Kitabı oku: «Die Kostenvermeidungsdirektive», sayfa 2

Yazı tipi:

Dieser Stammtisch war im Prinzip schon praktiziertes innerdeutsches Miteinander. Jeder hatte aufgrund seiner Erfahrungen einen anderen Blickwinkel auf die Dinge und so gab es immer wieder Grund zu mehr oder weniger sinnvollen Diskussionen, die auch meist sachlich blieben. Im Prinzip waren sich alle am Stammtisch einig: Den Flüchtlingen musste geholfen werden. Aber mit Augenmaß und Überlegung. Beides ließ die Bundesregierung in dieser Zeit leider sehr vermissen. Der Einzige, der in Deutschland versuchte, den Flüchtlingsstrom in geordnete Bahnen zu lenken, war der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer. Dafür wurde auch er sehr schnell als „Rechter“ abgestempelt. Im Endeffekt galt aber bei ihm leider auch nur der Spruch: Hunde, die bellen, beißen nicht. Er konnte rein rechtlich der Bundesregierung nichts vorschreiben. Und Angela Merkel ließ sich auch nichts sagen. Wie wurde damals so schön gelästert: Alle haben das Recht auf Merkels Meinung.

Schnell wurde es am kleinen Stammtisch ruhiger: Osaro, der nigerianische Koch, brachte selbst das Essen. Er wurde von dieser Runde aufgrund seiner Kochkunst sehr geschätzt. Klaros Meinung war, dass die Bayern keinen Kuchen backen können, wogegen Toni und Max natürlich lautstark protestieren mussten. So hatte Klaro Osaro die Rezepte für Thüringer Rahm- und Mohnkuchen verraten; seitdem brummte auch der Kaffeebetrieb am Wochenende. Wirt Alois ließ sich nicht lumpen, als er den Grund dafür feststellte. Nun gingen bei Klaro zu jedem Stammtisch, der immer am letzten Freitag eines Monats stattfand, das erste Hefeweizen und ein großer Teller Bratkartoffeln mit Leberkäs und Spiegelei auf das Haus. Er ließ es sich gefallen.

Osaro war nur als Aushilfe zufällig in der Küche gelandet. Als Alois einmal krankheitsbedingt ausfiel, kochte er einfach und zeigte, dass er die bayerische Küche sehr gut kennt. Dazu kamen noch ein paar Spezialitäten aus seiner Heimat und der „Wolpertinger“ hatte, als Alois gesundet zurückkam, eine etwas größere Stammkundschaft. Seitdem war der immer fröhliche Osaro bei Alois fest als Koch angestellt. Osaro war schon als Kind nach Deutschland gekommen und besaß die deutsche Staatsbürgerschaft. Anton hatte ihn einmal nach der Bedeutung seines Vornamens gefragt. „Gott ist hier“, antwortete Osaro und lächelte. „Welcher denn, der christliche Gott, Allah oder sonst einer?“, wollte Anton wissen und grinste. „Ich bin Katholik, also der christliche Gott. In Nigeria leben etwa 50% Muslime und 46% Christen, von Letzteren sind wiederum nur 25% katholisch“, antwortete Osaro. Seine Eltern seien geflohen, weil es immer wieder tödliche Angriffe auf die im Süden des Landes lebenden Christen gab.

Nach dem Essen fragte Toni Torsten: „Vor ein paar Tagen habe ich im Fernsehen diese Demo der Bevölkerung in Sachsen gegen die Flüchtlinge gesehen. Weshalb seid ihr Ossis nur immer so gegen andere?“

„Das sind wir überhaupt nicht. Den Bericht kenne ich. Es ging dabei um etwas ganz anderes, nämlich um die Forderung nach einer gesteuerten Migration. Blöd war nur, dass sich der Demo ein paar Rechte angeschlossen hatten - die hätten außen vor bleiben müssen.

Zum Ersten: Auch wir Ossis hatten genügend ausländische Arbeiter im Land: aus Angola, Mosambik, Vietnam, Kuba, Ungarn und dem damaligen Jugoslawien. Dazu noch die Russen als Besatzungsmacht. Probleme wird es auch damals gegeben haben, aber das wurde ja immer verschwiegen.

Zum Zweiten: Du musst die Pegida-Demonstrationen von denen der anderen Bürger auseinanderhalten. Nur ist es so, dass jeder, der mit unserer jetzigen Regierung beziehungsweise mit deren Arbeit unzufrieden ist, kein Sprachrohr hat. Damit laufen natürlich viele der AfD und Pegida zu. Zurzeit hast Du keine andere Möglichkeit, als entweder für oder gegen die Politik unserer Regierung zu sein - es wird von oben keine Schattierung dazwischen erlaubt, siehe Gabriel. Und was ich absolut nicht verstehe: 1989 nahmen wir in Kauf, erschossen zu werden oder im Stasi-Gefängnis zu landen. Und haben trotzdem demonstriert. Weshalb gehen die Wessis nicht raus auf die Straße, wenn ihnen etwas nicht passt - das ist doch jetzt viel ungefährlicher!

Zum Dritten: Wir Ossis haben schon einmal den Untergang eines Staates miterleben müssen unter Honecker. Da ist man sensibilisiert für so etwas.“

Der hagere Max nickte: „Ja, daran sieht man, dass es immer wieder zu Vorurteilen kommt, weil man nicht genügend informiert ist. Aber das wäre doch eine Aufgabe der GEZ-Kassierer!“

„Die dürfen nur das senden, was von oben erlaubt wird. Das siehst du zum Beispiel an den im deutschen Fernsehen deutlich geringeren Zahlen zu den Flüchtlingen gegenüber denen im ORF genannten. Wir leben aber heute im Informationszeitalter und jeder hat so die Möglichkeit, selbst nach konkreten Informationen zu suchen. Das sollte man auch nutzen, bevor man über irgend etwas oder irgendeinen schimpft - aber aufpassen, auf welchen Seiten man da gelandet ist“, fügte Klaro als Schlusswort hinzu.

Nach dem zweiten Hefeweizen bestellte sich Klaro ein Taxi und ließ sich nach Hause fahren, also in die Traunsteiner Mietwohnung. Die Mietpreise in Traunstein waren noch nicht ganz so in die Höhe geschnellt wie im „benachbarten“ Rosenheim, das leider von vielen Münchner Pendlern als Schlafstadt missbraucht wurde. Diese kassierten das höhere Gehalt in München und versauten aufgrund der gestiegenen Nachfrage den in Rosenheim Arbeitenden die Mietpreise. Traunstein lag schon etwas weiter weg von der Landeshauptstadt und war dadurch weniger davon betroffen.

Nach dem Begrüßungskuss sagte Gudrun wie immer, dass ihr Mann furchtbar nach dem Bier schmecke und nach Tabak stinke, obwohl er Nichtraucher war. Wie sonst soll ein Mann riechen und schmecken, wenn er aus der Kneipe kommt? Nach Parfüm? Das würde bei jeder Ehefrau sofort Misstrauen erwecken.

Er kam nach dem Duschen in die hell eingerichtete Stube. Familie Klarmann hatte sich nicht so eingerichtet, wie es durch die Marketing-Strategen gerade als 'modern' vorgeschrieben wurde mit dunkelbraunem bis schwarzem Mobiliar, sondern so, wie es ihnen am besten gefiel: eine Wohnwand im inzwischen veralteten Stil in ganz heller Buche-Optik. Diese konnte gerade noch so den weiß umrahmten LED-Fernseher aufnehmen. Ein Vorteil dieses alten Stiles war, dass man gegenüber diesen neumodischen, meist offenen, Kästen eine Menge darin staubgeschützt verstauen konnte. Dazu zartgelbe Übergardinen, deren Ton sich in den Stuhl- und Sesselauflagen wiederholte. Gegenüber der Wohnwand nahm ein riesiges Poster mit einer Rosenblüte in vielen Gelbtönen einen Großteil der weißen Wand ein. Ein großer, heller und kaum gemusterter Teppich verdeckte den größten Teil des dunklen Parkettbodens. Das Problem beim Kauf der Wohnwand war gewesen, solch eine Wohnwand noch zu bekommen: Was nicht als modern vorgeschrieben wird, ist kaum in den Läden zu finden. Sie waren nach einer Internetrecherche extra in ein Möbelhaus nach München gefahren, um die Wohnwand kaufen zu können.

Als ihr Mann ins Zimmer kam, schaltete Gudrun den Fernseher aus. "Du kannst ruhig weiter schauen, ich wollte dich nicht stören", sagte Torsten zu ihr. "Machst du auch nicht. Aber diese Dokumentation nervt mich wieder einmal, wie so viele neue Filme: Die Dialoge sind gegenüber der unterlegten Musik so leise, dass man nichts versteht. Stellst du die Lautstärke höher, wird die Musik zu laut. Ich kann nicht begreifen, weshalb das inzwischen bei jeder Sendung so sein muss! Weshalb ist es denn nicht möglich, Dialog und Musiklautstärke zu normalisieren? Ständig muss man mit der Fernbedienung die Lautstärke nachregeln, das macht einfach keinen Spaß!" "Wahrscheinlich schauen sich die Produzenten nie ihre eigenen 'Machwerke' an", vermutete er ironisch und setzte sich dann vor den PC: „Ich will nur noch schnell Mails abholen.“ „Wartest Du auf etwas?“, fragte sie ihn. „Nö, nur so mal schauen.“ Seine Frau und der Computer waren zwei Welten, die wohl nie so richtig zusammenkommen werden. Sie nutzte den PC nur als bessere Schreibmaschine. Mit dem Internet wollte sie wegen der möglichen Gefahren einfach nichts zu tun haben. Dies blieb, neben allem Technischen, sein Ressort in der Familie.

Und dann hing er doch länger an einer der E-Mails. „Was gibt es denn?“, drängte Gudrun neugierig ihren drei Jahre älteren Mann. Klaro überlegte kurz, drehte sich dann zu ihr um und fing an, zu erklären: „Wir haben doch vor, Anfang kommenden Jahres eine einwöchige Kanaren- und Madeira-Kreuzfahrt mit AHOS zu unternehmen. Ich bin gerade am Überlegen: Jetzt ist von denen ein Angebot für zwei Wochen mit der 'Atlantico' gekommen für nur 270 Euro mehr pro Person gegenüber der einwöchigen Reise. Die haben den Dampfer wohl nicht ganz voll bekommen.“

„Die 'Atlantico'?“, fragte sie. Beide hatten Ende 2011 ihre erste Kreuzfahrt auf der „Atlantico“ nach Südamerika unternommen, gleich zwei Reisen hintereinander über vier Wochen. Zwei Jahre später waren sie im Mai mit demselben Schiff zwei Wochen in Norwegen gewesen. Jedes Mal hatte es ihnen sehr gut gefallen. Man sah viele Orte, ohne jeden Tag die Koffer packen zu müssen. Es gab keine überbuchten Kabinen. Die Sauberkeit ging in Ordnung. Das Büfettessen war toll. Und beide fühlten sich irgendwie umsorgt und sicher. Sie hatten das Gefühl, so auch noch als Rentner verreisen zu können - so weit dies Rente und Miete zulassen würden.

„Und wo schippern die da lang?“, interessierte sich Gudrun für die Route. Den Begriff „schippern“ hatte sie von ihrem Mann übernommen, der in Rostock Schiffbau studiert und damit ein paar norddeutsche Begriffe in seinen Sprachschatz importiert hatte. Nur rein zufällig war er nach Abschluss des Studiums auf der Software-Schiene „gelandet“, hatte aber sehr schnell daran Spaß gefunden und war dabei geblieben.

„Kanaren, Madeira und dazu noch die Kapverden. Santiago hatte uns doch so gut gefallen vor vier Jahren. Wollen wir das nicht buchen? Die 'Atlantico' ist mit etwa 1.100 Passagieren auch nicht so groß wie die 'Caribico' mit ihren 4.500 Gästebetten, die die einwöchigen Touren fährt.“ Vor diesem riesigen „Kasten“ grauste es beiden etwas - eine Kleinstadt mit den Abmaßen von etwa 320 mal 35 Metern on Tour. Zu den Passagieren kamen ja noch mehr als 1.000 Besatzungsmitglieder.

„Wie unterscheiden sich die Touren?“, wollte sie wissen. „Beide fahren ab/bis Gran Canaria. Die 'Caribico': La Palma, Teneriffa, ein Seetag, Madeira, ein Seetag, Lanzarote. Und die 'Atlantico': La Gomera, zwei Seetage, São Vicente, Santiago, zwei Seetage, Teneriffa, La Palma, ein Seetag, Madeira, ein Seetag, Fuerteventura.“

Gudrun wurde vorsichtig: „Willst Du dir wirklich mit deinem Rückenproblem nochmals die Straßen von Santiago antun? Denk doch an die vielen Speed Bumps und die Kopfsteinpflasterstrecke auf der Rückfahrt!“

Torsten hatte vermutlich durch einen Infekt vor ungefähr zehn Jahren zwei Wirbel im oberen Bereich der Brustwirbelsäule verloren, genauer gesagt den dritten und vierten Wirbel der Brustwirbelsäule. „Vermutlich“ deswegen, weil erst auf Krebs getippt, aber trotz wochenlanger Sucherei nichts gefunden worden war. So blieb es bei der Vermutung eines Infektes als Ursache. Mit zwei Titanstangen rechts und links der Wirbelsäule wurde die physikalische Festigkeit des Skelettes wieder hergestellt. Nachteilig an den Implantaten war, dass durch das Anbohren der Rippen zur Befestigung der Stangen daran die Festigkeit der Rippen im Bereich der Verschraubung deutlich geringer als normal war. Als weiterer Nachteil erwies sich die so erfolgte Versteifung eines Teiles der Wirbelsäule. Hinzu kam, dass er nicht viel heben durfte. Für ein gefülltes Hefeweizenglas reichte es aber noch. Er musste vor allem schlagartige Einwirkungen auf die Wirbelsäule möglichst vermeiden. „Wir werden nur schon zu Beginn der Fahrt dem Guide Bescheid geben, dass der Fahrer langsam über die Kopfsteinstrecke fährt. Über die Bodenwellen ging es ja auch von allein sehr vorsichtig. Dann wird schon alles gut gehen“, dachte Gudrun laut nach. Während ihrer Südamerika-Reise gab es mehrere Ausflüge, die durch AHOS als „nicht geeignet für Schwangere und Gäste mit Rückenproblemen“ gekennzeichnet waren, meistens Jeep-Touren im Gelände. Die Inselrundfahrt auf Santiago besaß keinerlei derartige Kennzeichnung, also sollten auch Gäste mit Rückenproblemen teilnehmen können.

Aufgrund seiner Behinderung fühlte sich Torsten manchmal als Krüppel und nutzlos, zumeist dann, wenn er immer wieder Schmerzen hatte. Letzteres hing meist von der Belastung seines Rückens ab. Wenn er aber junge Menschen im Rollstuhl sitzen sah, querschnittsgelähmt oder ohne Beine, dann fühlte er sich ihnen gegenüber schon wieder privilegiert und war froh, „nur“ mit der Versteifung der Wirbelsäule leben zu müssen.

Torsten hatte dann aber doch noch einen Einwand: „Allerdings fahren die zu diesem Sonderpreis schon dieses Jahr im November - würdest Du da freibekommen?“ Sie nickte. „Wir haben doch jeder noch mindestens 16 Urlaubstage, das sollte reichen. Und meine Chefin Claudia wird froh sein, wenn die wenigstens teilweise wegkommen. Wenn wir für ein paar Tage dem nebligen Novemberwetter entfliehen können, bin ich gewiss nicht böse darüber!“

Sie waren sich einig, freuten sich auf den nun fast feststehenden Urlaub und zeigten sich hinterher, dass sie sich beide trotz der vielen Ehejahre immer noch sehr liebten und begehrten. Als sie sich mit etwa dreißig Jahren kennenlernten, hätten sie nicht gedacht, im jetzigen Alter noch Sex zu haben. Doch beide waren froh, dass es immer noch so gut klappte.

Vor einigen Monaten hatte Gudrun ihren Mann plötzlich mit der Frage konfrontiert, ob es nicht unanständig oder ekelerregend sei, in ihrem Alter noch Sex zu haben. „Wieso?“, fragte er damals erstaunt zurück. Sie antwortete: „Denke doch mal daran zurück, als wir uns kennenlernten. Damals konnten wir uns nicht vorstellen, mit mehr als fünfzig Jahren noch Sex zu haben. Jetzt sind wir so Mitte fünfzig.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch, nur weil er fünfzig, sechzig, siebzig Jahre oder noch älter ist, kein Recht mehr hat, einen anderen zu lieben. Und wenn es mit dem Körperlichen noch klappt, weshalb nicht? Oder empfindest du Ekel, wenn wir miteinander schlafen?“ Sie schüttelte den Kopf „Nein, ganz im Gegenteil - ich genieße es. Man weiß ja nie, ob es das letzte Mal war“, frotzelte sie und schmiegte sich an ihn. Er ging nicht darauf ein: „Wir stellen doch auch keine Bilder oder Videos von uns ins Internet. Also ist das unsere ganz private Sache. Nur wir müssen uns darüber klar sein, ob wir es als ekelig oder unanständig empfinden. Und was heißt unanständig? Vor mehreren Hundert Jahren durfte ein Mann seine Frau nicht auf offener Straße küssen, weil es als unanständig galt. Und heute? Die Maßstäbe ändern sich selbst während unseres, an sich kurzen, Lebens. Egal, wie jeder veranlagt ist, es sollte doch jeder das Recht haben, nach seiner Form glücklich zu werden, ohne dabei andere zu einem von diesen unerwünschten Verhalten zu zwingen.“ Er dachte kurz nach. „Natürlich kann ich mir vorstellen, dass erzwungener Geschlechtsverkehr für den oder die Gezwungene(n) als ekelig empfunden wird. Oder, wenn ein Siebzigjähriger eine Dreißigjährige anspricht und diese geht mit ihm in der Hoffnung, dass bei dem Alten nichts mehr klappt und sie für ein paar Migräne-Anfälle eine Eintragung in seinem Testament erwirken kann. Abends steht dann plötzlich der liebestolle Hecht mit seinem Viagra-gestylten Pinsel in der Tür und will noch etwas von ihr. Spätestens dann sollte sie sich darüber klar sein, was stärker ist: Der Ekel, sich von dem ‘Lustmolch’ besteigen zu lassen oder ihre Gier danach, in seinem Testament als Erbin eingetragen zu werden!“ „Natürlich kann solch ein Plan auch schiefgehen, wenn der alte Herr partout nicht sterben will. Da kann dann aus der Dreißigjährigen schnell eine Sechzigjährige werden, bevor sie erbt“, lästerte Gudrun damals abschließend.

Am darauf folgenden Montag klärten sie in ihren Firmen, ob das mit dem geplanten Urlaub funktionieren kann. Am Abend wurde die Reise für Anfang November gebucht.

Mitte Oktober, inzwischen waren weitere Zehntausende von Kriegsflüchtlingen und solchen, die vorgaben, einer zu sein, ins Land geströmt, erhielten Klarmanns ihre Reiseunterlagen.

„Sag mal, kennst Du ‘Daedalus Air Burgas’?“, fragte sie ihn. „Nie gehört, klingt aber nach Bulgaren“, antwortete er und schmunzelte: „Sei froh, dass die nicht ‘Ikarus Air’ heißen - Ikarus war abgestürzt! Ich werde nachher mal nachschauen, was das für ein Verein ist.“

„Ikarus - so hießen doch die ungarischen Busse, die in der DDR fuhren.“ „Ja, und die SED-Bonzen werden heilfroh gewesen sein, dass die am Boden blieben“, grinste er. Ohne irgendeine blöde Bemerkung loszuwerden, konnte Torsten nun mal nicht leben.

Am darauffolgenden Wochenende unternahmen beide nach etwa fünf Wochen wieder mal einen Spaziergang zur Mariandlbergalm. Es ging in Mittelgebirgshöhe durch den Wald ohne Kraxelei. Diesen Weg hatten sie oft genutzt, wenn es ihnen für eine "echte" Bergtour zu warm war oder zu neblig. Der Vorteil dieses Weges bestand darin, dass hier ein Schild angebracht war: "Wildeinstand - Hunde anleinen". Gudrun war schon als Dreijährige von einem Hund attackiert worden, vor zwei Jahren auf einer Bergtour wieder. Torsten, der damals vorausging, hörte nur ein Hecheln. Er drehte sich um und sah einen großen weißen Hund von hinten auf Gudrun zurennen. Sofort rannte er mit ausgestrecktem Trekkingstock dem Tier entgegen und brüllte es an. Dies stoppte erst einmal den Angreifer; ein bösartiges Knurren ließ aber erahnen, dass dieser nicht "zum Spielen" gekommen war. Gudrun war vor Schreck gestürzt und stand langsam wieder auf, während Torsten den Hund auf Abstand hielt. Nach endlosen drei Minuten erschien eine junge Frau und pfiff ihren Vierbeiner zurück. Auf die Beschwerde von Klarmanns, den Hund besser unter Kontrolle zu halten, gab es nur ein höhnisches "Es ist doch nichts passiert!"; danach verschwand sie sehr schnell, als Klarmanns sie um ihre Personalien baten. Es sollte doch jedem selbst überlassen bleiben, ob er sich von fremden Hunden beschnüffeln lassen will oder nicht!

Aus diesen Gründen war ihnen der Weg zur Mariandlbergalm sehr lieb, hier mussten die Vierbeiner angeleint werden. Doch beim letzten Mal trafen sie auf ein Paar, das seinen größeren Hund frei laufen ließ und gleich an beiden herumschnüffelte. Auf eine entsprechende Bitte von Torsten, den Hund anzuleinen, wurden beide pampig: "Leg di selber an die Leine, verdammter Saupreiß!" Sind wir hier in einer hündischen oder menschlichen Gesellschaft? Torsten bezähmte seinen aufsteigenden Ärger und verwies auf das an beiden Enden des Weges angebrachte Schild. Als Antwort erhielt er, dass beide selbst hier Waldeigentümer seien und das Schild für sie nicht gelte. Torsten vertrat die Meinung, dass sich auch der Gesetzgeber an die von ihm erlassenen Gesetze zu halten hat. Daraufhin trollten sich beide mit ihrem Hund. Es ist schlimm, wenn sich manche Menschen für etwas Besseres halten als andere. Dies ist immer wieder Grundlage für Streit, Zank oder gar Kriege. All das benötigt aber kein normal denkender Mensch! Beide diskutierten auf dem restlichen Weg über Intoleranz als eine der Grundlagen von Radikalisierung. Und um die Anleinpflicht ging es. Gudrun wäre es am liebsten, wenn es eine generelle Anleinpflicht geben würde. "Dann kann aber niemand, der über kein Privatgrundstück verfügt, einen Hund frei laufen lassen", entgegnete Torsten. Doch dafür hatte sie auch eine Lösung: "Dann wird die Hundesteuer leicht erhöht und aus den zusätzlichen Einnahmen stellt jede größere Gemeinde ein abgezäuntes Stück Land zur Verfügung, wo die Hundebesitzer ihre Vierbeiner frei laufen lassen könnten." Torsten zweifelte daran, ob dies die allein selig machende Lösung sein sollte. "Sicher haben die Tierschützer garantiert etwas gegen eine generelle Anleinpflicht." Gudrun wurde sauer: "Die sollen erst einmal ihre Hausaufgaben machen. Da wird doch geplant, Bären und Wölfe wieder flächendeckend in Deutschland anzusiedeln. Wer traut sich denn dann noch in den Wald? Beide Tierarten sind garantiert nicht überzeugte Veganer. Und wenn die nicht genügend zum Fressen finden, werden Zuchttiere, wie zum Beispiel Schafe, gerissen. Die Bauern werden sich freuen! Und was hat das mit Tierschutz zu tun, wenn dann Schafe und Ziegen gerissen werden? Die sollen doch erst einmal ein Referendum unter den Schafen starten, ob die sich lieber vom Menschen schlachten oder vom Wolf reißen lassen wollen. Bei welcher Todesart leidet denn das betroffene Schaf mehr?" Darauf wusste auch ihr Angetrauter keine Antwort.

Das Resultat der Begegnung vor fünf Wochen war heute sichtbar: Das Anlein-Schild war verschwunden. Beide mutmaßten, ob das Paar das Schild einfach bei Nacht und Nebel entfernt hatte oder ob die Waldbauern einen entsprechenden Beschluss gefasst hatten. Zu einem Ergebnis kamen sie aber nicht. Nun konnte sich dieser höherwertig fühlende Bayer sicher sein, nicht mehr von niedrigeren "Saupreißn" berechtigt gemaßregelt zu werden. Doch dieses Verhalten hat nichts mit Bayern zu tun, leider können wir so etwas tagtäglich überall auf der Welt erleben. Am anderen Ende des Weges waren beide etwas überrascht: Hier hing das Schild noch! Also stand für Klarmanns fest, dass die angesprochenen Hundebesitzer das Schild bei Nacht und Nebel "entsorgt" hatten und dies nicht offiziell durch die Waldeigentümer erfolgt war. Auf dieser Seite des Weges wäre es wohl doch irgend jemandem aufgefallen, da man durch die Fenster der Mariandlbergalm genau in Richtung des Schildes schaute. Torsten fotografierte das verbliebene Schild, vielleicht könnte er das Foto noch irgendwie gebrauchen.

Ende Oktober gab es den letzten kleinen Stammtisch vor Klaros geplantem Urlaub. Egal, wo man sich befand - ohne das Thema „Flüchtlinge“ gab es seit Wochen keine Diskussion mehr. Die Wunschblase von Regierung und Industrie nach einem hohen Anteil sehr gut ausgebildeter Syrer war inzwischen geplatzt. Es würde Jahre dauern, bis die Ersten hier in Arbeit kommen würden. Da war nicht nur die Sprachbarriere, sondern es mussten auch in vielen Berufen die hiesigen, meist anderen Vorschriften und Regelungen erlernt werden.

Doch damit tat sich eine neue Frage auf: Wie lange wird das unser, nun auf den Kopf gestelltes, Sozialsystem aushalten? Normalerweise zahlt man ein und erhält irgendwann bei Bedarf Krankengeld, medizinische Versorgung und Rente. Jetzt ist es plötzlich so, dass erst einmal sehr viel ausgezahlt werden muss, ohne dass neue Beitragszahler hinzugekommen sind.

Und wie lange können die Kommunen und Länder das stemmen, was ihnen die Bundesregierung ungefragt aufs Auge gedrückt hat? Letztere zahlte nur einen geringen Anteil der echten Kosten. Einige bereits stark verschuldete Städte rutschten so noch weiter in die Nassen.

Außerdem waren inzwischen mehrere Zehntausende an Flüchtlingen mit Erlaubnis der deutschen Regierung unkontrolliert ins Land geströmt und davon schon einige Tausend untergetaucht mit unbekanntem Aufenthaltsort. Wie sich das auf die innere Sicherheit auswirken würde, konnte man nur vermuten.

Neben der Flüchtlingsfrage interessierte Torsten noch etwas anderes, was er schon immer mal Anton fragen wollte: „Was ich jetzt frage, soll weder ein Angriff gegen dich oder irgendeinen anderen Bauern sein. Ich würde nur mal gern deine Meinung dazu hören: Gudrun hatte heute ihren freien Tag und musste zweimal die Wäsche wieder vom Balkon holen, weil der Gassner-Bauer gleich zweimal gegüllt hatte. Die nasse Wäsche nimmt ja diesen ekeligen Gestank sehr schnell an. Wie ich aber gelesen hatte, gibt es die Möglichkeit, durch Zugabe eines bestimmten Salzes den Gestank zu vermeiden - weshalb wird das nicht praktiziert?“ „Weil die meisten Bauern so schon kaum in den schwarzen Zahlen bleiben können. Sieh dir doch die Milchpreise bei den Discountern an - davon kann man kaum überleben!“, regte sich Anton sofort auf.

„Also Gudrun und ich würden sehr gern 10, 20 oder auch 30 Cent mehr pro Liter Milch zahlen, wenn dadurch der Gestank vermieden würde. Bei Gudrun ist es ja auch ihr Asthma, das nach jedem Güllen wieder stärker wird.“

Anton lachte höhnisch: „Da seid ihr aber die Einzigen. Geiz ist geil, ist die Devise! Egal, wie andere darunter leiden. Und hat ein Discounter den Preis gedrückt, ziehen alle anderen nach. Sollte sich irgendwann euer Preis im Supermarkt durchsetzen, kommen von zehn Cent maximal zwei beim Bauern an - das ist die Realität!“

„Ich finde es aber echt Scheiße, wenn man auf dem Balkon sitzt, in Richtung der Berge zum Hochfelln schaut, will Kaffee trinken und dann wird der Geruch des frischgebackenen Kuchens von dieser bayerischen Gülle-Idylle übertüncht - igitt! Stört dich das denn nicht?“

Anton machte den Vorstellungen von einem bayerischen Bauern alle Ehre, indem er verschmitzt äußerte: „Na, i ward mid am Odln, bis i da Kafä gsuffa hob!“ Das lautstarke Lachen am kleinen Stammtisch tönte durch das gesamte Wirtshaus. Dann mischt sich Max, immer noch lachend, ein: „Könnte denn nicht der Bauernverband oder eine Verkaufsgenossenschaft da Abhilfe schaffen? Arbeit soll sich lohnen, tönt es immer aus dem Arbeitsministerium. Meiner Meinung nach aber für alle und nicht nur für die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer!“

Torsten brachte noch ein anderes Problem auf den Tisch: „Es ist ja nicht nur der Güllegestank, der Gudruns Asthma zu schaffen macht. Unter uns wohnt ein Spätaussiedler aus Kasachstan, Anatoli Scheggers, zusammen mit seiner Frau. Beide sind bis auf einen einzigen Punkt an sich Musternachbarn: Es gibt kein Geschrei oder Krawall zur Nachtruhe. Ich verstehe nur etwas nicht: Da kommen Menschen, die seit Generationen in Russland gelebt haben, aufgrund ihrer Abstammung nach Deutschland. Und was machten Scheggers als Erstes nach ihrem Einzug in die Wohnung? Es wurde eine riesige Sat-Schüssel installiert, damit sie den ganzen Tag weiter Putin-TV gucken können! Weshalb sind sie dann nicht in Russland geblieben? Aber um zum Thema zurückzukommen: Der Anatoli selbst ist äußerst stark nikotinsüchtig: Der muss nur am Fenster hinter der Gardine sitzen und warten, bis er sich die nächste Kippe anzünden kann. Aller fünf bis zwölf Minuten zündet er sich auf dem Balkon eine Zigarette an. Dabei stinkt das so wie getrocknete Pferdeäpfel - wir wissen nicht, ob er da eine aus Russland importierte Machorka-Mischung raucht oder aus Kostengründen echt das, wonach es riecht. Wir hatten schon versucht, vom Balkon aus mit ihm zu reden, ohne jeden Erfolg. Wir können ja den Balkon so gut wie nicht mehr nutzen, weil er ständig vor sich hin stinkt. Und wir haben auch nichts dagegen, dass die Spätaussiedler, ohne jemals einen Pfennig in unser Sozialsystem eingezahlt zu haben, eine Rente erhalten. Aber dann sollen sie doch nicht denjenigen, die ihre Rente erarbeiten, auch noch die Balkonnutzung vermiesen. Würde er alle halbe Stunde mal eine rauchen, wäre das kein Problem für uns. Letztes Wochenende war es wieder so schlimm, dass Gudrun versuchte, mit der kleinen Gießkanne für die Geranien seine Kippe zu treffen - er hält seine Gichtfinger mit der Fluppe immer über den Balkon, um ab und zu eine Aule drüber zu spucken und ihr genussvoll hinterher zu schauen - drunter wohnen möchte ich echt nicht! Gudrun hatte beim vierten Anlauf die Fluppe getroffen - zwei Minuten später klingelte er bei uns. Ich habe ihm erklärt, dass auch wir unseren Balkon nutzen möchten: Die Wäsche stinkt nach seinen Pferdeäpfeln, die Frau bekommt Asthmaanfälle und selbst mir mit gesunden Lungen und Bronchien ist dieser Dauergestank zu viel. Ich schlug ihm vor, dass er exakt zu jeder vollen und halben Stunde rauchen könne, dann könnten wir immer zehn Minuten danach den Balkon nutzen. Er drehte mit Gebrummel wieder ab und ich rief ihm ein ‘Do swidanja’ nach - so viel ist von meinem erzwungenen Russischunterricht auf alle Fälle noch übrig geblieben. Was machte ‘unser’ Anatoli? Er ging sofort auf den Balkon und steckte sich die nächste Kippe an!“

„Euch wird nichts anderes übrig bleiben, als bei solch einem Sturkopf euch einen Anwalt zu nehmen“ war die Meinung von Max.

„Und was kommt dabei heraus außer Ärger mit den Nachbarn? Wohl kaum eine reale Balkonnutzung für uns, der Anatoli wird einfach so weiter machen. Und wir müssen tagelang protokollieren, dann erneut klagen. Bei solchen egoistischen Leuten wäre es das Beste, wenn es getrennte Häuser für Raucher und Nichtraucher gäbe. Aber das wird wohl ein Wunschtraum bleiben! Du kannst dieses Pascha-Gehabe auch sehen, wenn er mit seiner Frau einkaufen geht: Der Zwerg marschiert vorweg, auf dem Kopf eine Helmut-Schmidt-Mütze und auf der Nase seine Brille mit den kleinen, kreisrunden Gläsern. Seine Frau mit Kopftuch und Krückstock folgt mit drei Meter Abstand ihrem ‘Gebieter’. Kommen sie zurück, dann trägt sie den Einkaufsbeutel, er hat mit dem Transport seiner Kippe genug zu tun. Gudrun meinte einmal, dass sie mich erschlagen würde, wenn ich mich so verhalten werde.“

Die Diskussion zu beiden Themen nahm noch die restliche Zeit bis zum Essen ein, welches wieder durch Osaro persönlich serviert wurde.

Nach dem Essen brachte Toni ein ganz anderes Thema zur Sprache. Seine Tochter Anna, eine kleine, inzwischen dreizehnjährige Nachzüglerin, hatte ein schreckliches Erlebnis: Eine ihrer Klassenkameradinnen unternahm mit Tabletten einen Selbstmordversuch. Glücklicherweise konnte ihr im Klinikum rechtzeitig der Magen ausgepumpt werden. „Die hat das nur gemacht, weil gegen sie auf Facebook ein Shitstorm losgetreten worden war. Und der Grund: Sie trug keine Markenklamotten und hatte kein hochmodernes Smartphone, weil ihre Eltern wenig verdienen! Wie kann es denn so etwas geben?“

„Das ist eben das Unsoziale an diesen sogenannten sozialen Medien!“, war Oles Meinung. „Wer war denn der Auslöser? Garantiert einer ihrer Klassenkameraden, sonst kann das doch kaum einer wissen. Und dann beteiligen sich Unzählige an so etwas, ohne das Mädchen zu kennen. Da kann man nur den Kopf darüber schütteln!“

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
340 s.
ISBN:
9783738080636
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu