Kitabı oku: «Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie», sayfa 4

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Anreise aus Niedersachsen

"Du trägst deinen Namen wahrlich nicht zu Unrecht" sagte Renate Fuchs zu ihrem Mann.

"Wie soll ich das verstehen" fragte Jürgen Fuchs grinsend zurück "beziehst du diese Aussage auf mein bestes Stück, oder auf meine Schläue?

"Such dir aus, was dir selbst am besten gefällt."

"Ich nehme beides. Weil wir gerade dabei sind, ist er dir immer groß genug gewesen?"

"Sag mal, spinnst du" empörte sich Renate Fuchs "hat es jemals Beschwerden gegeben? Nein. Also, das dürfte ja dann geklärt sein."

"Sagst du. Aber ich habe mal einen Fall bearbeiten müssen, da waren in einer Stadt drei Kerle im mittleren Alter in sehr kurzen Zeitabständen bestialisch umgebracht worden. Einem war die Kehle durchgeschnitten worden, der andere war offensichtlich mit einer Drahtschlinge erwürgt worden, und dem dritten hatte man das Genick gebrochen. Alle waren an relativ weit voneinander entfernten Orten aufgefunden worden, an den Tatorten waren alle Spuren verwischt beziehungsweise akribisch entfernt worden. Was hatten wir also in der Hand? Drei Männer mittleren Alters, alle verheiratet, Kinder, normaler bürgerlicher Hintergrund, beruflich ganz normal aufgestellt, keine Schulden, keine Drogengeschichten, alle absolut unauffällig. Der normale deutsche Spießbürger also. Es war 1978, da war ich gerade einmal 22 Jahre alt, ein absoluter Jungspund bei der Kripo. Um diese Zeit herum, also im Oktober 1977, hatte die "Rote-Armee-Fraktion" den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer entführt und umgebracht. Alle waren also sehr auf einen eventuellen politischen Hintergrund der Mordserie fixiert. Da haben wir uns die Opfer alle nochmal in Bezug auf ihre Biografien angesehen. Was soll ich dir sagen, alle waren Mitglied in der CDU."

"Na und, das warst du doch auch zu dieser Zeit. Es war auch damals schon klar gewesen, dass du ohne das richtige Parteibuch nicht vorankommen konntest. Je nach Zielrichtung hat man sich eben bei den Schwarzen oder den Roten politisch engagiert. Das waren damals noch wirkliche Volksparteien, heute sind das doch nur noch Vereine für gescheiterte Existenzen wie Studienabbrecher oder Hochstapler. Die Beispiele kennen wir ja alle. Und so was soll ein Industrieland führen, nach Arbeit im Callcenter oder Kaffeekocher bei einem Bundestagsabgeordneten. Aber erzähl weiter."

"Es war tatsächlich eine falsche Fährte. So sehr wir auch grübelten, diese Morde folgten keinem Muster, selbst die Tötungsart war vollkommen verschieden. Pass doch auf, du Rindvieh" brüllte Fuchs plötzlich los und stieg auf die Bremse "so ein dummes Schwein! Überhöhte Geschwindigkeit und dann noch in den Sicherheitsabstand hinein abbiegen. Den zeig ich an."

Renate und Jürgen Fuchs waren auf dem Weg zum Treffen der Sippe.

"Reg dich ab Jürgen. Das bringt doch nichts. Hast du Beweise? Kameraaufzeichnungen?"

"Ich habe dich als Zeugen."

"Ich habe nichts gesehen, erzähl weiter."

"Na gut, du musst wissen, einen Menschen umzubringen, ist nicht so einfach. Ich muss allerdings sagen, seitdem ich deinen Vater kenne, kann ich einige der Täter durchaus verstehen. Jedenfalls muss man schon sehr abgebrüht sein, einem den Hals durchzuschneiden, denn das ist eine ziemliche Sauerei. Hast du schon mal Bilder vom Schlachten gesehen? Oder man schleicht sich von hinten an einen ran, stülpt ihm eine Drahtschlinge über den Kopf, und zieht ruckartig zu. Stell dir mal ne Klavierseite vor. Der Kerl vor dir röchelt und zappelt rum, und du drehst ihm gerade den Lufthahn ab. Noch schlimmer muss es wohl sein, einem das Genick zu brechen. Weißt du wie laut das kracht? Und dazu braucht man wirklich viel Kraft. Ich hab dann in die Diskussion eingebracht, dass wir wohl einen kräftigen Typen suchen sollten, der vermutlich einen Job hat, in dem er mit Chemikalien in Berührung kommt. Wie ich darauf gekommen bin? Na die Tatorte waren allesamt von Spuren gesäubert worden. Und zwar ziemlich fachmännisch. Die älteren Kollegen haben mich ausgelacht. Dann hab ich mir noch mal die Obduktionsberichte angesehen. So vom Körperbau fielen die Opfer nicht aus dem Rahmen. Max Mustermann sozusagen. Dann hatte ich ein Detail gefunden, welches hätte wichtig sein könnte. Ich fuhr also in die Pathologie. Die drei Opfer lagen noch in den Kühlboxen."

Fuchs machte eine kurze Pause, weil sich vor ihm drei LKW gleichzeitig zu überholen versuchten.

"Alles verboten" sagte er "aber es hält sich doch keine Sau mehr an irgendwelche Regeln. Die Umgangsformen verlottern, es wird gleich gepöbelt, bei manchen Bevölkerungsgruppen sitzen die Messer locker. Als ich ein junger Mann war, da zählte noch Bildung, Disziplin, Fleiß und Höflichkeit. Davon ist nicht mehr viel übriggeblieben. Work-Life-Balance ist das Zauberort. Viel Kohle für wenig Ahnung und schlechte Leistung, aber maximale Freiheit und Freizeit. Manchmal kann ich der Merkel schon zustimmen: das ist nicht mehr mein Land."

"Jetzt erzähl nicht solchen Quark. Du warst bis vor kurzem in einer sehr herausgehobenen Position im Öffentlichen Dienst. Das ist doch verlogen, du warst doch über bestimmte Dinge am besten im Bilde. Aber das bringt alles nichts, wie wir zum wiederholten Male heute schon feststellen müssen. Also, wie ging es weiter?"

"Ich hatte immer einen Horror vor den Besuchen in der Pathologie gehabt. Schon der Geruch. Aber am schlimmsten waren die Typen dort. Nicht die Toten, die Lebenden. Alle hatten einen Sprung in der Schüssel. Aber einen mächtigen. Wer kuckt sich schon gern eine Wasserleiche an, die nach fünf Wochen gefunden worden ist? Eine hab ich mal gesehen, und hatte dann ein halbes Jahr Alpträume. Und wer offenbar höchste Befriedigung daran findet, einem Toten erst den Brustkorb aufzusägen und dann den gesamten Körper vom Hals mit dem Skalpell bis zum Unterbauch zu öffnen, und dann noch in dem Leib rumzuwühlen um die Organe rauszuholen, denkst du, dass der noch normal ist? Dort stank es ja immer mächtig nach Formalin, aber ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass die Typen, die dort arbeiteten, bis unter die Schädeldecke mit Drogen und Alkohol zugedröhnt waren. Anders konnte das ein normaler Mensch doch sonst nicht ertragen. Ich hab mir dann die drei Leichen in einen separaten Raum fahren lassen. Sie lagen nackt auf so komischen Pritschen. Was hättest du dir bei einem vor dir liegenden nackten Mann zuerst angesehen?"

"Wahrscheinlich das Gesicht."

"Aha. Der erste hat eine ganz übel klaffende Wunde an der Kehle. Dem zweiten hängt die Zunge aus seinem blau angelaufenen Gesicht aus dem Mund. Dem dritte ist der Kopf wegen dem Genickbruch fast ganz nach hinten gedreht. Und da willst du dir die Gesichter ansehen?"

"Na bei Toten vielleicht doch nicht."

"Ich sage dir jetzt drei Zahlen. 19, 23 und 20. Was könnte das bedeuten?"

"Die Länge der Schlüsselbeinknochen."

"Nein."

"Der Rippen."

"Auch nicht."

"Verrate es schon!"

"Nun, es war augenscheinlich. Alle drei vor mir liegenden Leichen hatten extrem lange Schwänze!"

"Gott bewahre" sagte Renate Fuchs "und das in diesem Zustand."

"Genau. Diese Kerle, die waren so zwischen 30 und 40, standen also höchstwahrscheinlich bestens im Saft. Und jetzt stell dir mal vor, die hätten ihre Dinger noch ausgefahren!"

"Jesus, die armen Frauen!"

"Das hatten wir uns auch gedacht. Also haben wir die Witwen verhört. Die waren zwar noch alle mächtig schockiert und durcheinander aber jammerten schon rum, dass mit der Bumserei jetzt wohl Schluss sein sollte. So haben sie es natürlich nicht gesagt, sondern von einem höchst befriedigenden Sexualleben gesprochen. Wir waren wieder auf dem Holzweg. Also hab ich mir wieder unsere Ermittlungsergebnisse vorgenommen. Ich kam nicht weiter. Drei Kerle mit Riesenschwänzen werden umgebracht. Am Tatort fehlen alle Spuren. Dann habe ich mir die Akten der Opfer nochmals angesehen. Ich wollte wissen, ob sie doch etwas gemeinsam hatten. Und siehe da, sie hatten ein gemeinsames Hobby: Hallenbahnschwimmen. In der Stadt gab es zwei Schwimmhallen. Also bin ich in meiner Freizeit dorthin gegangen. Ich wusste nicht, wonach ich suchen sollte. In der ersten Halle war mir nichts aufgefallen. In der zweiten aber hatte ich den Schlüssel zur Lösung des Falls gefunden. Als ich unter der Dusche stand, kam ein Typ in einem Blaumann durch den Raum gelatscht, und sah sich ziemlich ungeniert die nackten Kerle an. Dann verschwand er wieder. Als ich ein bisschen geschwommen war, ging ich zum Leiter des Hallenbades, hielt ihm meinen Ausweis unter die Nase und erfuhr den Namen des Mannes. In der Datenbank war er nicht auffindbar. Aber wir hatten seine Adresse. Ich besorgte mir einen Durchsuchungsbeschluss und war am nächsten Abend mit einer Kollegin vor seiner Wohnungstür. Er war ganz verdutzt und ließ uns rein. Sie befragte ihn zu allen möglichen Sachen, ich filzte die Wohnung. In der Abstellkammer fand ich eine Menge an Chemikalien. Da wusste ich, ich hatte ihn. Um es kurz zu machen, er hat dann alles gestanden. Als ich ihn nach dem Motiv fragte fing er an zu heulen. Er hätte eine Beziehung mit einer Frau gehabt, die ihn aber bald wegen einem anderen Kerl verlassen hatte. Er hatte sie einmal zusammen auf der Straße gesehen, und den Mann dann zufällig im Duschraum des Hallenbades wiedergetroffen. Was ihn bei dem Kerl aufgefallen wäre, du ahnst es ja, wäre eben dem sein extrem langes Ding gewesen. Und deswegen hätte er ihn und dann auch die anderen umgebracht."

"Und was hast du in den Tatbericht als Motiv geschrieben?"

"Penisneid."

Renate Fuchs lachte los und konnte sich kaum wieder einkriegen.

"War er wirklich so schlecht dran" fragte sie dann nach einer Weile.

"Ja, das war er" erwiderte Jürgen Fuchs "er kam auf 5 Zentimeter. Erigiert!"

"Oh Gott, die arme Frau."

Sie schwiegen eine Weile, dann fragte Renate Fuchs ihren Mann:

"Und wo ist jetzt der Bezug zu meinem Vater?"

"Es gibt da mehrere Aspekte" erwiderte ihr Mann "Kriminalarbeit umfasst Recherchen und Schlüsse. Fakt ist, dein Vater hat 1966 eine Spezialklinik in der Schweiz besucht. Da wart ihr Schwestern so um die zehn Jahre alt, natürlich mit Jahresabständen nach oben und unten. Diese Klinik war zu der Zeit auf Untersuchungen zur Fruchtbarkeit von Männern und Frauen spezialisiert. Die Schlussfolgerungen überlasse ich mal dir. Es steht auch fest, und das hat unsere Psychologin bestätigt, dass dein Vater vermutlich sehr darunter gelitten hat, dass er nur Töchter hatte. Sie meint, dass er in seinen eigenen Augen versagt hat, weil er keinen Stammhalter gezeugt hatte. Und daraus zieht sie die Schlussfolgerung, dass dein Vater euch Töchter vermutlich durchaus gern hat, aber seine Schwiegersöhne hasst. Und weißt du warum?"

"Nein, natürlich nicht."

"Weil er höchstwahrscheinlich einen Kurzen hat."

"Was für einen Kurzen?"

"Na eben einen kurzen Schwanz. Und er geht schon die ganzen Jahre davon aus, dass seine Schwiegersöhne einen Größeren haben. Aber das ist vielleicht gar nicht so wichtig. Die Psychologin meint, dass es sehr wahrscheinlich sein kann, dass irgendwo da draußen einer rumläuft, den dein Vater in der freien Wildbahn nach seinem Klinikbesuch oder sonst wann gezeugt haben könnte. Natürlich mit einer anderen Frau, als mit deiner Mutter. Ein Bastard, den er eventuell als Alleinerben einsetzen könnte."

"Gnade uns Gott, dann ist ja alles vorbei."

Fernsehabend

Henriette von Schwarzbach hatte wegen der chronischen Finanzmittelknappheit der Familie (die leider bis heute nie richtig unterbrochen worden war) nach ihrer Hochzeit keinen großen Spielraum bei der Wohnungseinrichtung gehabt. So saßen sie und Klaus-Rüdiger von Schwarzbach auf einem Sofa, welches sie beide seit nunmehr schon mehr als 40 Jahren ertragen musste. Manchmal hatten sich die Kinder früher auch zwischen sie gedrängt und Klaus-Rüdiger sagte sich in solchen Momenten, dass er es doch wohl gar nicht so übel getroffen hatte. Über die Jahre hin war sein Anteil an der Sitzfläche aber erheblich geschrumpft, weil Henriette erwartungsgemäß in der Breite zugelegt hatte. Im Gegenzug hatte ihre Körpergröße abgenommen. Von Schwarzbach erinnerte sich an die Versuche vor langer Zeit, die Gestalt seiner Gattin damals beschreiben zu können. Erst hatte er sich geschämt, einen Menschen so bezeichnen zu wollen, dann aber an seine Ausbildung in Althochdeutsch gedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass die deutsche Sprache schon immer einen sehr direkten Bezug zwischen dem Namen des Menschen und seinem Aussehen oder seinem Beruf hergestellt hatte. Deutsch sein hieß eben auch, nicht zimperlich zu sein. Wer Müller, Meier, Bäcker oder Schmied hieß, wusste, woran er war. Er war aber bei seinen Studien am Institut auf Namen gestoßen, deren Herkunft irgendeinen dunklen Hintergrund haben mussten. Wo kam Ficker her? Warum war jemand Holefleisch genannt worden? Wie hatte sich ein Hodenberg seinen Namen verdient? Verfügte Herr Möse über eben diese?

Irgendwie mussten sich die Vorfahren dieser Namensträger entweder mächtig danebenbenommen haben, oder die Namen hatten in der Zeit ihrer Entstehung einen ganz normalen Prozess widergespiegelt. Das Geld der Familie Schwarzbach hatte immerhin für das billigste IPad und einen Internetanschluss gereicht. Von Schwarzbach hatte den Namen Holefleisch interessant gefunden, und diesen in Google eingegeben. Zu seiner Verblüffung hatte er einen gewissen D. Holefleisch gefunden, der nach eigener Auskunft der Ehemann einer Bewerberin um ein höheres staatliches Amt war. Ihre Lieblingsfarbe war angeblich grün. Julius von Ficker war Diplomat im 19. Jahrhundert gewesen. Aber all dies hatte mit seiner damaligen Namensfindung für Henriette nichts zu tun. Er konzentrierte sich wieder. Einen Körperbau konnte man vielfältig beschreiben. Groß, klein, dünn, dick, schlank, fett, gedrungen, untersetzt, hochgewachsen, verkrüppelt, schön anzusehen, es gab etliche Möglichkeiten.

Was für ihn eine große Frage war, und vielleicht sollte er seine Forschungen darauf ausrichten, war, warum es nicht üblich erschien, den Körperbau einer Person allgemein zu "verdinglichen". Man tat das ja nur bei Extremwerten: "breit wie ein Schrank", "dürr wie ein Stecken", "schlank wie eine Gerte", "fett wie eine Sau". Wo blieben denn all die anderen möglichen Körperbeschreibungen? Und er sah auch die Möglichkeit, sich im elitären Kreis der Forscher des Althochdeutschen zu profilieren. Er würde das allerorten eingeführte "verdinglichen" mit seiner Variante substanziell verbessern. "Verbrauchsvergegenständlichen" empfand er als griffiger, besser beschreibend. Er hatte lange mit sich gerungen aber dann entschieden, dass er seine damals für Henriette gefundene Bezeichnung als Example in die Fachdiskussion einführen würde. Ein Kasten, eine Kiste, ein Karton, warum sollte das nicht geeignet sein, körperliche Merkmale zu beschreiben. Er war mit diesem Thema noch nicht ganz durch und schaute auf den Fernseher. Es war ein Panasonic Röhrenfernseher, denn er kürzlich erst bei Ebay für 20 Euro geschossen hatte.

"Ich finde den Klaus Klepper süß" erklärte Henriette "der erklärt einem die ganzen Sachen so, dass man gar nicht mehr drüber nachdenken muss. Der kuck zwar immer so böse, wenn er von den Feinden der Demokratie spricht, aber der hat's sicher auch nicht leicht."

"Dieser Klepper ist sicher kein Feind der Demokratie, aber einer der deutschen Sprache. Und deswegen bekommt er von mir null Punkte."

"Wie meinst du das?"

"Ist dir vielleicht schon mal aufgefallen, dass dieser Herr, wenn er von Männern und Frauen spricht, irgendwie ins Stottern gerät?"

"Nicht richtig."

"Na gut. Dieser Klepper verwendet den sogenannten Glottischlag, auch als Knacklaut bekannt. Er will damit Wörter oder Silben trennen."

"Ist das schlimm?"

"Das kommt darauf an, wie man das sieht. Ich als Germanist lehne das vehement ab."

"Das verstehe ich nicht."

"Ich gebe dir ein Beispiel. Ich sage zu dir, du bist eine Bürgerin. Ich bin ein Bürger. Deine Bezeichnung ist weiblich, meine männlich. Wenn der Klepper Bürger sagt, jetzt kommt der Schlag und die Sprechpause, und danach innen sagt, klingt das ja wie Bürgerinnen. Oder?"

"Ja."

"Ich bin aber keine Bürgerin, sondern ein Bürger."

"Aber Klaus-Rüdiger, ist das schlimm?"

"Vielleicht nicht, aber es vergewaltigt die Sprache."

"Vergewaltigen" lachte Henriette anzüglich "wie wäre es denn mal wieder?"

"Ach weißt du, ich hatte nur Stress auf Arbeit und ich bin richtig kaputt. Ich bin da an einer ganz großen wissenschaftlichen Sache dran, und gehe jetzt lieber ins Bett. Morgen früh ruft die Pflicht wieder. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich in den Seilen hänge, im Hamsterrad eingesperrt bin. Ich geh dann mal lieber."

"Na gut, ich kuck noch n bisschen "Süße Haustiere in China."

Zweiter Anlauf zum E-Auto-Kauf

Frank Krause hatte den Schock aufgrund seines Besuches im Autohaus bei Auwi mittlerweile überwunden. Dazu hatte vor allem sein sensationeller Erfolg der Darstellung des Führers Adolf Hitler am hauptstädtischen Theater beigetragen. Immer, wenn viel Prominenz im Theater saß, lief Krause zur Höchstform auf. Er hatte sich so tief mit der Rolle identifiziert (weil er wusste, wenn er Hitler so gab, wie von der Staatsführung erwünscht, könnte er noch weiter in der Riege der Staatsschauspieler aufsteigen), dass er sich öfter einmal prüfend an den Sack faste, ob darin noch zwei Eier wären. Gerüchte besagten, dass Hitler 1916 bei der Schlacht an der Somme einen Hoden eingebüßt hätte. Das war zwar nur ein Detail, aber für Krause als Künstler keineswegs vernachlässigbar. Er wollte den Diktator in allen Facetten darstellen. Anhand des fehlenden Hoden wollte er die innerliche Zerrissenheit von Hitler zeigen, der vermutlich durch das verlorengegangene Ei Minderwertigkeitskomplexe entwickelt, und deswegen einen Weltkrieg vom Zaun gebrochen hatte. Auf der anderen Seite gab der Führer ja gern den großen Zampano, dem keiner das Wasser reichen konnte. Krause hatte viele Stunden damit verbracht darüber nachzudenken, wie er sich denn fühlen würde, wenn in seinem Sack die Hälfte des Inhalts fehlen würde. Mental höchstwahrscheinlich nicht gut, anatomisch vermutlich nicht groß anders. Jedenfalls war er zu dem Entschluss gekommen, die Rolle des Führers als ein ständig an sich selbst zweifelndem und mit dem Schicksal hadernden Menschen anzulegen. Die ganze perfide Bösartigkeit Hitlers wollte er mit einem deutlichen darstellerischen Fingerzeig klarmachen: in Phasen der Unsicherheit, des Stresses, der Verzweiflung, würde er sich mit der rechten Hand immer wieder ans Gemächt fassen und am Sack kratzen. Krause hatte einen Sinn für Symbolik. Eine nach unten gerichtete rechte Hand, die den Sack immer wieder abtastete (um das Verlusterlebnis kompensieren zu können), würde eine innerliche Kapitulation bedeuten, da der hochgerissene rechte Arm ja eigentlich dem Hitlergruß vorbehalten war. So wie noch nie, hatte sich Krause in eine Rolle hineinbegeben, nein: er war auf der Bühne der dämonische Hitler selbst.

Als er zur Premierenvorstellung gefahren war hatte er im Autoradio einen Beitrag eines gewissen "Hubert Heil" gehört, der ganz offensichtlich eventuell nicht ganz arbeitsfähige Menschen in eine Beschäftigung zwingen wollte. Krause war ja in politischen Dingen sehr vorsichtig, aber dieser "Hubert Heil" war scheinbar nicht weit weg von der Anwendung von Methoden, die zu Hitlers Zeiten üblich gewesen waren. Das konnte er nicht gutheißen. Entsprechend kämpferisch war er in den Auftritt gegangen und die Vorstellung war seine bisherige Sternstunde am Theater gewesen. Dass er in der letzten Szene statt "Heil Hitler" "Heil Hubert" gerufen hatte, war nicht aufgefallen, weil der Schlussapplaus alles zugedeckt hatte.

Nach diesem Triumph konnte er wählerisch sein.

Aber er wollte eben auch sein Engagement für das Klima in die Öffentlichkeit tragen.

Er sprach mit seiner Frau Gisela, ob sie ihn nicht zu einem Autohaus begleiten könnte.

"Wenn ich dir helfen kann, warum nicht" hatte sie gesagt.

Nach dem Desaster bei Auwi hatte er sich nochmals über andere Anbieter informiert, und war doch bei V-R fündig geworden. Was diese Leute versprachen, war sensationell. Ein klein bisschen Skepsis hatte er doch, er konnte sich noch an diese Abgasgeschichte erinnern. Aber eventuell hatten die Typen etwas aus dieser Katastrophe gelernt.

"Natürlich stehen wir bei Volks-Rasen für höchste Transparenz" hatte der Verkäufer erklärt "unsere Unternehmenskommunikation ist offen und ehrlich, wir wollen ja den Customer mit ins Boot holen."

"Den was" fragte Frank Krause verwirrt "warum mit ins Boot, ich will ein Elektroauto kaufen und keine Yacht."

"Nun, das war sinnbildlich gemeint. Sich aufs Meer zu wagen hat immer mit Abenteuer und Entdeckerdrang zu tun und kann gefährlich werden, fordert also den ganzen Mann heraus. Da muss man sich bewähren, Mut zeigen, vorangehen, darf nicht zaghaft sein. So wie wir bei Volks-Rasen, die die Hochtechnologie in unserer Branche vorantreiben."

"Jetzt hören Sie mir mal zu junger Mann" schaltete sich Gisela Krause ein "ihre machohafte Werbeprosa können Sie stecken lassen. Durch ihre Sprüche diskriminieren Sie eine enorm große Bevölkerungsgruppe. Wissen Sie, wen ich damit meine?"

"Die Afrikaner?"

"Wieso die Neger" wunderte sich Frank Krause, überlegte einen Moment und sagte dann:

"Doch, Sie haben recht. Afrika platzt doch aus allen Nähten, weil die dort wie die Karnickel schnackseln. Wenn die alle hierher kommen ist endgültig Schicht im Schacht. Ich hab mal gehört, dass die jetzt 1,3 Milliarden sind. Und es werden jede Woche hunderttausend mehr. Wir hier sind so n bisschen mehr als 80 Millionen. Und Strom haben die vielleicht auch nicht so viel. Und solche Stromtankstellen."

"Ladestationen."

"Ach ja, stimmt. Kann ich auch noch Benzin tanken?"

"Nur mit einem Hybriden."

"Was für ein Ding?"

"Ein Hybrid, der fährt mit Treibstoff oder wechselweise mit Batteriestrom."

"Aber ich will ein Elektroauto kaufen. Ich komm jetzt ganz durcheinander" sagte Krause.

"Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet" wandte sich Gisela Krause an den Verkäufer.

"Aber Ihr Gatte hat mir doch meine Vermutung bestätigt."

"Ja, klar. Kerle halten immer zusammen, oder? Sie denken wohl gar nicht an uns Frauen? Die sind Ihren Auffassung nach wohl immer noch zu blöd, um ein Auto einparken zu können?"

"Keineswegs, keineswegs" versicherte der Verkäufer "wir bei Volks-Rasen legen größten Wert auf ein gesundes Verhältnis von Männern und Frauen auf allen Ebenen des Unternehmens. Und wir sind ganz groß in der Diversity."

"In der was" fragte Frank Krause erneut verwundert.

"In der Diversity. Wir beschäftigen Homosexuelle, Queere, Transgender, alle Geschlechter, wir sind bunt."

"Moment mal" sagte Krause "ich habe Kinder und Enkel und bin kein Jungspund mehr. Was ist ein "Queerer"?"

"Nun, um es kurz zu sagen, dass sind Personen, die sich nicht ganz klar sind, ob sie Mann oder Frau sind."

"Wie bitte? Warum ist das denen nicht klar? Wenn die mal ihre Hosen oder Röcke runterziehen müssten die doch eigentlich genau sehen können, ob sie einen Pullermann oder eine Muschi haben."

"Das soll wohl nicht ganz so einfach sein."

"Da stimmt doch was nicht" regte sich Krause auf "Sie beschäftigen hier also Personen, denen nicht klar ist, ob sie Männlein oder Weiblein sind?"

"Nein, bei uns nicht."

"Da bin ich ja erst mal beruhigt. Aber ich möchte Ihnen jetzt mal was sagen. Ich bin Schauspieler und gebe viele Rollen in historischen Stücken. Kennen Sie mich, und was wissen Sie über "King Lear"?"

"Ähm, leider kenne ich Sie nicht. "King Lear" klingt nach einem Rollenspiel. Ich habe eins, da bewegt man am PC verschiedene Charaktere wie Ritter, Paladine, Zauberer und Barbaren rundenbasiert auf Hexfeldern. Man muss seine Gegner besiegen, dann steigt man auf. Das Spiel heißt "King's Bounty"."

"Ich weiß nicht, was das mit "King Lear" zu tun haben sollte, da gibt es keine Zauberer. Es ist ein sogenanntes Doppeldrama von Shakespeare. Schon mal gehört von dem Kerl? Passen Sie jetzt mal auf."

Frank Krause warf sich in Pose und deklamierte:

"Ein wunderbares Hintertürchen für den Hurenbock Mensch, seine geißbockgeile Veranlagung einem Stern anzulasten!"

"Na, was sagen Sie dazu" fragte er den Verkäufer "noch eine Kostprobe?"

"Einem Stern" fragte der Verkäufer "meinen Sie etwa die Konkurrenz? Die Autos mit dem Stern?"

"Keine Ahnung was Sie damit sagen wollen, soll ich fortsetzen?"

Der Verkäufer nickte nur stumm.

Frank Krause kam langsam in Wallung.

Seine kräftige Bassstimme dröhnte durch das Autohaus.

"Widernatürlicher, verabscheuungswerter, viehischer Schuft!"

Eine Minute später kam ein Mann zu den Krauses und dem Verkäufer.

"Einen schönen guten Tag bei Volks-Rasen, mein Name ist Detlef Geh, ich bin der Niederlassungsleiter. Kann ich irgendwie behilflich sein? Gibt es etwa Probleme, Herr Schneider?"

"Nein, nein, Herr .., ähm .."

"Krause, Frank Krause, Staatsschauspieler."

"Ich bin hocherfreut, Herr Krause, Sie hier bei uns bei Volks-Rasen begrüßen zu dürfen. Eine große Ehre für uns."

"Jetzt reicht es mir aber langsam" wurde Gisela Krause laut "ich bin wohl Luft für Sie, weil ich eine Frau bin? Das ist eine Unverschämtheit, eine Diskriminierung! Wie war Ihr Name? Gay? Wie schwul?"

"Nein, Geh, wie Gehen."

"Sind Sie verheiratet, Herr Geh?"

"Ich weiß nicht, was das mit einem Verkaufsgespräch zu tun haben könnte, ob ich nun verheiratet bin oder nicht."

"Also?"

"Ich bin nicht verheiratet."

"Aha, aha."

"Wie meinen Sie das, dieses Aha?"

"Nun, ich denke mir da meinen Teil" erwiderte Gisela Krause anzüglich "und Ihr Gestus und Habitus lässt mich da einiges vermuten."

"Ich als Charakterschauspieler muss meiner Frau beipflichten" schaltete sich Frank Krause wieder in das Gespräch ein "und meine langjährige Erfahrung sagt mir, dass bei Ihnen einiges im Argen zu liegen scheint. Eine tragende Rolle als Mann würden Sie von mir niemals bekommen. Schauen Sie sich doch einmal selbst an. Sie stehen da wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Sie haben Null Körperspannung. Außerdem sind Ihre Arm- Handbewegungen seltsam weich, gar nicht kraftvoll. So wie fließend, als wollten Sie die Luft liebkosen. In Ihrem Gesicht sehe ich Rückstände einer Creme. Sie verwenden ein feminines Parfüm. Und Ihre Sprache entlarvt Sie dann endgültig. Wissen Sie, ich bin ein sehr wandlungsfähiger Schauspieler. Und etliche meiner Kolleginnen und Kollegen am Theater oder beim Ballett haben sich vor kurzen erst öffentlich geoutet, dass sie eben andersrum sind. 185 Leute. Das ist nur die Spitze des Eisbergs! Der von mir geschätzte Udo Mutthes hat in "Der Untergang" den Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels gespielt. Wenn das der Goebbels gewusst hätte! Ein Schwuler stellt ihn dar! Der hätte sich doch nie wieder eingekriegt! Ich habe solche Probleme ja nicht, deswegen ist mir die Rolle des Führers Adolf Hitler auch regelrecht auf den Leib geschrieben. Sogar die Staatsführung hat mir heftig applaudiert. Und das will schon was heißen! Herr Gay, stehen Sie zu Ihrer Veranlagung! Es ist keine Schande, und in den Knast müssen Sie deswegen auch nicht mehr. Aber Reisen in muslimisch dominierte Länder sollten Sie tunlichst unterlassen. Wobei, von diesen Leuten haben wir mittlerweile ja auch mehr als genug bei uns. Also, knutschen Sie nicht in der Öffentlichkeit mit ihrem Kerlchen rum, das könnte böse Folgen haben. Können wir jetzt wieder über so ein Elektroauto reden?"

Detlef Geh hatte sich wieder etwas gesammelt und wollte Krause das momentan am besten verkaufte Fahrzeug vorstellen, da ergriff Gisela Krause noch einmal das Wort.

"Bevor wir dazu kommen habe ich eine abschließende Frage an Sie, Herr Geh. Wie viele Frauen arbeiten hier?"

"Ähm, ähm, keine."

"Auch nicht an der Rezeption?"

"Nein. Leider konnten wir keine geeignete Kandidatin finden."

"Seien Sie doch mal endlich ehrlich, Sie wollten sie gar nicht finden!"

"Nein, das stimmt nicht. Ich habe die Bewerbungsgespräche persönlich als Niederlassungsleiter geführt."

"Jetzt wundert mich gar nichts mehr. Gerade Sie als Homosexueller führen Bewerbungsgespräche mit Frauen. Klar, dass die Weiber da keine Chance hatten. Diese blöden Tussis könnten ja die schwüle warme Atmosphäre in Ihrem Männerladen hier stören. Und Sie erzählen uns was über Diversity! Sie, Herr Schneider, wie sieht es denn bei Ihnen aus?"

"Wie meinen Sie das?"

"Na ich möchte gern wissen ob Sie verheiratet sind. Aber ich kann mir die Frage sicher gleich selbst beantworten: nämlich natürlich nicht."

"Das stimmt. Ich bin gerade mal 26, da hab ich doch wohl noch Zeit genug, eine Frau zu finden."

"Mein lieber Herr Schneider" meldete sich Frank Krause wieder zu Wort "die Messen sind doch schon längst gesungen. Der Mensch wird in seiner Kindheit geprägt. Vor allem durch sein Wohnmilieu. Der große Heiner Muller hat mal von "Fickzellen mit Fernheizung" gesprochen. Er meinte damit die Plattenbausiedlungen im Osten. Wo sind Sie aufgewachsen?"

"Hier, in unserer Stadt."

"Und in welchem Stadtteil?"

"Ähm, in der Westvorstadt."

"Das hatte ich befürchtet" sagte Gisela Krause "die Hartz-IV-Hochburg, Drogen- und Kriminalitätsschwerpunkt, heruntergekommene Gebäude, Perspektivlosigkeit. Und Sie wohnen noch immer dort?"

"Ja, leider. Es ist verdammt schwer, hier in der Gegend bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und so doll verdiene ich hier auch nicht."

"Dann müssen Sie eben mal den Finger aus dem Arsch nehmen, Schneider, und nicht bloß den ganzen Tag hier so faul herumsitzen" fuhr Detlef Geh den Verkäufer an "es liegt an Ihnen ganz allein, wieviel Sie hier verdienen!"

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