Kitabı oku: «Der Henker», sayfa 5
Der Mord an Diana Reiter
Die Bauarbeiten auf dem Lagergelände sind in vollem Gange. Die Leitung des Lagerbaus hat Göth dem 47-jährigen jüdischen Ingenieur Zygmunt Grünberg aus Krakau anvertraut, der, das ist ihm bekannt, von Julian Scherner protegiert wird. Grünberg ist ein tüchtiger Architekt, der auch in dieser aus Angst und Unsicherheit emporwachsenden Barackenwelt seinen Mann steht. „Wo andere aufgaben, fand Grünberg noch immer eine Lösung“, wird später Mietek Pemper über ihn schreiben.
Auch Göth ist rasch vom großen Können Grünbergs überzeugt und entwickelt ein seltsames Verhältnis zu ihm. Anfangs verspricht er ihm noch einen besonderen Status im Lager: „Du wirst hier wie ein König leben, wenn du alle meine Wünsche erfüllst“, soll Göth, so berichtet Jakub Stendig in seinem Buch über Płaszów, zu Grünberg anlässlich der „Amtsübergabe“ gesagt haben. Gleichzeitig macht er jedoch Grünberg für alle Probleme beim Lagerbau verantwortlich und beginnt ihn dafür immer wieder erbarmungslos zu schlagen und zu quälen. Grünberg, so erleben es die Häftlinge mit, ist jener Unglückliche, der die Wutanfälle Göths in erschreckend häufiger Weise auf sich konzentriert. Da Grünberg die Sympathien Scherners besitzt, kann er von Göth nicht getötet werden, obwohl dieser einige Male kurz davor steht. Als Grünberg, verzweifelt und am Ende seiner Kräfte, ihn eines Tages bittet, ihn doch gleich zu erschießen, antwortet ihm Göth, dass er damit noch warten würde, weil er ihn vorher noch brauche.
Mietek Pempers Darstellung zufolge nährte sich der Hass Göths auf seinen jüdischen Lagerarchitekten nicht zuletzt aus der Tatsache, dass er – so wie Hitler – eine Vorliebe für die Architektur hegte und angeblich sogar mit dem Gedanken spielte, nach dem Krieg Architektur zu studieren.
Gebaut wird nicht nur an den Baracken für die Häftlinge, sondern auch an den solide aus Ziegeln gemauerten Häusern für die SS-Offiziere und -Mannschaften. Aufsicht über den jüdischen Bautrupp, der mit Eifer bei der Sache ist, hat SS-Oberscharführer Albert Hujar. Eines Tages gibt es auf der Baustelle ein Problem: Eine etwa acht Meter lange und zwei Meter hohe Mauer der „Wachkaserne“ zeigt Risse; die zuständige Architektin, ein junge Jüdin namens Diana Reiter, erklärt, dass hier offensichtlich feuchte Ziegel verwendet worden seien, die später in der Kälte aufgefroren wären.
Hujar meldet das Problem und Göth lässt die Architektin zu sich kommen. Diese legt ihm die Gründe für den Bauschaden dar. Göth hört sich ihre Rechtfertigung ein paar Minuten an und kommt in Rage über dieses jüdische „Geschwätz“ – „Leg sie um, diese Scheißingenieurin!“, brüllt er los und Albert Hujar tut, was ihm befohlen worden ist: Er zerrt die Frau zur Seite, stößt sie vor sich her, zieht seinen Revolver und schießt ihr ins Genick. Jakub Stendig und die anderen Umstehenden sehen mit Grauen, dass Göth nach dem Mord entspannt und bester Dinge wirkt; erstmals werden sie Zeugen seiner seltsamen „Zufriedenheit“ nach Gewalttaten. Den Aufgabenbereich der Ermordeten übernimmt Ingenieur Jakub Stendig, der im Ghetto die Bauabteilung der Jüdischen Gemeinde geleitet hat.
Alle werden es in der nächsten Zeit in Briefen erfahren, die SS-Freunde in Lublin und auch der Vater in Wien: „Jetzt bin ich endlich mein eigener Kommandeur.“
Ein Bild des Todes und der Verwüstung: die Hauptstraße des Krakauer Ghettos nach der „Liquidierung“ vom 13./14. März 1943
Die „Liquidierung“ des Ghettos
Nur wenige Tage später, am Samstag, dem 13. März 1943, beginnt die „Liquidierung“ des Krakauer Ghettos. Reichskanzler Adolf Hitler besucht an diesem Tag die Heeresgruppe Mitte und entgeht dabei mit schon gewohntem Glück einem Attentat. Der Rechtsanwalt und Militärrichter Oberleutnant Dr. Fabian von Schlabrendorff, zu diesem Zeitpunkt Ordonnanzoffizier Henning von Tresckows, des Stabschefs der 2. Armee, hat zwei als Kognakflaschen getarnte Bomben in das Flugzeug des „Führers“ geschmuggelt; im entscheidenden Moment versagt jedoch die Zündung des Sprengstoffpakets – im Frachtraum des Flugzeugs ist es zu kalt.
Und Amon Göths alter „Chef“ Odilo Globocnik weitet an diesem Tag seine „unternehmerischen“ Tätigkeiten aus: Er wird Geschäftsführer der „Ostindustrie GmbH“, die zu ihren lukrativen Geschäftsfeldern „Arisierungen“, Vermögenstransfers und die Organisation von Zwangsarbeit zählt. Hausbank des Unternehmens wird die Dresdner Bank, deren Vorstand Prof. Dr. Emil Heinrich Meyer, nebenbei auch SS-Standartenführer, sich glücklich schätzt die Konten der „Osti“ führen zu dürfen. Die Aussiedlung ist organisatorisch gut vorbereitet: Bereits einige Wochen zuvor ist es in einen Teil A und in einen Teil B geteilt worden; zwischen beiden Hälften hat man Stacheldraht gezogen, ein Wechseln in den anderen Teil ist verboten. Das Ghetto A ist Lebensraum der arbeitenden Menschen, das Ghetto B ist für die nicht arbeitenden vorgesehen, also für Alte, Kranke und Kinder. Viele arbeitende Menschen wollen jedoch ihre Familienmitglieder nicht im Stich lassen und wechseln in den B-Teil – eine Entscheidung, die sie in den Tod führt.
Um 11 Uhr am Vormittag wird von OD-Chef David Gutter ein Befehl Julian Scherners bekannt gemacht: Alle Bewohner von Ghetto A haben sich innerhalb von vier Stunden für die „Übersiedlung“ in das neue Lager Płaszów bereitzuhalten.
Tadeusz Pankiewicz, der im Ghetto eine Apotheke betreibt, wird Zeuge, wie Göth und seine Männer dann über die Menschen am Zgodyplatz herfallen. In seinen Erinnerungen beschreibt er Göths Erscheinungsbild an diesem Tag: „Er ist ein großer, gut aussehender Mann mit einem mächtigen Körper auf dünnen Beinen, einem gut proportionierten Kopf und blauen Augen. Er trägt einen schwarzen Ledermantel. In einer Hand hält er eine Reitpeitsche, neben ihm sind seine beiden Hunde.“
Göth und seine Killer sind wie berauscht von der Effizienz, mit der sie ihr Mordgeschäft an diesem Tag betreiben; ja, jetzt zeigen sie den schlappen Krakauern, was sie im Osten bei der Aktion Reinhardt gelernt haben. Estera Schwimmer, eine 36-jährige Jüdin aus Sosnowiec, die bei Julius Madritsch arbeitet, wird Zeugin dieses Blutrauschs: Sie steht in einer Fünferreihe, bereit zum Abmarsch ins Lager nach Płaszów, an der Hand hält sie das zweieinhalbjährige Kind ihrer Schwester, die bereits 1942 ermordet worden ist. Plötzlich taucht Göth vor ihr auf, entreißt ihr das Kind und schmettert es auf den Boden. Estera beginnt zu schreien und will sich um das Kind kümmern, doch Göth tritt sie zurück in die Reihe, die in Richtung Płaszów losmarschieren muss.
Auch Samuel Stöger und seine Familie geraten an Göth, der aufgebracht die Kolonne umkreist, die an der Węgierskastraße Aufstellung genommen hat. Immer wieder reißt er Müttern die Kinder aus den Händen, schlägt ihnen mit der Reitpeitsche ins Gesicht. Als er der Frau von Samuel Stöger das Kind wegnehmen will und diese sich weigert, muss sie mit dem Kind aus der Kolonne treten und wird von Göth zusammengeschlagen, die Kolonne marschiert inzwischen weiter. Samuel Stöger sieht seine Frau und sein Kind nie wieder. Den ganzen nächsten Tag, es ist Sonntag, wartet er am Lagertor von Płaszów – vergeblich. Statt der Lebenden kommen nur Stöße von nackten Leichen. Er versucht jemanden zu erkennen, kann aber den schrecklichen Anblick der Massakrierten nicht lange ertragen. Als einige Wochen später die Kleider von Ermordeten ins Lager gebracht werden, erkennt Stöger den Mantel seiner Frau und die Kleidung seines Kindes.
Leon Bittersfeld, der an diesem 13. März 1943 seinen 15. Geburtstag begeht, steht ebenfalls in einer Fünferreihe. Der schmächtige Junge ist Vollwaise; sein Vater Izaak, ein Krakauer Textilhändler, war beruflich gerade in Berlin, als der Krieg ausbrach. Die Nazis verhafteten ihn und brachten ihn nach Dachau, wo er ermordet wurde. Seine Mutter Róza starb 1942 an einer unheilbaren Krankheit, sein älterer Bruder Julek geriet als Soldat der polnischen Armee in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Um größer zu erscheinen, hat sich Leon, der es trotz seiner Jugend in der Kunst des Überlebens schon weit gebracht hat, eine List ausgedacht: Er steht auf einem Stück Holz, das vom langen Mantel, den er trägt, verdeckt wird. Irgendwie scheint Göth die „hochgewachsene“ Gestalt mit dem Milchgesicht jedoch verdächtig. Er kommt daher auf Leon zu und fragt ihn nach seinem Alter. Ohne zu zögern antwortet dieser: „18!“, wobei er sich bemüht seiner Stimme einen tiefen, männlichen Klang zu geben. „Dein Beruf?“, fragt Göth – „Blechschmied!“, sagt Leon und Göth ist zufrieden: Facharbeiter wie diesen jungen Mann wird er in Płaszów gut gebrauchen können. Leon hat nicht ganz gelogen, hat er doch im Ghetto nicht nur Lebensmittel geschmuggelt, sondern bereits im Betrieb des jüdischen Unternehmers Westreich als Blechschmied gearbeitet. Und schon dort erlebte er, zu welchen Brutalitäten die Nazis fähig waren: Sein Chef Westreich wurde von den Nazis ermordet, Leon war Zeuge dieser „Hinrichtung“ und brachte die Leiche Westreichs zum Friedhof.
Das „Marschgepäck“ für den Transfer ins Lager ist pro Person auf 30 Kilogramm limitiert; alle Schreibutensilien sowie Papier und Bücher sind streng verboten, und wer es wagt, ein Radiogerät mitzunehmen, riskiert den Tod. Sämtliche persönlichen Dokumente wie Reisepässe und Geburtsurkunden, die geeignet sind, die Identität nachzuweisen, werden den angehenden Lagerinsassen abgenommen. In Fünferreihen wird die etwa drei Kilometer lange Strecke nach Płaszów in Angriff genommen.
Franz-Joseph Müller beobachtet vom Eingang zum Julag I aus das Eintreffen des Zuges: „Endlos war die Marschkolonne. Mütter weinten und drückten noch zum letzten Male ihr Kind an die Brust. Manche waren halb bekleidet, andere im Schlafanzug. Den Schluss bildete ein unvergessliches Bild in mir. [sic] Erst waren es zwei Pferdefuhrwerke, große Pritschenwägen mit Gummirädern. Voll mit Leichen. Dahinter fuhren noch einige kleinere Kastenfuhrwerke, ebenfalls mit Leichen gefüllt. Das Blut lief von den Wägen und tagelang führte eine Blutschicht [sic] auf der Straße vom Ghetto zum K.Z. Den Schluss des Zuges machte der Tyrann des K.Z. in seinem Auto: Amon Göth.“
Auch Helen Sternlicht steht in der Reihe jener, die zur Deportation nach Bełżec bestimmt sind. Sie beobachtet, wie eine Freundin ihrer Schwester Bronia versucht einen SS-Mann zu bestechen. Der SS-Scherge nimmt zwar seelenruhig das Geld, schiebt sie dann aber mit dem Gewehrlauf ebenso entschlossen zurück zu den Todgeweihten. Helen setzt jetzt alles auf eine Karte: Sie bemerkt, dass ein Mann Milchkannen auf einen Pferdewagen lädt, die für das Lager Płaszów bestimmt sind: Als der Mann sich wieder zu einer Kanne umdreht, springt sie geistesgegenwärtig auf den Wagen, versteckt sich unter der Plache, mit der die Milchkannen zugedeckt sind, und gelangt auf diese Weise nach Płaszów.
Ihre Schwester Bronia hält sich inzwischen im Keller des Hauses verborgen, in dem die Familie gewohnt hat. Lieber will sie sterben, als den Todeszug nach Bełżec besteigen. Als sie versucht ins Nebenhaus zu wechseln, wird sie von einigen SS-Leuten entdeckt, die sie jedoch entkommen lassen. „Lass sie leben. Sie ist noch jung!“, meint einer von ihnen. Im Nebenhaus ist die Lage nicht besser, bereits zwanzig Menschen halten sich hier verborgen. Doch Bronia hat Glück: Nach dem Ende der „Aktion“ ist es ein jüdischer OD-Mann, der sie herausholt und nach Płaszów bringt.
Am Sonntag, dem 14. März, ist Ghetto B das Ziel Göths und seiner Männer. Auch hier haben die Menschen von Julian Scherner den Befehl bekommen, sich für die „Aussiedlung“ bereitzuhalten. Am Zgodyplatz „selektioniert“ Göth unter den älteren Männern 150 für die Arbeit in Płaszów aus; Obersturmbannführer Haase ist gegen diese Zahl und befiehlt 75 der ausgewählten Männer sofort zu erschießen. Die überlebenden 75 müssen den Getöteten die Kleider ausziehen und sie auf die Kastenwägen für den Transport nach Płaszów laden.
Ziel der Mörder am 14. März ist nicht zuletzt das jüdische Hauptkrankenhaus in der Józefińskastraße, in dem zahlreiche Patienten in ihren Betten getötet werden. SS-Oberscharführer Albert Hujar leitet die „Aktion“: Menschen werden aus den Fenstern im dritten Stock in den Tod gestürzt, einige Ärzte zusammen mit den Kranken erschossen. Die Häuser werden durchkämmt, wer gefunden wird, auf der Stelle getötet oder zum Zgodyplatz gebracht und dort ermordet.
Die Opferbilanz der Ghetto-„Liquidierung“: Etwa 1.000 Menschen werden nur an diesen zwei Tagen ermordet, 4.000 deportiert, die Hälfte davon in das Vernichtungslager Auschwitz.
Am Montag, dem 15. März, erhalten schließlich 40 Mitarbeiter des jüdischen Gesundheitsdienstes den Befehl, die medizinischen Einrichtungen des Ghettospitals nach Płaszów zu übersiedeln. Auf den Röntgenapparat, dem er zuvor noch die Behandlung seiner Fußgeschwüre anvertrauen wollte, glaubt Göth nun allerdings verzichten zu können – er wird beschlagnahmt, abgebaut und ins „Reich“ geschickt. Eine Woche lang werden die Geräte unter SS-Bewachung in die beiden Spitalsbaracken übersiedelt, in denen jeweils 45 Betten aufgestellt werden.
Leiter des Krankenreviers wird Dr. Leon Gross, ein junger jüdischer Arzt, der in Schlesien deutsche Schulen besucht und sein Medizinstudium in Italien absolviert hat. Gross ist zusammen mit zwei anderen Ärzten bereits seit Dezember 1942 in Płaszów, und obwohl es streng verboten ist, dass jüdische Ärzte „arische“ Patienten behandeln, fasst Göth bald Vertrauen zu dem jungen Mann und überträgt ihm die medizinische Betreuung der deutschen und ukrainischen SS-Wachmannschaften. Ja, er selbst findet nichts dabei, von Gross berührt oder untersucht zu werden – wenn es um seine eigene kostbare Gesundheit geht, spielt der Rassenwahn plötzlich keine so große Rolle mehr. So lässt er einige Schutzimpfungen durch ihn an sich durchführen und später auch seine Diabetes von ihm behandeln. Dafür wird Gross mit Privilegien ausgestattet: Er darf die Uniform eines OD-Mann tragen und sich in ihr frei im Lager bewegen; glaubt man Zeugen wie Jehuda L. Stein, der am 25. Mai 1943 aus dem kleinen Lager Czarny Dunajec nach Płaszów kommt, so entpuppt sich Gross bald als Kollaborateur der schlimmsten Sorte: Er schikaniert seine Ärztekollegen, bereichert sich an den Patienten der „Lagerprominenz“ und arbeitet Göth nur allzu bereitwillig in die Hände. Eine Haltung, die er nach dem Krieg mit dem Leben bezahlen wird: Im Sommer 1945 wird Dr. Leon Gross von den polnischen Polizeibehörden verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Es war eine vorbildliche Umsiedlungsaktion, sollte Gerald Reitlinger später in seinem Buch über die „Endlösung“ schreiben.
MONYS REICH
Płaszów heute. Auf der Wielicka, einer dreispurigen Ausfallstraße nach Osten in Richtung Tarnów, Rzeszów, Przemyśl, fließt der Verkehr ohne Unterlass, daneben drängen sich die Trasse der Straßenbahn und die Bahngleise. Dworcowa, „Bahnhofstraße“, heißt die Haltestelle, an der Besucher des Lagers aussteigen müssen. Angehörige der Wehrmacht „bis ausschließlich Wachmeister“ zahlten damals 10 Groschen für die Fahrt mit der Linie Nr. 6 vom Zentrum hierher, „normale“ Fahrgäste 25 Groschen. Oder man gönnte sich gleich die bequeme Pferdedroschke: Vom Bahnhofsplatz in Krakau bis Płaszów musste man mit einer Fahrgebühr von etwa 3 Zloty rechnen.
Über die mit Ampeln geregelte Kreuzung geht es in Richtung Lager. Menschen hasten tagaus, tagein ihren Geschäften nach; links von der Wielicka ein kleines Einkaufszentrum, rechts ein McDonald’s, Plattenbauten wachsen in den Himmel. Apartamenty na przyszłość – „Appartements für die Zukunft“ verkündet ein großes Schild: Am Rand des ehemaligen Lagers werden weitere neue Wohnungen gebaut – mit Blick auf das Gelände. Dann unübersehbar, ein düsterer Monolith auf freiem Feld: das „Graue Haus“, in dessen Kellerräumen die SS Häftlinge gefangen hielt und folterte. Das Haus ist bewohnt, ein Fernseher läuft – was mögen die Menschen hier über die Vergangenheit des Gebäudes wissen?
Eine Hinweistafel taucht auf: Man betrete das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Płaszów und bitte die Besucher um entsprechendes Verhalten. Hier muss sich einst der Eingang für Häftlinge befunden haben. Links führt die Heltmanstraße den Berg hinauf, damals einfach „SS-Straße“ genannt. Moderne Wohnhäuser, gepflegte Gärten, dann die Nummer 22, ebenso unverkennbar wie das „Graue Haus“: die Villa Göths. Gespenstisch, drohend wirkt das Gebäude, ein rostiger Zaun verhindert den Zutritt. Der Verputz blättert ab, die rote Farbe, die einst das Giebelfeld zierte, ist nur mehr schwach erkennbar. Nichts zu sehen auch von dem Marmor, mit dem der Zugang zur Villa ausgelegt gewesen sein soll; den edlen Stein mussten die Häftlinge vom jüdischen Friedhof hierher bringen. Jeder Hinweis auf die Vergangenheit des Hauses fehlt – Pläne zu seiner Umgestaltung in ein Museum sollen allerdings in der Krakauer Stadtverwaltung schon diskutiert werden.
Vom ehemaligen Haupttor führt ein breiter Weg in das zerklüftete Gelände; links in den Fels gehauen einige Höhlen, die bei Luftangriffen als Zuflucht hätten dienen sollen. Dzień dobry! – „Guten Tag!“ tönt es herausfordernd aus dem Dunklen, als ich näher trete. Inmitten von Abfall und unzähligen Plastiksackerln hat ein Krakauer Obdachloser hier sein neues Zuhause gefunden. Ich verzichte auf ein Gespräch mit ihm und wandere weiter, den Weg hinauf zum Todeshügel, der Chujowa Górka, dem „Schwanzhügel“. Jenen Weg, den einst die zum Erschießen verurteilten Häftlinge gehen mussten. Links und rechts Gräben, Verwerfungen, gewaltige Betonbrocken und auch noch immer Grabsteine – es gelang den Nazis nicht, die Spuren der beiden jüdischen Friedhöfe, die sich einst hier befanden, völlig zu tilgen. Oben beim Denkmal angekommen, das für die Opfer errichtet worden ist, bietet sich ein guter Blick über das Lagergelände und unwillkürlich fragt man sich, wie einst in dieser trostlosen Stein- und Felslandschaft Tausende von Menschen leben und überleben mochten. Allein der Gedanke, hier ein Arbeitslager errichten zu wollen, konnte nur dem gnadenlosen Kalkül der Nazi-Mörder entspringen …
Nach seiner Ankunft in Płaszów wohnt Göth zunächst in einem Haus neben der Lagerküche, das später zur Bäckerei umgebaut wird; nach kurzer Zeit übersiedelt er jedoch in das so genannte „Untersturmführerhaus“ unweit des Lagerhaupteingangs an der Jerozolimskastraße, das auch als „Rotes Haus“ in die Geschichte des Lagers eingeht. Seinen Namen hat das Gebäude von den unverputzten rohen Ziegelwänden; neben Göth haust hier auch der harte Kern seiner Killer: Leonhard John, Albert Hujar, Edmund Zdrojewski und Franz Grün. Von Anfang an ist klar, dass für ihn ein neuer „Amtssitz“ nach seinen Vorstellungen errichtet werden muss – ja, eine Villa muss es sein, das ist der Wunsch des SS-Killers und Bohemiens aus Wien-Mariahilf.
Schritt für Schritt stellt Mony nun seine „Mannschaft“ zusammen. Vor allem benötigt er eine tüchtige Schreibkraft für das Kommandanturbüro – er weiß, dass der Verwaltungsaufwand, den die SS-Bürokratie ihm abverlangt, enorm sein wird. Zwei Häftlinge, die man ihm empfohlen hat, werden zum Probediktat eingeladen: ein gewisser Heinz Dressler, der in Dresden eine Wirtschaftsoberschule besucht hat und perfekt stenografiert, und ein 23-jähriger Student namens Mietek Pemper. Dieser, Sohn eines Krakauer Kaufmanns, hat sich zwar die deutsche Kurzschrift nur im Selbststudium angeeignet, dafür aber den großen Vorteil, dass er zweisprachig aufgewachsen ist, und so entscheidet sich Göth für ihn – er benötigt ja vor allem auch einen Dolmetsch. Seine Wahl wird Göth nicht bereuen: Mit Pemper hat er einen außergewöhnlich fähigen, scharfsinnigen Mann in seinem Büro, der bis zur Schließung aller polnischen Hochschulen 1939 an zwei Krakauer Universitäten gleichzeitig studiert hat: Rechtswissenschaften an der Jagiellonen-Universität, Betriebswirtschaft und Rechnungswesen an der Hochschule für Ökonomie. Pemper, der mit seinen Eltern und mit seinem jüngeren Bruder Stefan im Lager ist, hat im Ghetto bereits für den Judenrat gearbeitet und sich hier als rechte Hand von David Gutter, dem Leiter des Judenrats, bewährt; rasch findet er sich in die neue Aufgabenstellung. Nur beim Dolmetschen in der Folterbaracke „versagt“ er: „Mein Schrecken und meine Bestürzung über die grausamen Methoden der SS brachten mich dermaßen aus der Fassung, dass ich, statt zu übersetzen, nur die in Schmerz ausgestoßenen Wortfetzen des gequälten Mannes wortwörtlich in Polnisch wiederholte.“
Göth verzeiht Pemper diese kleine „Schwäche“ und zieht in der Folge zu den Folterungen andere Dolmetscher bei. Da ihm die Bürokratie in Wirklichkeit auf die Nerven geht, hat er rasch begriffen, was Pemper für ihn bedeutet. Er lässt sich von Pemper daher gerne „entlasten“ und überantwortet ihm bald die gesamte Korrespondenz; sein jüdischer Schreiber erhält dadurch Einblick in so manche Zusammenhänge, die anderen Häftlingen verborgen bleiben. Geschickt versteht es der fleißige junge Mann, der Göth „jeden Tag, egal zu welcher Stunde, egal wie lange, zur Verfügung zu stehen“ hat, seine Position zu festigen und für seinen durch eine Beinverletzung gehandikapten Vater eine relativ sichere Beschäftigung im Bäckereikommando zu arrangieren. Erst später wird ihm bestätigt, was er vermutet: Göth, der anfangs misstrauisch ist, lässt ihm nachspionieren, will herausfinden, ob Pemper über seine Funktion im Lager mit anderen plaudert. Pemper ist jedoch klug genug, um diese „Fallen“ zu vermeiden, und schweigt sogar seinen Eltern gegenüber über seine Arbeit. Göth fasst schließlich Vertrauen zu ihm, es entwickelt sich ein eigenartiges Verhältnis zwischen den beiden: Göth braucht den jungen Mann für die Verwaltung, dieser fürchtet sich wiederum vor den Gewaltausbrüchen des Kommandeurs, deren Zeuge er immer wieder wird. Göth, so weiß er, tötet, wann immer es ihm beliebt, selbst während eines Diktats in der Kommmandanturbaracke: „Während er spricht, sieht er in den Außenspiegel an seinem Fenster, mit dessen Hilfe er das Gelände vor der Baracke überblicken kann. Plötzlich steht er auf, nimmt eines der Gewehre von der Wand, öffnet rasch das Fenster. Ich höre einige Schüsse, dann nur Schreie. Als hätte nur ein Telefonat das Diktat unterbrochen, kommt Göth zum Schreibtisch zurück und fragt:, Wo waren wir stehengeblieben?‘“
Doch Göth kann manchmal auch anders: Als er Pemper einmal noch nach Mitternacht bei der Arbeit in der Kommandantur antrifft, schreibt er spontan eine Notiz an Heinz Kühler, den für die Versorgung verantwortlichen SS-Obersturmführer, in der er für Pemper um zusätzliche Lebensmittel bittet: 25 Gramm Zucker, 10 bis 20 Gramm Fett und 30 Einheiten Marmelade wird dieser nun pro Woche mehr bekommen. Das Angebot einer zusätzlichen Ration Brot lehnt Pemper jedoch ab, da sein Vater in der Bäckerei arbeite und dort bereits eine zusätzliche Ration Brot erhalte. Die Reaktion Göths wird Mietek Pemper nie wieder vergessen: „Göth schaut mich erstaunt an und lehnt sich dabei im Stuhl weit zurück. Dann schüttelt er ungläubig den Kopf und sagt:, Pemper, Sie sind kein Jude! Ein Jude hätte das alles angenommen und danach gegen etwas anderes getauscht.‘“
Schließlich schreibt Pemper auch die Privatbriefe Göths an seine Freunde in der Lubliner SS und an die Familie in Wien. In den Briefen an den Vater, so weiß Pemper später zu berichten, zeigt sich Göth durchaus interessiert am Verlagsgeschehen und schlägt verschiedene, seiner Meinung nach verkaufsträchtige Projekte vor, etwa eine Postkartenserie mit Alpenlandschaften. Er gibt den sich sorgenden Sohn, der sich nach dem Heuschnupfen des Vaters erkundigt, verliert jedoch kein Wort über seinen Gewalt-Alltag im Lager. Ähnlich „nomal“ verhält er sich in den Briefen an seine Frau Anny, die er doch nach Strich und Faden betrügt: Er spielt den treuen Gatten und ist stolz auf seinen Sohn – auf die Nachricht von Anny, dass Werner seine Schwester Ingeborg schlage, diktiert er Pemper: „Das Schlagen, das hat der Werner wohl von mir.“
Trotz dieser Nähe zu Göth und der „Sympathie“, die der Kommandeur offenbar für ihn hegt, macht sich Pemper keine Illusionen. Er sieht sich als „Todgeweihten“, der nur eines tun kann: die Vollstreckung des Todesurteils möglichst lange hinauszuzögern. Er weiß, dass Göth dann nicht nur ihn, sondern seine ganze Familie töten würde …
Göths Terror-Reich: 180 Baracken in trostloser Stein- und Felslandschaft, umzäunt von vier Kilometern Stacheldraht
Das Horn von Wilhelm „Wiluś“ Rosner, des jüngsten der Rosner-Brüder, bestimmt den Tagesablauf: Jeden Morgen um Punkt sieben Uhr ertönt sein Weckruf, den er selbst komponiert hat. Um zwölf Uhr ruft sein Horn zum Mittagessen, um zwölf Uhr dreißig wieder zur Arbeit. Wiluś Rosner darf als einziger Häftling eine Armbanduhr tragen, damit er immer pünktlich ist – und er enttäuscht Göth nicht: Kein einziges Mal versäumt er ein Signal, auch wenn an eisigen Wintertagen seine Lippen am Mundstück festfrieren. Ein Hornruf Wiluś Rosners signalisiert nicht zuletzt besondere Anlässe – wie Hinrichtungen am Appellplatz …
Die Flucht aus dem Lager ist beinahe unmöglich: Wachturm folgt auf Wachturm, zwei Reihen Stacheldrahtzaun stehen unter Starkstrom, alles funktioniert bestens: Die Transformatoren dafür werden von Siemens & Halske geliefert. In der Nacht wandert das Licht der Scheinwerfer über das Lagergelände; Trupps von SS-Leuten kontrollieren immer wieder den Zaun. Nur wenigen Häftlingen gelingt es auf diesem Weg in die Freiheit zu gelangen – die Folgen für die Kameraden sind jedoch immer schrecklich: Nachdem die Abwesenheit eines Lagerinsassen bemerkt worden ist, lässt Göth die Häftlinge zu einem Zählappell antreten; jeder zehnte Häftling aus der Gruppe des Geflüchteten wird erschossen.
Seine Vorstellung von Ordnung und Disziplin glaubt Göth am besten mit einprägsamen „Beispielen“ demonstrieren zu können. So lässt er eines Tages in der Mitte des Appellplatzes ein zwei Meter tiefes Loch in der Größe eines Zimmers graben. Dann müssen die Blockältesten aller Blöcke antreten, zwölf Männer, unter ihnen Poldek Pfefferberg, und zwölf Frauen, darunter auch Manci Rosner, die Frau Herman Rosners und Leiterin des Frauenblocks Nummer 10, die diese „Lektion“ Göths später bezeugen wird.
Auf der anderen Seite des Lochs fährt ein Lieferwagen vor; gefangene Frauen und Männer werden aus dem Laderaum geholt, Menschen, die von außerhalb des Lagers kommen und auf der Flucht erwischt oder denunziert worden sind. Sie müssen sich nackt ausziehen und dann am Rande der Grube hinknien. SS-Männer nehmen hinter den Opfern Aufstellung, ziehen ihre Revolver und töten sie mit Genickschuss; ein Tritt mit den Stiefeln befördert die Toten in das Loch. Die Blockältesten müssen Erde über die Leichen schaufeln, dann schließt Göth mit einer kleinen Rede die „Vorstellung“: „Ich will, dass ihr das seht und den Leuten in eurem Block sagt, was geschieht, wenn sich einer an Sabotage versucht.“
Manci, eigentlich Marianne Rosner, geboren 1910, ist Blockälteste geworden, weil sie als Wienerin eine besondere Erscheinung unter den polnischen Jüdinnen im Lager ist. Sie ist die jüngste Tochter von Ernestine und Max Robitschek, dem wohlhabenden Besitzer des Café Central, und lernt als 16-Jährige Herman Rosner kennen, als er mit dem Rosner-Orchester, den Rosner’s Players, in Wien gastiert – für ihre Mutter Ernestine ist der fesche polnische „Zigeuner“ eine klassische Mesalliance. 1930 haben sie dennoch in Wien geheiratet; 1935 wird Sohn Aleksander „Olek“ geboren, die Familie wohnt in Warschau, Herman verdient gut mit seiner Musik. Dann kommen auch sie unter die Räder der deutschen Okkupation: 1940 flüchten Manci und Herman mit ihrem Sohn aus Warschau nach Tyniec, einem kleinen Ort südlich von Krakau, in dem die ganze Familie Rosner Zuflucht vor den Nazis sucht. Doch bald ist es mit dem friedlichen Leben am Land vorbei: Im März 1941 folgt die Übersiedlung ins Krakauer Ghetto, wo sich die Rosners eine Sechs-Zimmer-Wohnung mit der Familie Horowitz und acht anderen Familien teilen; Herman sichert das Überleben der Familie, indem er zusammen mit seinem Bruder Poldek im Café Polonia eines gewissen Alexander Forster am Rynek Podgórski 15 auftritt – Forster, seit August 1939 in Krakau, ist deutscher Jude und spioniert für die Gestapo, trotz mancher Privilegien – so muss er nicht die Armbinde der Juden tragen – wird aber auch er zusammen mit seiner ganzen Familie bei der „Liquidierung“ des Ghettos von den Deutschen erschossen. Knapp zuvor, Anfang 1943, lässt Manci Rosner im jüdischen Krankenhaus des Ghettos noch eine Abtreibung vornehmen – ihr und Hermans ganzes Augenmerk gilt nun dem Überleben von Alex, den sie mit Hilfe von Freunden und Bekannten immer wieder vor dem Zugriff der Deutschen bewahren können – auch in Płaszów.
Über die Auftritte der Brüder Rosner bei Göth gibt es eine legendäre Geschichte, die es zu besonderer Popularität gebracht hat: Göth hat wieder einmal zu einer feuchtfröhlichen Party eingeladen. Eine Reihe von SS-Offizieren ist erschienen, der wie immer am Schwarzmarkt „organisierte“ Alkohol fließt in Strömen, Herman und Poldek Rosner geben ihr Bestes an den Instrumenten. Der Abend ist schon fortgeschritten, als die beiden eine schwermütige ungarische Melodie anstimmen – Düsterer Sonntag heißt der Schlager mit dem unwiderstehlichen Crescendo, in dem es darum geht, dass ein junger Mann aus unglücklicher Liebe zu sterben beschließt. Nachdem sie das Lied einige Mal wiederholt haben, bemerkt Herman Rosner, dass einer der Gäste, ein Offizier der Waffen-SS, in zunehmend verzweifelte Stimmung verfällt. Da Göth selbst kein Zeichen für einen Wechsel der Musik gibt, wiederholt Herman diese Melodie immer wieder – er hat es auf den Offizier abgesehen. Nach der zehnten Wiederholung steht der SS-Offizier tatsächlich wankend auf, schleppt sich auf den Balkon und schießt sich eine Kugel in den Kopf. „Ich war so glücklich, dass ich einen Deutschen getroffen hatte“, wird sich Herman Rosner später erinnern.