Kitabı oku: «Dichtung und Wahrheit», sayfa 5

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Wir hat­ten nun je­des mit großer Selbst­zu­frie­den­heit un­se­re Heer­hau­fen be­schaut, als sie mir den An­griff ver­kün­dig­te. Wir hat­ten auch Ge­schütz in un­sern Käs­ten ge­fun­den; es wa­ren näm­lich Schach­teln voll klei­ner wohl­po­lier­ter Achat­ku­geln. Mit die­sen soll­ten wir aus ei­ner ge­wis­sen Ent­fer­nung ge­gen­ein­an­der kämp­fen, wo­bei je­doch aus­drück­lich be­dun­gen war, dass nicht stär­ker ge­wor­fen wer­de, als nö­tig sei, die Fi­gu­ren um­zu­stür­zen: denn be­schä­digt soll­te kei­ne wer­den. Wech­sel­sei­tig ging nun die Ka­no­na­de los, und im An­fang wirk­te sie zu un­ser bei­der Zufrie­den­heit. Al­lein als mei­ne Geg­ne­rin be­merk­te, dass ich doch bes­ser ziel­te als sie und zu­letzt den Sieg, der von der Über­zahl der stehn ge­blie­be­nen ab­hing, ge­win­nen möch­te, trat sie nä­her, und ihr mäd­chen­haf­tes Wer­fen hat­te denn auch den er­wünsch­ten Er­folg. Sie streck­te mir eine Men­ge mei­ner bes­ten Trup­pen nie­der, und je mehr ich pro­tes­tier­te, de­sto eif­ri­ger warf sie. Dies ver­dross mich zu­letzt, und ich er­klär­te, dass ich ein Glei­ches tun wür­de. Ich trat auch wirk­lich nicht al­lein nä­her her­an, son­dern warf im Un­mut viel hef­ti­ger, da es denn nicht lan­ge währ­te, als ein paar ih­rer klei­nen Cen­tau­rin­nen in Stücke spran­gen. In ih­rem Ei­fer be­merk­te sie es nicht gleich; aber ich stand ver­stei­nert, als die zer­broch­nen Fi­gür­chen sich von selbst wie­der zu­sam­men­füg­ten, Ama­zo­ne und Pferd wie­der ein Gan­zes, auch zu­gleich völ­lig le­ben­dig wur­den, im Ga­lopp von der gold­nen Brücke un­ter die Lin­den setz­ten und in Car­rie­re hin und wi­der ren­nend sich end­lich ge­gen die Mau­er, ich weiß nicht wie, ver­lo­ren. Mei­ne schö­ne Geg­ne­rin war das kaum ge­wahr ge­wor­den, als sie in ein lau­tes Wei­nen und Jam­mern aus­brach und rief: dass ich ihr einen un­er­setz­li­chen Ver­lust zu­ge­fügt, der weit grö­ßer sei, als es sich aus­spre­chen las­se. Ich aber, der ich schon er­bost war, freu­te mich, ihr et­was zu­lei­de zu tun, und warf noch ein paar mir üb­rig ge­blie­be­ne Achat­ku­geln blind­lings mit Ge­walt un­ter ih­ren Heer­hau­fen. Un­glück­li­cher­wei­se traf ich die Kö­ni­gin, die bis­her bei un­serm re­gel­mä­ßi­gen Spiel aus­ge­nom­men ge­we­sen. Sie sprang in Stücken, und ihre nächs­ten Ad­ju­tan­ten wur­den auch zer­schmet­tert; aber schnell stell­ten sie sich wie­der her und nah­men Reiß­aus wie die ers­ten, ga­lop­pier­ten sehr lus­tig un­ter den Lin­den her­um und ver­lo­ren sich ge­gen die Mau­er.

Mei­ne Geg­ne­rin schalt und schimpf­te; ich aber, nun ein­mal im Gan­ge, bück­te mich, ei­ni­ge Achat­ku­geln auf­zu­he­ben, wel­che an den gold­nen Spie­ßen her­um­roll­ten. Mein er­grimm­ter Wunsch war, ihr gan­zes Heer zu ver­nich­ten. Sie da­ge­gen, nicht faul, sprang auf mich los und gab mir eine Ohr­fei­ge, dass mir der Kopf summ­te. Ich, der ich im­mer ge­hört hat­te, auf die Ohr­fei­ge ei­nes Mäd­chens ge­hö­re ein der­ber Kuss, fass­te sie bei den Ohren und küss­te sie zu wie­der­hol­ten Ma­len. Sie aber tat einen sol­chen durch­drin­gen­den Schrei, der mich selbst er­schreck­te; ich ließ sie fah­ren, und das war mein Glück: denn in dem Au­gen­blick wuss­te ich nicht, wie mir ge­sch­ah. Der Bo­den un­ter mir fing an zu be­ben und zu ras­seln; ich merk­te ge­schwind, dass sich die Git­ter wie­der in Be­we­gung setz­ten: al­lein ich hat­te nicht Zeit, zu über­le­gen, noch konn­te ich Fuß fas­sen, um zu flie­hen. Ich fürch­te­te je­den Au­gen­blick ge­spießt zu wer­den: denn die Par­ti­sa­nen und Lan­zen, die sich auf­rich­te­ten, zer­schlitz­ten mir schon die Klei­der; ge­nug, ich weiß nicht, wie mir ge­sch­ah, mir ver­ging Hö­ren und Se­hen, und ich er­hol­te mich aus mei­ner Be­täu­bung, von mei­nem Schre­cken am Fuß ei­ner Lin­de, wi­der den mich das auf­schnel­len­de Git­ter ge­wor­fen hat­te. Mit dem Er­wa­chen er­wach­te auch mei­ne Bos­heit, die sich noch hef­tig ver­mehr­te, als ich von drü­ben die Spott­wor­te und das Ge­läch­ter mei­ner Geg­ne­rin ver­nahm, die an der an­de­ren Sei­te et­was ge­lin­der als ich moch­te zur Erde ge­kom­men sein. Da­her sprang ich auf, und als ich rings um mich das klei­ne Heer nebst sei­nem An­füh­rer Achill, wel­che das auf­fah­ren­de Git­ter mit mir her­über­ge­schnellt hat­te, zer­streut sah, er­griff ich den Hel­den zu­erst und warf ihn wi­der einen Baum. Sei­ne Wie­der­her­stel­lung und sei­ne Flucht ge­fie­len mir nun dop­pelt, weil sich die Scha­den­freu­de zu dem ar­tigs­ten An­blick von der Welt ge­sell­te, und ich war im Be­griff, die sämt­li­chen Grie­chen ihm nach­zu­schi­cken, als auf ein­mal zi­schen­de Was­ser von al­len Sei­ten her, aus Stei­nen und Mau­ern, aus Bo­den und Zwei­gen her­vor­sprüh­ten und, wo ich mich hin­wen­de­te, kreuz­wei­se auf mich los­peitsch­ten. Mein leich­tes Ge­wand war in kur­z­er Zeit völ­lig durch­nässt; zer­schlitzt war es schon, und ich säum­te nicht, es mir ganz vom Lei­be zu rei­ßen. Die Pan­tof­feln warf ich von mir, und so eine Hül­le nach der an­de­ren; ja ich fand es end­lich bei dem war­men Tage sehr an­ge­nehm, ein sol­ches Strahl­bad über mich er­ge­hen zu las­sen. Ganz nackt schritt ich nun gra­vi­tä­tisch zwi­schen die­sen will­komm­nen Ge­wäs­sern ein­her und dach­te mich lan­ge so wohl be­fin­den zu kön­nen. Mein Zorn ver­kühl­te sich, und ich wünsch­te nichts mehr als eine Ver­söh­nung mit mei­ner klei­nen Geg­ne­rin. Doch in ei­nem Nu schnapp­ten die Was­ser ab, und ich stand nun feucht auf ei­nem durch­näss­ten Bo­den. Die Ge­gen­wart des al­ten Man­nes, der un­ver­mu­tet vor mich trat, war mir kei­nes­wegs will­kom­men; ich hät­te ge­wünscht, mich, wo nicht ver­ber­gen, doch we­nigs­tens ver­hül­len zu kön­nen. Die Be­schä­mung, der Frost­schau­er, das Be­stre­ben, mich ei­ni­ger­ma­ßen zu be­de­cken, lie­ßen mich eine höchst er­bärm­li­che Fi­gur spie­len; der Alte be­nutz­te den Au­gen­blick, um mir die größ­ten Vor­wür­fe zu ma­chen. »Was hin­dert mich«, rief er aus, »dass ich nicht eine der grü­nen Schnuren er­grei­fe und sie, wo nicht Eu­rem Hals, doch Eu­rem Rücken an­mes­se!« Die­se Dro­hung nahm ich höchst übel. »Hü­tet Euch«, rief ich aus, »vor sol­chen Wor­ten, ja nur vor sol­chen Ge­dan­ken: denn sonst seid Ihr und Eure Ge­bie­te­rin­nen ver­lo­ren!« – »Wer bist denn du«, frag­te er trut­zig, »dass du so re­den darfst?« – »Ein Lieb­ling der Göt­ter«, sag­te ich, »von dem es ab­hängt, ob jene Frau­en­zim­mer wür­di­ge Gat­ten fin­den und ein glück­li­ches Le­ben füh­ren sol­len, oder ob er sie will in ih­rem Zau­ber­klos­ter ver­schmach­ten und ver­al­ten las­sen.« – Der Alte trat ei­ni­ge Schrit­te zu­rück. »Wer hat dir das of­fen­bart?« frag­te er er­staunt und be­denk­lich. – »Drei Äp­fel«, sag­te ich, »drei Ju­we­len.« – »Und was ver­langst du zum Lohn?« rief er aus. – »Vor al­len Din­gen das klei­ne Ge­schöpf«, ver­setz­te ich, »die mich in die­sen ver­wünsch­ten Zu­stand ge­bracht hat.« – Der Alte warf sich vor mir nie­der, ohne sich vor der noch feuch­ten und schlam­mi­gen Erde zu scheu­en; dann stand er auf, ohne be­netzt zu sein, nahm mich freund­lich bei der Hand, führ­te mich in je­nen Saal, klei­de­te mich be­händ wie­der an, und bald war ich wie­der sonn­täg­lich ge­putzt und fri­siert wie vor­her. Der Pfört­ner sprach kein Wort wei­ter; aber ehe er mich über die Schwel­le ließ, hielt er mich an und deu­te­te mir auf ei­ni­ge Ge­gen­stän­de an der Mau­er drü­ben über den Weg, in­dem er zu­gleich rück­wärts auf das Pfört­chen zeig­te. Ich ver­stand ihn wohl: er woll­te näm­lich, dass ich mir die Ge­gen­stän­de ein­prä­gen möch­te, um das Pfört­chen de­sto ge­wis­ser wie­der­zu­fin­den, wel­ches sich un­ver­se­hens hin­ter mir zu­schloss. Ich merk­te mir nun wohl, was mir ge­gen­über­stand. Über eine hohe Mau­er rag­ten die Äste ur­al­ter Nuss­bäu­me her­über und be­deck­ten zum Teil das Ge­sims, wo­mit sie en­dig­te. Die Zwei­ge reich­ten bis an eine stei­ner­ne Ta­fel, de­ren ver­zier­te Ein­fas­sung ich wohl er­ken­nen, de­ren In­schrift ich aber nicht le­sen konn­te. Die ruh­te auf dem Krag­stein ei­ner Ni­sche, in wel­cher ein künst­lich ge­ar­bei­te­ter Brun­nen, von Scha­le zu Scha­le, Was­ser in ein großes Be­cken goss, das wie einen klei­nen Teich bil­de­te und sich in die Erde ver­lor. Brun­nen, In­schrift, Nuss­bäu­me, al­les stand senk­recht über ein­an­der: ich woll­te es ma­len, wie ich es ge­sehn habe.

Nun lässt sich wohl den­ken, wie ich die­sen Abend und man­chen fol­gen­den Tag zu­brach­te und wie oft ich mir die­se Ge­schich­ten, die ich kaum selbst glau­ben konn­te, wie­der­hol­te. So­bald mir’s nur ir­gend mög­lich war, ging ich wie­der zur schlim­men Mau­er, um we­nigs­tens jene Merk­zei­chen im Ge­dächt­nis an­zu­fri­schen und das köst­li­che Pfört­chen zu be­schau­en. Al­lein zu mei­nem größ­ten Er­stau­nen fand ich al­les ver­än­dert. Nuss­bäu­me rag­ten wohl über die Mau­er, aber sie stan­den nicht un­mit­tel­bar ne­ben ein­an­der. Eine Ta­fel war auch ein­ge­mau­ert, aber von den Bäu­men weit rechts, ohne Ver­zie­rung, und mit ei­ner le­ser­li­chen In­schrift. Eine Ni­sche mit ei­nem Brun­nen fin­det sich weit links, der aber je­nem, den ich ge­se­hen, durch­aus nicht zu ver­glei­chen ist; so­dass ich bei­na­he glau­ben muss, das zwei­te Aben­teu­er sei so gut als das ers­te ein Traum ge­we­sen: denn von dem Pfört­chen fin­det sich über­haupt gar kei­ne Spur. Das ein­zi­ge, was mich trös­tet, ist die Be­mer­kung, dass jene drei Ge­gen­stän­de stets den Ort zu ver­än­dern schei­nen: denn bei wie­der­hol­tem Be­such je­ner Ge­gend glau­be ich be­merkt zu ha­ben, dass die Nuss­bäu­me et­was zu­sam­men­rücken und dass Ta­fel und Brun­nen sich eben­falls zu nä­hern schei­nen. Wahr­schein­lich, wenn al­les wie­der zu­sam­men­trifft, wird auch die Pfor­te von Neu­em sicht­bar sein, und ich wer­de mein Mög­li­ches tun, das Aben­teu­er wie­der an­zu­knüp­fen. Ob ich euch er­zäh­len kann, was wei­ter be­geg­net, oder ob es mir aus­drück­lich ver­bo­ten wird, weiß ich nicht zu sa­gen.

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Die­ses Mär­chen, von des­sen Wahr­heit mei­ne Ge­spie­len sich lei­den­schaft­lich zu über­zeu­gen trach­te­ten, er­hielt großen Bei­fall. Sie be­such­ten, je­der al­lein, ohne es mir oder den an­de­ren zu ver­trau­en, den an­ge­deu­te­ten Ort, fan­den die Nuss­bäu­me, die Ta­fel und den Brun­nen, aber im­mer ent­fernt von­ein­an­der: wie sie zu­letzt be­kann­ten, weil man in je­nen Jah­ren nicht gern ein Ge­heim­nis ver­schwei­gen mag. Hier ging aber der Streit erst an. Der eine ver­si­cher­te: die Ge­gen­stän­de rück­ten nicht vom Fle­cke und blie­ben im­mer in glei­cher Ent­fer­nung un­ter ein­an­der. Der zwei­te be­haup­te­te: sie be­weg­ten sich, aber sie ent­fern­ten sich von­ein­an­der. Mit die­sem war der drit­te über den ers­ten Punkt der Be­we­gung ein­stim­mig, doch schie­nen ihm Nuss­bäu­me, Ta­fel und Brun­nen sich viel­mehr zu nä­hern. Der vier­te woll­te noch was Merk­wür­di­ge­res ge­se­hen ha­ben: die Nuss­bäu­me näm­lich in der Mit­te, die Ta­fel aber und den Brun­nen auf den ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­ten, als ich an­ge­ge­ben. In Ab­sicht auf die Spur des Pfört­chens va­ri­ier­ten sie auch. Und so ga­ben sie mir ein frü­hes Bei­spiel, wie die Men­schen von ei­ner ganz ein­fa­chen und leicht zu er­ör­tern­den Sa­che die wi­der­spre­chends­ten An­sich­ten ha­ben und be­haup­ten kön­nen. Als ich die Fort­set­zung mei­nes Mär­chens hart­nä­ckig ver­wei­ger­te, ward die­ser ers­te Teil öf­ters wie­der be­gehrt. Ich hü­te­te mich, an den Um­stän­den viel zu ver­än­dern, und durch die Gleich­för­mig­keit mei­ner Er­zäh­lung ver­wan­del­te ich in den Ge­mü­tern mei­ner Zu­hö­rer die Fa­bel in Wahr­heit.

Üb­ri­gens war ich den Lü­gen und der Ver­stel­lung ab­ge­neigt und über­haupt kei­nes­wegs leicht­sin­nig; viel­mehr zeig­te sich der in­ne­re Ernst, mit dem ich schon früh mich und die Welt be­trach­te­te, auch in mei­nem Äu­ßern, und ich ward oft freund­lich, oft auch spöt­tisch über eine ge­wis­se Wür­de be­ru­fen, die ich mir her­aus­nahm. Denn ob es mir zwar an gu­ten, aus­ge­such­ten Freun­den nicht fehl­te, so wa­ren wir doch im­mer die Min­der­zahl ge­gen jene, die uns mit ro­hem Mut­wil­len an­zu­fech­ten ein Ver­gnü­gen fan­den und uns frei­lich oft sehr un­sanft aus je­nen mär­chen­haf­ten, selbst­ge­fäl­li­gen Träu­men auf­weck­ten, in die wir uns, ich er­fin­dend und mei­ne Ge­spie­len teil­neh­mend, nur all­zu gern ver­lo­ren. Nun wur­den wir aber­mals ge­wahr, dass man, an­statt sich der Weich­lich­keit und fan­tas­ti­schen Ver­gnü­gun­gen hin­zu­ge­ben, wohl eher Ur­sa­che habe, sich ab­zu­här­ten, um die un­ver­meid­li­chen Übel ent­we­der zu er­tra­gen oder ih­nen ent­ge­gen zu wir­ken.

Un­ter die Übun­gen des Stoi­zis­mus, den ich des­halb so ernst­lich, als es ei­nem Kna­ben mög­lich ist, bei mir aus­bil­de­te, ge­hör­ten auch die Dul­dun­gen kör­per­li­cher Lei­den. Un­se­re Leh­rer be­han­del­ten uns oft sehr un­freund­lich und un­ge­schickt mit Schlä­gen und Püf­fen, ge­gen die wir uns umso mehr ver­här­te­ten, als Wi­der­setz­lich­keit oder Ge­gen­wir­kung aufs höchs­te ver­pönt war. Sehr vie­le Scher­ze der Ju­gend be­ru­hen auf ei­nem Wett­streit sol­cher Er­tra­gun­gen: zum Bei­spiel, wenn man mit zwei Fin­gern oder der gan­zen Hand sich wech­sels­wei­se bis zur Be­täu­bung der Glie­der schlägt, oder die bei ge­wis­sen Spie­len ver­schul­de­ten Schlä­ge mit mehr oder we­ni­ger Ge­setzt­heit aus­hält; wenn man sich beim Rin­gen und Bal­gen durch die Knif­fe der Hal­b­über­wun­de­nen nicht irre ma­chen lässt; wenn man einen aus Ne­cke­rei zu­ge­füg­ten Schmerz un­ter­drückt; ja selbst das Zwi­cken und Kit­zeln, wo­mit jun­ge Leu­te so ge­schäf­tig ge­gen­ein­an­der sind, als et­was Gleich­gül­ti­ges be­han­delt. Da­durch setzt man sich in einen großen Vor­teil, der uns von an­de­ren so ge­schwind nicht ab­ge­won­nen wird.

Da ich je­doch von ei­nem sol­chen Lei­den­strotz gleich­sam Pro­fes­si­on mach­te, so wuch­sen die Zu­dring­lich­kei­ten der an­de­ren; und wie eine un­ar­ti­ge Grau­sam­keit kei­ne Gren­zen kennt, so wuss­te sie mich doch aus mei­ner Gren­ze hin­aus­zu­trei­ben. Ich er­zäh­le einen Fall statt vie­ler. Der Leh­rer war eine Stun­de nicht ge­kom­men; so­lan­ge wir Kin­der alle bei­sam­men wa­ren, un­ter­hiel­ten wir uns recht ar­tig; als aber die mir Wohl­wol­len­den, nach­dem sie lan­ge ge­nug ge­war­tet, hin­weg­gin­gen und ich mit drei Miss­wol­len­den al­lein blieb, so dach­ten die­se mich zu quä­len, zu be­schä­men und zu ver­trei­ben. Sie hat­ten mich einen Au­gen­blick im Zim­mer ver­las­sen und ka­men mit Ru­ten zu­rück, die sie sich aus ei­nem ge­schwind zer­schnit­te­nen Be­sen ver­schafft hat­ten. Ich merk­te ihre Ab­sicht, und weil ich das Ende der Stun­de nahe glaub­te, so setz­te ich aus dem Steg­rei­fe bei mir fest, mich bis zum Glo­cken­schla­ge nicht zu weh­ren. Sie fin­gen dar­auf un­barm­her­zig an, mir die Bei­ne und Wa­den auf das grau­sams­te zu peit­schen. Ich rühr­te mich nicht, fühl­te aber bald, dass ich mich ver­rech­net hat­te und dass ein sol­cher Schmerz die Mi­nu­ten sehr ver­län­gert. Mit der Dul­dung wuchs mei­ne Wut, und mit dem ers­ten Stun­den­schlag fuhr ich dem einen, der sich’s am we­nigs­ten ver­sah, mit der Hand in die Na­cken­haa­re und stürz­te ihn au­gen­blick­lich zu Bo­den, in­dem ich mit dem Knie sei­nen Rücken drück­te; den an­de­ren, einen jün­ge­ren und schwä­che­ren, der mich von hin­ten an­fiel, zog ich bei dem Kop­fe durch den Arm und er­dros­sel­te ihn fast, in­dem ich ihn an mich press­te. Nun war der letz­te noch üb­rig und nicht der schwächs­te, und mir blieb nur die lin­ke Hand zu mei­ner Ver­tei­di­gung. Al­lein ich er­griff ihn beim Klei­de, und durch eine ge­schick­te Wen­dung von mei­ner Sei­te, durch eine über­eil­te von sei­ner brach­te ich ihn nie­der und stieß ihn mit dem Ge­sicht ge­gen den Bo­den. Sie lie­ßen es nicht an Bei­ßen, Krat­zen und Tre­ten feh­len; aber ich hat­te nur mei­ne Ra­che im Sinn und in den Glie­dern. In dem Vor­teil, in dem ich mich be­fand, stieß ich sie wie­der­holt mit den Köp­fen zu­sam­men. Sie er­hu­ben zu­letzt ein ent­setz­li­ches Ze­ter­ge­schrei, und wir sa­hen uns bald von al­len Haus­ge­nos­sen um­ge­ben. Die um­her­ge­streu­ten Ru­ten und mei­ne Bei­ne, die ich von den St­rümp­fen ent­blö­ßte, zeug­ten bald für mich. Man be­hielt sich die Stra­fe vor und ließ mich aus dem Hau­se; ich er­klär­te aber, dass ich künf­tig bei der ge­rings­ten Be­lei­di­gung ei­nem oder dem an­de­ren die Au­gen aus­krat­zen, die Ohren ab­rei­ßen, wo nicht gar ihn er­dros­seln wür­de.

Die­ser Vor­fall, ob man ihn gleich, wie es in kin­di­schen Din­gen zu ge­sche­hen pflegt, bald wie­der ver­gaß und so­gar be­lach­te, war je­doch Ur­sa­che, dass die­se ge­mein­sa­men Un­ter­richts­stun­den selt­ner wur­den und zu­letzt ganz auf­hör­ten. Ich war also wie­der wie vor­her mehr ins Haus ge­bannt, wo ich an mei­ner Schwes­ter Cor­ne­lia, die nur ein Jahr we­ni­ger zähl­te als ich, eine an An­nehm­lich­keit im­mer wach­sen­de Ge­sell­schaf­te­rin fand.

Ich will je­doch die­sen Ge­gen­stand nicht ver­las­sen, ohne noch ei­ni­ge Ge­schich­ten zu er­zäh­len, wie man­cher­lei Un­an­ge­neh­mes mir von mei­nen Ge­spie­len be­geg­net: denn das ist ja eben das Lehr­rei­che sol­cher sitt­li­chen Mit­tei­lun­gen, dass der Mensch er­fah­re, wie es an­de­ren er­gan­gen und was auch er vom Le­ben zu er­war­ten habe, und dass er, es mag sich er­eig­nen was will, be­den­ke, die­ses wi­der­fah­re ihm als Men­schen und nicht als ei­nem be­son­ders Glück­li­chen oder Un­glück­li­chen. Nützt ein sol­ches Wis­sen nicht viel, um die Übel zu ver­mei­den, so ist es doch sehr dien­lich, dass wir uns in die Zu­stän­de fin­den, sie er­tra­gen, ja sie über­win­den ler­nen.

Noch eine all­ge­mei­ne Be­mer­kung steht hier an der rech­ten Stel­le, dass näm­lich bei dem Em­por­wach­sen der Kin­der aus den ge­sit­te­ten Stän­den ein sehr großer Wi­der­spruch zum Vor­schein kommt, ich mei­ne den, dass sie von El­tern und Leh­rern an­ge­mahnt und an­ge­lei­tet wer­den, sich mä­ßig, ver­stän­dig, ja ver­nünf­tig zu be­tra­gen, nie­man­den aus Mut­wil­len oder Über­mut ein Leids zu­zu­fü­gen und alle ge­häs­si­gen Re­gun­gen, die sich an ih­nen ent­wi­ckeln möch­ten, zu un­ter­drücken; dass nun aber im Ge­gen­teil, wäh­rend die jun­gen Ge­schöp­fe mit ei­ner sol­chen Übung be­schäf­tigt sind, sie von an­de­ren das zu lei­den ha­ben, was an ih­nen ge­schol­ten wird und höch­lich ver­pönt ist. Da­durch kom­men die ar­men We­sen zwi­schen dem Na­tur­zu­stan­de und dem der Zi­vi­li­sa­ti­on gar er­bärm­lich in die Klem­me und wer­den, je nach­dem die Cha­rak­tere sind, ent­we­der tückisch, oder ge­walt­sam auf­brau­send, wenn sie eine Zeit lang an sich ge­hal­ten ha­ben.

Ge­walt ist eher mit Ge­walt zu ver­trei­ben; aber ein gut­ge­sinn­tes, zur Lie­be und Teil­nah­me ge­neig­tes Kind weiß dem Hohn und dem bö­sen Wil­len we­nig ent­ge­gen­zu­set­zen. Wenn ich die Tät­lich­kei­ten mei­ner Ge­sel­len so ziem­lich ab­zu­hal­ten wuss­te, so war ich doch kei­nes­wegs ih­ren Sti­che­lei­en und Miss­re­den ge­wach­sen, weil in sol­chen Fäl­len der­je­ni­ge, der sich ver­tei­digt, im­mer ver­lie­ren muss. Es wur­den also auch An­grif­fe die­ser Art, in­so­fern sie zum Zorn reiz­ten, mit phy­si­schen Kräf­ten zu­rück­ge­wie­sen, oder sie reg­ten wun­der­sa­me Be­trach­tun­gen in mir auf, die denn nicht ohne Fol­gen blei­ben konn­ten. Un­ter an­de­ren Vor­zü­gen miss­gönn­ten mir die Übel­wol­len­den auch, dass ich mir in ei­nem Ver­hält­nis ge­fiel, wel­ches aus dem Schult­hei­ßen­amt mei­nes Groß­va­ters für die Fa­mi­lie ent­sprang: denn in­dem er als der ers­te un­ter sei­nes­glei­chen da­stand, hat­te die­ses doch auch auf die Sei­ni­gen nicht ge­rin­gen Ein­fluss. Und als ich mir ein­mal nach ge­hal­te­nem Pfei­fer­ge­rich­te et­was dar­auf ein­zu­bil­den schi­en, mei­nen Groß­va­ter in der Mit­te des Schöf­fen­rats, eine Stu­fe hö­her als die an­de­ren, un­ter dem Bil­de des Kai­sers gleich­sam thro­nend ge­se­hen zu ha­ben, so sag­te ei­ner der Kna­ben höh­nisch: ich soll­te doch, wie der Pfau auf sei­ne Füße, so auf mei­nen Groß­va­ter vä­ter­li­cher Sei­te hin­se­hen, wel­cher Gast­ge­ber zum Wei­den­hof ge­we­sen und wohl an die Thro­nen und Kro­nen kei­nen An­spruch ge­macht hät­te. Ich er­wi­der­te dar­auf, dass ich da­von kei­nes­wegs be­schämt sei, weil ge­ra­de dar­in das Herr­li­che und Er­he­ben­de un­se­rer Va­ter­stadt be­ste­he, dass alle Bür­ger sich ein­an­der gleich hal­ten dürf­ten und dass ei­nem je­den sei­ne Tä­tig­keit nach sei­ner Art för­der­lich und eh­ren­voll sein kön­ne. Es sei mir nur leid, dass der gute Mann schon so lan­ge ge­stor­ben: denn ich habe mich auch ihn per­sön­lich zu ken­nen öf­ters ge­sehnt, sein Bild­nis viel­mals be­trach­tet, ja sein Grab be­sucht und mich we­nigs­tens bei der In­schrift an dem ein­fa­chen Denk­mal sei­nes vor­über­ge­gan­ge­nen Da­seins ge­freut, dem ich das mei­ne schul­dig ge­wor­den. Ein an­de­rer Miss­wol­len­der, der tückischs­te von al­len, nahm je­nen ers­ten bei­sei­te und flüs­ter­te ihm et­was in die Ohren, wo­bei sie mich im­mer spöt­tisch an­sa­hen. Schon fing die Gal­le mir an zu ko­chen, und ich for­der­te sie auf, laut zu re­den. »Nun, was ist es denn wei­ter«, sag­te der ers­te, »wenn du es wis­sen willst: die­ser da meint, du könn­test lan­ge her­um­ge­hen und su­chen, bis du dei­nen Groß­va­ter fän­dest.« Ich droh­te nun noch hef­ti­ger, wenn sie sich nicht deut­li­cher er­klä­ren wür­den. Sie brach­ten dar­auf ein Mär­chen vor, das sie ih­ren El­tern woll­ten ab­ge­lauscht ha­ben: mein Va­ter sei der Sohn ei­nes vor­neh­men Man­nes, und je­ner gute Bür­ger habe sich wil­lig fin­den las­sen, äu­ßer­lich Va­ter­stel­le zu ver­tre­ten, die hat­ten die Un­ver­schämt­heit, al­ler­lei Ar­gu­men­te vor­zu­brin­gen, z. B. dass un­ser Ver­mö­gen bloß von der Groß­mut­ter her­rüh­re, dass die üb­ri­gen Sei­ten­ver­wand­ten, die sich in Fried­berg oder sonst auf­hiel­ten, gleich­falls ohne Ver­mö­gen sei­en, und was noch an­de­re sol­che Grün­de wa­ren, die ihr Ge­wicht bloß von der Bos­heit her­neh­men konn­ten. Ich hör­te ih­nen ru­hi­ger zu, als sie er­war­te­ten, denn sie stan­den schon auf dem Sprung, zu ent­flie­hen, wenn ich Mie­ne mach­te, nach ih­ren Haa­ren zu grei­fen. Aber ich ver­setz­te ganz ge­las­sen: auch die­ses kön­ne mir recht sein. Das Le­ben sei so hübsch, dass man völ­lig für gleich­gül­tig ach­ten kön­ne, wem man es zu ver­dan­ken habe: denn es schrie­be sich doch zu­letzt von Gott her, vor wel­chem wir alle gleich wä­ren. So lie­ßen sie, da sie nichts aus­rich­ten konn­ten, die Sa­che für dies­mal gut sein; man spiel­te zu­sam­men wei­ter fort, wel­ches un­ter Kin­dern im­mer ein er­prob­tes Ver­söh­nungs­mit­tel bleibt.

Mir war je­doch durch die hä­mi­schen Wor­te eine Art von sitt­li­cher Krank­heit ein­ge­impft, die im Stil­len fort­sch­lich. Es woll­te mir gar nicht miss­fal­len, der En­kel ir­gend ei­nes vor­neh­men Herrn zu sein, wenn es auch nicht auf die ge­setz­lichs­te Wei­se ge­we­sen wäre. Mei­ne Spür­kraft ging auf die­ser Fähr­te, mei­ne Ein­bil­dungs­kraft war an­ge­regt und mein Scharf­sinn auf­ge­for­dert. Ich fing nun an, die An­ga­ben je­ner zu un­ter­su­chen, fand und er­fand neue Grün­de der Wahr­schein­lich­keit. Ich hat­te von mei­nem Groß­va­ter we­nig re­den hö­ren, au­ßer dass sein Bild­nis mit dem mei­ner Groß­mut­ter in ei­nem Be­such­zim­mer des al­ten Hau­ses ge­han­gen hat­te, wel­che bei­de, nach Er­bau­ung des neu­en in ei­ner obe­ren Kam­mer auf­be­wahrt wur­den. Mei­ne Groß­mut­ter muss­te eine sehr schö­ne Frau ge­we­sen sein und von glei­chem Al­ter mit ih­rem Man­ne. Auch er­in­ner­te ich mich, in ih­rem Zim­mer das Mi­nia­tur­bild ei­nes schö­nen Herrn, in Uni­form mit Stern und Or­den, ge­se­hen zu ha­ben, wel­ches nach ih­rem Tode mit vie­len an­de­ren klei­nen Gerät­schaf­ten, wäh­rend des al­les um­wäl­zen­den Haus­bau­es ver­schwun­den war. Sol­che wie man­che an­de­re Din­ge bau­te ich mir in mei­nem kin­di­schen Kop­fe zu­sam­men und übte früh­zei­tig ge­nug je­nes mo­der­ne Dich­ter­ta­lent, wel­ches durch eine aben­teu­er­li­che Ver­knüp­fung der be­deu­ten­den Zu­stän­de des mensch­li­chen Le­bens sich die Teil­nah­me der gan­zen kul­ti­vier­ten Welt zu ver­schaf­fen weiß.

Da ich nun aber einen sol­chen Fall nie­man­den zu ver­trau­en, oder auch nur von fer­ne nach­zu­fra­gen mich un­ter­stand, so ließ ich es an ei­ner heim­li­chen Be­trieb­sam­keit nicht feh­len, um wo mög­lich der Sa­che et­was nä­her zu kom­men. Ich hat­te näm­lich ganz be­stimmt be­haup­ten hö­ren, dass die Söh­ne den Vä­tern oder Groß­vä­tern oft ent­schie­den ähn­lich zu sein pfleg­ten. Meh­re­re un­se­rer Freun­de, be­son­ders auch Rat Schnei­der, un­ser Haus­freund, hat­ten Ge­schäfts­ver­bin­dun­gen mit al­len Fürs­ten und Her­ren der Nach­bar­schaft, de­ren, so­wohl re­gie­ren­der als nach­ge­bor­ner, kei­ne ge­rin­ge An­zahl am Rhein und Main und in dem Rau­me zwi­schen bei­den ihre Be­sit­zun­gen hat­ten, und die aus be­son­de­rer Gunst ihre treu­en Ge­schäfts­trä­ger zu­wei­len wohl mit ih­ren Bild­nis­sen beehr­ten. Die­se, die ich von Ju­gend auf viel­mals an den Wän­den ge­se­hen, be­trach­te­te ich nun­mehr mit dop­pel­ter Auf­merk­sam­keit, for­schend, ob ich nicht eine Ähn­lich­keit mit mei­nem Va­ter, oder gar mit mir ent­de­cken könn­te; wel­ches aber zu oft ge­lang, als dass es mich zu ei­ni­ger Ge­wiss­heit hät­te füh­ren kön­nen. Denn bald wa­ren es die Au­gen von die­sem, bald die Nase von je­nem, die mir auf ei­ni­ge Ver­wandt­schaft zu deu­ten schie­nen. So führ­ten mich die­se Kenn­zei­chen trüg­lich ge­nug hin und wi­der. Und ob ich gleich in der Fol­ge die­sen Vor­wurf als ein durch­aus lee­res Mär­chen be­trach­ten muss­te, so blieb mir doch der Ein­druck, und ich konn­te nicht un­ter­las­sen, die sämt­li­chen Her­ren, de­ren Bild­nis­se mir sehr deut­lich in der Fan­ta­sie ge­blie­ben wa­ren, von Zeit zu Zeit im Stil­len bei mir zu mus­tern und zu prü­fen. So wahr ist es, dass al­les, was den Men­schen in­ner­lich in sei­nem Dün­kel be­stärkt, sei­ner heim­li­chen Ei­tel­keit schmei­chelt, ihm der­ge­stalt höch­lich er­wünscht ist, dass er nicht wei­ter fragt, ob es ihm sonst auf ir­gend eine Wei­se zur Ehre oder zur Schmach ge­rei­chen kön­ne.

Doch an­statt hier ernst­haf­te, ja rü­gen­de Be­trach­tun­gen ein­zu­mi­schen, wen­de ich lie­ber mei­nen Blick von je­nen schö­nen Zei­ten hin­weg: denn wer wäre im stan­de, von der Fül­le der Kind­heit wür­dig zu spre­chen! Wir kön­nen die klei­nen Ge­schöp­fe, die vor uns her­um­wan­deln, nicht an­ders als mit Ver­gnü­gen, ja mit Be­wun­de­rung an­se­hen: denn meist ver­spre­chen sie mehr, als sie hal­ten, und es scheint, als wenn die Na­tur un­ter an­de­ren schel­mi­schen Strei­chen, die sie uns spielt, auch hier sich ganz be­son­ders vor­ge­setzt, uns zum Bes­ten zu ha­ben. Die ers­ten Or­ga­ne, die sie Kin­dern mit auf die Welt gibt, sind dem nächs­ten un­mit­tel­ba­ren Zu­stan­de des Ge­schöpfs ge­mäß; es be­dient sich der­sel­ben kunst- und an­spruchs­los, auf die ge­schick­tes­te Wei­se zu den nächs­ten Zwe­cken. Das Kind, an und für sich be­trach­tet, mit sei­nes­glei­chen und in Be­zie­hun­gen, die sei­nen Kräf­ten an­ge­mes­sen sind, scheint so ver­stän­dig, so ver­nünf­tig, dass nichts drü­ber geht, und zu­gleich so be­quem, hei­ter und ge­wandt, dass man kei­ne weitre Bil­dung für das­sel­be wün­schen möch­te. Wüch­sen die Kin­der in der Art fort, wie sie sich an­deu­ten, so hät­ten wir lau­ter Ge­nies. Aber das Wachs­tum ist nicht bloß Ent­wick­lung; die ver­schied­nen or­ga­ni­schen Sys­te­me, die den einen Men­schen aus­ma­chen, ent­sprin­gen aus ein­an­der, fol­gen ein­an­der, ver­wan­deln sich in ein­an­der, ver­drän­gen ein­an­der, ja zeh­ren ein­an­der auf, so­dass von man­chen Fä­hig­kei­ten, von man­chen Kraft­äu­ße­run­gen nach ei­ner ge­wis­sen Zeit kaum eine Spur mehr zu fin­den ist. Wenn auch die mensch­li­chen An­la­gen im gan­zen eine ent­schie­de­ne Rich­tung ha­ben, so wird es doch dem größ­ten und er­fah­rens­ten Ken­ner schwer sein, sie mit Zu­ver­läs­sig­keit vor­aus zu ver­kün­den; doch kann man hin­ter­drein wohl be­mer­ken, was auf ein künf­ti­ges hin­ge­deu­tet hat.

Kei­nes­wegs ge­den­ke ich da­her in die­sen ers­ten Bü­chern mei­ne Ju­gend­ge­schich­ten völ­lig ab­zu­schlie­ßen, son­dern ich wer­de viel­mehr noch spä­ter­hin man­chen Fa­den auf­neh­men und fort­lei­ten, der sich un­be­merkt durch die ers­ten Jah­re schon hin­durch­zog. Hier muss ich aber be­mer­ken, wel­chen stär­ke­ren Ein­fluss nach und nach die Kriegs­be­ge­ben­hei­ten auf un­se­re Ge­sin­nun­gen und uns­re Le­bens­wei­se aus­üb­ten.

Der ru­hi­ge Bür­ger steht zu den großen Wel­ter­eig­nis­sen in ei­nem wun­der­ba­ren Ver­hält­nis. Schon aus der Fer­ne re­gen sie ihn auf und be­un­ru­hi­gen ihn, und er kann sich, selbst wenn sie ihn nicht be­rüh­ren, ei­nes Ur­teils, ei­ner Teil­nah­me nicht ent­hal­ten. Schnell er­greift er eine Par­tei, nach­dem ihn sein Cha­rak­ter oder äu­ße­re An­läs­se be­stim­men. Rücken so große Schick­sa­le, so be­deu­ten­de Ver­än­de­run­gen nä­her, dann bleibt ihm bei man­chen äu­ßern Un­be­quem­lich­kei­ten noch im­mer je­nes in­n­re Miss­be­ha­gen, ver­dop­pelt und schärft das Übel meis­ten­teils und zer­stört das noch mög­li­che Gute. Dann hat er von Freun­den und Fein­den wirk­lich zu lei­den, oft mehr von je­nen als von die­sen, und er weiß we­der, wie er sei­ne Nei­gung noch wie er sei­nen Vor­teil wah­ren und er­hal­ten soll.

Das Jahr 1757, das wir noch in völ­lig bür­ger­li­cher Ruhe ver­brach­ten, wur­de dem un­ge­ach­tet in großer Ge­müts­be­we­gung ver­lebt. Rei­cher an Be­ge­ben­hei­ten als die­ses war viel­leicht kein an­de­res. Die Sie­ge, die Groß­ta­ten, die Un­glücks­fäl­le, die Wie­der­her­stel­lun­gen folg­ten auf ein­an­der, ver­schlan­gen sich und schie­nen sich auf­zu­he­ben; im­mer aber schweb­te die Ge­stalt Fried­richs, sein Name, sein Ruhm in kur­z­em wie­der oben. Der En­thu­si­as­mus sei­ner Ver­eh­rer ward im­mer grö­ßer und be­leb­ter, der Hass sei­ner Fein­de bit­te­rer, und die Ver­schie­den­heit der An­sich­ten, wel­che selbst Fa­mi­li­en zer­spal­te­te, trug nicht we­nig dazu bei, die oh­ne­hin schon auf man­cher­lei Wei­se von­ein­an­der ge­trenn­ten Bür­ger noch mehr zu iso­lie­ren. Denn in ei­ner Stadt wie Frank­furt, wo drei Re­li­gio­nen die Ein­woh­ner in drei un­glei­che Mas­sen tei­len, wo nur we­ni­ge Män­ner, selbst von der herr­schen­den, zum Re­gi­ment ge­lan­gen kön­nen, muss es gar man­chen Wohl­ha­ben­den und Un­ter­rich­te­ten ge­ben, der sich auf sich zu­rück­zieht und durch Stu­di­en und Lieb­ha­be­rei­en sich eine eig­ne und ab­ge­schlos­se­ne Exis­tenz bil­det. Von sol­chen wird ge­gen­wär­tig und auch künf­tig die Rede sein müs­sen, wenn man sich die Ei­gen­hei­ten ei­nes Frank­fur­ter Bür­gers aus je­ner Zeit ver­ge­gen­wär­ti­gen soll.

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1161 s. 2 illüstrasyon
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