Kitabı oku: «Öffentliches Wirtschaftsrecht», sayfa 28
b) Stellvertretung im Gewerberecht
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Seit ihrem In-Kraft-Treten enthält die Gewerbeordnung in den §§ 45 ff Bestimmungen, die die Ausübung eines Gewerbes durch Stellvertreter ermöglichen. Stellvertreter ist derjenige, der ein Gewerbe bzw einen Teil desselben im Namen und für Rechnung des Inhabers, aber im Übrigen im Außenverhältnis selbstständig betreibt[121]. Stellvertretung kann auf rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher Grundlage erfolgen, zB beim Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter und bei der Testamentsvollstreckung. Der Stellvertreter muss in seiner Person die materiellen Voraussetzungen des jeweiligen Gewerbes (insbes Zuverlässigkeit, gegebenenfalls aber auch Sachkundenachweise) erfüllen, nicht aber die formellen. Damit ist insbesondere keine neue Erlaubnis erforderlich.
Nach § 45 GewO ist die Gewerbeausübung durch Stellvertreter grds. zulässig, auch nach dem Tod des Gewerbetreibenden ist die Fortführung des stehenden Gewerbes für den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner nach § 46 GewO gestattet. Für die meisten nach der GewO zulassungspflichtigen Gewerbe bedarf die Stellvertretung nach § 47 GewO einer ausdrücklichen behördlichen Zulassung[122]. Die §§ 45 ff GewO werden durch Spezialregelungen (zB §§ 9, 10 GastG) ergänzt bzw modifiziert[123].
c) Die Strohmannproblematik
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Von einem Strohmann spricht man im Gewerberecht dann, wenn der Gewerbetreibende zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse im Auftreten nach außen und gegenüber der Behörde einen anderen, den Strohmann, als „Aushängeschild“ vorschiebt[124]. „Strohmann“ kann auch eine juristische Person sein[125]. Der gewerberechtlich „Verantwortliche“ ist deswegen der Hintermann. Sinn dieser Konstruktion ist allerdings die Einbeziehung des Hintermannes in den gewerberechtlichen Ordnungsrahmen, nicht die Entlassung des Strohmannes[126]. Beide können also Adressat von Maßnahmen der Gewerbeaufsicht sein (zu einem Beispiel unten Rn 280, 287).
Ist der Hintermann unzuverlässig, ergibt sich daraus zwingend auch die Unzuverlässigkeit des Strohmannes, da er einem unzuverlässigen Hintermann die gewerbliche Betätigung ermöglicht[127]. Im Bereich des erlaubnispflichtigen Gewerbes rechtfertigt bereits die Existenz eines Strohmannverhältnisses die Annahme der Unzuverlässigkeit der beteiligten Personen, da sie sich über die für den Hintermann bestehende Erlaubnispflicht hinwegsetzen[128]. Ob tatsächlich ein Strohmannverhältnis vorliegt oder lediglich als „Minus“ einem unzuverlässigen Dritten maßgeblicher Einfluss gewährt wird, muss im Einzelfall unter sorgfältiger Ermittlung des gesamten Sachverhalts festgestellt werden, wobei konkrete Tatsachen und nicht bloße Zweifel und Vermutungen vorliegen müssen. Die Beweislast hierfür liegt bei der Behörde[129]. Abgrenzungsprobleme stellen sich vor allem bei der Einschaltung juristischer Personen[130].
5. Die grenzüberschreitende Gewerbeausübung von EU-Ausländern
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Fall 16:
Der Österreicher Ö mit Wohnsitz in Graz zieht mit seinem umgebauten Bus durch ganz Europa, um Altgold anzukaufen. Er verfügt weder über die nach österreichischem Recht erforderliche Genehmigung zum Ankauf von Gold, die man ihm entzogen hat, nachdem er mehrfach Kunden betrogen habe, noch hat er seine Tätigkeit in Deutschland angezeigt oder gar genehmigen lassen.
a) | Kann gegen Ö eingeschritten werden, wenn er in Mainz Gold ankauft, ohne dass er dies angezeigt hat oder über eine (deutsche) Erlaubnis verfügt? |
b) | Ändert sich an der Beurteilung etwas, wenn er einmal im Monat in Mainz in den Geschäftsräumen des G tätig wird, der ihm gegen eine Miete von 50 EUR einen Tisch in seinem Versandhandelsshop zur Verfügung stellt? |
c) | Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn Ö auf ausdrücklichen Wunsch einiger Kunden nach Deutschland kommt, die im Urlaub seine Annonce in österreichischen Tageszeitungen gesehen hatten oder wenn ihm diese das Gold per Post nach Österreich schicken? |
d) | Würde sich an der Beurteilung etwas ändern, wenn es sich um den deutschen D handelte, der nur deswegen nach Österreich übersiedelte, weil ihm die deutschen Behörden die erforderliche Erlaubnis versagt hatten? |
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§ 4 GewO befreit die gewerbliche Tätigkeit von einer Erlaubnispflicht, Anzeigepflicht und anderen gewerberechtlichen Voraussetzungen, sofern es sich um Dienstleistungen handelt, die von einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR erbracht werden[131]. Selbstverständlich beschränkt sich § 4 GewO auf diejenigen Bereiche, für die eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht. Die in Art. 74 Abs. 1 Nr 11 GG ausgeklammerten Materien, also vor allem auch das gesamte Marktrecht des Titels IV, werden daher nicht erfasst[132]. Im Übrigen erklären sich „Lücken“ des § 4 GewO daraus, dass Art. 2 Abs. 2 DLR selbst, auf den § 4 GewO ausdrücklich verweist, bestimmte Bereiche, etwa Finanzdienstleistungen, Glücksspiele und das Bewachungsgewerbe, ausnimmt[133].
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In der Fallbearbeitung sind die Voraussetzungen des § 4 GewO vor denjenigen der möglicherweise verdrängten Bestimmungen zu prüfen, sofern der Sachverhalt dazu Anlass gibt (s. auch Rn 241, 247, 249). Zusätzlich ist zu beachten, dass § 4 GewO nur Ausnahmen normiert, also voraussetzt, dass die GewO auf die entsprechende Dienstleistung überhaupt anwendbar ist, vor allem aber, dass deutsche Gewerbeaufsichtsbehörden überhaupt zuständig sind. Gerade weil die Kontrollbefugnisse der Behörden im Tätigkeitsland eingeschränkt wurden, wird die Verwaltungskooperation zwischen den Mitgliedstaaten umso wichtiger sein; die §§ 8a ff VwVfG liefern dabei den auf Art. 21 und 28–35 DLR beruhenden, hier nicht näher darzustellenden rechtlichen Rahmen[134].
a) Einschränkung der Anzeige- und Genehmigungspflichten
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Für das stehende Gewerbe entfällt das Erfordernis einer Gewerbeanzeige nach § 14 GewO[135]. Sie wird auch nicht durch andere Anzeigepflichten ersetzt; die spezielle Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Dienstleistungen nach § 13a GewO betrifft nur solche reglementierten Berufe, für die Sachkundenachweise gefordert werden; im Bereich der GewO gilt dies außer für Vermittlungs- und Beratungstätigkeiten in der Finanzbranche (§§ 34c ff GewO) insbes für das private Sicherheitsgewerbe (§ 34a GewO)[136]. Außerdem betrifft § 4 GewO vor allem das Reisegewerbe (§ 55 GewO), bei dem er auch den größten praktischen Anwendungsbereich haben dürfte. Für dieses, das ja gerade nicht von einer „Niederlassung“ aus erbracht wird, passt die Formulierung des § 4 GewO freilich nicht so recht. Hier wird man vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten das Fehlen einer inländischen Niederlassung so zu interpretieren haben, dass der Betreffende jedenfalls nicht in das deutsche Wirtschaftsleben integriert ist (s. schon Rn 70 ff)[137].
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Fall 16a/c (Rn 237):
Im Ergebnis bedarf Ö in der Ausgangskonstellation keiner deutschen Erlaubnis. Es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob er seine Tätigkeit in Österreich legal anbieten kann. Dabei erfasst die Freistellung im Ergebnis über den Wortlaut des § 4 GewO hinaus auch das Erfordernis einer Ausnahmegenehmigung nach § 56 GewO[138]. Irrelevant ist auch, inwieweit ihm diese Tätigkeit in seinem Herkunftsland gestattet ist. Eine Interpretation des § 4 GewO im Sinne eines Herkunftslandprinzips[139] scheitert am klaren Wortlaut, selbst wenn man Art. 16 DLR im Einklang mit den primärrechtlichen Grundsätzen des Herkunftslandprinzips dahingehend auslegen könnte, dass „es zwingende Voraussetzung des Art. 16 DLR sei, dass der Dienstleistungserbringer eine zumindest ähnliche Dienstleistung in seinem Herkunftsland rechtmäßig anbieten kann“[140]. Ö unterliegt auch nicht der Anzeigepflicht des § 55c GewO. Da seine Tätigkeit in Fall 16c (Rn 237) auf Veranlassung seiner deutschen Kunden jedenfalls nicht unter den Begriff des Reisegewerbes fällt (s. näher Rn 343 ff), käme allenfalls eine Gewerbeanzeige nach § 14 GewO in Betracht, die jedoch nach den dargelegten Bagatellgrenzen (vgl Rn 222) von der Praxis wohl nicht verlangt würde.
b) Umgehungsverbote
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Um zu vermeiden, dass Gewerbetreibende nur deswegen von einem anderen Mitgliedstaat aus tätig werden, um sich der Anwendbarkeit des deutschen Gewerberechts zu entziehen, schränkt § 4 Abs. 2 GewO für den Fall der Umgehung die Anwendbarkeit des Abs. 1 ein[141]. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich die Niederlassung im Ausland befindet, die Tätigkeit aber vorwiegend in Deutschland ausgeübt wird, vgl § 4 Abs. 2 S. 2 GewO.
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Die Bedeutung der Umgehungsklausel wird wohl erst durch den EuGH abschließend zu klären sein[142]. Außer dem klaren Fall 16d (Rn 237), dass ein deutscher Gewerbetreibender gerade deswegen ins Ausland „flüchtet“, weil er bereits in Konflikt mit den deutschen Behörden geraten ist, sind angesichts der großzügigen EuGH-Rechtsprechung (vgl bereits oben zur Gründung von Gesellschaften nach ausländischem Recht Rn 232) deutliche Grenzen gezogen[143]. Verfügt also ein Unternehmen sowohl über inländische wie über ausländische Niederlassungen, ist allein die Abwicklung einer Leistung über die ausländische Niederlassung nicht rechtsmissbräuchlich, selbst wenn dies (nur) zu dem Zweck geschehen sollte, Anforderungen des deutschen Gewerberechts zu vermeiden.
c) Begriff der Niederlassung
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Die Anwendbarkeit des § 4 GewO hängt entscheidend davon ab, ob der Gewerbetreibende über eine Niederlassung in Deutschland verfügt. Definiert wird der Niederlassungsbegriff in § 4 Abs. 3 GewO einheitlich für das gesamte Gewerberecht[144]. Dieser Begriff wurde dem Unionsrecht entnommen[145] und ist daher anhand der EuGH-Rechtsprechung zu konkretisieren, die im Übrigen auch für IPR[146] und internationales Prozessrecht[147] maßgeblich ist. Da der Begriff den bisherigen Niederlassungsbegriff in § 42 GewO aF ersetzt, ist er nicht nur im Rahmen des § 4 GewO, sondern auch in anderem Zusammenhang heranzuziehen, insbes zur Abgrenzung von Reise- und stehendem Gewerbe bei von einer (Zweig)Niederlassung aus erbrachten Leistungen (dazu Rn 344). Bei einem Rekurs auf die Rechtsprechung zum bisherigen gewerberechtlichen Niederlassungsbegriff ist Vorsicht geboten[148].
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Durch eine restriktive Interpretation der Zweigniederlassung[149] gelangte die Rechtsprechung in den Grenzfällen zur Anwendung des Reisegewerberechts und damit der Genehmigungsbedürftigkeit. Im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 GewO verschieben sich allerdings die Konsequenzen; eine großzügig(er)e Anerkennung von Zweigniederlassungen eröffnet hier überhaupt erst den Anwendungsbereich des deutschen Gewerberechts. Verfügt der Gewerbetreibende nämlich (auch) über eine deutsche Niederlassung, handelt es sich um eine vom Inland aus erbrachte Dienstleistung, so dass die Voraussetzungen einer Einschränkung der Anzeigepflicht gem. § 4 Abs. 1 S. 2 GewO nicht vorliegen. Der Begriff ist jedenfalls richtlinienkonform nach den Maßstäben des EuGH auszulegen. Eine Niederlassung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Tätigkeit auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Einrichtung ausgeübt wird. Allein die Kontinuität und regelmäßige Wiederholung einer Tätigkeit führen jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht zur Qualifizierung als Niederlassung[150]. Der EuGH hat sich zunehmend vom zeitlichen Moment entfernt und stellt – bezogen auf die Abgrenzung von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (vgl schon Rn 72) – auf eine „Verwurzelung“ des Gewerbetreibenden im Aufnahmestaat ab[151]. Dennoch ist die Konkretisierung nicht immer einfach, wie Fall 16b (Rn 237)[152] zeigt. Wenn ein Gewerbetreibender lediglich temporär fremde Geschäftsräume, oder dort gar wie hier nur kleine Verkaufsflächen anmietet, ist es fraglich, ob dies bereits zur „Verwurzelung“ in dem betreffenden Land genügt. Hier verneinte die Rechtsprechung regelmäßig das Vorliegen einer Niederlassung mit der Begründung, dass in den angemieteten Räumlichkeiten keine Betriebseinrichtung vorgehalten wird[153]. Der EuGH stellt demgegenüber allgemeiner darauf ab, inwieweit der Gewerbetreibende „über eine Infrastruktur verfügt, die es ihm erlauben würde, in stabiler und kontinuierlicher Weise einer Erwerbstätigkeit nachzugehen“[154]. Im vorliegenden Zusammenhang würde aber wohl auch der EuGH berücksichtigen, dass ein zu weiter Niederlassungsbegriff dem Ö die Vorteile der europäischen Dienstleistungsfreiheit nehmen würde. Vergleichbare Schwierigkeiten stellen sich im Baugewerbe, wenn während der Tätigkeit für mehrere Monate oder gar Jahre auf der Baustelle Betriebseinrichtungen vorgehalten oder zB auch Subunternehmer beschäftigt werden; die Dauer der Tätigkeit allein führt hier nicht dazu, dass eine Niederlassung vorliegt[155].
d) Die Zuständigkeit deutscher Behörden für ein Einschreiten
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Der Frage nach der Anwendbarkeit des deutschen Gewerberechts in Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug ist eigentlich die Frage nach der Zuständigkeit vorgelagert. Diese Frage der internationalen örtlichen Zuständigkeit wird in der GewO nicht geregelt und in der deutschen gewerberechtlichen Diskussion typischerweise ausgeblendet[156]. Selbst die Umsetzung der DLR beschränkte sich auf Vorgaben zu den Anzeige- und Genehmigungspflichten und äußerte sich zur Möglichkeit eines Einschreitens gegen unzuverlässige Gewerbetreibende etwa nach § 35 GewO nicht. Nach den allgemeinen Grundsätzen[157] sind deutsche Behörden jedenfalls dann nicht zuständig, wenn keine deutsche Behörde örtlich zuständig ist. Für das Wirtschaftsverwaltungsrecht knüpft die Zuständigkeit aber an den Ort der Niederlassung an. Bei ausländischen Niederlassungen lässt sich so eine Zuständigkeit deutscher Behörden also idR nicht begründen[158]. Dies gilt sowohl für die Grundnorm des § 3 Abs. 1 Nr 1–3 VwVfG wie auch für die Zuständigkeit zur Erteilung einer Reisegewerbekarte nach § 61 GewO[159]. Soweit Niederlassung bzw gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland fehlen, könnte man daraus also bereits die Unzuständigkeit deutscher Behörden und die Unanwendbarkeit der GewO ableiten. Allerdings wird etwa in § 35 Abs. 7 S. 2 GewO und bei § 59 GewO lückenschließend auf den Ort rekurriert, wo die Tätigkeit (in Deutschland) regelmäßig ausgeübt wird. Aber auch dann sind jedenfalls Korrespondenzdienstleistungen nicht erfasst (näher zum E-Commerce Rn 396 ff). Zieht man außerdem § 3 Abs. 1 Nr 4 VwVfG heran[160], ließe sich jegliche Gewerbeausübung mit Auswirkungen auf Deutschland erfassen[161].
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Die Konsequenzen lassen sich anhand des Beispielsfalles illustrieren: In Fall 16c (Rn 237) wäre nach dieser weitesten Auffassung sogar eine Leistung auf Initiative deutscher Kunden erfasst, obwohl es gerade vor dem Hintergrund der Dienstleistungsfreiheit nicht ohne weiteres überzeugt, die Genehmigungsbedürfnisse auch darauf auszudehnen. Allerdings werden auch von der deutschen Praxis einmalige Dienstleistungen von kurzer Dauer sowie – als Ausfluss eines „ins Inland hineinwirkenden Gewerbebetriebes“ – auch Werbemaßnahmen und Informationsgespräche, Warenauslieferung und Montagearbeiten als nicht „gewerbsmäßig“ betrachtet, wenn sie im Verhältnis zur Gesamttätigkeit nur von untergeordneter Bedeutung sind[162]. Soweit § 4 GewO Genehmigungsbedürfnisse sowieso einschränkt, spielen diese Fragen keine Rolle mehr; sie bleiben jedoch für die nicht von § 4 GewO erfassten Bereiche, etwa das Sicherheitsgewerbe, relevant[163]. Auch in Fall 16a (Rn 237) beantwortet § 4 GewO nicht die Frage, ob und nach welchen Vorschriften gegen Ö eingeschritten werden kann, wenn etwa Anhaltspunkte für unlautere oder gar betrügerische Geschäftspraktiken bestehen. Allerdings hätte man hier einen Anhaltspunkt für eine Zuständigkeit am Ort, wo ein Einschreiten erforderlich ist, in § 61 GewO, der diese Fälle gerade nicht unter die örtliche Zuständigkeit am Ort der Gewerbeausübung fasst, so dass ein Einschreiten auch am Ort der Tätigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr 2 VwVfG möglich wäre[164]. Allerdings müsste dies mit der DLR vereinbar sein.
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Soweit ein Einschreiten auf gewerberechtlicher Grundlage ausscheiden sollte, kann bei konkreten Gefahren auf der Grundlage des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts eingeschritten werden (s. auch für die Fälle ohne Auslandsberührung Rn 320). Hier gilt für die örtliche Zuständigkeit das sog. Auswirkungsprinzip.
Maßgeblich war schon nach § 22 Abs. 1 S. 1 prPVG der Ort, „an dem die dem polizeilichen Schutz unterstellten Rechtsgüter verletzt oder gefährdet werden“[165], also wo die polizeiliche Aufgabe wahrzunehmen ist bzw wo der Anlass für die Amtshandlung auftritt, wie es § 3 Abs. 1 Nr 4 VwVfG formuliert[166]. Im Polizei- und Ordnungsrecht ist diese Zuständigkeit – anders als in der allgemeinen Vorschrift des § 3 VwVfG – nicht subsidiär.
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Sofern man nicht schon eine gewerberechtliche Zuständigkeit bejaht, kann in Fall 16a (Rn 237) gegen Ö in Mainz jedenfalls aufgrund der allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Befugnisse eingeschritten werden, die im Einzelfall bis zur (vorläufigen) Untersagung der Tätigkeit reichen können. Lediglich dann, wenn Ö in Mainz Räumlichkeiten anmietet (Fall 16b), könnte es sich um eine Niederlassung handeln (dazu Rn 244), so dass es sich um stehendes Gewerbe handeln würde, das dann nach § 14 GewO anzuzeigen wäre und nach § 35 Abs. 7 S. 1 GewO untersagt werden könnte[167]. Besondere Probleme ergeben sich gerade für dieses Auswirkungsprinzip bei Dienstleistungen über das Internet (s. Rn 396 ff).
6. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit
a) Der Begriff und seine Funktion
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Es gilt allgemein der Grundsatz, dass ein Gewerbetreibender die für sein Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit besitzen muss[168]. Der Begriff der Unzuverlässigkeit zieht sich als gewerberechtlicher Schlüsselbegriff[169] durch das gesamte Rechtsgebiet, findet sich aber auch in anderen Vorschriften. Unzuverlässig ist derjenige Gewerbetreibende, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird[170]. Diese Formulierung bringt zum Ausdruck, dass es auf das konkret ausgeübte Gewerbe („sein Gewerbe“ – Grundsatz der Gewerbespezifik) und die Umstände des konkreten Einzelfalles ankommt. Trotz der Gewerbetypik und des Einzelfallbezuges der Unzuverlässigkeitsprüfung lassen sich Fallgruppen unterscheiden, die es auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden gilt (dazu näher Rn 255 ff), die aber nicht isoliert betrachtet werden können (dazu Rn 253 f). Die Entscheidung über die Zuverlässigkeit unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle[171].
Teilweise wird der Begriff im Gesetz durch Regelbeispiele konkretisiert (vgl zB §§ 34a Abs. 1 S. 4, Abs. 1a S. 6, 34b Abs. 4 Nr 1, 34c Abs. 2 Nr 1 GewO; § 4 Abs. 1 Nr 1 GastG; § 15 ProstSchG[172]); bei der zentralen Vorschrift des § 35 GewO (s. dazu Rn 280 ff) hat der Gesetzgeber angesichts der Fülle denkbarer Konstellationen auf Konkretisierungen verzichtet. Für die Auslegung des Begriffes der Unzuverlässigkeit (s. Rn 250) spielt es keine Rolle, ob es sich um anzeige- oder genehmigungspflichtiges Gewerbe handelt. Es unterscheiden sich lediglich die Konsequenzen aus der Unzuverlässigkeit. Beim anzeigepflichtigen Gewerbe kann (nur) gegen unzuverlässige Gewerbetreibende mittels einer Gewerbeuntersagung eingeschritten werden (s. Rn 280 ff), beim genehmigungspflichtigen Gewerbe ist die Genehmigung bei Unzuverlässigkeit zu versagen oder – wenn der Betreffende unzuverlässig wird – nachträglich zu widerrufen (s. Rn 314).
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Wegen der Schwere der an das Unzuverlässigkeitsurteil anknüpfenden Folgen ist schon beim Begriff der Unzuverlässigkeit der Zusammenhang mit Art. 12 GG zu beachten. Die Eignung des Gewerbetreibenden ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Voraussetzung dafür, dass er ein Gewerbe ausüben darf. Angesichts der an das Unzuverlässigkeitsurteil anknüpfenden Rechtsfolgen handelt es sich um eine subjektive Zulassungsschranke, die sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben (Erforderlichkeit zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter, s. Rn 123) messen lassen muss[173]. Aus diesem Grund ist der Begriff der Zuverlässigkeit bereichsspezifisch, dh bezogen auf das konkrete Gewerbe, auszulegen[174].
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Mit dem Begriff der Unzuverlässigkeit sind gleichzeitig zentrale verwaltungsprozessuale Weichenstellungen verbunden. Diese hängen mit der Struktur des Begriffes zusammen. Wie die Definition zum Ausdruck bringt, wird aus den vorliegenden Tatsachen auf die künftige Eignung geschlossen; es handelt sich also um eine Prognoseentscheidung. Gleichzeitig können im Verlauf des Verfahrens tatsächliche Änderungen eintreten. Es stellt sich die Frage nach der gerichtlichen Kontrolldichte genauso wie die nach dem maßgeblichen Zeitpunkt (s. ausf im Zusammenhang mit der Gewerbeuntersagung unten Rn 292 ff).