Kitabı oku: «Leoparden unter kaltem Mond», sayfa 5

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Dr. Roland Breedveld trug einen weißen Kittel über seinem knochigen Körper. Sein kurz geschnittenes Haar wurde durch einen säuberlichen Seitenscheitel geteilt. Er hielt die Handrücken nach vorn gewandt. Jemand, der nicht gern etwas von sich preisgibt, dachte Arissa.

Breedveld gab ihnen nicht die Hand, sondern begnügte sich mit einer Art zackigem Kopfnicken. Ein eingefleischter Wissenschaftler, konstatierte Arissa stillschweigend. Unbeholfen im Umgang mit Menschen, höchstwahrscheinlich misanthropisch. Überaus pedantisch und kontrolliert. Lebt allein oder mit einem Haustier, vorausgesetzt, er empfindet Haustiere nicht als schmutzig. Sie schnupperte verstohlen. Der Mann roch stark aseptisch - ein Geruch, der von seinen rotgeschrubbten Händen auszugehen schien.

Roland Breedveld warf den Kriminalbeamten aus Köln einen griesgrämigen Blick zu. Die Frau sah wie ein Model aus. Auf jeden Fall war sie viel zu hübsch für eine Kriminalistin. Sie war auch wie ein Model angezogen. Schwarze Stiefeletten mit Absatz und ein flatternder roter Hosenanzug mit einer lächerlich kurzen Jacke. Die Stiefelabsätze waren kompakt und nicht besonders hoch, aber trotzdem: Was, wenn sie im Notfall schnell rennen musste? Und der Kerl neben ihr sah wie ein Säufer aus. Der Mann hatte Ödeme im Gesicht, verschwiemelte Augen und mindestens dreißig Kilo Übergewicht. Aber inzwischen gab ja es die unmöglichsten Kandidaten bei der Kripo. Außerdem hatte der Kerl einen aufsässigen Blick. Der nahm bestimmt kein Blatt vor den Mund und wurde schnell unverschämt. Ein ungehobelter Typ. Breedveld rümpfte die Nase und schloss die Tür seines Labors. Also würde er den beiden Praktikern aus Köln jetzt mal ein paar wissenschaftliche Grundlagen vermitteln. Wahrscheinlich würde er bei Adam und Eva anfangen müssen. „Was wissen Sie über Tierhaare?“, fragte er das Model mürrisch.

„So gut wie nichts.“ Carolin Arissa lächelte entwaffnend. „Am besten fangen Sie bei Adam und Eva an.“

Breedveld musterte sie verblüfft. Immerhin gab sie ihre Unwissenheit zu, das war schon mal ein Anfang. Meistens hielten sich die Praktiker doch für verkappte Genies und rissen ihre Mäuler auf wie Scheunentore. „Dann kommen Sie bitte mal hierher zum Rasterelektronenmikro“, sagte er eine Spur verbindlicher. „Setzen Sie sich.“ Er justierte die Knöpfe so lange, bis er das Bild zweier Haare auf dem Monitor scharf hatte. „Links sehen Sie ein menschliches Haar, rechts eins der drei Tierhaare, die Sie mir zur Analyse geschickt haben.“ Carolin betrachtete die beiden dicken Stränge, die von unterschiedlich geformten Schuppen bedeckt waren.

„Menschliche und tierische Haare lassen sich relativ leicht voneinander unterscheiden“, dozierte Breedveld und beugte sich über Arissas Schulter. „Ausgenommen die Haare einiger Menschenaffen natürlich. Am leichtesten kann man sie anhand der Cuticula auseinander halten. Die Cuticula ist das Haaroberhäutchen, das Sie hier sehen - die stabile äußere Schicht, die für die Widerstandsfähigkeit des Haars verantwortlich ist. Sofern die Haarstruktur nicht durch Laugen, Säure oder Flammen vernichtet wird, können Haare sogar noch auf verwesten Leichen identifiziert werden.“

Nick Merill rollte die Augen zur Decke. Wollte der alte Langweiler ihnen den ganzen Tag Sachen vorkauen, die jeder Kriminalist schon mit der Muttermilch einsog?

„Sie werden bemerken, dass die Schuppen der Cuticula bei dem menschlichen Haar und dem Tierhaar vollkommen verschieden sind.“ Arissa nickte. Die Schuppen des Menschenhaars waren ringförmig, während die Schuppen des Tierhaars sich in unregelmäßiger Weise überlappten. Merill seufzte vernehmlich, und Roland Breedveld kniff die Augen zu einem dünnen Schlitz zusammen.“ Das rechte Haar stammt von einem Tier, das wir eindeutig als Hund klassifiziert haben, wobei die…“

Was für ein Hund?“, fuhr Nick dazwischen.

„Das erkläre ich gleich.“ Breedveld würdigte den ungehobelten Kerl mit dem Bierbauch keines Blicks. „Das Hundehaar ist 14,2 Zentimeter lang. Wie Sie sehen, ist es nahe der Wurzel stahlgrau und wird dann allmählich lohfarbig. Das Haar stammt aus dem Deckhaar des betreffenden Hundes. Es hat keine Spitze, stammt also von einem Hund, der getrimmt wurde. Das gleiche war bei den beiden anderen Haaren der Fall, die Sie mir gesandt haben. Es gibt nicht besonders viele Hunderassen, deren Fell getrimmt wird.“ Er machte eine wirkungsvolle Pause und drehte sich zu dem Dickwanst um. „Telogene, also ausgefallene Haare wie dieses weisen keine Wurzel auf, wie Ihnen sicher bekannt ist. Wir konnten es also für eine DNA-Analyse nicht verwenden.“

„Aber bei den zwei anderen Haaren-“, warf Arissa ein.

„Gewiss, gewiss, das erläutere ich gleich. Bitte kommen Sie jetzt zu diesem Durchlichtmikro hinüber“, sagte er zu Arissa. Carolin hockte sich vor das Durchlichtmikroskop und schaute durch das Okular, während Merill gelangweilt auf den Monitor des Rasterelektronenmikroskops starrte. „Hier sehen Sie einen Querschnitt des betreffenden Hundehaars. Ein Stück des Haars ist in einen Paraffinblock eingeschlossen, den man in Scheiben geschnitten hat. Im Querschnitt sehen wir drei Teile: außen die uns bereits bekannte Cuticula aus überlappenden Schuppen, und weiter innen die pigmenthaltige Haarrinde, Cortex genannt. Sie enthält die Pigmentpartikel, die dem Haar seine charakteristische Farbe geben. Ganz im Inneren sehen wir die Medulla, den Haarmarkstrang. Die Medulla kann fragmentiert oder durchgängig sein. Diese Medulla hier ist durchgängig. Der Markstrangindex, also das Verhältnis von Mark- zur Gesamtbreite bei diesem Haar beträgt-“

„Zum Teufel, was soll uns der Markstrangindex, Breedveld?“, unterbrach Merill ihn unwirsch. „Warum sagen Sie uns nicht einfach, was für ein Hund das ist?“

Roland Breedveld kniff die Nasenflügel zusammen und richtete sich auf.

„Yorkshire-Terrier“, sagte er zwischen den Zähnen.

„Yorkshire-Terrier!“ Arissa sprang vom Hocker auf. Einer dieser kleinen, herumflitzenden Staubwedel, die Passanten ankläfften und angriffslustig an ihnen hochsprangen. Ihr Gesicht zog sich enttäuscht in die Länge. „Oje, von denen gibt es in Deutschland eine ganze Masse.“

„Ihre Anzahl hat sich in den letzten Jahren erheblich erhöht“, bestätigte Dr. Breedveld resigniert und knipste das Rasterelektronenmikroskop vor Merills Nase aus.

„Ist es ein Männchen oder ein Weibchen?“ Arissa setzte sich wieder.

„Weibchen.“

Arissa bedachte ihn mit einem bewundernden Lächeln. „Vielen Dank für Ihre erhellenden Erläuterungen, Dr. Breedveld. Es wäre hilfreich für uns, wenn Sie uns noch ein bisschen mehr über Yorkshire-Terrier erzählen könnten. Bestimmt wissen Sie gut über diese Rasse Bescheid?“

„Gewiss“, erwiderte Breedveld angespannt, klang jedoch schon wieder ein klein wenig versöhnt. Er drehte Merill den Rücken zu, formte die Fingerspitzen zum Zelt und blickte konzentriert ins Leere. „Yorkshires stammen aus Großbritannien, wo sie im neunzehnten Jahrhundert von Bergleuten gezüchtet wurden. Der Yorkshire ist ein Rassehund und hat eine Widerristhöhe von etwa vierundzwanzig Zentimetern. Er wiegt ungefähr sechs Pfund. Die Ohren sind spitzwinklig, und der pechschwarze Nasenspiegel wird mit wachsendem Alter heller.“ Breedveld griff nach einem schmalen Lineal und trommelte sich damit auf den Handrücken. „Das Fell dieser Tiere wirkt wie ein seidiger Vorhang und changiert von leuchtender Lohfarbe zu düsterem Stahlgrau. Diese Hunde müssen täglich intensiv gebürstet werden. Darüber hinaus sollten die Haare in einem Trimmsalon regelmäßig geschnitten werden.“

„Was für einen Charakter haben diese Hunde?“, hakte Carolin nach.

Breedveld zuckte die Achseln. „Yorkshires gelten als Energiebündel. Sie sind zäh und eigensinnig, dabei quicklebendig. Yorkshires wurden ursprünglich zur Rattenvernichtung eingesetzt. Obwohl die Tiere klein und goldig aussehen, sind sie waschechte Terrier. Sie sind wachsam und verbellen Räuber und Eindringlinge. Durch die starke Überzüchtung gibt es leider auch eine Menge verkümmerter Tiere.“

„Wie viele Yorkshires gibt es Ihrer Ansicht nach derzeit in Deutschland?“

„Viele“, erwiderte Roland Breedveld erschöpft und strich sich über seinen exakten Seitenscheitel. „Wenden Sie sich an einen der Züchterverbände, die müssten die genauen Bestandszahlen kennen.“ Er erhob sich brüsk, und Arissa und Merill begriffen, dass ihre Audienz zu Ende war.

„Es war gut, dass wir zu Ihnen gekommen sind“, sagte Arissa sonnig. „Wir hätten uns am Telefon niemals ein so detailliertes Bild machen können.“ Roland Breedveld lächelte zum ersten Mal, während ein schwaches Rosa seine grauen Wangen belebte. „Wir bedanken uns herzlich, dass Sie uns ihre Zeit gewidmet haben“, fügte sie hinzu, und tatsächlich streckte Roland Breedveld ihr zum Abschied die Hand entgegen.

„Wenn Sie den verdächtigen Hund gefunden haben, übernehme ich gern die notwendigen Analysen, Hauptkommissarin Arissa.“ Er machte eine militärisch knappe Verbeugung. „Frau Herbolz macht Ihnen dann noch eine Kopie des DNA-Berichts.“

„Hätte der alte Neurotiker uns nicht einfach am Telefon sagen können, dass es sich um einen weiblichen Yorkshire-Terrier handelt?“, nörgelte Merill, nachdem sie wieder in ihrem Auto saßen. „So ein verdammter Pedant!

„Lass es gut sein, Merill. Es wäre doch abwegig gewesen, Breedveld unnütz zu verärgern. Man weiß nie, wozu man einen Tierhaarspezialisten noch mal braucht.“

Nick seufzte ergeben. „Jetzt gehen wir also auf die Suche nach Haltern von weiblichen Yorkshire-Terriern. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie viele das sind.“

„Ich schlage vor, dass wir alle Yorkshire-Terrierhalter in einem Radius von sechzig Kilometern rund um den Leichenfundort überprüfen. Solche Informationen findet man bestimmt im Hundehalterverzeichnis.“

Merill drosselte das Tempo und bremste gleich darauf scharf; die Autobahn war brechend voll. „Da die Nieren des Kleinen anscheinend von einem Fachmann rausgeschnitten wurden, haben wir jetzt also zwei Anhaltspunkte. Wir suchen nach einem Chirurgen und nach einem Yorkshire-Terrierbesitzer. Und wenn Gott auf unserer Seite ist, entpuppen sich beide als ein- und dieselbe Person. Nicht gerade verheißungsvoll.“

13
Recife, 11. September 2000

Fuscão Pereira rümpfte die Nase unter seinem Mundschutz. Dieser beißende Blutgeruch war abscheulich. Er wischte das an den Flanken des Kindes herunter rinnende Blut ab und blickte prüfend auf die Innenfläche der kleinen Hand, die unter dem Laken hervorlugte. Selbst bei hellhäutigen Mulatten war eine bläuliche Verfärbung der Haut nicht leicht zu erkennen. Doch die Hand sah okay aus. Es bestand also kein Sauerstoffmangel. Er seufzte und stellte die Dampfkonzentration des Halotan niedriger. Der Alte arbeitete immer mit Halotan, obwohl es inzwischen völlig aus der Mode war. Halotan war eine süßlich riechende, klare Flüssigkeit, die lichtempfindlich war und deshalb in dunklen Flaschen gebunkert wurde. Lange Zeit hatte die halbe Welt Halotan eingesetzt, aber in letzter Zeit wurde es immer mehr von Enfluran und Isofluran verdrängt. Der Alte aber bestand immer auf dem guten, alten Halotan, denn es ließ die Muskeln erschlaffen. Das hielt den Verbrauch an Muskelrelaxantien niedrig, sodass man Kosten sparte. Allerdings mussten sie Lachgas dazutun, damit es die Schmerzen anständig unterdrückte.

Gallaghers CD-Player stoppte, und in der sich entfaltenden Stille hörte Pereira das vertraute Rasseln in seinem Brustkorb. Gallagher machte leise schabende Geräusche mit dem Skalpell. Dann klang ein feierlich getragenes Kyrie durch den Raum, das ihm geläufig war, denn der Alte spielte es bei jeder Explantation: die D-Dur Messe von einem Kerl namens Antonin Dworschak. Pereira entspannte sich, denn die Klänge waren sanft und lange nicht so aufwühlend wie dieser Rachmanninoff.

Todd Gallagher arbeitete in schweigender Konzentration an der Freilegung der Leber, den Blick auf die blutige Wundhöhle des Kindes gerichtet. Pereira beobachtete ihn scharf und wischte das unaufhörlich hervorsprudelnde Blut ab. Zwar sollte als erstes das Herz entnommen werden, doch zuvor musste der Alte an die Leber ran, und das dauerte einige Zeit. Eigentlich war Pereira eine Multiorganentnahme wie heute sogar lieber als eine OP, bei der nur ein einziges Organ herausgeschnitten wurde. Jeder Spender hatte schließlich einen ganzen Sack voller Organe: Herz, Herzbeutel und vier Herzklappen, zwei Lungenflügel, zwei Nieren und eine Leber. Dazu eine Bauchspeicheldrüse, zwei Augenhornhäute und zwei Hüftgelenke.

Was ihm aber bei einer Multiorganentnahme am besten gefiel, war, dass das Kind ein für alle Mal tot war. Jedenfalls dann, wenn das Herz zuerst herausgeschnitten wurde. Dann starb das Kind auf der Stelle, und der überflüssige Beatmungsapparat wurde abgestellt. Die Explantation ging natürlich trotzdem weiter. Wenn der Alte aber bloß die Nieren oder die Leber rausschnitt, war das Herz intakt und pumpte weiter. Dann starben die Pivetes durch Ausbluten, denn natürlich bekamen sie keine Blutkonserven: Jede Explantation endete unwiderruflich mit dem Tod.

Aber die Straßenkinder waren jung und zäh. Sie hatten starke Herzen, und so zog sich dieses Ausbluten ganz schön lange hin, weshalb Gallagher die Sache beschleunigte. Pereira erinnerte sich schaudernd seiner ersten Erfahrung mit einer solchen „Beschleunigung“. Nachdem Gallagher einem elfjährigen Straßenkind die Nieren herausgeschnitten hatte, schlitzte er mit einer Klinge die Vena cava auf und steckte einen Operationssauger hinein. Das Ding hatte die etwa dreieinhalb Liter Saft, die der kleine Körper noch enthalten mochte, mit einem Affenzahn herausgesaugt.

Pereira hatte fassungslos zugesehen, wie der Pivete immer bleicher wurde. Und während er noch wie vom Schlag gerührt dabeistand, hatte Gallagher Handschuhe und Schutzbrille auf den Boden geschleudert und war in sein Schlafzimmer gestürzt. Nach acht Minuten war er wieder aufgetaucht, hatte saubere Handschuhe angezogen und die Wunde des toten Jungen mit schlampigen Stichen vernäht. Doch mit der Zeit gewöhnte man sich an alles.

Schlimmer als der Sauger waren nur noch komplette Knochenentnahmen, nach denen die Kinder in sich zusammenfielen wie Lumpensäcke. Jesus sei Dank waren Knochenentnahmen selten. Fuscão erhob sich von seinem Drehschemel am Kopfende und verringerte die Konzentration des Halotan. Je länger die Narkose dauerte, desto weniger Halotan war nötig, da die Muskel- und Fettdepots des Kindes mit dem Betäubungsmittel gesättigt waren. Er zog das weiße Tuch höher über das Gesicht der Kleinen und warf einen forschenden Blick auf seinen Boss, der schweigend und versunken an der aufgespreizten Bauchhöhle arbeitete.

Der Sauger und die Knochenentnahmen waren ekelhaft, aber im Grunde ließen ihn Organentnahmen kalt. Es war nur der Geruch. Dieser widerliche Schlachthausgeruch. Aber das war wirklich das einzige, was ihn störte. Natürlich war es ein bisschen gruselig, einen völlig ausgeweideten Bauch anzustarren, aber Magenschmerzen bekam er davon nicht. Einzig der Moment, in dem die Pivetes starben, war abscheulich. Gerade waren die Kinder noch rosig und lebenswarm, und schon Sekunden später erblasste ihre Haut zum Ton fahler Asche.

Todd Gallagher fühlte, wie sein Blutdruck stieg, und eine unangenehme Anspannung sich bemerkbar machte. Er verzog das Gesicht, während er den verrutschten linken Bauchdeckenlappen mit Klemmen festzurrte. Bei Multiorganentnahmen brauchte man ein strenges Timing. Er warf einen nervösen Blick auf die Gänseuhr und atmete auf. Noch genügend Zeit. Die Zeit war wichtig, weil die einzelnen Organe unterschiedlich rasch verrotteten.

War erst das Herz entnommen, begann das Wettrennen gegen die Uhr. Eine Leber blieb achtzehn Stunden frisch, eine Bauchspeicheldrüse nur zwölf. Herz und Lunge musste man immer als erstes herausholen, da sie am schnellsten verwesten. Bei Leber, Bauchspeicheldrüse und Nieren konnte man es ein wenig geruhsamer angehen, denn ihre Ischämietoleranz war höher. Doch wenn man von Augenhornhäuten absah, konnte man menschliche Organe eigentlich nicht lagern. Nur bei Nieren war es anders: Sie konnten, je nach der verwandten Konservierungslösung, zwischen vierundzwanzig und sechsunddreißig Stunden frisch gehalten werden.

Gallagher beugte seine Schultern über die klaffende Wundhöhle des Mädchens, um schärfer zu sehen, und schlang die Aorta ascendens an. Ein Herz zu entnehmen, war keine große Sache, es dauerte kaum mehr als fünfundzwanzig Minuten. Der einzige Haken war, dass es noch in derselben Nacht in den neuen Empfänger implantiert werden musste. Die ganze Prozedur von Entnahme, Konservierung, Transport und Wiedereinpflanzung musste in höchstens vier Stunden über die Bühne sein, was eine Menge logistischer Probleme aufwarf. Doch ihre Organtransporte waren immer gut organisiert. Dieses Herz hier würde in einer halben Stunde von einem als Fast-Food-Auslieferer verkleideten Boten der Privatklinik Lucimar Siqueira abgeholt werden. Die restlichen Organe würde Pereira später mit seinem eigenen Wagen in die Klinik bringen. Gallagher zog ein steriles Küchenhandtuch vom Stapel und trocknete sich das schweißüberströmte Gesicht.

Pereira bückte sich fluchend, denn sein dicker Bauch war ihm im Weg. Gewissenhaft kontrollierte er die Gefäße für Aufnahme und Transport der Organe. Die entnommenen Organe mussten ständig gekühlt werden, durften aber unter keinen Umständen mit Eis in Kontakt kommen. Als erstes kamen sie deshalb in einen Organbeutel, der kalte Perfusionslösung enthielt. Dieser Beutel wurde fest verschlossen. Dann kamen Herz, Leber oder Nieren in einen zweiten Beutel mit Ringer-Lactat und etwas zerdrücktem Eis. Dann erst kamen die Organe in einen Organtopf, und eine Kühlbox wurde so hoch mit Eis gefüllt, dass der Organbehälter zu drei Vierteln von Eis umgeben war.

Fuscão bemerkte, dass die schwarzen Wimpern der kleinen Mulattin leicht flatterten. Sofort vertiefte er die Narkose. Dann arbeitete er rasch und methodisch weiter. Als nächstes musste er das Perfusionssystem und die Kanülen vorbereiten. Bevor nämlich die Organe der Kleinen herausgeschnitten wurden, mussten sie mit einer kalten Perfusion durchspült werden. Die Perfusionslösung enthielt Zucker und Elektrolyte, die die Zellwände der Organe während des Transports ins Lucimar Siqueira stabilisieren sollten. Die Lösung hatte eine Temperatur von genau vier Grad Celsius.

Pereira hängte den mit Konservierungslösung gefüllten Behälter an den Galgen. Das Herz dieses kleinen Mulattenmädchens würde gleich fünfzehn Minuten lang mit dreitausendachthundert Millilitern kalter Bretschneider-Lösung durchspült werden. Außerdem würde er selbst das Herz während der ganzen Prozedur mit Eiswasser und zerhacktem Eis kühlen. Dieses sterile zerhackte Eis hieß Slush-Eis, wie er sich, stolz auf seine Englischkenntnisse, ins Gedächtnis rief.

Erst danach konnte Gallagher das Herz herausschneiden.

14

Maxim Tabrizi zerrte den himbeerrosa Slip aus Jennifers Wäschetonne, inspizierte die Innenseite und schnüffelte daran. Es war ein mit Spitzen besetztes Teil von LaPerla. Nichts. Der Slip roch ganz normal nach Jennys jungen Körpersäften. Maxim ließ das Höschen auf den Parkettboden fallen und kramte den dazu passenden himbeerrosa BH heraus. Jenny war zierlich wie ein Kind, hatte aber relativ volle Brüste. Maxim riss sich das Jackett ab, warf es nachlässig auf Jennys Bett und strich sich über das glatt zurückgekämmte, pechschwarze Haar. Er war achtundvierzig Jahre alt und hatte die dunkle Haut seiner armenischen Vorfahren. Seine schwerlidrigen Augen waren schwarz. Max kultivierte die kühle Aura des erfolgreichen Geschäftsmanns, konnte aber auch einen öligen Charme entfalten. Sein Immobilienunternehmen lief glänzend, und seine wenigen, sorgsam ausgesuchten Mitarbeiter gaben sich die größte Mühe, Loyalität und Treue zur Schau zu stellen, denn sie wussten genau, dass sie beim geringsten Anschein des Gegenteils auf der Stelle gefeuert worden wären. Selbstverständlich hatte er auch seine Geliebte Jennifer Kollath felsenfest im Griff.

Maxim riss alle Slips und Tangas der letzten Woche aus der Tonne. Fee trug ihre Slips und BHs nie länger als einen Tag. Ihre Wäsche war von feinster Qualität, meist waren es Luxusteile von Versace und LaPerla, die er selbst ihr geschenkt hatte. Maxim unterzog die Höschen einer eingehenden Sichtprüfung und schnupperte an jedem einzelnen. Doch er konnte nichts Verdächtiges finden. Natürlich konnte Jennifer den verräterischen Slip auch mit der Hand ausgewaschen haben, überlegte er. Doch in dieser Hinsicht konnte man sich wahrscheinlich auf ihre Faulheit verlassen. Außerdem wusste sie ja nicht, dass er regelmäßig ihre Sachen kontrollierte. Fee war arglos und sehr vertrauensselig.

Er zog die Jalousie hoch, die Honorata zum Schutz vor der sengenden Sonne heruntergelassen hatte. Flirrendes goldenes Licht flutete bis in die hinterste Ecke des Raums, und ein paar goldfarbige Stäubchen tanzten in den Sonnenstrahlen. Er ging zu dem geräumigen Doppelbett und schlug die Tagesdecke aus schwerem, elfenbeinfarbenem Damast zurück. Natürlich wechselte Honorata die Bettwäsche zweimal wöchentlich, aber Freddy Fassbenders Besuch lag erst einen Tag zurück. Doch die seidenen Laken waren unbefleckt, und auf dem Kopfkissen lagen keine verräterischen Haare. Dabei hätte man vorhandene Haare auf jeden Fall sehen müssen, denn Fassbender trug seine dunkle Mähne lang bis zum Arsch. Tabrizi glättete die Bettdecke und öffnete eine Tür des langgestreckten Kleiderschranks. Im Schrank flammte Licht auf. Fee trug meistens italienische oder französische Mode - Dolce und Gabbana, Thierry Mugler, manchmal auch Armani. In Armani sah er sie eigentlich am liebsten, doch leider hatte sie ein Faible für ziemlich exzentrisches Zeug und zog jüngere und verrücktere Teile vor. Aber Fee sah in allem fabelhaft aus.

Maxim betrat Jennifers Kleiderschrank und arbeitete sich planvoll durch die Taschen der Kostümjacken, Kleider und Blazer. Er vergaß auch die Hosentaschen nicht. Vielleicht würde er etwas aufspüren, das nicht hier hingehörte: eine zweideutige Nachricht, ein verräterisches Briefchen oder irgendetwas anderes, das auf den elenden Fassbender hindeutete. Er leckte mit der Zunge über seine trockenen Lippen und stieß wütend die Luft aus. Natürlich war er mit seinem hohen Wuchs und den grauen Schläfen ein attraktiver Mann, aber er war auch fast ein Vierteljahrhundert älter als Jenny. Wobei erschwerend hinzukam, dass Jennifer viel jünger aussah, als sie war. Mit ihren zarten Zügen und ihrer knabenhaften Figur wirkte sie eigentlich noch wie eine Halbwüchsige.

Max griff nach einer zu Boden gerutschten Jacke und hängte sie sorgsam auf den Bügel zurück. Natürlich durfte Jenny nie erfahren, dass er buchstäblich verrückt nach ihr war. Doch das würde sie auch nicht, denn er hielt sie ganz bewusst im Zustand permanenter Unsicherheit. Mal badete er sie geradezu in Aufmerksamkeiten und Komplimenten, dann wieder verhielt er sich gleichgültig und kühl. Gelegentlich versetzte er ihr auch einen ausgeklügelt bösartigen Hieb, sodass sie allen Grund gehabt hätte, tief gekränkt zu sein.

Doch er tat es so raffiniert, dass Jenny einfach nie richtig den Finger darauf legen konnte. Max war ein Meister der subtilen Manipulation und wechselte zwischen scherzhaft klingenden Beleidigungen, übertriebenen Zärtlichkeiten und einem gelegentlichen gnadenlosen Schlag hin und her wie ein Tennisspieler. Manchmal bezeigte er Jennifer auch eine fast kindliche Hingabe oder überraschte sie mit abgründig leidenschaftlichem Sex. Ein solches Wechselbad der Gefühle destabilisierte selbst eine gesunde Selbstachtung auf schnellstem Weg, und er wusste genau, dass Jenny nicht gerade mit besonders robustem Selbstvertrauen gesegnet war. Wirklich, es war kinderleicht: Fee war mit dem kleinen Finger zu lenken.

Maxim lächelte zufrieden und hielt die Nüstern seiner schmalen Nase gebläht, während er sich behutsam durch den Schrank arbeitete. Vielleicht würde er die Spur eines Herrenparfüms erschnuppern, obwohl er eigentlich nicht damit rechnete, dass dieser Scheißkerl Fassbender einen Herrenduft verwandte. Diese Null parfümierte sich doch sicher lieber nach guter alter Proletenart mit herzhaftem Männerschweiß. Allerdings hasste Jenny Schweißgeruch, während sie den elenden Fassbender aus unerfindlichen Gründen mochte.

Tabrizis Hände glitten prüfend über ein wild gemustertes Kleid von Roberto Cavalli, doch es hatte keine Taschen. Wie auch immer, er würde nicht dulden, dass Hunde und Schakale in seinem Revier wilderten. Und dazu war dauernde Aufmerksamkeit nötig. Er würde Jenny zwar nicht gerade belauern, aber doch äußerst wachsam beobachten. Schließlich musste man immer auf Verrat gefasst sein.