Kitabı oku: «Der holistische Mensch», sayfa 4

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Viren sind also weit nützlicher, als man ihnen zugesteht.

Bei den großen Sprüngen des höheren Lebens haben sie fraglos eine große Bedeutung. Zwischen Mensch und Virus gibt es demnach so etwas wie eine Ko-Evolution. Ihr Beitrag zur Bildung der Plazenta ist ein Teil davon. In dem Fall waren die Viren eine derartige Bereicherung für ihren Wirt, dass eine ganz neue Art entstanden ist: die Säugetiere und mit ihnen der Mensch.

Dass Viren die Immunsituation des Wirtes verändern und ihn somit in der Evolution derart nach vorne katapultieren können, ist dennoch eine sehr neue holistische Interpretation. Befeuert wird sie durch die Entdeckung der Genscheren.

Es war keine Erkenntnis, die über Nacht in die Welt der Wissenschaft einbrach. Das tun Forschungsergebnisse nie, schon die eigentliche Arbeit in der Abgeschiedenheit eines Labors ist langwierig und aufwendig. Die Wissenschaft ist nicht immer von eiligem Charakter. Auch wenn sie im generellen Fortschritt in gewaltigen Stiefeln und mit Riesenschritten unterwegs ist, lässt sich die Natur ihre Geheimnisse im Einzelnen nur unter Ächzen abringen. Sind alle Studien fertig, die Statistiken ausgewertet, der Artikel geschrieben, geht noch etliche Zeit drauf, bis die Welt die Neuigkeiten erfährt. Die großen Wissenschaftsmagazine wie Science oder Nature, in denen nur Themen veröffentlicht werden, die durchbruchverdächtig sind, haben lange Begutachtungszeiten. Allein bis einmal feststeht, ob es sich um einen solchen Durchbruch handeln könnte, dauert es mindestens ein Jahr. Ich walze das deshalb ein bisschen aus, weil es im Falle der Genscheren eine Rolle spielt.

Die Vorgeschichte beginnt vor zwanzig Jahren. Um die nicht ganz unkomplizierte Materie zu verstehen, unternehmen wir einer Art Science-Hopping durch die Forschungsgeschichte.

Erste Station: die Universität Alicante. Als ein gewisser Francisco Mojica dort seine Doktorarbeit schrieb, beschäftigte er sich mit einem Archaebakterium aus den Salzmarschen der spanischen Costa Blanca. Beim Untersuchen des Erbguts der Mikrobe fiel ihm etwas Seltsames auf. Mehrere Sequenzen in der Länge von 30 sogenannten Buchstaben wiederholten sich immer wieder in Abständen von jeweils etwa 36 Buchstaben.

Langmütig, wie die Wissenschaft eben ist, ließ sie erst Jahre später erkennen, was das zu bedeuten hatte. In DNA-Banken fand Mojica, dass diese Wiederholungen etwas mit der Erbgut-Sequenz eines Virus zu tun haben, das Bakterien befällt. Wenn das Bakterium die Virus-DNA speichert, wird es gegen das Virus immun.

Machen wir es kurz: Mojica war auf eine Art Immunsystem der Bakterien gestoßen.

Vor zehn Jahren kämpften dann die Franzosen Philippe Horvath und Rodolphe Barrangou für ein Unternehmen, das Milchprodukte erzeugte, mit dem Problem häufiger Virusinfektionen in den Milchsäurebakterien. Dabei stießen die Biowissenschaftler auf ähnliche Buchstabenwiederholungen wie Mojica.

Der Stand der Dinge damals war: Wenn das im Wirtsgenom gespeicherte Virus abgelesen wird, löst das einen Selbstschutzmechanismus aus. Das Viruspartikel wird zerstört, wenn es wiederkommt. Und zwar mit einer Schere.

Wie das geht, konnten dann Luciano Marraffini und Erik Sontheimer erklären. Das Ganze ähnelt den Ermittlungen in einem Kriminalfall.

Ein Bakterium wird von einem Virus angegriffen. Wenn es den überlebt, baut es ein Stück vom Erbgut des Virus zwischen zwei Wiederholungen ein. Quasi als Fahndungsfoto. Taucht das gleiche Virus wieder auf, lenkt die Sequenz, die das Fahndungsfoto enthält, die Schere zu seiner Erbinformation. Die Schere schnappt zu, und um das Virus ist es geschehen.

Diese Schere bezeichnet man als CRISPR/Cas. Die Abkürzung CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, was so viel wie »regelmäßige Wiederholungen« bedeutet. Und die Abkürzung Cas wenig fantasievoll für CRISPR-associated.

Von hier führt uns unser Wissenschafts-Hopping nun annähernd gleichzeitig nach Wien, nach Berkeley, nach Litauen und nach Massachusetts. Überall dort fanden Forscherinnen und Forscher heraus, wie dieser Mechanismus gezielt angewendet werden kann, um Erbgut zu verändern.

Emmanuelle Charpentier von der Wiener Uni und Jennifer Doudna von der University of California in Berkeley haben gezeigt, wie mit den CRISPR/Cas-Scheren auch Bakterien-DNA zerschnitten werden kann. Die beiden hatten ihre Kräfte vereint und beeindruckten die Redaktion des Magazins Science. Die Begutachtung, ob der Artikel für eine Veröffentlichung infrage käme, wurde beschleunigt. Die Antwort war ein Ja. Damit konnten sich die Verfasserinnen schon einmal auf weltweiten Ruhm einstellen. Charpentier und Doudna werden am 17. August 2012 vermutlich einen sauteuren Champagner entkorkt haben. An dem Tag publizierte Science ihren Artikel.

Ich gebe das auch deshalb so genau wieder, weil der Erfolg immer viele Eltern hat, aber nicht alle zu denselben Ehren kommen. Im Falle der Genscheren blieb der Biochemiker Virginijus Šikšnys über, obwohl er an der Universität in Vilnius mit einem internationalen Team zu denselben Schlüssen gekommen war. Allerdings war über seine Leistung erst einige Tage später zu lesen. Zu dem Zeitpunkt wurden Charpentier und Doudna bereits als die neuen Stars am Himmel der Wissenschaft gefeiert. Aber ganz leer ausgegangen ist Virginijus Šikšnys auch nicht. Fünf Patentanmeldungen gehen auf sein Konto.

Über das wichtige Patent zur Anwendung der CRISPR/Cas-Scheren tobt zurzeit ein ziemlicher Streit. Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology hat die Methode nämlich verfeinert und auch für menschliches Erbgut anwendbar gemacht. Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna konnten nur an Bakterien herumschneiden. So hat Feng Zhang das Patent für die Anwendung von CRISPR/Cas am Menschen, während Charpentier und Doudna nur das weniger lukrative Patent für die Anwendung an Bakterien besitzen.

Und woher kommt diese Schere ursprünglich? Vom Virus.

Alle diese Forschungsergebnisse zeigen also, dass die Viren in der ganzheitlichen Betrachtung der Dinge ihren Platz erobert haben, und zwar nicht in ihrer Funktion als ewige Krankheitserreger. Sie können mehr und stehen mit Bakterien und Säugetierzellen in einer noch nicht ganz klaren Kooperation.

Stellt sich die Frage, ob nicht auch in den biologischen Systemen, ähnlich wie Anton Zeilinger es für die physikalischen vermutet, eine Information über eine Balance des Lebendigen steckt. Die Überlegung liegt nahe. Denn auch die Viren haben seither nicht untätig zugesehen, wie sie von Bakterien zerschnitten werden. Sie konnten in der Zwischenzeit eine Überlebensstrategie entwickeln, die sie vor der Zerstückelung schützt.

Es ist ein riesengroßes Puzzle, und die einzelnen Steinchen werden am ganzen Erdball darauf abgeklopft, ob sie ins Große und Ganze passen. Mit jedem Steinchen werden die Verbindungen, die die Natur hergestellt hat, immer logischer. Die Evolution bekommt zusehends etwas Nachvollziehbares. Dabei an ein beliebiges Roulette zu glauben, geht fast nicht mehr.

Kann wirklich alles einem Zufallsgenerator überlassen gewesen sein? Oder steht ein wunderbares holistisches Prinzip dahinter, dem wir in der Forschung nachjagen?

Das Weiterleben in den anderen

Näher als Mutter und Kind in der Schwangerschaft können sich zwei Menschen nicht sein. Ein Körper im anderen, nicht bloß zu einem Teil wie Mann und Frau in der Vereinigung beim Liebesakt, sondern zur Gänze. Das Kind wohnt in der Mutter, neun Monate lang. Näher geht es nicht.

Das Haus der Mutter ist für beide da, aber der Embryo hat eine separate Wohnung. Anders wäre so eine WG nicht möglich. Die Organismen müssen in ihren Blutkreisläufen komplett voneinander getrennt sein, dafür sorgt die Plazenta. Aus ihr bekommt das Kind über die Nabelschnur geliefert, was es braucht. Ansonsten verhindert diese Schranke jeden Zellaustausch, den die Immunsysteme auch nicht tolerieren würden. So haben wir das in Biologie gelernt, so glaubte es lange Zeit die Medizin.

Jetzt weiß man: Die Plazenta schottet nicht bedingungslos ab. Sie lässt Stammzellen durch. Und die bleiben im Körper der Mutter. Auch nach der Geburt.

Umgekehrt bleiben mütterliche Zellen auch im Organismus des Kindes erhalten, die es dann sein Leben lang begleiten. Der Austausch funktioniert demnach bidirektional. Mutter und Kind stehen einander also noch näher, als wir angenommen haben. Es verbindet sie etwas hochgradig Holistisches.

Mikrochimärismus nennen wir dieses Phänomen. Unwillkürlich zucken einem da die Chimären der griechischen Mythologie durch den Kopf, die Mischwesen aus Homers Ilias, die den Kopf eines Löwen, den Rumpf einer Ziege und das Hinterteil eines Drachen haben. An Mutter und Kind will man bei so einem Geschöpf nur ungern denken, aber auf der Mikroebene der Zellen ist der Begriff nicht verkehrt.

Mutter und Kind sind nicht nur Mutter und Kind. Wir alle sind Mamakinder im wissenschaftlich hehrsten Sinn. Wir leben ineinander weiter. Wir sind miteinander verschränkt.

Ich habe die Anfänge der Erforschung des Mikrochimärismus mit Spannung verfolgt. Es war ein weltweites Aha-Erlebnis, das Mitte der neunziger Jahre einer Entdeckung in Seattle folgte: Im Blut einer Laborassistentin fand sich DNA ihres einjährigen Sohnes. Dabei sind es nicht nur ein paar Irrläufer, die sich in einen anderen Organismus verstolpern. Während der Schwangerschaft wird eine Fülle fetalen Erbguts in den Kreislauf der Mutter eingeschleust. Das hat eine Reihe positiver und natürlich wieder einmal auch etliche negative Auswirkungen.

Ein Vordenker auf diesem Gebiet ist Wolfgang Holzgreve, ein berühmter Gynäkologe aus Basel und Freund von mir. Er forscht, inwieweit dieser Zellenaustausch für die pränatale Diagnostik zu nutzen ist. Außerdem untersucht er die Auswirkungen dieses Zellentauschs.

In der Forschung ist es gar nicht so leicht gewesen, diese körperfremden Zellen zu finden. Was dabei hilft, ist die Tatsache, dass die kindlichen Zellen viel jünger sind als die der Mutter. Ganz abgesehen davon, dass sie natürlich auch das Erbgut des Vaters beinhalten.

Die Verbundenheit zwischen Mutter und Kind geht aber noch viel weiter.

Wird die Frau nämlich noch einmal schwanger, bekommt sie auch die Zellen des zweiten Kindes. Und weil der muntere Zellverkehr in beide Richtungen fließt, wandern die Mutterzellen vice versa auch in den Organismus ihres zweiten Kindes.

Selbst damit ist das muntere Zellentauschen nicht vorbei.

Das Ganze wiederholt sich nicht nur bei jeder Schwangerschaft. Die fetalen Zellen des erstgeborenen Kindes gehen über die Mutter auch auf die jüngeren Geschwister über. Der Zweitgeborene bekommt die Mamazellen und die des Erstgeborenen. Das dritte Kind bekommt die mütterlichen Zellen und die der beiden vor ihm geborenen Geschwister.

Da werden Stammzellen von mehreren Organismen weitergegeben, und das jeweilige Immunsystem findet das, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, ganz in Ordnung.

Es gibt also nicht nur eine Blutlinie, es gibt auch so etwas wie eine Zellengemeinschaft. Zwischen Müttern und ihren Kindern und von den älteren Geschwistern bis hin zum Nesthäkchen. Die Mutter und das letzte Kind in der Reihe sind quasi Mischwesen aus allen. Der Erstgeborene hat nur Mamas Zellen, gibt aber die seinen an alle weiter, die nach ihm geboren werden.

Das zementiert in gewisser Weise die herausragende Rolle, die den Erstgeborenen in alten Kulturen oder auch im Adel zukommt. Sie sind die Stammhalter und die ersten in der Erbfolge. Die Bedeutung der Erstgeborenen hat also einen mystischen Hintergrund, der mit dem Mikrochimärismus eine naturwissenschaftliche Erklärung bekommt. Allerdings ist so gesehen auch das letztgeborene Kind herausragend.

Es handelt sich um eine Entdeckung der letzten Jahrzehnte. Und holistisch weitergedacht ist es nur logisch, dass sich diese mikrochimärische Zellengemeinschaft über viele Generationen zieht. Eine Mutter hat ja auch eine Mutter.

Darüber könnte man viel diskutieren, auch über die Meinung der katholischen Kirche, dass die Ehe auch in Zeiten der endemischen Scheidungen etwas Besonderes wäre, und zwar aus biologischer Sicht.

Ich erinnere mich an den ersten Gynäkologen-Kongress im Campo Santo Teutonico direkt im Vatikan vor ein paar Jahren. Am Ende stieß Erzbischof Georg Gänswein für eine Stunde zu uns und erkundigte sich nach den Fortschritten auf unserem Gebiet. Zuletzt, sagte er, gäbe er uns Geburtshelfern gern noch eine Botschaft mit. Sie lautete: »Die Elternschaft ist heilig.«

Das Verfahren, mit dem man die mütterliche und kindliche DNA auseinanderhält, haben sich die Amerikaner patentieren lassen. Es ist ein Panorama-Test, der mittlerweile Routine ist. Früher war die Pränatal-Diagnose auf die Fruchtblasenanalyse beschränkt, die immer ein bisschen heikel war. Wenn man wissen wollte, ob das Kind ein Risiko auf Trisomie 21 hat, stachen die Ärzte mit beeindruckenden Nadeln durch den Bauch der Mutter in die Fruchtblase und entnahmen etwas Fruchtwasser.

Das ist jetzt zumeist hinfällig. Der Frauenarzt nimmt der Mutter Blut ab und schickt es in die USA in eines der Zentren, die das Patent für die Analyse haben. Runde 400 Euro kostet die Gewissheit. Einfacher, billiger, aber nicht ganz so präzise lässt sich Trisomie 21 freilich auch mit der Nackenfaltenmessung beim Ultraschall erkennen. Zwischen der 11. und der 14. Schwangerschaftswoche ist das bei uns eine Standarduntersuchung.

Ganz abgeschafft ist die Fruchtblasenanalyse allerdings noch nicht. Hatte sich bei einem Kind der Verdacht auf Down-Syndrom bestätigt, und die Mutter deshalb die Schwangerschaft abgebrochen, trägt sie das entsprechende Zellgut trotzdem noch in sich. Bei einer zweiten Schwangerschaft könnte es bei der DNA-Analyse dann durchaus zu einer falschen Diagnose kommen. Denn es ist derzeit nur prinzipiell nachzuweisen, dass kindliche DNA-Stücke vorhanden sind. Von welchem Kind sie stammen, ist nicht zu unterscheiden. Selbst wenn das zweite Kind völlig gesund ist, könnte die Untersuchung das Gegenteil ergeben.

Es ist eben noch ein völlig neues Wissensgebiet.

Die Anzahl der Zellen, die Mutter und Kind gegenseitig austauschen, steigt mit fortschreitender Schwangerschaft an. Aber es geht schon ziemlich von Anfang an los. Auch bei einer Fehlgeburt geht das Kind also nicht völlig verloren. Es kommt nie auf die Welt, aber es lebt weiter. Nicht nur im Gedächtnis und im Herzen der Mutter, sondern auch in ihrem Körper. Da ließe sich durchaus weiter philosophieren.

Die medizinischen Auswirkungen sind nicht weniger atemberaubend als der Mikrochimärismus an sich. Sie kann so einiges, die fetale DNA. Da es sich um Stammzellen handelt, bei denen ja nicht feststeht, was aus ihnen wird, haben sie quasi alle Möglichkeiten. Sie können sich zu allen erdenklichen Zellen umwandeln, die dann von einer grandiosen Regenerationsfähigkeit sind. Das Kind kann viel für die Mutter tun. Es kann sie von innen heilen.

Nehmen wir an, eine vierzigjährige Mutter hat neun Monate lang embryonale Stammzellen bezogen. Ob nötig oder gewünscht, sie bringt das Baby per Kaiserschnitt zur Welt. Wäre sie auf ihr eigenes vier Jahrzehnte altes Zellmaterial angewiesen, bräuchte sie die eine oder andere Woche, um sich von dem Eingriff zu erholen. Die Zeit hat sie aber nicht. Das Baby braucht sie, und sie braucht ihre Kraft für das Baby und nicht, um in aller Ruhe von einer Operation zu genesen.

Die fetalen Stammzellen fackeln nicht weiter herum und machen sich an die Arbeit. Sie sind jünger, potenter und schneller als der Heilungstrupp der Mutter, der ihnen gern den Vortritt lässt. Die Wunde, durch die das Kind in die Welt geschlüpft ist, ist in Nullkommanix verheilt. Gut, sagen wir lieber einfach schnell. Schaut man sich in einer Geburtenstation um, sitzen die Frauen, denen in der Früh der Bauch aufgeschnitten wurde, am Abend am Bett, als wäre fast nichts gewesen. Das geht nach keiner einzigen anderen Operation so.

Noch dazu sind die Frauen nach der Geburt, egal auf welche Art sie stattgefunden hat, von einer ganz besonderen Schönheit. Auch das verdanken sie zum Teil den Stammzellen ihres Babys und deren Regenerationskraft.

Nicht zuletzt ist das wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum Frauen länger leben. Viele Schwangerschaften, so möchte man glauben, müssen den weiblichen Körper doch irgendwann kaputt machen. Was für eine Anstrengung das jedes Mal für den gesamten Organismus ist. Welche Torturen eine Frau da aushalten muss und das samt Stillzeit, oft über mehr als ein Jahr. Ganz im Gegenteil. Viele Schwangerschaften sind fast wie ein Lebenselixier. Wenn alles gut geht und die Frau nicht von irgendetwas traumatisiert ist, wirkt sie wie verjüngt.

Die Frau ist für die Evolution eben weit wichtiger als der Mann.

Die Forschung arbeitet zurzeit daran, die jungen Stammzellen im Labor zu züchten, womit sie dann allen zugutekämen. Vätern und Männern, die keine sind, Frauen, die keine Kinder wollen oder bekommen können, und vor allem älteren Menschen.

Ein Wunder?

Die Medizin kennt die genialen Täter. Es sind nicht nur die Stammzellen. Es gibt etwa auch einen Stoff, der als Fibroblast-Wachstumsfaktor-21 bezeichnet wird. Von dem gibt es im Embryo viel mehr als in einem alten Organismus. Es wird heftig daran gearbeitet, den Wachstumsfaktor künstlich herzustellen.

Was wiederum im Körper eines älteren Menschen in höherer Konzentration auftritt, ist das für die Kontrolle der Zellteilung zuständige Protein Cdc42. Die Abkürzung steht für Cell division control. Ist dieses Protein zu aktiv, führt das dazu, dass es in seinem Arbeitseifer eine ziemliche Unordnung hinterlässt. Es lässt seine epigenetischen Sachen gleichsam auf der DNA herumliegen, und die Kuriere des Körpers wissen nicht mehr, wann sie welche Informationen ablesen sollen. Dieses Chaos beschleunigt den Alterungsprozess. Hartmut Geiger vom Universitätsklinikum Ulm ist es 2015 gelungen, das Cdc42 bei Mäusen einzudämmen. So wurde nicht nur der Alterungsprozess verlangsamt, sondern bis zu einem gewissen Grad sogar rückgängig gemacht. Ein wahrer Durchbruch.

Zurück zur Mutter. Die aus dem Fetus eingeschleusten Zellen sind persistierend, also ziemlich lang am Leben. Als Stammzellen bauen sie so einiges auf, unter anderem stärken sie das Herz. Da gibt es wunderschöne Bilder davon, die zeigen, wie die kindlichen Zellen sich in die Muskulatur des mütterlichen Herzens einfügen.

Eines der schönsten Phänomene am Mikrochimärismus unter dem Mikroskop ist das Schauspiel, das die Natur veranstaltet, wenn eine Frau einen Buben zur Welt gebracht hat. Seine Stammzellen leuchten im bildgebenden Verfahren richtig heraus. Man darf mich da wörtlich nehmen. Buben bringen das Herz der Mutter zum Leuchten.

Es ist eine histochemische Technik, mit der man einen fluoreszierenden Farbstoff in die Chromomen einbauen kann. Gibt man ihn auf das Y-Chromosom, sieht man es unterm Mikroskop strahlen. Eine Freude, das zu beobachten. Auch Mädchen liegen der Mutter am Herzen, das ist klar. Nur findet man die Zellen der Töchter nicht ganz so leicht, weil sie ebenso wie diejenigen der Mutter zwei X-Chromosomen haben.

Von den Effekten wieder zum Effektiven. Der Mikrochimärismus löste auch ein Rätsel, das die Medizin lange nicht knacken konnte.

Warum bekommt eine Frau, die viele Schwangerschaften hinter sich hat, keinen Brustkrebs? Und warum sind Klosterfrauen, die nie ein Kind austragen, geradezu prädestiniert für das Mamma-Karzinom?

Nun wissen wir: Unter dem Einfluss der Hormone veranstalten die kindlichen Stammzellen in der Schwangerschaft ein Wettschwimmen zur Brust der Mutter, ein Brust-Schwimmen sozusagen. Dort angekommen, haben sie gleich zwei Aufträge.

In der Spätschwangerschaft schwirren sie ein, um alles auf das Stillen vorzubereiten. Zu dem Zeitpunkt ist auch das Prolactin, das Hormon, das für den Milcheinschuss verantwortlich ist, auf einem Höchststand. Das bedeutet für die jungen Stürmer aus dem Blut des Embryos, sich zügig in Milch produzierende Zellen umzuwandeln.

Während der Geburt kommt noch eine Menge Oxytocin dazu, sodass die Mama sofort stillen kann, wenn das Kindlein das Licht der Welt erblickt.

In holistischer Voraussicht kann sich die Mutter also vom Kind Stammzellen holen, die garantieren, dass auf jeden Fall genug Milch da ist.

Zweiter Auftrag: Die kindlichen Zellen dürfen Polizisten spielen. Sie sind jung und passen auf, dass keine Mutation entsteht. Sie sollen einen allfälligen Krebs verhindern.

Da ist er, einer der Gründe, warum Mütter, die viele Kinder geboren haben, hoch signifikant weniger Mamma-Karzinome haben als kinderlose Frauen. Nicht zuletzt steigt heute die Brustkrebsrate auch deshalb so an, weil die meisten Frauen nur ein oder überhaupt kein Kind haben.

Es gibt eine Landkarte des weiblichen Körpers, die zeigt, an welchen Organen die jungen Zellen bevorzugt sitzen. Wo sie hingeschickt werden. Brust, Herz, Lunge. Auch die Lunge muss in der Schwangerschaft auf die enormen Ansprüche adaptiert werden. Wie Evas Herz für zwei schlägt, atmet auch ihre Lunge nicht mehr nur für sie allein.

Das Kind bedankt sich wieder mit seinen Stammzellen. Wenn Frauen, die geboren haben, Lungenkrebs bekommen, dann meistens die weniger aggressiven Formen, die prognostisch günstigeren Karzinome. Selbstverständlich reden wir hier von Nichtraucherinnen.

Die jüngste Nachricht betrifft das Gehirn. Sogar dort kümmern sich die Nachwuchs-Stammzellen um die Mutter. Man weiß es noch nicht ganz genau, aber womöglich schützen sie als jugendliche Neurone vor Alzheimer.

Herz, Brust, Lunge, Gehirn. Schutz, Regeneration, Heilung. Eine bessere Vorsorge als das eigene Kind wird eine Mutter nirgends finden. Noch dazu so nachhaltig. Die Zellen der Kinder haben eine derart lange Lebensdauer, dass sie über Dekaden erhalten bleiben.

Besonders viele der kindlichen Stammzellen werden zu T- und B-Lymphozyten, die weiße Blutkörperchen herstellen, um den Fetus zu schützen. So schützen sie auch die Mutter mit. Nebenbei gesagt, steht das T für Thymus, in dem sich diese Zellen ansiedeln. Das B steht eigentlich für das Organ Bursa Fabricii. Dieses Organ haben allerdings nur Vögel. Bei uns Menschen gibt es die B-Lymphozyten vor allem im Knochenmark. Das englische Wort bone marrow für Knochenmark hilft als Eselsbrücke.

Aber nun lassen wir die Schatten aufziehen. Wo so viel Licht ist wie beim Mikrochimärismus, kommen wir um die dunklen Seiten nicht herum. Geraten nämlich die kindlichen Stammzellen etwa auf Viren oder UV-Strahlung, zeigen sie sich von einer ganz anderen Seite. Sie regen Veränderungen an, die bösartig enden können.

Wo im mütterlichen Organismus Probleme vorhanden sind, machen sie noch größere draus. Irgendwo eine Infektion, irgendwo eine UV-Exposition, schon wird aus der Protektion eine Belastung.

Einer der anfälligsten Opfer ist der Muttermund. Dort kommt selten die Sonne hin, dafür wird das Immunsystem heruntergefahren, um das Sperma hereinzulassen. Etabliert sich dort ein Virus, zum Beispiel HPV, und es gesellen sich fetale Zellen dazu, kann es zum Äußersten kommen. Die jungen Zellen werden zu jungen wilden Zellen. Gut wird zu Böse.

Was für die Brust so günstig ist, ist für den Uterus also ganz schlecht. Viele Geburten können Brustkrebs verhindern, aber Gebärmutterhalskrebs begünstigen.

Ähnliches gilt für das zweite Karzinom, das bei Frauen nach vielen Geburten häufiger vorkommt als sonst: dem Melanom. Der Hautkrebs ist außerdem auch wesentlich aggressiver. Ist die Haut irgendwo besonders beleidigt, sind kindliche Stammzellen das Letzte, was ihr in die Nähe kommen sollte. Die jungen Dinger sind extrem mitosefreudig, sie teilen sich also wie verrückt. Gerade das ist in so einem Fall das Gefährlichste.

Die nächste Schwachstelle ist der Dickdarm. Wenn der Darm durch die Ernährung mit den falschen Darmbakterien besiedelt ist, kann man nur hoffen, dass keine embryonalen Stammzellen vorbeiflanieren. Dann sind sie es nämlich, die schnell beleidigt sind, und als Retourkutsche umso eifriger an einem Karzinom arbeiten.

Nicht zuletzt haben wir noch die Autoimmunerkrankungen in der Schublade der Schandtaten kindlicher DNA. Das ist ja auch logisch. Die Zellen des Kindes sind nun einmal fremde Zellen, und da kann das Immunsystem schon verrücktspielen. Außerdem produzieren die T- und B-Lymphozyten unter ihnen ja zusätzliche Abwehrkräfte.

So neigen Frauen mit vielen Kindern im Vergleich zu kinderlosen Frauen eher zur Rheumatoiden Arthritis, Multiplen Sklerose, zu Lupus Erythematodes und Morbus Hashimoto, wobei letztere zu einer chronischen Schilddrüsenentzündung führt. Auf den Rheumastationen sitzen mindestens so viele Frauen wie in den Ambulanzen der Gynäkologie.

Wolfgang Holzgreve hat darüber hinaus nachgewiesen, dass die Schwangerschaftsintoxikation, die sogenannte EPH-Gestose, eigentlich eine Vergiftung mit den fetalen Stammzellen ist. Normalerweise befindet sich im Körper der Mutter eine Zelle des Kindes zu einer Million eigenen Zellen. Bei Patientinnen mit der EPH-Gestose ist es eine fetale Zelle zu nur Tausend eigenen.

Die Zellen des Kindes schützen und verjüngen zwar, andererseits sind sie aber etwas Fremdes, das den Körper durcheinanderbringen kann. Und von allem Guten kann man auch zu viel haben. Die Bilanz wirkt am Ende eher negativ.

Aber so ist eben mit Krankheiten. Sie treten auf, wenn nicht alles glatt läuft. Die Natur meint es gut. Sie hat einen Plan, der aber extrem kompliziert ist. Man kann nicht sagen, dass der eine oder andere Teil des Ganzen an einer Krankheit schuld wäre. Es geht in diesem Fall, wie so oft, ums Gleichgewicht.

Der Mikrochimärismus ist auf jeden Fall ein holistischer Superstar. Dieser Zellenaustausch setzt sich über Raum und Zeit hinweg und sorgt dafür, dass sich Familien über Generationen noch näher und ähnlicher sind.

Diese wandernden Zellen schaffen es, Vergangenheit und Zukunft im Menschen zu vereinen. Sie sind Geschenke und Vermächtnisse, die unglaublich erscheinen.

Diese menschenübergreifenden Zellen deponieren Botschaften in uns. Und damit vielleicht sogar kleine Antworten auf die großen Fragen: Woher kommen wir und wohin gehen wir?

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