Kitabı oku: «Dichtung und Wahrheit», sayfa 4

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Zweites Buch

Al­les bis­her Vor­ge­tra­ge­ne deu­tet auf je­nen glück­li­chen und ge­mäch­li­chen Zu­stand, in wel­chem sich die Län­der wäh­rend ei­nes lan­gen Frie­dens be­fin­den. Nir­gends aber ge­nießt man eine sol­che schö­ne Zeit wohl mit grö­ße­rem Be­ha­gen als in Städ­ten, die nach ih­ren ei­ge­nen Ge­set­zen le­ben, die groß ge­nug sind, eine an­sehn­li­che Men­ge Bür­ger zu fas­sen, und wohl ge­le­gen, um sie durch Han­del und Wan­del zu be­rei­chern. Frem­de fin­den ih­ren Ge­winn, da aus- und ein­zu­zie­hen, und sind ge­nö­tigt, Vor­teil zu brin­gen, um Vor­teil zu er­lan­gen. Be­herr­schen sol­che Städ­te auch kein wei­tes Ge­biet, so kön­nen sie de­sto mehr im In­nern Wohl­hä­big­keit be­wir­ken, weil ihre Ver­hält­nis­se nach au­ßen sie nicht zu kost­spie­li­gen Un­ter­neh­mun­gen oder Teil­nah­men ver­pflich­ten.

Auf die­se Wei­se ver­floss den Frank­fur­tern wäh­rend mei­ner Kind­heit eine Rei­he glück­li­cher Jah­re. Aber kaum hat­te ich am 28s­ten Au­gust 1756 mein sie­ben­tes Jahr zu­rück­ge­legt, als gleich dar­auf je­ner welt­be­kann­te Krieg aus­brach, wel­cher auf die nächs­ten sie­ben Jah­re mei­nes Le­bens auch großen Ein­fluss ha­ben soll­te. Fried­rich der Zwei­te, Kö­nig von Preu­ßen, war mit 60 000 Mann in Sach­sen ein­ge­fal­len, und statt ei­ner vor­gän­gi­gen Kriegs­er­klä­rung folg­te ein Ma­ni­fest, wie man sag­te von ihm selbst ver­fasst, wel­ches die Ur­sa­chen ent­hielt, die ihn zu ei­nem sol­chen un­ge­heu­ren Schritt be­wo­gen und be­rech­tigt. Die Welt, die sich nicht nur als Zuschau­er, son­dern auch als Rich­ter auf­ge­for­dert fand, spal­te­te sich so­gleich in zwei Par­tei­en, und un­se­re Fa­mi­lie war ein Bild des großen Gan­zen.

Mein Groß­va­ter, der als Schöff von Frank­furt über Franz dem Ers­ten den Krö­nungs­him­mel ge­tra­gen und von der Kai­se­rin eine ge­wich­ti­ge gol­de­ne Ket­te mit ih­rem Bild­nis er­hal­ten hat­te, war mit ei­ni­gen Schwie­ger­söh­nen und Töch­tern auf östrei­chi­scher Sei­te. Mein Va­ter, von Karl dem Sie­ben­ten zum kai­ser­li­chen Rat er­nannt und an dem Schick­sa­le die­ses un­glück­li­chen Mon­ar­chen ge­müt­lich teil­neh­mend, neig­te sich mit der klei­nern Fa­mi­li­en­hälf­te ge­gen Preu­ßen. Gar bald wur­den un­se­re Zu­sam­men­künf­te, die man seit meh­rern Jah­ren Sonn­tags un­un­ter­bro­chen fort­ge­setzt hat­te, ge­stört. Die un­ter Ver­schwä­ger­ten ge­wöhn­li­chen Miss­hel­lig­kei­ten fan­den nun erst eine Form, in der sie sich aus­spre­chen konn­ten. Man stritt, man über­warf sich, man schwieg, man brach los. Der Groß­va­ter, sonst ein heit­rer, ru­hi­ger und be­que­mer Mann, ward un­ge­dul­dig. Die Frau­en such­ten ver­ge­bens das Feu­er zu tü­schen, und nach ei­ni­gen un­an­ge­neh­men Sze­nen blieb mein Va­ter zu­erst aus der Ge­sell­schaft. Nun freu­ten wir uns un­ge­stört zu Hau­se der preu­ßi­schen Sie­ge, wel­che ge­wöhn­lich durch jene lei­den­schaft­li­che Tan­te mit großem Ju­bel ver­kün­digt wur­den. Al­les an­de­re In­ter­es­se muss­te die­sem wei­chen, und wir brach­ten den Über­rest des Jah­res in be­stän­di­ger Agi­ta­ti­on zu. Die Be­sitz­nah­me von Dres­den, die an­fäng­li­che Mä­ßi­gung des Kö­nigs, die zwar lang­sa­men, aber si­che­ren Fort­schrit­te, der Sieg bei Lo­wo­sitz, die Ge­fan­gen­neh­mung der Sach­sen wa­ren für un­se­re Par­tei eben so vie­le Tri­um­phe. Al­les, was zum Vor­teil der Geg­ner an­ge­führt wer­den konn­te, wur­de ge­leug­net oder ver­fei­nert, und da die ent­ge­gen­ge­setz­ten Fa­mi­li­en­glie­der das Glei­che ta­ten, so konn­ten sie ein­an­der nicht auf der Stra­ße be­geg­nen, ohne dass es Hän­del setz­te, wie in »Ro­meo und Ju­lie«.

Und so war ich denn auch preu­ßisch oder, um rich­ti­ger zu re­den, Frit­zisch ge­sinnt: denn was ging uns Preu­ßen an? Es war die Per­sön­lich­keit des großen Kö­nigs, die auf alle Ge­mü­ter wirk­te. Ich freu­te mich mit dem Va­ter un­se­rer Sie­ge, schrieb sehr gern die Sie­ges­lie­der ab und fast noch lie­ber die Spott­lie­der auf die Ge­gen­par­tei, so platt die Rei­me auch sein moch­ten.

Als äl­tes­ter En­kel und Pate hat­te ich seit mei­ner Kind­heit je­den Sonn­tag bei den Gro­ß­el­tern ge­speist: es wa­ren mei­ne ver­gnüg­tes­ten Stun­den der gan­zen Wo­che. Aber nun woll­te mir kein Bis­sen mehr schme­cken: denn ich muss­te mei­nen Hel­den aufs gräu­lichs­te ver­leum­den hö­ren. Hier weh­te ein an­de­rer Wind, hier klang ein an­de­rer Ton als zu Hau­se. Die Nei­gung, ja die Ver­eh­rung für mei­ne Gro­ß­el­tern nahm ab. Bei den El­tern durf­te ich nichts da­von er­wäh­nen; ich un­ter­ließ es aus ei­ge­nem Ge­fühl und auch, weil die Mut­ter mich ge­warnt hat­te. Da­durch war ich auf mich selbst zu­rück­ge­wie­sen, und wie mir in mei­nem sechs­ten Jah­re, nach dem Erd­be­ben von Lissa­bon, die Güte Got­tes ei­ni­ger­ma­ßen ver­däch­tig ge­wor­den war, so fing ich nun, we­gen Fried­richs Zwei­ten, die Ge­rech­tig­keit des Pub­li­kums zu be­zwei­feln an. Mein Ge­müt war von Na­tur zur Ehr­er­bie­tung ge­neigt, und es ge­hör­te eine große Er­schüt­te­rung dazu, um mei­nen Glau­ben an ir­gend ein Ehr­wür­di­ges wan­ken zu ma­chen. Lei­der hat­te man uns die gu­ten Sit­ten, ein an­stän­di­ges Be­tra­gen, nicht um ih­rer selbst, son­dern um der Leu­te wil­len an­emp­foh­len; was die Leu­te sa­gen wür­den, hieß es im­mer, und ich dach­te, die Leu­te müss­ten auch rech­te Leu­te sein, wür­den auch al­les und je­des zu schät­zen wis­sen. Nun aber er­fuhr ich das Ge­gen­teil. Die größ­ten und au­gen­fäl­ligs­ten Ver­diens­te wur­den ge­schmäht und an­ge­fein­det, die höchs­ten Ta­ten, wo nicht ge­leug­net, doch we­nigs­tens ent­stellt und ver­klei­nert; und so schnö­des An­recht ge­sch­ah dem ein­zi­gen, of­fen­bar über alle sei­ne Zeit­ge­nos­sen er­ha­be­nen Man­ne, der täg­lich be­wies und dar­tat, was er ver­mö­ge; und dies nicht etwa vom Pö­bel, son­dern von vor­züg­li­chen Män­nern, wo­für ich doch mei­nen Groß­va­ter und mei­ne Ohei­me zu hal­ten hat­te. Dass es Par­tei­en ge­ben kön­ne, ja dass er selbst zu ei­ner Par­tei ge­hör­te, da­von hat­te der Kna­be kei­nen Be­griff. Er glaub­te umso viel mehr Recht zu ha­ben und sei­ne Ge­sin­nung für die bes­se­re er­klä­ren zu dür­fen, da er und die Gleich­ge­sinn­ten Ma­ri­en The­re­si­en, ihre Schön­heit und üb­ri­gen gu­ten Ei­gen­schaf­ten ja gel­ten lie­ßen und dem Kai­ser Franz sei­ne Ju­we­len- und Geld­lieb­ha­be­rei wei­ter auch nicht ver­arg­ten; dass Graf Daun manch­mal eine Schlaf­müt­ze ge­hei­ßen wur­de, glaub­ten sie ver­ant­wor­ten zu kön­nen.

Be­den­ke ich es aber jetzt ge­nau­er, so fin­de ich hier den Keim der Nicht­ach­tung, ja der Ver­ach­tung des Pub­li­kums, die mir eine gan­ze Zeit mei­nes Le­bens an­hing und nur spät durch Ein­sicht und Bil­dung ins Glei­che ge­bracht wer­den konn­te. Ge­nug, schon da­mals war das Ge­wahr­wer­den par­tei­ischer Un­ge­rech­tig­keit dem Kna­ben sehr un­an­ge­nehm, ja schäd­lich, in­dem es ihn ge­wöhn­te, sich von ge­lieb­ten und ge­schätz­ten Per­so­nen zu ent­fer­nen. Die im­mer auf ein­an­der fol­gen­den Kriegs­taten und Be­ge­ben­hei­ten lie­ßen den Par­tei­en we­der Ruhe noch Rast. Wir fan­den ein ver­drieß­li­ches Be­ha­gen, jene ein­ge­bil­de­ten Übel und will­kür­li­chen Hän­del im­mer von fri­schem wie­der zu er­re­gen und zu schär­fen, und so fuh­ren wir fort, uns un­ter ein­an­der zu quä­len, bis ei­ni­ge Jah­re dar­auf die Fran­zo­sen Frank­furt be­setz­ten und uns wah­re Un­be­quem­lich­keit in die Häu­ser brach­ten.

Ob nun gleich die meis­ten sich die­ser wich­ti­gen, in der Fer­ne vor­ge­hen­den Er­eig­nis­se nur zu ei­ner lei­den­schaft­li­chen Un­ter­hal­tung be­dien­ten, so wa­ren doch auch an­de­re, wel­che den Ernst die­ser Zei­ten wohl ein­sa­hen und be­fürch­te­ten, dass bei ei­ner Teil­nah­me Frank­reichs der Kriegs­schau­platz sich auch in un­sern Ge­gen­den auf­tun kön­ne. Man hielt uns Kin­der mehr als bis­her zu Hau­se und such­te uns auf man­cher­lei Wei­se zu be­schäf­ti­gen und zu un­ter­hal­ten. Zu sol­chem Ende hat­te man das von der Groß­mut­ter hin­ter­las­se­ne Pup­pen­spiel wie­der auf­ge­stellt, und zwar der­ge­stalt ein­ge­rich­tet, dass die Zuschau­er in mei­nem Gie­bel­zim­mer sit­zen, die spie­len­den und di­ri­gie­ren­den Per­so­nen aber, so­wie das Thea­ter selbst vom Pro­sze­ni­um an, in ei­nem Ne­ben­zim­mer Platz und Raum fan­den. Durch die be­son­de­re Ver­güns­ti­gung, bald die­sen bald je­nen Kna­ben als Zuschau­er ein­zu­las­sen, er­warb ich mir an­fangs vie­le Freun­de; al­lein die Un­ru­he, die in den Kin­dern steckt, ließ sie nicht lan­ge ge­dul­di­ge Zuschau­er blei­ben. Sie stör­ten das Spiel, und wir muss­ten uns ein jün­ge­res Pub­li­kum aus­su­chen, das noch al­len­falls durch Am­men und Mäg­de in der Ord­nung ge­hal­ten wer­den konn­te. Wir hat­ten das ur­sprüng­li­che Haupt­dra­ma, wor­auf die Pup­pen­ge­sell­schaft ei­gent­lich ein­ge­rich­tet war, aus­wen­dig ge­lernt und führ­ten es an­fangs auch aus­schließ­lich auf; al­lein dies er­mü­de­te uns bald, wir ver­än­der­ten die Gar­de­ro­be, die De­ko­ra­tio­nen und wag­ten uns an ver­schie­de­ne Stücke, die frei­lich für einen so klei­nen Schau­platz zu weit­läuf­tig wa­ren. Ob wir uns nun gleich durch die­se An­ma­ßun­gen das­je­ni­ge, was wir wirk­lich hät­ten leis­ten kön­nen, ver­küm­mer­ten und zu­letzt gar zer­stör­ten, so hat doch die­se kind­li­che Un­ter­hal­tung und Be­schäf­ti­gung auf sehr man­nig­fal­ti­ge Wei­se bei mir das Er­fin­dungs- und Dar­stel­lungs­ver­mö­gen, die Ein­bil­dungs­kraft und eine ge­wis­se Tech­nik ge­übt und be­för­dert, wie es viel­leicht auf kei­nem an­de­ren Wege, in so kur­z­er Zeit, in ei­nem so en­gen Rau­me, mit so we­ni­gem Auf­wand hät­te ge­sche­hen kön­nen.

Ich hat­te früh ge­lernt, mit Zir­kel und Li­ne­al um­zu­ge­hen, in­dem ich den gan­zen Un­ter­richt, den man uns in der Geo­me­trie er­teil­te, so­gleich in das Tä­ti­ge ver­wand­te, und Pap­pen­ar­bei­ten konn­ten mich höch­lich be­schäf­ti­gen. Doch blieb ich nicht bei geo­me­tri­schen Kör­pern, bei Käst­chen und sol­chen Din­gen ste­hen, son­dern er­sann mir ar­ti­ge Lust­häu­ser, wel­che mir Pi­las­tern, Freitrep­pen und fla­chen Dä­chern aus­ge­schmückt wur­den; wo­von je­doch we­nig zu stan­de kam.

Weit be­harr­li­cher hin­ge­gen war ich, mit Hil­fe un­se­res Be­dien­ten, ei­nes Schnei­ders von Pro­fes­si­on, eine Rüst­kam­mer aus­zu­stat­ten, wel­che zu un­sern Schau- und Trau­er­spie­len die­nen soll­te, die wir, nach­dem wir den Pup­pen über den Kopf ge­wach­sen wa­ren, selbst auf­zu­füh­ren Lust hat­ten. Mei­ne Ge­spie­len ver­fer­tig­ten sich zwar auch sol­che Rüs­tun­gen und hiel­ten sie für eben so schön und gut als die mei­ni­gen; al­lein ich hat­te es nicht bei den Be­dürf­nis­sen ei­ner Per­son be­wen­den las­sen, son­dern konn­te meh­re­re des klei­nen Hee­res mit al­ler­lei Re­qui­si­ten aus­stat­ten und mach­te mich da­her un­serm klei­nen Krei­se im­mer not­wen­di­ger. Dass sol­che Spie­le auf Par­tei­un­gen, Ge­fech­te und Schlä­ge hin­wie­sen und ge­wöhn­lich auch mit Hän­deln und Ver­druss ein schreck­li­ches Ende nah­men, lässt sich den­ken. In sol­chen Fäl­len hiel­ten ge­wöhn­lich ge­wis­se be­stimm­te Ge­spie­len an mir, an­de­re auf der Ge­gen­sei­te, ob es gleich öf­ter man­chen Partei­wech­sel gab. Ein ein­zi­ger Kna­be, den ich Pyla­des nen­nen will, ver­ließ nur ein ein­zig­mal, von den an­de­ren auf­ge­hetzt, mei­ne Par­tei, konn­te es aber kaum eine Mi­nu­te aus­hal­ten, mir feind­se­lig ge­gen­über­zu­ste­hen; wir ver­söhn­ten uns un­ter vie­len Trä­nen und ha­ben eine gan­ze Wei­le treu­lich zu­sam­men­ge­hal­ten.

Die­sen so wie an­de­re Wohl­wol­len­de konn­te ich sehr glück­lich ma­chen, wenn ich ih­nen Mär­chen er­zähl­te, und be­son­ders lieb­ten sie, wenn ich in eig­ner Per­son sprach, und hat­ten eine große Freu­de, dass mir, als ih­rem Ge­spie­len, so wun­der­li­che Din­ge könn­ten be­geg­net sein, und da­bei gar kein Ar­ges, wie ich Zeit und Raum zu sol­chen Aben­teu­ern fin­den kön­nen, da sie doch ziem­lich wuss­ten, wie ich be­schäf­tigt war und wo ich aus- und ein­ging. Nicht we­ni­ger wa­ren zu sol­chen Be­ge­ben­hei­ten Lo­ka­li­tä­ten, wo nicht aus ei­ner an­de­ren Welt, doch ge­wiss aus ei­ner an­de­ren Ge­gend nö­tig, und al­les war doch erst heut’ oder ges­tern ge­sche­hen. Sie muss­ten sich da­her mehr selbst be­trü­gen, als ich sie zum Bes­ten ha­ben konn­te. Und wenn ich nicht nach und nach, mei­nem Na­tu­rell ge­mäß, die­se Luft­ge­stal­ten und Wind­beu­te­lei­en zu kunst­mä­ßi­gen Dar­stel­lun­gen hät­te ver­ar­bei­ten ler­nen, so wä­ren sol­che auf­schnei­de­ri­sche An­fän­ge ge­wiss nicht ohne schlim­me Fol­gen für mich ge­blie­ben.

Be­trach­tet man die­sen Trieb recht ge­nau, so möch­te man in ihm die­je­ni­ge An­ma­ßung er­ken­nen, wo­mit der Dich­ter selbst das Un­wahr­schein­lichs­te ge­bie­te­risch aus­spricht und von ei­nem je­den for­dert, er sol­le das­je­ni­ge für wirk­lich er­ken­nen, was ihm, dem Er­fin­der, auf ir­gend eine Wei­se als wahr er­schei­nen konn­te.

Was je­doch hier nur im All­ge­mei­nen und be­trach­tungs­wei­se vor­ge­tra­gen wor­den, wird viel­leicht durch ein Bei­spiel, durch ein Mus­ter­stück an­ge­neh­mer und an­schau­li­cher wer­den. Ich füge da­her ein sol­ches Mär­chen bei, wel­ches mir, da ich es mei­nen Ge­spie­len oft wie­der­ho­len muss­te, noch ganz wohl vor der Ein­bil­dungs­kraft und im Ge­dächt­nis schwebt.

Der neue Pa­ris: Kna­ben­mär­chen

Mir träum­te neu­lich, in der Nacht vor Pfingst­sonn­tag, als stün­de ich vor ei­nem Spie­gel und be­schäf­tig­te mich mit den neu­en Som­mer­klei­dern, wel­che mir die lie­ben El­tern auf das Fest hat­ten ma­chen las­sen. Der An­zug be­stand, wie ihr wisst, in Schu­hen von sau­be­rem Le­der, mit großen sil­ber­nen Schnal­len, fei­nen baum­woll­nen St­rümp­fen, schwar­zen Un­ter­klei­dern von Sar­sche1 und ei­nem Rock von grü­nem Ber­kan mit gold­nen Bal­let­ten. Die Wes­te dazu, von Gold­stoff, war aus mei­nes Va­ters Bräu­ti­gams­wes­te ge­schnit­ten. Ich war fri­siert und ge­pu­dert, die Lo­cken stan­den mir wie Flü­gel­chen vom Kop­fe; aber ich konn­te mit dem An­zie­hen nicht fer­tig wer­den, weil ich im­mer die Klei­dungs­stücke ver­wech­sel­te, und weil mir im­mer das ers­te vom Lei­be fiel, wenn ich das zwei­te um­zu­neh­men ge­dach­te. In die­ser großen Ver­le­gen­heit trat ein jun­ger schö­ner Mann zu mir und be­grüß­te mich aufs freund­lichs­te. »Ei, seid mir will­kom­men!« sag­te ich: »es ist mir ja gar lieb, dass ich Euch hier sehe.« – »Kennt Ihr mich denn?« ver­setz­te je­ner lä­chelnd. – »Wa­rum nicht?« war mei­ne gleich­falls lä­cheln­de Ant­wort. »Ihr seid Mer­kur, und ich habe Euch oft ge­nug ab­ge­bil­det ge­se­hen.« – »Das bin ich«, sag­te je­ner, »und von den Göt­tern mit ei­nem wich­ti­gen Auf­trag an dich ge­sandt. Siehst du die­se drei Äp­fel?« – Er reich­te sei­ne Hand her und zeig­te mir drei Äp­fel, die sie kaum fas­sen konn­te, und die eben so wun­der­sam schön als groß wa­ren, und zwar der eine von ro­ter, der an­de­re von gel­ber, der drit­te von grü­ner Far­be. Man muss­te sie für Edel­stei­ne hal­ten, de­nen man die Form von Früch­ten ge­ge­ben. Ich woll­te da­nach grei­fen; er aber zog zu­rück und sag­te: »Du musst erst wis­sen, dass sie nicht für dich sind. Du sollst sie den drei schöns­ten jun­gen Leu­ten von der Stadt ge­ben, wel­che so­dann, je­der nach sei­nem Lose, Gat­tin­nen fin­den sol­len, wie sie sol­che nur wün­schen kön­nen. Nimm und mach’ dei­ne Sa­chen gut!« sag­te er schei­dend und gab mir die Äp­fel in mei­ne off­nen Hän­de; sie schie­nen mir noch grö­ßer ge­wor­den zu sein. Ich hielt sie dar­auf in die Höhe, ge­gen das Licht, und fand sie ganz durch­sich­tig; aber gar bald zo­gen sie sich auf­wärts in die Län­ge und wur­den zu drei schö­nen, schö­nen Frau­en­zim­mer­chen in mä­ßi­ger Pup­pen­grö­ße, de­ren Klei­der von der Far­be der vor­he­ri­gen Äp­fel wa­ren. So glei­te­ten sie sacht an mei­nen Fin­gern hin­auf, und als ich nach ih­nen ha­schen woll­te, um we­nigs­tens eine fest­zu­hal­ten, schweb­ten sie schon weit in der Höhe und Fer­ne, dass ich nichts als das Nach­se­hen hat­te. Ich stand ganz ver­wun­dert und ver­stei­nert da, hat­te die Hän­de noch in der Höhe und be­guck­te mei­ne Fin­ger, als wäre dar­an et­was zu se­hen ge­we­sen. Aber mit ein­mal er­blick­te ich auf mei­nen Fin­ger­spit­zen ein al­ler­liebs­tes Mäd­chen her­um­tan­zen, klei­ner als jene, aber gar nied­lich und mun­ter; und weil sie nicht wie die an­de­ren fort­flog, son­dern ver­weil­te und bald auf die­se, bald auf jene Fin­ger­spit­ze tan­zend hin- und her­trat, so sah ich ihr eine Zeit lang ver­wun­dert zu. Da sie mir aber gar so wohl ge­fiel, glaub­te ich sie end­lich ha­schen zu kön­nen und dach­te ge­schickt ge­nug zu­zu­grei­fen; al­lein in dem Au­gen­blick fühl­te ich einen Schlag an den Kopf, so­dass ich ganz be­täubt nie­der­fiel und aus die­ser Be­täu­bung nicht eher er­wach­te, als bis es Zeit war, mich an­zu­zie­hen und in die Kir­che zu ge­hen.

Un­ter dem Got­tes­dienst wie­der­hol­te ich mir jene Bil­der oft ge­nug; auch am groß­el­ter­li­chen Ti­sche, wo ich zu Mit­tag speis­te. Nach­mit­tags woll­te ich ei­ni­ge Freun­de be­su­chen, so­wohl um mich in mei­ner neu­en Klei­dung, den Hut un­ter dem Arm und den De­gen an der Sei­te, se­hen zu las­sen, als auch weil ich ih­nen Be­su­che schul­dig war. Ich fand nie­man­den zu Hau­se, und da ich hör­te, dass sie in die Gär­ten ge­gan­gen, so ge­dach­te ich ih­nen zu fol­gen und den Abend ver­gnügt zu­zu­brin­gen. Mein Weg führ­te mich den Zwin­ger hin, und ich kam in die Ge­gend, wel­che mit Recht den Na­men schlim­me Mau­er führt: denn es ist dort nie­mals ganz ge­heu­er. Ich ging nur lang­sam und dach­te an mei­ne drei Göt­tin­nen, be­son­ders aber an die klei­ne Nym­phe, und hielt mei­ne Fin­ger manch­mal in die Höhe, in Hoff­nung, sie wür­de so ar­tig sein, wie­der dar­auf zu ba­lan­cie­ren. In die­sen Ge­dan­ken vor­wärts ge­hend, er­blick­te ich, lin­ker Hand, in der Mau­er ein Pfört­chen, das ich mich nicht er­in­ner­te je ge­se­hen zu ha­ben. Es schi­en nied­rig, aber der Spitz­bo­gen drü­ber hät­te den größ­ten Mann hin­durch­ge­las­sen. Bo­gen und Ge­wän­de wa­ren aufs zier­lichs­te vom Stein­metz und Bild­hau­er aus­ge­mei­ßelt, die Türe selbst aber zog erst recht mei­ne Auf­merk­sam­keit an sich. Brau­nes ur­al­tes Holz, nur we­nig ver­ziert, war mit brei­ten, so­wohl er­ha­ben als ver­liest ge­ar­bei­te­ten Bän­dern von Erz be­schla­gen, de­ren Laub­werk, worin die na­tür­lichs­ten Vö­gel sa­ßen, ich nicht ge­nug be­wun­dern konn­te. Doch was mir das merk­wür­digs­te schi­en, kein Schlüs­sel­loch war zu se­hen, kei­ne Klin­ke, kein Klop­fer, und ich ver­mu­te­te dar­aus, dass die­se Türe nur von in­nen auf­ge­macht wer­de. Ich hat­te mich nicht ge­irrt: denn als ich ihr nä­her trat, um die Zie­ra­ten zu be­füh­len, tat sie sich hin­ein­wärts auf, und es er­schi­en ein Mann, des­sen Klei­dung et­was Lan­ges, Wei­tes und Son­der­ba­res hat­te. Auch ein ehr­wür­di­ger Bart um­wölk­te sein Kinn; da­her ich ihn für einen Ju­den zu hal­ten ge­neigt war. Er aber, eben als wenn er mei­ne Ge­dan­ken er­ra­ten hät­te, mach­te das Zei­chen des hei­li­gen Kreu­zes, wo­durch er mir zu er­ken­nen gab, dass er ein gu­ter ka­tho­li­scher Christ sei. – »Jun­ger Herr, wie kommt Ihr hier­her, und was macht Ihr da?« sag­te er mit freund­li­cher Stim­me und Ge­bär­de. – »Ich be­wund­re«, ver­setz­te ich, »die Ar­beit die­ser Pfor­te: denn ich habe der­glei­chen noch nie­mals ge­se­hen; es müss­te denn sein auf klei­nen Stücken in den Kunst­samm­lun­gen der Lieb­ha­ber.« – »Es freut mich«, ver­setz­te er dar­auf, »dass Ihr sol­che Ar­beit liebt. In­wen­dig ist die Pfor­te noch viel schö­ner: tre­tet her­ein, wenn es Euch ge­fällt.« Mir war bei der Sa­che nicht ganz wohl zu Mute. Die wun­der­li­che Klei­dung des Pfört­ners, die Ab­ge­le­gen­heit und ein sonst ich weiß nicht was, das in der Luft zu lie­gen schi­en, be­klemm­te mich. Ich ver­weil­te da­her un­ter dem Vor­wan­de, die Au­ßen­sei­te noch län­ger zu be­trach­ten, und blick­te da­bei ver­stoh­len in den Gar­ten: denn ein Gar­ten war es, der sich vor mir er­öff­net hat­te. Gleich hin­ter der Pfor­te sah ich einen großen be­schat­te­ten Platz; alte Lin­den, re­gel­mä­ßig von­ein­an­der ab­ste­hend, be­deck­ten ihn völ­lig mit ih­ren dicht in ein­an­der grei­fen­den Äs­ten, so­dass die zahl­reichs­ten Ge­sell­schaf­ten in der größ­ten Ta­ges­hit­ze sich dar­un­ter hät­ten er­qui­cken kön­nen. Schon war ich auf die Schwel­le ge­tre­ten, und der Alte wuss­te mich im­mer um einen Schritt wei­ter zu lo­cken. Ich wi­der­stand auch ei­gent­lich nicht: denn ich hat­te je­der­zeit ge­hört, dass ein Prinz oder Sul­tan in sol­chem Fal­le nie­mals fra­gen müs­se, ob Ge­fahr vor­han­den sei. Hat­te ich doch auch mei­nen De­gen an der Sei­te; und soll­te ich mit dem Al­ten nicht fer­tig wer­den, wenn er sich feind­lich er­wei­sen woll­te? Ich trat also ganz ge­si­chert hin­ein; der Pfört­ner drück­te die Türe zu, die so lei­se ein­schnapp­te, dass ich es kaum spür­te. Nun zeig­te er mir die in­wen­dig an­ge­brach­te, wirk­lich noch viel kunst­rei­che­re Ar­beit, leg­te sie mir aus und be­wies mir da­bei ein be­son­de­res Wohl­wol­len. Hier­durch nun völ­lig be­ru­higt, ließ ich mich in dem be­laub­ten Rau­me an der Mau­er, die sich ins Run­de zog, wei­ter­füh­ren und fand man­ches an ihr zu be­wun­dern. Ni­schen, mit Mu­scheln, Koral­len und Me­tall­stu­fen künst­lich aus­ge­ziert, ga­ben aus Tri­to­nen­mäu­lern reich­li­ches Was­ser in mar­mor­ne Be­cken; da­zwi­schen wa­ren Vo­gel­häu­ser an­ge­bracht und an­de­re Ver­git­te­run­gen, worin Eich­hörn­chen her­um­hüpf­ten, Meer­schwein­chen hin und wi­der lie­fen, und was man nur sonst von ar­ti­gen Ge­schöp­fen wün­schen kann. Die Vö­gel rie­fen und san­gen uns an, wie wir vor­schrit­ten, die Sta­re be­son­ders schwätz­ten das när­rischs­te Zeug; der eine rief im­mer: Pa­ris! Pa­ris! und der an­de­re: Nar­ziss! Nar­ziss! so deut­lich, als es ein Schul­kna­be nur aus­spre­chen kann. Der Alte schi­en mich im­mer ernst­haft an­zu­se­hen, in­dem die Vö­gel die­ses rie­fen; ich tat aber nicht, als wenn ich’s merk­te, und hat­te auch wirk­lich nicht Zeit, auf ihn acht zu ge­ben: denn ich konn­te wohl ge­wahr wer­den, dass wir in die Run­de gin­gen und dass die­ser be­schat­te­te Raum ei­gent­lich ein großer Kreis sei, der einen an­de­ren viel be­deu­ten­dern um­schlie­ße. Wir wa­ren auch wirk­lich wie­der bis ans Pfört­chen ge­langt, und es schi­en, als wenn der Alte mich hin­aus­las­sen wol­le; al­lein mei­ne Au­gen blie­ben auf ein gold­nes Git­ter ge­rich­tet, wel­ches die Mit­te die­ses wun­der­ba­ren Gar­tens zu um­zäu­nen schi­en und das ich auf un­serm Gan­ge hin­läng­lich zu be­ob­ach­ten Ge­le­gen­heit fand, ob mich der Alte gleich im­mer an der Mau­er und also ziem­lich ent­fernt von der Mit­te zu hal­ten wuss­te. Als er nun eben auf das Pfört­chen los­ging, sag­te ich zu ihm, mit ei­ner Ver­beu­gung: »Ihr seid so äu­ßerst ge­fäl­lig ge­gen mich ge­we­sen, dass ich wohl noch eine Bit­te wa­gen möch­te, ehe ich von Euch schei­de. Dürf­te ich nicht je­nes gold­ne Git­ter nä­her be­se­hen, das in ei­nem sehr wei­ten Krei­se das In­ne­re des Gar­tens ein­zu­schlie­ßen scheint?« – »Recht gern«, ver­setz­te je­ner, »aber so­dann müsst Ihr Euch ei­ni­gen Be­din­gun­gen un­ter­wer­fen.« – »Wo­rin be­ste­hen sie?« frag­te ich has­tig. – »Ihr müsst Eu­ren Hut und De­gen hier zu­rück­las­sen und dürft mir nicht von der Hand, in­dem ich Euch be­glei­te.« – »Herz­lich gern!« er­wi­der­te ich und leg­te Hut und De­gen auf die ers­te bes­te stei­ner­ne Bank. So­gleich er­griff er mit sei­ner Rech­ten mei­ne Lin­ke, hielt sie fest und führ­te mich mit ei­ni­ger Ge­walt ge­ra­de vor­wärts. Als wir ans Git­ter ka­men, ver­wan­del­te sich mei­ne Ver­wun­de­rung in Er­stau­nen: so et­was hat­te ich nie ge­se­hen. Auf ei­nem ho­hen So­ckel von Mar­mor stan­den un­zäh­li­ge Spie­ße und Par­ti­sa­nen ne­ben ein­an­der ge­reiht, die durch ihre selt­sam ver­zier­ten obe­ren En­den zu­sam­men­hin­gen und einen gan­zen Kreis bil­de­ten. Ich schau­te durch die Zwi­schen­räu­me und sah gleich da­hin­ter ein sanft flie­ßen­des Was­ser, auf bei­den Sei­ten mit Mar­mor ein­ge­fasst, das in sei­nen kla­ren Tie­fen eine große An­zahl von Gold- und Sil­ber­fi­schen se­hen ließ, die sich bald sach­te, bald ge­schwind, bald ein­zeln, bald zug­wei­se hin und her be­weg­ten. Nun hät­te ich aber auch gern über den Kanal ge­se­hen, um zu er­fah­ren, wie es in dem Her­zen des Gar­tens be­schaf­fen sei; al­lein da fand ich zu mei­ner großen Be­trüb­nis, dass an der Ge­gen­sei­te das Was­ser mit ei­nem glei­chen Git­ter ein­ge­fasst war, und zwar so künst­li­cher­wei­se, dass auf einen Zwi­schen­raum dies­seits ge­ra­de ein Spieß oder eine Par­ti­sa­ne jen­seits pass­te und man also, die üb­ri­gen Zie­ra­ten mit­ge­rech­net, nicht hin­durch­se­hen konn­te, man moch­te sich stel­len wie man woll­te. Über­dies hin­der­te mich der Alte, der mich noch im­mer fest­hielt, dass ich mich nicht frei be­we­gen konn­te. Mei­ne Neu­gier wuchs in­des, nach al­lem, was ich ge­se­hen, im­mer mehr, und ich nahm mir ein Herz, den Al­ten zu fra­gen, ob man nicht auch hin­über­kom­men kön­ne. – »Wa­rum nicht?« ver­setz­te je­ner, »aber auf neue Be­din­gun­gen.« – Als ich nach die­sen frag­te, gab er mir zu er­ken­nen, dass ich mich um­klei­den müs­se. Ich war es sehr zu­frie­den; er führ­te mich zu­rück nach der Mau­er in einen klei­nen rein­li­chen Saal, an des­sen Wän­den man­cher­lei Klei­dun­gen hin­gen, die sich sämt­lich dem ori­en­ta­li­schen Ko­stüm zu nä­hern schie­nen. Ich war ge­schwind um­ge­klei­det, er streif­te mei­ne ge­pu­der­ten Haa­re un­ter ein bun­tes Netz, nach­dem er sie zu mei­nem Ent­set­zen ge­wal­tig aus­ge­stäubt hat­te. Nun fand ich mich vor ei­nem großen Spie­gel in mei­ner Ver­mum­mung gar hübsch und ge­fiel mir bes­ser als in mei­nem stei­fen Sonn­tags­klei­de. Ich mach­te ei­ni­ge Ge­bär­den und Sprün­ge, wie ich sie von den Tän­zern auf dem Mess­thea­ter ge­se­hen hat­te. Un­ter die­sem sah ich in den Spie­gel und er­blick­te zu­fäl­lig das Bild ei­ner hin­ter mir be­find­li­chen Ni­sche. Auf ih­rem wei­ßen Grun­de hin­gen drei grü­ne Strick­chen, je­des in sich auf eine Wei­se ver­schlun­gen, die mir in der Fer­ne nicht deut­lich wer­den woll­te. Ich kehr­te mich da­her et­was has­tig um und frag­te den Al­ten nach der Ni­sche so­wie nach den Strick­chen. Er, ganz ge­fäl­lig, hol­te eins her­un­ter und zeig­te es mir. Es war eine grün­sei­de­ne Schnur von mä­ßi­ger Stär­ke, de­ren bei­de En­den, durch ein zwie­fach durch­schnit­te­nes grü­nes Le­der ge­schlun­gen, ihr das An­sehn ga­ben, als sei es ein Werk­zeug zu ei­nem eben nicht sehr er­wünsch­ten Ge­brauch. Die Sa­che schi­en mir be­denk­lich, und ich frag­te den Al­ten nach der Be­deu­tung. Er ant­wor­te­te mir ganz ge­las­sen und gü­tig: es sei die­ses für die­je­ni­gen, wel­che das Ver­trau­en miss­brauch­ten, das man ih­nen hier zu schen­ken be­reit sei. Er hing die Schnur wie­der an ihre Stel­le und ver­lang­te so­gleich, dass ich ihm fol­gen sol­le: denn dies­mal fass­te er mich nicht an, und so ging ich frei ne­ben ihm her.

Mei­ne größ­te Neu­gier war nun­mehr, wo die Türe, wo die Brücke sein möch­te, um durch das Git­ter, um über den Kanal zu kom­men: denn ich hat­te der­glei­chen bis jetzt noch nicht aus­fin­dig ma­chen kön­nen. Ich be­trach­te­te da­her die gol­de­ne Um­zäu­nung sehr ge­nau, als wir dar­auf zu­eil­ten; al­lein au­gen­blick­lich ver­ging mir das Ge­sicht: denn un­er­war­tet be­gan­nen Spie­ße, Spee­re, Hel­le­bar­den, Par­ti­sa­nen, sich zu rüt­teln und zu schüt­teln, und die­se selt­sa­me Be­we­gung en­dig­te da­mit, dass die sämt­li­chen Spit­zen sich ge­gen­ein­an­der senk­ten, eben als wenn zwei al­ter­tüm­li­che, mit Pi­ken be­waff­ne­te Heer­hau­fen ge­gen­ein­an­der los­ge­hen woll­ten. Die Ver­wir­rung fürs Auge, das Ge­klirr für die Ohren war kaum zu er­tra­gen, aber un­end­lich über­ra­schend der An­blick, als sie, völ­lig nie­der­ge­las­sen, den Kreis des Kanals be­deck­ten und die herr­lichs­te Brücke bil­de­ten, die man sich den­ken kann: denn nun lag das bun­tes­te Gar­ten­par­terre vor mei­nem Blick. Es war in ver­schlun­ge­ne Bee­te ge­teilt, wel­che zu­sam­men be­trach­tet ein La­by­rinth von Zie­ra­ten bil­de­ten; alle mit grü­nen Ein­fas­sun­gen von ei­ner nied­ri­gen, wol­lig wach­sen­den Pflan­ze, die ich nie ge­se­hen; alle mit Blu­men, jede Ab­tei­lung von ver­schie­de­ner Far­be, die, eben­falls nied­rig am Bo­den, den vor­ge­zeich­ne­ten Grund­riss leicht ver­fol­gen lie­ßen. Die­ser köst­li­che An­blick, den ich in vol­lem Son­nen­schein ge­noss, fes­sel­te ganz mei­ne Au­gen; aber ich wuss­te fast nicht, wo ich den Fuß hin­set­zen soll­te: denn die schlän­geln­den Wege wa­ren aufs rein­lichs­te von blau­em San­de ge­zo­gen, der einen dunk­lern Him­mel, oder einen Him­mel im Was­ser, an der Erde zu bil­den schi­en; und so ging ich, die Au­gen auf den Bo­den ge­rich­tet, eine Zeit lang ne­ben mei­nem Füh­rer, bis ich zu­letzt ge­wahr ward, dass in der Mit­te von die­sem Bee­ten- und Blu­men­rund ein großer Kreis von Cy­pres­sen oder pap­pel­ar­ti­gen Bäu­men stand, durch den man nicht hin­durch­se­hen konn­te, weil die un­ters­ten Zwei­ge aus der Erde her­vor­zu­trei­ben schie­nen. Mein Füh­rer, ohne mich ge­ra­de auf den nächs­ten Weg zu drän­gen, lei­te­te mich doch un­mit­tel­bar nach je­ner Mit­te, und wie war ich über­rascht, als ich, in den Kreis der ho­hen Bäu­me tre­tend, die Säu­len­hal­le ei­nes köst­li­chen Gar­ten­ge­bäu­des vor mir sah, das nach den üb­ri­gen Zei­ten hin ähn­li­che An­sich­ten und Ein­gän­ge zu ha­ben schi­en. Noch mehr aber als die­ses Mus­ter der Bau­kunst ent­zück­te mich eine himm­li­sche Mu­sik, die aus dem Ge­bäu­de her­vor­drang. Bald glaub­te ich eine Lau­te, bald eine Har­fe, bald eine Zither zu hö­ren, und bald noch et­was klim­pern­des, das kei­nem von die­sen drei In­stru­men­ten ge­mäß war. Die Pfor­te, auf die wir zu­gin­gen, er­öff­ne­te sich bald nach ei­ner lei­sen Berüh­rung des Al­ten; aber wie er­staunt war ich, als die her­austre­ten­de Pfört­ne­rin ganz voll­kom­men dem nied­li­chen Mäd­chen glich, das mir im Trau­me auf den Fin­gern ge­tanzt hat­te. Sie grüß­te mich auch auf eine Wei­se, als wenn wir schon be­kannt wä­ren, und bat mich, her­ein­zu­tre­ten. Der Alte blieb zu­rück, und ich ging mit ihr durch einen ge­wölb­ten und schön ver­zier­ten kur­z­en Gang nach dem Mit­tel­saal, des­sen herr­li­che do­mar­ti­ge Höhe beim Ein­tritt mei­nen Blick auf sich zog und mich in Ver­wun­de­rung setz­te. Doch konn­te mein Auge nicht lan­ge dort ver­wei­len, denn es ward durch ein rei­zen­de­res Schau­spiel her­ab­ge­lockt. Auf ei­nem Tep­pich, ge­ra­de un­ter der Mit­te der Kup­pel, sa­ßen drei Frau­en­zim­mer im Drei­eck, in drei ver­schie­de­ne Far­ben ge­klei­det, die eine rot, die an­de­re gelb, die drit­te grün; die Ses­sel wa­ren ver­gol­det, und der Tep­pich ein voll­kom­me­nes Blu­men­beet. In ih­ren Ar­men la­gen die drei In­stru­men­te, die ich drau­ßen hat­te un­ter­schei­den kön­nen: denn durch mei­ne An­kunft ge­stört, hat­ten sie mit Spie­len in­ne­ge­hal­ten. – »Seid uns will­kom­men!« sag­te die mitt­le­re, die näm­lich, wel­che mit dem Ge­sicht nach der Türe saß, im ro­ten Klei­de und mit der Har­fe. »Setzt Euch zu Aler­ten und hört zu, wenn Ihr Lieb­ha­ber von der Mu­sik seid.« Nun sah ich erst, dass un­ten quer vor ein ziem­lich lan­ges Bänk­chen stand, wor­auf eine Man­do­li­ne lag. Das ar­ti­ge Mäd­chen nahm sie auf, setz­te sich und zog mich an ihre Sei­te. Jetzt be­trach­te­te ich auch die zwei­te Dame zu mei­ner Rech­ten; sie hat­te das gel­be Kleid an und eine Zither in der Hand; und wenn jene Har­fen­spie­le­rin an­sehn­lich von Ge­stalt, groß von Ge­sichts­zü­gen und in ih­rem Be­tra­gen ma­je­stä­tisch war, so konn­te man der Zither­spie­le­rin ein leicht an­mu­ti­ges, heitres We­sen an­mer­ken. Sie war eine schlan­ke Blon­di­ne, da jene dun­kel­brau­nes Haar schmück­te. Die Man­nig­fal­tig­keit und Über­ein­stim­mung ih­rer Mu­sik konn­te mich nicht ab­hal­ten, nun auch die drit­te Schön­heit im grü­nen Ge­wan­de zu be­trach­ten, de­ren Lau­ten­spiel et­was Rüh­ren­des und zu­gleich Auf­fal­len­des für mich hat­te. Die war die­je­ni­ge, die am meis­ten auf mich acht zu ge­ben und ihr Spiel an mich zu rich­ten schi­en; nur konn­te ich aus ihr nicht klug wer­den: denn sie kam mir bald zärt­lich, bald wun­der­lich, bald of­fen, bald ei­gen­sin­nig vor, je nach­dem sie die Mie­nen und ihr Spiel ver­än­der­te. Bald schi­en sie mich rüh­ren, bald mich ne­cken zu wol­len. Doch moch­te sie sich stel­len, wie sie woll­te, so ge­wann sie mir we­nig ab: denn mei­ne klei­ne Nach­ba­rin, mit der ich Ell­bo­gen an Ell­bo­gen saß, hat­te mich ganz für sich ein­ge­nom­men; und wenn ich in je­nen drei Da­men ganz deut­lich die Syl­phi­den mei­nes Traums und die Far­ben der Äp­fel er­blick­te, so be­griff ich wohl, dass ich kei­ne Ur­sa­che hät­te, sie fest­zu­hal­ten. Die ar­ti­ge klei­ne hät­te ich lie­ber an­ge­packt, wenn mir nur nicht der Schlag, den sie mir im Trau­me ver­setzt hat­te, gar zu er­in­ner­lich ge­we­sen wäre. Sie hielt sich bis­her mit ih­rer Man­do­li­ne ganz ru­hig; als aber ihre Ge­bie­te­rin­nen auf­ge­hört hat­ten, so be­fah­len sie ihr, ei­ni­ge lus­ti­ge Stück­chen zum Bes­ten zu ge­ben, kaum hat­te sie ei­ni­ge Tanz­me­lo­di­en gar auf­re­gend ab­ge­klim­pert, so sprang sie in die Höhe; ich tat das Glei­che. Sie spiel­te und tanz­te; ich ward hin­ge­ris­sen, ihre Schrit­te zu be­glei­ten, und wir führ­ten eine Art von klei­nem Bal­lett auf, wo­mit die Da­men zu­frie­den zu sein schie­nen: denn so­bald wir ge­en­digt, be­fah­len sie der klei­nen, mich der­weil mit et­was Gu­tem zu er­qui­cken, bis das Nachtes­sen her­an­käme. Ich hat­te frei­lich ver­ges­sen, dass au­ßer die­sem Pa­ra­die­se noch et­was an­de­res in der Welt wäre. Aler­te führ­te mich so­gleich in den Gang zu­rück, durch den ich her­ein­ge­kom­men war. An der Sei­te hat­te sie zwei woh­lein­ge­rich­te­te Zim­mer; in dem einen, wo sie wohn­te, setz­te sie mir Oran­gen, Fei­gen, Pfir­schen und Trau­ben vor, und ich ge­noss so­wohl die Früch­te frem­der Län­der, als auch die der erst kom­men­den Mo­na­te mit großem Ap­pe­tit. Zucker­werk war im Über­fluss; auch füll­te sie einen Po­kal von ge­schliff­nem Kris­tall mit schäu­men­dem Wein: doch zu trin­ken be­durf­te ich nicht, denn ich hat­te mich an den Früch­ten hin­rei­chend ge­labt. – »Nun wol­len wir spie­len«, sag­te sie und führ­te mich in das an­de­re Zim­mer. Hier sah es nun aus wie auf ei­nem Christ­markt; aber so kost­ba­re und fei­ne Sa­chen hat man nie­mals in ei­ner Weih­nachts­bu­de ge­se­hen. Da wa­ren alle Ar­ten von Pup­pen, Pup­pen­klei­dern und Pup­pen­ge­rät­schaf­ten; Kü­chen, Wohn­stu­ben und Lä­den; und ein­zel­ne Spiel­sa­chen in An­zahl. Sie führ­te mich an al­len Glas­schrän­ken her­um: denn in sol­chen wa­ren die­se künst­li­chen Ar­bei­ten auf­be­wahrt. Die ers­ten Schrän­ke ver­schloss sie aber bald wie­der und sag­te: »Das ist nichts für Euch, ich weiß es wohl. Hier aber«, sag­te sie, »könn­ten wir Bau­ma­te­ria­li­en fin­den, Mau­ern und Tür­me, Häu­ser, Pa­läs­te, Kir­chen, um eine große Stadt zu­sam­men­zu­stel­len. Das un­ter­hält mich aber nicht; wir wol­len zu et­was an­de­rem grei­fen, das für Euch und mich gleich ver­gnüg­lich ist.« – Sie brach­te dar­auf ei­ni­ge Käs­ten her­vor, in de­nen ich klei­nes Kriegs­volk über ein­an­der ge­schich­tet er­blick­te, von dem ich so­gleich be­ken­nen muss­te, dass ich nie­mals so et­was Schö­nes ge­se­hen hät­te. Sie ließ mir die Zeit nicht, das ein­zel­ne nä­her zu be­trach­ten, son­dern nahm den einen Kas­ten un­ter den Arm, und ich pack­te den an­de­ren auf. »Wir wol­len auf die gold­ne Brücke ge­hen«, sag­te sie, »dort spielt sich’s am bes­ten mit Sol­da­ten: die Spie­ße ge­ben gleich die Rich­tung, wie man die Ar­meen ge­gen­ein­an­der zu stel­len hat.« Nun wa­ren wir auf dem gold­nen schwan­ken­den Bo­den an­ge­langt; un­ter mir hör­te ich das Was­ser rie­seln und die Fi­sche plät­schern, in­dem ich nie­der­knie­te, mei­ne Li­ni­en auf­zu­stel­len. Es war al­les Rei­te­rei, wie ich nun­mehr sah. Sie rühm­te sich, die Kö­ni­gin der Ama­zo­nen zum Füh­rer ih­res weib­li­chen Hee­res zu be­sit­zen; ich da­ge­gen fand den Achill und eine sehr statt­li­che grie­chi­sche Rei­te­rei. Die Hee­re stan­den ge­gen­ein­an­der, und man konn­te nichts Schö­ne­res se­hen. Es wa­ren nicht etwa fla­che blei­er­ne Rei­ter, wie die uns­ri­gen, son­dern Mann und Pferd rund und kör­per­lich und auf das feins­te ge­ar­bei­tet; auch konn­te man kaum be­grei­fen, wie sie sich im Gleich­ge­wicht hiel­ten: denn sie stan­den für sich, ohne ein Fuß­brett­chen zu ha­ben.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
1161 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783962818869
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