Kitabı oku: «Picasso sehen und sterben», sayfa 3

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Sieben

Der Tag hatte gut begonnen. Sie hatten sich im azurblauen Licht eines frühen Septembermorgens geliebt und dann beschlossen, eine Auszeit von den Schrecknissen dieser Welt in Gordes zu nehmen. Ein Nest, das sich in die Terassen eines Bergsporns am Rande des Plateau des Vaucluse klammert. Gordes wurde in den Sechzigern von Künstlern und Malern entdeckt. In der Mitte des Dorfes schlummert ein von Efeu überwuchertes Renaissanceschloß, das Victor Vasarely für den symbolischen Preis von einem Franc für 55 Jahre pachtete und für sich selbst renovierte. Der aus Ungarn stammende Op Art-Künstler war längst in Frankreich heimisch geworden und richtete dort ein Museum ein. Bald siedelten sich Kunsthandwerker, Restaurants und Andenkenläden an, die schnell zu einem Touristenmagnet wurden.

Die Häuser Südfrankreichs haben mir eine in sich widerspruchsvolle Perspektive aufgezeigt. Niemals gelingt es dort dem Auge, Schatten und festes Mauerwerk klar zu unterscheiden. Flächen und Räume, Formen und Hintergründe vermischen sich, wechseln einander ab, werden zu Abstraktionen und beginnen ihr eigenständiges Leben … schrieb der Maler einst an einen Freund in einem Brief, den Arnoult während seines Studiums gelesen hatte. Wenn er in der schwirrenden Mittagshitze vor seiner Staffelei saß und die Formen sich auflösten, sodaß der Betrachter denkt, daß die Dinge schweben, hatte Arnoult erkannt, das Vaserely recht hatte und ihm im Stillen zu der exakten Beschreibung der Phänomene gratuliert.

Suzanne sagte ihre Veranstaltung über die Frühchristlichen Symbole bei den Kelten ab, die sie im historischen Seminar der Universität von Aix-en-Provence halten sollte und Arnoult rief seinen Chef an und behauptete, daß er einen Außentermin habe, der ihn bis in die späten Abendstunden beschäftigen würde. Sie waren sich wie zwei Pennäler vorgekommen, die die Schule schwänzten. Arnoult ließ das Verdeck des Peugeot Cabrio herunter, setzte eine Ray Ban-Sonnenbrille auf, schaltete das Radio ein, öffnete Suzanne die Tür, die in ihrem dünnen Sommerkleid verführerisch wie eine griechische Göttin aussah und startete mit quietschenden Reifen in ihre heimliche Vergnügungstour. Sie verließen Marseille, folgten der Küstenstraße, die sich parallel zur Route National vorbei an kahlen Felsen schlängelte, und bogen in Höhe von La Bourdonniere in Richtung des Pilon du Roi ab, als plötzlich ein Lastwagen vor ihnen, vollgeladen mit Tomatenkisten, ächzend und stöhnend die holprige Piste entlang fuhr. Arnoult gab Gas, schaltete zurück in den dritten Gang, beschleunigte und setzte sich neben den LKW. Zu spät bemerkte er den Citroën, der direkt auf ihn zukam. Wie in Trance riß Arnoult das Lenkrad herum. Dann ging alles sehr schnell. Das Cabrio raste in den Straßengraben, überschlug sich mehrmals, rammte einen Felsblock und ging in Flammen auf.

Arnoult schreckte hoch. Er war schweißgebadet. Wie in einem immer wiederkehrenden Film sah er er den blutüberströmten Körper Suzannes und ihre weit aufgerissenen Augen, die ihn anzuklagen schienen.

Niemals, niemals wieder wird alles so sein wie früher, stöhnte Arnoult, fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht, spürte das Flammenschwert der Narbe und wälzte sich aus dem Bett.

Er versuchte sich zu orientieren. Dann erkannte er das Zimmer wieder. Er war im Quatre Poisson, einem Hotel am Place du Marché in St. Cyr abgestiegen. Madame Bousset, die Wirtin, eine kleine dralle Person mit hochtoupierten blonden Haaren und einer überdimensionalen Brille, die mit Glitzer verziert war, hatte ihm diese Bleibe zugewiesen. Todmüde hatte er sich auf das Bett fallen lassen und war sofort eingeschlafen. Warum hatte er zweimal am Tag denselben Albtraum gehabt? Ein Jahr lang war es ihm gelungen, die Dämonen der Vergangenheit zu bannen. Lag es daran, daß Françoise Clavine ihn an Suzanne erinnerte? Die gleichen fließenden Bewegungen. Er hatte sie beobachtet, wie sie in ihren weißen Clio einstieg. Die lässige Art, wie sie ihre Sonnenbrille in die Haare schob, selbstbewußt aber auch verletzlich. Françoise Clavine hatte seinen Eispanzer berührt, den er sich nach dem Tod von Suzanne zugelegt hatte. Er selbst hatte sich diesen Unfall nie verziehen. Er war für den Tod seiner Frau verantwortlich. Wochenlang vernachlässigte er seine Arbeit als Polizist. Arnoult trank mehr als ihm gut tat und kam oft zu spät oder gar nicht zum Dienst. Sein Chef mahnte ihn ab und schickte ihn zu einem Polizeipsychologen. Antoine Marmand, ein graubärtiger Riese, blätterte in seiner Personalakte und fand heraus, daß Arnoult einige Semester Malerei studiert hatte, bevor er auf die Polizeiakademie wechselte. Marmand riet ihm, sich wieder seinen Studien zuzuwenden. Arnoult zog in ein Atelier auf dem Boulevard Boille und versuchte, Suzanne zu vergessen. Die einzigen Gefühle, die Arnoult seitdem zuließ, waren die Eindrücke während seiner stundenlangen Spaziergänge durch den Luberon, auf denen er seine Skizzenbücher füllte, die die Grundlage für seine Bilder waren, die er nachts in seinem Atelier malte.

Arnoult blickte auf seine Uhr. Es war kurz vor zehn und er beschloß, die trübsinnigen Gedanken beiseite zu schieben und sich wieder seinen Ermittlungen zu widmen.

Acht

Arnoult biß ein Stück von der Tartine ab, die ihm Madame Bousset auf einem Teller angerichtet hatte. Dazu trank er einen Schluck des inzwischen kalt gewordenen Tisane. Dann öffnete er die Reisetasche und entnahm ihr eine Jeans und ein blaues Sweatshirt. Arnoult kleidete sich an, wählte zum Schluß ein Paar Nike-Turnschuhe und schaute dann, mit sich und der Welt wieder zufrieden, in den Spiegel des wackligen Kleiderschranks. Sein eisgrauer Bart, das borstige grauschwarze Haar und die wettergegerbte Haut, mit den vielen Falten und Runzeln, ließen ihn wie einen Weltumsegler aussehen, wenn da nicht die Narbe gewesen wäre. Jetzt sah sie aus wie eine wachsbleiche Schlange, die auf seiner Stirn prangte und seinem Gesicht einen irritierenden, verletzlichen Ausdruck verlieh. Niemand käme auf die Idee, in dem Mann mit der Baseballkappe der Los Angeles Lakers, die er jetzt tief in die Stirn zog, damit sie das Wundmal verdeckte, einen Polizisten zu vermuten.

Arnoult ging mit ausladenden Schritten, die Hände in den Jeanstaschen versteckt, die Taschenlampe fest umklammert, pfeifend über den Place du Marché, eine enge Gasse hinunter und stand nach wenigen Augenblicken am Hafenbecken von St. Cyr. Zwei Ausflugsboote, die tagsüber die Touristen in die Calanques von Cassis und Bandol brachten, dümpelten träge auf dem blauschwarzen Wasser, in dem das Mondlicht glitzerte. Eine sanfte Brise wehte über dem Hafen, Passanten streiften ihre Wolljacken über und Arnoult zog die Lakerskappe noch tiefer ins Gesicht. Er blickt sich um. Von den Caféhausbesuchern, die lachend und scherzend an den Tischen direkt hinter der Mole saßen und die laue Nachtluft genossen, hatte er nichts zu befürchten. Er konnte die Petite Fleur mit blo-ßen Augen erkennen. Die Positionslampe einer Yacht, die mit leise tuckerndem Motor den Hafen verließ, beleuchtete den schlanken weißen Rumpf des Schiffes, das immer noch neben dem Kabinenkreuzer vor Anker lag. Arnoult ging mit festen Schritten eine Steintreppe hinunter, die ihn auf einen metallenen Gittersteg führte, der wie ein H geformt war und das Hafenbecken in vier Segmente aufteilte. Am äußersten nördlichen Rand war die Petite Fleur festgemacht. Zielstrebig lief Arnoult den Mittelsteg entlang, wobei seine Nikes keinerlei Geräusch verursachten. Als er sich dem Kabinenkreuzer näherte, hörte er, wie Musik aus dem Rumpf des Schiffes drang. Vorsichtig schlich er zu dem Boot und linste durch eines der Bullaugen. Eine Blondine mit üppigem Busen hatte ihre Beine um die Hüften eines grauhaarigen Seemannes geschlungen, dessen faltiger Hintern im Rhythmus der Musik auf und nieder hüpfte. Der Blondine schien das zu gefallen. Sie hatte die Augen geschlossen und krallte ihre rotlackierten Fingernägel in den Achtersteven des Mannes und half ihm dabei, nicht aus dem Takt zu kommen.

Arnoult grinste. Die beiden hatten noch jede Menge zu tun und würden ihn nicht stören, wenn er die Petite Fleur untersuchte. Behende wie eine Katze sprang er auf das Dach des Schiffes. Arnoult hatte Latexhandschuhe übergestreift, drehte an dem Türgriff zur Kajüte, und zu seiner Verwunderung sprang die Türe auf. Kalter Zigarettenhauch hing in der Luft. Arnoult knipste die Taschenlampe an und kletterte die Holzstiege hinunter. Rings um die mahagonigetäfelte Kajüte verlief eine gepolsterte Bank. Vor Kopf entdeckte Arnoult einen Gaskocher und eine Spüle mit einem Unterschrank. Auf der Marmorplatte eines kleinen Tisches standen vier Gläser, in denen noch die Reste des Champagners zu erkennen waren. Moët Chardonnay, die Flasche lag auf dem Tisch und zeigte in Richtung der Tür.

Wer da wohl gesessen hatte? Monique, die sich gerade ihres Slips entledigte? Neben der Tür war eine Ministereoanlage in einem Regal installiert. Auf dem Tapedeck stand ein Aschenbecher, der von Zigarettenkippen überquoll. Arnoult schaltete das Gerät ein. Als die Displays aufflammten, drückte er die Open Taste des CD-Players. Das Fach öffnete sich und eine silberne Scheibe mit dem Bolero von Ravel kam zum Vorschein.

Wie geschmacklos, sinnierte Arnoult, als er die CD wieder im Player verschwinden ließ. Arnoult schaltete das Gerät aus, verließ die Kajüte und zog die Tür sanft hinter sich ins Schloß.

Neun

Arnoult schob den Ärmel seines Sweatshirts hoch und blickte auf seine Uhr. Fast Mitternacht, trotzdem zeigte das Thermometer im Schaufenster der Pharmacie Julien noch 30°. Die Mauern und das Pflaster der kleinen Stadt hatten die Hitze des Tages gespeichert und gaben sie jetzt ab. Arnoult wandte sich um und stieg gedankenverloren die Rue Baptiste Texier hinauf, eine kleine Gasse, die auf den Place du 4. Septembre führte. Hier lag das Hotel de Ville, in dem die Präfektur untergebracht war. Die Fenster im Erdgeschoß des ockerfarbenen Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert waren vergittert. Kein Lufthauch regte sich. Die Trikoloren, die rechts und links des Eingangs an Fahnenstangen befestigt waren, hingen schlaff herunter. Es war totenstill, als Arnoult die Tür zum Dienstzimmer öffnete. Er stand in einem großen Raum, grell von Neonlampen beleuchtet, an dessen Wänden graue Aktenschränke aufgereiht waren. Auf den beiden Schreibtischen, die in der Mitte standen, türmten sich Monitore, Telefone und ein Haufen unerledigter Papierstapel. Über dem Aktenschrank entdeckte Arnoult großformatige Photos von Tourenrennwagen, aufgenommen auf dem Circuit Paul Ricard. Die Betonpiste, auf der im Sommer auch Formel 3-Rennen ausgetragen wurden, lag versteckt hinter Pininenwäldern auf einem Hochplateau, mitten in den Bergen von Le Castellet, keine dreißig Kilometer von St. Cyr entfernt.

Roubaix saß an einem der Schreibtische, gähnte herzhaft, nahm einen Schluck aus einem Pappbecher und steckte sich eine Zigarette an, bevor er auf einen kleinen gedrungenen Mann deutete, dessen Polizeiuniform in der Wäsche eingelaufen sein mußte, denn die Jacke spannte sich über dem Bauch, der sich über einen schmalen Ledergürtel wölbte. Die Uniformhose hatte Hochwasser, sodaß es zwei graue Socken zu entdecken gab, die in blank gewienerten schwarzen Halbschuhen steckten.

Darf ich vorstellen, Sergeant Verlaine, Kommissar Arnoult, sagte Roubaix, wobei er mit einer weitausholenden Geste jeweils auf die Beamten deutete.

Angenehm, nickte Arnoult.

Kommissar, erwiderte Verlaine, wobei er für einen kurzen Moment Haltung annahm.

Sergeant Verlaine ist derjenige, der die Todesnachricht überbracht hat. Roubaix nahm einen tiefen Zug von der Zigarette.

Und, hatten sie alle die Hosen runter gelassen? spottete Arnoult.

Nein, Monsieur, ich hörte Musik, als ich die Yacht endlich gefunden hatte. Ich klopfte an die Kajütentür und wartete nicht, bis man mir aufmachte. Diese Monique tanzte auf dem Tisch, sie war gerade dabei ihre Bluse aufzuknöpfen … Auf der Stirn des Sergeants hatten sich kleine Schweißperlen gebildet. Er war nervös und stützte sich mit einer Hand an der Schreibtischkante ab.

Und die anderen?

Ich weiß nicht mehr so genau … Monsieur Heroult saß zusammen mit der Schauspielerin auf der Bank. Sie hatte ein kurzes Sommerkleid an, daß verdammt viel Bein zeigte. Soweit ich mich erinnern kann, trug sie hochhackige Riemchensandalen, aber nackt war sie nicht, stotterte Verlaine.

Und die beiden Männer?

Heroult hatte ein T-Shirt und Boxershorts an, der junge Bertrand war vollständig bekleidet. Er füllte, glaube ich, gerade die Gläser nach.

Was passierte dann? Arnoult gähnte herzhaft hinter der vorgehaltenen Hand und sehnte sich nach einem Kaffee.

Als Heroult meine Uniform sah, hat er die Musik abgestellt und seine Hose wieder angezogen. Nachdem ich ihm erzählt hatte, daß wir den alten Bertrand tot aufgefunden haben, ist Monique vom Tisch gestiegen und hat Patrique in den Arm genommen. Der hat ganz schön gezittert. Mademoiselle Clavine hat sich eine Zigarette angesteckt, ist aufgestanden und hat sich schnell verabschiedet. Die drei anderen sind mit dem Polizeiwagen zur Villa gefahren. Während der Fahrt hat keiner von ihnen etwas gesagt.

Haben sie eigentlich Spielkarten in der Kajüte bemerkt? Nein … nicht das ich wüßte, überlegte Verlaine. Kann aber sein, daß ich sie in der Aufregung und der Eile übersehen habe. Danke Verlaine, sie können gehen. Wenn ich sie noch einmal brauche, lasse ich es sie durch Inspektor Roubaix wissen. Verlaine nickte erleichtert. Er verabschiedete sich schnell und ging hinaus.

Was halten sie denn von dieser Geschichte mit dem Strippoker, Roubaix?

Warum nicht? Die Leute sind heute sehr freizügig. Ich will ihnen mal was erzählen. Vor vier Wochen habe ich am Strand von St. Cyr ein Mädchen kennen gelernt. Sehr hübsch. Sie erzählte mir, daß sie Studentin in Marseille sei und daß sie hier ihre Cousine besuchen würde. Ich fand sie sehr nett und habe abends mit ihr in einer Discothek in Bandol getanzt. Den Rest können sie sich sicher denken. Als ich sie am nächsten Morgen fragte, ob ich sie noch einmal wiedertreffen kann, da schlug sie doch tatsächlich vor, daß ich sie im Internet besuchen könnte. Sie sei ein Webcamgirl, zwei Euro fündundneunzig die Minute! Was sagen sie dazu?

Und haben sie ihre Dienste im Netz in Anspruch genommen? grinste Arnoult.

Ach Blödsinn … natürlich nicht! Ich kam mir wirklich dämlich vor. Aber so sind sie die jungen Dinger. Sex gegen Geld ist heute kein Problem mehr, erwiderte Roubaix ärgerlich.

Na schön … und, sind sie bei ihren Recherchen fündig geworden? Arnoult lenkte ein.

Ja, mir scheint, da hat unsere Bande wieder zugeschlagen. Sehen sie hier. Roubaix hielt triumphierend den Var Matin hoch. Dabei deutete er auf ein Photo, das eine Villa zeigte, die in den Bergen oberhalb von Bandol lag. Der Einbruch dort ist letzte Woche passiert. Zwei weitere vor einem Monat in Cassis. Alle nach dem gleichen Muster. Die Besitzer sind nicht da, die Alarmanlage ist entweder nicht vorhanden oder abgeschaltet. Die Diebe nehmen soviel Wertvolles mit, wie sie tragen können. Meist Schmuck, Tafelsilber, herumliegendes Bargeld, Kreditkarten und – wie hier in Bandol – einen kleinen Matisse.

Haben sie schon eine Spur? Arnoult hatte Mühe, interessiert zu wirken.

Nein, aber ich gehe davon aus, daß die Typen hier aus der Gegend stammen, sich gut auskennen und die Villen vorher ausgekundschaftet haben, bevor sie losschlugen. Ein Mord ist dabei allerdings noch nie passiert. Ich vermute, daß sie überrascht wurden und dann aus lauter Panik den alten Bertrand erschlagen haben.

Gut, Roubaix, kümmern sie sich um die Obduktion und um die Ergebnisse der Spurensicherung … Ach ja, und überprüfen sie, wer noch alles einen Schlüssel zu diesem Sicherheitsschrank hatte. Ich selbst gehe morgen auf große Fahrt.

Wie bitte? Roubaix spürte, wie ihm die Galle hochkam.

Tja, ich bin von Heroult und seiner Freundin zu einem Ausflug mit der Petite Fleur eingeladen worden. Mal sehen, welche Märchen mir die beiden noch auftischen werden.

Zehn

Obwohl er fünf Minuten unter dem kalten Strahl der Dusche gestanden hatte, fühlte sich Kommissar Arnoult immer noch müde und zerschlagen, als er T-Shirt und Turnschuhe wieder anzog und seine schütteren Haare mit der Lakerskappe bedeckte, um seine Kopfhaut vor der sengenden Sonne des Südens zu schützen. In seinen Träumen hatte er Suzanne umarmt und sie an sich geschmiegt, um sie zu trösten. Vor genau drei Jahren hatte sie eine Fehlgeburt in der vierten Schwangerschaftswoche gehabt. Sie hatten sich danach nie mehr richtig wohl und unbeschwert gefühlt. Sex war nicht mehr etwas, um sich zu entspannen, sondern um eine Familie zu gründen. Sie schliefen seitdem fast täglich miteinander, aber es wollte und wollte nicht klappen. Der Gynäkologe, den Suzanne regelmäßig konsultierte, führte ihrer beiden Unfruchtbarkeit auf den Streß zurück, den sie sich selbst bereiteten, um endlich Eltern zu werden. Suzanne war achtunddreißig, ihre biologische Uhr tickte, wann war es endlich soweit, daß sie Mutter wurde? An jenem Morgen, kurz vor dem Unfall, hatten sie zum ersten Mal seit Monaten unbeschwert miteinander geschlafen.

Wer weiß, vielleicht wäre ich jetzt Vater, wenn ich nicht so einen Mist gebaut hätte, sinnierte Arnoult niedergeschlagen. Er hatte jetzt keine Zeit für trübselige Gedanken, entschied er und gab sich einen Ruck.

Arnoult trank einen Café in der Hotelbar, aß ein Croissant, klemmte seine Staffelei samt Skizzenblock unter den Arm und schlenderte den kurzen Weg zum Hafen hinunter. Christophe Heroult wickelte das Nylonseil zwischen Ellenbogen und Handspange auf, sicherte die Rolle mit einem halben Schlag und winkte Arnoult zu, der vorsichtig mit einem großen Schritt das Deck betrat.

Na, Kommissar, sind sie sonst eine Landratte? grinste Heroult spöttisch und rief in Richtung Kajüte.

Hey, Schatz, komm’ mal her, unser Passagier ist an Bord! Es dauerte ein paar Sekunden, bis Françoise Clavine die Holzstiege hinaufgeklettert kam. Sie trug einen schwarzen Bikinislip und ein T-Shirt. Erst jetzt bemerkte Arnoult, daß sie braungebrannt und durchtrainiert war.

Was darf ich ihnen bringen? Ein eisgekühltes Bier, Orangensaft, oder bevorzugen sie etwas härteres? Sie lächelte schelmisch, wobei sie gekonnt die Augen aufschlug.

Ein Mineralwasser wäre mir recht, erwiderte Arnoult. Wo kann ich meine Sachen hinstellen, fragte er und deutete auf seine Malutensilien.

In diesem Moment startete Heroult den Schiffsdiesel. Er löste die Leine, mit der das Schiff an einem Poller festgemacht war, ging zum Steuerrad zurück, gab Gas und manövrierte das Boot in die Fahrrinne, wobei er eine Lücke zwischen dem Leuchtturm und dem Felsen anpeilte, die die Hafeneinfahrt bildete.

Oh, das ist kein Problem. Kommen sie doch hier herunter und stellen es in die Kajüte, winkte sie ihm zu. Als Arnoult in den Schiffsrumpf geklettert war, schnupperte er und stellte dabei fest, daß sich die Gerüche der Orgie, wenn es denn eine gewesen war, verflüchtigt hatten. Der Aschenbecher war geleert, ein Bullauge war zum Lüften geöffnet worden und die Sektkelche samt Champagnerflasche waren verschwunden. Nichts deutete auf eine ausgedehnte Party mit Stripeinlage hin. Arnoult setzte sich und stellte die Staffelei ab.

Hier haben sie also gefeiert …

Ja … das ist richtig, erwiderte Françoise vorsichtig. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig, ich glaube, ich werde nie mehr bei so etwas mitmachen, fügte sie hastig an.

Der Polizist, der hier war, um sie abzuholen, hat erzählt, daß sie noch bekleidet waren …

Stimmt, ich hatte Glück, ich habe eben ein paar mal gewonnen und deshalb …

Und Monique war die Verliererin?

Nicht unbedingt, schließlich hat Christophe ihr etwas zugesteckt, damit sie mitmacht.

Wieviel?

Ich weiß nicht … dreihundert Euro vielleicht. Françoise Clavine zuckte mit den Schultern. Sie öffnete die Kühlschranktür und nahm eine Flasche Perrier heraus. Sie schraubte den Verschluß ab und goß ein Glas randvoll, bevor sie es Arnoult gab. Haben sie denn vorher so etwas schon gemacht?

Gott bewahre … nein … das war das erste und letzte Mal … Oh, hören sie. Der Motor ist aus, wir segeln. Ist das nicht himmlisch. Sie berührte seinen Arm. Ganz leicht nur, aber es fühlte sich gut an. Nicht nach Berechnung, sondern wie die Geste einer Freundin, die ihre Begeisterung mit jemandem teilen möchte.

Lassen sie uns an Deck gehen. Ich weiß nicht, ob ich seefest bin. Frische Luft wäre mir lieber. Arnoult trank das Glas leer und stapfte hinter ihr die Stiege hinauf, wobei er ihr wohlgeformtes Hinterteil direkt vor seiner Nase hatte.

Wohin geht die Reise? Er beobachtete Heroult, der am Steuerrad stand, eine Sonnenbrille trug und einen prüfenden Blick auf das perfekt geblähte Segel warf. Die Petite Fleur tauchte kurz in die Wellen ein und kam sofort wieder hoch. Wie ein bockiges Pferd, das auf einem Parcours tänzelte und nur auf den energischen Schenkeldruck seines Reiters reagierte.

Lassen sie sich überraschen. Ich kenne eine Bucht, westlich von St. Cyr, etwa drei Seemeilen entfernt. Dort werden wir vor Anker gehen. Das Wasser ist flach und der Strand nur von See aus zu erreichen. Wir sind dort ungestört. Ich lade sie zu einem Picknick ein. Sie werden sehen, es wird ihnen gefallen.

Und warum das alles? Arnoult hockte sich backbord neben Heroult auf einen umgedrehten Eimer.

Sehen sie, Kommissar Arnoult, ich weiß ja nicht, was ihnen mein Stiefbruder erzählt hat, aber … nach dem Tod meines Vaters führe ich die Geschäfte alleinverantwortlich. Ich habe erst seit kurzem einen kompletten Überblick über unseren Kontostand. Wir haben noch einige Verbindlichkeiten gegenüber unseren Lieferanten. Wenn wir diese beglichen haben, ist das Konto auf Null. Null gleich Null, wenn sie wissen, was ich meine. Die Villa ist unser Geschäftssitz, den können wir nicht so einfach veräußern, um Monsieur Pirez auszuzahlen.

Und der Picasso? Arnoult blickte zu ihm hoch.

Der Picasso ist sicherlich einiges wert. Ich hatte vor, das Kunstwerk zu verkaufen. Mit dem Erlös wollte ich die Serie vorfinanzieren, in der Mademoiselle Clavine mitspielt.

Wie hoch ist die Versicherungssumme ?

Etwa 1,5 Millionen Euro. Heroult starrte auf das Meer. Haben sie ihren Bruder vorher schon einmal gesehen? Nein, ich bin zwanzig Jahre jünger. Meine Mutter hat Vater in Paris bei einem Theaterbesuch kennen gelernt. Sie hat sich in St. Cyr nie richtig wohl gefühlt. Als mein Vater vorschlug, einmal nach Buenos Aires zu fahren, damit ich meinen Stiefbruder kennenlerne, hat sie ihm mit Scheidung gedroht. Mutter ist vor vier Jahren an Krebs gestorben. Sie hat den Namen Pirez nie erwähnt. Für sie gab es nur mich und meinen Vater. Sie war eine herzensgute Frau und ich habe sie sehr geliebt.

Wissen sie, ob ihr Vater trotzdem versuchte, Kontakt mit seinem Erstgeborenen aufzunehmen?

Ja, er hat mit Annette Pirez, dieser Mätresse, heimlich telefoniert. Ich habe ihn in seinem Arbeitszimmer belauscht. Wenn Maman schlief, und er sicher war, daß ihn niemand beobachtet, hat er sich an seinen Schreibtisch gesetzt, eine Zigarre angesteckt, die Füße hochgelegt, etwas, das ihm meine Mutter nie gestattet hätte, und stundenlang mit diesem Flittchen telefoniert. Ich fand es nicht richtig, schließlich war er mit meiner Mutter verheiratet.

Schön, aber warum hat er dann seinen Erstgeborenen in seinem Testament nicht besser bedacht?

Meine Mutter hat ihn bedrängt. Sie wollte Aristide, diesen Bastard, wie sie sich ausdrückte, am liebsten ganz leer ausgehen lassen. Ich glaube, Vater hat sehr darunter gelitten.

Haben Sie gewußt, daß ihr Halbbruder 1974 versucht hat, Kontakt mit ihrem Vater aufzunehmen und persönlich in St. Cyr war?

Hat er das tatsächlich? Ich weiß davon nichts! Bestimmt wieder einer dieser verdrehten Ideen unseres Professors, erwiderte Heroult spöttisch.

Françoise Clavine war an Deck geklettert und hatte sich auf die Planken zum Sonnen gelegt. Nach einer Weile zog sie ihr T-Shirt aus. Darunter trug sie einen knappen Bikini, dessen Oberteil ihre kleinen festen Brüste kaum bedeckten. Sie war wirklich eine provenzalische Schönheit, mit einem im Fitneßstudio gestählten Körper, der avec un peu fair de la régime in Form gehalten wurde und im schummrigen Licht einer Bühnenbeleuchtung sicherlich erheblich jünger wirkte. Arnoult hatte sie im Clubhaus auf Ende dreißig geschätzt. Jetzt, wo sie sich in ihrem Bikini in der Sonne aalte, hätte sie mancher Zwanzigjährigen die Show gestohlen. Arnoult hatte Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was Heroult von sich gab. Er wollte sie nicht anstarren und dadurch sein Interesse an ihr bekunden. Suzanne und sie hätten Zwillingsschwestern sein können. Wie oft war er mit seiner Frau sonntags zum Baden ans Meer gefahren. Manchmal hatten sie es nicht mal bis nach Hause geschafft, um sich zu lieben, sondern sich mit einer Decke unter dem Arm auf eine schattige Lichtung verzogen, hoch oben über Marseille.

Wissen sie was, Heroult? Ich glaube ihnen kein Wort! Arnoult starrte auf das aufgewühlte Meer, dessen weiße Schaumkronen im grellen Licht der Mittagssonne glitzerten. Er dachte an Françoise, deren zarte Berührung bei ihm etwas ausgelöst hatte, das nicht sein durfte. Nicht hier und nicht jetzt. Zum ersten Mal seit dem Tod von Suzanne fühlte er sich wieder zu einer Frau hingezogen. Er schluckte und setzte erneut an, nachdem er sich geräuspert hatte.

Gibt es irgend jemanden, den sie mir nennen können, der dieses ganze Drama, das sie da beschreiben, bestätigen kann? Doch, doch, das entspricht alles der Wahrheit. Sie können das nachprüfen. In St. Cyr gibt es eine alte Dame, Madame Esterell, zugegeben ein bißchen verwirrt, über achtzig, aber die kennt unsere Familie und vor allen Dingen Annette Pirez seit undenklichen Zeiten. Sie hat mit der Mutter meines Stiefbruders in Paris gelebt. Soweit ich mich erinnere, weiß sie auch, wie der Picasso in unseren Besitz geraten ist.

Heroult steuerte die Petite Fleur auf das Ufer zu. Der weiße Sandstrand öffnete sich zu einer schmalen Fahrrinne, rechts und links eingezwängt von hoch aufragenden schroffen Felsen, die das gleißende Licht schluckten, als das Boot an ihnen vorbeiglitt. Das Surren eines Elektromotors war zu hören und wie von Geisterhand wurde das Großsegel gerefft. Die Petite Fleur verlor an Fahrt und dümpelte schließlich wie ein Korken auf dem blau leuchenden Wasser dem Ufer zu. Heroult stand am Bug des Schiffes und warf einen kleinen Metallanker über Bord. Das Schiff swoite herum, sodaß es mit dem Heck etwa zwanzig Meter vom weißen Sandstrand entfernt zur Ruhe kam. Heroult streifte seine Jeans ab und zog sein T-Shirt aus. Sein braungebrannter muskulöser Oberkörper glänzte in der Sonne, als er mit einem Hechtsprung ins Wasser sprang. Françoise stand auf und ging zum Heck des Schiffes, an dem ein Schlauchboot mit einem Außenbordmotor festgemacht war.

Helfen sie mir, Arnoult?

Aber ja doch.

In der Kajüte habe ich einen Picknickkorb und einen Sack mit Grillkohle bereitgestellt. Können sie mir den bringen? Ach ja, und im Kühlschrank sind die tiefgefrorenen Evian-Wasserfla-schen, die nehmen wir statt Kühlakkus. Wenn sie aufgetaut sind, haben wir herrlich frisches Trinkwasser. Sie ließ sich behende wie eine Katze in das Schlauchboot gleiten.

Arnoult kletterte die kleine Stiege hinunter und fand einen prall gefüllten Korb samt der Grillkohle auf dem Tisch bereit gestellt. Nachdem auch seine Malutensilien und die Wasserflaschen an Bord verstaut waren, warf Françoise den Außenborder an und manövrierte das Schlauchboot zum Ufer der kleinen Bucht.

Heroult hatte inzwischen einige größere Steine zu einem Kreis angeordnet und trockene Pinienzweige gesammelt, die er anzündete, nachdem er sie in dem provisorischen Grill gestapelt hatte. Als das Feuer brannte, schüttete er Kohle in die Glut und legte ein mitgebrachtes Metallrost auf die Steine. Während drei gefüllte Doraden, die in Aluminiumfolie gewickelt waren, auf dem Grill garten, hatte sich Arnoult mit dem Skizzenblock auf den Knien in den Sand gesetzt und begonnen, die Petite Fleur zu zeichnen, wie sie vor der Bergkulisse auf den blauen Wellen schaukelte.

Kommen sie ins Wasser! Françoise lachte und winkte ihm zu.

Ich bin ein schlechter Schwimmer!

Das glaube ich nicht! Vermutlich hat ihre Frau ihnen verboten, mit mir zusammen zu baden, neckte sie ihn, wobei sie auf ihn zugeschwommen kam.

Sie wird sich bestimmt nicht im Grabe umdrehen, wenn ich hier mit ihnen planschen würde, erwiderte Arnoult eine Spur zu scharf.

Ohhh … das wollte ich nicht … Ich wußte gar nicht, daß ihre Frau tot ist, antwortete Françoise verwirrt, wobei sie aus dem Wasser stieg und sich neben ihm in den Sand fallen ließ.

Es ist angerichtet, hörten sie Heroult rufen, der die gegrillten Fische auf Tellern serviert und mit Zitronenscheiben garniert hatte.

Sie aßen schweigend.

Wissen sie was, Kommissar Arnoult? Sie werden die Typen schon schnappen, die meinen Picasso gestohlen und den armen Bertrand erschlagen haben. Und ich schwöre bei Gott, daß mein Halbbruder, dieser Erbschleicher, nur den Anteil erhält, der ihm nach dem Testament zusteht. Heroult leckte sich die fettriefenden Finger ab.

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