Kitabı oku: «Stills Faszienkonzepte», sayfa 10
Zusammenfassung
Man kann davon ausgehen, dass es für einen heutigen Osteopathen oder Historiker, der aus A. T. Stills Philosophie sowohl die Person als auch die Osteopathie betreffende Schlussfolgerungen ziehen möchte, von Vorteil wäre, wenn er Zugang zu Stills sämtlichen Aufzeichnungen hätte. Wie hier gezeigt, war bis vor zehn oder 15 Jahren an die meisten von Stills frühen Zeitschriftenartikeln und an eines seiner Bücher aus verschiedenen Gründen so gut wie nicht heranzukommen. Still veröffentlichte vier Bücher, wovon das dritte, Philosophy and Mechanical Principles of Osteopathy, vor der 1986 erfolgten Neuauflage nur in wenigen Exemplaren verbreitet war. Es enthält ein merkwürdiges Kapitel mit der Überschrift Biogen und sehr entwickelte Gedanken über Faszien sowie – noch wichtiger – über Membranen.
Es gibt mindestens drei, seit 10 Jahren verschollene Notizbücher/Tagebücher, die vermutlich Beweise für Stills Verbindung zum Spiritismus enthalten, deren Öffentlichmachen nach der mehrheitlichen Meinung von Stills Hinterbliebenen reputationsschädigend gewesen wäre. Diese mögliche Verbindung könnte aber wichtiger Schlüssel zum Verständnis seiner Faszienkonzepte sein, zumal er die Faszien als Wohnstätte von Seele und Geist bezeichnete.
Stills Rede- und Schreibstil
„Der Stil mag rau und ungehobelt erscheinen. Wenn es sich so verhält, möchte ich als Entschuldigung nur das anführen: Es ist nach meiner Art und Gewohnheit zu reden gesprochen … [und] ohne Rücksicht auf die Regeln des guten Schreibens.“ 406
Redestil
Obgleich es keine bekannten Aufnahmen von Stills Stimme und keine lebenden Osteopathen oder Familienglieder mehr gibt, die sich an sie erinnern könnten, ist es wichtig, Stills Redestil Beachtung zu schenken, denn der Still-Biograf Booth (1905) sowie Freunde und Studenten von Still sind lebendige Aufzeichnungen von vielem, was er gesagt hat. So meinte etwa W. J. Conner D.O.: „Er redete jeden Tag zu uns. Doch viel davon rauschte gewöhnlich so hoch über meinen Kopf hinweg, dass ich nur den Klang hörte.“407 Conner, der Still seit 1874 kannte, veröffentlichte The Mechanics of Labor Taught by Andrew Taylor Still408, eine Publikation, die noch vor einigen Jahren (2002) als Unterrichtsmaterial in einem Kurs am Canadian College of Osteopathy diente (Canadian College of Osteopathy, 2002). Sowohl in der Autobiography als auch in JO-Artikeln finden sich Drucke und Neudrucke Still’scher Reden oder Ansprachen. Ein Zeitgenosse bemerkte über Stills rednerisches Auftreten: „Seine Darlegungen strotzen von scharfsinnigen, prägnanten und schlagenden Argumenten. Er hielt seine Zuhörer in Bann.“409
Andrew Taylor Still war schwer zu verstehen. In der ersten Still-Biografie schrieb E. R. Booth, über Stills Redestill:
„Die Überfülle solcher Gedanken in seinem Verstand … verleiht seinen Vorträgen, aber auch seiner Konversation oft ein mystisches Flair, etwas Übernatürliches. Seine Ideen entwickeln sich schneller, als er sie ausdrücken konnte. Seine tiefsten Gedanken bilden sich in seinem Verstand häufig mit derartiger Geschwindigkeit und werden in so schneller Folge artikuliert, dass der Hörer beim Versuch ihnen zu folgen ganz benommen wird und sich vielleicht fragt, ob diesen Äußerungen wirklich ein zusammenhängendes Prinzip zugrunde liegt.“ 410
Im ersten Moment erinnert Stills Sprach-Stil an Harry Ward Beecher (1813–1887), einen amerikanischer Theologen, der im ganzen Land für seine Predigten, seine gefühlsbetonte Redeweise und seine unorthodoxe Theologie berühmt war. Still kannte Beecher und andere Theologen, missbilligte aber deren hohe Einkünfte.411 Das Predigen des Evangeliums erlebte Still wohl erstmals in den 1830er-Jahren in den methodistischen Zeltlagern seines Vaters. Wanderprediger im Grenzland benutzten die damals dort übliche Umgangssprache, um Resonanz beim Publikum zu finden.412 Sie bewegten sich auf der geistigen Ebene ihrer Zuhörer und sprachen in Metaphern und Gleichnissen, „um ihr wirres Haar zu durchdringen und in ihren Intellekten haften zu bleiben“.413
Da viele von Stills Reden als Kapitel in seinen Büchern und als Aufsätze in Zeitschriften, insbesondere im JO, gedruckt worden sind, sollte man sich stets daran erinnern, dass sie selbst für diejenigen, die Still gut kannten, schwer zu verstehen waren.
Schreibstil
„Er [Still] bemühte sich nicht unbedingt darum, uns die Details der Wissenschaft zu erläutern – die mit der Zeit ohnhin von selbst dazukamen –, sondern er wollte uns zum Ursprung, zu den Quellen führen, sodass wir diesen Gesichtspunkt schätzen, diese Art der Osteopathie verstehen lernten.“414
Eine wichtige, bei der Lektüre von Stills Schriften gewonnene Beobachtung ist, dass vor allem beim Deuten seiner Gedanken Vorsicht geboten ist aufgrund der vielen, im gesamten Werk auftauchenden, oft geheimnisvollen allegorischen Darstellungen, die sogar seinen erster Biografen verblüfften.415 Jetzt, ein Jahrhundert später, ist das Ganze eher noch schwieriger geworden, denn Äußerungen wie „Unbewegt und leer wie ein Fischteich im Mondlicht gehe ich davon“416 scheinen dem heutigen Leser zunächst wenig Sinn zu machen.
Tucker erinnerte seine Leser daran, dass sich:
„eine Lektüre dieser Bücher vor dem Hintergrund heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse mühsam gestaltet. Sehen wir der Tatsache ins Auge … Seine Sprache ist ganz einzigartig, ein bisschen altmodisch, mit Anspielungen auf die Heiligen Schriften, gelegentlich ein wenig umständlich. Oft fällt es einem schwer, über den Stil nicht so belustigt zu sein, dass man die Intensität dieses Nachforschens, seinen aus Sehnsucht geborenen Mut übersieht. Doch wenn wir uns öffnen und unsere Gefühle antworten lassen, dann werden wir absoluten Mut entdecken (der in einem dummen Menschen leicht aufsteigen mag, sich mit zunehmender Intelligenz aber immer schwieriger gewinnen lässt). Ebenso begegnen wir absoluter Ehrlichkeit, die gewiss beabsichtigt ist. Und wir bemerken, wie tief er selbst in das Problem eingedrungen ist. 417
„Er [Still] war ein komplexer Mensch und seine Schriften, in der Sprache seiner Zeit geschrieben und voller Allegorien, sind oft schwer zu verstehen. Bedauerlicherweise haben die Historiker später diese Allegorien oft wörtlich genommen und so ihren Sinn verfehlt.“418
Was das Ganze noch schwieriger macht, ist, dass Still nur wenige Quellen zitiert und sich stattdessen auf „Gott und die Erfahrung“419 sowie auf die „Gebote der Natur“420 beruft.
Er hatte einen ganz eigenen Schreibstil. Seine schriftlichen Texte sind wie seine Reden von Metaphern und Allegorien durchzogen. Für einen Forscher ist es daher von größter Bedeutung, diese allegorischen Äußerungen zu sieben, um das eigentliche Gold zu entdecken und sich nicht durch alles, was da so glitzert, täuschen zu lassen.
Stills Enkel, Charlie Still, betonte, Andrews Schreibstil und seine ziemlich durchgehende Verwendung allegorischer Bezugnahmen hätten es vielen Lesern schwer gemacht, den genauen Sinn der Texte zu erschließen.421 Still verunklarte seine Sätze, indem er z. B. eine darin verwendete Allegorie erneut allegorisch erläuterte. Ein Beispiel: „Diese allegorische Bild wurde verwendet, damit sich dein Verstand an festliche Bewirtung gewöhnt und etwas über die Formen der Lebensorgane im menschlichen Körper lernt.“422 „Still lehrte manchmal in Parabeln, deren Sinn manche Menschen zwar niemals begriffen, die sich den Denkern, die sie hörten und miterlebten, aber unauslöschlich einprägten.“423 Dr. Charles Hazzard sagte: „Zunächst verwirrte mich der allegorische Stil des Alten Doktors. Ich wusste nicht recht, worüber er bei seinen Vorträgen sprach. Doch allmählich lernte ich, ihm zu folgen.“424 Dr. Nora Pherigo-Baird berichtete, nur 25 % der Klasse hätten Still verstehen können:
„Eine Zeit lang konnte ich ihn nicht begreifen. Das schien mir daher zu kommen, dass er ein so überlegenes Wesen mit so vielen Eigenschaften war, zugleich aber schlicht und ungekünstelt. Man musste ihn schon genau kennen, um ihn zu verstehen.“ 425
Tucker beschrieb Stills als jemand, der seine Gedanken nicht einfach in Worte umsetzt: „Das war nicht sein Metier. Seine Worte kreisten wie eine Felge um die Nabe, als bewegten sie sich um ein geheimes Zentrum, eine geheime Quelle.“426
Dr. Clarence V. Kerr erklärte, warum Still sich dieses unnachahmlichen, von Metaphern, Allegorien, Analogien und Parabeln durchzogenen Sprachstils bediente. Still, so berichtete er, habe ihm gesagt, dass er bei der Darstellung seiner Themen deshalb zu ungewöhnlichen Vergleichen greife, weil das die Hörer stärker fessele und ihre Aufmerksamkeit so erhöhe, dass sie das Wesentliche besser aufnehmen könnten, als wenn er sich in langweiligen Aufzählungen trockener Fakten erginge.427
Aus einer anderen Perspektive hat Robert Davis, Professor für Philosophie und Religionswissenschaft am Pikeville College of Osteopathic Medicine, Stills Sprache in drei Aspekte untergliedert: den Newtonschen Aspekt, den Aspekt der industriellen Revolution und den evangelikalen Aspekt. Zusammengefasst, so David, respräsentieren diese Aspekte oder Stilformen Stills Sprachstil und vermitteln worum es Still ging und warum er so sprach:
„Sein Newton’scher Stil basierte auf dem alten quantifizierten Universum Newtons, dem Universum quantifizierter Gesetze, an das Still zu glauben schien. Im Newton’schen System läuft alles wie ein Uhrwerk, sowohl das gesamte Universum als auch alles Einzelne. Der zweite Aspekt seines Stils ist geprägt von der industriellen Revolution, die damals von Chicago ausgehend jenen Teil des Landes erfasste. Sie werden sehen, wie viele Metaphern aus der Mechanik er verwendet. Der dritte Aspekt entspringt seinem methodistischen Hintergrund …. Und wie tief sein Glaube auch gewesen sein mag, er war durch und durch evangelikal.“ 428
Die Autorin möchte Davis’ Analyse hinzufügen, dass Still sich auch der Sprache der Freimaurer bediente, wenn er z. B. sagte: „Sieh zu, dass die Oberfläche waagerecht ist, die Seiten im rechten Winkel stehen und benutze dein Lot entsprechend.“429 Relevanter für die vorliegende Studie sind jedoch seine in Bezug auf Faszien verwendeten militärischen Analogien wie im berühmten Kapitel X:
„Dies ist die Festung, die der Feind des Lebens durch Krankheit und Winde im Kampf erobert, und wo er seine schwarze Flagge hisst: „Besetzt!“ 430
Still benutzte Websters Wörterbuch431 und verfocht Websters Forderung nach einer amerikanischen Sprache. „Die Pionierfamilien im Grenzland brachten damit ihren Kindern das Lesen bei, in den Schulen war es ein grundlegendes Lehrbuch.“432 Der Webster-Biograf K. Alan Synder, beschrieb in Defining Noah Webster, A Spiritual Biography wie Webster einen erstaunlichen Einfluss auf Denkweise und Moral im frühen Amerika gewann.433 „Webster glaubte glühend an die sich entwickelnde kulturelle Autonomie der Vereinigten Staaten. Dazu gehörte ihm zufolge vor allem eine klar unterschiedene amerikanische Sprache mit eigener Ausdrucksweise und Aussprache.“434 Websters Impetus wird von Still reflektiert, wenn er beispielsweise sagt: „Ich werde ein schlichtes Englisch sprechen“435 oder „Lasst Euer Griechisch und Latein weg! Sprecht die Sprache der Vereinigten Staaten!“436 Wie schwierig es oft ist, Stills Texte zu verstehen, zeigt z. B. seine folgende Äußerung: „Ich sezierte und beobachtete die Arbeit der weltbesten Anatomen.“437 Sie könnte den Leser glauben machen, Still habe die Möglichkeit besessen, den besten Anatomen der Welt bei der Arbeit zuzuschauen. Doch diese Schlussfolgerung ist höchst zweifelhaft, da Still selbst darauf hinwies, dass er fast sein ganzes Leben im mittleren Westen der Vereinigten Staaten verbracht hat.438 Abgesehen von seinem Freund William Smith, früher Professor an der ASO, befanden sich die besten Anatomen seiner Zeit aber in Paris und London. Und die besten amerikanischen Anatomen lehrten an den größeren medizinischen Colleges in New York, Boston, Philadelphia und Cincinnati.
Die außerordentliche Professorin für Anglistik und Amerikanistik Michelle Gadpaille wurde gebeten, Stills Äußerung unter Berücksichtigung der eben angeführten Tatsachen zu analysieren. Sie war der Meinung, dass es sich um eine Übertreibung handle oder auch einfach nur um eine merkwürdige Redewendung, in der „ein und derselbe Vorgang von zwei Verben modifiziert wird, wodurch er einmal einen metaphorischen und einmal einen wörtlichen Sinn bekommt. In diesem Fall könnte man sagen, Still sah (‚beobachtete‘) im Bürgerkrieg das, was er für Weltklasse-Anatomie hielt, und ‚sezierte‘ (im ironisch-metaphorischen Sinn) später die Arbeit wirklicher Weltklasse-Anatomen aus London und Paris, indem er in Büchern oder Schriften eingehend darüber las.“439
Wenn man tatsächlich alle Schriften von Still gelesen hat, erübrigt sich allerdings eine Analyse seiner Äußerungen. Denn dann kennt man auch die für diesen Fall relevante Textstelle in der ersten (nicht in der zweiten) Auflage der Autobiography, wo Still mit höchster Anerkennung über William Smith spricht: „Er [Dr. Smith] hat mich davon überzeugt, dass er der beste lebende Anatom auf der Erde ist. Sein Kopf und Skalpell beweisen, dass er genauso gut ist wie die besten Anatomen an den medizinischen Colleges in Europa und Amerika … Dr. Smith ist heute der weiseste lebende Anatom auf dem Globus.“440 Auch die folgende Äußerung, die dem heutigen Leser wie ein Befürworten von Abtreibung erscheinen mag, veranschaulicht die Fallen, in die man leicht tappt, wenn man nicht mit allen Aspekten des Stillschen Werkes vertraut ist:
„Um den Tod jedes Kindes herbeizuführen, musst Du die Gebärmutter ausleeren, bevor die Bewegung das Kind zur Reife bringt [sic]. Andernfalls wird es ein tödlicher Feind des Lebens und der Bewegung sein. Darüber wisst Ihr Diplomaten [sic] der Osteopathie sehr gut Bescheid, wie man der Natur den Aufstieg [sic] verschafft.“ 441
Wenn man Texte aus der ATS Collection gelesen hat, kennt man aber eine andere Äußerung, die eindeutig belegt, dass Still gegen Abtreibung war. Er schrieb: „Abtreibung ist ein System um die reife Geburten von Kindern zu verhindern und ist gleichbedeutend mit Mord.“442 Der kürzlich verstorbene Herbert Yates, Kirksville College of Osteopathic Medicine, der von sich sagt, „Ich habe jedes von Still geschriebene Wort gelesen, das ich finden konnte“443, wurde um eine Stellungnahme zu der besagten Äußerung gebeten:
„Mir scheint das eine klassische viktorianische Allegorie zu sein, in der die Gebärmutter als Anfang oder Startpunkt verwendet wird … „Abtreibung“ ist hier in dem Sinn zu verstehen, dass Behandlungen Migränen oder andere Krankheiten abtreiben, dass also eine frühe Intervention die volle Entwicklung einer Krankheit und deren Symptome verhindert.“ 444
Zusammenfassung
„Durch das Gesetz des Wissens und der Intuition gelangen alle Menschen zum Erfolg. Daher sollten wir nicht einfach damit zufrieden sein, dass wir Recht haben, sondern dies auch genau empfinden und mit Energie an der Anpassung arbeiten. Dann werden unsere Erfolge mit der Zeit wachsen.“ 445
In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass eine kritische Durchsicht der gesamten von Still verfügbaren Schriften erweiterte Einsichten in seine Philosophie und in beeinflussende Faktoren erbringt. Dieses Vertrautsein mit seinen Texten erleichtert das Interpretieren seiner manchmal sehr eigenen Wortwahl und Ausdrucksweise.
Stills Rede- und Schreibstil ist unverwechselbar seiner. Er umfasst eine vielfältige Sammlung geläufiger Gedanken und ausgefallener Ideen. Um sein Publikum zu erreichen, verwendete Still auch schon für die damalige Zeit archaisch anmutende Metaphern und Allegorien.
Die Aufgabe der Forschung besteht darin, den allegorisch ausgedrückten Sinn aus Stills Texten herauszufinden. Diese Fertigkeit erlangt man durch sorgfältiges Untersuchen seiner Schiften, durch Einholen der Meinungen derer, die ihn kannten, sowie durch ein Vertrautsein mit den Geistesströmungen der damaligen Zeit. Das Problem einer exakten Deutung von Stills Äußerungen wird im nächsten Kapitel, wo es um das Thema Faszien und Membranen geht, erneut auftauchen.
Bestimmende Einflüsse
„Um Dr. Stills Verstand würdigen zu können, ist es notwendig, einige Faktoren zu analysieren, die seine Sichtweise bestimmen.“ 446
Stills Werke in dem Kontext zu betrachten, in dem sie verfasst wurden, wird dazu beitragen, den Mann, seine Entdeckung, also die Osteopathie, aber vor allem seine Faszienkonzepte besser zu verstehen. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit den bedeutenden Geistesströmungen des 19. Jahrhunderts, die Stills Leben beeinflusst und ihre Spuren in seinen Texten hinterlassen haben. Norman Gevitz und Carol Trowbridge haben ausführlich über die intellektuellen Einflüsse auf Still geschrieben. Ihre Arbeiten wurden zunächst genau studiert und dienten dann als Ausgangsbasis, um die für die Entdeckung der Osteopathie und für Stills Faszienkonzepte relevanten Themen zu identifizieren und zu klären. Zu diesen Themen gehören Stills Philosophie, seine Annäherung an die Medizin, seine Religion und vor allem die Ideen und Überzeugungen, die er aus dem Spiritismus bezog.
Der Abschnitt beginnt mit einer Durchforsten von Stills Bibliothek nach Inhalten, die ihn als Leser beeinflusst haben. Dann werden die Einflüsse der Jacksonschen Demokratie und des aufklärerischen Denkens beschrieben, die in den intellektuellen Kreisen von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika vorherrschten. Stills philosophische, medizinische, biologische, religiöse Perspektiven und seine Sicht der Natur des Menschen werden zunächst skizzenhaft dargestellt, um eine Basis für das Verständnis seiner Schriften und seines Stils sowie einen Leitfaden zum Analysieren seiner Faszienkonzepte zu gewinnen.
Lektüre
„Viele Jahre lang habe ich gewissenhaft die Werke antiker und moderner medizinischer Autoren gelesen.“ 447
Anders als beispielsweise Charles Darwin (1809–1892), der über die Literatur, die er gelesen hatte, Buch führte,448 ließ Andrew Taylor Still über seine Lektüre nichts verlauten außer der Mitteilung, er habe im Bereich der Medizin viel gelesen. In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie A. T. Still in der kulturellen Einöde des Grenzlandes Mitte des 19. Jahrhunderts Bücher bekommen und lesen konnte. Dazu werden Details seiner persönlichen und medizinischen Bibliothek erörtert. Man geht davon aus, dass Still trotz seines Lebensortes im Grenzland des Mittleren Westens Zugang zu einer Fülle von Zeitungen, periodisch erscheinenden Zeitschriften, literarischen und medizinischen Büchern hatte, wobei es auch Bücher zu Stills persönlichen Interessen, nicht zuletzt periodische Zeitschriften zum Spiritismus gab.
Zugang
Still war offenbar ein unersättlicher Leser. Sogar in seinen frühen Lebensjahren besaß die Familie sowohl literarische Werke (wie etwa Miltons Paradise lost) als auch medizinische Werke, die von den Stills reichlich studiert wurden.449 Im Alter von 16 Jahren las Andrew Taylor bereits Anatomiebücher.450 Und als er erwachsen war, fand McConnell zufolge „der Buchhändler stets einen geneigten Käufer in ihm“.451 „Wissenschaftliche Bücher interessierten ihn, falls sie nicht mit zu viel Theorie aufgepolstert waren.“452 Als Still 85 Jahre alt war und seine Augen nachzulassen begannen, las ihm jemand mindestens zwei Stunden am Tag vor.453
A. T. Still sagte, er könne dank „wissenschaftlicher Elektrizität“ der neuesten medizinischen und geisteswissenschaftlichen Literatur Rechnung tragen.454 Schon im 18. Jahrhundert konnten sich Amerikaner laufend über die medizinische Szene in Europa informieren. Die Lokalzeitungen brachten medizinische Nachrichten und das Gentleman’s Magazine druckte medizinische Artikel ab. Aus Europa importierte Fachbücher kamen innerhalb eines Jahres nach der Veröffentlichung in die USA. Auch europäische Zeitschriften gab es zu kaufen.455 Um 1800 waren in Amerika 51 medizinische Bücher einheimischer Autoren, 49 Neudrucke und Übersetzungen sowie sieben Abhandlungen akademischer Gesellschaften456 im Umlauf.
Um 1855 gab es in Kansas sechs Zeitungen. 1874 waren es schon148, die auch Landkreise wie Douglas457 erreichten, wo Still lebte. Und da Nachrichten aus Kansas bis nach England gelangten458, werden sie auch den umgekehrten Weg gefunden haben.
Im nahe gelegenen Lawrence, Kansas, das den Spitznamen „Die Bildungs-Stadt“ trug, gab es Leute, die aus den hoch gebildeten und kultivierten Kreisen Neu Englands und New Yorks stammten. Zur Verfolgung ihrer sozialen und literarischen Interessen organisierten sie Gesellschaften, deren Ziel die Förderung von Wissenschaft, Kunst und Literatur war.
Dass Bücher für Interessierte schon Ende des 18. Jahrhunderts immer zu haben waren, selbst in Gegenden fernab der Zivilisation, bestätigte auch Lois Vines, Professor für moderne Sprachen an der Universität Ohio.459 So erreichte damals beispielsweise das Werk von Edgar Allan Poe (1809–1849) sogar Kroatien und Estland.460
Man gründete literarische Zirkel, um Lektüre miteinander zu teilen.461 In den Bibliotheken konnte man Bücher ausleihen. Kirksville war offenbar „gut versorgt“ mit literarischen Gesellschaften, die seit den frühen 1870ern existierten.462 Am Ende des Jahrhunderts stellte Still fest: „Wenn Europa glaubt, es hätte ein neues Heilmittel gegen Krankheiten entdeckt …, dann weiß dies ganz Nordamerika so schnell, wie die Nachricht mittels wissenschaftlicher Elektrizität zu uns gelangt.“463 Die 1865 eröffnete Lawrence Circulating Library of Kansas erweiterte ihren Anfangsbestand von sechzig Bänden innerhalb eines Jahres auf 1000 und hatte auch die damals größten Zeitschriften auf Lager.464 Da es in dieser Bibliothek, die heute Lawrence Public Library heißt, keine Aufzeichnungen mehr über den vor 1905 geführten Buchbestand gibt, war es nicht möglich, festzustellen, welche Bücher zu Stills Zeiten zirkulierten oder welche er ausgeliehen hatte.465 Die Verfügbarkeit von Büchern und Zeitschriften zum Thema Spiritismus ist für die Untersuchung von Einflüssen auf Still besonders relevant. 1857 gab es in den USA zu diesem Themenbereich mindestens 57 Bücher sowie vier Monats-Zeitschriften und 12 wöchentlich erscheinende, von denen Banner of Light eine der führenden war.466