Kitabı oku: «Der holistische Mensch», sayfa 2

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Teil 1

Der Schmetterlingseffekt in der Sexualität

Sie sieht ihm in die Augen, und es ist nicht nur ein Schauen. Ihr Blick umfängt den seinen, sie schmiegen sich aneinander, verflechten sich zu etwas Gemeinsamem. Noch gab es keine Berührung, und doch sind beide berührt. Sie streicheln einander, nicht nur mit den Händen, und irgendwann weiß keiner mehr, wo ein Körper aufhört und der andere beginnt.

Die Schmetterlinge im Bauch sind kein zufälliges Bild. Sicher, sie drücken das Gefühl, das jeder Mensch kennt, der schon einmal verliebt war, in seiner ganzen herrlichen Komplexität aus. Doch da ist noch mehr als das schöne Flattern im Bauch. Es gibt den Schmetterlingseffekt auch in der Sexualität. Ein Flügelschlag hier löst Tornados im gesamten Organismus aus.

Die Sexualität ist zutiefst holistisch.

Deshalb ist Sex auch so viel mehr als bloße Kopulation. Er vernetzt sowohl Organe als auch die verschiedensten Vorgänge im Körper von Mann und Frau, die man bislang nicht einmal ahnte. Körperfunktionen, Herzfunktionen, Immunfunktionen, alles ist evolutionär für den Geschlechtsverkehr perfekt eingestellt.

Die Zeugung beeinflusst wahrscheinlich nicht nur die beiden am Geschlechtsakt beteiligten Menschen, sie prägt auch das Kind. Der Holismus bezieht sich also nicht nur auf einen Organismus, sondern im Fall der Fälle auf drei. Und selbst über die drei geht er weit hinaus. Die holistischen Vernetzungen, die die Sexualität auslöst, betreffen das Mensch-Werden und das Mensch-Sein. Die Entstehung des Lebens und das Leben selbst.

Wir sprechen von einem Gesamt-Holismus, wenn es dieses Wort überhaupt geben kann. Eine über alle bislang gedachten Grenzen hinausgehende Zusammengehörigkeit der Dinge.

Die Sexualität ist das von der Natur erdachte komplexe Instrumentarium zur Fortpflanzung. Perfekt in ihren Abläufen für die Reproduktion. Großartig im Verbergen aller Anstrengungen innerhalb des Organismus, damit sie dem Menschen nicht Last, sondern Ekstase sein kann. Wenn sie bei allem, was sie an holistischem Flechtwerk zustande bringt, eine fade, mühevolle, lästige Pflicht wäre, ein Muss, das eben zu erledigen ist, dann könnte sie noch so genial sein, die Menschheit hätte längst keine Lust mehr, sich zu vermehren. Deshalb muss Sex so ziemlich der beste Zeitvertreib sein, den die Natur zu bieten hat.

Der Geschlechtsverkehr die Möglichkeit des Beginns von neuem Leben. Darauf ist alles ausgerichtet, dafür ist alles ersonnen, dahingehend hat sich alles entwickelt. Das Leben ist der Grund allen Holismus.

Der Zweck jedes Daseins ist es, auch weiterhin da zu sein. Nachkommen zu zeugen. Die Art zu erhalten. Mit den Augen der Natur besehen, ist der Sinn des Lebens die Fortpflanzung. Einzig und allein und ausschließlich. Ihr dient alles.

Die beiden wichtigsten Entscheidungen, die Lebewesen fällen, sind: Was werden wir fressen und mit wem werden wir uns paaren.

Fressen und paaren.

Das ist die Doppelspeerspitze jeder Existenz. Fressen sichert das Überleben und die Energiezufuhr und liefert damit die beiden Voraussetzungen, ohne die auch jede Reproduktion schwierig wird. Jeder Mechanismus, jeder Prozess, jede Reaktion im Körper lässt sich darauf abklopfen, was sie zur Vermehrung beitragen kann. Das gesamte System ist auf die Zukunft ausgerichtet und beim Homo sapiens grandios überhöht worden.

Die Sexualität nimmt da natürlich einen ganz hohen Stellenwert ein. Wenn nicht den höchsten. Irgendwie müssen diese Nachkommen ja entstehen. Es braucht einen Akt der Zeugung. Die Initialzündung. Den Ursprung. Das ist der Geschlechtsverkehr. Und wie die Evolution das sieht: jeder Geschlechtsverkehr. Die Evolution vergeudet keine Chancen. Sie ist immer auf alles gefasst. Auf das Große und das Ganze. Etwas Holistischeres als die Evolution gibt es nicht, und ihr Meisterstück ist die Sexualität.

Das, was man in Pornos sieht, ist genau das Gegenteil von dem, was Sexualität wirklich ausmacht. Die reine, primitive Mechanik nimmt auf den Schmetterlingseffekt keine Rücksicht. Das karnickelhafte Raus und Rein verrammelt das Tor, das Zutritt zu dem verschaffen würde, was hinter den Dingen steht. Eine faszinierende Welt gesamtheitlicher Zusammenhänge.

Dass einem die Tragweite nicht ständig bewusst ist, liegt nicht daran, dass man mitunter nur die schnelle Nummer im Sinn hat, um sie im Kalender abzuhaken. Ich will mich auch beileibe nicht dazu aufschwingen, anderen zu sagen, wie sie ihr Liebesleben zu gestalten haben und wie sie Sexualität interpretieren sollen. Das ist weder mein Interesse noch mein Wunsch. Ich bin nur Gynäkologe und Reproduktionsmediziner und als solcher mit den Dingen betraut, die recht ursprünglich mit der Sexualität und ihren Folgen zu tun haben. Den negativen wie den positiven. Ohne die Zusammenhänge im Hintergrund könnte ich kein vordergründiges Problem lösen. Mein Fach ist, so wie ich das sehe, ohne Holismus gar nicht zu bewältigen.

Es gehört also zu meinem Beruf, mich mit den Fakten zu beschäftigen, die mein Spezialgebiet betreffen, aber auch mit dem Dahinterliegenden. Mit den Geheimnissen, die sich jenseits der Sexualität auftun. Und in jüngster Zeit tut sich unendlich viel dahinter auf. Die Erkenntnisse überschlagen sich. Bekannte Abläufe bekommen ganz neue Bedeutungen. Es werden Brücken geschlagen, wo wir bisher noch nicht einmal den Brückenkopf einer Verbindung hervorlugen gesehen haben.

Es ist, als wäre der Körper eine Stadt, in der man einzelne Viertel wie seine Westentasche kennt und doch bislang das Gefühl hatte, jede dieser Taschen gehöre zu einer anderen Weste. Wie man von einem Viertel ins andere kommt, hätte man nicht sagen können, selbst wenn es ums Eck lag. Das ändert sich jetzt mit einer erstaunlichen Rasanz. Ein Verbindungsgässchen nach dem anderen wird entdeckt, die all die vielen Viertel miteinander verbinden, auch wenn man sie am entgegengesetzten Ende der Stadt vermutet hatte.

Derzeit lässt sich der Holismus offenbar sehr gern in die Westentaschen lugen. Es kommt einem fast vor, als hielte er sie dem Menschen sogar ein bisschen auf. Als lockte er ihn: Komm, schau hier herein, da hab ich noch etwas für dich, was du nicht gewusst hast, einen Zusammenhang, den du noch nicht hergestellt hast, so spielen die Dinge zusammen.

Das regt natürlich ziemlich dazu an, über den Zufall nachzugrübeln. Denn mit jeder der Erkenntnisse, die einander in der Forschung so jagen, wird die Möglichkeit des Zufalls kleiner. Dass ein so strukturiertes Spinnennetz an Verknüpfungen rein aus dem Nichts entstanden sein könnte, ist kaum mehr zu glauben.

Der Zufall wird zum unwahrscheinlichen Fall.

Doch worin bestehen sie jetzt, diese Neuigkeiten aus den Labors dieser Welt?

Versetzen wir uns einfach einmal in uns selbst. Sozusagen als Voyeure im Namen der Wissenschaft. Setzen wir uns in unser eigenes Theater. Nehmen wir Platz als Publikum auf der Galerie des Ichs. Betrachten wir das Schauspiel an Schmetterlingseffekten, das die Natur zum Zwecke der Zeugung eines neuen Menschen inszeniert hat. Schauen wir, was der Geschlechtsakt in unserem Organismus auslöst. Lassen wir uns zeigen, was es in uns Neues gibt.

Vorhang auf für die drei Akte der vernetzten Sexualität.

Erster Akt: die Blaupause.

An der Handlung beteiligt: die männliche Samenflüssigkeit, das weibliche Immunsystem.

Kurzinhalt: Die Spermien und die Samenflüssigkeit des Mannes sind Fremdkörper in der Frau, und als solche müssten sie normalerweise vom Immunsystem angegriffen und entfernt werden. Weil das im Sinne der Fortpflanzung nicht geht, gleicht sich die Frau lokal dem Immunsystem des Mannes an. Sie modelt sich um und erstellt in sich eine tolerable Blaupause von ihm.

Jeder glaubte, dass das Ejakulat des Mannes hauptsächlich Spermien beinhaltet, auch wir Mediziner. Die Medizin denkt mechanistisch. Das holistische Prinzip, demzufolge ein Organ das andere beeinflusst, ist nicht sehr verbreitet.

Man weiß schon seit Langem, dass im Sperma nicht nur Spermien enthalten sind, die nehmen nur an die 0,5 Prozent der Sache ein. Aber die restliche Samenflüssigkeit hat es auch in sich.

Es gibt ganze Bücher, in denen alle unzähligen Bestandteile aufgelistet werden, die für die unterschiedlichsten Aufgaben zuständig sind. Die Spermien brauchen Energie, ein Navigationssystem, fremde Spermien sollen nach Möglichkeit ausgeschaltet werden. Und die eigenen Spermien müssen natürlich geschützt werden, gegen Krankheitserreger und Fressfeinde, denen sie begegnen könnten, aber auch gegen die Abwehrkräfte der Frau.

Da ist eine magische Mischung unterwegs. Magie, was für ein großes Wort für die kleinen Dinger, höre ich es von den hinteren Rängen unseres Ich-Theaters raunen. Aber ich bleibe dabei. Was diese Proteine bewirken, ist tatsächlich Magie. Denn mit ihnen bereitet der Mann die Frau auf die Fortpflanzung und letzten Endes auf das gemeinsame Kind vor.

Daher ist einmal eine gute Portion von Glückshormonen dabei, zum Beispiel Endorphin und Oxytocin. Oxytocin ist auch als Kuschel- und Treuehormon bekannt, wir werden darauf noch zu sprechen kommen. Endorphin ist ein körpereigenes Opiat. Es fehlen natürlich auch die Pheromone nicht, also die Duftstoffe, die der Körper in Liebesbereitschaft gleichsam aus allen Poren aussondert, um attraktiv zu sein.

Außerdem haben wir gesagt, dass das Immunsystem der Frau ausgetrickst werden muss, damit es die Spermien nicht zerstört. Die weißen Blutkörperchen müssen abgelenkt werden. Dafür sind Stoffe wie Prostaglandin, Spermidin und Spermin zuständig. Spermin ist nebenbei gesagt der Stoff, der für den Geruch des Spermas verantwortlich ist. Und auf das Spermidin werden wir im dritten Akt ausführlich zu sprechen kommen. Unzählige andere Stoffe, darunter auch Opiate, sind dazu da, das Immunsystem der Frau herunterzufahren. Aber ganz ausgeschaltet werden soll es auch nicht, das wäre gefährlich, es muss an das des Mannes angepasst werden. Dafür werden im Sperma von männlicher Seite verschiedene Stoffe wie zum Beispiel Adrenalin mitgeschickt, aber vor allem eigene Abwehrkräfte, eigene Immunfaktoren.

Das ist eine Nachricht, die sich nicht so leicht verdauen lässt. Vor allem für die Frau. Macht sie die Natur etwa zur Blaupause des Mannes? Der Gedanke ist unangenehm, wenn nicht unheimlich.

Schauen wir uns die Gründe an.

Durch die Ejakulation bekommt die Frau quasi eine Infusion. Es dringt Flüssigkeit in ihren Körper ein. Normalerweise ist so etwas für den Organismus ein Grund, Alarm zu schlagen. Ein körperfremder Stoff bahnt sich seinen Weg ins Innere. Wer weiß, was da alles mit hereingeschwemmt wird. Und schon blinken die Warnleuchten, und die Sirenen heulen, um die Eindringlinge schnellstens wieder loszuwerden. Normalerweise.

Passierte das bei jedem Geschlechtsakt, wäre das nicht nur ausgesprochen unbequem, es hätte unseren Fortbestand wohl verhindert. Das Ejakulat dient der Fortpflanzung, es darf nicht abgestoßen werden wie ein Parasit oder Krankheitserreger. Es muss eine Sondererlaubnis bekommen. Eine Art Passierschein, der zur Zeugung notwendig ist und die Pforten in den Organismus öffnet.

Gleich beim Eintritt ins weibliche Territorium weisen die männlichen Besucher diesen Passierschein vor. Der besteht unter anderem aus den Abwehrkräften, den Immunfaktoren des Mannes. Diese Immunfaktoren drängen sofort in die dendritischen Zellen der Frau, die für das Immunsystem tätig sind und rennen von dort aus zu den Lymphknoten weiter.

Die schauen sich das an und entschlüsseln die Botschaft an das weibliche Immunsystem. Gegen diesen Eindringling keine Feindseligkeiten. Hier sind die Codes, mit denen seine Abwehrkräfte arbeiten, die übernehmen wir jetzt.

Da die Samenflüssigkeit alles tut, um ihre Samen zu beschützen, beinhaltet sie auch viele antibakterielle, antimykotische und antivirale Stoffe, zum Beispiel Laktoferrin und Zytokin. Die beiden sind sonst auch für Zellteilung und Regulierung der Zellspezialisierung zuständig. In unserem Fall der körperlichen Liebe schützen sie neben den Spermien auch die Frau.

Über den Muttermund geht es dann für alle Bestandteile weiter. Die Operation Fortpflanzung ist angelaufen.

Ein hochgenialer Mechanismus.

Es sind also nicht nur Spermien, die da aus Jux und Tollerei hineingeschossen werden. Das ist nicht nur ein erfreulicher Geschlechtsverkehr. Es ist fast eine Parabiose. Die beiden Organismen sind zwar nicht miteinander verwachsen, aber sie vereinigen sich, und damit sind sie verschränkt.

Nur, warum genügt nicht schon der Passierschein? Wozu muss sich die Frau auch noch zur Blaupause ummodeln?

Die Antwort hat etwas Epochales. Der Mann deponiert mit der Ejakulation seine DNA in den Schleimhäuten der Frau, damit sein Sperma von ihr akzeptiert wird. Denn dieses Sperma ist nichts anderes als ein möglicher halber Embryo.

Die Programmierung, die das Immunprofil der Frau verändert, bereitet sie auf das Einnisten des neuen Lebens vor wie auf ein Geschenk. Das ist etwas anderes, als sich einen Splitter einzuziehen. Ein Splitter ist kein Geschenk, er bohrt sich seinen Weg, ohne eingeladen worden zu sein. Da versteht das Immunsystem keinen Spaß und ist sofort in Aktion. Beim Sperma hält es sich zurück, obwohl es genauso ein Fremdkörper ist, der zu hundert Prozent nicht von der Frau stammt.

Schaut man sich an, was sich daraufhin alles im weiblichen Körper tut, schreien Vernunft und Gefühle wild durcheinander. Wenn der Verstand die Informationen verarbeitet, findet er den Plan der Natur völlig logisch.

Anders die Psyche. Blaupause. Umprogrammierung. Neues Immunprofil. Was muss man als Frau nicht noch alles über sich ergehen lassen? Genügt es nicht, die Umwälzungen auf sich nehmen zu müssen, die die Schwangerschaft erfordert? Genügt es nicht, für den schmerzhaften Part der Reproduktion zuständig zu sein? Muss man vorher auch noch so umgekrempelt werden?

Bedeutet das alles nicht eigentlich, dass die Frau nicht sie selbst bleiben darf? So ziemlich alle Frauen, mit denen ich über diese neue Entdeckung der Wissenschaft rede, sind zumindest entsetzt, die meisten schockiert. Wäre ich kein Mediziner, ginge es mir nicht anders.

Als Mediziner kann ich auf ein unfassbar durchdachtes Ganzes verweisen. Ein Zusammenspiel zweier verschiedener Organismen, die nur gemeinsam fähig sind, sich zu vermehren. Nur miteinander gelingt die Reproduktion. Da ist kein Organismus besser als der andere, weil keiner ohne den anderen handlungsfähig wäre. Sie ergänzen sich in einer Perfektion, wie sie nur die Evolution zuwege bringt.

Und, was nicht unter den Tisch gekehrt werden darf: Auch für das Glück und die Freude und die Liebe braucht man zwei.

Der Mann tut sich auf den ersten Blick nur in seiner evolutionären Ausrichtung leichter. Er hat den Auftrag, seine Gene zu streuen, so viele Kinder zu zeugen wie nur möglich. Darauf ist er gepolt. Er sieht eine Frau, er riecht die Geschlechtsreife, er möchte zur Sache kommen. Allerdings versucht nicht nur das sechste Gebot, sondern auch die höher entwickelte Natur ihn zu domestizieren. Das Oxytocin ist zum Beispiel so ein Domestizierungshormon.

Es ist natürlich die Frage, inwieweit Statistiken von Dating-Seiten über die gesamte Bevölkerung aussagekräftig sind, die Zahlen einer Münchner Studie sind jedenfalls interessant. Dabei wurden die Daten von 10.000 Benutzerinnen und Benutzern von Partner-Vermittlungsseiten im Internet ausgewertet.

Von den untersuchten Männern waren rund 40 Prozent auf Seiten unterwegs, die unverbindlichen Sex vermitteln. Von den untersuchten Frauen waren es nur rund 19 Prozent. Umgekehrt waren 60 Prozent männlicher Online-Dater auf Singlebörsen oder Partnervermittlungen unterwegs. Von den Frauen waren es 81 Prozent.

So simpel wie bei ihm ist die Sache bei ihr also nicht. Wenn sich die Frau mit einem Mann einlässt, und dabei kein Kondom verwendet wird, lässt sie sich von ihm verändern.

In der modernen Gesellschaft hat man von Einschränkungen genug. Seit Emanzipation und Pille schienen Frauen doch einen hohen Grad an Selbstbestimmung gewonnen zu haben.

Und jetzt das: Überleg dir, mit wem du ins Bett steigst. Ohne Kondom drohen nicht nur Krankheiten, sondern auch noch eine Umprogrammierung durch die männliche DNA.

Da die Umprogrammierung das Immunsystem betrifft, ist die Frau anfälliger für Viren oder Allergien. Vor allem die viel besprochenen Humanen Papillomviren, man kennt sie unter dem Kürzel HPV, übertragen sich mit höherer Chance.

Sex ist die intimste Kommunikation der Welt. Ist ein Mann sehr kommunikativ, früher hätte man gesagt: ein Hallodri, öffnet die Frau ihm durch die Immunanpassung nicht nur Tür und Tor für seine Spermien, sondern möglicherweise auch für die Viren, die er auf diesem Weg mitbringt. Die marschieren fröhlich pfeifend durch die offenen Pforten und beginnen dort ihr katastrophales Geschäft.

Dort, das ist in erster Linie der Muttermund. Denn genau dort fährt die weibliche Immunabwehr ihre Hürden herunter. Deshalb ist der Muttermund so anfällig für die HPV-Infektion, die letztlich zum Zervix-Karzinom, dem Gebärmutterhalskrebs, führt. Da man Hallodris auch heute noch nicht auf den ersten Blick erkennt, rät die Medizin dringend zu einem Kondom.

Das Sperma beinhaltet zwar sehr viele Abwehrstoffe, die auch die Frau schützen, aber nur wenn es gesund ist. Zu diesen Abwehrstoffen gehören nämlich auch die sogenannten Granulozyten, und die kommen in besonders hoher Konzentration vor. Es sind Fresszellen. Und genau das ist die Schattenseite. Sie können nämlich schon mit allen möglichen Viren im Bauch angetanzt kommen. Dass man sich beim Geschlechtsverkehr auch mit Hepatitis oder dem HIV anstecken kann, wissen wohl die meisten.

Besonders in der jungen Generation wird aber so ein erhobener Zeigefinger äußerst ambivalent aufgenommen. Die einen sind betroffen und nicken. Ja, das Gefühl, wählerischer sein zu wollen, hätten sie ohnehin schon die längste Zeit, jetzt habe es nur einen Namen bekommen.

Die anderen sind betroffen und schütteln den Kopf. Nein, jung wie sie sind, wären sie genau im richtigen Alter, um à la carte zu lieben. Dass sie sich dabei nicht die ultimative Vielfalt gönnen sollten, wäre nur das, was die alten Leute sagen. Was solle denn schon groß passieren?

Die Wissenschaft gibt die Antwort: Schläft eine Frau ständig mit neuen Partnern, bringt sie ihren Körper wahrscheinlich durcheinander.

Erstens muss er quasi im Akkord immer wieder neue Blaupausen herstellen. Er weiß nicht mehr, auf welche davon es jetzt ankommt, und ist desorientiert.

Zweitens nimmt man an, dass die Anpassung des Immunsystems auch eine Neurogenese im Gehirn auslöst. Es entstehen neue Nervenzellen, die nicht mehr wissen, wozu sie jetzt da sind.

Das trifft aber auch auf den männlichen Körper zu.

Beim Mann sind die Auswirkungen naturgemäß geringer. Er modelt sich lokal und immunologisch nicht um wie die Frau, allerdings baut auch er Neurone im Gehirn auf. Außerdem scheidet der männliche Organismus beim Geschlechtsverkehr einen Schwall an Vasopressin aus. Das Hormon sorgt dafür, dass er ab jetzt wie eine Hyäne auf das gemeinsame Territorium aufpasst.

Damit agiert er wie recht viele andere Männchen von so manchem Fisch über die Vögel bis zu den Säugetieren. In sein abgestecktes Revier, in dem das Weibchen brütet, darf keiner hinein. Solange die Brut da ist, macht das Vasopressin den Mann zum Verteidiger der Familie.

Natürlich gibt es auch den Fall, dass es gar nicht zur Familie kommt oder dass einer der Partner sich vom anderen trennt. Mit oder ohne Kinder. Die Scheidungsrate ist ja kein Geheimnis. Obwohl sie seit 2007 stetig abnimmt, gehen immer noch vierzig Prozent aller Paare auseinander, und es sind heute auch nicht alle Paare verheiratet.

Worauf ich hinaus will, ist der Scheidungs- und Liebeskummer. Dem kommt kaum jemand aus. Das ist ein Phantomschmerz unserer Gesellschaft. Über dem kann man nicht einfach die Augen verschließen. So einfach macht es uns der Holismus nicht.

Schuld am Herzschmerz sind ein paar an der Fortpflanzung beteiligte Hormone wie das Territoriumshormon Vasopressin oder das Bindungs- und Treuehormon Oxytocin. In diese Mittel hat der Organismus im Hinblick auf die Vermehrung ausgiebige Mengen investiert. Völlig unnötig, wie sich bei einer Trennung herausstellt. Der Partner ist weg. Über Nacht werden die Botenstoffe nicht mehr gebraucht, sie verschwinden, wie der geliebte Mensch verschwunden ist.

Den Entzug nennt man Liebeskummer.

Darüber hinaus werden die Neurone, die sich im Vertrauen auf die neue Zwei- und mögliche Dreisamkeit im Gehirn assoziiert haben, mitten in ihrer Begeisterung gestoppt. Wird ein Mensch vom Partner verlassen, unterbricht das die Aktivität dieser neuen Neuronen von außen. Für den Körper ist das eine Stresssituation, die das ganze Desaster mit dem Liebeskummer erst in Gang bringt. Tiefe Traurigkeit, schwere Depressionen, Burn-out, man kennt das ja.

Unterschätzen sollte man das nicht. Alles im Körper war auf Partnerschaft eingestellt, da ist es eigentlich nicht verwunderlich, wenn die Umstellung somatische, also tatsächlich körperliche Folgen hat. Liebeskummer belastet die Gesundheit, mitunter ein Leben lang. Im angelsächsischen Bereich ist das eine anerkannte Erkrankung, an der die Frauen statistisch gesehen mehr leiden als die Männer. Nicht weil sie romantischer oder bindungsfreudiger wären, wie man das landläufig oft so dahinsagt. Es hängt mit der immunologischen Anpassung zusammen, welcher der Mann nicht ausgesetzt ist. Die Blaupause war letztlich für nichts.

Zweiter Akt unseres Naturschauspiels: die Dauerbindung.

An der Handlung beteiligt: das Oxytocin, das Gehirn, das Stickmonoxid, das Herz.

Kurzinhalt: Der Geschlechtsakt bringt im Gehirn neue Neurone hervor, das Oxytocin regt das Herz an, sich zu regenerieren und sogar neues Muskelgewebe zu bilden.

Ohne das Oxytocin würde die Liebe nicht viel mehr Spaß machen, als sich am Schienbein zu kratzen. Es gebe keine Schmetterlinge, keine Zärtlichkeit, keine Treue. Kein Mensch hätte Vertrauen zum anderen. Jede Geburt wäre ein Desaster. Und jedes Baby würde als vergessenes Straßenkind aufwachsen. Das alles wegen des Fehlens eines einzigen Hormons.

Das ist natürlich ein bisschen übertrieben, aber nicht viel. So könnte die Welt durchaus aussehen, ohne dieses Oxytocin, das uns zu dem sozialen Wesen macht, das schon Platon in uns erkannt hat, obwohl er nie etwas von Hormonen gehört hatte.

Mittlerweile wissen wir so einiges über das Oxytocin. Es ist der Stoff, der so ziemlich bei allem mitspielt, was zwei Menschen brauchen, um einen dritten in ihr Leben treten zu lassen. Liebe. Vertrauen. Treue. Solidarität. Nachhaltigkeit. Kraft. Gesundheit. Und insbesondere ein starkes Herz.

Die Sexualität stellt all das bereit, indem sie beim Geschlechtsakt das Oxytocin hinausschleudert, das den Rest erledigt. Das sind schon so einige beachtliche Jobs, die die Natur einem einzigen Hormon zutraut. Schauen wir uns kurz seinen Lebenslauf an.

Das Oxytocin ist ein Hunderte Millionen Jahre altes Molekül. Entdeckt hat man es beim Caenorhabditis elegans, einem Fadenwurm. Der hat diesen Namen, weil er so elegant dahinschwänzelt. Der grazile Wurm musste einen ganzen Haufen Oxytocin-Experimente über sich ergehen lassen, weil er trotz seiner Winzigkeit von nicht einmal einem Millimeter Länge den Säugetieren in manchem ähnlich ist. Genauso wie beim Menschen dient Oxytocin auch bei diesem Fadenwurm dazu, die Fortpflanzung einzuleiten.

Erkennen und paaren. Bei den alten semitischen Völkern war das ein- und dasselbe. Ihr Synonym für die Paarung war das Erkennen. Adam erkannte Eva, und sie gebar den ersten Sohn. Es gehört zum Uraltwissen der Menschheit, dieses Erkennen. Wie richtig und wie poetisch. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Geschlechtsakt mehr ist als nur Gerammel.

Freigesetzt wird dieses Oxytocin vom Hinterlappen der Hirnanhangdrüse, und dort hat es, neben vielen anderen, eine zum Erkennen passende Funktion. Sie befähigt den Menschen, Gesichter zu schärfen und sie sich zu merken. Bei den Säugetieren und dem Homo sapiens ist diese Fähigkeit weit ausgebaut.

Das Oxytocin hat auch zwei ganz andere Funktionen, die aber holistisch nicht vom Rest seiner Talente zu trennen sind. Es bewirkt, dass die Gebärmutter sich bei der Geburt zusammenzieht. Das sind die Wehen, die das Kind aus dem Bauch hinausdrücken. Daher kommt auch der Name des Oxytocins, der auf Altgriechisch gleichermaßen »Wehen bei der Geburt«, aber auch »schnelle Geburt« bedeuten kann. Außerdem ist es dafür verantwortlich, dass die Brustdrüse Milch absondert. Darüber hinaus hat es die Natur für Zärtlichkeit und Zuneigung verantwortlich gemacht. Vor der Geburt zu kuscheln hilft also, die Wehen einzuleiten. Beim Stillen zu kuscheln fördert den Milchfluss. Nach dem Orgasmus macht es die beiden Liebenden müde und bewirkt, dass sie nicht gleich getrennter Wege von hinnen spazieren.

Die Natur, so vorsichtig wie vorausschauend, hat sich da auf keine halben Sachen eingelassen. Sie hat nicht mit Vorhandenem herumprobiert. Sie entschied, dass das Hormon für seinen Auftrag gleich auch im Gehirn eigene Neurone, also Nervenzellen, herstellen soll, die die physische Grundlage für die Verbindung der beiden potentiellen Elternteile stellen. Sicher ist sicher. So wankelmütig der Mensch in seinen zwischengeschlechtlichen Beziehungen ist, braucht es einen Kitt, der nicht so leicht abgeht. Das Oxytocin wurde zum Bindungshormon.

Die Neurone, die es dazu bildet, verschränken die beiden Partner. Sie bekommen ein Naheverhältnis, sie fassen Zutrauen. Da steckt nichts Mystisches dahinter, sondern Neurogenese und wunderbarer Holismus.

Solidarität und Gesichtserkenntnis. Darauf hat sich die Schulmedizin konzentriert, um herauszufinden, wie genau das Oxytocin in die Neurogenese eingreift. Ein Mechanismus scheint dabei besonders wichtig zu sein: Im Gehirn wird normalerweise vieles blockiert, was der Regeneration dient.

Im ersten Moment hält man das für absurd. Regeneration zu verhindern, kann nicht im Sinn der Natur sein. Etwas weitergedacht, sind Hemmungen allerdings extrem wichtig. Ohne sie würden sich überall und wie wild neue Neurone bilden, und mit neuen Neuronen würden unweigerlich neue Bewusstseinsinhalte entstehen.

Auch nicht schlimm, könnten wir jetzt meinen, und wir hätten schon wieder zu kurz gedacht. Mit neuen Nervenzellen würde sich nämlich auch der Bewusstseinszustand dauernd ändern. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich gut vorstellen, wie einen das durchschütteln würde. Deswegen ist das Hirn auf diesem Gebiet stark eingeschränkt und kann sich nicht so hemmungslos erneuern wie ein Muskel, ein Knochen oder die Wirbelsäule nach einer Querschnittslähmung.

Neue Therapien versuchen, diese Hemmungen aufzuheben, falls aus welchem Grund auch immer eine Regeneration des Gehirns vonnöten ist. Zum Beispiel mit Oxytocin. Denn das Hormon ist in der Lage, die Bremsen zu lockern.

Oxytocin ist also ein Hemmungslöser, und das ist nicht nur im medizinischen Sinn zu verstehen. Oxytocin enthemmt generell. Im positiven Sinn, manchmal aber auch im negativen. Deswegen nannte es der Neuroökonom Paul Zak auch »Moralmolekül«.

Es gab da ein paar verblüffende Versuche, die weit über die Belange der Fortpflanzung hinausgehen.

In Zürich verabreichte der Verhaltensökonom Ernst Fehr mit dem Oxytocin-Experten Markus Heinrichs Testpersonen ein paar Spritzer des Hormons über ein Nasenspray. Es ging ihm darum, die Vertrauensseligkeit im Hinblick auf die Risikobereitschaft auszuloten. In einem vorgetäuschten Szenario mit einem ebenso vorgetäuschten Banker sollten die Probanden Geld in eine Transaktion investieren. Je nachdem, wie wagemutig sie waren, konnten sie entweder ihr Geld samt Profit zurückbekommen, oder der Banker behielt Kapital samt Gewinn ein. Fehr wollte wissen, inwieweit das Oxytocin das Vertrauen selbst zu Bankern erhöhte, die üblicherweise nicht als Heilige betrachtet werden.

Das Ergebnis lässt sich schon riechen: Die Testpersonen mit dem Oxytocin in der Nase riskierten größere Summen als die Placebo-Gruppe.

Interessant war, dass das Hormon ausschließlich auf das Vertrauen Einfluss nahm und nicht auf die Risikofreudigkeit. Bei derselben Transaktion mit einem herzlosen Computer investierten die Versuchspersonen nichts oder weniger. Das Oxytocin wirkt nur in der Interaktion mit einem Menschen, und sei es ein Banker.

Auch bei Mediationen wurde der Hormon-Spray eingesetzt, und mit einigem Erfolg. Denn während das Oxytocin das Vertrauen vergrößert, senkt es gleichzeitig den Spiegel des Stresshormons Cortisol. Mehr Verständnis, weniger Stress. Ideale Voraussetzungen, um einander wieder näherzukommen. Insbesondere, wenn aus zwei drei werden.

Der Dritte im Familienbund kommt derart unreif auf die Welt, dass die Bindung zwischen den Eltern existenziell ist. Das Baby braucht Nahrung, Schutz, Pflege, Zuneigung, Aufmerksamkeit, Förderung, Zärtlichkeit, und die Liste könnte noch ein paar Seiten weitergehen. Wir sind keine Pferde, die nach der Geburt schon aufstehen und herumlaufen.

Beim Homo sapiens dauert es, bis das Kind flügge ist. Dem Plan der Natur nach sollten beide Elternteile die gesamte Brutpflegezeit über für das Kind da sein. Offenbar ahnte die Natur, dass Mann und Frau nicht automatisch über so lange Zeit zusammenpassen würden, und steuert das Bindungshormon auch abseits des Sexualakts bei.

In Wahrheit beginnt es mit einem tiefen Blick. Der genügt als erste Kommunikation, und schon geht es los. Wenn sich Liebespaare in die Augen schauen, steigt der Oxytocin-Spiegel.

Dieser Mechanismus ist in der Natur derart zementiert, dass sich dasselbe sogar zwischen Mensch und Hund abspielt. Schauen Mensch und Hund einander tief in die Augen, setzt das in beiden Oxytocin frei, und irgendwann wird der eine für den anderen als Gefährte alternativlos.

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