Kitabı oku: «Das Geheimnis des Stiftes 2», sayfa 4

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Untergang der Titanic

1912

»RMS Titanic, 14. April 1912, 22 Uhr, Nordatlantik«

Ich lese die Daten, starre Penelope entsetzt an und lasse kurz den Stift sinken.

»Bist du verrückt?«

Sie zieht nur eine Augenbraue hoch und tippt gelangweilt mit ihrem Fuß auf dem Boden. Sie trägt abartig hohe High Heels.

»Du hast 40 Minuten.«

Das ist unfassbar verrückt und gefährlich. Leichtsinnig. Ich könnte sie verfehlen und im kalten Ozean landen. Nicht weit vom Schiff schwimmt ein gewaltiger Eisberg. Einen Augenblick lang überlege ich, ob ich den Kapitän warnen sollte. Vermutlich wusste er es, dachte aber, sie könnten rechtzeitig ausweichen. Zudem würde er mich für durchgeknallt halten. Wer käme schon auf die Idee, dass das unsinkbare Schiff einen Eisberg rammen könnte und dadurch Schaden entsteht? Wer würde schon auf die Idee kommen, dass dieses Schiff in weniger als 40 Minuten Geschichte schreibt, die anders sein wird, als die Erbauer es erhofft hatten? Wer würde schon erwarten, dass in wenigen Stunden über 1500 Menschen den sichereren und kalten Tod finden ...

Nicht darüber nachdenken.

Schnell schreibe ich alles, was auf dem Zettel steht ab und lande auf dem Boden. Ich muss Husten und wische mir mit dem Handrücken über den Mund. Blut? Noch einmal huste ich und versuche mit dem Saum vom T-Shirt mein Mund zu säubern, ehe ich mich aufraffe, und atme kalte Luft ein. Meine Lungen schmerzen, aber ich kann jetzt nicht darüber nachdenken.

Die Geschichte darf ich nicht verändern, das muss ich mir immer wieder als Mantra ins Gedächtnis holen.

Schnell reiße ich den nächsten Brief auf:

»Finde Edward.«

Nein. Verdammt. Echt jetzt? Penelope hat Edward auf dieses Schiff gebracht? Aber ... Er ist doch schon so lange verschwunden. Wie konnte sie ... Seufzend lese ich die Zeilen. Sie hat ihn erst kürzlich hierher gebracht, so, dass ich für sein Leben verantwortlich bin und möglicherweise für das der anderen 2200 Personen an Bord.

Im Umschlag befindet sich eine Uhr, die mir die aktuelle Zeit anzeigt.

22:05 Uhr

Ich blicke mich um und stelle fest, dass ich auf dem Deck bin. Wie konnte mir das nur bisher entgehen? Die kalte Luft fühlt sich eisig auf meiner Haut an und ich bekomme Gänsehaut. Julian hatte mir ein Bild von Edward gezeigt. Er könnte an seinen Haaren auffallen, sie sind vielleicht moderner als die von den anderen Passagieren. Einige kommen mir auch schon entgegen, sie lachen und unterhalten sich angeregt. Haben Drinks in der Hand und sehen wohlhabend und elegant aus. Was weiß ich über die Titanic?, geht es mir panisch durch den Kopf. Sie hat mehrere Ebenen. Edward könnte bei den ärmeren sein. Aber soll ich mich darauf verlassen? ›Er ist nicht Jack Dawson‹, ermahne ich mich. Penelope wird sicherlich vermuten, dass ich alles mit dem Film vergleiche und dementsprechend reagiere. Titanic. Ich bin auf der verdammten Titanic!

Die kühle Luft belebt meine Sinne.

»Guten Abend Fräulein«, werde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen.

»Gu ... Guten Abend, Kapitän«, begrüße ich ihn. Er trägt die Kapitänsmütze, aber ich hätte ihn auch ohne erkannt. Seine Präsenz ist so einnehmend und erhaben, als würde ihm das Schiff gehören.

»Und du bist?«, möchte er lächelnd wissen. Was macht er eigentlich hier? Sollte er nicht auf den Eisberg warten?

»Verzeihung, ich heiße Melanie. Ich suche jemanden.«

»Hier oben?« Schnell muss ich mir etwas einfallen lassen. Meine Kleidung ist alles andere als vornehm, aber ich brauche eine Geschichte, die glaubhaft ist. Noch immer trage ich die schwarzen Sachen, die mir Penelope gegeben hatte.

»Ich suche einen Mann namens Edward.«

»Edward und weiter?«, möchte er wissen und blickt mich erwartungsvoll und doch skeptisch an.

»Das ist das Problem. Ich weiß es nicht.« Ich zeige ihm den Brief, auf dem nur »Finde Edward« steht und runzle dabei die Stirn.

»Sehr mysteriös«, gibt er zu und fährt sich nachdenklich mit der Hand durch seinen Bart.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mich kurz hier oben etwas umsehen und danach wieder hinunter gehen?«

Der Kapitän der Titanic denkt einen Augenblick über meine Bitte nach.

»Gewiss, das geht in Ordnung. Aber wenn ich meine Runde beendet habe, möchte ich, dass du wieder dahin gehst, wo du herkommst.«

»Versprochen. Ich werde auch niemanden belästigen. Sie haben mein Wort.«

»Gut, dann auf, suche deinen unbekannten Freund«, meint er schmunzelnd.

»Herzlichen Dank. Alles Gute, Kapitän und passen Sie gut auf sich auf«, sage ich so schnell, ich kann, ehe ich davonrenne. Am liebsten würde ich ihm zu rufen, dass in 32 Minuten das Schiff einen Eisberg rammen wird.

Mein Gehirn bildet einen Knoten nach dem anderen, bei dem, was mir durch den Kopf geht. Bald schon wird dies hier alles Geschichte sein. All diese Menschen ...

Aber ich kann den Kapitän auch nicht unnötig aufhalten, denn sonst könnte es meine Schuld sein.

Was für ein absurder Gedanke.

22:10 Uhr

Eine halbe Stunde noch, ehe das Chaos ausbrechen wird. Gut, zunächst würde man es nicht so ernst nehmen, aber dann ... Etwa 2:20 Uhr würde die Titanic gänzlich sinken.

Ich suche mir einen Weg nach unten. Am liebsten würde ich mit dem Stift »Finde Edward« oder »Bring mich zu Edward« schreiben. Doch auf Grund der veränderten Situation glaube ich nicht, dass ich ihn so finde. Ich könnte bei irgendeinem Edward landen, oder im Ozean.

Wo bist du nur, Edward?

Die Gänge sind länger, als ich gedacht habe. Aber sie bringen mich nicht weiter. Mir begegnen unterschiedliche Personen, sie alle sehen aus, als seien sie von England nach New York unterwegs und würden nicht von einer Irren gefangen gehalten werden. Sicherlich wird er nicht angekettet in einem der Zimmer oder gar im Keller sein.

Es gibt keinen Ausweg aus dieser Situation. Ich bin seine einzige Rettung und möglicherweise weiß er das nicht einmal.

Verdammt. Warum ist das Schiff nur so groß?

Es ist so spät abends, viele schlafen bereits. Weshalb ich natürlich nicht so einen Lärm machen kann.

22:15 Uhr

Die Titanic ist wunderschön eingerichtet. Wenn ich doch nur mehr Zeit hätte, dann würde ich es vielleicht sogar wertschätzen, diese Gelegenheit erhalten zu haben. Aber das kann ich nicht. In vier Stunden werden Rettungsboote die 710 Geretteten wegbringen.

Fokus. Ich muss mich konzentrieren, auch wenn ich wirklich weinen könnte.

Meine Füße tragen mich automatisch vorwärts. Ich finde den Speisesaal. Weitere gesellschaftliche Räume kreuze ich, bis ich schließlich nach unten in die 2. Klasse gelange. Ich versuche, Türen zu öffnen, aber die meisten sind verschlossen oder bringen mir nur Ärger, wenn ich unvorsichtig bin. Warum kann ich nicht den Zaubermantel von dem Jungen mit der Brille besitzen? Den, der mich unsichtbar macht?

22:25 Uhr

Viel Zeit habe ich damit zugebracht, auf diesem Gang nach Hinweisen zu suchen. Er muss sich doch irgendwo aufhalten. Wenn ich nur wüsste, wo sich was befindet. Aber ich bin komplett unvorbereitet. Die wenigen Fakten, die mein Gehirn ausspuckt, sind einfach unzureichend und basieren mehr auf dem Film, als auf Tatsachen. Was hatte James Cameron noch herausgefunden?

Als ich den Film zum ersten Mal gesehen hatte, war mein Vater noch bei uns gewesen und wir hatten einen sehr schönen Filmabend verbracht. Damals war ich 9 Jahre alt gewesen.

Anschließend hatte ich das Bedürfnis, alles über die Zeit und das Schiff zu erfahren. Jetzt frage ich mich, ob ich mich instinktiv auf den heutigen Tag vorbereitet hatte.

Es ist doch ein großer Zufall, dass ich mich über ein Jahr so intensiv damit befasst hatte ...

Besonders die Zahlen sind hängen geblieben.

»Miss?«

»Oh, Hallo.« Es ist ein Dienstmädchen. Sie trägt eine Haube und hat ein paar Handtücher in der Hand.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ich suche jemanden«, sage ich ohne Umschweife. »Sein Name ist Edward und er ist etwas größer als ich, hat dunkle Haare, ungewöhnliche Augen und sieht echt niedlich aus, falls das hilft.«

»Ich kenne einen Edward ... Seine Haare sind wirklich ungewöhnlich und die Augen ...«, sagt sie nachdenklich und inspiziert mich. »Du redest wie er«, fügt sie hinzu und ich merke, dass sie mich nicht als etwas sieht, was ich nicht bin. Die persönliche Anrede tut gut.

»Genau. Er muss es sein. Er trägt bestimmt auch nicht das, was du sonst kennst, oder?«

Sie kichert und nickt.

»Kannst du mich zu ihm führen, bitte? Es ist dringend.«

Sie blickt sich um und nickt. Dann greift sie nach meinem Arm und zerrt mich mit sich, die Handtücher lässt sie dabei fallen. Während sie mich berührt, habe ich plötzlich ein seltsames Gefühl. Als würde ich sie kennen.

22:33 Uhr

Er ist es. Ich erkenne ihn sofort und er scheint auch zu wissen, wer ich bin.

»Melanie?«

»Ein Glück. Edward. Ich habe dich gefunden. Danke, danke, danke. Ähm, wie ist dein Name?«

»Lizzy«, flüstert das Mädchen etwas schüchtern.

»Lizzy. Du hast uns das Leben gerettet.«

Edward starrt mich an und nimmt mich etwas zur Seite.

»Wir müssen sie retten. Weißt du, wo wir hier sind?«

»Psst. Natürlich weiß ich das. Ich hab den Kapitän getroffen. Wir haben nicht viel Zeit.«

»Du bist dem Kapitän begegnet, und hast ihn nicht gewarnt?«

»Wir dürfen nicht mit der Geschichte spielen!«

»Melanie!«, sagt er verzweifelt.

»Julian hat das gemacht, Penelope auch schon.«

»Und dein Vater ebenfalls.«

»Bitte, Edward.«

»Du hast ein Zeitreise-Stift, du könntest doch sicherlich das gesamte Schiff um wenige Minuten in die Zukunft schicken. Es würde keiner erfahren.«

Ich blicke zu Lizzy. Sie wird es nicht überleben. Sie ist die untere Schicht und würde vermutlich als eine der letzten hier rauskommen ...

Ich atme tief durch. Die Geschichte darf ich nicht verändern, aber möglicherweise ... Ich drehe mich zu ihr.

»Hast du noch jemanden hier?«

»Meinen kleinen Bruder, warum? Ich muss zurück zur Arbeit. Die Handtücher ... Oh nein, meine Herrin wird außer sich sein.«

Verdammt! Ich blicke auf die Uhr.

»Das spielt alles keine Rolle mehr. Schnell, bring uns zu ihm.«

Irritiert und verängstigt blickt sie mich an, doch ich kann nicht darauf warten, dass sie sich wieder fängt, und schnappe nun nach ihrer Hand.

22:38 Uhr

Wir laufen und laufen. Es scheint kein Ende zu nehmen. Doch dann gelangen wir in ein Zimmer, in dem ein kleiner Junge friedlich im Bett schläft.

Gerade als ich meinen Stift ziehe, wird die Tür erneut aufgerissen.

»Was zum Teufel machst du hier, Lizzy? Ich habe dich schon vor Minuten erwartet!«

»Verzeihung, Herrin, ich habe nur ...«

»Spare dir die Ausreden. Du kommst jetzt sofort, oder willst du, dass ich deinen kleinen Bruder bei der nächsten Gelegenheit über Bord werfe?«

»Unterstehen Sie sich!«, rufe ich.

»Und wer bitteschön bist du?«, sagt sie angeekelt.

»Eine gute Freundin des königlichen Hofes«, sage ich und zeige meine Schmetterlingsbrosche, die zudem das Wappen der Königlichen Hoheit trägt.

Das Symbol auf der Brosche wird seit vielen Hundertjahren weitergereicht und jede Person weiß, wofür sie steht. Zum Glück habe ich daran gedacht, sie einzupacken.

Sie wird blass und plötzlich realisieren wir ein gewaltiges Beben.

22:40 Uhr

Es ist mir egal, ob diese Frau nun einen Schreikrampf bekommt. Aber wir müssen hier weg. Ich nehme den Stift und Zettel, gehe zum Bett, wo sich der kleine Junge mittlerweile aufgesetzt hat und die Augen reibt, befehle Edward, Lizzy an die Hand zu nehmen und nicht loszulassen und lege meine auf die Schulter des Jungen, während Edward mich am Arm festhält.

Wir hören Stimmen. Von überall scheinen sie zu uns zu dringen. Es fühlt sich an, als hätte das Beben doch früher seine Auswirkungen gezeigt. Zumindest hier unten. Denn wir sind näher dran, als die obere Gesellschaft.

Die seltsame Frau blickt uns irritiert an, doch ich schreibe schnell.

»Bringe mich zu Julian Schwan, 2127.«

Blinde Passagiere

2127

Wir landen unsanft auf dem Boden und erneut muss ich husten und schlucke schnell alles hinunter, damit niemand etwas bemerkt.

»Wo sind wir hier? Was ist passiert?«, höre ich Lizzy und atme erleichtert auf. Sie hat es überstanden. Ihr Bruder blickt mich verängstigt an und flüchtet in die Arme seiner Schwester.

»Ruhig. Es ist alles gut. Ihr seid in Sicherheit. Aber nicht mehr auf der Titanic.«

»Julian!«, ruft plötzlich Edward und ich sehe nach oben und kann kaum glauben, dass wir es geschafft haben. Wir sind in einem leeren Raum, vermutlich hat Julian hier auf uns gewartet. Damit wir ungestört sein können.

Wir haben die verdammte Titanic überlebt.

»Kleine Fee, du hast ihn mir zurückgebracht und zwei blinde Passagiere, wie ich sehe«, meint er schmunzelnd und grinst wie ein Kind an Weihnachten.

»Sie war so nett und hat mir geholfen«, sage ich verteidigend. »Ich konnte nicht alle retten. Aber ... Die zwei machen doch keinen Unterschied, oder? Oder?«

Er schüttelt den Kopf und nimmt mich in die Arme.

»Kleine Fee, du hast das Richtige getan«, flüstert er und sieht mich liebevoll an. Nachdem er mich losgelassen hat, schaut er zu Edward, der etwas abseits gewartet hat und beginnt zu strahlen. Es ist, als würde sein ganzes Herz plötzlich aufgehen. Nur noch diese eine Person zählt.

Es ist süß, wie die zwei miteinander umgehen. Sie wollen das junge Mädchen nicht verwirren, schließlich wurde damals Homosexualität verachtet. Sie umarmen sich sehr lange. Edward hat seine Augen geschlossen und ich kann ein paar Tränen erkennen, genauso wie bei Julian.

Sie sind überwältigt von dieser Situation, wie auch ich. Mein Blick wandert zu Lizzy und ich sehe, wie sie stirnrunzelnd die Szene beobachtet. Was mag sie wohl denken?

»Was machen wir jetzt? Wenn Penelope das herausfindet, wäre es eine Katastrophe.«

»Du bringst dich und Edward zu ihr und ich kümmere mich um unsere neuen Freunde. Wo sollen sie hin? Was meinst du?«

»Sie einfach so in irgendeiner Zeit absetzen, kommt mir brutal vor«, sage ich nachdenklich. »Wäre es verrückt, wenn sie zu meiner Mutter kämen? Ich darf nicht, das weißt du. Aber bei dir wäre es möglich, oder?«

Kurz muss ich daran denken, dass sie eigentlich nach New York wollten.

Ihr Schicksal liegt nun in meiner Hand, schätze ich. Sie wohl und sicher unterzubekommen, muss einfach das Richtige sein.

Es ist verwirrend, denn all das spielte in einem anderen Jahrhundert. Lizzy aber kam aus dieser Zeit und für sie war alles eben erst geschehen. Was für absurde Gedanken mir durch den Kopf gehen.

»Ich werde mir etwas einfallen lassen«, sagt Julian schließlich. Ich nicke erleichtert und schreibe ein paar Zeilen auf einen Zettel.

»Gib meiner Mutter bitte den Brief«, sage ich und umarme sie alle noch einmal. »Julian erklärt euch alles.«

»Gut. Danke«, sagt das Mädchen etwas verhalten, und sieht mich zunächst misstrauisch an, ehe sie mich schließlich umarmt. Und während wir uns umarmen, fühle ich eine eigenartige Verbundenheit. An Lizzys Blick erkenne ich, dass es ihr ähnlich ergeht. Sie runzelt die Stirn und sieht mich lange an. Ihr Dienstmädchenoutfit wirkt in dieser Zeit so seltsam und doch passt es zu ihr. Armes Mädchen. Ich hoffe, sie wird eines Tages verstehen, dass ich keine andere Wahl hatte.

Als die drei weg sind, sehe ich zu Edward.

Ein schlechtes Gewissen habe ich schon, dass ich Julian mit den Kindern weggeschickt habe, doch für all das ist jetzt keine Zeit. Hinter her. Wenn wir bei Penelope waren ...

Ich schreibe uns beide in den Kellerraum zu Oliver und Penelope.

»Ihr habt überlebt«, sagt sie und es klingt beinahe enttäuscht.

»Es war nicht einfach, ihn zu finden, und verdammt knappt! Warum hast du das gemacht?«

»Um herauszufinden, ob du in der Lage bist, rational zu denken. Du hattest die Möglichkeit, den Kapitän zu warnen, richtig? Aber du hast dich auf deine Aufgabe konzentriert und die Geschichte somit nicht verändert.«

»Das war aber riskant. Oh, Mann ... Ich habe gerade über 1500 Menschen in den Tod geschickt.« Oliver reißt seine Augen auf und schüttelt kaum merklich den Kopf. ›Es ist nicht deine Schuld‹, sagt er gedanklich und ja, er hat schon recht, dennoch ... Verdammt, ich hätte das größte Unglück in der Geschichte der Schifffahrt ändern können. Doch was hätte es für Konsequenzen mit sich gezogen? Hätte James Cameron seinen größten Erfolg (neben ›Avatar‹) nicht gelandet? Wären Kate und Leonardo keine besten Freunde geworden? Hätten die Menschen ihr Leben so weitergelebt, wie vorhergesehen? Die Tragweite kann ich mir nicht vorstellen und ich darf es auch nicht. Dieses Ereignis nicht zu verändern war das einzig Richtige.

Penelope grinst gemein. Sie weiß, dass ich Schuldgefühle habe.

»Ich bringe Edward jetzt zu Julian, okay?« Ich hoffe, Edward verrät sich nicht, durch ein Grinsen oder Ähnliches. Er aber zuckt nicht einmal mit der Wimper, sondern bleibt vollkommen ruhig und doch angespannt genug, um abzuwarten. Er hält den Atem an und das ist gut so. Penelope darf nicht wissen, was ich vorher getan habe.

Sie sieht mich skeptisch an.

»Ich bin gleich wieder da. Du hast immerhin noch genug Macht über uns alle.«

»Aber wo bleibt mein Druckmittel Julian gegenüber?«

»Ich bin dein Druckmittel«, sage ich. »Du brauchst mich und Julian ebenfalls.«

Sie scheint darüber nachzudenken und nickt schließlich. Penelope zieht eine eigenartige Grimasse, als hätte sie all das sowieso geplant. Mein Blick wandert zu Oliver. Was macht er nur in all der Zeit? Na gut, wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, wie viele Stunden wirklich vergehen, während ich weg bin. Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag wir hier angekommen sind oder zu welcher Uhrzeit. All das ist in einem Strudel verschwunden, den ich nicht mehr greifen kann.

Julian wartet bereits vor der Tür des Verlieses auf mich und grinst, als er auch Edward entdeckt.

»Wie ist es gelaufen?«, möchte ich wissen.

»Alles geregelt«, meint er, ehe er seine Aufmerksamkeit Edward widmet.

Julian und Edward bedanken sich überschwänglich bei mir und können gar nicht mehr aufhören, mich zu drücken und knuddeln.

Wir verabschieden uns und ich bin mir sicher, dass ich eines Tages wirklich auf ihre Hilfe zählen kann, so wie sie es mir versprechen.

Zurück bei Penelope überkommt mich plötzlich eine Schwere, die ich kaum greifen kann. Ich bin erschöpft und ausgelaugt, doch eine Pause ist mir nicht vergönnt. Sofort schickt sie mich weiter durch Raum und Zeit. Ich bringe Personen von a nach b und b nach c, plündere noch ein paar Banken und Juweliere aus und weiß, dass meine Organe jeden Moment schlapp machen könnten. Immer öfter muss ich Husten und jedes Mal kommt ein wenig Blut mit dazu. Doch sie lässt nicht locker, bis ich vor ihren Augen zusammenbreche.

Paul und Julian

2127 und 2122

Ausgetrocknet und hungrig wache ich auf und sehe lauter Sterne vor meinen Augen. Mir ist so schwindlig, dass ich kaum denken kann, doch der Geruch von Kaffee steigt mir in die Nase und ich seufze. Wir sind immer noch in diesem Keller, unserem Gefängnis.

Langsam setze ich mich auf und sehe Oliver vor mir. Er wirkt besorgt, und scheint mit sich selbst zu ringen.

Das Essen steht nicht allzu weit von mir weg, also versuche ich, mich etwas nach vorne zu robben. Aufstehen möchte ich noch nicht. Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an und ich habe das Gefühl, mich nicht lange genug aufrecht halten zu können ...

»Kaffee und Toast mit Marmelade?«

Seufzend lecke ich mir mit der Zunge über meine rauen und aufgesprungenen Lippen. Sie brennen ein wenig und fühlen sich wie Sandpapier an.

Ich setze mich zum Tablett mit dem Essen und beiße erst einmal in das Marmeladentoast, ehe ich mir eine Tasse der schwarzen Flüssigkeit genehmige. Vermutlich sollte ich eher Tee trinken, aber es ist Kaffee und ich brauche es einfach.

»Mmh, das tut gut«, murmle ich und frage mich im selben Moment, wo Penelope ist.

»Nicht hier«, sagt Oliver.

»Hat sie was vor?«

»Sie erledigt ein paar Aufgaben für die Organisation, meinte sie.«

›Julian, ist alles in Ordnung?‹, möchte ich gedanklich von ihm wissen, doch er scheint offline zu sein.

»Oh, ähm, er hat sich für ein paar Stunden abgemeldet«, erklärt Oliver und wird ganz rot dabei.

»Alles klar. Gibt es etwas Neues vom anderen Oliver?«, erkundige ich mich und direkt verneint mein Kellergenosse.

›Alles beim Alten. Geht es dir besser?‹, höre ich die vertraute Stimme in meine Gedanken hinein.

›Danke, ja. Was ist mit dir? Keine Neuigkeiten? Gar nichts? Nichts von der Zukunfts-Melanie oder der Königin?‹

›Nein, leider nicht‹, seufzt er und ich würde wirklich gerne wissen, was bei mir tatsächlich los ist. Also bei der anderen Melanie.

Es nervt so im Dunklen zu tappen. Wir brauchen irgendwelche Hinweise, auch wenn ich zunächst anders dachte. Doch all das Zeitspringen hat meine Meinung verändert. Hat sie es auch gemacht? Wiederhole ich all das, was sie machte?

Ergibt das Sinn?

Ich muss husten und halte meine Hand vor meinen Mund und wieder sehe ich Blut.

Die Tür öffnet sich und Penelope schreitet herein.

»Wenn du deinen Vater retten willst, dann befolge diese Anweisungen«, sagt sie ohne Umschweife.

Ich greife nach dem Brief und warte.

»Finde heraus, wann genau sich die zwei getroffen haben.« Mehr sagt sie nicht und ich überlege fieberhaft. Ausgerechnet jetzt ist Julian verhindert, aber das schaffe ich auch so.

»England, 2122, Paul und Julian.«

»Ich bezweifle, dass du so zu ihnen hinkommst. Tag, Uhrzeit?« Sie weiß nicht, wie mein Stift funktioniert. Ich denke langsam, dass er oftmals eher nach meinem Gefühl handelt und nicht nur die Fakten abklappert, die man aufschreibt.

»Wir werden es sehen. Ich habe nur eine Chance, richtig«, sage ich und bin auch schon verschwunden.

Mein Vater ist seit fünf Jahren tot, hat mir Julian erzählt.

Als ich erneut in der Vergangenheit lande, höre ich Stimmen, die mir bekannt sind. Mir kommt die Stelle vertraut vor. Ironie des Schicksals, hier bin ich mit Oliver in der Zukunft gelandet.

»Julian, Paul!«, schreie ich.

»Melanie?«

»Papa, ich bin noch nicht zu spät«, japse ich, als ich zu ihnen renne. Es ist so surreal und verrückt und doch freue ich mich, sie zu sehen.

»Kleine Fee, was hat das zu bedeuten?« Mein Blick wandert zu seiner Hand und ich sehe eine Waffe. Skeptisch betrachte ich Dad, er ist nicht verängstigt oder so. Julian hatte Recht: Er wusste, worauf es hinausläuft und dass es nur diese Möglichkeit gab. Verdammt. Er ist bereit, zu sterben. Warum nur? Mein Vater hat ebenfalls etwas in der Hand, das er zu verstecken versucht. Dokumente? Berichte, die relevant für Julian sind?

»Du brauchst Paul nicht mehr zu töten, Julian. Edward ist in Sicherheit. Ich habe ihn von der Titanic gerettet – lange Geschichte – aber er ist mit dir gerade zusammen.«

Er sieht mich skeptisch an und ich füge »2127«, hinzu. »Deine Mutter hat eingesehen, dass Paul nicht sterben muss. Sie hatte mir seinen Kopf in einer Tasche gezeigt und ich habe in den letzten Stunden und Tagen – keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist – alles für sie getan. Ich bin eine Kriminelle, Bankräuberin, Gesuchte und habe zugelassen, dass 1500 Menschen mit der Titanic untergehen. Du hast mir dein Tattoo gezeigt, dass auf dem Hintern. Ich kenne die Wahrheit über dich und weiß, dass du selbst einen Stift hast. Penelope den Stiftemacher umbrachte, da er ihr eine Fälschung gab und Paul ihren Stift vernichtet hat«, stoße ich hervor und bin ziemlich am Ende, keine Ahnung ob sie mein Wirrwarr aus Wörtern überhaupt verstanden haben. Ich muss mich hinknien, weil ich sonst umkippe.

»Du kennst Edward, du kennst die Wahrheit?«

»Ja, alles. Julian, es ist okay. Aber bitte bringe meinen Vater nicht um«, sage ich verzweifelt und kralle meine Hände in die Erde. Meine Kraft ist ausgeschöpft und ich sinke komplett nieder. Sofort kommen mein Vater und Julian zu mir gerannt und helfen mir beim Aufstehen.

»Penelope ...«

»Edward ist in Sicherheit, glaube mir. Er hat ein kleines Grübchen in der linken Wange, das man nur sieht, wenn er lächelt. Er hat unfassbar interessante Augen, irgendwie wie ein Regenbogen. Ich glaube, das nennt man Heterochromie mit den zwei Augenfarben, oder? Coole Dreadlocks und sein Lachen ist echt ansteckend. Er ist total nett und hat mir geholfen, zwei arme Seelen von der Titanic zu retten. Lizzy und ihren Bruder. Und bevor ihr die Arme über den Kopf hebt und sagt, dass ich damit etwas Schlimmes gemacht habe: Es ist mir egal. Lizzy war es, die mich zu Edward gebracht hatte und mich und ihn vor dem Untergang bewahrte ...« Mein Kopf fühlt sie leer an und alles schwirrt und ist wie ein Wirbel.

»Liebes, du musst Luft holen.« Seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken zurück. Plötzlich ist es, als würde ich jetzt erst realisieren, dass er wirklich vor mir steht. Die Bilder von dem, was ich in der Tasche gesehen habe, verschmelzen sich mit seinem Lächeln. Erinnerungen an meine Gefühle dränge ich in den Hintergrund und bleibe im Hier und Jetzt. Nur noch diese Realität zählt.

»Papa, du lebst!«, rufe ich ungläubig und betrachte ihn von oben bis unten.

Er lächelt mich an und ich weiß, dass da noch ein größeres Geheimnis schlummert. Irgendwas, was ich noch nicht erfahren darf. Mir fällt der Brief wieder ein und ich öffne ihn:

»Bringe Paul ins Jahr 2356 – Ort ist egal.«

Nein, ich will ihn nicht schon wieder verlassen. Oder muss ich es möglicherweise gar nicht?

»Es ist okay, Liebes. Du hast mich gerettet. Rette nun die anderen. Es liegt an dir.«

»Oh, noch mehr Druck«, sage ich und weine endlich.

»Ich komme schon klar, bringe mich nach England, den Rest werde ich regeln können.«

»Du kannst nicht mehr zurück, denn sonst wird sie dich doch noch umbringen.«

»Ich weiß. Ich hab dich lieb. Julian, passe gut auf sie auf, ja!«

»Werde ich. Es tut mir leid.«

»Muss es nicht. Du hast alles gegeben. Nun bringt mich schon in die Zukunft, Liebling.«

Julian drückt mich kurz und verabschiedet sich auch von Paul. Es ist so seltsam, dass sie Freunde sind.

Wenn ich die Olivers in 1 und 2 unterteilt habe, muss ich das mit Julian auch so handhaben.

Oliver 1 ist aus dem Jahr 2117. Oder auch Cute-Oli, wie ich ihn nenne.

Oliver 2 ist aus dem Jahr 2127. Narben-Oli.

Wie aber teile ich die Julians ein? Über kurz oder lang muss ich das, nehme ich an.

Dieser Julian hier kommt meinem näher.

Julian 1 ist aus dem Jahr 2122.

Julian 2 ist aus dem Jahr 2127.

Aber auf Dauer ist auch dies keine Lösung.

Mein-Julian? Ist Julian 1 und Edwards-Julian ist die Zukunfts-Version? Könnte ich es so machen? Das ist doch verrückt. Julian immer noch als ›mein‹ zu beschreiben, kommt mir sehr seltsam vor. Arg. Oder sollte ich Insta-Julian zu meiner Version sagen?

Nur so kann ich es einteilen, denke. Julian 2 ist gerade mit Edward beschäftigt und hatte bereits meinen Dad umgebracht. Julian 1 aber ist noch komplett unschuldig, wird allerdings Edward nicht mehr begegnen, da es nur noch eine Version von ihm geben wird. Julian 2 erzählte mir, dass Penelope bereits seinen Liebsten umgebracht hatte. Meinen Dad gibt es auch nur noch einmal.

Das ist alles so kompliziert, jetzt schon und ich bin mir sicher, dass es noch viel schlimmer wird.

Und doch gehe ich davon aus, dass dieser Julian aus meiner eigenen Zeitlinie stammt, genauso wie Cute-Oli. Denn die anderen Versionen haben schon mehr miteinander zu tun gehabt.

Zukunfts-Melanie und Narben-Oli waren zusammen und Edwards-Julian hat einiges durchmachen müssen. Diese drei haben eine Gemeinsamkeit entwickelt, die uns anderen noch fehlt. 2117er Oliver kannte Julian schließlich nicht.

2127er Julian hat Lizzy und ihren Bruder zu meiner Mutter gebracht und danach stand er artig vor der Zellentür und hat Edward in die Arme genommen.

Ich frage mich, ob es über kurz oder lang eines Tages nur noch eine Version von uns geben wird. Und wenn, welche wird es sein?

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270 s. 1 illüstrasyon
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9783754173855
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