Kitabı oku: «Stills Faszienkonzepte», sayfa 7
Das Ende des Jahrhunderts
„Sie kamen zu ihm mit Wagen und Zügen. Auf dem Rasen wartete oft eine große Masse, um ihn zu sehen.“ 176
Aus der Überzeugung heraus, dass er diese Wissenschaft anderen beibringen oder mit ihr Schluss machen müsse,177 unterrichtete Still bis in sein 70. Lebensjahr. Mitte der 1890er Jahre waren seine Söhne in verschiedene Orte des mittleren Westens weggezogen.178 Sein Sohn Fred starb im Juni 1894 durch einen Unfall, was Still schwer traf.179 1894 begann Still mit dem Veröffentlichen von Zeitschriftenartikeln, 1897 schrieb er Autobiography of A. T. Still180 und 1899 Philosophy of Osteopathy. Als Rückzugsort wählte er dabei eine einsame, 11 km südlich von Kirksville, in Millard’s Station, gelegene Farm,181 die dem mit ihm befreundeten Ehepaar Morris gehörte und erstmals 1896 als Besuchsort erwähnt wurde,182 obgleich Still auch schon davor dort gewesen sein könnte. 1898 verschlechterte sich Stills Gesundheit weiter.
Die Jahrhundertwende
Mit Beginn des Studienjahrs 1900/01 nahm Still an der ASO nur noch eine eingeschränkte Lehrfunktion wahr, blieb aber eine Art Aufseher und ein häufiger Besucher in den Klassenräumen, wo er „enthusiastisch begrüßt“ wurde.183 Manchmal saß er nur still dabei, bei anderen Gelegenheiten übernahm er die Vorlesung ganz.184 J. A. Quindal D.O. äußerte 1907, Still habe das Recht beansprucht, die Klassen nach seinem Gutdünken zu „besuchen“ und habe Berichten zufolge nie eine Klasse verlassen, ohne eine wertvolle Instruktion zu erteilen.185 1902 veröffentlichte er sein drittes Buch, The Philosophy and Mechanical Principles of Osteopathy, und 1910 sein letztes: Osteopathy, Research and Practice.
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts war Andrew Taylor Still in Kirksville eine äußerst populäre Figur. Als seine Fakultät aber facettenreicher wurde, begannen einige neue Mitglieder, ihn zu kritisieren und sich durch seine Kleidung, Lebensführung und seine persönlichen Interessen, insbesondere seinen Glauben an den Spiritismus, kompromittiert zu fühlen.186 Zu dieser Zeit verschlechterte sich auch der Gesundheitszustand von Stills Frau Mary Elvira. Sie, die ihn 50 Jahre hindurch begleitet hatte, fiel im April 1910 in ein Koma187 und starb einen Monat später, am 28. Mai 1910.188
Jahre des Zwielichts
Nach dem Tod von „Mutter Still“ kehrten Stills Söhne nach Kirksville zurück189 Im März 1914 half Still beim Eröffnen, des Still-Hildreth-Sanatoriums in Macon, einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen.190 Im Frühling 1914 erlitt er einen leichten Schlaganfall, der ihn kurze Zeit einschränkte. An seinem 85. Geburtstag wohnten ungefähr 15.000 Menschen, darunter 1.100 Osteopathen, der Parade und Feier zu seinen Ehren bei.191 Im Winter 1916/1917 verließ Still nur selten sein Bett. Im Mai 1917 konnte er in Kirksville noch der Enthüllung einer Statue zu seinen Ehren beiwohnen und seine Gesundheit schien sich über den Sommer hin etwas zu verbessern. Das kalte Wetter im Herbst verschlechterte sich jedoch seinen Zustand wieder. Anfang Dezember erlitt er einen schweren Schlaganfall und am 12. Dezember 1917 entschlief er friedlich.192
Freimaurerei
Still behauptete, seit 1861 Freimaurer gewesen zu sein: „Ich bin seit 40 Jahren Freimaurer.“193 Die Mitgliedschaft in dieser Vereinigung ermöglichte es ihm nach seinen Worten, ein guter Bürger zu sein. Als Freimaurer, so empfand er es, konnte er „allen Sekten und Individuen das Recht auf die Wahl einer eigenen religiösen, politischen oder wissenschaftlichen Organisation zugestehen“.194
Der britische Osteopath und Freimaurer Steve Sandler erklärt, das Wort Freimauer bezeichne freie und akzeptierte bzw. spekulative „Maurer“ im Unterschied zum Maurer als Handwerker im üblichen Sinn. Moderne bzw. spekulative Freimaurer arbeiten nicht mit Steinen. Sie benutzen den Vergleich mit dem tatsächlich mit Steinen, Mörtel und Werkzeug arbeitenden Maurer allegorisch, um auf moralische Themen Bezug zu nehmen. Der Maurer formt Steine, der Freimaurer formt mit den gleichen, im übertragenen Sinne genutzten Werkzeugen sich selbst.
Still gehörte im Rang eines Meisters der in Baldwin City befindlichen Palmyra-Loge Nr. 23 an. Als der Osteopath Dale J. Raynesford, ehemaliger Student am Kirksville College of Osteopathic Medicine, erfuhr, dass man Still sowohl aus der Kirche als auch aus der Loge ausgeschlossen habe, untersuchte er den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung und fand heraus, dass Stills Mitgliedschaft tatsächlich am 10. August 1875 ausgesetzt worden war, weil er seine Beiträge nicht bezahlt hatte. Sie wurde am 4. Juni 1879 wieder in Kraft gesetzt und am 20. Januar 1886 erneut ausgesetzt. Allerdings gibt es laut Raynesford keinen Hinweis auf ein Verfahren, „das für einen Ausschluss aus der Loge jedoch erforderlich gewesen wäre“.195 In Kirksville gab es ebenfalls eine Loge, Nr. 105, gegründet am 26. Mai 1864.196 Stills Schwiegersohn George Andrew bestätigte, dass Still in einer Phase aus der Loge ausgeschlossen worden sei, in der sogar die Geistlichen darum beteten, „er möge sterben“.197 Wie schon oben, im Abschnitt „Freunde“, erwähnt, waren auch mindestens zwei von Stills guten Freunden, Dr. F. A. Grove und Charlie Chinn, Freimaurer.
Bei Stills Begräbnis leitete Richter Higbee, ehemaliger Großmeister der Freimauer in Missouri, die Zeremonie.198 In der Lokalzeitung stand seinerzeit: „Die Aufsicht über die Zeremonie, die der Gedenkfeier im Haus folgte, hatte die Bruderschaft der Freimaurer. Edward Higbee, State Grand Master of the F. and A. M. [der Freimaurer in Missouri, Anm. d. Übers.], veranstaltete eine beeindruckende Feier.“199 Ob es nun derselbe Edward Higbee war oder nicht: Jedenfalls gehörte ein E. H. Higbee neben William Smith, Fred Still, Herman Still und Grant Hildreth zur ersten Klasse von Graduierten an der ASO.200
Befragt zu der Wahrscheinlichkeit einer freimaurerischen Zeremonie an Stills Grab sagte der britische Osteopath Steve Sandler: „Hätte man Still jemals aus der Loge ausgeschlossen, wären ihm solche Privilegien nie zuteilgeworden. Freimaurer besitzen im Allgemeinen ein langes Gedächtnis. Falls seine Mitgliedschaft wegen nicht bezahlter Beiträge geruht hat, konnte sie doch jederzeit wieder in Kraft gesetzt werden, sobald die Rückstände beglichen waren. Wie die Dinge stehen hätte er jemand schon über lange Zeit sehr verärgern müssen, um ausgeschlossen zu werden.“201 Von Interesse für die vorliegende Studie sind die in Stills Schriften verstreuten Hinweise auf das Verwenden freimaurerischer Terminologie: „Um fest zu stehen, musst du den Aufbau deines Fundament genau beobachten. Sieh zu, dass die Oberfläche waagerecht ist, die Seiten im rechten Winkel stehen und benutze dein Lot entsprechend.“202 „Vermesse den ganzen menschlichen Körper.“203 „Ein Osteopath muss genau die Ecken finden, die vom Göttlichen Vermesser gesetzt worden sind.“204 „Der Osteopath besitzt einen rechten Winkel, ein Lot und eine Wasserwaage.“205
Sandler erklärte Stills allegorischen Gebrauch der freimaurerischen Terminologie anhand des folgenden Beipiels: „Wenn Still sagte: ‚Handele wie jemand, der vom rechten Winkel, dem Lot und der Wasserwaage der Vernunft geleitet wird, in dem Wissen, warum diese Wirkungen hervorgebracht worden sind‘, dann verwendet er ein direkt aus dem Freimaurer-Ritual ersten Grades entnommenes, auf die Arbeitswerkzeuge des eingetragenen Freimaurer-Lehrlings bezogenes Beispiel, in dem es heißt: ‚Der arbeitende Maurer benutzt den Messstab, um sein Werk zu messen. Der spekulative Maurer teilt den Messstab in drei Teile: ein Teil soll auf das Gebet verwendet werden, ein Teil auf Arbeit und Erholung, ein Teil auf die Hilfe für einen Freund oder Bruder in Not. Wobei dies nicht nachteilig für uns oder unsere Familien sein darf ‘. Genau das ist es, was Still getan hat.“206
Zusammenfassung: Stills Leben
Andrew Taylor Stills Eltern mit ihrer strengen Moral und ihrem unbeugsamen Pioniergeist waren ihm in seiner frühen Lebensphase Vorbild. Er stützte sich auf diese Kraft, um die Mühsal seiner vielfältigen Aufgaben als Farmer und Arzt im Grenzland vor und nach dem Bürgerkrieg zu ertragen. Sein Selbstvertrauen, seine Unabhängigkeit und sein pionierhafter Stoizismus ließen ihn später auch den Spott und Tadel hinnehmen, den ihm seine unkonventionellen medizinischen Überzeugungen und Praktiken einbrachten, und den Schmerz erdulden, den ihm der Verlust so vieler Familienglieder und lieber Freunde im Lauf seines Lebens bereitete.
Durch alle schwierigen Lebensphasen begegnete er immer wieder geistig interessierten Menschen, die wie er ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen nach Erkenntnis strebten. In seiner zweiten Frau, die an der Ostküste aufgewachsen war und einen entsprechenden Bildungshintergrund besaß, fand Still eine gleichgesonnene Lebenspartnerin und Unterstützerin.
Viele seiner Erfahrungen, insbesondere aus der Militärzeit, aus der Beschäftigung mit Maschinen und aus der Freimaurerei, spiegeln sich in seinem allegorischen Schreibstil wider.
Still nannte den April 1855 als den Zeitpunkt, wo er „begann … Gründe für mein Vertrauen in die Gesetze des Lebens zu erschließen, die den Menschen, den Welten und den Lebewesen vom Gott der Natur gegeben worden sind.“207 Zwei Jahrzehnte danach gab er öffentlich seine Entdeckung einer ganz neuen, medikamentenlosen Behandlungsart kund, die er allerdings erst einige Jahre später Osteopathie nannte. Die letzten 43 Jahre seines Lebens verbrachte er in Kirksville, wo er eine Schule und ein Krankenhaus eröffnete, Osteopathie lehrte und seine Aufsätze und Bücher schrieb. Er starb 1917 im Alter von 89 Jahren.
Seine Person
„Wenn ihn nur jeder kennen würde! Wenn nur jeder sehen und begreifen könnte, was unter seiner schlichten äußeren, scheinbar so alltäglichen Art alles verborgen liegt! Wie viel höher wäre dann die Wertschätzung für ihn und wie viel umfassender und besser die Auffassung von Osteopathie!“208
In diesem Abschnitt wird versucht, die Leitfigur Still als Mensch und Person darzustellen, damit der Leser, wenn es in der vorliegenden Studie um die Still’schen Faszienkonzepte geht, ein lebendiges Bild vom Schöpfers dieser Konzepte vor Augen hat.
Charakteristisches
„ Auch die beste Charakteranalyse hinterlässt immer eine gewisse Kälte und Flachheit. Aus diesem Grund beziehe ich mich auf einige persönliche Charaktereigenschaften.209 „ Stills Charakter hat sich in seinem Gesicht und seiner physischen Erscheinung widergespiegelt.“210
Andrew Taylor Still, von anderen als „großer, majestätisch wirkender Mann“ mit „eindrucksvoller Präsenz“211 geschildert, beschrieb sich selbst als „5 Fuß und 11 Dreiviertelzoll groß212 mit dunklem Haar, dunkler Hautfarbe und dunkelgrauen Augen.“213 Häufig verglich man ihn aufgrund seiner Erscheinung und seines Charakters mit Abraham Lincoln,214 denn er war „ein großer, knochiger Mann, der ungefähr 60 zu sein schien, dessen Haar aber noch so schwarz war wie das eines 50-Jährigen und dessen scharfe und forschende Augen die eines 40-Jährigen hätten sein können.“215 Über Stills Ähnlichkeit mit Lincoln schrieb Edwin C. Pickler:
„Unter den großen Männern unseres Landes ragen als Befreier und Wohltäter der menschlichen Rasse zwei deutlich heraus. Mir scheinen diese beiden in ihren physischen, mentalen und moralischen Charakterzügen sehr ähnlich zu sein. Alle, die sie und ihr Werk kennen, lieben und respektieren sie. Der eine ist Abraham Lincoln, der andere Andrew Taylor Still.“216 „Seine [sc. Stills] Veranlagung wird beispielhaft bestätigt durch seine Gestalt, gütige Gesichtszüge, einen durchdringenden Blick, eine wunderbar vollkommene Stirn, eine römische Nase und einen nicht sehr bestimmenden Kiefer. Mit seiner edlen Seele geht eine leicht zu erkennende und wahrzunehmende spirituelle Einsicht in die Mysterien des Lebens einher, wie sie nur wenigen Individuen gewährt wird. Dazu kommen Lebensfreude, Humor, Witz und eine poetische Ader. Man kann sich dem Eindruck, mit ihm einen ungewöhnlich starken, unabhängigen und originellen Denker vor sich zu haben, nicht entziehen. 217
Der gealterte Still wurde von Ernest Tucker D.O. so beschrieben: „Er trug einen grauen Backenbart und unter wild wachsenden Augenbrauen blickten graue, braun gesprenkelte Augen forschend durch graue Brillengläser.“218
„Seine Stirn war gewölbt wie das Knospenende einer Wassermelone und er hatte eine unglaublich scharfe Nase. … Sein Schnurrbart half – wie soll ich sagen – seine Nase zu normalisieren. Schnurrbart und Backenbart sorgten für eine harmonische Einbeziehung von Nase und Stirn.“ 219
„Seine Hände waren groß, flach und ohne Zweifel sehr kräftig. Seine Ohrläppchen hingen großzügig herunter. Achten Sie doch mal auf die Ohrläppchen starker Führungspersönlichkeiten. Seine Haut wirkte düster, was zweifellos an seinem Alter, aber auch an der Gemütsverfassung lag. An den Augenwinkeln hatte er zahlreiche Lachfalten.“ 220
„Seine Stimme war heiser, so als ob sie von woanders herkäme, weit entfernt, oder von jemand anderem … Oh, er konnte schon kraftvoll sprechen – Heiserkeit – das hatte so was Intimes – eine Art von Nur-wir-beide-Effekt.“ Er ging „sich auf seine Zehen erhebend“, was Tucker als indianischen Gang verstand, weil Still sich „so leise wie ein Indianer in einen Klassenraum stehlen“ konnte.221
1923 stellte F. P. Millard D.O. übrigens interessanterweise einen Zusammenhang zwischen einem federnden Gang und dem Zustand der Faszien her:
„Gehen Sie niemals auf Ihren Fersen. Wenn Sie das tun, verursacht die Erschütterung in Wirbelsäule und Faszien alle Arten von Verformungen und Läsionen. Wenn Sie gehen, dann gehen Sie auf den Fußballen und schwingen Sie vorwärts, anstatt sich ruckweise voranzubewegen.“222.
Früh in seinem Leben entdeckte Still aufgrund persönlicher Erfahrung, dass Kleidung „das Schicksal eines Menschen nicht ändert“, sodass er nicht mehr bereit war, zur „Kleiderparade“ anzutreten223 und mit zunehmendem Alter er nicht mehr besonders auf seine äußerliche Erscheinung achtete.224 Er trug einen zerknitterten Anzug, in seinen abgetragenen Stiefeln steckten Kordhosen.225 Halstücher und steife Kragen bezeichnete er als „Abscheulichkeiten“.226 In Kirksville konnte man ihn typischerweise auf einer Warenkiste sitzen oder in einer Hängematte oder auf einem Feldbett liegen sehen. Häufig schnitzte er an einem der gut 2 m langen Stäbe herum, die er abwechselnd mit sich führte.227 Mit einem Packen Plakate (Werbungsmaterial) begab er sich in kleine Städte und demonstrierte auf einem „alten Ochsenkarren oder einem gefederten Wagen“ stehend öffentlich Behandlungstechniken wie „Hüfteneinrenken“.228 Oft trug er einen Sack oder eine Handvoll Knochen bei sich.229 Man erzählt von ihm, er habe auf der Veranda, auf dem Rasen, an einen Baum gelehnt oder in einem Wagen sitzend Patienten behandelt – „wo eben gerade Platz war“.230
Wesen
„Um Dr. Still vollständig zu verstehen, ist es nahezu unerlässlich, ihn persönlich zu kennen.“231
Drew, wie sein Spitzname lautete,232 war ein Frühaufsteher233 und arbeitete bis zu 16 Stunden „studierend, experimentierend und demonstrierend“.234 Still sagte dazu: „Ich gehe nicht zu Pferderennen, zum Tanzen oder zu irgendeiner anderen Veranstaltung, die mir nicht Wissen und näheres Vertrautsein mit dem menschlichen Aufbau bringt.“235 Er selbst beschrieb sich (in der dritten Person) so: „Er hasst einen Heuchler, einen Lügner, einen Dieb, einen Faulenzer, einen Mann bzw. eine Frau mit zwei Gesichtern und einen faulen Mann. Er bezahlt alle seine Schulden, ist gut zu den Armen, verdient leicht Geld und ist wahrscheinlich der beste lebende Anatom. Er weiß, was er sagt, und sagt nur, was er weiß.“236 Er betrachtete sich als Pionier, der „den Weg bahnt“,237 und als jemand, der aus seiner „praktischen Erfahrung in der Schule der Natur“ heraus spricht und „aus der Philosophie eines Amerikaners, der sich nicht dafür schämt oder sich davor fürchtet, das zu sagen und zu tun, was wahre Ehrlichkeit seiner Meinung nach gebietet“.238
Als „Plagegeist der Familie“239 mochte er handfeste Späße.240 Sobald man vertrauter wird mit seinen Schriften und seiner Wortwahl, erscheint einem sein Humor als sehr trocken – was jene am meisten schätzten, die ihn am besten kannten. Er hatte eine Schwäche für Süßigkeiten, achtete in seinem Essverhalten aber auf Mäßigkeit. Obgleich er, wie Charles Still junior berichtet, konservative Ansichten über Laster wie Alkohol und Billardspielen vertrat, mochte er doch Kautabak.241 Tatsächlich war Still absolut intolerant gegenüber Alkohol- und Drogenkonsum:
„Jeder Student, der unsere Schule [sc. die ASO] betritt, muss zeigen, dass er gebührend nüchtern ist. Wir dulden keinerlei alkoholischen Getränke … Alle zukünftigen Bewerber … müssen belegen, dass sie eine vollständige englische Ausbildung genossen haben und dass sie weder Bier, Apfelwein, Wein oder Alkohol in irgendeiner Form zu sich nehmen. Das Gleiche gilt für die gewohnheitsmäßige Einnahme von Opium oder irgendeiner anderen Droge.“ 242
Er wurde als Philanthrop beschrieben, denn er war jemand „der seine Mitmenschen liebt und sich für sie einsetzt“.243 „Geld bedeutete ihm offensichtlich nichts, außer es wurde für die Unterweisung und zum Glücklichmachen anderer verwendet.“244 „Sein Witz, seine Zuversicht und seine Freundlichkeit waren einige seiner starken Charakterzüge … Großzügigkeit war eine weitere schöne Tugend.“245
Er war gütig246, ein Gemeinschaftsmensch und zutiefst patriotisch.247 Wie sein Vater hegte er gegen die Sklaverei eine starke Antipathie, die es ihm zusammen mit seinen Patriotismus „schwer machte, sich auf die eigenen Nöte zu konzentrieren … wenn es um das Schicksal der Nation und die Sklavereifrage ging“.248
Seine Hobbys waren u. a. die Astronomie249, die Mineralogie250 und die Ornithologie251, ein Interessenbereich, auf den sich die Herkunft mancher Äußerung in seinen Schriften zurückführen lässt. Er sammelte ausgestopfte Tiere und Vögel, darunter einen amerikanischen Adler.252 Darüber hinaus verfolgte er politische, soziale und spiritistische Interessen.253 Sein Interesse an der Natur und an allen natürlichen Sachverhalten begann im Grenzland, wo die Wohnhäuser der Familien oft weit entfernt von Kirchen, Schulen und Läden waren.254 „Das Grenzland ist das große Buch der Natur. Es ist der Ursprung des Wissens und die Naturwissenschaft wird einem hier von den ersten Prinzipien an gelehrt.“255 Seinem Pioniergeist entsprechend jagte er schon als Junge wilde Tiere.256 Später pflegte er „Rotwild zu schießen, zu zerlegen, das Fleisch für den Haushalt zu konservieren, das Fell zu gerben und daraus Schuhe oder ein anderes Kleidungsstück für sich oder ein anderes Familienglied herzustellen.“257 Als jung verheirateter Mann Anfang zwanzig pflügte er mit einem Gespann Ochsen pro Tag 1 ha seines 20 ha großen Farmlandes, um dann die Früchte seiner Arbeit an einem einzigen Nachmittag durch einen Hagelsturm vernichtet zu sehen.258 Das Pionierleben war physisch und psychisch zermürbend, stärkte aber Stills Charakter und weckte sein Interesse an der Mechanik, das ihn veranlasste, Geräte zur Arbeitsrationalisierung zu entwickeln, z. B. eine Erntemaschine und ein Butterfass.259 Furcht war in seinem Leben schon früh ein Thema. Die Furcht vor Gottes Zorn wurde ihm bei den methodistischen Treffen eingeflößt, die sein Vater abhielt. Die Angst vor dem drohenden Jüngsten Tag, der in den frühen 1840er-Jahren von den Milleriten [sc. Adventisten (Anm. d. Übers.)] vorausgesagt wurde,260 deutete er später als Unwissenheit.261 In der Kinderzeit lebten die Geschwister in einer Atmosphäre physischer und psychischer Angst.262 So deckte 1860 ein Tornado das Dach des Hauses ab263 und stets hatten die Stills damit zu rechnen, wegen der Antihaltung des Vaters gegenüber der Sklaverei umgebracht zu werden.264 Im November 1855, als der Konflikt zwischen den Parteien eskalierte, mussten die Stills ihr Haus mitten in der Nacht verlassen, um der drohenden Ermordung zu entgehen. Still begegnete dieser Furcht erhobenen Hauptes, indem er sich der Poker Moonshine Party anschloss265, um die Familie zu schützen.
Seine Antihaltung zur Sklaverei brachte ihn oft in Lebensgefahr:
„Ich entschied mich für eine Seite und stimmte für die Freiheit … Ich konnte nicht anders stimmen, denn kein Mensch, unabhängig von Rasse und Farbe, kann per Gesetz die Freiheit eines anderen besitzen. Angesichts dieser Wahrheit beteiligte ich mich zu Hause und auf der Straße an allen Auseinandersetzungen für die Abschaffung der Sklaverei und hatte bald einen ganzen Haufen erbitterter politischer Feinde, was zu vielen aufregenden und merkwürdigen Abenteuern führte.“ 266
Wegen dieser Einstellung wurde er von Grenzräubern verfolgt, die ihn hängen wollten, weil er „ein schwarzer Sklavereigegner“ war.267
Bitterkeit empfand Still über zwei Umstände in seinem Leben: Zum einen hegte er einen tiefen Groll gegen die US-Regierung, weil sie seinen aufgrund der im Bürgerkrieg erlittenen Verletzungen gestellten Pensionsantrag abgelehnt hatte. Dieser Groll war für ihn aber insofern von Vorteil, als er ihn umso entschlossener sein Ziel, die Entwicklung der Osteopathie, verfolgen ließ.268 Interessanterwese schrieb Still später im Zusammenhang mit Faszien metaphorisch über das Beziehen einer Pension.269
Die andere Quelle tiefer Verbitterung waren die von kirchlicher Seite gegen ihn betriebenen Rufmordkampagnen, an denen sich auch sein Bruder, Reverend James Still, beteiligte. In Baldwin, Kansas, und Macon, Missouri, wurden seine Ideen „als ein Art Zauberei verdammt“.270 Bei einem Gottesdienst in Baldwin wurde Still aufgefordert, die Versammlung zu verlassen, weil er ein Spinner sei.271 Ein wenig später äußerte ein methodistischer Prediger von der Kanzel, dass „der neue Doktor in der Stadt von einem unnatürlichen Geist besessen ist und eine Gefahr für die Gemeinde werden könnte“. Die Bemühungen der Prediger, Macon von diesem „bösen Einfluss“ zu befreien, führten dazu, dass die Menschen die Straßenseite wechselten, wenn sie Still begegneten.272
Obgleich auch in Kirksville anfänglich die gleichen ärgerlichen Probleme mit dem Klerus auftraten, war es schließlich ein presbyterianischer Geistlicher, der „den Strom der öffentlichen Meinung zu Stills Gunsten veränderte“273, weil er auf der Kanzel offen bekannte, dass „er volles Vertrauen in Dr. Stills Behandlungsmethoden“ habe. Still hatte seine „verkrüppelte“ Tochter erfolgreich behandelt.274 Durch all diese Abenteuer und Bedrängnisse hielt Still unbeirrbar an einem Vorsatz fest: an der auf die Entwicklung der Osteopathie gerichteten „Kontinuität im Denken“, wie er selbst es nannte. In ein rotes Notizbuch, das seither verschwunden ist, schrieb er:
„Das erste in der Kontinuität enthaltene Prinzip ist eine feste, mit der Willenskraft einhergehende Entschlossenheit, abgesichert durch genauestes Wachen über das geringste Abweichen oder Zur-Seite-Schwingen des Pendels kontinuierlicher Tätigkeit.“ 275
Viele Autoren haben über Stills menschliche Größe geschrieben. Doch Ernest Tucker, sein Freund und früherer Student, erinnert uns daran, dass „ein wahrhaft Großer kaum an Größe denkt und sich noch weniger darum sorgt“.276 Daher sprechen wir in der Folge nicht von Stills Größe, sondern von seinem Wesen, seinem Still-Sein.277
Der Begriff Wesen stammt aus den philosophischen Schriften von Sokrates und Thomas von Aquin. Für Sokrates war das Wesen einer Sache F ihr F-sein, wobei F für einen Namen oder ein Substantiv steht und sein für seine entsprechende Adjektivform. Thomas von Aquin definierte Wesen später als das, was etwas zu dem macht, was es ist – sokratisch ausgedrückt das F-Sein bzw. das Was-Sein.278 Ein Erfassen von Stills Wesen geht also tiefer als eine Beschreibung seines Charakters und erfordert ein lebendiges Bild vom seinem Still-sein – und das vermitteln uns am besten die respektvollen Äußerungen seiner Vertrauten. Ernest Tucker sagte: „Jene, die in Kontakt mit dem Alten Doktor kamen, empfanden diese Beziehung als besonders intim.“279 Und F. W. Link erklärte: „Es gibt nur wenige, die A. T. Still wirklich kennengelernt haben. Und bislang hat noch niemand sein wahres spirituelles und intellektuelles Maß erfasst.“280
Andrew Taylor Stills Wesen hatte, wie z. B. die folgenden Zitate zeigen, verschiedene und sich doch überschneidende Aspekte: Zweckgerichtet-Sein, Human-Sein, seine Erkenntnisgerichtet-Sein und sein Spirituell-Sein.