Kitabı oku: «Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre… Band 1», sayfa 2

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Hannelore Bergmann

„Wer keine Prinzipien hat und sich nicht an die Regeln hält bleibt immer ein Hallodri“ war ein Kernsatz von Hannelore Bergmann, und sie benahm sich dementsprechend.

Ihr verschiedener Gatte, Berthold Bergmann, hätte ein Lied davon singen können, bloß lag er schon seit einigen Jahren auf dem städtischen Friedhof und war dazu jetzt verständlicherweise nicht mehr in der Lage. Hannelore Bergmann war vor vier Wochen 67 Jahre alt geworden, Berthold Bergmann war mit 71 abgetreten und einigen aus der Familie war es wie eine Flucht vorgekommen. Der bullige und rüstige Mann war eigentlich noch fit wie ein Turnschuh gewesen, bloß dass er an einem schönen Sommertag an einer schnöden Portion Haferflocken erstickte, die seine Frau ihm jeden Morgen kredenzte. Sie fand ihren Mann von Arbeit nach Hause kommend leblos vor und sortierte in ihrem Kopf erst einmal die erforderlichen Arbeitsschritte, die in einem solchen Fall notwendig waren. Es war keineswegs nur Gefühlkälte was sie dazu veranlasste so vorzugehen, vielmehr entsprach es ihrem Naturell rational an die Dinge heranzugehen, schließlich hatte sie Mathematik und Physik am Gymnasium unterrichtet.

Nachdem sie eine plausible Reihenfolge gefunden hatte arbeitete sie diese konzentriert ab, an vierter Stelle stand die Information an ihren Sohn Frieder. Hannelore Bergmann teilte ihm mit, dass sein Vater leider verschieden sei, die Beerdigung hatte sie bereits auf den kommenden Donnerstag festgelegt.

Frieders Verhältnis zu seinem Vater war nie besonders eng gewesen, eigentlich passte er gar nicht zu seiner Mutter, denn er war wirklich ein Hallodri. Der gut aussehende Mann verdiente sein Geld damit, mit noch drei anderen Musikern über die Dörfer zu ziehen und Hits der siebziger und achtziger Jahre zu spielen. Im Schnitt war er immer so um die drei, vier Tage unterwegs und musste zwangsläufig auswärts übernachten. Da er kein Kostverächter war lag es auf der Hand wie er die Nächte dort verbrachte, aber überführt werden konnte er nie, es blieb also nur bei Mutmaßungen. Frieder Bergmann erinnerte sich, wie er als Junge unabsichtlich und unentdeckt einer Auseinandersetzung seiner Eltern folgte, in welcher seine Mutter seinem Vater Vorwürfe an den Kopf schleuderte, die dieser als Unfug abtun wollte.

„Glaubst du etwa ich weiß nicht wie viele Bräute du in diesen Kuhkaffs hast“ hatte seine Mutter wütend geschrien „warte ab, wenn du wieder zu Hause bist kriegst du andere Bandagen angelegt.“

Frieder konnte damit nicht viel anfangen aber er kriegte schnell mit, was gemeint war.

Ob es das schlechte Gewissen des Vaters war, weil an den Vorwürfen tatsächlich was dran war, oder ob er bloß seine Ruhe haben wollte war nicht richtig auszumachen, jedenfalls unterwarf er sich in den Tagen zu Hause ganz dem Diktat der strengen Mathematik- und Physiklehrerin. Sie ging subtil vor und schwang nicht etwa die große Keule, aber mit kleinen spitzen Bemerkungen machte sie ihm öfter klar, dass sein Geisteshorizont nicht an ihren heranreichte und er eben bloß ein weibergeiler Musiker wäre, sie jedoch die ehrenvolle Aufgabe hätte, die Jugend auf das Leben vorzubereiten. Dass sich sein doch so großer und kräftiger Vater überhaupt nicht wehrte enttäuschte Frieder zutiefst und er erkannte bald, dass Hannelore Bergmann eindeutig die Hosen in dieser Ehe anhatte. Seine Mutter wurde etwas nachgiebiger, als Berthold Bergmann nun nicht mehr in den Dörfern übernachtete, weil er ihr zu seinem 60. Geburtstag erklärte, dass er aus der Kapelle aussteigen und ab sofort nur noch mit dem Keyboard als Alleinunterhalter in Altersheimen auftreten würde, machte sie ihren Frieden mit ihm, aber auf ihre spezielle Art. An den Tagen ohne Auftritt fand der Mann einen Zettel vor, der die verschiedensten Aufgaben für ihn bereithielt. Die Palette der Tätigkeiten reichte von Müll weg bringen bis zum Einkaufen und als Berthold Bergmann es eines Tages wagte, neben den in der Liste vermerkten Güter eine ungarische Salami zu kaufen, musste er sich Vorhaltungen wegen seiner Geldverschwendung machen lassen.

Hannelore Bergmann war weder herz- noch gefühllos. Es wurmte sie allerdings unsäglich, dass sie niemals einen Beweis für die Untreue ihres Mannes erbringen konnte, denn auf Beweisführung kam es in ihren Unterrichtsfächern allerdings sehr wohl an. Dass sie auf der privaten Strecke dazu nicht fähig war und ein ums andere Mal scheiterte kratzte mächtig an ihrem Ego, so dass Berthold Bergmann eigentlich sein Leben lang der Leidtragende dieser Geschichte war. Da er nichts dagegen unternahm hatte Frieder eigentlich wenig Mitleid mit ihm und schlug sich immer mehr auf die Seite seiner Mutter, die für ihn die stärkeren Akzente setzte. Was sie ihrem Mann an Zuneigung nicht geben wollte oder konnte schüttete sie wie ein niemals leeres Füllhorn über ihrem Sohn aus und erdrückte ihn fast damit. Sie legte für ihn auch fest, welche Freunde er haben konnte und als er sich das erste Mal verliebte gab sie ihm zu verstehen, dass das Mädchen für ihn vollkommen ungeeignet sei. Solche sicher gut gemeinten aber lästigen Bevormundungen trieben Frieder nach dem Studium schnell aus dem Haus seiner Eltern, seine Frau Petra stellte er ihnen damals nur kurz vor um irgendwelche Diskussionen zu umgehen, und als er seine Eltern (ohne sie vorher einzubeziehen) zur Hochzeit einlud, hatte er sich aus seiner Perspektive endgültig emanzipiert.

Dies schien seine Mutter durchaus zu beeindrucken, denn fortan behandelte sie ihn nicht mehr wie einen kleinen Jungen, sondern irgendwie respektvoller. Der Bann brach dann endgültig als Rüdiger und Claudia geboren wurden, und Hannelore Bergmann zu ihrer großen Verwunderung die liebevolle und immer hilfsbereite Großmutter in sich entdeckte. Alles lief soweit perfekt, bis auf die eine Woche, die sie jedes Jahr in den Sommerferien bei Frieder, Petra und den Kindern verbrachte, denn dann herrschte Ausnahmezustand.

Eine schreckliche Nachricht

„Mein lieber Junge“ las Frieder Bergmann unsicher „wie du weißt, fahre ich alljährlich mit Berta Hartmann für zwei Wochen in den Urlaub, richtiger: fuhr ich. Leider ist Berta vorige Woche verstorben aber das wird mich nicht daran hindern, meinen Urlaub auch dieses Jahr wie gewohnt wahrzunehmen. Nun ist es aber so, dass ich nicht allzu gern allein verreise und ich habe mich deshalb entschieden, euch in dieser Zeit Gesellschaft zu leisten. Du musst nicht erschrecken, ich werde euch nicht zu Hause auf die Pelle rücken, ich reise einfach mit euch mit, da sind wir alle wieder einmal schön zusammen und Petra und die Kinder werden sich sicher auch freuen. Natürlich beteilige ich mich anteilig an den Kosten und habe mir auf dem Laptop schon eine kleine Excel Datei angelegt in der wir alle Ausgaben genau erfassen können. Schließlich will ich mir nicht nachsagen lassen, dass ihr mir den Urlaub finanziert. Wo soll es überhaupt hingehen? Ich rufe dich in den nächsten Tagen mal an, deine Mutti.“

Für einen Moment war Frieder Bergmann zu keinem klaren Gedanken in der Lage, ungläubig starrte er auf die Zeilen und glaubte einem Irrtum zu unterliegen. Er spannte sich an, kam auf die Beine und ging zum Kühlschrank, griff sich ein Bier und riss es mit dem Öffner auf. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, das Getränk versonnen in ein Glas einzugießen und zuzusehen, wie die Kohlensäure perlend aufstieg und zischend eine Schaumkrone bildete, die sich nach einigen Lidschlägen verdichtete und weiß schimmern über dem Bier verharrte, setzte er die Flasche an den Mund und ließ das Getränk in Stil eines Verdurstenden in sich hineinlaufen. Erstaunt stellte er fest, dass er in einigen Sekunden einen halben Liter Bier getrunken hatte, sonst nippte er genießerisch daran und versuchte den Geschmack bewusst wahrzunehmen, schließlich trank er ja kein Wasser. Er richtete den Blick nochmals auf den Text und las ihn ein zweites Mal, jetzt begriff er, dass er sich nicht geirrt hatte. Sofort nahm er sich ein zweites Bier aus dem Kühlschrank und setzte es wieder an, in diesem Moment betrat sein Sohn Rüdiger die Küche.

„Wie siehst du denn aus, Papa“ fragte er überrascht und feixte breit.

„Was meinst du“ fragte Frieder zurück, denn er war von dem Brief noch so schockiert, dass er die Erlebnisse mit dem Auto und der Polizei momentan verdrängte.

„Na du hast eine riesige Beule auf der Stirn“ erwiderte der Junge „seit wann prügelst du dich denn?“

„Ach, war‘ n Problem mit dem Auto, da musst du dich morgen drum kümmern, hast doch frei.“

„Und was ist da los“ wollte sein Sohn wissen, die Aussicht, ein bisschen mit dem Auto fahren zu können, war verlockend.

„Die Scheißkarre bremst nicht mehr und aus der Waschanlage kam irgendwelches bräunliches Zeug, bloß kein Wasser. Ich gebe dir Papiere, Schlüssel und die Rechnung der Werkstatt, da steht auch die Telefonnummer drauf.“

Plötzlich wurden die Erlebnisse mit dem Auto wieder wach, Frieder Bergmann hatte jetzt bereits zwei Flaschen Bier intus, die ihm schon mächtig in den Kopf gestiegen waren und die Wut über die miese Leistung der Werkstatt und den Brief seiner Mutter kanalisierte sich jetzt in einer wüsten Schimpfkanonade.

„Mach’ diesen Säcken dort klar, dass sie mächtigen Ärger bekommen, wenn das Auto morgen bis 17 Uhr nicht vor unserer Haustür steht, gewaschen natürlich und mit einem fetten Preisnachlass für die schlampige Arbeit. Du willst doch Jura studieren, tritt denen in den Arsch, aber ordentlich!“

Rüdiger Bergmann starrte seinen Vater entsetzt an, der sonst immer beherrschte Behördenangestellte fluchte wie ein Bierkutscher, so etwas war noch nie vorgekommen.

Leicht schwankend erhob sich der Mann, nahm Kurs auf den Kühlschrank und schnappte sich ein weiteres Bier.

„Kannst deine Schwester holen“ teilte er Rüdiger mit schon unsicherer Aussprache mit, dann ging er daran, das Abendessen vorzubereiten.

Frieder Bergmann sah seinen Beitrag zur Hausarbeit vor allem darin, sich etwas in der Küche nützlich zu machen und den Tisch zu decken. Womöglich hatte er in dieser Beziehung die Gene seiner Mutter mitbekommen, denn er legte großen Wert darauf, Geschirr, Besteck und die Nahrungsmittel stets akkurat anzuordnen und ertappte sich manchmal dabei, dass er überprüfte, ob alles genau im richtigen Winkel zueinander angeordnet war. Auch in den Schränken herrschte penible Ordnung und so akribisch, wie er seiner beruflichen Tätigkeit nachging, agierte er sonst in der Küche. Als er die Teller aus dem Schrank nehmen wollte kam er in eine leichte körperliche Schieflage, die er mit den Armen wedelnd wieder überwinden konnte, aber der Versuch, den Griff der Schranktür zu erwischen, gelang nicht. Um sicherer zu werden nahm er noch einen weiteren Schluck Bier, dann startete er leicht vor sich hin kichernd einen zweiten Anlauf und konnte die Tür öffnen. Der Tellerstapel befand sich gut zehn Zentimeter über seinem Kopf und er wollte drei von ihnen mit einem Mal packen, verschätzte sich allerdings und fuhr mit seiner Hand unabsichtlich hinter den Stapel. Er schwankte bereits beträchtlich und auf unsicheren Beinen ruckte er plötzlich nach hinten weg, halt suchend wollte er sich an dem Tellerstapel festklammern, der aber aufgrund seines geringen Gewichtes kein echter Anker war, so dass er diesen jetzt mit Kraft aus dem Schrank herauszog.

Frieder Bergmann ahnte, dass an diesem Tag einiges schief lief, aber er konnte den Gang der Dinge nicht mehr aufhalten. Wie in Zeitlupe sah er (zwar durch die Wirkung des Alkohols schon etwas getrübt) wie sich der Tellerstapel auf die Kante des Schrankes zu bewegte und seine Hand ihn ungebremst immer mehr in diese Richtung beförderte. Als der Stapel mehr als zur Hälfte in der Luft hing ging die bisherige horizontale Bewegung ruckartig in eine vertikale über und das Geschirr stürzte auf den Boden, wo es krachend in unzählige, ungleichförmig große Stücke zerbarst. Seines Halts beraubt driftete Frieder Bergmann vom Schrank weg, und da er zu koordinierten Bewegungen nicht mehr richtig in der Lage war, versuchte er irgendwo zum Stillstand zu kommen, sein linker Arm schnellte hoch und seine Hand als Enterhaken benutzend krallte er sich an einem Gegenstand fest der an der Wand hing. Ein durchdringendes Klirren ließ den Schluss zu, dass er bei dieser Aktion ein Bild erwischt haben musste. Schließlich knallte er auf einen Stuhl, der durch den heftigen Anprall zusammen mit ihm umkippte.

Durch den Krach aus der Küche alarmiert stürmten Rüdiger und Claudia herbei, und fanden ihren Vater inmitten einer Masse von Scherben und Glassplittern auf dem Rücken liegend dort vor. Frieder Bergmann versuchte wie eine hilflose Schildkröte wieder auf die Beine zu kommen, als er sich mit den Händen auf den mit Trümmerstücken bedecktem Boden der Küche dazu abstützte schnitt eine Porzellanscherbe in seine linke, ein Glassplitter in seine rechte Hand, aber das bemerkte er aufgrund seiner Benommenheit nicht. Wieder auf den Beinen und wie ein Rohr im Wind schwankend starrte er seine Kinder mit wirrem Blick an, um dann auf einem noch stehenden Stuhl zusammen zu sacken, und ihnen hilflos die Hände hinzuhalten. Claudia erbleichte, Rüdiger nahm ein Geschirrhandtuch und zog die Scherben heraus. Das Blut aus den Schnittwunden lief jetzt ungehemmt über die Hände von Frieder Bergmann und er wischte die Hände unbedacht an seiner Haus Hose ab. Sofort nahm das ockerfarbene Kleidungsstück die Flüssigkeit auf und erinnerte jetzt an irgendeine Camouflage Kampfanzugausführung eines Soldaten, die sich in der Wüste wohl gut machen würde. Rüdiger hatte indessen zwei Pflaster zugeschnitten und klebte sie jetzt auf den Handflächen seines Vaters fest. Dann sagte er zu seiner Schwester:

„Los, hilf mir, wir bringen ihn ins Bett.“

Sie packten den Mann unter den Achseln und wuchteten ihn hoch, der unsichere Gang ihres Vaters zwang sie aber immer wieder, ihn mal auf der einen, dann auf der anderen Seite mehr zu stützen. Wie ein nasser Sack kippte Frieder Bergmann auf sein Bett und war innerhalb einer Minute eingeschlafen, seine Kinder gingen in die Küche, um dort aufzuräumen.

Der nächste Tag

Frieder Bergmann wurde mit rasenden Kopfschmerzen munter, ein schneller Blick auf den Wecker zeigte ihm, dass es 2 Uhr 38 war, weit vor seiner Aufstehens Zeit. Seine Frau lag tief schlafend neben ihm und leise, um sie nicht zu wecken, schlich er ins Bad, denn das Bier drückte auf seine Blase. Als er sich erleichtert hatte schaute er in den Spiegel, unübersehbar prangte ein riesiges Horn auf seiner Stirn, welches bereits ein buntes Farbspiel zwischen grün, blau und gelb zeigte. Erschrocken tastete er das Gebilde ab und zuckte zusammen, die Schnittwunden an seinen Händen meldeten sich und als er sich die Handoberflächen besah konnte er ebenfalls vielfarbig verfärbte Stellen sehen (nämlich dort, wo ihn die Motorhaube mehrfach getroffen hatte). Panisch versuchte er seine Gedanken zu ordnen, heute sollte er vor den Abteilungsleitern der Behörde ein Referat über die neueste Verordnung zur Altkleiderentsorgung halten. Unsicher fühlte er sich keineswegs, denn er konnte die Paragraphen aus dem Gedächtnis herunterschnurren und als er den Text gedanklich noch einmal repetierte durchfuhr es ihn siedend heiß. „Wer Altkleider aus den dazu bestimmten Sammelbehältern unbefugt entnimmt kann mit einer Geldstrafe von bis zu 5.000 Euro belangt werden.“ Verdammter Mist, vage erinnerte er sich an das Polizeiauto, welches in der Nähe des Containers geparkt hatte und dessen Insassen sein Treiben offensichtlich genau verfolgt hatten. Später war er auch noch fotografiert worden, was wäre, wenn die Bullen genau in seinen Vortrag hineinplatzen würden, um ihn dann vor der staunenden Zuhörerschaft zu verhaften. In fast 15 Jahren hatte er sich einen Ruf als engagierter, kompetenter und vor allem absolut korrekter Angestellter erworben, heute könnte alles wie eine Seifenblase zerplatzen. Unruhig bewegte er sich in die Küche um einen kräftigen Schluck Mineralwasser (mit viel Kohlensäure) zu trinken, dann kehrte er ins Bett zurück, wo ihn seine Frau besorgt ansah.

„Was war bloß gestern mit dir los“ fragte sie vorwurfsvoll „die Kinder haben mir von dem Chaos erzählt, das du angerichtet hattest.“

Stockend berichtete Frieder von den Ereignissen des Vortages, die Sache mit dem Kleidercontainer ließ er aber weg. Seine Frau legte Verständnis in ihre Stimme und riet ihm:

„Schlaf’ noch ein bisschen, in ein paar Stunden musst du fit sein. Und ich instruiere Rüdiger wegen dem Auto noch mal. Die Sache mit deiner Mutter bereden wir heute Abend.“

Schlaflos wälzte sich Frieder Bergmann hin und her, er würde seine Blessuren erklären müssen und auch bei dem Gedanken an den Vortrag fühlte er sich unwohl. Er, ja er selbst, hatte eindeutig gegen die Bestimmungen der Verordnung verstoßen und da sollte er den anderen zureden, diese einzuhalten. Wie gerädert stand er auf, versuchte die Farbenpracht der Beule etwas mit Puder seiner Frau zu entschärfen, zog seinen besten Anzug an und verließ das Haus ohne Frühstück, Appetit hatte er gar nicht verspürt. Da er sonst früh immer ordentlich aß verspürte er ein flaues Gefühl im Magen, das mit viel Kohlensäure versetzte Mineralwasser grummelte in seinem Magen und wie Vorboten auf das, was noch kommen könnte, stiegen leichte Rülpser auf, die er auf dem Weg zur Bahn nicht unterdrückte, weil niemand in seiner Nähe war. Die Verletzungen wollte er mit einem Fahrradunfall erklären, das geschah doch aller Nase lang irgendjemand.

Der Raum war bereits gut gefüllt als er ihn betrat, der Amtsleiter kam schnell auf ihn zu, musterte seine Beule auffällig und nahm ihn zur Seite:

„Herr Bergmann, kleine Planänderung. Sie tragen vor, danach wird ein Herr von der Kripo referieren, er will die unmöglichsten Fälle des Missbrauchs der Container beschreiben, da sind Sachen dabei, die kaum zu fassen sind. Wie zum Beispiel einer was rausholen wollte und dann festklemmte, köstlich.“

Lachend entfernte sich der Mann, heute würde die von der Sache her trockene Veranstaltung etwas Pep bekommen und nicht ganz so langweilig wie üblich verlaufen. Er sollte Recht behalten.

Frieder Bergmann trat mit weichen Knien hinter das Rednerpult, so richtig gut fühlte er sich heute nicht, denn ohne Frühstück auf Arbeit zu gehen war ihm noch nie passiert. Er versuchte die leichte Übelkeit weg zu husten aber erreichte mit dieser Aktion, dass die immer noch in seinem Magen gefangene Kohlensäure blitzartig über die Speiseröhre bis in seinen Rachen aufstieg, wo sie sich mit einem rülpsenden Geräusch ihren Weg ins Freie bahnte. Frieder Bergmann erstarrte, durch die bereits eingeschaltete Lautsprecheranlage wurde diese Redeeröffnung bis in den letzten Winkel des Raumes übertragen und Kichern flackerte unter der Zuhörerschaft auf. Davon verunsichert tat er so, als wolle er die Funktion des Mikrophons überprüfen, und wie er es oft im Fernsehen beobachtet hatte ging er so vor, dass er eine Hand leicht auf das Mikrophon schlug. Entweder war seine Bewegung zu kräftig oder der Ständer des Mikrophons nicht stabil genug gewesen, das Gestell geriet jedenfalls aus der Lotrechten und kippte scheppernd um, dazu dröhnten Dissonanzen aus dem auf dem Boden aufprallenden Mikrophon. Jetzt wurden erste Lacher laut. Panisch beugte sich Bergmann nach unten, raffte den Ständer wieder hoch war aber dabei so ungestüm, dass das Mikrophon jetzt gegen seine Beule auf der Stirn schlug und einen heftigen Schmerz verursachte, dem er mit einem lauten Stöhnen Ausdruck verlieh, welches ebenfalls durch die Anlage verstärkt deutlich zu vernehmen war.

„Bitte, Herr Bergmann, das reicht jetzt“ schaltete sich der Amtsleiter verärgert in das Geschehen ein und der Referent riss sich jetzt unter Aufbietung aller Kräfte zusammen und begann mit dem Vortrag. Als er die ersten Paragraphen interpretierte war Bergmann wieder ganz der Alte, souverän legte er die sperrigen Texte so aus, dass jeder der Anwesenden sie verstehen konnte und lief immer mehr zur Höchstform auf. Jetzt war er total entspannt und würzte das trockene Beamtendeutsch mit ein paar passenden kleinen Anekdoten aus dem Behördenalltag. Auch die verzwicktesten Nachfragen beantwortete er lässig (mit in den Hosentaschen versenkten Händen), er beherrschte die Bühne wie ein Star und der ungünstige Beginn war längst vergessen. Als er sich für die Aufmerksamkeit bedankte brandete Beifall auf und der Amtsleiter schüttelte ihm auf offener Bühne die Hand, ein Ritterschlag geradezu. Bergmann nahm euphorisch auf einem Stuhl auf dem Podium Platz und erwartete gespannt den Auftritt des Typen von der Kripo.

Dieser kam gleich zur Sache, unüberhörbar ein Berliner und mit der typischen großen Schnauze versehen warf er aus dem Stehgreif mit Geschichten um sich, die Verfehlungen gegen die Verordnung zum Inhalt hatten. Der Mann war ein charmanter Plauderer und zog die Zuhörer schnell in den Bann, als er den Beamer in Betrieb nahm war klar, dass jetzt lustige Bilder kommen würden, die skurrile Situationen zeigen sollten. Was gab es nicht alles, wofür ein simpler Altkleidercontainer herhalten musste. Unbekannte hatten einen der Behälter mit einer Rohrbombe in die Luft gejagt, die Jacken, Hosen und sonstigen Textilien waren im weiten Umkreis verstreut. Dann hatte einer versucht, durch die schmale Klappe in den Kasten hineinzugelangen und war hoffnungslos verklemmt stecken geblieben. Das nächste Bild zeigte einen Mann, der nur mit der Unterhose bekleidet neben dem Container stand und dabei war, sich eine ausladende Hose überzuziehen, die er offenbar gerade aus dem Container entwendet hatte. Der Kripomann zoomte näher an das Gesicht des Mannes heran (das jetzt ganz genau zu erkennen war) und man sah, dass dieser eine mächtige Beule an der Stirn hatte, gut möglich, dass er sich diese Blessur beim Hantieren am Container zugezogen hatte. Unten rechts war das Datum der Aufnahme eingeblendet: 14. Juli 2012, also gestern. Wie auf Kommando richteten sich alle Blicke Frieder Bergmann zu, der Mann auf dem Bild hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit ihm.

„Det is sozusagen dit schlimmste Delikt, stelln Se sich ma vor, wat dit for ne Schweinerei is. Die Type da klaut dit Zeuch, wat de andrn mühsam jesammelt habn. Und eischentlich soll dit Jelumpe ja zu de Näscher, äh zu de Farbijen, nach Afrika jeschafft wern. Jegen die Type offm Bild läuft n Ermittlungsfafarn, gloobense mir, den hammr bald am Schlafittchen.“

Verwundert unterbrach der Mann seinen Redefluss, denn es war totenstill im Raum geworden. Auch er folgte den Blicken der anderen und damit geriet Frieder Bergmann in seinen Focus. Der Polizist drehte seinen Kopf abwechselnd mehrmals zu dem Bild und zu Frieder Bergmann hin, dann fragte er lauernd:

„Wo warn Se jestern zwischen 18 und 19 Uhr?“

Bergmann saß schockstarr auf dem Podium, er hatte sich zweifelsfrei erkannt und ahnte, dass er jetzt erhebliche Schwierigkeiten bekommen würde. Besser, er trat die Flucht nach vorne an.

„Zu Hause, meine Kinder können das bezeugen.“

„Wo wohn Se“ bohrte der Kripomann nach und Bergmann antwortete wahrheitsgemäß.

„Hmm“ brummte der Polizist „dit Bild wurde in Burgstädt uffjenommn, dit is balde 200 Kilometer weg. Dit wern Se wohl nich sein.“

Frieder Bergmann nickte ununterbrochen wie eine Wackelpuppe auf der Hutablage eines Autos und der Amtsleiter fuhr ihn an:

„Das reicht Bergmann, wir haben verstanden, dass Sie das nicht sind. Sie melden sich nach Veranstaltungsende bei mir.“

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