Kitabı oku: «Jennings, Erdprotektor», sayfa 2

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Shoppen und Umfallen

Der Scheck ist schnell gegen bare Münze umgetauscht. Wenn wir uns beeilen, geht mit dem plötzlichen Geldsegen vielleicht noch ein langersehnter Traum in Erfüllung: die Teilnahme an den Jerusalem Games. In einer über das Knie gebrochenen Aktion eilen Katee und ich in die Londoner Innenstadt. Zur Forge of Virtue, der ersten Adresse für mittelalterliches Laienspiel sowie Veranstalter der Jerusalem Games, die am späten Abend im Steinkreis von Stonehenge starten sollen. Vor Monaten haben wir mit der Teilnahme an den Spielen geliebäugelt, sie aber aus finanziellen Gründen zu Grabe getragen. Doch dank meiner unseligen Bekanntschaft und der fetten Klatschblatt-Wachtel hat sich das Blatt zu meinen Gunsten gewendet, eine sprichwörtlich Last Minute Buchung rückt in greifbare Nähe. In Gedanken streife ich über die grünen Wiesen Wiltshires, als Katees Ellenbogen mich unsanft in die Realität zurückholt.

»Pennst du? Tottenham Court Road. Raus mit dir!«

Wenn es hektisch wird, besitzt Katee die emotionale Qualität eines Coitus Interruptus. Als ob die High Heels, Hot Pants und ihre rote, wilde Haarmähne nicht ausreichen würden, mich um den Verstand zu bringen.

Bei Katee und mir war es Liebe auf den ersten Blick. Amors Pfeil, Katee zwölf, ich dreizehn, an einem langweiligen Dienstag auf dem Schulhof. Die Zeit zwischen damals und heute ist privat. Oder, um mit Katees Worten zu sprechen: »Ich bin wie für dich gemacht, mein Sternenprinz.«

Was bleibt mir anderes übrig, als meinem Engel zur Paradise Alley zu folgen?

Die Gasse ist voller Menschen. Katee wird sauer, Geduld ist nicht ihre Stärke. Ein Mitarbeiter der Forge bahnt sich seinen Weg durch die Menge, drückt jedem ein kleines Pergament in die Hände. Ich überfliege den in mittelalterlicher Schrift verfassten Wisch. Kein Wunder, dass es Hinz und Kunz zum Laden treibt.

Sonderverkauf zum Start der Jerusalem Games!

Alle Kostüme und Schaukampfwaffen um 50% reduziert!

Habt Geduld, Euer Warten wird fürstlich belohnt!

Eine Stunde später betreten wir den Shop. Die Forge of Virtue ist ein Tempel für Mittelalterfreaks und Laienspieler. Was sie nicht im Programm hat, gibt es nirgendwo. Niemand hat eine derart umfangreiche, exklusive Auswahl zu bieten wie Chuck Brandon, der Chef des Ladens. Zauberhafte Damenkostüme, stattliche Rüstungen für den Herren, Schaukampfwaffen aus Latex und alles mit viel Liebe zum Detail. Einer der wenigen Orte, wo Angebot und Werbung übereinstimmen und ich mich wohl fühle.

»Katee, Darling! Und Tommy, der Terrorist! Schön, euch zu sehen.«

Chucky watschelt mit wiegenden Hüften auf uns zu und knutscht uns ab. Chucky ist schwul und zum Glück für meinen Hintern in festen Händen.

»Sehr witzig«, knurre ich.

Eine Sekunde später brechen wir in Lachen aus.

Nach einer kleinen Ewigkeit schleppen wir uns mit vollen Taschen zur U-Bahn zurück. Der kleine Kaufrausch hat Spaß gemacht. Katee ist in Ekstase, kann es kaum abwarten, sich in ihr neues Kleid zu werfen. Auch ich bin voller Vorfreude, denke an die Jerusalem Games und schaffe es, den 11. September aus meinen Gedanken zu verbannen.

Es hupt. Ein marineblauer Opel Astra bremst scharf und schneidet uns den Weg ab. Bevor wir uns versehen, schält sich ein großer, dunkelblonder Mann mit kurzen Haaren und einem sympathischen Gesichtsausdruck aus dem Auto.

»Hey, Leute. Überraschung!«

Die Welt ist klein. Philipp Becker. Unser Brieffreund aus Berlin.

»Du hier?«, frage ich.

»Yeah. Ich habe mich durchringen können, die Spiele zu besuchen. Habt ihr meine Mail nicht bekommen?«

»Nein. Deine Mail wartet sicher in meinem Postfach in Oxford. Wir haben daheim kein Internet, es ist meiner Tante zu teuer.«

»Verdammt und ich habe gehofft, dass ihr mir einen Parkschein besorgen könnt.«

Mein Blick wandert über unseren Einkauf und bleibt auf Philipps Auto haften. Katee ahnt meine Idee und nickt mir unmerklich zu.

»Phil, heute ist dein Glückstag! Wir haben gerade einen Parkschein gekauft. War für das Taxi vom Bahnhof nach Stonehenge gedacht. Du weißt ja, ohne den Schein kommt man nicht mal in die Nähe des Spielfeldes.«

Der Köder ist ausgelegt, wird Philipp ihn schlucken? Verlegen blickt er auf seine Füße.

»Also gut, was schulde ich euch?«

»Stonehenge. Via Thornton Heath. Hin und zurück.«

»Aufwachen, Sternenprinz! Wir sind da!«

Ich fahre vom Rücksitz hoch und stoße mit meinem Kopf gegen das Wagendach. Autsch! Mit weit aufgerissenen Augen starre ich auf ein grell beleuchtetes Straßenschild.

A344 Vollsperrung!

Geschlossene Veranstaltung. Sie werden geparkt. Widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt. Gäste ohne Parkschein werden gebeten, zu Fuß weiterzugehen, Handwagen zum Gepäcktransport stehen bereit. Wer diese Regeln missachtet, wird an Myrrdin, unseren Hausdrachen verfüttert.

Anstelle des angedrohten Ungetüms klopft eine mittelalterlich gekleidete Frau ans rechte Fenster. Philipp lacht herzlich und steigt links aus dem Wagen. Die holde Maid hat die vom britischen Standard abweichende Bauweise des deutschen Autos übersehen.

»Seyd gegrüßt, Fremde! Würdet Ihr einer unbedeutenden Magd bitte Euren Parkschein reichen?«

Philipp gibt ihr den Schein und mit einer aufreizenden Kusshand weist sie uns den Weg zum Parkplatz.

»Hallo?«, ruft Katee schmollend. »Wenn die Herren der Schöpfung ihr Testosteron in den Griff kriegen, schaffen wir es vielleicht, pünktlich zu sein. Es geht auf halb zehn. Los jetzt!«

Phillip parkt den Wagen und mein Engel hechtet zum Check-In. In der Zwischenzeit helfe ich meinem Freund beim Auspacken. Mein Traum geht in Erfüllung, ich bin in Stonehenge!

Das Gelände wirkt bombastisch. Der berühmteste Steinkreis auf Erden ist nicht mehr zu sehen, eine als Kulisse nachgebaute Stadtmauer umgibt ihn. Im flackernden Licht unzähliger Lagerfeuer überlappen sich Gegenwart und Vergangenheit. Für einen Moment bekomme ich weiche Knie. Soviel steht fest: Die Spiele werden der blanke Wahnsinn!

Jedes Jahr pilgern Zehntausende von Hippies und andere Besucher nach Stonehenge. Der zurückbleibende Müll und die Zerstörungswut einiger Idioten haben den Denkmalschutz herausgefordert. Was zur Folge hat, dass die Restriktionen härter werden und unzählige Veranstaltungsanträge an ihnen scheitern. Neben der Sommersonnenwende ist Chuckys multinationales Konzept einer kontrollierbaren Spielwelt die einzige Großveranstaltung, die mit dem Segen der Behörden starten darf.

Leichter Sprühregen benetzt meine Haut. Der Spuk der vergangenen Tage liegt hinter mir. In Kürze wird Chucky das Spiel eröffnen und wir werden zu den Schwertern eilen, Geschichte schreiben. Wir, Sir Thomas of Palpine und Lady Caitleen of Bloomsbury.

Philipp legt seinen Arm kumpelhaft auf meine Schulter.

»Du kannst es nicht erwarten, nicht wahr?«

Ich nicke. »Es ist überwältigend.«

»Ein Traum. Der Boden riecht nach Abenteuer.«

Wie berauscht atme ich die würzige Luft ein und träume mit offenen Augen. Wer waren die Menschen, die einst riesige Steinblöcke nach Wiltshire transportierten? Womit und wofür? Die Wissenschaft hat keine Antworten, nur graue Theorien.

Außer Katee. Für sie ist Stonehenge kein Mysterium. »Du wirst sehen, schon bald nach unserer Ankunft wird sich das Tor öffnen und Merlin selbst wird dich begrüßen.«

Ich schmunzle. Zwar gibt es ein Tor in der Stadtmauer, das von fröhlich lärmenden Spielern durchquert wird. Von Merlin, dem Zauberer aus den Tiefen der britannischen Mythologie, fehlt jedoch jede Spur.

Katee hat sich in Schale geworfen und erntet einen bewundernden Blick nach dem anderen. Meine Rüstung wartet derweil in Philipps Auto auf ihren Einsatz, für Chuckys Rede brauche ich sie nicht. Der Sprühregen lässt nach und macht einem Gewitter Platz. Am Horizont zucken Blitze, der ferne Donner geht im Geräuschpegel der Menge und den Proben der Barden unter. Ölfackeln erhellen die Szenerie. Es herrscht eine gespannte Erwartung. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt, die Menschen sind kaum mehr zu bändigen.

Fanfarenbläser gehen in Position, der Klang ihrer Instrumente kündet von Chuckys Ankunft. Katee drückt meine schweißnasse Hand einen Tick fester. Der langersehnte Augenblick ist endlich gekommen. Tausende Herzen schlagen gemeinsam im Takt.

»Ahhh.«

»Ohhh.«

Die brodelnde Menge begrüßt Chucky, der in einer von acht spärlich bekleideten, jungen Männern getragenen Sänfte ins Zentrum der Anlage chauffiert wird. Vor ihr schreiten weiß gekleidete Mädchen und streuen Blumen. Ich schüttele belustigt den Kopf, origineller geht es nicht.

Die Sänfte gleitet sanft zu Boden. Chucky ächzt aus ihr heraus und winkt der Menge zu. Zwei Jungfern machen ihm ihre Aufwartung und geleiten ihr Idol zum Podium: einem quer liegenden, altarähnlichen Monolithen. Ein Gong wird geschlagen, die Musik verstummt.

»Hallooo ihr Süßen!«

»Hallo Chucky!«

»Habt tausend Dank für euer Kommen!« Chucky hebt die Arme, badet im tosenden Beifall seiner Freunde. Wir lieben ihn, doch ansehnlich ist er nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, was Frauen, geschweige Männer an ihm finden. Kurze Beine, wabbelnder Fettbauch, Stoppelbart und schmierige Glatze. Er erinnert mich an Princeps Nero aus Sienkiewiczs Quo Vadis: komisch, genial und ekelerregend zugleich.

»Ich liebe euch alle!«, ruft er seinen Fans entgegen und diese preisen ihn umso lauter.

»Chucky! Chucky! Chucky!«

Einige Frauen reißen sich die Tuniken vom Körper, entblößen ihre Brüste. Das obszöne Gehabe wirkt total daneben. Philipps angewiderter Gesichtsausdruck bestätigt mich in meiner Meinung.

»Meine Süßen, habt Dank für diesen herzlichen Empfang! Lasst uns die Jerusalem Games zum Schönsten und Größten machen, was wir jemals auf die Beine gestellt haben.«

Unerwartet legt sich ein Schatten über sein Gesicht und die Menge verstummt. Chucky fingert nach einem Taschentuch, kämpft mit seinen Gefühlen. »Das Jerusalem ist mein letztes Spiel, das ich mit euch erleben darf.«

Der aufbrausende Tumult ist unbeschreiblich. Die Menge schreit ihre Verzweiflung heraus, Spielerinnen fallen in Ohnmacht. Katee hockt sich achtlos in den Matsch, ruiniert ihr schönes Kleid. Der Schock sitzt tief.

Chucky Brandon hebt beschwichtigend beide Arme und versucht seine Rede zu retten.

»Leute! Bitte, macht es nicht schlimmer, als es ist«, hallt seine von tiefer Trauer erfüllte Stimme durch die Anlage. »Wie ihr wisst, bin ich schwul. Ich habe mein Leben in vollen Zügen genossen. HIV war in meiner Jugend ein Fremdwort. Und Kondome? Wofür?« Chucky lacht, holt tief Luft und blickt nachdenklich in Richtung des sich nähernden Gewitters. »Lange Rede, kurzer Sinn: Ich weiß seit Jahren, dass mich der Virus erwischt hat. Mein Gatte John und ich haben in ständiger Angst gelebt, dass die Krankheit eines Tages ausbrechen könnte.« Er schluchzt und schnäuzt ins Taschentuch. Eben noch über den Kult erschrocken, muss ich Brandon meinen Respekt zollen. »Wir haben euch nie mehr Geld abgenommen als nötig. Wir wussten, dass kein Geld der Welt mich retten kann. Die Wissenschaft ist noch nicht soweit. Die Szene und unsere gemeinsamen Abenteuer waren uns wichtiger. Heute haben wir die Forge of Virtue geschlossen. Euer Chucky hat seinen Hammer zurück auf den Amboss gelegt.«

Das erklärt die günstigen Preise vom Vormittag. Die fetten Rabatte waren keine einmalige Sonderaktion zu den Jerusalem Games sondern ein Ausverkauf.

»Beruhigt Euch bitte. Lasst unser Spiel zur schönsten Show werden, die unsere vor Vorurteilen und Hass zerfurchte Welt gesehen hat! Helft eurem Chucky und seiner Braut das Leben in Erinnerung zu behalten, wie es uns Spaß gemacht hat! Gemeinsam mit euch, unseren Freunden!«

Katee springt auf, schüttelt den Kopf und starrt zum Tor in der Stadtmauer. Ihre Tränen sind versiegt, das Gesicht ist totenbleich. »Merlin?«

»Umso mehr freue ich mich, Gäste aus aller Herren Länder begrüßen zu dürfen«, setzt Chucky seine Rede fort. »Aus den USA, aus Frankreich und Deutschland, aus Polen und Russland! Und ja, sogar aus Palästina!«

Seine Stimme donnert über den Platz wie die Maschinengewehrsalve, die einen Sekundenbruchteil später ihn und viele andere durchsiebt. Sein infiziertes Blut spritzt umher, die fassungslose Menge ist zu geschockt, um flüchten zu können. Blitzschnell drückt Philipp Katee und mich hinter einem der Monolithen nach unten.

Die Schocksekunde vergeht, die Menschen rennen panisch auseinander. Doch die Kulisse aus Stadtmauern und Monolithen ist zur Falle geworden. Im einzigen Ausgang, im Torbogen, versperren zwanzig Männer den Weg und halten stumm ihre noch qualmenden Maschinenpistolen auf die Menge gerichtet. Überall liegen Leichen. Schreie erfüllen die Luft. Es knackt und ein Megaphon hallt über unsere Köpfe hinweg. Den Akzent kenne ich. Aus Shuckum's Oyster Bar.

»Wir, die Söhne der Freiheit, erklären euer gottloses Treiben für beendet!« Totenstille, selbst die Verletzten schweigen. »In diesen Minuten wird der Saat Amerikas und seiner Vasallen folgendes Ultimatum übermittelt: Erstens zieht es sich aus den von ihr besetzten Gebieten Palästinas zurück. Zweitens werden alle unsere inhaftierten Kampfgefährten freigelassen. Und drittens werden alle in der Welt verstreuten Brüder und Schwestern in unsere angestammte Heimat zurückkehren dürfen. Ihr habt zwölf Stunden für den endgültigen Abzug der Besatzungstruppen sowie für eine völkerrechtlich bindende Erklärung vor den Vereinten Nationen, aus der die Freilassung unserer Kampfgefährten und die Rückkehr unserer Familien resultieren wird. Wir fordern die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates auf, vor Allah, dem Gnädigen und Barmherzigen sowie den Völkern der Welt, diese Erklärung einstimmig zu garantieren.«

Mein Lieblingsfilm wird Realität. Die Erde steht still, allerdings nicht vor irgendwelchen Aliens, sondern vor dem Bösen in uns.

»Werden unsere Forderungen nicht binnen zwölf Stunden erfüllt, werden wir die hier Anwesenden hinrichten. Zu diesem Zweck wird ein atomarer Sprengkopf aus den Beständen der ehemaligen Sowjetunion im Zentrum von Stonehenge sowie konventionelle Sprengstoffpakete im Bereich der äußeren Kulissen montiert. Niemand betritt oder verlässt die Anlage. Übergriffe durch Anwesende oder Sicherheitskräfte haben die sofortige Zündung des Sprengkopfes zur Folge.«

Daraufhin entblößen die Terroristen ihren rechten Unterarm und das, was unter ihren Jacken bislang verborgen war: Sprengstoffwesten und Kabel, die zu einer Armbanduhr am rechten Handgelenk führen.

»Der Zünder ist pulssynchronisiert. Sollte sich in unseren Reihen ein Puls deutlich verlangsamen oder aussetzen, wird automatisch die Atombombe gezündet. Gleiches geschieht beim Versuch, das System zu hacken.«

Wie auf Kommando blitzt es und ein Donnerschlag fegt über das Land.

»Uhrenvergleich: Ab jetzt verbleiben der Welt noch elf Stunden und siebenundfünfzig Minuten!«

Countdown

Stonehenge gleicht einer Geflügelmast. Wir sind im Steinkreis zusammengepfercht, Lebende und Tote. Ohne Nahrung, ohne Toiletten. Unsere Lebenserwartung ist auf weniger als elf Stunden reduziert. Überall klebt Blut.

Katee, Philipp und ich kauern hinter einem Monolithen. Neben mir sitzt ein junges Mädchen und liebkost ihren toten Freund. Sein Hinterkopf fehlt, die Augen sind nach innen gerutscht. Sie summt ein Kinderlied, der Wahnsinn hat sich ihrer Seele angenommen.

»Tick, tock, tick, tock. There goes the clock.«

In mir brodelt es. Wut und Ohnmacht schaukeln sich gegenseitig hoch. Mir knallt die Sicherung durch, blind vor Zorn springe ich auf.

»Spinnst du?«, brüllt Philipp, versucht mich zu packen. Vor meinen Augen dreht sich alles, ohne nachzudenken schlage ich um mich, rudere mit den Armen in der Luft. Stählerne Hände schnappen nach mir, und ehe ich mich versehe, blicke ich drei schwer bewaffneten Terroristen ins Gesicht. In ihren Augen brennt das gleiche fanatische Feuer wie in den Augen meiner unseligen Bekanntschaft aus Hollywood. Vor mir stehen keine Menschen, sondern Monster. Wesen, die ihre Menschlichkeit wie einen Mantel an der Abendgarderobe abgelegt haben.

»Noch eine Bewegung und ich knall dich ab, Ungläubiger.«

Langsam hebe ich die Arme. Irgendwo steht geschrieben, dass erhobene Arme mit offenen Handflächen eine beruhigende Wirkung haben sollen. Für einen Moment steht die Zeit still, dann grabschen die Kerle nach Katee.

»Finger weg von meiner Verlobten!«

Ich balle meine rechte Hand zur Faust und lande einen K.O.-Schlag wie aus dem Bilderbuch. Das Schwein sackt zu Boden, eine Maschinenpistole rattert und Projektile mit meinem Namen peitschen durch die Luft.

»Neiiin!«

Die Kugeln treffen, entfesseln ihre tödliche Wucht. Blutbesudelt sacke ich auf den Boden, schlage hart auf. Aus und vorbei!

Seltsam. Keinerlei Schmerz.

Überrascht hebe ich den Kopf und schlage die Augen auf.

»Caitleen!«

Ich hocke bei Philipp. Katee liegt in meinen Armen. Bis auf ein allgegenwärtiges Wimmern herrscht Ruhe im Schlachthaus. Meine Tränensäcke sind leer, keine Träne der Welt wird mir Katee zurückgeben können. Sie ist tot. Gestorben, um mich zu retten. Mit einem Hechtsprung hat Katee die für mich bestimmten Kugeln mit ihrem Körper abgefangen, ist mit mir zusammengeprallt und hat mich umgerissen. Meine Verlobte hat meinen Wutanfall mit ihrem Leben bezahlt. Ich küsse ihre kalten Lippen, die sich mit jedem Kuss härter anfühlen. Mein Herz liegt auf Eis.

Mein Blick wandert durch die Reihen. Wer Glück hat, ist tot. Der überwiegende Rest zählt die Stunden und Minuten. Heftiger Regen hat den mit Blut und Urin getränkten Boden in Schlamm verwandelt. Stonehenge stinkt zum Himmel. Die Wolken lassen kein Sternenlicht hindurch. Eine Ölfackel nach der anderen erlischt. Es ist eine Frage der Zeit, bis gnädige Dunkelheit für trügerischen Frieden sorgen wird.

Im Zentrum der Anlage thront der mülltonnengroße Atomsprengkopf. Auf zwei mit Schwerlastrollen ausgestatteten Surfbrettern war er ins Innere des Steinkreises gezogen und montiert worden. Anschließend hat das Pack einen VW-Transporter im Torbogen quergestellt und sich auf die Stadtmauer verpisst. Von dort oben kontrollieren die Terroristen das ganze Areal. Dem Lärm jenseits der Kulisse nach zu urteilen, ist der Aufmarsch von Presse und Sicherheit in vollem Gange. Ab und zu hört man einen Hubschrauber.

Erinnerungen durchfluten mich. Katee. Unsere Schulzeit. Unser erster Kuss, das ständige Versteckspiel, bis uns Tante Daisy im Bett erwischt hat.

»Thomas!«, ruft Philipp und holt mich in die Gegenwart zurück. »Siehst du das?«

Katees Augenlider flattern, ihr erstarrter Körper zuckt wie unter einem Stromschlag. Sie hustet.

»Engelchen.«

»Das ist kein Husten«, flüstert Philipp und hilft mir, ihren Körper in meinen Armen zu stabilisieren.

»Hd-k-db.«

Philipp hat recht. Es sind keine Hustenschübe, sondern Katees Versuch, mir etwas zu sagen.

»Hd-k-db.«

»Liebling?«, rufe ich verzweifelt. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«

Man muss kein Arzt sein, um zu wissen, dass Katee tot ist. Ihre Verletzungen sind eindeutig, das Herz steht still. Katees Körper ist seit Stunden kalt, die Totenstarre hat eingesetzt.

»Hd-k-db.«

Ein letztes verzweifeltes Aufbäumen und Katees Leichnam sinkt in sich zusammen. Ich schreie, rieche frisch gemahlenes Zimt. Eine Aura? Weiße Blitze tanzen vor meinen Augen. Epileptische Krämpfe übernehmen meine Muskeln. Katees Leiche und ich rutschen weg. Mir wird schwarz vor Augen, der Anfall raubt mir das Bewusstsein.

Ein Stöhnen weckt mich, Helligkeit dringt durch meine geschlossenen Augen. Todmüde öffne ich sie und blinzele in einen blauen Himmel.

»Ich wünsche dir keinen guten Morgen«, sagt Philipp lapidar und hockt sich neben mich. Ich fühle mich wie gerädert. »Erstens, weil es kein guter Morgen wird und zweitens, ohne Frühstück ist eh alles verloren.«

Mein Magen knurrt wie aufs Stichwort. Ich sehne mich nach einem Schluck Wasser und einem Stückchen Brot. Der Anfall hat mich ausgebrannt. Langsam setze ich mich auf und massiere meine Waden. Die Menschen um mich herum sind noch enger zusammengerückt, haben mir für die unkontrollierbaren Zuckungen Platz gemacht. Ich flüstere ein unhörbares Dankeschön und nicke meinen Mitgefangenen zu. Erst das Massaker, dann die Epilepsie, wahrhaft keine schönen Anblicke. Ich schaue mich um, zucke zusammen. Katees Leiche ist mit Umhängen eingehüllt und hat mir als Kopfkissen gedient. Die Erinnerung, der Gedanke an meine tote Freundin wird surreal.

»Willst 'n Bier?«, fragt Philipp und kichert irr. Greift zur Seite, ins Leere und tut so, als ob er eine Flasche köpft. »Hier Kumpel, fang!«

Gierig schnappe ich nach der virtuellen Pulle und trinke sie in einem Zug leer. Dann rappele ich mich hoch und setze mich neben meinen Freund. Einen weiteren Blick auf Katee erspare ich mir. Philipp legt seine Hand auf meine Schulter, Wärme durchflutet meinen Körper.

»Na, willst du noch eins?«

»Lass man gut sein. Am Ende muss ich noch aufs Klo.«

»Macht nix!«, prustet Philipp. »Wir haben eh die Hosen voll.«

Ein wirrer Gedanke jagt durch meinen Kopf. Ich muss unfreiwillig schmunzeln, hole tief Luft und beginne zu singen.

»Rule, Britannia! Britannia, rule the waves! Britons never, never shall be slaves.«

Philipp runzelt die Stirn. »Sag mal, was hast du denn geraucht?«

Ich ignoriere seine Bemerkung. Was ihm die virtuelle Bierflasche ist mir mein Lied. »Rule, Britannia! We all will pass away: Mankind never, never shall be slaves!«

»We came as strangers but now we die as friends: Mankind never, never shall be slaves.«

»Hey Philipp, das ist mein Song!«

Es wird still, alles blickt uns an. Glanz kehrt in die Augen unserer Leidensgenossen zurück – und Verdis Nabucco erlebt ein neuzeitliches, schräges Remake.

»Go you monsters! You monsters, go away: Mankind never, never shall be slaves.«

Schüsse pfeifen über unsere Köpfe hinweg. Erneutes Schweigen. Da erhebt sich eine weitere Stimme gegen unsere Ohnmacht. Mit schottischem Akzent.

»Shoot us, you killers! You butchers, shoot us now: Mankind never, never shall be slaves.«

Vier, fünf, sechs, zehn, zwanzig. Alle!

»Kill us, you pigs! You pigs, kill us now: Mankind never, never shall be slaves.«

Im Kugelhagel lichten sich die Reihen, dennoch wird der Gefangenenchor von Stonehenge lauter, schmettert unseren Mördern mein pervertiertes "Rule, Britannia" mit fester Stimme entgegen. Als ein Megaphon übersteuert quietscht und eine Stimme von außerhalb der Anlage ertönt, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.

»Hier spricht Edwards von der BBC. Im Steinkreis von Stonehenge spielen sich unglaubliche Szenen ab. Die Geiseln singen "Rule, Britannia" und werden für ihre heroische Tat reihenweise von den Terroristen erschossen. Armee und Politik sind machtlos. Alle Verhandlungsangebote wurden abgelehnt. Eines steht dennoch fest: Die Welt sieht eine Schar junger Leute, die sich nicht dem verbrecherischen Treiben fanatischer Extremisten unterordnen. Sie sieht junge Menschen, die für unsere Freiheit und ihr Überleben kämpfen. Selbst wenn in wenigen Stunden die Atombombe gezündet und die Region um Salisbury untergehen wird, haben die Terroristen und ihre menschenfeindliche Ideologie verloren. Sie werden nicht als selbsternannte Märtyrer sterben und ins Paradies einkehren, sondern als lächerliche Fußnote der Geschichte enden. Wie vor wenigen Tagen in den Staaten ist es den Fanatikern auch auf britischem Boden nicht gelungen, der Welt ihre Ehre und Moral zu nehmen.«

Es dauert nicht lange, bis die Terroristen eingesehen haben, dass es keinen Sinn macht, unseren Chor weiter zu dezimieren. Ohne Geiseln könnte ein gezielter Luftschlag das Pack erledigen und die Bombe vernichten, ohne das sie explodieren würde. Schade, dass ich keinerlei Rechte an dem Song besitze und in Kürze sterben werde. Die "Opfer-von-Stonehenge-Benefiz-CD", der Hinterbliebenenfond und Tommys kleiner Souvenir-Shop hätten mich zu einem reichen Mann gemacht. Ich blicke zu Philipp hinüber.

»Du, ich brauch ein Bier.«

»Sorry, Tommy«, lacht Philipp freudlos und zuckt mit den Schultern. »Alles alle, und Nachschub kommt nicht mehr.«

Über die Stadtmauern hallen Appelle von Politikern und muslimischen Verbänden. Man verliest Grußbotschaften der UNO und des Vatikans, der Botschafter Israels bittet um mehr Zeit. Sinnlos, ein gut gezielter Schuss bereitet dem Riesenmegaphon ein jähes Ende.

Auf der Stadtmauer herrscht Volksfeststimmung, die Attentäter feuern in die Luft, machen sich gegenseitig Mut.

»Da, schau!«, ruft Philipp und zeigt in den Himmel. »Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.« Hubschrauber um Hubschrauber starten, das Empire und die Medien geben uns zum Abschuss frei.

»Noch fünf Minuten«, hauche ich nach einem Blick auf meine Armbanduhr und lasse den Kopf hängen. Das ist alles? Mehr hat das Leben für mich nicht übrig gehabt?

Philipp stupst mir seinen Ellbogen in die Seite. »Komm!«, sagt er kurz und steht auf. »Was habe ich gesungen? Wir kamen als Fremde und werden als Freunde sterben?«

»Yeah!«, sage ich und erhebe mich ebenfalls, ziehe mein mit Katees Blut verkrustetes Hemd gerade. »Auf gehts!«

Wir bücken uns, Philipp hilft mir Katees Leichnam aufzurichten. Ein letztes Mal schließe ich meine Verlobte in die Arme. Es fühlt sich an, als würde ich eine Schaufensterpuppe umfassen. Mein Gesicht fest an ihren Kopf gekuschelt, mit zusammengekniffenen Augen und auf Durchzug geschalteten Ohren warte ich auf den alles verbrennenden Blitz. Um uns herum herrscht der blanke Wahnsinn.

»Hey Edwards, komm sofort zurück!«

»Rule, Britannia!«

»Schnauze!«

»Ich will zu meiner Mama.«

»Vater, der du bist im Himmel –«

»Tick, tock, tick, tock. There goes the clock.«

»Allahu akbar!«

Und es wird Licht!

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