Kitabı oku: «Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre… Band 1», sayfa 3

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Abends zu Hause

Der Amtsleiter hatte ihn noch ein bisschen in die Mangel genommen, aber Frieder Bergmann konnte die Verdächtigungen ausräumen indem er den Besuch in der Werkstatt anführte, in der angegebenen Zeit wäre es unmöglich gewesen, nach Burgstädt zu gelangen.

„Was ist den übrigens mit Ihren Händen passiert“ fragte der Vorgesetzte abschließend.

„Die Werkstatt hatte die Motorhaube nicht richtig verriegelt, das musste ich dann selbst erledigen. Sie können sich nicht vorstellen, was dabei alles passieren kann.“

„Wem sagen Sie das“ antwortete der Amtsleiter verständnisvoll „die haben bei mir mal statt Scheibenwasser Bremsflüssigkeit eingefüllt und in den Behälter für die Bremsflüssigkeit einfach stinknormales Wasser reingeschüttet. Aber die habe ich so rund gemacht, davon haben die sich bis heute bestimmt nicht erholt, das wird denen garantiert nie wieder passieren.“

Frieder Bergmann war sich da nicht so sicher.

Als er nach Hause kam stand der Toyota frisch gewaschen vor der Tür, hoffnungsvoll öffnete er den Briefkasten und neben der üblichen Werbung war wieder ein Brief dabei. Beschwingt eilte er die Treppen nach oben und traf seinen Sohn Rüdiger im Flur.

„Erzähle“ sagte er knapp.

„Ich habe die mit juristischen Begriffen, die ich irgendwo mal aufgeschnappt habe, und Paragraphen so voll getextet und mit Schadensersatzforderungen gedroht, dass denen Hören und Sagen vergangen ist. Die erstatten dir den gesamten Rechnungsbetrag zurück und der nächste Werkstattbesuch ist gratis.“

„Klasse“ lobte Frieder Bergmann seinen Sohn „wenn das Geld da ist kriegst du‘ n Fuffi von mir. Und geht jetzt noch mal in den NETTO und hol Pulle Sekt und bring’ gleich noch drei, vier Biere mit. Ich will mit Mama heute Abend anstoßen. Und geh’ bitte noch an den Wurststand und kaufe mal was Gutes.“

Bergmann schlüpfte in seine Freizeitkluft und nahm am Küchentisch Platz, dann öffnete er sofort den Brief des Finanzamtes (er war schließlich an ihn adressiert, obwohl er sich in dieser Angelegenheit – der Aufstellung der Steuererklärung - vollkommen heraus hielt und das seiner Frau überließ).

„ .. erstatten wir Ihnen 976,18 Euro auf das von Ihnen angegebene Konto Nummer“ las er freudig, und wegen dieser guten Nachrichten konnte er sich eigentlich ein Bier genehmigen.

Er ging davon aus, dass zwei Bier am Abend noch leberverträglich waren, gut, gestern hatte er aus Frust über die Ereignisse diese Latte gerissen aber der heutige Tag schien das wieder auszugleichen. Warte ich noch auf Petra oder mache ich schon ein Bier auf fragte er sich unentschlossen. Ist doch wurscht, ob ich jetzt oder in einer Stunde eins trinke spielt doch keine Rolle. Mit diesem Gedanken steuerte er den Kühlschrank an, nahm eine gut temperierte Flasche heraus und goss sie in sein Lieblingsglas ein. Dieses Glas bedeutete ihm viel, er hatte es zu seiner eigenen Hochzeitsfeier, bereits ziemlich angetrunken, aus der Gaststätte mitgehen lassen, es erinnerte ihn immer wieder an diesen Tag.

21 Jahre war er jetzt mit Petra verheiratet und immer noch glücklich, mit dieser Frau zusammen zu sein. Sie stellte den absoluten Gegenpart zu ihm dar. Obwohl, oder gerade deswegen, weil sie so unterschiedlich waren, hatte ihre Ehe immer harmonisch funktioniert, zwar auch die üblichen Tiefpunkte gehabt, aber nie war es etwas Ernstes gewesen und mit der Zeit hatte sich die anfangs flammende Leidenschaft zu einem tiefen und echten Gefühl des Vertrauens und einander Brauchens gewandelt, ohne dass ihre sexuellen Wünsche eingeschlafen waren. Petra erfüllte sie ihm gern, denn Frieder Bergmann wirkte zwar manchmal wie ein knochentrockener Buchhalter, er war allerdings ein begabter und phantasievoller Liebhaber und so kam auch sie auf ihre Kosten. Wer die schlanke und zierliche Frau sah konnte nicht vermuten, dass sie einer recht deftigen Berufstätigkeit nachging, sie war Unfallchirurgin. Oberärztin Dr. Petra Bergmann war der Umgang mit schockierenden Situationen somit nicht fremd, Frieder fiel um, wenn er einen Tropfen Blut sah. Auch sonst waren sie sehr unterschiedlich gepolt, der Behördenangestellte legte Wert auf Planung und Ordnung, seine Frau musste notgedrungen oft schnell aus der Situation heraus handeln und war damit erheblich flexibler. Vor allem behielt sie die Nerven, wenn etwas nicht wie geplant über die Bühne ging, Frieder Bergmann war schon verunsichert, wenn sein Plan nicht bis ins Detail funktionierte. Petra war schlau genug darüber hinweg zu sehen, und ohne dass es ihrem Mann sauer aufstieß nordete sie ihn immer wieder ein, gab ihm aber nie das Gefühl, die Lage nicht zu beherrschen.

Rüdiger kam mit dem Sekt, dem Bier und der Wurst zurück, dann verzog er sich in sein Zimmer um sich weiter durch Horden von Monstern zu schnetzeln, in Claudias Zimmer herrschte Stille. Es war jetzt 18 Uhr 30, Frieder ging daran, den Tisch zu decken. Sparsam nippte er an dem Bier, die Erinnerung an den gestrigen Abend flammte wieder wie ein Warnscheinwerfer auf. Gut gelaunt platzierte er alles auf dem Tisch, dann ging er auf den Balkon, um genießerisch eine Zigarette zu rauchen. Als er wieder hineinkam hörte er den Schlüssel in der Tür knirschen, Petra kam nach Hause. Er ging ihr entgegen, küsste sie und lief in die Küche zurück, ploppend sprang der Korken aus der Sektflasche und er goss zwei Gläser vor. Seine Frau wusste, dass er ihr sofort erklären würde welche Gründe es dafür gab, und sagte erst einmal gar nichts.

„Das Auto ist wieder in Ordnung, den Rechnungsbetrag bekommen wir zurück, das Finanzamt zahlt uns fast einen Tausender zurück“ erklärte er die Worte heraussprudelnd.

„Das ist ja toll“ antwortete Petra erfreut „eine recht willkommene Finanzspritze vor dem Urlaub.“

Frieder Bergmann zuckte zusammen, jetzt musste noch das unangenehme Thema auf den Tisch: der Brief seiner Mutter.

„Ich hol’ mal die Kinder“ sagte er, erstens um Zeit zu gewinnen und zweitens um noch Argumente zusammen zu kratzen, wie die Sache funktionieren könnte.

Es gab eine Sitzordnung bei Bergmanns. An der einen Längsseite des Tisches saßen Frieder und Petra nebeneinander, ihnen gegenüber Rüdiger und Claudia. Rüdiger überragte seinen Vater deutlich, der junge Mann maß knapp 1 Meter 90 und mit seiner bulligen Gestalt unterschied er sich deutlich von seinem Erzeuger, der eher mickrig daherkam. Claudia dagegen hatte die zarte Gestalt ihrer Mutter geerbt, die regelmäßigen Gesichtszüge stammten aber mehr von Frieder, die volle Haarpracht jedoch garantiert nicht von ihm, denn sein Haar war schon schütter geworden und erste graue Strähnen zogen sich hier und da hindurch. Die Eltern verstanden das gemeinsame Abendbrot auch als Kommunikationsmöglichkeit, um über alles Mögliche, und die Familie betreffende, zu reden. Während Frieder mehr im Hintergrund blieb, schwang sich der selbstbewusste Rüdiger öfter zum Wortführer auf, den seine Mutter ab und an bremsen musste. Claudia indes schwieg die ganze Zeit beharrlich: sie war Autistin.

Niemals wären Frieder und Petra Bergmann auf den Gedanken gekommen, ihre Tochter als behindert anzusehen. Ohne jegliche körperliche Einschränkung konnte Claudia alle Tätigkeiten verrichten die auch ein anderer Mensch vollbringen konnte. Die hübsche, sechzehnjährige junge Frau war durchaus eine Augenweide und zog die Blicke der jungen Männer an, denn ihr schlanker Körper war an den entscheidenden Stellen fraulich gerundet. Dass sie sich nicht oder nur spärlich an der Kommunikation beteiligte war für ihre Eltern und den Bruder zu einer Selbstverständlichkeit geworden, wenn sie sich lieber in ihr Zimmer zurückzog, ebenfalls. Nur manchmal, wenn sie ein Thema offensichtlich emotional berührte schaltete sich das Mädchen mit knappen Sätzen in die Diskussion ein, um bald wieder zu verstummen. Ihre Sprachfähigkeit war vollständig ausgeprägt, bloß lebte sie in ihrem eigenen Kosmos, der Gedankenaustausch nicht zur Pflicht machte. Petra Bergmann mit dem Verständnis einer Ärztin hatte einen anderen Zugang zu ihren Eigenarten und wusste, dass das Mädchen gute Chancen besaß sich in die moderne, hektische und von sozialen Verhaltensmustern geprägte Gesellschaft zu integrieren. Claudia besuchte eine reguläre Schule und verhielt sich dort unauffällig. Zu ihrer Jugendweihe vor einem Jahr erbat sie einen Laptop und diverse Software und verbrachte den größten Teil ihrer Zeit davor, genau wie ihr Bruder vor seinem PC. Während Rüdiger das Gerät mehr als Spaßmaschine verstand, auf der er überwiegend Spiel zockte, wurde der Rechner für Claudia zu einem stummen Partner, mit dem sie über selbst geschriebene Programme auf ihre eigene Art Unterhaltungen führte.

In der Schule erledigte sie die Aufgaben im Fach Technik und Computer wie nebenbei, total unterfordert und den anderen um Lichtjahre voraus beschäftigte sie sich dann gedanklich mit anderen Programmierarbeiten, und das besondere war, dass sie die Codezeilen wie einen endlosen Film in ihrem Kopf abspeichern konnte. Einmal war sie auf die Idee gekommen ein Passbild ihres Bruders als Vorlage zu scannen und dieses digital weiter zu bearbeiten, dann hackte sie sich in seinen Computer und stellte fest, dass er gerade Doom 3 spielte, einen Klassiker der Ego Shooter. Auf ihrem Monitor konnte sie mitverfolgen, dass Rüdiger die in Scharen anstürmenden und grässliche Fratzen zeigenden Pixelmonster gekonnt mit der Schrotflinte in den virtuellen Himmel schickte. Sie schleuste sich in den Programmcode ein und änderte in einigen Befehlszeilen bestimmte Parameter, welche beim nächsten Programmstart wirksam werden würden. Als Rüdiger den Rechner am nächsten Nachmittag wieder in Betrieb nahm sprangen ihm plötzlich grauenvolle Gestalten entgegen, die allesamt seine Gesichtszüge trugen, vor Entsetzen schrie er auf. Claudia lächelte still vor sich hin, machte ihre Änderungen rückgängig und harrte der Dinge.

„Ähm, es gibt noch eine Sache zu bereden“ sagte Frieder Bergmann vorsichtig „Oma will mit uns in den Urlaub fahren.“

Rüdiger fiel der Löffel aus der Hand, Claudia kicherte und Petra schaute bedrückt zum Fenster hinaus.

Jahresurlaub

Hannelore Bergmann wollte lediglich ihren Pflichten als Großmutter nachkommen, wie sie ihrem Sohn vor drei Jahren am Telefon erklärt hatte, und meldete sich für eine Besuchswoche in den Schulferien der Kinder bei ihnen an. Widerspruch duldete sie nicht, mit solchen Bemerkungen wie „du hast nicht einmal ein paar Tage Zeit für deine alte Mutter, die dich mühsam großgezogen hat“ nahm sie ihn den Wind aus den Segeln, und kleinlaut musste er Petra und die Kinder auf den Besuch vorbereiten.

„Wo soll sie denn überhaupt schlafen“ wollte seine Frau wissen.

„Keine Ahnung, haben wir nicht noch so was wie ein Feldbett im Keller“ antwortete er „geh’ mal nachsehen, Rüdiger. Und falls es noch da ist, bring’ es gleich mal mit.“

Der junge Mann schleppte das Gestell keuchend die Treppen hoch, brachte es ins Wohnzimmer und klappte es auf. Ein muffiger Geruch füllte den Raum, der von der auf dem Gestell liegenden Matratze ausging, die Wasserflecken aufwies und auch ansonsten überall mit schwarzen Flecken gesprenkelt war.

„Ein Fall für den Wertstoffhof“ stellte Petra fest „darauf kann niemand mehr schlafen. Da musst du wohl oder übel eine neue besorgen.“

„Mache ich morgen gleich nach Feierabend“ sagte Frieder erleichtert, denn seine Frau hatte sich offensichtlich damit abgefunden, dass ihre Schwiegermutter sie besuchen würde.

Der Campingausstatter war gut sortiert, allein an Klappliegen konnten die Kunden zwischen sieben verschiedenen Modellen wählen, die sich naturgemäß in ihrem Komfort und Preis deutlich unterschieden. Frieder Bergmann umkreiste das Areal mit wachen Augen, eine gefiel ihm optisch ganz gut, aber als er 180 Euro las war die Liege für ihn aus dem Rennen. Für eine Woche muss es ja keine Luxusausführung sein entschied er, die für 65 Euro war auch nicht übel und er beschloss, sie zu testen. Als er sich niederließ ging die Liege spürbar in die Knie und Bergmann musterte das Gestell näher, mit einer Hand fasste er an eine der Streben. Billiges Alu dachte er sich, aber Mutter ist ja nicht sonderlich schwer, das wird schon reichen und um die Schlafposition zu testen streckte er sich der Länge nach aus. Gar nicht übel konstatierte er, für ihn allerdings ein wenig zu kurz, wenn er auf diesem Teil schlafen müsste würden seine Beine ein ganzes Stück über die Liege hinausragen. In Bezug auf die Stabilität der Liege musste er sich jedoch keine weiteren Gedanken machen, denn als er sich erheben wollte knickte der das Kopfteil stützende Alurahmen ab und Frieder Bergmann wurde unsanft auf den Boden des Geschäftes befördert.

Sofort war ein besorgter Verkäufer bei ihm, half ihm auf die Beine und klopfte Schmutz von seinem Anzug. Frieder Bergmann wiegelte ab, alles kein Problem, es wäre ihm ja nichts passiert. Der Verkäufer hatte in ihm jedoch einen potentiellen Kunden entdeckt und erklärte Bergmann jetzt ungefragt die Vorzüge der verschiedenen Ausführungen. Er würde die für 145 Euro empfehlen, da bekäme man das beste Preis-Leistungsverhältnis, die er gerade selbst (Bergmann war gemeint) getestet hatte, würde in der Kundengunst zwar ganz gut im Rennen liegen, aber hätte, nun ja, ein paar kleinere Mängel in Bezug auf Materialgüte und Verarbeitung. Verständlicherweise müsse man bei diesem Preis Abstriche machen und für eine Nacht käme man schon über die Runden, eine Interimslösung eben, nichts für die Dauer. Frieder Bergmann kaufte diese Liege dennoch, er würde nicht darauf schlafen müssen.

Hannelore Bergmann traf am 3. August 2014 (dieses Datum sollte sich in die Gehirne von Frieder, Petra, Rüdiger und Claudia Bergmann wie unauslöschlich einbrennen) am Nordbahnhof ein. Nach einer Taxifahrt von gut 10 Minuten erreichte sie das Haus, in welchem die Familie wohnte. Exakt um 17 Uhr 35 betätigte sie die Klingel, kurz darauf summte der Türöffner und sie betrat das Treppenhaus, der Fahrer wuchtete einen riesigen Koffer aus dem Heck des Taxis und folgte ihr keuchend. Als er das schwere Stück absetzte knallte dieses deutlich hörbar auf den Boden des Treppenhauses und Hannelore Bergmann zischte ihn „Können Sie nicht besser aufpassen“ zu. Der Mann war froh sich entfernen zu können, während der kurzen Tour hatte er sich endlose Belehrungen über seinen Fahrstil anhören können und Hannelore Bergmann stellte auch ganz offen die Vermutung auf, dass er absichtlich Umwege fuhr, um einen höheren Preis erzielen zu können. Selbst als er ihre Aufmerksamkeit auf sein Navigationssystem lenkte glaubte sie ihm nicht, dass dieses immer die kürzeste Strecke vorschlagen würde.

Die Frau stieg bis in den zweiten Stock empor, die an ihrem Handgelenk baumelnde Tasche hatte nur wenig Gewicht, den Koffer ließ sie unten stehen. In der geöffneten Tür drängten sich die Eltern mit ihren Kindern, der Begrüßungssatz von Hannelore Bergmann lautete:

„Geht mal einer meinen Koffer holen, wer weiß was für Volk hier in dem Haus wohnt, man kann ja nie wissen. Keine besonders vornehme Gegend hier, überall liegt Dreck auf den Wegen rum.“

Danach quetschte sie sich an den anderen vorbei, Frieder Bergmann schickte seinen Sohn Rüdiger nach unten. Dieser kam nach wenigen Augenblicken zurück, er war nicht in der Lage gewesen den Koffer zu bewegen. Bergmann machte sich verdrossen selbst auf den Weg und musste alle seine Kräfte aufwenden um den Koffer nach oben zu bugsieren, als er diesen in die Wohnung transportiert hatte pumpte er einige Momente Luft.

„Du solltest mal ein bisschen mehr Sport treiben“ belehrte ihn seine Mutter, die sich auf dem Sofa im Wohnzimmer niedergelassen hatte „deine Kondition scheint nicht die Beste zu sein, liegt bestimmt an der verdammten Raucherei. Da könnte deine Frau auch mal ein bisschen auf dich einwirken, aber nicht einmal sie als Ärztin schafft es, dich von der Schädlichkeit dieser Sache zu überzeugen. Ich hoffe doch, du hältst ein bestimmtes Maß ein, aber richtig willensstark bist du ja noch nie gewesen. Ich zum Beispiel habe früher bestimmt eine Schachtel am Tag verqualmt aber irgendwann war Schluss damit, kostet doch nur Geld und ist nicht gesund. Kannst du dir nicht vorstellen, wie oft ich gern wieder mal eine gezogen hätte? Wie ist es denn mit dir, Rüdiger? Auch schon diesem Laster verfallen?“

Der Junge druckste herum, er war jetzt fünfzehn und qualmte mit seinen Kumpels aus der Schule schon mal heimlich eine Zigarette nach Unterrichtsende oder wenn er einen seiner Freunde besuchte.

„Nö, natürlich nicht“ antwortete er wenig überzeugend und Hannelore Bergmann witterte sofort seine Unsicherheit.

„Gib‘ s schon zu, natürlich stehst du mit deinen Kumpels nach der letzten Unterrichtsstunde an irgendeiner Ecke und rauchst mit denen eine. Vorher geht es nicht, dann würden die Lehrer es riechen, nach der letzten Stunde hast du aber noch genug Zeit den Tabakgestank wegzubekommen, weil du ja vor deinen Eltern zu Hause bist. Und ich wette mit dir, dass du immer eine Packung Kaugummi bei dir hast, aber glaube mir, der Gestank geht davon nicht weg. Als Lehrerin weiß ich nämlich ganz genau wie die Sache läuft.“

Rüdiger versuchte noch den Kaugummi in seinem Mund herunterzuschlucken, vor einer Stunde hatte er mit seinem Freund Maik schnell noch eine gedampft und diese Zeit hatte immer gereicht, den Tabakgeruch wegzukriegen.

„Gib’ mir mal deine Hand her“ befahl seine Großmutter und wie paralysiert hielt er ihr diese hin, mit einer energischen Bewegung beförderte sie Hannelore Bergmann unter ihre Nase und schnüffelte daran herum.

„Klare Sache“ meinte sie sofort „das musst du noch lernen, der Rauch verflüchtigt sich aus deinem Rachen relativ schnell mit der Atemluft, aber an der Hand haftet er noch lange an, wann hast du die letzte gequalmt?“

Frieder Bergmann sah seinen kreidebleichen Sohn an, da er selber rauchte konnte er ihn jetzt nicht im Stich lassen und wandte sich an seine Mutter:

„Das reicht, wir sind hier doch nicht im Verhörraum der Kripo.“

„Du deckst ihn auch noch“ fuhr seine Mutter hoch „soll ich dir erzählen, was er sich damit antut.“

„Musst du nicht“ schaltete sich Petra in das Gespräch ein „ich rede dann mit ihm.“

„Also eure Erziehungsmaßnahmen sind mir viel zu lasch“ grantelte Hannelore Bergmann vor sich hin „Kuschelpädagogik führt doch zu nichts, die Kinder werden euch bald auf der Nase herum tanzen. Ihr werdet euch noch umgucken. Aber kommen wir jetzt mal zur Sache. Wo ist mein Zimmer?“

„Nun, ich habe mir gedacht, dass du hier im Wohnzimmer schläfst, ich habe extra eine neue Campingliege gekauft“ erklärte Frieder hoffnungsvoll.

„Wie bitte“ artikulierte sich seine Mutter schon etwas lauter „in meinem Alter soll ich auf so einem harten Ding schlafen? Kommt gar nicht in Frage, ich bestehe auf einem ordentlichen Schlafplatz!“

Es blieb ruhig, Rüdiger hatte etwas an Gesichtsfarbe zurück gewonnen, Petra krallte ihre Finger in die Handinnenflächen, Claudia folgte dem Geschehen ohne jede Regung und Frieder Bergmann schluckte, darauf war er nicht vorbereitet gewesen.

„Du hast doch die Liege ausgesucht“ wandte sich Hannelore Bergmann wieder an ihren Sohn „dann kannst du auch drauf schlafen. Claudia zieht zu Petra ins Schlafzimmer und ich in ihrem Zimmer ein. Ist doch die perfekte Lösung für alle, oder“ fragte sie triumphierend.

Frieder Bergmann nickte matt, jetzt war genau das eingetreten, wovor er sich gefürchtet hatte. Seine Mutter war schon wieder auf dem besten Wege, ihr gesamtes Umfeld zu tyrannisieren und er ahnte, dass dies erst der Prolog zu einer längeren Leidensgeschichte werden würde. Innerhalb von fünf Minuten war es ihr gelungen ein Spannungsfeld aufzubauen, das sich im schlechtesten Fall irgendwann explosionsartig entladen könnte. Ihm blieb nur übrig, den Ball möglichst flach zu halten und wenig Widerspruch an den Tag zu legen, vielleicht konnte er damit das Schlimmste verhindern.

„Ja, so machen wir es“ erwiderte er hilflos und erntete einen giftigen Blick seiner Frau, soeben hatte er sich ein weiteres Mal widerstandslos unter den Pantoffel seiner Mutter begeben.

„Na bitte“ freute sich Hannelore Bergmann „ich werde jetzt erst einmal mein Zimmer beziehen. Und ich habe schon eine Liste mit dem Programm für die nächsten Tage vorbereitet, könnt ihr euch schon mal anschauen.“

Sie beförderte ein Blatt Papier aus ihrer Handtasche und legte es auf den Tisch, Frieder Bergmann schleppte den Koffer in Claudias Zimmer, die Tür schloss sich von Innen, Hannelore Bergmann wollte jetzt erst einmal für eine Weile nicht gestört werden.

Fassungslos blickte Frieder Bergmann auf das Blatt, mit WORD hatte seine Mutter das Blatt quer formatiert und in acht Spalten unterteilt, mehrere eng beschriftete Zeilen waren darunter angeordnet. Die dritte bis siebente Spaltenüberschrift war jeweils mit den Namen des Wochentages versehen (so lange würde Hannelore Bergmann bei ihnen sein, also fünf Tage), in der zweiten stand „Aktivität“, in der ersten „Zeit“ und in der achten „Verantwortlich“.

Nach dem Plan seiner Mutter begann das Programm für die Kinder (die Ferien hatten) bereits 8 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück, als „Verantwortlich“ waren Rüdiger und Claudia angegeben. Hannelore Bergmann war mit dem analytischen Verstand einer Mathematik- und Physiklehrerin an die Aufstellung des Planes heran gegangen, selbst Wegezeiten zu den Besuchs- oder Veranstaltungsorten hatte sie akribisch recherchiert und eingetragen. So war beispielsweise am Mittwoch vorgehen, das Stadtmuseum zu besuchen, „Zeit“ für die Straßenbahnfahrt war „8.56“, „Aktivität“ wurde mit „Transport“ bezeichnet und „Verantwortlich“ waren die „Städtische(n) Verkehrsbetriebe“. Jeder Tag war komplett durchgeplant, ab 17 Uhr stand „Freizeit“, die bis 19 Uhr währte, dann begann das „Abendessen“ und danach war eine halbe Stunde für „Konversation“ frei gehalten, 20 Uhr startete das „Abendprogramm“, welches zu Frieders Erschrecken bis 24 Uhr andauerte.

„Mach ich nich“ sagte Claudia knapp.

„Aber Schatz“ versuchte Frieder seine Tochter zu besänftigen „Oma ist extra in den Ferien zu uns gekommen, damit ihr gemeinsam etwas unternehmen könnt. Glaub’ mir, da sind interessante Dinge im Programm drin.“

„Glaub’ nich, dass Oma wegen uns gekommen ist“ beharrte das Mädchen auf ihrem Standpunkt.

„Wieso dann“ fragte er verwundert.

„Will wieder Lehrerin spielen“ war die Antwort.

Petra sprang ihrem Mann bei.

„Schau doch, am Mittwoch geht es auf den Bauernhof und da gibt es auch Pferde.“

„Na gut“ antwortete Claudia

„Ist doch total öde“ beschwerte sich Rüdiger.

„Na für dich ist doch sicher der Besuch im Militärmuseum schon eher was“ meinte sein Vater und der Junge nickte begeistert.

„Krieg is gar nicht gut“ behauptete Claudia „will ich nich hin.“

Hannelore Bergmann betrat wieder die Bühne, sie hatte sich umgekleidet und statt des dezenten Kostüms in dem sie gereist war, trug sie jetzt eine lila Leggins, ihren Oberkörper verhüllte eine Bluse, die in den knallbunten Farben von Hawaihemden gehalten war, Birkenstocksandalen schützen ihre Füße. Frieder klappte die Kinnlade herunter, Claudia kicherte, Rüdiger hielt sich zurück und Petra schaute aus dem Fenster, an ihren zuckenden Schultern konnte man erkennen, dass sie einen Lachanfall unterdrückte. Irritiert sah Hannelore Bergmann sie an und gab sofort eine Erklärung ab.

„Man ist so jung, wie man sich fühlt, ihr braucht gar nicht so zu glotzen, schließlich leben wir im 21. Jahrhundert und da müssen Pensionäre nun nicht mehr in Sack und Asche herumlaufen. Was haltet ihr übrigens von dem Plan?“

„Mutter“ sagte Frieder Bergmann vorsichtig „das ist ein ziemlich straffes Programm, aber die Kinder haben doch Ferien. Kannst du das nicht ein bisschen einkürzen?“

„Wie stellst du dir das vor? Ich habe wochenlang gesessen, um das alles aufeinander abzustimmen, kommt nicht in Frage!“

„Wie ist das eigentlich mit dem „Abendprogramm“ gemeint“ fragte ihr verunsicherter Sohn noch.

„Na ist doch klar, das ist Fernsehzeit.“

„Bis Mitternacht“ bohrte Frieder Bergmann nach.

„Weißt du mein Junge, ich bin älter, da braucht man nicht mehr so viel Schlaf, wenn ich bis sieben im Bett bleiben kann reicht mir das.“

„Und wer bestimmt was gekuckt wird“ fragte Petra.

„Ach, ihr werdet von der Arbeit müde sein, überlasst die Programmauswahl ruhig mir.“

„Das heißt also, du willst bis Mitternacht fernsehen, ist das richtig“ fragte ihr Sohn nach.

„Genau.“

„Aber ich soll doch auf der Liege im Wohnzimmer schlafen, das geht doch nicht“ wurde er jetzt lauter.

„Gehst du eben in die Küche, ist doch egal wo du das Ding aufbaust, dort ist genau so viel Platz dafür“ war der verblüffende Lösungsvorschlag seiner Mutter den Frieder Bergmann ohne jegliche Gegenwehr zur Kenntnis nahm.

Am Abendbrottisch kam es zu einem ausufernden Monolog von Hannelore Bergmann, die sich unter anderem über die gesundheitlichen Risiken des Butterkonsums äußerte und Margarine empfahl. Auch der tägliche Genuss von Bier (das ging an Frieder) und Wein (an Petra) wäre wohl ein Hasardspiel gegen die Gesundheit, im Übrigen wäre viel zu wenig Obst auf dem Tisch und abgepackte Wurst würde sie eigentlich nie essen. Abgelenkt von ihren wertvollen Hinweisen an die anderen übersah Hannelore Bergmann, dass sie die Sollzeit für das Abendessen deutlich überschritt, so dass für „Konversation“ nur noch schlappe 12 Minuten übrig blieben, die sie mit einem Abriss über die Entwicklung der Lebensmitteltechnologie füllte und auf die betrügerischen Angaben zu den Inhaltsstoffen hinwies, was sie veranlassen würde, nur noch im Bioladen einzukaufen. Eine Minute vor 20 Uhr saß sie im Fernsehsessel ihres Sohnes und konsumierte die Nachrichtensendung. Die vier anderen Bergmanns saßen eingeschüchtert in der Küche und kamen erst langsam wieder zu sich, Rüdiger verzog sich fluchtartig in sein Zimmer, Claudia verschwand mit einem Buch unter dem Arm im elterlichen Schlafraum und Petra erklärte ihrer Schwiegermutter, dass sie morgen einen anstrengenden Tag haben würde und ausnahmsweise mal zeitig ins Bett gehen würde. Verlassen von seinen Familienmitgliedern und gereizt vom bisherigen Verlauf des Tages ging Frieder Bergmann seine Nachabendbrotzigarette rauchen, dann räumte er die Küche auf.

Die Nachrichten waren vorbei, seine Mutter hantierte profihaft mit der Fernbedienung und als sie die Senderliste durchging und kurz bei „Phoenix“ verharrte keimte in Bergmann Hoffnung auf, dass er vielleicht doch noch den Beitrag über den höchsten Wolkenkratzer der Welt sehen könnte (auf den er sich Tagen freute). Aber der Cursor bewegte sich zielstrebig weiter, um dann bei „MDR“ und der Sendung „Damals war‘s“ zur Ruhe zu kommen. Einen Wimpernschlag später tönten die letzten Takte von „Ich such die Yvetta“ durch das Wohnzimmer, gleich darauf verrenkte sich ein spindeldürrer Kerl zu dem sinnigen Titel „Krokodil Theophil“ wie eine Gliederpuppe der man alle Knochen gebrochen hatte, und sprang wie ein Derwisch wild auf der Bühne herum, Jiri Korn. In der nächsten halben Stunde fiel kein weiteres Wort zwischen Frieder Bergmann und seiner Mutter, dafür produzierten sich Bisser Kirow, Vaclav Neckar, Ljupka Dimitrowska und andere auf der Mattscheibe. Mit zusammen gebissenen Zähnen ließ Frieder Bergmann das Spektakel über sich ergehen und nahm sich vor, bis 21 Uhr 30 auszuhalten, was ihm aber nicht gelang. Als eine gewisse Hanna Zagarowa auftrat und trällerte „Ich geh’ nur in Hosen, denn die sind praktisch und schön“ und dann weiter noch musikalisch darauf hinwies, dass man somit den „Popo“ besser sehen könnte als bei einem Kleid und auch noch andere sinnfreie Aussagen folgten, war seine Toleranzgrenze erreicht.

„Ich geh’ ins Bett“ teilte er seiner Mutter mit, um dann erklärend noch knapp hinzuzufügen: „Habe morgen eine wichtige Beratung.“

Sie nickte nur, Frieder Bergmann griff sich die Campingliege und schleppte diese in die Küche, dort musste er die Stühle an die Wand stellen und den Tisch etwas verrücken, dann versuchte er das Schlafmöbel aufzubauen. Als er den Klappmechanismus endlich verstanden hatte und die Liege stand stellte er fest, dass er weder Bettzeug noch einen Schlafanzug hatte, all das lag im Schlafzimmer und vermutlich schlief Claudia schon.

Missmutig schlich er ins Bad, putzte sich die Zähne, legte seine Oberkleidung ab, nahm ein Badelaken von der Leine und begab sich nur im Schlüpfer zurück in die Küche. Es war jetzt 21 Uhr 13, viel zu früh für ihn, um schlafen zu können. Die Sonne stand noch am Himmel und da sie in der Küche keine Übergardinen hatten war der Raum noch gut erleuchtet, eigentlich bevorzugte Frieder Bergmann einen dunklen Schlafraum. Na gut, dachte er sich, schnappe ich mir noch ein Bier, vielleicht kann ich dann schneller einschlafen. Er kam mühsam auf die Beine, da sich die Liegefläche nur knapp dreißig Zentimeter über dem Boden befand und für ihn deutlich zu kurz war, aber dann hatte er es geschafft. Das Bier war angenehm kühl, er ließ sich vorsichtig auf der Campingliege nieder und platzierte die Flasche zunächst neben seiner Ruhestätte, da er die Neigung des Kopfteils noch verändern wollte. Der Verstell Mechanismus war simpel konstruiert worden und zudem noch schlampig ausgeführt, aber das wusste er nicht. Die Querstange, die den Neigungswinkel bestimmte, rastete in gezackten Arretierungen ein, nur nicht fest genug, weil der Hersteller bei der Güte des Materials erheblich gespart hatte. Nunmehr in der Rückenlage und mit einem ungefähr um 30 Grad erhöhten Kopfteil wollte sich Frieder Bergmann an dem Bier laben und griff erwartungsvoll nach der Flasche. Seinen Kopf in den Nacken legend lief das Bier erfrischend in ihn hinein und er entspannte sich, so ein kühles Blondes am Abend war doch schon was wert. Als die Flasche zur Hälfte leer war musste er sich noch weiter nach hinten strecken um trinken zu können und bewegte sich deswegen ein wenig, in diesem Moment rutschte die Stange an der rechten Seite aus ihrer Arretierung, so dass das Kopfteil plötzlich zu dieser Seite und zusätzlich nach hinten kippte und Frieder Bergmanns Kopf ebenfalls diesen Weg nahm. Vollkommen überrascht von dem Ereignis riss es ihn nach unten (da die gesamte Konstruktion jetzt krachend zusammen brach) und weil die Bierflasche, die er gerade in der Hand hatte und sein Arm ebenfalls der abwärts gerichteten Bewegung folgen mussten, was aber bedeutete, dass der Arm nach oben schnellte, versagten seine Reflexe. Der Griff um die Flasche lockerte sich und diese begab sich auf eine bogenförmige Flugbahn, die an der hinter der Liege befindlichen Wand endete. Mit einem hässlichen Geräusch zerbarst die Flasche in mehrere Stücken, die dann klirrend auf den Küchenboden regneten, die noch in der Flasche enthaltene Flüssigkeit verteilte sich über die Wand und den sich jetzt neben der Liege befindlichen Frieder Bergmann.

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