch, sie näher kennenzulernen, und gleichsam als Vorstufe zu einer eigenen Unterhaltung mit ihr, fing er an, ihren Gesprächen mit anderen zuzuhören. Erst dadurch wurde ihre Aufmerksamkeit wach.
Das war auf einer großen Gesellschaft bei Sir William Lucas. »Was denkt sich denn dieser Mr. Darcy«, fragte Elisabeth ihre Freundin, »dass er sich herstellt und meiner Unterhaltung mit Oberst Forster zuhört?«
»Auf diese Frage wird dir wohl nur Mr. Darcy selbst antworten können.«
»Wenn er es wieder tun sollte, dann werde ich ihm zeigen, dass ich weiß, wofür ich ihn zu halten habe. Er hat einen schrecklich zynischen Ausdruck in den Augen, und wenn ich ihm nicht selbst zuerst meine Meinung sage, bekomme ich noch Angst vor ihm.«
Als er sich ihnen bald darauf näherte, ohne anscheinend jedoch etwas sagen zu wollen, forderte Charlotte ihre Freundin heraus, ihr Wort zu halten, und es bedurfte nur dieser Ermunterung, dass Elisabeth sich an ihn wandte und sagte:
»Fanden Sie nicht auch, Mr. Darcy, dass ich mich soeben recht geschickt ausgedrückt habe, als ich Colonel Forster damit neckte, er müsse doch einen Ball bei sich veranstalten?«
»Nun, mindestens sehr deutlich – aber bei dem Thema werden Damen ja immer sehr deutlich.«
»Sie sind sehr boshaft gegen uns.«
»Jetzt bist du an der Reihe, geneckt zu werden«, unterbrach ihre Freundin. »Ich werde das Klavier aufmachen, und du weißt, was du dann zu tun hast.«
»Für eine Freundin bist du ein komisches Geschöpf – immer willst du, dass ich vor allen Leuten und bei jeder Gelegenheit singe und spiele! Wenn meine Eitelkeit musikalisch wäre, könnte ich ohne dich nicht auskommen; aber da sie es nun einmal nicht ist, würde ich mich wirklich viel lieber nicht vor eine Gesellschaft hinstellen, die nur den besten Künstlern zu lauschen gewohnt ist.« Da aber Charlotte darauf bestand, fügte sie hinzu: »Nun gut, wenn es sein muss, dann muss es wohl sein.« Und indem sie Darcy ernsthaft ansah: »Es gibt ein schönes altes Sprichwort, das Sie sicherlich gut kennen: Spar deinen Atem, um deine Suppe zu kühlen – ich muss meinen jetzt leider auf Gesang verschwenden.«
Ihre Kunst war annehmbar, aber keineswegs überragend. Nach ein, zwei Liedern und bevor sie den Bitten ihrer Zuhörer um eine Zugabe nachkommen konnte, löste ihre Schwester Mary sie etwas voreilig am Klavier ab.
Mary, die einzige von den Schwestern, die nicht gut aussah, hatte sich als Gegengewicht hierfür ein gewisses Können und Wissen sauer erarbeitet und war nun stets eifrig darauf bedacht, ihre Errungenschaften zur Schau zu stellen. Leider besaß sie weder Talent noch Geschmack; und obgleich Eitelkeit und Ehrgeiz ihr zu einer nicht geringen Fertigkeit verholfen hatten, sprachen diese beiden Eigenschaften so stark aus ihrer schulmeisterlichen Miene und ihrem eingebildeten Gebaren, dass selbst ein weit höherer Grad von Können, als sie ihn erreicht hatte, ihre Fehler nicht aufgewogen hätte. Dem anspruchslosen, ungekünstelten Spiel Elisabeths hatte man mit viel mehr Vergnügen zugehört als dem sehr viel besseren Marys. Sie konnte zufrieden sein, dass sie nach einem langen, schwierigen Klavierkonzert doch noch Lob und Dankbarkeit mit einigen schottischen und irischen Weisen ernten durfte, die ihre jüngeren Schwestern und ein paar tanzlustige Offiziere von ihr erbaten und dann auch eifrig am einen Ende des Saales ausnutzten.
Mr. Darcy hatte sich in der Nähe der Tanzenden aufgestellt und schaute ihnen voller Geringschätzung zu. Wie töricht, dachte er, den Abend in einer Weise zu verbringen, die von vornherein jede Möglichkeit einer vernünftigen Unterhaltung ausschließt. Er war so sehr in seine ärgerliche Betrachtung vertieft, dass er es nicht bemerkte, wie Sir William Lucas zu ihm getreten war, bis dieser ihn ansprach.
»Eine entzückende und harmlose Beschäftigung für junge Leute, finden Sie nicht auch, Mr. Darcy? Es geht doch nichts übers Tanzen; ich betrachte es immer als eine der vornehmsten Errungenschaften eines wirklich kultivierten Volkes.«
»Gewiss, Sir William – und außerdem hat es noch den Vorzug, auch bei weniger kultivierten Völkerschaften äußerst beliebt zu sein. Jeder Wilde kann tanzen.«
Sir William lächelte nur hierzu. »Ihr Freund ist ein ganz hervorragender Tänzer«, fuhr er nach einer Weile fort, als er sah, dass Bingley sich unter die Tanzenden begeben hatte, »und ich irre mich wohl nicht, wenn ich in Ihnen ebenfalls einen Meister dieser Kunst vermute, Mr. Darcy?«
»Sie haben mich ja in Meryton tanzen sehen, Sir William.« »Das habe ich, und der Anblick hat mir nicht geringes Vergnügen bereitet. Tanzen Sie häufig bei Hofe?«
»Nie.«
»Wäre das nicht eine passende Ehrung für den hohen Ort?« »Es ist eine Ehrung, die ich keinem Ort erweise, wenn ich es irgend vermeiden kann.«
»Ich nehme an, Sie besitzen ein Haus in London?«
Darcy nickte bejahend.
»Ich trug mich seinerzeit selbst mit dem Gedanken, meinen Wohnsitz in London aufzuschlagen, denn ich schätze den Umgang mit der guten Gesellschaft sehr. Aber ich konnte dann doch nicht meine Zweifel unterdrücken, ob die Londoner Luft auch meiner Frau bekommen würde.«
Er sah seinen Gast erwartungsvoll an; aber Darcy schien nicht die Absicht zu haben, das Gespräch fortzusetzen. Während Sir William noch über eine neue Anknüpfung nachgrübelte, entdeckte er Elisabeth nicht weit von ihnen entfernt, und er zögerte nicht einen Augenblick, sich als überlegenen Weltmann zu zeigen.
»Meine liebe Elisabeth«, rief er hinüber, »warum sehe ich Sie nicht unter den Tanzenden? Mr. Darcy, Sie müssen mir erlauben, Sie mit einer ganz reizenden Dame bekanntzumachen. Selbst Sie werden sich mit so viel Schönheit vor Augen nicht mehr sträuben können zu tanzen.«
Und damit ergriff er Elisabeths Hand, um sie Darcy zuzuführen, der zwar etwas erstaunt über den plötzlichen Überfall war, aber durchaus nicht abgeneigt schien. Elisabeth jedoch machte sich heftig frei und sagte in einigem Unwillen zu Sir William: »Ich bitte Sie, ich habe nicht die geringste Lust zu tanzen. Sie meinten doch hoffentlich nicht, ich sei auf dem Wege, um einen Tänzer zu suchen?«
Mr. Darcy bat sie in aller Form und mit größter Höflichkeit, ihm einen Tanz zu gewähren, aber umsonst, Elisabeth ließ sich nicht bewegen; auch Sir Williams Versuche, sie doch noch zu überreden, blieben erfolglos.
»Sie werden doch nicht so grausam sein, Elisabeth, mich um den Genuss zu bringen, Sie tanzen zu sehen; und wenn Mr. Darcy auch im Allgemeinen dieses Vergnügen nicht sehr schätzt, er wird uns jetzt bestimmt nicht den Gefallen versagen können.«
»Mr. Darcy ist ein Vorbild der Höflichkeit«, sagte Elisabeth lächelnd.
»Das ist er wohl; aber wer wäre es nicht bei einer solchen Veranlassung?«
Elisabeth sah Darcy spöttisch an und wandte sich zum Gehen. Ihr Widerstand hatte ihn jedoch in keiner Weise zu kränken vermocht, und er ertappte sich dabei, dass der Gedanke an sie ihm eine gewisse Freude machte, als er sich plötzlich von Miss Bingley angeredet fand.
»Ich kann den Grund Ihrer Nachdenklichkeit erraten.«
»Das möchte ich bezweifeln.«
»Sie haben sich eben überlegt, wie unerträglich es sein müsste, noch viele Abende auf diese Weise zu verbringen – in solcher Gesellschaft! Ich muss gestehen, Sie haben recht. Ich habe mich noch nie so gelangweilt: diese Flachheit bei all dem Lärm, diese Hohlheit der Leute bei all ihrer Wichtigtuerei! Ich gäbe was drum, Ihre Meinung hören zu dürfen.«
»Ihre Annahme ist durchaus irrig, kann ich Ihnen versichern. Meine Gedanken waren sehr viel angenehmer beschäftigt. Ich dachte gerade darüber nach, wie viel Vergnügen einem ein paar dunkle Augen in einem schönen Frauenantlitz bereiten können.«
Miss Bingley sah ihn mit einem forschenden Blick an und wollte wissen, welche Dame sich rühmen dürfe, solche Gedanken erweckt zu haben.
Darcy erwiderte geradeheraus:
»Miss Elisabeth Bennet.«
»Elisabeth Bennet?« wiederholte Miss Bingley. »Ich staune. Seit wann datiert diese Vorliebe? Darf ich vielleicht schon bald Glück wünschen?«
»Die Frage hatte ich erwartet. Die Fantasie einer Frau kennt keine Hindernisse: aus Bewunderung macht sie Liebe und aus Liebe gleich Ehe. Ich wusste, dass Sie mich beglückwünschen wollten!«
»Aha, Sie verstehen schon keinen Spaß mehr; dann ist es ja so gut wie abgemacht. Sie werden eine entzückende Schwiegermutter mit in die Ehe bekommen, und ich bin überzeugt, Sie werden sich nicht darüber zu beklagen brauchen, dass Sie sie zu selten sehen.«
Er hörte ihr in völliger Gleichgültigkeit zu, während sie sich noch des längeren und höchst geistreich über dieses Thema verbreitete; und da sein Verhalten ihr die Versicherung gab, dass alles in Ordnung war, ließ sie ihren Geist immer witziger sprühen.