Kitabı oku: «Das kalte Herz von Concarneau», sayfa 2

Yazı tipi:

Kapitel 4

Die drei Tage Bedenkzeit, die Marc Loana eingeräumt hatte, waren schnell vergangen. Am vierten Tag rief Marc an, und Loana musste ihre Entscheidung mitteilen. Sie war im Grunde ihres Herzens nicht bereit, aber sie wollte Marc nicht verärgern. Also sagte sie seinem Antrag zu. Es war eine seltsame Situation, sie hatte einen Heiratsantrag erhalten, der eher wie eine beiläufige Frage geklungen hatte, und hatte ihre Zusage am Telefon gegeben, das hatte wenig mit Romantik zu tun. Vielleicht, so tröstete sie sich, war das die Romantik eines Kapitäns, der nur für zwei Monate zuhause war.

Marc nahm die Zusage für die Heirat entgegen, als handelte es sich um die Antwort auf eine Einladung.

„Danke, Loana, dann sehen wir uns am Samstag zum Mittagessen bei meiner Mutter. Soll ich dich abholen, oder kommst du nach Trégunc?“

„Ich weiß nicht wo deine Mutter wohnt, Marc. Ich würde mich freuen, wenn du mich abholst.“

„Kein Problem, Loana, ich komme gegen elf bei dir vorbei. Dann sind wir pünktlich bei meiner Mutter. Sie hat es nicht gerne, wenn ich mich zum Essen verspäte.“

Loana schluckte bei der Antwort. War Marc wirklich so abhängig von seiner Mutter? Welche Rolle würde die Mutter in ihrem zukünftigen Leben spielen? Sie würde die Frau kennenlernen und sich dann eine eigene Meinung bilden.

Loana legte den Hörer auf. Ihre Verwirrung war in eine unerklärliche Angst umgeschlagen. Marc war bestimmt kein Romantiker. Er war der Kapitän, er gab die Befehle. In ihrer kurzen Beziehung war es immer Marc gewesen, der ihre gemeinsamen Unternehmungen beschlossen hatte, ob Fest-Noz oder Ausflug, er hatte entschieden. Loana schätzte einen entscheidungsfreudigen Mann mit Initiative. Aber war er auch beziehungsfähig? Sie spürte die Furcht, in einer zukünftigen Ehe in frühere Zeiten zurückzufallen und Frau am Herd zu sein. Sie schob die Bedenken erst einmal zur Seite.

Als Marc am Samstag pünktlich um 11 Uhr vor der Tür stand, waren die düsteren Wolken der letzten Tage verschwunden. Marc begrüßte seine zukünftige Frau mit einem für seine Verhältnisse langen Kuss und geleitete sie zu seinem Wagen. Marc hatte den Mercedes frisch gewaschen und einer Innenreinigung unterzogen. Loana erkannte, dass Marc viel auf den äußeren Schein gab.

Überpünktlich kamen sie in Trégunc an. Loana stieg aus dem Auto und betrachtete das schmucke gepflegte Haus. Auch der Vorgarten war sehr gepflegt. Sie stiegen die wenigen Treppenstufen hoch und Marc schloss die Tür auf.

Beinahe wäre ihnen Simone zuvorgekommen, sie hatte die beiden erwartet und stand strahlend vor ihnen. Sie begrüßte Loana herzlich.

„Ich freue mich so, dich endlich kennenzulernen, Loana. Marc hat mir nicht gesagt, wie hübsch du bist. Erst vor einigen Tagen hat er mir beim Mittagessen deinen Namen verraten. Aber so ist er eben. Ich habe schon gedacht, dass Marc ein ewiger Junggeselle bleibt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich ihm gesagt habe, dass er sich nach einer Frau umsehen soll. Aber jetzt bist du ja da!“

Loana freute sich über die herzliche Begrüßung.

Simone hatte einen Aperitif vorbereitet. Sie brachte eine Flasche Champagner, die Marc öffnete. Dazu reichte sie diverse köstliche amuse-geules. Dann entschuldigte Simone sich und ging in die Küche, um die letzten Vorbereitungen für das Mittagessen zu erledigen.

„Ach Marc, deine Mutter ist so lieb!“, meinte Loana und schmiegte sich erleichtert an ihn.

„Sie kann sehr streng sein. Wenigstens war sie das häufig mit uns Kindern.“ Marc griff zu seinem Champagnerglas und nahm einen kräftigen Schluck.

„Marc, öffnest du bitte schon einmal den Wein, die Flasche steht auf dem Sideboard“, rief seine Mutter aus der Küche.

Marc stand auf, holte die Flasche und öffnete sie. In diesem Augenblick kam Simone wieder ins Zimmer. Sie trug eine Platte mit der Vorspeise und stellte sie auf die Mitte des Tisches.

„Ihr könnt zu Tisch kommen“, sagte Simone und sah Loana lächelnd an.

„Ich habe einen kleinen Salat als Vorspeise gemacht“, erklärte sie.

„Meine Mutter macht einen guten Salat aus Erbsen, Karotten und Spargel. Bestimmt wird sie dir das Rezept geben“, meinte Marc und zog Loana höflich den Stuhl zurück.

Loana setzte sich, und Simone bediente die junge Frau.

„Loana, bei Marc geht die Liebe durch den Magen. Er ist ein Gourmet!“

„Dein Salat sieht gut aus, Simone, wie machst du ihn?“

„Ach, der ist ganz einfach. Marc hat dir das Wesentliche schon gesagt. Ich nehme die Zutaten, Spargel, gekochte Erbsen und Karotten und vermische sie mit Mayonnaise. Es ist kein Hexenwerk, der Salat schmeckt Marc, und deshalb wünscht er ihn sich immer wieder. Den kannst du das ganze Jahr über zubereiten, mit frischen Zutaten im frühen Sommer oder sonst aus dem Glas. Am Abend ist er mit einer Scheibe Schinken eine gute kleine Abendmahlzeit.“

Nach der Vorspeise trug sie das Grillhähnchen und die Pommes frites auf. Loana musste zugeben, dass sie noch nie ein besseres Hähnchen mit frites gegessen hatte. Marc schlug kräftig zu.

Nach dem Hauptgang servierte Simone noch ein Dessert, und Marc ging an den Wohnzimmerschrank, nahm eine Flasche Lambig heraus und schenkte sich einen Kleinen ein. Loana fragte er nicht. Danach setzten sie sich in den Garten und plauderten noch ein wenig.

Loana verbrachte einen angenehmen Nachmittag. Plötzlich brachte Marc das Gespräch auf eine baldige Hochzeit. Loana fühlte sich übergangen, wie konnte er jetzt von ihrer Hochzeit sprechen, ohne mit ihr etwas abgesprochen zu haben? Als Marc hinzufügte, dass er ja bald wieder zwei Monate lang auf See sein würde, entschuldigte sie seine übereilte Überlegung.

„Wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit für eine vernünftige Planung, Marc. Wir müssen Räumlichkeiten für eine Feier suchen, und die sind oft lange im Voraus ausgebucht. Wir haben auch nicht überlegt, wen wir zur Hochzeit einladen wollen. Wir sollten uns etwas mehr Zeit lassen und nichts überstürzen“, meinte Loana und sah, dass Simone ihr mit einem Kopfnicken zustimmte.

„Papperlapapp, wir brauchen keine große Feier. Wieso sollen wir Menschen einladen, die sich anschließend nur das Maul darüber zerreißen, dass das Essen nicht gut war, der Anzug des Bräutigams schlecht gesessen hat, oder der Brautstrauß zu klein war? Wir heiraten auf dem Standesamt und gehen anschließend mit deinen Eltern und meiner Mutter in ein Restaurant.“

Loana war überrascht. Bisher hatte Marc sich stets großzügig gezeigt, jetzt schien er plötzlich kleinlich. Sie wünschte sich eine schöne Hochzeit mit einer Feier. Loana war hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen.

Simone ergriff das Wort, bevor Loana etwas erwidern konnte.

„Marc, du solltest eine Ehe nicht so starten. Ich hätte deinen Vater nicht geheiratet, wenn er mir das vorgeschlagen hätte. Eine Hochzeit ist ein besonderes Ereignis und nicht irgendeine Feier. Ihr müsst doch nichts überstürzen. Geh du erst einmal wieder auf dein Schiff, und Loana kann in aller Ruhe die Hochzeit vorbereiten. Ich unterstütze sie, falls sie Hilfe braucht.“

Loana atmete auf. Sie sah Marc fragend an.

Marcs Gesichtsfarbe wechselte. Seine Wangen glühten, und seine Augen funkelten.

Simone sah die Veränderung und fügte ihrer Aussage knapp hinzu:

„Sag nichts Unüberlegtes, Marc, wir sind hier nicht auf deinem Schiff!“

Marc entspannte sich, seine Mutter schien großen Einfluss auf ihn zu haben. Nach einigen Sekunden antwortete er.

„Gut, dann heiraten wir eben noch nicht. Dann muss die Hochzeit warten, bis ich in zwei Monaten zurück bin.“

Loana sah ihren zukünftigen Mann dankbar an.

„Deine Mutter hat einen vernünftigen Vorschlag gemacht. Wir werden alles vorbereiten, und wenn du wieder hier bist, heiraten wir und fahren anschließend sofort auf unsere Hochzeitsreise.“

Hochzeitsreise? Für Marc klang das wie eine Drohung! Wohin sollten sie denn fahren? Sie könnten doch nach der Hochzeit auch in der Bretagne bleiben. Die Bretagne ist ein herrlicher Ort. Was brauchten sie mehr? Warum also eine Hochzeitsreise? Er beließ es dabei und antwortete nicht auf Loanas Aussage.

Marc brachte Loana am späten Nachmittag nach Hause. Während der Fahrt nach Quimperlé blieb er auffallend ruhig und einsilbig. Loana dachte über den Nachmittag nach. Marcs Wutanfall beschäftigte sie. War er wirklich der Richtige? Sollte sie sich die Hochzeit noch einmal überlegen? Loana holte sich ein Glas Wasser, setzte sich auf ihre kleine Terrasse und genoss die letzten Sonnenstrahlen.

Kapitel 5

Anaïk Bruel saß über den Formularen von Nourilly. Sie wollte sie rasch ausfüllen, um nicht mehr daran denken zu müssen.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Zusammenarbeit mit anderen Diensten zu verbessern?

Wie viele Stunden haben Sie mit Fahrten zu Einsatzorten verbracht?

Wie lange dauerte die durchschnittliche Tatortbegehung?

Wie viele Stunden wurden mit Zeugenbefragungen verbracht? (ungefähre Angaben reichen!)

„Ungefähre Angaben reichen! Was können wir denn sonst in dieses blöde Formular schreiben?“, donnerte Anaïk über den Schreibtisch hinweg und schrie die leere Pinnwand an. Sie ließ den Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte fallen. Welche Erkenntnisse konnte Nourilly aus solchen Fragen gewinnen? Sie hielt es für eine Ersatzbefriedigung, der Mann schien außer Pressekonferenzen und Interviews keine erfüllenden Aufgaben zu haben.

Anaïk griff zum Ouest-France, der neben ihr lag, und las die Schlagzeile des Tages.

Familie immer noch verschwunden!

Sie vertiefte sich in den Artikel, der ausführlich von der vierköpfigen Familie aus der Umgebung von Nantes berichtete, die seit mehr als 15 Tagen verschwunden war.

Die Gendarmen waren zum Haus gerufen worden und hatten das große Einfamilienhaus der Familie Le Guiffant verschlossen vorgefunden, mit herabgelassenen Rollläden und einem überquellenden Briefkasten. Eine Nachbarin hatte die Gendarmerie informiert. Wie die Zeitung weiter berichtete, haben die Nachbarn ausgesagt, dass die Familie noch nie verreist war, ohne eine Nachbarin zu informieren. Die Familie hatte zwei Kinder, einen erwachsenen Sohn und eine fast erwachsene Tochter. Die Sicherheitsorgane waren von einer kurzfristigen Reise ausgegangen. Aber das Auto der Familie stand in der Garage, einzig der Wagen des Sohnes fehlte. Als es nach drei weiteren Tagen immer noch kein Lebenszeichen der Familie gab, wurde man auch bei der Gendarmerie unsicher und begann mit den Nachforschungen. Die Gendarmen hatten sich Zugang zum Haus verschafft und versucht, Hinweise auf den Aufenthalt der Familie zu finden. Sie hatten das Haus in einem ordentlichen Zustand vorgefunden. Kein ungespültes Geschirr stand in der Küche, das Badezimmer war sauber, es gab keine Schmutzwäsche und keine herumliegenden benutzten Handtücher. Die Betten waren gemacht und nirgends hatten sich größere Mengen Staub angesammelt. Die Reisekoffer der Familie standen in einem Abstellraum, sodass die Gendarmen nicht von einer Urlaubsfahrt ausgehen konnten. Auch die Zimmer der Kinder sahen aus, als habe hier jemand aufgeräumt, selbst auf den Schreibtischen lag kein Blatt Papier. Das Haus machte beinahe einen unnatürlich aufgeräumten Eindruck. Niemand verreiste kurz und hinterließ sein Haus so tadellos. Nein, hier stimmte etwas nicht. Die Gendarmerie bat die police judiciaire aus Nantes um Hilfe. Die Spurensicherung ging durch das gesamte Haus. Mit viel Mühe fanden sie einige Fingerabdrücke, die aller Wahrscheinlichkeit nach den Familienmitgliedern zuzuordnen waren, und eine kleine Blutspur, die eine DNA-Analyse ermöglichte und abschließend eindeutig dem Vater zugeordnet werden konnte. Eine weitere DNA konnte nicht sofort geklärt werden. Der Artikel schloss mit der Frage, ob es sich hier um ein Verbrechen handelte.

Anaïk legte die Zeitung zur Seite. Eine verschwundene Familie war ihr im Verlaufe ihrer Tätigkeit als Kommissarin noch nicht untergekommen. Sie hatte in den Nachrichten der letzten Tage immer wieder einen Bericht über diese vermisste Familie gesehen aber sich nicht weiter damit beschäftigt. Schließlich handelte es sich um ein eventuelles Verbrechen, das in den Zuständigkeitsbereich von Nantes fiel. Sie hatte dem Bericht der aktuellen Ausgabe der Zeitung entnommen, dass der Vater, Jules Le Guiffant, mit seiner Frau Adèle und den beiden Kindern, dem 21-jährigen Sohn Ravan und der 18-jährigen Tochter Sema seit sieben Jahren in dem Haus wohnte. Die Nachbarn hatten von einer glücklichen Familie gesprochen. Nie hatten sie Streitigkeiten mitbekommen.

Anaïk machte sich Gedanken über das Verschwinden der Familie, als Monique, ihre Kollegin, in der Tür stand und sie aus ihren Überlegungen riss.

„Störe ich dich, Anaïk?“, fragte Monique vorsichtig.

„Überhaupt nicht, ich habe gerade einen Artikel im Ouest-France gelesen, den ich aus lauter Verzweiflung über diese stupiden Formulare aufgeschlagen habe.“

„Sag bloß, du hast über die verschwundene Familie gelesen?“

„Ja! Warum fragst du?“

„Weil mich gerade ein Anruf von der Pforte erreicht hat, dass dein Telefon blockiert ist, denn man wollte dich in genau dieser Angelegenheit erreichen.“

„Ich muss gegen das Telefon gekommen sein, als ich mich über diese Formulare geärgert und sie vom Tisch gewischt habe“, antwortete sie Monique.

„Die Gendarmerie von Fouesnant hat angerufen. Ein Spaziergänger hat in der Umgebung des Manoir Le Stang, in Forêt-Fouesnant, einen Personalausweis und ein altes Schulheft gefunden.“

„Was haben wir mit einem Personalausweis und einem Schulheft zu tun? Der Finder soll es auf dem Fundbüro abgeben, beziehungsweise gleich dem Besitzer, da er schon den Ausweis hat.“

„Ganz so einfach ist es nicht, Anaïk, der Ausweis gehört Sema Le Guiffant!“

„Was sagst du? Der Ausweis gehört dem verschwundenen Mädchen?“

„Ja, und das Schulheft allem Anschein nach dem Vater des Mädchens. So wie es aussieht, hat das Mädchen die Sachen dort verloren.“

Jetzt war Anaïk völlig präsent. Vergessen waren die dummen Formulare und ihre Verärgerung über Nourilly.

„Wir müssen uns die Gegend persönlich ansehen. Die Spurensicherung solle ebenfalls sofort an den Ort kommen. Vielleicht sollten wir die ganze Umgebung mit Hunden absuchen lassen.“

Anaïk stand auf, schnappte sich ihre Tasche.

„Gehst du von einem Verbrechen in Fouesnant aus?“, fragte Monique ihre Chefin.

„Keine Ahnung, aber es ist doch seltsam, dass wir hier im Finistère, 200 Kilometer von Nantes entfernt, den Ausweis des verschwundenen Mädchens finden“, sagte Anaïk und machte sich auf den Weg zu ihrem Dienstwagen.

Das Manoir Le Stang in Forêt-Fouesnant war ein prächtiges Gebäude aus dem 15. bis 18. Jahrhundert. Es lag in einem 40 Hektar großen Park mit einem kleinen See und stellte seit vielen Jahren Gästen aus aller Welt seine 16 Zimmer zur Verfügung. Das Eingangstor zum Innenhof wurde abends durch eine schwere Kette verschlossen. Damit war gesichert, dass keine Fahrzeuge in den Hof fuhren, und die Nachtruhe der Gäste ungestört blieb. Die Fahrzeuge der Gäste standen auf einem großen Parkplatz, der durch einen Bewegungsmelder erhellt wurde, wenn jemand bei Nacht den Platz aufsuchte. Zu dem Parkplatz des Manoirs führte eine Kastanienallee. Genau auf dieser Allee hatte ein Spaziergänger den Ausweis von Sema Le Guiffant gefunden.

Das Navi in Anaïks Dienstwagen hatte sie über die voie express bis zur Ausfahrt Concarneau geführt und von dort die wenigen Kilometer zurück nach Forêt-Fouesnant. Das Manoir lag vor dem Ort, in unmittelbarer Nähe zur D 783. Auf dem Parkplatz des Manoirs standen bereits die Einsatzfahrzeuge der Gendarmerie.

„Bonjour, Madame la Commissaire, mein Name ist Armel Breton, ich habe Sie über den Fund informiert. Sie sind bestimmt die Nachfolgerin von Commissaire Ewen Kerber“, sagte der Gendarm freundlich lächelnd.

„Stimmt! Mein Vorgänger ist jetzt schon seit zwei Jahren pensioniert“, erwiderte Anaïk und sah Monsieur Breton an.

„Ja, ich hatte ein- oder zweimal das Vergnügen der Zusammenarbeit mit Monsieur le Commissaire, wenn auch nur an Rande“, sagte der Gendarm und wendete dann das Gespräch.

„Wenn Sie mir bitte folgen wollen, ich zeige Ihnen die Fundstelle.“ Er schritt zügig auf die Allee zum Eingangstor des Manoirs zu.

„Genau hier hat der Fußgänger den Ausweis des Mädchens und das Schulheft des Vaters gefunden. Ich habe mich sofort an das vermisste Mädchen erinnert und die Mordkommission angerufen.“

„Sie gehen von einer Ermordung des jungen Mädchens aus?“ Anaïk sah Monsieur Breton an.

„Ein Mädchen von 18 Jahren fährt bestimmt nicht nach Forêt-Fouesnant und geht hier am Manoir Le Stang spazieren, verliert seinen Personalausweis und ein altes Schulheft des Vaters. Meinen Sie nicht auch?“

„Da liegen Sie sicher richtig, aber es gibt zahlreiche weitere Möglichkeiten für das Auftauchen des Ausweises hier. Dennoch danke für ihre Information. Ich werde mir den Fundort ansehen.“

Inzwischen war auch Dustin Goarant, der langjährige Leiter der Spurensicherung, eingetroffen.

„Hallo Anaïk, habt ihr wieder einen Toten?“, fragte er.

„Bonjour Dustin, nein einen Toten haben wir nicht. Bestimmt hast du auch schon von der verschwundenen Familie aus Nantes gehört. Der Gendarm Breton hat uns informiert, dass ein Fußgänger hier den Ausweis des verschwundenen Mädchens gefunden hat und ein Schulheft, das wohl vom Vater stammt. Es kann nicht schaden, wenn wir uns den Fundort genauer ansehen.“

Dustin begann mit seiner Arbeit. Die Fundstelle hatte der Gendarm mit seinem Kollegen bereits weiträumig abgesperrt. Sein Kollege, Romain Bozec, trat jetzt an die kleine Gruppe heran.

„Verzeihen Sie, Madame la Commissaire, dort drüben steht der Mann, der die Sachen hier gefunden hat. Möchten Sie mit dem Mann sprechen? Er würde sich ansonsten gerne auf den Heimweg machen“, fragte er.

Anaïk wandte sich um, überlegte kurz und sagte: „Ich würde sehr gerne mit dem Mann sprechen, ich komme in zwei Minuten zu ihm.“ Dann sah sie sich noch weiter vor Ort um.

„Bonjour, Monsieur…?“

„Picard, Antoine Picard“, er reichte Anaïk die Hand.

„Monsieur Picard, Sie haben dort drüben den Ausweis von Sema Le Guiffant gefunden?“

„Stimmt, ich bin, wie beinahe an jedem Tag, von Forêt-Fouesnant aus hierher zum Manoir spaziert. Ich mag den Weg sehr gerne. Ich spaziere meistens noch durch den Park des Manoirs, sehe mir den kleinen Rosengarten an und umrunde den See. Danach gehe ich wieder zurück. Da ich gemütlich gehen muss, ich habe in beiden Kniegelenken Arthrose, gehe ich langsam und sehe daher vieles auf meinem Weg. Dabei sind mir heute der Ausweis und das Schulheft aufgefallen.“

„Warum haben Sie die Gegenstände nicht an sich genommen und aufs Fundbüro gebracht?“

„Madame la Commissaire, ich höre mehrfach am Tag Nachrichten. Daher kenne ich den Namen Le Guiffant. Als ich den Namen auf dem Ausweis gelesen habe, ist mir klargewesen, dass es sich hierbei um einen Fund handelt, der für die Gendarmerie oder police judiciaire von Interesse sein muss.“

„Haben Sie auf ihrem Spaziergang mal ein Mädchen gesehen?“

„Nein, Madame la Commissaire, ich bin hier in den letzten drei Jahren keinem Mädchen begegnet. Wenigstens keinem Mädchen alleine. In Begleitung der Eltern oder eines Freundes habe ich natürlich hin und wieder ein Mädchen gesehen. Aber das Schulheft kann hier noch nicht lange liegen, auch wenn es älteren Datums ist. Es hat gestern geregnet, und das Heft ist trocken.“

„Sie sind ein guter Beobachter, Monsieur Picard“, meinte Anaïk.

„Haben Sie den Ausweis in Händen gehabt?“, fragte sie Monsieur Picard.

„Ja, natürlich, ich habe ihn doch aufgehoben und den Namen gelesen.“

„Gut, dann würde ich Sie bitten, dass Sie meinem Kollegen ihre Fingerabdrücke geben, damit wir ihre von den anderen auf dem Ausweis unterscheiden können“, sagte Anaïk. Sie bedankte sich bei Monsieur Picard und ging zu Dustin und bat ihn, die Fingerabdrücke des Mannes abzunehmen. Dann sah sie sich weiter um.

Monique war inzwischen zum Manoir gegangen, um nachzufragen, ob dort jemand das Mädchen gesehen hatte.

„Ich habe das Personal im Schloss gefragt, ob sie in den letzten Tagen vielleicht ein junges Mädchen ohne Begleitung gesehen haben. Der Portier hat meine Frage verneint. Auch das andere Personal, ein Dienstmädchen und der Gärtner, haben niemanden beobachtet. Der Gärtner hat angegeben, dass er sowohl gestern als auch heute im vorderen Teil des Parks gearbeitet hat. Er hätte bestimmt gesehen, wenn sich ein junges Mädchen alleine hier aufgehalten hätte.“

„Gut, ich habe mit dem Spaziergänger gesprochen, der den Ausweis gefunden hat, auch er hat hier kein junges Mädchen gesehen. Der Mann hat sehr gut beobachtet. Das Schulheft ist trocken gewesen, dabei hat es gestern Abend und in der Nacht geregnet. Das bedeutet, dass das Heft erst seit heute Morgen hier liegen kann. Wie kommt ein 18-jähriges Mädchen zum Manoir le Stang?“, konstatierte und fragte Anaïk.

„Dustin wird sich weiter umsehen, wir können hier nichts mehr machen. Lass uns zurück ins Kommissariat fahren“, sagte Anaïk weiter und ging zu ihrem Wagen.

Während der Fahrt überlegten sie, ob es sich überhaupt um einen Fall für die Mordkommission handelte. Im Kommissariat ging Anaïk zu ihrer Pinnwand und skizzierte in groben Zügen den aktuellen Stand.

„Wir haben eine verschwundene Familie mit Namen Le Guiffant, den Vater Jules und die Mutter Adèle, sowie die beiden Kinder, Sema und Ravan. Der Wohnort der Familie ist Carquefou bei Nantes. Seit mehr als zwei Wochen ist die Familie spurlos verschwunden. Es fehlen Hinweise auf ein Verbrechen. Das Auto der Familie steht in der Garage, der Wagen des Sohnes fehlt. Seltsam ist, dass in dem Haus fast alle Spuren entfernt worden sind. Das Haus ist gründlich gereinigt worden. Ein Spaziergänger hat den Ausweis des Mädchens und ein Schulheft des Vaters gefunden, mehr als 200 Kilometer vom Wohnsitz der Familie entfernt. Auf was können wir schließen, Monique?“

„Nun, zuerst fällt mir dazu ein, dass die Familie in Fouesnant einen Kurzurlaub verbringen wollte.“

„Gut, wäre denkbar, dem wiederspricht aber, dass es keine Urlaubszeit ist, dass die Koffer im Haus gefunden worden sind, das Auto in der Garage steht und auch sonst nichts auf eine Urlaubsfahrt hinweist. Außerdem, warum sollte der Vater sein altes Schulheft mit in den Urlaub nehmen?“, erwiderte Anaïk.

„Und wenn die gesamte Familie aus Frankreich verschwinden wollte? Sozusagen gemeinsam untertauchen? Dann kann es sein, dass sie den Ausweis einfach weggeworfen haben.“

„Dieser Frage sind die Kollegen in Nantes wohl auch nachgegangen, so habe ich in der Zeitung gelesen. Monique, wenn du aus dem Land verschwinden willst, dann brauchst du doch zumindest deinen Ausweis, ohne Ausweispapiere wird es schwer, in einem anderen europäischen Land neue Papiere zu erhalten. Und wer wandert aus, ohne irgendwelche Kleidungsstücke mitzunehmen?“

„Vielleicht hat das Mädchen den Ausweis ja tatsächlich verloren“, sinnierte Monique.

„Das würde bedeuten, dass das Mädchen heute Morgen beim Manoir Le Stang gewesen sein muss“, sagte Anaïk und sah auf die Pinnwand.

„Und jemand hat ihn dort weggeworfen?“

„Das ist die Frage. Wenn der Ausweis nicht verloren worden ist, und es spricht noch etwas dagegen, dann muss er dort weggeworfen worden sein.“

„Was spricht noch dagegen, dass er verloren worden ist, Anaïk?“

„Das Schulheft des Vaters! Die meisten Menschen tragen ihren Ausweis im Portemonnaie. Ein altes Schulheft trägt niemand mit sich.“

„Ja, Anaïk. Es ergibt keinen Sinn, den Ausweis und ein Schulheft gleichzeitig zu verlieren. Wir können folglich davon ausgehen, dass die beiden Gegenstände absichtlich dort hingelegt worden sind.“

„So sehe ich es, Monique. Die Frage bleibt, von wem?“

„Dann halten wir ein Verbrechen für wahrscheinlich?“

„Ein Verbrechen oder bewusste Irreführung. Aber wer führt die Polizei in die Irre und warum?“

„Kann da jemand Amok gelaufen sein und will die Tat verschleiern?“

„Soweit möchte ich jetzt nicht gehen, aber seltsam ist die Sache schon. Da wir keine Leiche und somit keinen Mord haben, können wir folglich auch nicht ermitteln. Wir müssen diesen Fall von der Vermisstenstelle bearbeiten lassen. Wir teilen den Kollegen in Nantes die Information über den Fund mit und überlassen denen das weitere Vorgehen.“

„Schade, das wäre einmal etwas Abwechslung gewesen.“