Kitabı oku: «Reise um die Erde in 80 Tagen», sayfa 2
»Wenn ich sage: ich wette«, versetzte Andrew Stuart, »ist es immer vollkommen ernst gemeint.«
»Ich schlage ein!«, sagte Herr Fogg. Dann zu seinen Kollegen gewendet: »Ich habe 20.000 Pfund bei den Gebr. Baring hinterlegt. Die setze ich gerne dagegen.«
»20.000 Pfund!«, rief John Sullivan. »20.000 Pfund, die Sie durch eine unvoraussehbare Verspätung verlieren können!«
»Es gibt nichts Unvoraussehbares«, erwiderte Phileas Fogg ganz einfach.
»Aber, Herr Fogg, dieser Zeitraum von achtzig Tagen ist nur als ein Mindestmaß gemeint!«
»Wenn man ein Mindestmaß gut verwendet, reicht es immer aus.«
»Aber um es nicht zu überschreiten, muss man mathematisch genau aus den Eisenbahnen in die Paketboote und aus den Paketbooten in die Eisenbahnen springen!«
»Ich will den Sprung mathematisch genau vornehmen.«
»Es ist nur Spaß!«
»Ein guter Engländer macht nie Spaß, wenn es sich um eine so ernste Sache wie eine Wette handelt«, erwiderte Phileas Fogg. »Ich wette mit jedem, der Lust dazu hat, um 20.000 Pfund, dass ich die Reise um den Erdball in längstens achtzig Tagen machen werde, d.h. in 1.920 Stunden oder 115.200 Minuten. Sind Sie damit zufrieden?«
»Wir nehmen die Wette an«, erwiderten, nachdem sie sich untereinander verständigt hatten, die Herren Stuart, Fallentin, Sullivan, Flanagan und Ralph.
»Gut«, sagte Herr Fogg. »Der Zug nach Dover geht um acht Uhr fünfundvierzig Minuten ab. Mit dem reise ich.«
»Heute Abend?«, fragte Stuart.
»Heute Abend«, versetzte Phileas Fogg. »Also«, fuhr er fort, indem er einen Kalender aus der Tasche zog und nachsah. »Weil heute Mittwoch, der 2. Oktober ist, muss ich Samstag, den 21. Dezember um acht Uhr fünfundvierzig Minuten abends wieder in London sein, hier in diesem Salon des Reformclubs, sonst sollen die 20.000 Pfund, welche zurzeit für mich bei den Gebr. Baring hinterlegt sind, mit Fug und Recht Ihnen, meine Herren, gehören. – Hier ist eine Anweisung über den gleichen Betrag.«
Es wurde ein Protokoll über die Wette aufgesetzt und auf der Stelle von den sechs Beteiligten unterzeichnet. Phileas Fogg war kalt geblieben. Er hatte die Wette sicherlich nicht gemacht, um zu gewinnen, und hatte diese 20.000 Pfund – die Hälfte seines Vermögens – nur deshalb gesetzt, weil er voraussah, er könne die andere Hälfte brauchen, um das schwierige, um nicht zu sagen unausführbare Projekt positiv auszuführen. Dagegen schienen seine Gegner in Aufregung, nicht wegen des hohen Einsatzes, sondern weil sie sich einigermaßen ein Gewissen daraus machten, unter solchen Bedingungen eine Wette einzugehen.
Damals war es Schlag sieben. Man forderte Herrn Fogg auf, sein Spiel zu unterbrechen, um seine Reisevorbereitungen zu treffen.
»Ich bin stets reisefertig!«, erwiderte dieser leidenschaftslose Gentleman, gab seine Karten und sprach:
»Ich schlage Eckstein um, Sie spielen aus, Herr Stuart.«
VIERTES KAPITEL
Phileas Fogg setzt seinen Diener Passepartout in Bestürzung.
U
m sieben Uhr fünfundzwanzig Minuten nahm Phileas Fogg, nachdem er beim Whist zwanzig Guineen gewonnen hatte, von seinen ehrenwerten Kollegen Abschied und verließ den Reformclub. Um sieben Uhr fünfzig öffnete er seine Haustür und trat ein.
»Passepartout!«
Passepartout gab keine Antwort. Dieses Rufen konnte nicht ihm gelten. Es war ja nicht die Stunde.
»Passepartout«, rief Herr Fogg wiederholt, doch ohne lauter zu werden. Passepartout erschien.
»Ich habe Sie zweimal rufen müssen«, sagte Herr Fogg.
»Aber es ist noch nicht Mitternacht«, erwiderte Passepartout, die Uhr in der Hand.
»Ich weiß«, versetzte Phileas Fogg, »und mache Ihnen keinen Vorwurf. In zehn Minuten reisen wir nach Dover und Calais.«
Das runde Gesicht des Franzosen verzog sich unwillkürlich. Offenbar hatte er nicht recht verstanden.
»Der Herr will eine Reise machen?«, fragte er.
»Ja«, erwiderte Phileas Fogg. »Wir wollen eine Reise um die Erde machen.«
Da staunte Passepartout über die Maßen. Er riss die Augen weit auf, spannte die Wimpern und Brauen, streckte die Hände aus – Symptome förmlicher Bestürzung.
»Reise um die Erde!«, brummte er.
»In achtzig Tagen«, erwiderte Herr Fogg. »Also, wir haben keinen Augenblick Zeit zu verlieren.«
»Aber die Koffer?«, sagte Passepartout mit unwillkürlichem Kopfschütteln.
»Keine Koffer. Wir brauchen nur einen Reisesack mit zwei wollenen Hemden darin und drei Paar Strümpfen; ebenso viel für Sie. Das Weitere kaufen wir unterwegs. Holen Sie meinen Regenmantel und meine Reisedecke, und nehmen Sie gutes Schuhwerk mit. Übrigens gehen wir wenig oder gar nicht zu Fuß. Jetzt, rasch!«
Passepartout hätte gern geantwortet, konnte aber nicht. Er verließ Herrn Foggs Zimmer, begab sich auf das seinige, sank auf einen Stuhl nieder und sagte mit einem in seiner Heimat üblichen Ausdruck:
»Ei! Das ist stark! Und ich wollte ruhig leben!«
Um acht Uhr hatte Passepartout den bescheidenen Sack mit seiner und seines Herrn Garderobe gepackt; darauf verließ er, noch ganz verstörten Geistes, sein Zimmer, verschloss sorgfältig die Türe desselben und begab sich wieder zu Herrn Fogg. Herr Fogg war reisefertig. Unter dem Arm trug er ›Bradshaws Continents-Eisenbahn- und Dampfboot-Reiseführer‹, woraus er alle für seine Reise erforderlichen Notizen schöpfen konnte. Er nahm Passepartout den Reisesack aus der Hand, öffnete ihn und schob ein großes Bündel von den schönen Banknoten hinein, mit welchen man in aller Welt bezahlen kann.
»Haben Sie auch nichts vergessen?«, fragte er.
»Nichts, mein Herr.«
»Meinen Regenmantel und meine Decke?«
»Hier.«
»Gut, nehmen Sie den Sack.«
Herr Fogg gab Passepartout den Sack wieder zurück.
»Und passen Sie gut darauf auf«, fügte er hinzu. »Da sind 20.000 Pfund drin.«
Beinahe wäre Passepartout der Sack aus den Händen gefallen, als bestünden die 20.000 Pfund aus schwerem Gold. Daraufhin gingen Herr und Diener hinunter und die Haustüre wurde doppelt verschlossen.
Am Ende der Straße Saville-Row fand sich eine Fuhrwerkstation. Phileas Fogg und sein Diener stiegen in ein Cab, welches rasch nach dem Bahnhof Charing-Cross fuhr, wo ein Zweig der Süd-Ostbahn mündet. Um acht Uhr zwanzig Minuten hielt das Cab vor dem Gittertor des Bahnhofes. Passepartout sprang ab, sein Herr folgte nach und bezahlte den Kutscher.
In diesem Augenblicke trat eine arme Bettlerin mit einem Kinde an der Hand, barfuß im Kot, zerrissenem Hut mit jämmerlich herabhängender Feder, zerfetztem Schal über dem Lumpenkleid, an Herrn Fogg heran und bat um ein Almosen. Herr Fogg zog die zwanzig Guineen, welche er beim Whist gewonnen hatte, aus der Tasche und überreichte sie der Bettlerin mit den Worten:
»Hier nehmen Sie, brave Frau, es ist mir lieb, dass ich Sie getroffen habe!«
Dann ging er weiter. Passepartout fühlte seine Augen feucht werden. Sein Herr hatte einen Schritt zu seinem Herz getan. Herr Fogg trat mit ihm sogleich in den großen Bahnhofssaal und gab ihm den Auftrag, zwei Billetts erster Klasse nach Paris zu lösen. Als er sich hierauf umdrehte, sah er sich von seinen fünf Kollegen des Reformclubs umgeben.
»Meine Herren«, sprach er, »jetzt reise ich ab und die Visa auf meinem Pass werden Ihnen bei meiner Rückkehr den Nachweis meiner Reiseroute liefern.«
»Oh! Herr Fogg«, erwiderte Walther Ralph höflich, »das ist nicht nötig. Wir verlassen uns auf Ihr Wort als Gentleman!«
»So ist‘s besser«, sagte Herr Fogg.
»Sie vergessen nicht, wann Sie wieder hier sein müssen?«, bemerkte Andrew Stuart.
»Binnen achtzig Tagen«, erwiderte Herr Fogg, »Samstag, den 21. Dezember 1872, um acht Uhr fünfundvierzig Minuten abends. Auf Wiedersehen, meine Herren.«
Um acht Uhr vierzig Minuten setzten sich Phileas Fogg und sein Diener in dasselbe Waggonabteil. Der Zug war noch nicht über Sydenham hinaus, als Passepartout in wahrer Verzweiflung aufschrie!
»Was fehlt Ihnen?«, fragte Herr Fogg.
»Ich habe ... in der Eile ... meiner Bestürzung ... vergessen ...«
»Was?«
»Den Gashahn in meinem Zimmer zuzudrehen!«
»Nun, mein lieber Junge«, erwiderte Herr Fogg kalt, »so brennt das Gas auf Ihre Kosten!«
FÜNFTES KAPITEL
Ein neues Wertpapier erscheint auf dem Handelsplatz London.
P
hileas Fogg vermutete wohl bei seiner Abreise von London nicht, welch großes Aufsehen sein Vorhaben erregen würde. Die Neuigkeit von der Wette verbreitete sich zuerst im Reformclub und erregte unter den Mitgliedern dieser ehrenwerten Gesellschaft eine arge Aufregung, welche sich durch die Berichterstatter von da in die Journale verbreitete und durch diese das Publikum von London und im ganzen Vereinigten Königreiche durchdrang.
Diese Frage der Reise um die Erde wurde mit ebenso viel Leidenschaft und Hitze erläutert, besprochen, zergliedert, als handle es sich um eine neue Alabama-Frage. Die einen ergriffen Partei für Phileas Fogg, die anderen – und sie bildeten bald eine ansehnliche Mehrheit – sprachen sich gegen ihn aus. Diese Reise um die Erde, innerhalb der geringen Frist, mit den jetzt gebräuchlichen Verkehrsmitteln anders als in der Theorie und auf dem Papier fertig zu bringen, war nicht allein unmöglich, sondern unsinnig!
›Times‹, ›Standard‹, ›Evening-Star‹, ›Morning-Chronicle‹ und zwanzig andere Journale ersten Ranges erklärten sich gegen Fogg. Nur der ›Daily-Telegraph‹ unterstützte ihn einigermaßen. Im Allgemeinen behandelte man Phileas Fogg als Wahnsinnigen, als Narren; und seine Kollegen vom Reformclub wurden getadelt, dass sie sich auf so eine Wette eingelassen hatten, welche eine Geistesschwäche ihres Urhebers bekunde. Es erschienen äußerst leidenschaftliche, aber logisch scharfe Artikel über die Frage. Bekanntlich hat man in England viel Interesse an allem, was Geographie betrifft. Darum gab es auch keinen einzigen Leser, zu welcher Klasse er auch gehörte, der nicht die Phileas Fogg gewidmeten Spalten verschlang.
Während der ersten Tage waren einige kühne Geister – besonders Frauen – auf seiner Seite, zumal als die ›Illustrated-London-News‹ sein Porträt nach seiner im Archiv des Reformclubs hinterlegten Fotografie publizierte. Manche Gentlemen sagten dreist: ›Ei! Ei! Warum nicht? Man hat außerordentlichere Dinge gesehen!‹ Dies sagten vor allem die Leser des ›Daily-Telegraph‹. Aber man merkte bald, dass dieses Journal selbst anfing, seine Zuversicht zu verlieren.
Wirklich erschien am 7. Oktober im Bulletin der königlichen Geographischen Gesellschaft ein langer Artikel, welcher die Frage von allen Gesichtspunkten aus betrachtete und das Unsinnige des Unternehmens klar auseinandersetzte. Nach diesem Artikel war alles dem Reisenden entgegen, Hindernisse, die in der Person und in der Natur begründet waren. Sollte das Projekt gelingen, musste ein wunderbares Zusammenstimmen der Ankunfts- und Abfahrtszeiten stattfinden; aber dieses Zusammenstimmen existierte nicht, konnte nicht stattfinden. Streng genommen kann man in Europa, wo verhältnismäßig kleine Bahnstrecken vorhanden sind, auf die Ankunft der Züge zu fest bestimmter Zeit rechnen; aber wenn sie in drei Tagen quer durch Indien zu fahren haben, sieben Tage durch die Vereinigten Staaten, konnte man wohl die Elemente eines solchen Problems auf ihre Genauigkeit setzen? Und sprachen nicht die Ausfälle der Maschine, Entgleisungen, Zusammenstöße, üble Witterung, Schneeverwehungen -sprach nicht dies alles gegen Phileas Fogg? War er nicht auf den Paketbooten während der Winterzeit den Windstößen oder Nebeln ausgesetzt? Ist es denn so selten, dass sich die besten Segler der überseeischen Fahrtlinien um zwei bis drei Tage verspäten? Nun konnte schon eine Verspätung, eine einzige, ausreichen, um die Kette der Verbindungen unwiederbringlich zu zerreißen. Wenn Phileas Fogg auch nur um einige Stunden für die Abfahrt eines Paketbootes zu spät kam, musste er das nächstabgehende abwarten, und durch diesen einzigen Umstand geriet seine Reise unwiderruflich in Gefahr. Der Artikel erregte großes Aufsehen. Fast alle Journale druckten ihn ab und die Aktien Phileas Foggs sanken außerordentlich.
Während der ersten Tage nach der Abreise des Gentlemans wurden über das Wagnis seines Unternehmens bedeutende Wetten abgeschlossen. Bekanntlich spielen die Wetter in England eine bedeutende Rolle: Wetter sind gescheitere und angesehenere Leute als die Spieler. Wetten liegt den Engländern im Blute. So stellten auch nicht allein die verschiedenen Mitglieder des Reformclubs bedeutende Wetten für oder gegen Phileas Fogg an, sondern auch die Masse des Publikums wurde von der Bewegung fortgerissen. Phileas Fogg wurde gleich einem Renner in eine Art ›studbook‹ eingetragen. Man machte auch ein Börsenpapier daraus und dieses wurde sogleich auf dem Handelsplatz London eingetragen. Man verlangte, man offerierte ›Phileas Fogg‹, fest oder auf Prämie und es wurden enorme Geschäfte gemacht. Aber fünf Tage nach seiner Abreise, nach dem Artikel im Bulletin der Geographischen Gesellschaft, fingen die Angebote an, häufiger zu werden. Phileas Fogg sank. Man bot paketweise. Nahm man es anfangs zu fünf, später zu zehn, so nahm man es jetzt schon nur noch um zwanzig, um fünfzig, um hundert.
Ein einziger Anhänger blieb ihm treu: der alte, gichtbrüchige Lord Albermale. Der ehrenwerte Gentleman, der an seinen Fauteuil gefesselt war, hätte sein Vermögen hergegeben, um die Reise um die Erde machen zu können, sei es auch in zehn Jahren! Und er wettete fünftausend Pfund zu Gunsten des Phileas Fogg. Und wenn man ihm, zugleich mit der Torheit des Projekts, dessen Unnützlichkeit nachwies, beschränkte er sich gewöhnlich auf die Antwort: »Ist die Sache machbar, so ist es gut, dass ein Engländer sie zuerst unternimmt!«
Nun war es dahin gekommen, dass die Anhänger des Phileas Fogg immer weniger wurden; jedermann trat, und nicht ohne Grund, seinen Gegnern bei; man nahm das Papier nur noch um hundertundfünfzig, um zweihundert gegen eins, als sieben Tage nach seiner Abreise ein völlig unerwartetes Ereignis zur Folge hatte, dass man es gar nicht mehr nahm. An diesem Tage, um neun Uhr abends, erhielt der Polizeidirektor der Hauptstadt folgende telegrafische Depesche:
›Suez nach London.‹
›Rowan, Polizeidirektor, Zentralverwaltung, Schottlandplatz.‹
Ich bin dem Bankräuber Phileas Fogg auf den Fersen. Schicken Sie unverzüglich Haftbefehl nach Bombay.
›Fix, geh. Agent.‹
Diese Depesche wirkte unverzüglich. Der ehrenwerte Gentleman trat von der Bühne und an seine Stelle ein Bankräuber. Seine in dem Reformclub aufbewahrte Fotografie wurde untersucht. Sie entsprach Zug für Zug der gerichtlich aufgenommenen Personenbeschreibung. Man brachte die geheimnisvolle Existenz des Phileas Fogg, sein abgesondertes Leben, seine plötzliche Abreise in Anschlag, und es schien offenbar, dass dieser Mann unter dem Vorwand einer Reise um die Erde und gestützt auf eine unsinnige Wette keinen anderen Zweck verfolgte, als den Agenten der englischen Polizei zu entwischen.
SECHSTES KAPITEL
Agent Fix zeigt eine Ungeduld, die nicht unbegründet ist.
J
ene Depesche betreffend Phileas Fogg wurde unter folgenden Umständen verbreitet:
Am Mittwoch, den 9. Oktober, wurde in Suez für elf Uhr vormittags das Paketboot ›Mongolia‹ erwartet, welches der ›Company peninsular and oriental‹ gehörte, ein eiserner Schraubendampfer mit Verdeck, von 2.800 Tonnen Gewicht und 500 Pferdestärken. Er machte regelmäßig die Fahrten von Brindisi nach Bombay durch den Suez-Kanal und war einer der schnellsten Segler der Kompanie, der die vorschriftsmäßige Geschwindigkeit von zehn Meilen in der Stunde zwischen Brindisi und Suez, und von 9 Meilen und 53 Hundertsteln zwischen Suez und Bombay fast immer übertraf. In Erwartung der Ankunft der Mongolia sah man am Kai ein Gedränge Einheimischer und Fremder, welche in dieser Stadt zusammenströmen, die kürzlich noch ein Flecken war, nun durch des Herrn von Lesseps großes Werk einer bedeutenden Zukunft sicher ist, – zwei Männer auf- und abgehen. Der eine derselben war der in Suez angestellte Konsularagent des Vereinigten Königreiches, welcher – trotz der ungünstigen Ahnungen der britischen Regierung und der schlimmen Prophezeiungen des Ingenieurs Stephenson – nun täglich englische Schiffe diesen Kanal passieren sah, welche so die bisherige Fahrt Englands nach Indien ums Kap der guten Hoffnung zur Hälfte abkürzte. Der andere war ein kleiner, magerer Mann, mit ziemlich gescheitem Gesicht und reizbar, der in auffallender Weise beständig mit den Augenbrauenmuskeln zuckte. Unter seinen langen Wimpern glänzte ein sehr lebhaftes Auge, dessen Feuer er jedoch nach Belieben zu löschen verstand. In diesem Augenblicke gab er Zeichen von Ungeduld zu erkennen, lief hin und her, konnte nicht ruhig auf der Stelle stehen. Dieser Mann hieß Fix und war einer jener ›Detectives‹ oder geheimen Agenten, welche die englische Polizei nach dem Diebstahl auf der Bank in die verschiedenen Häfen abgeschickt hatte. Sein Auftrag war, mit größter Sorgfalt alle Reisenden, die über Suez kamen, zu überwachen, und wenn ihm einer verdächtig vorkomme, ihm in Erwartung eines Haftbefehls im Stillen nachzureisen.
Eben, vor zwei Tagen, hatte Fix vom Direktor der Londoner Polizei die Personenbeschreibung des mutmaßlichen Diebes erhalten, nämlich die des vornehmen und wohl gekleideten Mannes, welchen man im Zahlungssaal beobachtet hatte. Der Detektiv, offenbar durch die für einen glücklichen Fang ausgesetzte, ansehnliche Prämie angespornt, wartete also mit leicht begreiflicher Ungeduld auf die Ankunft der Mongolia.
»Und Sie sagten, Herr Konsul«, fragte er zum zehnten Mal, »das Dampfboot müsse bald ankommen?«
»Jawohl, mein Herr«, erwiderte der Konsul. »Es ist gestern auf hoher See bei Port-Said gesehen worden und die 160 Kilometer des Kanals kommen bei einem solchen Segler nicht in Anschlag. Ich sage Ihnen nochmals, dass die Mongolia stets die Prämie von 25 Pfund gewonnen hat, welche die Regierung für jeden Vorsprung um vierundzwanzig Stunden vor der regulären Zeit ausgesetzt hat.«
»Dieses Paketboot kommt geradewegs von Brindisi?«, fragte Fix.
»Gerade von Brindisi, wo es die indische Brief-post aufgenommen hat und am Samstag um fünf Uhr abends abgefahren ist. Also haben Sie Geduld, es muss bald ankommen. Aber ich weiß wirklich nicht, wie es Ihnen möglich ist, nach der Personenbeschreibung, die man Ihnen zugestellt hat, Ihren Mann, wenn er an Bord der Mongolia ist, zu erkennen.«
»Herr Konsul«, erwiderte Fix, »solche Leute wittert man vielmehr, als dass man sie erkennt. Man muss eine Spürnase besitzen, die ist gleichsam ein besonderer Sinn, bei welchem Gehör, Gesicht und Geruch zusammenwirken. Ich habe in meinem Leben mehr als einen solchen Gentleman verhaftet, und sofern nur mein Bankdieb an Bord ist, stehe ich Ihnen dafür ein, er wird mir nicht aus den Händen gleiten.«
»Ich wünsche es Ihnen, Herr Fix, denn es handelt sich um einen bedeutenden Diebstahl.«
»Ein prachtvoller Diebstahl«, versetzte der Agent voller Begeisterung. »55.000 Pfund! So ein Fund kommt einem nicht oft in den Weg! Die Diebe werden knauserig! Die Rasse der Sheppards wird selten! Jetzt bringt man sich schon für einige Schilling an den Galgen!«
»Herr Fix«, versetzte der Konsul. »Sie sprechen in einer Weise, dass ich lebhaft wünsche, Sie mögen Glück haben; aber ich sage es noch einmal, in der Lage, in der Sie sich befinden, fürchte ich, es könnte schwierig werden. Wissen Sie, nach der Personenbeschreibung, die Sie empfingen, gleicht dieser Dieb durchaus einem ehrlichen Manne.«
»Herr Konsul«, erwiderte der Polizeiagent belehrend. »Die großen Diebe sehen ehrlichen Leuten immer ähnlich. Sie begreifen wohl, dass die, welche wie Schurken aussehen, keine andere Wahl haben, als rechtschaffen zu bleiben, sonst würden sie ihre Verhaftung verursachen. Vor allem muss man die ehrlichen Gesichter in Augenschein nehmen. Das ist, gebe ich zu, ein schweres Stück Arbeit, das nicht mehr eine Sache des Gewerbes ist, sondern der Kunst.«
Man sieht, es fehlte Fix nicht an einer gewissen Dosis Narzissmus. Inzwischen wurde der Kai allmählich belebter. Seeleute verschiedener Nationalitäten, Handelsleute, Makler, Gepäckträger, Fellahs strömten zusammen. Die Ankunft des Paketbootes stand offenbar nahe bevor. Es war ziemlich schönes Wetter, aber infolge des Ostwindes herrschte eine kalte Brise. Über der Stadt erhoben sich im blassen Sonnenschein einige Minarette. Südwärts zog sich ein zwei Meilen langer Damm wie ein Arm vor der Reede von Suez. Auf der Fläche des Roten Meeres schaukelten einige Fischerbarken oder Küstenfahrzeuge, von denen manche in ihren Formen noch das elegante Muster der antiken Galeere bewahrt hatten. Mitten im Gewühl benahm sich Fix in der Art seines Berufes und fasste die Vorübergehenden mit raschem Blick ins Auge. Es war damals halb elf Uhr.
»Aber das Paketboot bleibt aus!«, rief er, als er die Hafenuhr schlagen hörte.
»Es kann nicht mehr fern sein«, erwiderte der Konsul.
»Wie lange wird es in Suez verweilen?«, fragte Fix.
»Vier Stunden; so lange wie nötig, um Kohlen aufzunehmen. Von Suez nach Aden, am Ende des Roten Meeres, sind es 1.310 Meilen, und es muss sich mit Brennmaterial versehen.«
»Und von Suez fährt das Boot direkt nach Bombay?«, fragte Fix.
»Direkt, ohne umzuladen.«
»Nun denn«, sagte Fix, »wenn der Dieb diesen Weg eingeschlagen hat und sich auf diesem Boot befindet, hat er geplant, in Suez an Land zu gehen und auf anderem Wege in die holländischen oder französischen Kolonien in Asien zu gelangen. Er muss wohl wissen, dass er in Indien nicht sicher wäre, weil es englisches Gebiet ist.«
»Sofern es nicht ein sehr starker Mann ist«, erwiderte der Konsul. »Sie wissen, ein englischer Verbrecher ist stets in London leichter verborgen als auswärts.«
Nach dieser Bemerkung, welche dem Agenten viel Bedenken gab, begab sich der Konsul wieder in seine Büros, die nicht weit entfernt lagen. Der Polizeiagent blieb allein, voll nervöser Ungeduld und auffallendem Ahnungsgefühl, sein Dieb müsse sich an Bord der Mongolia befinden, – und in Wahrheit, wenn der Schurke in der Absicht, die Neue Welt aufzusuchen, England verlassen hatte, so musste er den Weg nach Indien vorziehen, da dieser weniger überwacht oder schwerer zu überwachen ist, als der über das Atlantische Meer. Fix blieb nicht lange in seine Gedanken vertieft, als gellendes Pfeifen die Ankunft des Paketbootes meldete. Der ganze Schwärm der Gepäckträger und Bauern stürzte auf den Kai, mit einem Tumult, der für die Passagiere und ihre Kleider beunruhigend war. Zehn Nachen stießen vom Ufer ab und fuhren der Mongolia entgegen. Nicht lange, so sah man das riesige Schiff zwischen den Kanalufern fahren und Schlag elf Uhr warf der Dampfer auf der Reede Anker, während sein Dampf mit großem Getöse durch die Schornsteine entströmte. Es waren sehr viele Passagiere an Bord. Manche blieben auf dem Verdeck, um das malerische Panorama der Stadt zu betrachten; aber die meisten begaben sich in die Nachen, welche herangekommen waren, und mit diesen ans Land. Fix beobachtete alle, die ans Land kamen, auf das Genaueste. In diesem Augenblick kam einer, nachdem er die mit ihren Dienstangeboten zudringlichen Fellahs kräftig zurückgedrängt hatte, zu ihm heran und fragte ihn sehr höflich nach dem Büro des englischen Konsularagenten. Und zugleich hielt dieser Passagier einen Pass hin, worauf er ohne Zweifel das englische Visum einholen wollte. Fix nahm den Pass instinktmäßig und überschaute die Personenbeschreibung mit schnellem Blick. Eine unwillkürliche Bewegung erfasste ihn, das Blatt zitterte in seiner Hand. Die auf dem Pass befindliche Personenbeschreibung war gleich lautend mit der, welche er vom Polizeidirektor der Hauptstadt erhalten hatte.
»Es ist nicht Ihr eigener Pass?«, sagte er zu dem Passagier.
»Nein«, erwiderte dieser, »er gehört meinem Herrn.«
»Und Ihr Herr?«
»Ist an Bord geblieben.«
»Aber«, versetzte der Agent, »er muss sich persönlich auf dem Konsularbüro einfinden, um seine Identität feststellen zu lassen.«
»Wie? Das ist nötig?«
»Unerlässlich.«
»Und wo ist dieses Büro?«
»Dort an der Ecke des Platzes«, erwiderte der Polizeiagent und wies auf ein zweihundert Schritte entferntes Haus.
»Dann will ich meinen Herrn holen, dem es übrigens nicht angenehm sein wird, gestört zu werden!«
Darauf empfahl sich der Passagier und kehrte an Bord des Dampfers zurück.