Kitabı oku: «Der Henker», sayfa 4
Flucht aus dem Todeszug
Im Ghetto von Krakau haben inzwischen die Menschen die Hoffnung auf ein baldiges Ende ihrer Leiden nicht aufgegeben. Von ihren Peinigern zum Tode bestimmt, klammern sie sich an die Macht des Überirdischen. Von jenen Weisen, die um die Geheimnisse der alten Schriften wissen und in den Sternen zu lesen gelernt haben, hat man erfahren, dass noch in diesem Jahr sich ein großes Wunder ereignen würde und der Krieg dann sofort zu Ende wäre. Ja, es geht sogar das Gerücht, dass ein tzadik, ein Heiliger, im Ghetto lebe, der Tag und Nacht mit seinem Fernrohr nach einem Zeichen des Himmels suche, um dann die shofar, das Widderhorn, blasen und so das Erscheinen des Messias ankündigen zu können. Und ein anderes Gerücht will wissen, dass die Arbeiter in der Metallfabrik zufällig einen Wasserhahn in der Form des Davidsterns gegossen hätten, ein sicheres Zeichen dafür, so meint man, dass der Erlöser in Kürze die Mauern des Ghetto einreißen und jedem Hungrigen einen großen Laib Brot anbieten würde, jenen Hungrigen, die nun verzweifelt um ein Stück altes Brot beteten. Und man erzählt sich die neuesten Nachrichten, die der heimlich abgehörte Sender Voice of America verbreitet: Eine zweite Front würde durch die Alliierten bald eröffnet und die Nazis und ihre Verbündeten vernichtet werden. Nacht für Nacht wartet man so auf das Ertönen der shofar, auf das Zeichen der Erlösung und die Botschaft, dass Gott sein auserwähltes Volk in dieser schweren Stunde nicht im Stich lasse.
Eine jüdische Familie aus dem Krakauer Ghetto wartet auf die Deportation in ein Vernichtungslager.
Am 28. Oktober 1942 findet die zweite große Deportation aus dem Ghetto statt. Jeder der Ghettobewohner, so die Aufforderung durch die SS, habe sich am Plac Zgody mit seinen wichtigsten Besitztümern einzufinden, man würde das Ghetto „liquidieren“ und alle in Arbeitslager transportieren. Auf den Gesichtern der Menschen, die auf dem Platz mit Koffern und Bündeln zusammenströmen, spiegelt sich die Angst. Man spürt, dass sich hinter den nüchternen Anweisungen der Nazis etwas Furchtbares verbirgt. Etwa 4.500 Menschen werden in die Viehwaggons gepfercht; wieder tötet man in den Wohnungen Kinder und alte Menschen; im Spital erschießt man die Kranken mitsamt den Ärzten.
Betroffen davon ist auch die Familie Sternlicht, die im März 1941 gezwungen worden ist ins Ghetto zu gehen. Vater Szymon Sternlicht, ehemals Soldat der k. u. k. Armee und Inhaber eines metallverarbeitenden Unternehmens in Krakau, besitzt zwar eine Legitimation der Gestapo und spricht fließend Deutsch, aber auch das hilft ihm nichts – er muss den Todeszug ins Vernichtungslager Bełżec besteigen. Zurück bleiben seine Frau Lola, die sich bei einer Christin verstecken kann und so dem Transport entgeht, und die drei Töchter Bronia, Helen und Sydonia. Was mit den „ausgesiedelten“ Juden geschieht, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Von polnischen Eisenbahnern weiß man, dass die Menschen am Zielort spurlos „verschwinden“ und die Züge leer zurückkehren. Die Eisenbahner berichten von Schreien, die sie gehört hätten, Gerüchte von Gaskammern machen die Runde. Soll das Unvorstellbare, der fabriksmäßige Massenmord, tatsächlich Wirklichkeit sein? „Wir wussten es, aber wir wollten es nicht glauben“, wird Helen Sternlicht später über die Stimmung im Ghetto erzählen.
In diesem Todeszug nach Bełżec, zusammengepfercht in einem Viehwaggon, ohne Wasser und mit kaum ausreichend Luft zum Atmen, befindet sich auch die Familie Lezerkiewicz: Abraham und Bertha Lezerkiewicz und drei ihrer fünf Kinder: Leon, Victor und Greta. Zwei Kinder fehlen: Das jüngste, Sohn Jakub, ist bei einer polnischen Familie außerhalb des Ghettos versteckt, das älteste, Tochter Lola, ist bereits 1932 nach Palästina ausgewandert. Vater Abraham hat in der Targowastraße 1 in Kazimierz ein kleines Stoffgeschäft geführt, ins Ghetto ist er im Frühjahr 1942 aus Niepolomice, einem kleinen Ort in der Nähe Krakaus, gekommen. Keiner der Familie konnte einen Blauen Schein ergattern, auch die erwachsenen Söhne nicht, die beide immerhin über eine gültige Arbeitsbescheinigung als Kraftfahrzeugmechaniker verfügten – aber auch diese praktische Profession hatte sie nicht vor der „Aussiedlung“ retten können. Der 24-jährige Victor, der im Sanitätszweiglager Krakau der Waffen-SS tätig gewesen war, hatte sogar eine „Unabkömmlichkeits-Bescheinigung“ vorgezeigt, doch der die „Aktion“ leitende SS-Offizier, Hauptsturmführer Martin Fellenz, hatte sie ihm aus Hand genommen und ungelesen zerrissen; sein lapidarer Kommentar: „Nehmt ihn weg!“ – das Todesurteil.
Victor und sein Bruder Leon, genannt „Leszek“, waren vor der Okkupation Polens durch die Deutschen Mitglieder einer zionistischen Jugendorganisation gewesen und sind entschlossen, nicht alles ohne Gegenwehr hinzunehmen: Sie wollen fliehen. Das Blatt einer Bügelsäge, das Victor in seinem Stiefel immer mitträgt, kommt nun gerade recht: Er beginnt damit die Streben der Metallvergitterung des kleinen Fensters des Waggons durchzusägen – eine Nerven aufreibende Mühsal, da er immer wieder beschworen wird, doch damit aufzuhören, es würden alle erschossen, wenn die Wachen beim Zählappell am Ankunftsort bemerkten, dass jemand fehlte: Auch die bewaffneten SS-Leute am Dach könnten aufmerksam werden. Victor lässt sich jedoch nicht irritieren – „Fahren Sie zum Arbeiten oder in den Tod – was meinen Sie?“, ist seine Gegenfrage, „ich bin überzeugt davon, dass wir alle in die Gaskammer kommen!“ Selbst der Tod beim Sprung aus dem Fenster wäre ihm da noch lieber.
Als es dunkel wird, ist Victor mit dem Durchsägen der Fensterstreben fertig; jetzt geht es nur mehr darum, den günstigsten Moment zur Flucht abzuwarten. Schwester Greta, die zwei Jahre älter ist als Victor, will nicht springen, auch die Eltern fühlen sich dazu nicht imstande. Man nimmt voneinander Abschied. Vater Abraham gibt Victor Geld und seine goldene Schaffhausen-Uhr mit Kette; Leszek erhält von Muttter und Schwester Schmuck, um ihn zu Geld zu machen. Der Vater segnet Victor und Leszek, man umarmt sich ein letztes Mal, alle haben Tränen in den Augen. Gespannt beobachten die beiden Brüder das Gelände, das der Zug durchquert. Als neben der Bahntrasse der Wald von Niepolomice auftaucht, springen sie – zuerst Victor, dann Leszek. Victor schlägt mit dem Kopf auf den Schienen eines Nebengleises auf und verliert das Bewusstsein.
Es ist noch immer dunkel, als Victor zu sich kommt. Von Leszek keine Spur. Er entschließt sich trotz schmerzender Prellungen und Blutergüsse die Gleise entlang Richtung Krakau zurückzulaufen, immer in der Hoffnung, seinen Bruder zu finden. Am Bahnhof Kłaj steigt er in einen Zug nach Bochnia, seine Hoffnung, dass Leszek dort Zuflucht bei Verwandten im Ghetto von Bochnia gesucht hat, erfüllt sich jedoch nicht und so verlässt er das Ghetto in Richtung Bahnhof. Auf dem Weg dorthin kommen ihm SS-Sondertruppen entgegen, die ihn zum Glück unbehelligt lassen, da er kein Armband mit dem Davidstern trägt. Juden, die ohne Armband angetroffen werden, werden auf der Stelle erschossen, ebenso Juden, die es wagen, mit der Eisenbahn zu fahren. Erst später erfährt Victor, was die SS in Bochnia vorhatte: Sie „liquidierte“ an diesem Tag das Ghetto, auch von hier wird ein Transport nach Bełżec geschickt, unter den Opfern sind alle seine Verwandten, von denen er nie wieder etwas hören wird. Da ihm die Chance zu überleben dort größer scheint und er keine Verbindung zu Partisanengruppen hat, kehrt Victor schließlich nach Krakau ins Ghetto zurück – Leszek ist zu seiner Freude bereits vor ihm hier eingetroffen. Von den Tausenden von Menschen im Todeszug wird sonst niemand überleben; ihr Mörder Martin Fellenz wird es nach dem Krieg zum FDP-Ratsherren in Schleswig bringen, ehe 1965 er doch noch wegen Mordes an 39.000 Juden angeklagt wird – das Urteil: 7 Jahre Gefängnis.
Im Ghetto hat sich nun auch Jakub, genannt „Kuba“, der jüngste, eingefunden, er hielt es bei der polnischen Familie nicht mehr aus und wollte seine Familie wiedersehen – zu spät. Victor gelingt es, ihm durch Bestechung jenes Juden, der für die Liste der vorgesehenen jüdischen Arbeitskräfte zuständig ist, eine Anstellung in den „Kabelwerken“ zu beschaffen – ein begehrter Job, denn diese Fabrik wird von einem Deutschen namens Böhme geführt, der seine „Arbeitsjuden“, so erzählt man sich, wie Menschen und nicht wie Vieh behandelt.
Victor, der nun keine Kennkarte mehr besitzt und daher ständig in Gefahr schwebt, findet zunächst in einer Groß-Schneiderei Unterschlupf, dann holt ihn seine alte Dienststelle, das Krakauer Sanitätszweiglager, zurück. Als er hört, dass die Nazis Leute für den Aufbau des neuen Lagers in Płaszów suchen und dafür keine Kennkarte notwendig ist, meldet er sich zum „Barackenbau“ und wird prompt bereits beim Bau der ersten Baracken an der Straße nach Wieliczka eingesetzt. Anfangs kehren er und seine Kollegen, ein Trupp von fünfzig Männern, am Abend immer ins Ghetto zurück; der Weg von und zur Arbeit ist lang, etwa sechs Kilometer sind es von der Baustelle in Płaszów ins Ghetto. Nachdem die ersten drei Baracken fertig geworden sind, werden sie in einer davon einquartiert – das Ghetto sehen sie nie mehr wieder. Victor vermisst seine Freundin Regina Steiner, die mit ihrem Vater Israel im Ghetto lebt, und seinen Bruder Leon sehr. Dazu sind die Arbeitsbedingungen katastrophal: Die Tagesration Essen besteht aus einer Schnitte Brot und einer Tasse schwarzen Kaffees am Morgen, einer Tasse Suppe zu Mittag und einer Tasse Suppe am Abend. Für manche der Männer ist das zu wenig – sie verhungern oder werden von der SS getötet, wenn sie zu schwach sind, um zu arbeiten. Wer zu wenig energisch zupackt, wird mit 25 Peitschenhieben auf das nackte Gesäß bestraft.
Und bald wird in dieser trostlosen Barackenlandschaft jener Mann auftauchen, den er nie vergessen wird: Amon Göth …
Für lebende Leichen
Die Entscheidung ist gefallen: Das neue Zwangsarbeitslager für die noch lebenden Juden im Ghetto von Podgórze wird in Płaszów errichtet. Nach dem Eintreffen des Baubefehls aus Berlin hatten SS-Obersturmbannführer Haase und seine Berater noch Alternativen überlegt: das Dorf Bronowice im Westen Krakaus etwa oder den Krzemionki-Hügel, auf dem sich noch die Festungsanlagen der k. u. k. Armee befinden. Bronowice hat man dann ausgeschieden, weil es über keinen Anschluss an das städtische Wasser- und Kanalnetz verfügt, das Gelände am Krzemionki-Hügel bietet dagegen zu wenig Raum für ein großes Lager. So beginnt am 10. Oktober 1942 die Absiedlung der polnischen Bewohner aus ihren Häusern an der Jerozolimskastraße; Kanal- und Wasserrohre werden verlegt, Straßen errichtet und die jüdischen Friedhöfe zerstört. Neben der Straße nach Wieliczka schlägt man Pfähle ein und spannt Stacheldraht, Warntafeln in Polnisch und Deutsch weisen darauf hin, dass das Betreten des Geländes streng verboten ist, bald erhebt sich ein erster Wachturm über dem Terrain. Die Deutschen haben es eilig. Bereits im November beginnt auf dem Areal der beiden jüdischen Friedhöfe in Wola Duchacka der Bau von Baracken; auf eingeebneten, zerstörten Gräbern, zwischen den ausgegrabenen, in der Sonne bleichenden Knochen wächst nun ein hölzernes Städtchen für die „lebenden Leichen“, wie die Deutschen zynisch ihre jüdischen Arbeitskräfte nennen. Schritt für Schritt werden einzelne Arbeitsgruppen aus dem Ghetto hierher verlegt; insgesamt ist man auf deutscher Seite jedoch unzufrieden mit dem Tempo, in dem der Ausbau des geplanten „Zwangsarbeiterlagers für Juden“ voranschreitet.
Blutiger Terror: Ein deutscher Wachmann hetzt seine beiden Hunde auf einen jüdischen Zwangsarbeiter.
Erster Kommandant auf dem Baugelände ist der SS-Unterscharführer Horst Pilarzik, ein, wie Mietek Pemper ihn später charakterisieren sollte, „ziemlich primitiver Mensch“ mit Magenproblemen, der gerne trinkt und in alkoholisiertem Zustand völlig unberechenbar ist: Am 28. Oktober, dem Tag der letzten „Aussiedlungsaktion“ im Ghetto, erschießt er seine „ersten“ Juden.
Inzwischen bereitet man Schritt für Schritt die „Liquidierung“ des Ghettos vor. Am 14. Dezember ergeht ein Schreiben von Julian Scherner an die Rüstungsinspektion sowie an alle Heeresdienststellen und Privatfirmen mit „wehrwirtschaftlichen Aufträgen“, die jüdische Arbeitskräfte beschäftigen. Diese, so Scherner ohne Umschweife, müssten in Zukunft im „geschlossenen Judenarbeitslager“ Płaszów untergebracht werden. Bis zur Fertigstellung des Lagers verblieben „die Juden in einem besonders umzäunten und gesicherten Teil des bisherigen Krakauer Ghettos (Arbeitsghetto)“. Von hier seien die Arbeiter wie bisher von den Arbeitgebern zur Arbeit abzuholen, zur und von der Arbeitsstätte zu begleiten und wieder „abzuliefern.“ Jeder Arbeitgeber erhalte vom Kommandeur der Sicherheitspolizei „blaue Judenausweise“, die er mit den Personalangaben des betreffenden Juden und dessen Arbeitsverwendung zu versehen habe. Kennbuchstaben und Ordnungszahl dieses blauen Ausweises müssten mit dem Kennbuchstaben und der Zahl auf dem Abzeichen übereinstimmen, dass die jüdischen Arbeitskräfte von nun an auf der linken Brustseite angenäht tragen müssten.
Die Teilung in ein „Arbeitsghetto“ oder Ghetto A für ca. 4.000 arbeitsfähige Personen und in ein Ghetto B für etwa 3.000 arbeitsunfähige Menschen, Kinder und alte Leute, hat man bereits am 6. Dezember 1942 vollzogen. Die „Grenze“ zwischen den beiden Teilen verläuft vom zentralen Zgody-Platz durch die Targowastraße zur Józefińskastraße, wobei auch hier das zynische Nützlichkeitskalkül der Nazis offensichtlich wird: Die arbeitsunfähigen Juden müssen auf 2,6 Hektar Platz finden, für die arbeitsfähigen stehen immerhin 7,1 Hektar zur Verfügung.
Auf jüdischen Gräbern entsteht an der Jerozolimskastraße eine Barackenwelt für lebende Leichen.
Das „Land, in dem der Tod haust“: 5 Distrikte wurden zum „Generalgouvernement“ zusammengeschlossen.
SS-Unterscharführer Pilarzik wird im Dezember 1942 von Scherner seines Amtes enthoben, Planung und Oberleitung der Bauarbeiten vertraut der SS-Polizeiführer Krakau nun dem SS-Hauptscharführer Franz-Joseph Müller an, der seit Juni 1942 bereits die drei bestehenden kleinen „Judenarbeitslager“ (Julags) in Płaszów, Prokocim und Bieżanów leitet. Müller, 1910 in Mosbach, Baden-Württemberg, geboren und von Beruf Buchbinder und Bildereinrahmer, „nur mittelmäßig intelligent“, ist seit Dezember im Stab Scherners tätig und hat an den „Aussiedlungen“ des Jahres 1942 mitgewirkt – an diese neue, komplexe Aufgabe geht er nun mit großem Ehrgeiz heran. In seinem nach dem Krieg in der Haft verfassten „Tatsachenbericht“ Brücke zur Freiheit schreibt er dazu: „Von Scherner hatte ich den Auftrag ein Barackenlager als Ersatzghetto zu bauen und zwar auf der Höhe hinter dem jüdischen Friedhof. Ich machte mir ein Baubüro auf, nahm einen jüdischen Architekten, entwarf einen Plan, in dem ich an alles dachte. Baracken mit Waschräumen für Familien, eine Schule und Kinderschule [sic] und so weiter. Der Architekt arbeitete den Plan aus und ich legte ihn dem SS- und Polizeiführer vor. Wie hatte der Mann getobt und mich alles Mögliche geheißen: Was fällt ihnen ein, Kinder-Garten, Schule, Waschräume für Familien? Glauben Sie vielleicht, wir wollen Juden großziehen? und so weiter. Er riss meinen Plan auseinander und sagte: Nur ein Barackenlager für die Juden, die wir noch brauchen, alles andere wird vernichtet! Ja, Sie tragen SS-Uniform und bemitleiden noch dieses Parasitenvolk?“
Müller erhält eine letzte Frist: In sechs Wochen muss das neue Lager fertig sein, damit das Ghetto geräumt werden kann. Scherner, der sich mit seinem Schreiben an die Rüstungsinspektion selbst unter Druck gesetzt hat, macht Müller bald neue Vorwürfe: Die Bauarbeiten gingen zu langsam voran, da er zu wenig Arbeitskräfte einsetze. Es müssten ab sofort mindestens 1.000 Juden auf der Baustelle arbeiten. Müller lässt daraufhin die OD-Männer Poldek Goldberg und Tomek Katz kommen und ordnet an, dass sie von nun an 1.000 Arbeitskräfte zu stellen hätten. Sollte die Kontrolle durch Scherner allerdings vorbei sein, könnten sie es wieder gemächlicher angehen. Ab morgen müssten sie jedoch „auf Draht“ sein.
Abtransport zur Zwangsarbeit: Ein Tritt für den letzten Juden, der auf die Ladefläche eines LKW klettert
Prompt ist am nächsten Tag um 8 Uhr 30 Zählappell; Scherners Stabsführer SS-Obersturmbannführer Haase ist zur Kontrolle auf die Baustelle gekommen. In der Brücke zur Freiheit erzählt Müller: „Ich meldete ihm 1.000 Juden bei der Arbeit. Das haben mir die OD-Leute auch schon gemeldet, aber ich glaube es nicht. Alles antreten lassen! Die Juden standen da, aber keine 1.000. Da, schrie er mich an, was, das sollen 1.000 Menschen sein? Sie sind beschissen worden, legen Sie die beiden Kerle um! Ich musste die beiden Männer erschießen. Im Ganzen hatten sie nur 290 Arbeitskräfte und das nur zum größten Teil Frauen und Kinder. Ich war verärgert. Laufe mir die Beine aus, dass alles klappte, und die beiden waren nicht in der Lage für 1 oder 2 Tage zu sorgen, dass die Herren befriedigt sind.“
Einige Tage nach der Erschießung von Goldberg und Katz kommt Scherner persönlich zur Inspektion auf die Baustelle nach Płaszów. Er bringt neue Ideen für seinen Lagerleiter mit: Zwischen den Baracken müsste Stacheldraht gezogen werden, Männer und Frauen seien streng zu trennen, vor allem aber müssten die „Polenhäuser“ am Rand des Geländes beschlagnahmt und die Bewohner „rausgeschmissen“ werden.
„Oberführer, das kann ich nicht“, lehnt Franz-Joseph Müller das Ansinnen seines Chefs ab.
Scherner beginnt zu toben: „Was, das können Sie nicht und sind SS-Mann? Ich werde Ihnen einen Mann aus Bautzen vorsetzen! Verschwinden Sie und lassen Sie sich mit ihren Juden aufhängen!“
In seinem merkwürdigen „Tatsachenbericht“ notiert Müller später: „Als ich in meinem Zimmer war, konnte ich mich nicht mehr halten. Zum ersten Mal musste ich als Soldat weinen.“
ICH BIN EUER GOTT!
Das Wort Julian Scherners vom „Mann aus Bautzen“ war keine leere Drohung. Eines Tages, es ist der 11. Februar 1943, ist er da: Amon Leopold Göth. Woher kommt er an diesem Tag wirklich? Wohl nicht aus der Spreestadt Bautzen in der Oberlausitz, sondern aus dem Zwangsarbeitslager Budzyń in der Nähe von Lublin. Müller dürfte hier einem Hörfehler erlegen sein.
Göth trifft jedenfalls am Krakauer Hauptbahnhof ein und begibt sich sofort zum Büro seines alten Kumpels und Freundes Scherner in der Oleanderstraße 4. Die beiden kennen sich noch aus der Münchner Zeit – Scherner, „beliebt als Führer und Kamerad“, führte ab Februar 1933 in der „Stadt der Bewegung“ die 1. SS-Standarte und stieg in der Folge bis zum Führer des SS-Abschnitts XIV auf. Geboren 1895 im tansanischen Bagamoyo, der Hauptstadt „Deutsch-Ostafrikas“, als Sohn eines Hauptmanns der kaiserlichen Schutztruppe, ein alter Frontkämpfer, Inhaber des Eisernen Kreuzes und Blutordensträger und als Mitglied des Bundes Oberland schon 1923 beim Putsch Hitlers in München dabei, ist er Herr über Leben und Tod der Juden im Distrikt Krakau. Seit August 1941 als SSPF in Krakau, ist er für alle Deportationen aus dem Krakauer Ghetto nach Bełżec verantwortlich. Scherner hat sich auf Göth gut vorbereitet und will ihm die neue große Aufgabe, den weiteren Aufbau des Arbeitslagers in Płaszów, so schmackhaft wie möglich machen. Göth zögert nicht lange – er ist mit Płaszów einverstanden, weil er hier sein eigener Herr sein wird. Er wählt die Herausforderung, weil er darin ein Abenteuer sieht, eine Möglichkeit, sich sein persönliches Königreich zu schaffen. Erfreulich auch die materiellen Möglichkeiten, die sich in der freundschaftlichen Besprechung mit Scherner abzeichnen: Mit ein wenig Geschick kann er hier ein Vermögen herausholen.
So lässt er auch beim Antritt seiner „Herrschaft“ in Płaszów keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen. „Ich bin euer Gott!“, erklärt er den auf dem Appellplatz zu seinem Empfang angetretenen Häftlingen. Juliusz Spokojny, ein 20-jähriger Jude aus Miechów, der seit Jänner im Lager an der Jerozolimskastraße festgehalten wird, kann sich auch später noch an den darauf folgenden Satz Göths erinnern: „Im Distrikt Lublin habe ich 60.000 Juden erledigt, jetzt ist die Reihe an euch!“
Bald werden alle begriffen haben, dass dieser Mann schlimmer ist als alles, was sie zuvor erlebt haben. „Brutal und rücksichtslos“ werden die restlichen polnischen Familien aus ihren Häusern geworfen; die neuen Termine für die Arbeiter an den Baracken sind unmenschlich knapp. So verlangt Göth die Fertigstellung des Kühlhauses innerhalb von zwei Wochen – für die Nichteinhaltung des Termins droht er alle an diesem Bauprojekt beteiligten Häftlinge zu erschießen.
Wenige Tage nach der Ankunft Göths in Płaszów begibt sich der 53-jährige Arzt Dr. Aleksander Bieberstein auf Wunsch der Jüdischen Gemeinde zu ihm in die neue Barackenstadt. Begleitet wird er von dem um einige Jahre älteren Dr. Schwarz. Ziel der beiden Mediziner ist es, mit Göth den Bau eines Spitals und von sanitären Anlagen im Lager zu besprechen. Als sie ankommen, ist Göth nicht in seiner Baracke, erst nach einiger Zeit taucht er auf, gibt sich dann aber sehr höflich und zuvorkommend – er offeriert den beiden jüdischen Ärzten Zigaretten, bittet sie Platz zu nehmen und fragt sie über den Grund ihres Kommens. Bieberstein und Schwarz versuchen ihr Anliegen vorzubringen, Göth lässt sie jedoch nicht richtig zu Wort kommen. Er erzählt, dass er sich um den Aufbau von zwei Lagern, Płaszów und Szebnie, kümmern müsse und deshalb momentan sehr viel Arbeit hätte. In Płaszów wolle man vor allem große Werkstätten errichten, so sollen unter anderem die „Zentrale für Handwerkslieferungen“ sowie die Firmen „Optima“ und Julius Madritschs Unternehmen hierher verlegt werden. Seine Absicht sei es, dass es allen Arbeitern, die hierher übersiedelt würden, gut gehe, sie ordentlich ernährt sein sollten und die bestmögliche ärztliche Betreuung für sie gewährleistet sei. Im Verlaufe des denkwürdigen Gesprächs fällt, wie Bieberstein später bezeugen wird, kein einziges Mal der Begriff „Jude“ und auch nicht das Wort „Häftling“. Göth präsentiert sich als leutseliger Organisator – und als Patient: Er zeigt den beiden Ärzten sein Bein, das am Unterschenkel einige Geschwüre aufweist, und fragt sie nach ihrer Spezialisierung. Dr. Bieberstein erklärt, dass er Internist sei, Dr. Schwarz stellt sich als praktischer Arzt vor und erzählt, dass er sich im Besonderen mit Röntgentherapie beschäftige und der Röntgenologe des Spitals im Ghetto sei. Das kranke Bein des Herrn Kommandanten sei am besten mit Röntgenstrahlen zu heilen. Göth fragt ihn, ob der Röntgenapparat im Ghetto für diese Therapie geeignet sei. Dr. Schwarz verneint, und Göth meint daraufhin, dass man sich bemühen werde, für das Lager ein besseres Gerät zu beschaffen. Und er hat eine Bitte an die beiden Ärzte: Er möchte, dass sie ihn mit der Weigl-Impfung gegen Fleckentyphus immunisieren, da man um die geringe Widerstandskraft der Deutschen gegen Typhus wisse und mit der Größe des Lagers wachse ja auch die Ansteckungsgefahr.
Damit ist das Treffen zu Ende, Bieberstein und Schwarz kehren ins Ghetto zurück und berichten im Rahmen einer Konferenz über ihr Gespräch. Einige Kollegen sind mit dem Ergebnis zufrieden, Dr. Bieberstein sieht es anders: Er interpretiert Göths Auftritt als hinterhältig, perfide und absolut zynisch.
Zwei, drei Tage später erhalten Bieberstein und seine Kollegen von den Ingenieuren des Lagerbaus eine Kopie des geplanten Spitals – und sind überrascht. Tatsächlich ist da ein ordentliches Spital geplant: 3 bis 4 Baracken werden zusammengefasst und sind durch die Korridore verbunden, überall schöne Fenster und kleine Patientenzimmer, sogar an Wohnungen für die Ärzte hat man gedacht. Bieberstein jedoch ist weiter skeptisch, er glaubt nicht, dass diese Pläne auch verwirklicht werden. Sein Verdacht verstärkt sich, als er durch Zufall von einem für die Verpflegung zuständigen Unteroffizier, der sich von ihm impfen lässt, die Liste der geplanten täglichen Lebensmittelrationen erhält. Maximal 2.200 – 2.500 Kalorien pro Tag sind da vorgesehen – auch bei günstiger Interpretation zu wenig für schwer arbeitende Menschen.
An einem der ersten Märztage begibt sich neuerlich eine Ärztedelegation aus dem Ghetto nach Płaszów, diesmal sind es bereits 5 oder 6 Mediziner. Mit Göth selbst sprechen jedoch nur wieder Dr. Bieberstein und Dr. Schwarz; der Unterschied zum ersten Gespräch ist jedoch gewaltig: Göth empfängt sie nicht in seinem Büro, sondern am Zeichentisch, wo er ihnen die Baracken für das Spital zeigt. Als Bieberstein anmerkt, dass diese Baracken aus Holz für ein Spital nicht geeignet seien, antwortet Göth kurz angebunden, dass im Lager arbeitende Menschen leben würden und keine schwer kranken, die Mängel würden später behoben. Nach zwei Minuten ist das Gespräch vorbei, von der Freundlichkeit des ersten Zusammmentreffens keine Spur mehr.
Es ist Freitag, der 5. März 1943. Am Morgen lässt Göth die Häftlinge am Appellplatz antreten. Der 17-jährige Moniek Puntirer, Sohn eines kleinen Milchverkäufers in Kazimierz, seit September 1942 in Płaszów, wird Zeuge, wie Göth auf Grund des Fehlens zweier Mädchen, die ins Ghetto zurück geflüchtet sind, zwei jüdische Kapos erschießt. Die Männer müssen sich niederknien, dann tötet er beide durch Schüsse aus nächster Nähe. Anschließend nimmt Göth seinen Hut ab, füllt diesen mit dem Blut der Toten und setzt ihn einem der Mithäftlinge Puntirers auf. „Jetzt führst du das Kommando!“, sagt er zu dem völlig überraschten Mann – eine Szene, die Moniek Pantirer in „wahre Todesangst“ versetzt und die er nie vergessen wird. Göth macht auf ihn den Eindruck eines „Raubtiers auf der Jagd“ und rasch erkennen er und seine Lagergenossen, welch besondere Rolle die Kopfbedeckungen für Göth spielen: Trägt er sein einfaches Soldatenkäppi, ist von ihm weniger zu befürchten, gefährlich wird es, wenn er seine Offiziersmütze oder gar seinen Tirolerhut aufsetzt – „ich rannte“, so Moniek Pantirer, „dann immer in die Latrine, weil er die nie betrat. Dann kam er in die Baracken und verließ sie erst wieder, nachdem er ein paar Leute erschossen hatte.“
Am Abend dieses 5. März 1943 schockt Göth das Lager mit einer ersten Hinrichtung. Die beiden jungen Mädchen, Rega Teichmann-Salz und Erica Weitz, sind gefunden worden. Sie hatten zwar die Erlaubnis, das Lager zu verlassen, kehrten aber über Nacht nicht zurück – daraufhin ließ sie Göth im Ghetto suchen, wo sie schließlich auch entdeckt wurden. Eine Eskorte von zwanzig Wachleuten bringt sie nach Płaszów zurück. Noch weiß niemand, was für eine Strafe sie erwartet, die Häftlinge glauben, dass es beim Auspeitschen bleiben wird, doch für Göth ist diese „Disziplinlosigkeit“ Anlass genug, erstmals ein Exempel zu statuieren: Rega und Erica, beide fast noch Kinder, sollen vor versammelter Belegschaft um sieben Uhr abends gehängt werden. Zuvor werden sie noch ausgepeitscht, dann behandelt man ihre Wunden mit Jod; über ihr Schicksal lässt man sie bis zuletzt im Unklaren.
Die „Show“ am Appellplatz beginnt, nachdem alle Häftlinge von ihrer Arbeit ins Lager zurückgekehrt sind. Als Henker fungiert der aus einer prominenten Familie stammende jüdische Kapo Itche Saltz, ein Brillenträger. Er hat nicht einmal ordentliche Stricke zur Verfügung, stattdessen benutzt er Gürtel. Bei einem der Mädchen reißt der Lederriemen, worauf Göth es unbarmherzig noch einmal hängen lässt und dann noch einige Schüsse auf den baumelnden Körper abgibt. Ihr qualvolles Sterben wird begleitet von der deutschen Lagerband: Den Schlager, den sie zur Hinrichtung spielen muss, hat Göth selbst ausgesucht: Komm zurück! von Rudi Schuricke.
Zeugin der entsetzlichen Szene sind unter anderem die 17jährige Felicja Friedmann aus Krakau, die im Kabelwerk beschäftigt ist, und der neunzehnjährige Julius Feldman, der in der „Zentrale für Handwerkslieferungen“ in der Limanowskiegostraße 4 arbeitet. Hier werden Möbel aus jüdischen Wohnungen zusammengetragen, überholt und den diversen Nazi-Bonzen zur Verfügung gestellt. Gut möglich, dass sich auch Göth bei der Einrichtung seiner Villa aus der „Zentrale“ bedient hat.