Kitabı oku: «SINODIS», sayfa 5
»Jack, das war so schön!« Er gönnte mir erst einen Kuss und dann Ruhe. Ich schloss die Augen, heilfroh, dass meinem Liebsten nichts Schlimmeres passiert war. Ich lächelte fast verzweifelt, hatte mich Mr. Kraftprotz wieder bis knapp vor eine Ohnmacht getrieben. Aber als ein absoluter Gentleman ließ er mir gefühlsmäßig immer einen Ausweg.
Minuten später wachte ich auf dem Bett auf und stöhnte:
»Ich habe einen fiesen Krampf im Oberschenkel.«
»Den kann ich dir wegmassieren«, bot Jack lächelnd an. Natürlich willigte ich ein, hatte ich eine andere Wahl? Das Öl verhalf den Fingern jede Muskelfaser zu entkrampfen.
»Besser?«
»Viel besser.« War das schön, wenn der Schmerz nachließ.
»Zeit, uns in Schale zu werfen, Liebste.«
»Was? Wieso?«
»Alfons hat noch was mit uns vor.«
»Sehr witzig.« Ich stand auf, öffnete den Schrank, da hingen mehrere Kleider für mich und ein Anzug für den Herrn.
»Irre! He, Jack, schau mal hier, frische Klamotten für uns!«
»Mhmh.« Ich streifte mir einen dunklen Slip über und zog ein schwarzes Kleid an, nachdem ich den Ölfilm abgewischt hatte. Schwarz passt immer. Eine gute Wahl, da ich nicht wusste, wo es hinging. Dann klopfte es an der Zimmertür und Alfons Stimme ertönte.
»Mademoiselle, Monsieur, in ein paar Minuten geht es los. Ich hoffe, Sie sind fertig?«
Ich schon, dachte ich, allerdings vom Sex.
»Ja, wir sind gleich so weit«, ließ ich verlauten. Mittlerweile hatte sich Jack ein weißes Hemd sowie den schwarzen Anzug angezogen. Ich pfiff anerkennend.
»Das muss ich dir lassen, du siehst umwerfend aus. Der Anzug steht dir richtig gut.«
Es klopfte erneut, Jack riss die Tür auf, gewährte mir den Vortritt. »Bitte sehr, die Dame.«
»Ah, wunderbar.« Alfons, auch in elegantem Schwarz gekleidet, nahm meinen Arm und nickte zufrieden.
»Amily, haben Sie nicht etwas vergessen?«
»Vergessen? Ach, natürlich. Jack, sei so lieb und hol die Rolle aus meinem Rucksack.«
»Klar.« Alfons konnte sich nur mühsam ein Grinsen verkneifen.
»Hier, Liebes, bitte sehr.«
»Danke. Können wir dann?«
09 – Mehr Schein als Sein
Wir schritten durch einen Flur, bis wir zu einer Tür gelangten, die etwas größer war als gewöhnliche Zimmertüren.
»Wohin gehen wir denn?« Meine Stimme war nur ein Flüstern, warum wusste ich selbst nicht. Ich hielt die rätselhafte Rolle umklammert, die uns bisher nur Unglück gebracht hatte. Alfons ließ mich wissen, dass es keinen Grund gäbe, aufgeregt zu sein.
»Seien Sie bitte nicht so nervös, es geht in den Keller hinunter. Alles okay.« Er öffnete die Tür und schaltete das Licht an. Merkwürdigerweise hatte ich an der Seite von Alfons überhaupt keine Angst. Mein Kleid raffend, begann ich den Abstieg.
»Das war aber eine lange Treppe«, stellte ich fest, nachdem unsere Schritte auf dem Stein verhallt waren und wir den eigentümlichen Geruch uralter Mauern einatmeten.
»Wie viele Stufen waren es denn?«, wollte Alfons wissen.
»Was meinen Sie?«
Jack antwortete spontan: »Einhundertdreiundzwanzig.«
»Falsch. Es waren einhundertsechsundzwanzig Stufen, richtig, Alfons?«
»Ja, in der Tat, das stimmt.« Jack brummte wegen meinem dekadenten Auftreten Klugscheißer. Wir betraten ein recht düsteres, aber imposantes Kellergewölbe, das ich an dieser Stelle nicht erwartet hätte. Mittendrin blieben wir stehen. Alfons drehte sich zu uns um, schaute uns mit Leichenbittermine an und sprach mit gedämpfter Stimme:
»Carpe diem, das bedeutet: Nutze den Tag. So lautet fortan euer Wahlspruch. Es ist jetzt eure Pflicht, es zu Ende zu führen. Ihr seid die einzigen Personen von außerhalb, die das zu sehen bekommen. Aber ihr dürft unter keinen Umständen mit Fremden darüber sprechen. Habt ihr verstanden?« Jack antwortete ganz leger:
»Jup, okay«, und erntete einen Stoß in die Rippen von mir. Seine Flapsigkeit war dem offensichtlichen Ernst der Lage nicht angemessen:
»Jack, was soll denn das? Es heißt ja. So etwas kann ich nicht ausstehen!« So hatte er mich noch nie erlebt. Die Verwunderung war ihm anzusehen. Alfons räusperte sich.
»Amily, Jack: Im nächsten Raum treffen wir auf weitere Personen, drei Männer, aber es ist alles in Ordnung, auch wenn euch das Ganze ziemlich befremdlich vorkommen muss.«
Befremdlich war etwas untertrieben. »Seid ihr bereit?« Ich atmete tief ein, dann traten wir durch eine massive dunkle Eichentür mit Schnitzereien. Das Imposanteste im nächsten Raum war ein kreisrunder Tisch in der Mitte, drei Meter im Durchmesser und in Segmente unterteilt. Inmitten der Tischplatte war eine große Metallscheibe von schätzungsweise fünfzig Zentimetern Durchmesser eingelassen. In das Metall wiederum war ein reich verzierter Goldring eingearbeitet, der fünfunddreißig Zentimeter Querschnitt haben mochte. Inschriften und Symbole in Altgriechisch und Latein, in verschiedenen Positionen angeordnet, deren Bedeutung ich nicht verstand. Zur genaueren Betrachtung fehlte es an Licht, nur wenige Kerzen an den Wänden und ein mehrflammiger Kandelaber spendeten etwas Helligkeit. Hohe, sehr alte und kostbare Stühle waren um den Tisch herum platziert. Neun an der Zahl. Die drei Unbekannten konnte ich wegen des Kerzenlichts nur schemenhaft erkennen. Es schien sich um ältere Männer zu handeln.
Das ganze Szenario erinnerte an eine Sequenz aus einem beliebigen Historienschinken: das Kellergewölbe, flackerndes Kerzenlicht, eine Tafelrunde und drei unheimliche Gestalten. Doch meine oft über-ausgeprägte Aufregung hielt sich erstaunlicherweise in Grenzen. Wieso nur hatte ich den Eindruck, als hätte ich das alles schon einmal erlebt? Mir wurde ein Sitzplatz an der großen Tafel angeboten.
»Oui, Mademoiselle. Jack, Sie sitzen rechts neben Amily.«
»Geht klar.« Alfons, der dieses Ritual leitete, nahm Linkerhand von mir seinen Platz ein und eröffnete auf Englisch:
»Verehrte Anwesende, wir begrüßen heute endlich Amily Simon in unserer Runde – und Jack Tailor.« Die anderen Personen stellten sich nacheinander vor, um sich danach wiederum links neben Alfons zu setzen. Jede Handlung schien einem festgelegten Protokoll zu folgen. Ich war ratlos. Niemand blickte mich direkt an, auch nicht als sie zu mir sprachen.
»Mein Name ist Robert Norieur, ich bin der letzte Wächter der Templer.« Dieser Mann besaß eine helle, aber weiche Stimme, sehr angenehm. Er war mir auf Anhieb der Sympathischste.
»Sehr erfreut, Mr. Norieur«, sagte ich. Wieso die Templer? Da ergriff auch schon der Nächste das Wort und meine Nackenhärchen stellten sich protestierend auf:
»Mein Name ist Walter Müller, altgedienter und letzter lebender Kommandeur der nationalsozialistischen Luftwaffe.« Er besaß eine raue Stimme mit süddeutsch angehauchtem Klang, die mir einen Schauder über den Rücken jagte. Der Dritte im Bunde, ein sehr alter Mann, stellte sich als der wahre Papst vor. Seine Stimme war ruhig und sonor, einschläfernd. Er sei vor fünfzig Jahren entmachtet worden, ohne dass je die Weltöffentlichkeit davon Kenntnis genommen hatte. Seitdem fristete er ein Leben im Schatten. Ich traute kaum meinen Ohren. Das war doch lächerlich, oder? Wie sollte das vonstattengehen?
»Gut, vielen Dank, meine Herren.« Alfons beruhigte mich ein wenig, indem er meine Hand tätschelte, aber dann sagte er: »Auch ich habe Neuigkeiten für dich, Amily. Es ist gewiss ein Schock für dich, aber wir sind verwandt, du und ich. – Amily, ich bin dein Halbbruder mütterlicherseits.«
»Ha!«, stieß ich aus. Jetzt war ich völlig perplex. Na, das wurde ja immer besser ... »So ein Unsinn. Meine Mutter ist kaum älter als du!«
»Amily«, er streckte seine Hand nach mir aus. »Es ist kompliziert. Versuch zu akzeptieren, was ich dir gerade gesagt habe. Du wirst es bald verstehen.«
In meinem Kopf drehte sich alles. Ich sah das gütige Gesicht meiner Mutter Sophie vor mir und konnte mir nicht vorstellen, dass sie mir so etwas verheimlicht hätte. Ein mulmiges Gefühl zwang mich, bei der ungeheuerlichen Geschichte mitzuspielen. Zumal ich in einer denkbar ungünstigen Position war, um hier den Aufstand zu proben, und gab resigniert klein bei. Erstmal. »Na gut, angenommen, du hast recht ... Mein Gott! Das erklärt zumindest, warum ich nie ein ungutes Gefühl bei dir hatte. Nur was ist eigentlich deine Aufgabe hier, Alfons?«
»Nun denn«, räusperte er sich. »Du hast ein Recht alles zu erfahren, so tief, wie du schon verwickelt bist. Wir alle, musst du dir vorstellen, haben als Gruppe zusammengefunden, um der Dynamik der wirtschaftlichen Macht Einhalt zu gebieten - das heißt, in jedem Bereich, sei es bei den Templern, beim Vatikan, bei den Wissenschaftlern und auch den Mathematikern. Wir, die SINODIS, stehen seit Jahrhunderten Wirtschaft und Wissenschaft beratend zur Seite. Es gibt in jeder Generation einen Präfekten. Das bin ich, so wie du die Auserwählte bist.« An dieser Stelle setzte mein Herz für einen Schlag aus. Mein neuer Bruder sprach gelassen weiter: »Viele der ganz großen Firmen, deren einziges Ziel darin besteht, noch mehr Profit zu generieren, haben sich zusammengeschlossen, um mehr Macht und Druck auszuüben, übersehen aber gänzlich, dass alles voneinander abhängig ist. So könnte das volkswirtschaftliche Gleichgewicht empfindlich gestört werden. Der Begriff Relativität ist dir geläufig?« Gut, dass ich in der Schule brav aufgepasst hatte. Relativität ist die Tatsache, dass etwas auf etwas anderes bezogen ist und in diesem Zusammenhang gesehen werden muss. Ganz einfach, nicht wahr?
»Gewiss«, krächzte ich. Wo war ich hier gelandet?
»Die Dokumente, die du jetzt bei dir trägst, sind der Schlüssel, um die Balance wiederherzustellen.«
»Aha.« Einen Sinn machte das bisher für mich nicht.
»Aber wir sollten die Rolle doch nach Miami bringen!«
»Das ist grundsätzlich richtig. Aber bedenke: Die Eile funktioniert nicht ohne Vorsicht. Deswegen werden die anderen Herrschaften dieser Runde, die zurzeit noch in Paris verweilen, eingeflogen. Wir erwarten sie morgen bei uns. Sobald wir vollzählig sind, können wir den nächsten Schritt wagen. Aber nun hat Jack das Wort.«
»Wieso Jack? Was hat er denn damit zu tun? Er ist mein Freund und nur zufällig hier.«
»Psst.« Jack unterbrach mich mit einer Abgeklärtheit, die mir Unbehagen bereitete, dann erhob er sich, um zu sprechen.
»Vorab möchte ich sagen, dass es mir unsagbar leidtut um meinen Lehrer, Mentor und zuletzt auch guten Freund, Pierre Momár. Wie wir wissen, war er der letzte Großmeister der Templer.« Alle nickten. Offenbar kannte man sich. »Ich bin stolz, seinen Platz in dieser Runde einnehmen zu dürfen.« Wieder dieses andächtige Nicken.
»Willkommen, Jack. Du weißt, was zu tun ist. Bitte.« Alfons sprach mal wieder als Einziger.
»Und nun zu dir, Amily.« Jack berichtete weiter, dass er für meine Sicherheit sorgen sollte - um jeden Preis. »Mein Name lautet Jack Tailor, das weißt du ja bereits, und ich habe mich von der ersten Sekunde an unsterblich in dich, Amily, verliebt.« Es raubte mir jeden Gedanken. Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Anwesenden hielten sich mit ihrer Freude sehr bedeckt. Gab es überhaupt einen Grund zur Freude? Ich war nur ein Auftrag gewesen. Ein Job?
»Aber Jack!«
»Ja, ich weiß. Wir sprechen nachher noch darüber. Unter vier Augen.«
»Das will ich hoffen. Wäre es möglich, eine kleine Pause einzulegen? Ich brauche ein paar Minuten.« Das musste ich erst mal sacken lassen. Alfons willigte ein und kündigte eine halbstündige Unterbrechung an. Ich stand benommen auf, griff instinktiv nach der Rolle, die ich wie eine Rettungsboje umklammerte. Nachdenklich trat ich zur Wand und betrachtete die Maserung der Steine, stellte mir die quälende Frage, ob Jack nur vorgegeben hatte, in mich verliebt zu sein, weil er zu meinem Schutz abgestellt worden war und mich so besser im Auge hatte. Eigentlich glaubte ich das nicht ernsthaft, er hätte mich sonst niemals so aufrichtig lieben können, oder? Er hatte einen Denkzettel verdient, aber das hatte Zeit, also drehte ich mich zu Jack um und er kam sogleich zu mir, blieb vor mir stehen, wollte wohl etwas sagen. Auf Zehenspitzen küsste ich ihn auf den Mund, es war nur ein Hauch.
»Jack.«
»Ja, Amily?«
»Sei bitte so lieb und bring mir Wasser.« Er eilte davon, dann kam Alfons auf mich zu und wollte sich erklären.
»Alfons«, betonte ich mit ernster Stimme und umarmte ihn, anders als Jack, aber innig, sagte ihm, wie froh ich sei, einen solchen Bruder zu haben. Er war auf seine reservierte Art erfreut, sogar ein wenig verlegen. Da trudelte auch schon Jack mit meinem Wasser ein. Gott weiß, wo er es so schnell hergeholt hatte.
»Na endlich«, stellte ich schnippisch fest. Ich konnte nicht aus meiner Haut. Er schaute dermaßen verwirrt, dass es mir schon wieder leidtat. Unser Wortführer bat uns noch einmal an die Tafel, um die morgige Agenda durchzusprechen.
»Nebenan im Vorraum ist ein Büfett angerichtet, zur Stärkung.« Jack wollte meine Hand nehmen, aber ich zog sie zurück und erwiderte höflich:
»Danke, ich kann alleine laufen.« Die Herren gewährten mir den Vortritt. Wie nett, dachte ich noch, dann erstarrte ich mitten in der Bewegung. Im Vorraum standen Dr. Brenner und Marten, mein Nachbar, in ein Gespräch vertieft wie alte Freunde.
»Herr Doktor, was machen Sie denn hier? Sie beide kennen sich? Ich glaub’s nicht.« Ich war von Dr. Brenners unerwartet gutem Gesundheitszustand überrascht. Dass er überleben würde, hatte ich nicht zu hoffen gewagt, nach der Aktion auf dem Krankenhausdach. Dennoch kam ich mir vor wie bei der versteckten Kamera.
»Guten Tag, Amily. Schön, Sie so munter zu sehen.« Er schaute betreten zu Boden.
»Gleichfalls. Marten, was hast du hier verloren, in drei Teufels Namen?« Er zuckte flapsig die Schultern.
»Ich gehöre auch dazu. So einfach ist das.« Ein Kellner reichte mir einen Aperitif. Ich schnappte nach dem Glas wie nach dem letzten Tropfen Flüssigkeit auf dem Planeten.
»Ich fasse es nicht! Ich wurde die ganze Zeit verladen.« Ehe ich weiter ausholen konnte, erfüllte eine weitere Stimme den Raum.
»Wir trinken heute auf Amily. Ein Prosit!« Mein Glas zersprang am Boden, und ich rief:
»Sie sind doch der Pilot. Wie ist das möglich? Sie müssten tot sein. Der Hubschrauber! Die Explosion.« Die Männer zuckten kollektiv zusammen. Jack nahm mich beruhigend in seine Arme, was ich bitter nötig hatte. Zwischenzeitlich wurden die Scherben weggekehrt.
»Schleudersitz. Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu erschrecken«, entschuldigte sich der Pilot, ein gedrungener Mann Mitte fünfzig, mit eindeutig osteuropäischer Herkunft.
»Halb so wild. Ist schon wieder vergessen. Ich habe wohl überreagiert.«
»Sicherlich wirkt alles sehr verstörend auf Sie.«
»Kann man so sagen. Ich komme mir vor wie in einem Paralleluniversum«, dabei lächelte ich verzweifelt. »Nichts ist, wie ich es geglaubt habe!«
»Keine Sorge, es wird sich alles aufklären.«
»Ja, das hörte ich bereits.«
Später unternahm Jack noch einen Versuch, sich mir zu erklären, aber er wurde harsch von mir unterbrochen.
»Nein, Jack, ich kann jetzt nicht mit dir reden. Ich habe tausend Dinge im Kopf.«
»Verstehe.« Den restlichen Abend tauschten wir uns mit den anderen aus, bis Alfons gegen Mitternacht das Ende des Meetings bekanntgab.
»Morgen um elf Uhr dreißig geht es weiter. Pünktlich, die Herrschaften.«
10 – Versöhnung
Unser stetiger Wegbegleiter brachte Jack und mich nach oben zu unserem Zimmer, raunte mir zu, dass ich bitte nicht so streng mit Herrn Tailor sein solle. Ich gab ihm zwinkernd zu verstehen: nur ein bisschen. Er vermochte sich ein Grinsen kaum zu verkneifen. Vor der Tür wünschten wir uns eine erholsame Nacht.
»Vielen Dank für die vielen neuen Eindrücke, Alfons. Bis morgen.«
»Bis morgen. Das war ein ereignisreicher Tag. Ich hoffe, wir haben dich nicht überfordert.« Ich schüttelte den Kopf, gab die taffe Lady. Die Gedanken in meinem Kopf gehörten zum Glück nur mir alleine.
»Komm, Jack.« Die Zeit war reif, meinem Zukünftigen klarzumachen, dass ich mehr als nur ein Job war. Ich verschaffte mir Gehör, indem ich ihn schroff anfuhr: »Wann hattest du vorgehabt, mir das zu sagen? Vor dem Traualtar vielleicht? War das so nebensächlich für dich?« Ich stellte mir vor, wie ich ihm das Jackett vom Oberkörper zerrte und sein Hemd zerriss. Stattdessen schlug ich mir die Hände vors Gesicht und schluchzte hemmungslos.
»Nein, wirklich nicht. Du musst mir glauben, Amily. Es gibt nichts Wichtigeres für mich als dich.«
»Warum sollte ich dir glauben? Würdest du dir das selber abkaufen? Sei ehrlich!« Jack hielt mich fest, sodass ich mich nicht bewegen konnte, schleppte mich unter die Dusche und drehte das kalte Wasser voll auf. Ich wurde immer wütender und kreischte. Er legte seine Hände um mein tränenüberströmtes, tropfnasses Gesicht.
»Ich liebe dich, Amily Tailor, von ganzem Herzen.«
»Wie? Was?« Ich stand einen Moment auf der Leitung, bis ich begriff. Er mochte mich wirklich, das stand außer Frage, aber dass er mich immer noch heiraten wollte?
»Ich verstehe deinen Zorn, auch wenn er unbegründet ist. Also, wie sieht es aus? Machen wir Nägel mit Köpfen?«
»Was für eine Frage! Ja!« Jack legte in der Dusche den Anzug ab. Er öffnete den Reißverschluss meines durchweichten Kleides, streifte es ab, zog mir den Slip aus und schenkte mir einen atemberaubenden Kuss.
»Jack?«
»Was denn, Amily?«
»Meinst du das ernst mit Amily Tailor? So richtig?«
»Ja, mein kleines Mädchen. Allerdings möchte ich nicht laufend so von dir drangsaliert werden.«
Ich zögerte die Antwort hinaus. Sollte ich jetzt einfach nachgeben? Die Wut hatte mich übermannt, wer konnte mir das verdenken? Schließlich wurde an nur einem Tag meine ganze Welt auf den Kopf gestellt. Ich senkte den Kopf. »Ja.«
»Bitte wiederhole es, Amily.«
»Ja, ich habe verstanden«, sagte ich lauter und starrte ihm trotzig in die Augen. Sofort versetzte der Anblick mir einen Stich.
»Das nenne ich einen Anfang.« Er stellte das Wasser ab, hob mich auf seine Arme, verließ mit mir das Bad und legte mich auf das Bett. Jack wärmte meinen völlig unterkühlten Leib und rubbelte mich überall warm, so wie ich ihn. Ich wollte aber nicht im Streit schlafen gehen, drehte mich zu ihm, spürte seine Energie. Ich legte meine Hand auf seine Brust und fühlte seinen Herzschlag.
Rasende Kopfschmerzen holten mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Es war stockdunkel. Es musste etwas passieren, sofern ich heute noch Schlaf finden wollte, also knipste ich das Licht an. Da waren Verspannungen in meiner Schulter tastbar, so groß wie Wachteleier. Ich rüttelte Jack wach.
»Was ist los?«, fragte er alarmiert.
»Tut mir leid, aber ich brauche entweder eine Tablette oder du musst diesen furchtbaren Knoten aus meiner Schulter wegbekommen. Ich kann nicht schlafen.«
»Zeig mal.« Verschlafen tastete er nach meiner Wirbelsäule. Ein Knacken der Wirbel als Antwort und die Schmerzen waren beinahe verschwunden.
»Du bist ein Genie!« Ich bedankte mich mit einem Kuss, er lächelte müde. Ich knipste das Licht aus und drehte mich zu Jack, aber er hatte mir den Rücken zugewandt, so streichelte ich diesen und schlief entspannt ein.
11 - Die Zusammenkunft
Am frühen Morgen wurde ich von fröhlichem Pfeifen geweckt. Je mehr ich den Schlaf abschüttelte, desto mehr ging es mir auf die Nerven. Ich stand neben mir. Da war dieser rasende Durst. Mein Körper gierte nach Wasser, wohingegen meine Augen sich nur langsam an das Tageslicht gewöhnten.
Der pfeifende Mann eilte fröhlich aus dem Bad, zog mir die Bettdecke weg und presste seinen klatschnassen Körper an meinen Rücken. Laut schrie ich auf.
»Du bist eiskalt, du Spinner!«
»Ich weiß, du jetzt auch.« Er schien wie ausgewechselt, der führte doch was im Schilde. Er hatte sich von mir runtergewälzt und ich mich umgedreht.
Es begann zu nerven. Wieso war dieser Kerl so munter? Ich schleppte mich vom Bett ins Bad. Meine Beine hatte ich wohl gegen Streichhölzer eingetauscht. Nach der morgendlichen Toilette stieg ich unter die Dusche, stellte verschlafen den Hebel hoch und eiskaltes Wasser ergoss sich über mich.
»Du Teufel, das bekommst du wieder.« Aber Jack lachte ausgelassen. »Ja, lach du nur. Du wirst schon sehen, was du davon hast.« Nach dem Duschen trocknete ich mich in Seelenruhe ab. Jetzt sollte er noch etwas zu hören bekommen. Wutentbrannt stapfte ich zu ihm, aber er war bewaffnet. Er hielt ein atemberaubendes schwarzes Kleid mit dezentem Paillettenbesatz und einem Karree-Ausschnitt in der einen und ein kleines Kästchen in seiner anderen Hand. Dieser Moment sorgte dafür, dass ich sprachlos vor ihm stand. Mein Zorn war verraucht. Männer können manchmal voller Überraschungen stecken ...
»Jack, was ist das da in deiner Hand? Ist das ein schönes Kleid!« Die Tränen wollten nicht versiegen. Es war albern, aber gegen Gefühle war man machtlos.
»Warum weinst du, Prinzessin?« Nach Luft ringend antwortete ich:
»Ich weiß nicht. Was hältst du da in deiner anderen Hand?«
»Ein Etui.«
»Und was ist da drin, in diesem Etui?«
»Schau doch nach.« Die Aufregung hatte mich fest im Griff. Er hielt mir das Schächtelchen hin. Ich entriss es ihm, öffnete es hastig, aber es war leer.
»Jack! Mit so etwas treibt man keine Späße!« Er sagte leise, während er vor mir niederkniete:
»Amily Simon, du hast meinen Antrag ja bereits akzeptiert, aber ich möchte es richtig machen. Deshalb kommt hier der obligatorische Ring. Willst du ihn annehmen, bitte sag Ja.« Der schöne Mann hatte mich zu Tränen gerührt. Mit gebrochener Stimme sagte ich:
»Und ob ich das will, Jack Tailor. Nun gib ihn schon her! Ich gespannt wie ein Flitzebogen.« Vor Glück schluchzte ich in seinen Armen. Er streifte mir den Ring über meinen linken Ringfinger. Gefühle, die ich nicht mehr steuern konnte, kontrollierten das Geschehen. Er dirigierte mich zu dem Stuhl, erst jetzt nahm ich durch tränenverschleierte Augen den hübsch angerichteten Frühstückstisch wahr.
»Oh Schatz, womit habe ich das verdient?«
»Du liebst mich, das ist es, was zählt.« Auf einem der Teller lag das Gegenstück zu dem Ring an meinem Finger, nur ohne den kleinen Stein. Ich betrachtete den größeren Ring, ging zu Jack, setzte mich auf seinen Schoß und küsste ihn.
»Für meinen besten Freund und geliebten Ehemann für immer.« Unsicher schob ich den Reif aus Rotgold, der mit antiken Ornamenten verziert war, über seinen linken Ringfinger. »Kommt das in etwa hin?«, fragte ich unsicher. Ich hatte keine Erfahrung mit solchen Szenen. Er antwortete absolut überzeugt:
»Ganz wunderbar. - Wir gehören zusammen, Amily.« Er nahm eine Serviette und trocknete meinen Tränen. In diesem Moment schien die Zeit stillzustehen. Kein Laut störte unseren Kuss der Ewigkeit, es war jener, den ich so lange herbeigesehnt hatte.
»Hey, lass uns frühstücken. Du hast dir solche Mühe damit gegeben.« Von meinem Platz beobachtete ich Jack, seine Augen strahlten Wärme aus. Unentwegt trafen sich unsere Blicke, auch unsere Hände berührten sich immer wieder. Wir waren offiziell verlobt. Dann überkam mich die Neugier.
»Woher hast du all die schönen Dinge? Das Kleid, die Ringe?«
»Habe Alfons gefragt, ob er mir helfen könne. Ich sagte ihm, ich hätte etwas Besonderes mit dir vor, und er wusste sofort, was ich meinte. Er ermahnte mich nur, dass das hier kein Abenteuer sei. Schließlich willigte er ein. Ich war so froh, als Alfons heute Morgen leise anklopfte und mir die Sachen übergab.«
»Kann ich mir vorstellen.« Das Kleid rutschte von der Stuhllehne, ich hob es auf und setzte mich wieder. Ich gönnte mir einen großen Schluck Kaffee, schaute Jack an, dachte daran, dass wir bald Mann und Frau wären. Es erzeugte ein wohliges Gefühl in mir. Immer wieder bewunderte ich den Verlobungsring. Eine Hälfte des Diamanten war perfekt geschliffen, die andere hingegen in seiner ursprünglichen Form verblieben, in einer Krone verankert. Rundherum war dieser Ring mit Symbolen versehen.
Ich spreizte die Schenkel, streichelte gedankenverloren meine Scham. Es musste ihm wohl gefallen, sein Gesicht rötete sich vor Erregung und ich genoss dieses kleine Spielchen.
»Amily ...«
»Ja?«
»Wir müssen uns anziehen.«
»Ich weiß ...« Ich stand auf und machte mich nur für ihn hübsch. Immer wieder betrachtete ich den Ring.
Wundervoll.
12 – Entlarvt
Pünktlich um zehn Uhr dreißig waren wir angezogen, neugierig auf das, was vor uns lag, ich im nigelnagelneuen Kleid und Jack in seinem Anzug. Schritte im Flur nahten, wir kicherten. Unsere Lippen berührten sich ein letztes Mal. Es klopfte, ich nahm die Rolle an mich, während Jack die Tür öffnete. Alfons begrüßte uns überschwänglich.
»Habt ihr gut geschlafen?«
»Jack und ich sind jetzt offiziell verlobt!«, posaunte ich raus.
»Das freut mich. Gratuliere. - Kann es losgehen?« Ich bejahte und atmete tief in den Bauch. Wir durchschritten den Korridor und dann die lange Treppe hinunter. Ausnahmslos jeder trug eine besonders grimmige Miene zur Schau, was bei mir zu Irritationen führte. Bis auf eine Claire Nui waren wir vollzählig. Ich folgte Alfons in den Tafelraum. Er flüsterte mir zu:
»Bitte lass die Dokumente in der Rolle, bis ich dir einen Wink gebe, dass wir beginnen.«
»Sicher, aber was ist denn? Stimmt etwas nicht?«
»Wirst du gleich sehen.« Mit einiger Verspätung traf auch Claire Nui ein. Sie wurde sehr aufmerksam beäugt, als sie in den Tafelraum stürmte.
»Das soll Claire sein?«, raunte ich Jack zu. »Das ist doch ...«
»Dass Sie noch den Weg zu uns gefunden haben, Gnädigste. Wir waren in Sorge«, hallte aus dem anderen Raum. Alfons rief alle an den Tisch, wir setzten uns. Der Pilot schloss die Tür von innen, umrundete den Tisch bis hin zu Claire und packte sie fest bei den Schultern.
»Nehmen Sie die Finger weg!«, fauchte sie. Ich starrte die Frau an, die ich glaubte, von irgendwoher zu kennen. Während mein Gehirn arbeitete, eröffnete Alfons die Runde mit den Worten:
»Verehrte Anwesende, wir haben eine Verräterin unter uns. Sie hat sich kaufen lassen für läppische fünf Millionen Dollar.« Ein Raunen ging durch den Saal. Der Präfekt schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und Claire bebte vor Wut.
»Wir fragen uns natürlich, wieso, meine Liebe. Deine Aufgabe war es, die Minderheiten zu vertreten, damit auch sie ihren gerechten Anteil in der Geschichte sowie an verfügbaren Mitteln bekommen sollten.« Claire sprang auf, ihre Augen blitzten vor Zorn und sie pöbelte:
»Das ist ja wohl ein schlechter Witz! Ihr seid alte Männer, die nichts mehr bewirken können, durch die Bank bemitleidenswerte Kreaturen.« Der Pilot packte ihre Arme und band sie unsanft mit Kabelbinder zusammen. »Das könnt ihr nicht tun!«
»Sei still!«, raunte ihr Peiniger.
»Du warst so nah dran, zu erfahren, was echte Macht bedeutet. Schade. Sergej, bitte, schaff sie mir aus den Augen.« Alfons war spürbar enttäuscht und gab dem Piloten den Wink, sie wegzuschaffen. Vorher zog der Pilot der Frau Schuhe und Kleid aus, welches er demonstrativ dabei zerriss. Niemand störte sich an der Entwürdigung, nur ich empfand die Situation als sehr beklemmend und beschämend. Nachdem die kleine Frau fast nackt und nun leicht hinkend aus dem Saal geführt worden war, unterbrach Alfons die Sitzung für fünfzehn Minuten. Mir war es recht. Ich brauchte ein wenig, um mir darüber klar zu werden, was ich erlebt hatte. Es war schlimm für mich, zumal ich wusste, warum Claire hinkte. Ich wusste, dass ihr rechtes Bein null Komma sieben Zentimeter kürzer war als das linke und sie spezielle Schuhe trug, um diesen Makel zu verbergen. Sie war sehr eitel und für mich war ihr Name Sylvia. Mir schwirrte der Kopf. Ich könnte mich auf der Stelle übergeben vor Abscheu. Jack, der offenbar Gedanken lesen konnte, reichte mir ein Glas Wasser. Ein kurzer Dank, dann versank ich wieder in Grübeleien. Der Pilot riss mich aus meinen Überlegungen.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, bestens. Sagen Sie, darf ich Ihnen eine Frage stellen, Herr ...?«
»Bitte, nenne mich bei meinem richtigen Namen: Sergej Orlof.«
»Ja gerne, ich werde es beherzigen. - Ich habe über die Zeichen auf dem Tisch nachgegrübelt, die lassen mir keine Ruhe. Wissen Sie etwas darüber?« Er meinte, ich solle abwarten, denn vieles löst sich nur gemeinsam. Dabei lächelte er geheimnisvoll. Na toll, wieder einer dieser schlauen Sprüche, die mir bisher noch keinen Deut weitergeholfen hatten.
»Danke, Sergej.«
»Gerne, Frau Amily.« Ich gönnte mir einen Schluck, sah, dass Alfons auf mich zusteuerte. Mir wäre lieber gewesen, wenn er mich in Ruhe gelassen hätte.
»Bitte, sag mir, wie habt ihr herausgefunden, dass diese Claire mit dem Syndikat zusammenarbeitet?«
»Ganz simpel. Regelmäßig wird jeder von uns überprüft, selbstverständlich auch dessen Konten. Bei Claire wurden Auffälligkeiten festgestellt. Mach dir keine Sorgen, Amily, Sie hat gestanden.« Ich nickte.
»Was passiert nun mit ihr?«
»Wir müssen das noch prüfen.« Alfons bat uns rasch an die Tafel zurück.
»Amily, du bist an der Reihe. Wärst du so nett, die Rolle zu öffnen und ihr die Dokumente zu entnehmen?« Vorsichtig löste ich die rote Kordel von Deckel und Rolle, legte sie auf den Tisch und schüttelte den Inhalt aus der Rolle. Nun hielt ich die Dokumente in meiner linken Hand, dabei verfing sich mein neuer Ring in einem der Symbole. Ich fluchte. Mit einem Zischen und Summen erschien über dem Tisch ein milchiger, durchscheinender, dreidimensionaler menschlicher Kopf, der gegen den Uhrzeigersinn unsere Gesichter scannte. Was war denn das, bitte? In meine Richtung schauend stoppte dieser und sprach:
»Hallo, Amily.«
»Oh, Shit!« Mir klappte die Kinnlade runter und ich stierte mit großen Augen auf die Erscheinung. Ich kannte die Frau, die weißen, streng frisierten Haare, die stechenden Augen ... Grundgütiger. Die Erinnerungen aus meiner Kindheit waren nicht allzu positiv. Ich schnappte nach Luft wie ein Goldfisch auf dem Trockenen.