Kitabı oku: «Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 3», sayfa 3

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Havarie auf der Elbe

Frieder Bergmann wusste, dass er das Hausboot ohne Boots-Führerschein steuern durfte und vor Ort dann nach einer kurzen Einweisung selbst das Ruder in die Hand nehmen würde. Da er vor neuen Herausforderungen immer ziemlich aufgeregt war wollte er im Vorfeld des Urlaubs schon etwas Seeluft schnuppern und idealerweise einem Steuermann über die Schulter schauen. Dazu bot sich eine Dampferfahrt am Wochenende mit der „Weißen Flotte“ an, denn er ging davon aus, dass auf der Elbe ähnliche Bedingungen wie in den mecklenburgischen Gewässern herrschen würden, also flaches Wasser und eine geringe Strömungsgeschwindigkeit. Nachdem er eine Karte gekauft hatte ging er an Bord des relativ großen Dampfers und mischte sich unter die Touristen, die sich auf den Decks und an den Relings drängten. Die Tour würde in die Sächsische Schweiz führen. Das Bootsführerhaus thronte auf dem Oberdeck und der Steuermann hatte offensichtlich einen hervorragenden Blick aus dem rundum verglasten Stand. Der Mann schien um die 60 Jahre alt zu sein und sein buschiger und grauer Vollbart ließ ihn wie ein mit allen Wassern gewaschenen Seebären wirken, die schmucke Uniform mit den silbernen Streifen an den Ärmeln und die weiße Mütze komplettierte sein Aussehen. Jetzt ließ er die Dampfpfeife gellen: der Befehl zum Ablegen. Ein Mann an Land warf eine Trosse auf das Schiff und der Mann im Bootsführerhaus wirbelte das Steuer durch seine Hände, um es einen Moment später wieder festzusetzen. Bergmann konnte ihn dabei beobachten, denn er hatte sich direkt neben den Stand begeben und konnte somit genau sehen, was der Mann tat. Die Bedieneinrichtungen schienen nicht allzu kompliziert sein, neben dem Steuerrad war noch ein Maschinentelegraph zu erkennen, von der Decke baumelte ein Strick für die Betätigung der Dampfpfeife herab und einige Instrumente zeigten wohl Dampfdruck und Geschwindigkeit an. Mit sparsamen Bewegungen steuerte der Bootsführer das Schiff in die Mitte des Flusses und ein Stück vor der näherkommenden Brücke öffnete er die Frieder Bergmann zugewandte Seitenscheibe des Führerstandes, wohl um bessere Sicht zu bekommen. Konzentriert starrte der Mann nach vorn und Bergmann ihn seinerseits unverwandt an. Mit wenigen Drehbewegungen am Steuerrad zirkelte der Mann den Dampfer genau in die Mitte zwischen zwei Brückenbögen, nach oben blieb nur wenig Luft. Als die Brücke passiert war nickte Frieder Bergmann dem Mann zu und zeigte ihm seinen nach oben gerichteten Daumen: tolle Leistung. Der andere grinste geschmeichelt zurück, dann widmete er sich wieder seiner Arbeit. Ab und an schaute er auf die Anzeigen vor ihm, dann nahm er lässig in einem scheinbar bequemen Sitz mit Armlehnen Platz und da der Fluss jetzt ein ganzes Stück schnurgerade durch die Landschaft führte arretierte er das Steuerrad mit einer stählernen Klammer, die er aus dem Pult vor ihm herausgeklappt hatte. Da der Bootsführer momentan beschäftigungslos war stand er auf, steckte seinen Kopf wieder an Bergmanns Seite heraus und stopfte sich eine Tabakspfeife in den Mund, beflissen kramte Frieder Bergmann ein Feuerzeug aus der Tasche und ließ es aufflammen. Der Mann paffte ein paar Züge, dann war der Tabak entzündet.

„Sie haben ja ein sagenhaftes Gespür für das Schiff“ sagte Bergmann „also wie Sie durch die Brücke durchgekommen sind, das war ganz großes Kino.“

„Kleine Fische“ antwortete der Bootsführer trocken „ich bin früher durch den Panamakanal durchgefahren, da blieben an den Seiten gerade mal 50 Zentimeter bis zu den Bordwänden, das war Maßarbeit.“

„Sie waren richtig auf großer Fahrt“ fragte Bergmann wissbegierig.

„Das will ich meinen, ich habe alle Ozeane gesehen, bin 35 Jahre auf allen möglichen Dampfern als Steuermann gefahren. Was denken Sie, was ich alles erlebt habe. Stürme, Havarien, den einen Ruderversager werde ich nie vergessen, wir sind ganz knapp an einem Supertanker vorbeigekommen, nur dank meiner Reaktionsfähigkeit, und weil ich mit den Maschinen steuern ließ. Ich könnte Ihnen stundenlang Geschichten erzählen.“

„Und hier auf dem Schiff fühlen Sie sich wohl? Ist das für einen Experten wie Sie nicht ein Kaliber zu klein?“

„Das schon, diesen Kahn hier steuere ich mit der linken Arschbacke. Aber meine Frau hat mich damals gezwungen mit der Seefahrerei Schluss zu machen, was will man da schon tun? Allerdings nehme ich mir im Sommer ein, zwei Wochen frei, da vermiete ich in Mecklenburg Hausboote und schippere selbst ein bisschen rum, ich sage Ihnen, wenn man einmal Seemann war kommt man nicht mehr davon los.“

„Können Sie mir vielleicht mal zeigen, wie Sie das Schiff steuern“ bettelte Frieder Bergmann.

„Kommen Sie rein, aber unauffällig.“

Frieder Bergmann schlüpfte zur Tür hinein und stellte sich neben den Bootsführer. Dieser kurbelte lässig an seinem Steuerrad, der Fluss wand sich jetzt nach rechts.

„Obwohl das hier für mich ein Kinderspiel ist muss man enorm aufpassen“ erklärte der bärtige Mann „da ist zum einen die Reaktion des Schiffes in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit zu berücksichtigen, dann muss man immer das Echolot und die Markierungstonnen im Auge behalten und besonders wichtig ist die Beobachtung der Entgegenkommer. Da ist mir doch mal einer – ein alter Frachtkahn – direkt vor den Bug gelaufen. Was sollte ich tun? Wäre ich weiter gefahren hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben: er rammt mich oder ich weiche aus und setzte das Schiff auf den Grund. Also, was habe ich getan? Volle Kraft zurück und das Schiff sozusagen mit dem Heck voraus aus der Gefahrenzone gebracht, das war ein Meisterstück!“

„Nein“ staunte Bergmann „was nicht alles passieren kann.“

„Ja, hier kann nur ein ganzer Kerl bestehen. Es braucht schon erhebliche Kraft das Steuer zu bewegen. Probieren Sie mal, aber vorsichtig.“

Frieder Bergmann trat unsicher an das Steuerrad und versuchte es ein Stück nach links – also zur Flussmitte hin - zu drehen. Mit höchster Mühe konnte er es ein wenig bewegen, es fühlte sich an, als ob er an Eisenketten zerren würde.

„Da staunen Sie, was“ lachte der Bootsführer „das ist hier nicht so wie auf den modernen Kähnen wo man das Steuer mit einem Finger bedienen kann oder wo die Leute schon mit einem Joystick arbeiten. Das hier ist noch richtige Männerarbeit. Und jetzt überlegen Sie mal wie schwierig es ist, die Reaktion des Schiffes vorauszuahnen und genau die richtige Kraft einzusetzen um die optimale Ruderlage zu erreichen. Sie müssen nämlich wissen, dass ich meine Ruderbefehle so setzen muss, dass sie am Bug wirksam werden. Das bedeutet, dass ich immer vorausschauend agieren muss, weil eben die Richtungsänderung vom Heck ausgeht, verstanden?“

Bergmann nickte.

„Was passiert, wenn ich das Ruder mittschiffs lege“ fragte der Bootsführer.

„Fahren wir gerade aus.“

„Richtig. Und wenn es auf Backbord liegt?“

„Drehen wir nach rechts“ vermutete Bergmann.

„Nach links“ korrigierte der Steuermann.

„Und wieso passiert das“ wollte er noch wissen.

„Na das ist wie beim Auto“ versuchte sich Frieder Bergmann an einer Erklärung „ich schlage eben die Räder ein, hier ist es das Ruder.“

„Falsch, das Ruder ist die Einrichtung eines Fahrzeuges, die zur Richtungsänderung dient, indem es Drehmomente aus dem umströmenden Medium erzeugt“ dozierte der Seemann „aber das ist für Sie sicher unverständlich.“

Frieder Bergmann nickte kleinlaut, jetzt ging es offensichtlich um Physik und da hielt er sich lieber zurück, da er von diesen Dingen keinen blassen Schimmer hatte.

„Aber jetzt sollen Sie Ihren Spaß noch einmal haben“ sagte der Bootsführer „los, steuern Sie um diese Biegung, ich gebe volle Fahrt voraus, das macht schöne Wellen.“

Er schob den Maschinentelegraphen nach vorn und drängte Bergmann hinter das Steuer. Die Ruderanlage des Dampfes entsprach noch ihrem Originalzustand von 1895, zwar war sie regelmäßig gewartet worden aber ihre Konstruktion über Steuerketten bedingte bekannter weise erheblichen Krafteinsatz. Kurz vor dem Ruder war die Konstruktion in Inneren des Dampfers so gestaltet, dass jeweils links und rechts ein Begrenzer aus Stahl dafür sorgte, dass es zu keinen übermäßigen Ruderausschlägen kam. Frieder Bergmann wollte sich keineswegs blamieren und stellte sich mit gespreizten Beinen hinter das Steuerrad. Er atmete tief durch und packte entschlossen zu. Anders als der Bootsführer, der mit seiner jahrelangen Erfahrung genau das richtige Gefühl für die Ruderlagen entwickelt hatte, besaß Bergmann zwangsläufig keinerlei Vorstellung davon, wie man eine elegante Ruderbewegung erreichen konnte. Also zerrte er aus Leibeskräften am Steuerrad und dieses pfiff unverhofft leicht durch seine Hände, als er noch mehr Kraft aufwendete schwang das Ruder bis an den Begrenzer heran und der damit einhergehende Widerstand verunsicherte Bergmann ordentlich, denn er ging jetzt davon aus, dass er zu wenig Ruder gelegt hatte. Mit einer ruckartigen Bewegung versuchte er das Ruder weiter zu drehen und da er sich nun mit dem ganzen Körper in die Bewegung legte erzeugte er eine Kraft, der der Begrenzer nicht mehr gewachsen war, krachend abbrach und das Ruder nunmehr extrem weit ausschlug. Das war für den Bootsführer noch nicht erkennbar, denn dieser erfreute sich gerade daran, dass schöne Wellen durch die hohe Geschwindigkeit entstanden und einige Schaulustige am Ufer bespritzten. Der Maschinist am Dampfkessel schreckte hoch als er hörte, dass etwas im Heckbereich des Schiffes abbrach, verließ seine Station und eilte an Deck um die Ursache zu ergründen. Bergmann indes wollte seinen Fehler korrigieren und kurbelte wild in die andere Richtung, das Schiff drehte jetzt nicht mehr nach rechts sondern nach links und als der Bootsführer dies mitbekam stieß er Frieder Bergmann von Steuerrad weg, griff selbst in die Speichen und drehte wieder in die andere Richtung. Er wusste natürlich nicht, dass der Begrenzer abgebrochen war und war selbst erstaunt über die Möglichkeit, das Steuerrad so weit zu bewegen. Während er noch über diese Tatsache nachgrübelte und ungläubig auf den Ruderlagenanzeiger schaute entging ihm, dass der Bug des Schiffes weit auf die Flussmitte zu schwang und das mit voller Kraft laufende Fahrzeug sich schon bedenklich dem Ufer näherte. Als er dies bemerkte wollte er seinen alten Trick von früher anwenden und riss den Hebel des Maschinentelegraphen sofort auf „Volle Kraft zurück“, doch die Bestätigung aus dem Maschinenraum blieb aus, da sich der Heizer immer noch auf dem Deck aufhielt.

Jetzt ging dem Bootsführer auf, dass er sein Schiff in der nächsten halben Minute auf Grund setzen würde und wollte sich Bergmann schnappen, dieser war aber bereits heimlich und schnell aus dem Steuerstand verschwunden und versteckte sich in der Menge der aufgeregten Passagiere in Inneren des Schiffes. Als sich der Bug in den felsigen Untergrund des Flusses bohrte wurde die kinetische Energie des Schiffes sofort aufgehoben, mit einem widerlichen Kreischen stoppte das Wasserfahrzeug und durch den Aufprall wurden etliche der Passagiere von den Beinen gerissen, sämtliche auf den Tischen stehende Gegenstände – Teller, Tassen, Biergläser und anderes mehr – machten sich selbstständig und fielen auf den Boden und die dort liegenden Fahrgäste. Jetzt kam Panik auf und Gebrüll wurde laut, die Menschen drängten hastig zu den Ausgängen und Bergmann ließ sich einfach mittreiben, in der Menge verborgen fühlte er sich sicher. Mittlerweile war der Maschinist wieder auf seinen Posten zurückgekehrt und sah den Maschinentelegraphen auf „Volle Kraft zurück“ stehen, in der Hektik führte er diesen Befehl nunmehr aus und die Schraube drehte wild schäumend rückwärts. Es ruckte wieder und der Schiffskörper erzitterte, dann kam das Fahrzeug los und trieb auf den Fluss zurück. Jetzt drangen Schreie vom Heck nach vorn, denn in weniger als 200 Metern Entfernung näherte sich ein Frachtprahm. Der Bootsführer kurbelte wie von Sinnen am Steuerrad, legte den Maschinentelegraphen auf „Volle Kraft voraus“ und schaffte es gerade noch, vor dem Prahm wieder auf Kurs zu kommen. Langsam vergrößerte sich der Abstand der Schiffe und zwei Frauen vom Servicepersonal machten klar Schiff, indem sie die zu Bruch gegangenen Gegenstände zusammenfegten. Der Bootsführer meldete sich über die Lautsprecheranlage.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch einen technischen Defekt hatten wir eine leichte Grundberührung, aber keine Sorge, wir sind weiterhin seeklar. In 5 Minuten erreichen wir unseren Zielort, ich wünsche Ihnen noch gute Erholung in der schönen Landschaft. Es wäre mir eine Freude, Sie wieder einmal an Bord begrüßen zu dürfen.“

Frieder Bergmann war sich sicher, dass der Showdown kurz bevorstand. Souverän legte der Bootsführer an, der Maschinist machte die Leinen fest und ließ noch niemand von Bord gehen. Der Bootsführer kam aus seinem Stand heraus und platzierte sich genau am Ausgang des Schiffes, sein Plan war klar: er wollte sich Bergmann vorknöpfen. Dieser drückte sich im hinteren Bereich des Dampfers herum und versuchte verzweifelt einen Ausweg aus dieser verkorksten Situation zu finden, momentan hatte er noch keine Idee und es stand fest, dass er über die Stelling nicht verschwinden konnte, denn dort stand der Bootsführer und kontrollierte jeden an Land gehenden Gast. Am Ufer drängten sich etliche Leute die jetzt die Rücktour unternehmen wollten. Kopflos sagte sich Frieder Bergmann, dass er weder jetzt noch später, wenn der Dampfer wieder an seinem Ausgangspunkt anlegen würde, ungeschoren verschwinden könnte und wie um Zeit zu gewinnen stieg er vollkommen durcheinander über eine Leiter zur Dampfmaschine hinunter, der Maschinist stand ja mit dem Bootsführer noch am Ausgang. Unten angekommen schaute Bergmann sich gehetzt um, Richtung Heck sah er links und rechts jeweils eine eiserne Tür und drückte zuerst die linke auf. Dort sah er eine kleine Werkstatt, hinter der rechten wurde Koks gebunkert: das Material für die Feuerung der Dampfmaschine. Klirrende Leiterstufen zeigten an, dass der Maschinist wieder seinen Arbeitsplatz besetzen wollte und Frieder Bergmann verlor jetzt vollständig die Kontrolle über seine flatternden Nerven, mit einem Satz war er hinter dem Kokshaufen verschwunden aber realisierte noch, dass der Heizer sicher ab und an Nachschub an Brennmaterial holen müsste.

Kurz entschlossen sprang er hinter den Berg, warf sich auf den Boden und bedeckte sich so gut es ging noch mit Koks. Er hörte, dass der Heizer die Klappe des Dampfkessels öffnete und Koks hineinschaufelte, dann knallte der Verschluss wieder zu und der Maschinist hatte offensichtlich Zeit für eine Pause. Bergmann lauschte angestrengt und bekam mit, dass der andere Mann offensichtlich eine Flasche öffnete, denn nach einigen deutlich vernehmbaren gierigen Schlucken rülpste dieser röhrend und ließ einen donnernden Furz fahren. Dann schien er sich seine Schaufel zu greifen und weiterzumachen, denn der Koksberg geriet in Bewegung, als der Mann sein Arbeitsmittel in den Haufen stieß.

„Noch vier Schippen, das reicht dann bis nach Hause“ brabbelte er vor sich hin „Scheißschaufelei, ich hab‘ vielleicht die Schnauze voll, noch n Bierchen könnte mir jetzt gut tun.“

Wieder trank er hastig und quittierte den Kohlensäuregehalt des Bieres mit einem weiteren Rülpser. Bergmann konnte mittlerweile ganz gut lokalisieren wo sich der Heizer aufhielt, denn die Eisenplatten dröhnten unter dessen Schritten. Der Mann warf seine Schaufel krachend in eine Ecke, dann näherte er sich nochmals dem Koksberg und blieb vor diesem stehen. Frieder Bergmann erstarrte: war er entdeckt worden? Einen Augenblick später war diese Befürchtung hinfällig, denn es plätscherte laut auf den Koks, der Heizer erleichterte sich ungeniert. Das schien auch ein Zeichen für das baldige Anlegen zu sein denn kurz darauf sprang der Maschinentelegraph an und der Mann hantierte an der Steuerung. Frieder Bergmann verspürte einen sanften Stoß als der Dampfer an den Anlegeponton schrammte, er war wieder am Ausgangsort seiner Reise angekommen. Dennoch waren seine Probleme nicht kleiner geworden, wie sollte er von Bord kommen? Der Maschinist kletterte nach oben und Frieder Bergmann schälte sich unter dem Kokshaufen hervor, dann stieg er selbst nach oben. Seine zu Beginn der Dampferfahrt sauberen Sachen hatten nunmehr eine anthrazitfarbene Note erhalten und auch Gesicht und Hände trugen diesen Farbton. In diesem Aufputz würde er noch mehr Aufmerksamkeit erregen und keineswegs über die Landungsbrücke ans Ufer kommen. Jetzt ist alles egal sagte er sich, ging geduckt zum Heck des Schiffes und ließ sich an einem an der Bordwand baumelnden Tau ins Wasser gleiten. Das war nicht kalt und nach einigen Schwimmzügen hatte er Grund unter den Beinen, dann stieg er aus dem Fluss. Es war jetzt gegen 16 Uhr und der Bereich der Anlegestelle gut bevölkert, als Frieder Bergmann wie Aphrodite den Fluten entstieg richteten sich alle Augen auf ihn und er verfiel in einen Dauerlauf um den neugierigen Blicken zu entkommen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er seinen Jaguar unweit der Anlegestelle geparkt hatte und das Parkticket in 10 Minuten ablaufen würde. Er musste also wieder zurück und da er nicht feststellen konnte wie er jetzt aussah stapfte er in hohem Tempo mit abwärts gerichtetem Blick an den staunenden Passanten vorbei. Seine zitternden Hände konnten kaum die Tasten der Autofernbedienung betätigen, aber dann öffnete er die Tür und ließ sich erschöpft in den Sitz fallen. Er hatte es geschafft.

Theoretischer Unterricht

„Sag‘ mal Frieder, hältst du das nicht albern für dein Alter, hier in der Badewanne mit Spielzeugschiffen zu hantieren?“ hatte ihn Petra gefragt.

„Keineswegs“ war die knappe Antwort gewesen.

Frieder Bergmann hatte nach dem Debakel auf dem Elbdampfer beschlossen, sich zunächst im kleinen Maßstab an die Kunst der Bootsführung heranzutasten. Aus seiner Sicht war das ja eine übliche Art etwas zu erlernen, schließlich übten Piloten ja auch im Simulator. Verglichen mit diesem komplizierten Gerät nahmen sich seine technischen Mittel aber eher bescheiden, allerdings nicht unbedingt kostengünstig aus. Er verfügte über zwei elektrisch angetriebene Spielzeugschiffe, die er mit Bedacht in einem Laden ausgewählt hatte. Eines davon war die Nachbildung eines Supertankers, das andere das Modell eines Kriegsschiffes mit gewaltigen Geschütztürmen. Auf den ersten Blick schienen die Schiffe so gar nicht zueinander zu passen, schließlich wollte Bergmann den Schiffsverkehr auf einem Binnenfluss simulieren, aber wenn man genauer hinsah konnte man feststellen, dass die beiden Fahrzeuge annähernd gleich lang, breit und hoch waren. Frieder Bergmann hatte in Ermangelung geeigneter Binnenschiffe eben diese Modelle ausgewählt, da sie ähnliche Größenverhältnisse aufwiesen. Das Schlachtschiff war auch deswegen in seinem Einkaufwagen gelandet weil es nettes Feature mitbrachte: man konnte die Oberseite der Geschütztürme aufklappen und kleine Plastikgeschosse in ein Magazin drücken. Auf der drahtlosen Fernsteuerung des Kriegsschiffes befanden sich ein Steuerkreuz und mehrere Knöpfe, deren Funktionen sich Bergmann aus dem Studium der Bedienungsanleitung erschlossen hatten. Mit dem Steuerkreuz gab man den Kurs vor, also geradeaus, rückwärts, nach links oder rechts (er hatte schon wieder vergessen, welche Seite Backbord und welche Steuerbord war). Ein kleines und zur Hälfte senkrecht aus der Steuerung herausragendes Rad legte die Geschwindigkeit fest. Vier in einer Linie angeordnete blaue Knöpfe dienten dazu die Geschütztürme zu aktivieren. Wenn Bergmann also den ersten drückte war der am Bug befindliche in Betrieb, der vierte erweckte den hinteren am Heck zum Leben. Er konnte auch alle gleichzeitig aktivieren, dann war er in der Lage, die Türme synchron zu bewegen. Diese Bewegung stellte für ihn eine ernste Herausforderung dar, denn neben den blauen Knöpfen waren jeweils kleine Joysticks angeordnet. Mit deren Hilfe konnte man den einzelnen Turm in jede Richtung drehen und auch die Erhöhung der Geschützrohre festlegen. Neben den Joysticks gab es nochmals rote Knöpfe, die zur Abfeuerung der Geschosse dienten. Bergmann hatte sich beim Kauf des Schlachtschiffes nicht lumpen lassen und war der Empfehlung des Verkäufers gefolgt, Spezialmunition zu erwerben.

„Wenn Sie ein realistisches Verhalten haben wollen nehmen Sie natürlich die „Combat Shells“, diese Spezialgeschosse explodieren beim Aufprall auf ein anderes Schiff oder einen beliebigen Gegenstand. Die sind nicht billig aber Sie werden begeistert sein wenn Sie die Wirkung dieser Munition beobachten können. In den kleinen mit Schwarzpulver gefüllten Kartuschen – das ist aber ungefährlich - befinden sich Wuchtgeschosse mit einem zusätzlichen Brandsatz. Man schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe: beim Schuss entstehen Rauchgase, die die Sache total realistisch wirken lassen, und wenn die Granaten ein gegnerisches Schiff treffen bohrt sich der kleine Stahlpfeil, der das Wuchtgeschoss nachbildet, in die Bordwand oder das Deck hinein. Der Clou ist allerdings die Wirkung des Brandsatzes. Wenn sich dieser entzündet gerät der Gegner auch noch in Brand. Natürlich benötigen Sie dafür zusätzlich einen Brandbeschleuniger, denn das Plastik der Modellschiffe ist eigentlich kaum entflammbar. Ich empfehle Ihnen ein Zielschiff zu kaufen, das nicht so teuer ist. Dieses wird dann mit diesem Spezialmittel hier über der Wasserlinie eingestrichen, es bildet sich ein Gasfilm der zirka 30 Minuten anhält, in dieser Zeit dürften Sie ein paar Treffer angebracht haben. Aber bitte unbedingt nur im Freien verwenden. Das ist eine Mordsgaudi, ich selbst habe so schon einige Zielschiffe auf den Grund geschickt. Wir haben hier auch ein Demonstrations-Video von der „New Jersey“, kommen Sie mal mit.“

Frieder Bergmann stand gefesselt vor dem Fernseher. Das Schlachtschiff fuhr auf einem größeren Teich, die Kamera schwenkte auf einen Mann der das Modell steuerte. Das Zielschiff, ein Tanker, versuchte seinem Verfolger mit einem wirren Zick-Zack-Kurs abzuschütteln und das schien auch auf den ersten Blick zu gelingen. Dann zoomte die Kamera nah an die vorderen Türme des Schlachtschiffs heran, während der Fahrt drehten sich diese in Richtung des Tankers, die Rohre hoben sich und dann war eine Rauchwolke zu erkennen. In Zeitlupe verfolgte die Kamera die Bahn der Geschosse und richtete sich dann auf den Tanker, jetzt verringerte sich die Bilderfolge nochmals, so dass über den extremen Zoom ganz klar zu erkennen war, wie die drei Geschosse des vorderen Drillingsturmes in die Bordwand des Zielschiffes einschlugen. Die Einzelbilder ruckten langsam vorwärts und plötzlich flammte Feuer auf, das sich dann über eine große Fläche der Bordwand ausbreitete. In den folgenden Einstellungen war zu sehen dass das Plastik des Modells schmolz und sich somit ein großes Loch in der Bordwand bildete.

„Gleich wird es spektakulär“ raunte der Verkäufer Frieder Bergmann zu „achten Sie mal auf die Kommandobrücke des Tankers und dann auf die rechte Bordwand des Tankers.“

Die Kamera fing das Schiff jetzt von oben ein und ein weiterer Einschlag erfolgte kurz vor der Kommandobrücke, schlagartig stand ein großer Bereich dort in Flammen. Dann gab es einen Schwenk auf die Bordwand und diese wurde jetzt wohl unterhalb der Wasserlinie von Granaten getroffen, denn Wasser spritzte an dieser Stelle auf.

„Jetzt kommt der Fangschuss“ flüsterte der Verkäufer und krallte sich in Bergmanns Arm.

Schwenk zum Schlachtschiff, Rauchwolke, Schwenk zum Tanker, Einschlag am Bug. Langsam sackte das Zielschiff tiefer, in einer dramatischen Kameraeinstellung war das brennende Deck zu erkennen und durch die in die Bordwand gerissenen Löcher geriet immer mehr Wasser in den Schiffskörper, bis der Tanker schließlich kenterte und sank. Einige Zeit brannte es noch an etlichen Stellen auf dem Wasser, dann verloschen die Flammen.

Frieder Bergmann war von dem Gesehenen so beeindruckt, dass er wie erstarrt vor dem Fernseher stand. Erst als der Verkäufer leise hüstelte wandte er sich diesem zu und sah ein Strahlen in den Augen des Mannes.

„Eine Wucht, nicht wahr“ sagte dieser, Bergmann nickte nur.

„Ich nehme das Schlachtschiff und die Spezialmunition sowie die Spezialpaste für die Brandbeschleunigung“ erklärte Frieder Bergmann „dann brauche ich noch ein Zielschiff.“

„Kein Problem“ meinte der Verkäufer „der Tanker hier für 18 Euro macht es locker. Das Schlachtschiff kostet allerdings mit dem Zubehör 235 Euro.“

„Kein Problem“ sagte Frieder Bergmann seinerseits und verließ den Laden wenig später mit zwei Paketen unter den Armen.

Nachdem Petra kopfschüttelnd das Bad verlassen hatte versuchte sich Frieder Bergmann weiter in die Steuerung des Schlachtschiffes einzuarbeiten, was sich als recht komplexe Aufgabe herausstellte. Anfangs verhedderte er sich mit dem Steuerkreuz und dem Geschwindigkeitsregler und das Schiff donnerte mehrere Male gegen die Wand der Badewanne, durch hektisches Rückwärtsmanövrieren konnte Bergmann Schlimmeres verhindern aber ihm schwante, dass er wohl noch geraume Zeit üben müsste. Den Tanker brachte er noch nicht ins Spiel, erst musste er das Schlachtschiff sicher beherrschen. Nachdem er über anderthalb Stunden so verbracht hatte wollte er sich zum Abschluss des Trainings noch eine kleine Freude bereiten und die Wirkung so eines Spezialgeschosses ausprobieren. Er ließ das Schlachtschiff antriebslos dahindümpeln und wählte den vorderen Turm an. Mit dem Joystick drehte er den Turm in Richtung des Kopfteiles der Wanne, die Rohre richtete er in einem Winkel von ungefähr 45 Grad auf. Frieder Bergmann zögerte noch einen Moment, dann drückte er den roten Knopf für den Turm 1 entschlossen herunter. Unverzüglich spuckten die drei Rohre die kleinen Geschosse aus und durch den dadurch entstehenden Pulverqualm konnte der Schütze nicht sofort erkennen, welche Wirkung die Granaten erzeugt hatten. Als sich der Rauch etwas verzogen hatte beugte sich Bergmann über die Wanne und stellte fest, dass sich drei winzige Spuren in der Emaile zeigten. Ein verheißungsvoller Anfang sagte er sich und freute sich bereits diebisch darauf, den Tanker auf den Grund zu schicken und vorher in Flammen ausgehen zu lassen. Immer ruhig mit den jungen Pferden dachte er, erst muss ich noch sicherer werden. Die Badewanne betrachtete er als Übungsgelände, zum Seegefecht sollte es dann später auf einen kleinen See im Stadtpark kommen.

In seinem Büro im Amt verfolgte Frieder Bergmann auf „YouTube“ ein Video nach dem anderen, welche Freunde des Schiffsmodellbaus dort massenhaft eingestellt hatten. Frau Ludwig hatte er eingeschärft, jegliche Belästigung von ihm fernzuhalten, er müsste die Mails zur Zufriedenheit mit der Essensversorgung sichten. Zielgerichtet hatte er nach der „New Jersey“ gesucht und stellte fest, dass dieses Modell offensichtlich sehr gefragt war. Es gab eine Community, die sich sehr rege über dieses Schiff austauschte, und die Freaks äußerten sich begeistert über die Spezialmunition, die auch Bergmann gekauft hatte. Nachdem sich Frieder Bergmann fast zwei Stunden an den Manövern der Schiffe erfreut hatte erlahmte sein Interesse etwas aber dann stieß er auf ein Video, welches ein Gefecht zwischen einer „New Jersey“ und einem russischen Kriegsschiff zeigte (dies schlussfolgerte er aus der Fahne des Fahrzeuges). Die beiden Modellbauer standen mit ihren Fernbedienungen am Ufer und die Schiffe befanden sich im Abstand von gut 20 Metern voneinander auf dem Teich. Frieder Bergmann rätselte wie die Männer zielen könnten, entweder hatten sie noch irgendwelche Hilfsmittel zur Verfügung oder die jahrelange Übung versetzte sie dazu in die Lage. Momentan manövrierten die Männer die Schiffe noch und scheinbar schienen sie sich in eine günstige Schussposition bringen zu wollen. Bergmann war klar, da er mittlerweile auf Arbeit auch theoretische Schriften über die Seekriegsführung wälzte, dass eine volle Breitseite den größten Effekt haben würde aber auch das „Crossing the T“ (das Schiff musste sich dafür in einem rechten Winkel vor den Bug des anderen setzen um alle seine Geschütze einsetzen zu können, sein Gegner könnte dadurch nur die vorderen Türme nutzen) und das gelang dem russischen Schiff in einem schneidigen Manöver zuerst. Der Mann an Land feuerte in dieser günstigen Position ab, aber die Granaten schlugen knapp vor der „New Jersey“ ins Wasser ein. Bergmann wusste, dass das Nachladen gut 2 Minuten in Anspruch nehmen würde und hoffte auf einen Konter durch die „New Jersey“. Deren Steuermann zwang sein Schiff jetzt wagemutig in einen Vollkreis und in der Hälfte der Drehung feuerte er auch, allerdings ebenfalls ohne Erfolg. Das russische Kriegsschiff war der „New Jersey“ gefährlich nahe gekommen und die Salve aus den vorderen Türmen lag deckend im Bereich des Vorschiffs ihres Gegners. Sofort flammte Feuer auf (zu Beginn des Videos hatten die beiden Männer ihre Schiffe mit dem Brandbeschleuniger eingestrichen) und als die achternen Türme die Granaten ausspuckten schlugen diese direkt in den Kommandoturm ein.

Bergmann schluckte, an dieser Stelle, die jetzt auch in Brand geriet, befand sich der Empfänger der Fernbedienung und seine Befürchtungen wurden dadurch bestätigt, dass der Steuermann der „New Jersey“ wild gestikulierte und laut fluchte. Sein Gegner hatte jetzt alle Zeit der Welt und setzte sein Schiff in aller Ruhe auf Parallelkurs zu der schwer angeschlagenen „New Jersey“, dann zielte er lange und die volle Breitseite donnerte schließlich in den Rumpf des Gegners. Überall brannte es und Frieder Bergmann sah ganze Plastikteile verschmoren, als der Russe wieder nachgeladen hatte gab er der „New Jersey“ mit der letzten Salve den Gnadenstoß. Das Schiff sackte wie in Zeitlupe tiefer, dann versank es endgültig. Soeben waren 235 Euro auf dem Grund des Teiches angekommen. Bergmann hatte eiskalte Hände, wenn er sich so einem Match stellen wollte müsste er noch mächtig üben müssen, aber seine Motivation sein Modellschiff perfekt steuern zu können, war extrem hoch, denn was er im Kleinen beherrschte, konnte er im Großen (auf dem Hausboot) dann umsetzen. Also grübelte er darüber nach, welche Ausbildungsschritte er unternehmen musste und fertigte dazu eine Liste an. Diese würde er jetzt täglich zu Hause im Badezimmer abarbeiten.

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