Kitabı oku: «Konstruktive Rhetorik», sayfa 6

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9Das Gegenprogramm: Dialog

Unsere ältere Tochter hat überraschend ihren Besuch angekündigt. Die jüngere ist gestern durch die Fahrprüfung gerasselt. Unser Sohn will heute aus Finnland anrufen. Die Katze frisst schon seit zwei Tagen nichts. – Das sind die Hauptthemen, die meine Frau und mich durch das Frühstück begleiten. Manchmal unterbricht der eine den anderen; manches, was man sagt, ist Kommentar, andere Äußerungen sind ein Lachen oder ein Naserümpfen. Am wichtigsten ist aber der Kontakt: Wir schauen uns immer wieder in die Augen; einmal wird einer lauter, um die Geräusche des Radios zu übertönen; manchmal fragt einer nach. Das ist der formale Kern des Dialogs. Er besteht darin, dass Kontakt gehalten wird und dass dem einen wie dem anderen die gleichen Mittel zustehen: Fragen stellen, Pausen setzen, Kommentieren, Gestikulieren, laut oder leise werden.

Dialog fühlt sich anders an als Monolog. Dialog bezieht Argumente der Gegenseite mit ein und beteiligt sie aktiv an der Kommunikation. Vor allem ist bei einem dialogischen Ansatz nicht die einzelne, abgeschlossene Rede das Entscheidende, sondern der Prozess, in dem sie und viele andere Beiträge aufeinanderfolgen und sich gegenseitig beeinflussen. Das ist zwar mühsam, aber es erbringt Resultate. Die Aufgabe der Rhetorik ist es, aufzuzeigen, wie der Monolog durchbrochen werden kann, wie Dialog trotz des Zwangs zum Monolog möglich wird.

Dialog ist ein gemeinsamer Prozess

Ein Dialog ist ein Text, den mehrere Beteiligte (zum Beispiel Redner und Publikum) gemeinsam herstellen.89 Paradebeispiel ist die Erörterung eines Themas in einem Team. Jeder hat etwas beizutragen; der „Text“, der entsteht, ist eine Abfolge dieser Beiträge. Das gemeinsame Ergebnis ist die Folge des Austauschs zwischen den Beteiligten.

Der Begriff „Dialog“ wird in der Öffentlichkeit täglich bemüht. Wenn zum Beispiel in verfahrenen politischen Situationen ein Fortschritt erzielt werden soll, setzt man auf Dialog – zwischen den USA und Russland, zwischen Christen und Muslimen, Fremden und Einheimischen, Gegnern, Experten usw. Dementsprechend gibt es unzählige Modelle für Dialoge in Politik, Philosophie und Theologie. Sokrates führte den Dialog mit seinen Jüngern, um ihnen bei ihrer Erkenntnissuche zu helfen.90 Hans-Georg Gadamer trat mit alten Texten in einen Dialog, um sie zu verstehen. Martin Buber betonte den Dialog, die Hinwendung zum anderen und dessen Anerkennung, als Bedingung für die Entstehung eines „Wir“.91 Völlig andere Bedeutung haben technische Dialogbegriffe. Wer sich über Apple TV und iTunes unterhalten lässt und dabei vor sich hinspricht, führt einen Dialog mit der Software SIRI, also in einem recht reduzierten Sinn. Auch wer nur schon in einem einfachen Computerprogramm auf OK klickt, ist aus Sicht der Informatik mitten in einem Dialog.

Für die rhetorische Kommunikation ist es zunächst wichtig, den Dialog als einen Prozess zu verstehen. Die Gesprächspartner (bzw. der Redner und sein Publikum) lassen in gemeinsamer Arbeit eine Sequenz von Rede und Gegenrede entstehen. Dialog in diesem Sinne entspricht einer partnerschaftlichen Haltung sowohl auf der Sach- als auch auf der Beziehungsebene.

Der Schwerpunkt liegt auf Verständigung

Ist es nicht merkwürdig, dass wir in der Gesprächsführung mit einer überwältigenden Zahl von Lehrbüchern, Instituten und Autoren konfrontiert sind, die gewaltfreie, auf gegenseitiges Verstehen und Zusammenarbeiten ausgerichtete Kommunikationstechniken vermitteln, weil einen diese weiter bringen als einseitige Manipulationstechniken? Dass aber eine Rede vor Publikum beurteilt wird, als ob es um Sieg und Niederlage ginge? Ist es denn wirklich notwendig, dass wir, sobald wir als Einzelpersonen vor einer Gruppe stehen, unsere Vorstellung von Dialog und Gewaltfreiheit vergessen?

Dass Dialog besser ist als Monolog, braucht – außerhalb diktatorischer Kontexte – keine langen Begründungen. Dennoch ist der Zwang zum Monolog so stark, dass man ihn oft auch da befolgt, wo er gar nicht besteht oder wenigstens aufgeweicht werden könnte. Ein gutes Beispiel geben alle Formen von Lehrvorträgen ab – von der kurzen Instruktion im Beruf bis zur Vorlesung an der Universität. Niemand ist gezwungen, einen Sachvortrag als Deklamation zu zelebrieren, ohne Rücksicht auf die fragenden Gesichter und Zwischenbemerkungen der Zuhörenden. Wenn auch für das eigentliche Gespräch oft keine Gelegenheit besteht, gibt es doch überall die Möglichkeit, einzelne dialogische Elemente einzubauen. Noch besser – und gerade in Lehrsituationen leicht durchführbar – ist eine Überführung der monologischen Situation in eine dialogische.

Gerade das versuchten die Verantwortlichen von TED ein Jahr nach der Auseinandersetzung mit Nick Hanauer ( Kapitel 3 | Vorgaben des Veranstalters). Bei einem TEDx-Event in London92 propagierte der Journalist und Autor Graham Hancock die Legalisierung einer bestimmten bewusstseinserweiternden Droge. Weil die Rede inhaltlich kontrovers war – aus Sicht der etablierten Wissenschaft unsinnig – wollte die Leitung von TED sie zunächst auf ihrer Website unterdrücken. Dann suchte sie nach Wegen, sie so zu kommentieren, dass ihre kontroverse Position erkennbar würde. Statt die Ideen Hancocks nur zu verbreiten, stellten sie sie forumartig zur Diskussion. Das Publikum sollte eigene Kommentare hochladen können. Die Debatte würde im besten Fall dazu führen, dass die Ideen nicht nur hinterfragt würden, sondern dass man gemeinsam weiterdenken würde. Die Verantwortlichen versuchten damit im Nachhinein, die Nachteile des monologischen Konzepts zu beheben. Das Ziel war, aus dem Monolog einen Dialog zu machen.

Dummerweise ist eine solche Handlung suspekt, wenn sie von einem Unternehmen kommt, dessen Geschäftsmodell ansonsten darin besteht, allen möglichen Rednern eine Plattform zu bieten. Ins Gewicht fiel zudem, dass das Video eine Zeitlang nicht nur auf der TED-Homepage, sondern auch auf dem YouTube-Kanal von TED zu sehen gewesen war. Dass es damit aus dem leicht zugänglichen sozialen Netzwerk entfernt und in eine weniger beachtete Ecke des Internets gestellt wurde, nahm man TED weitherum übel.

Monolog eignet sich für reine Propaganda, Dialog für gemeinsames Nachdenken. Monolog ist persuasiv, Dialog ist konstruktiv. Für einen, der eine Glaubensüberzeugung verbreiten will, ist Monolog das Mittel der Wahl. Den Veranstaltern war das in diesem Fall nicht geheuer, und sie hatten Recht. Pech für sie war, dass sie die Marke TED gerade auf monologischen Produkten aufgebaut hatten. Bis sie mit ihrem Forum kamen, hatte die Kritik längst auf anderen Kanälen Fahrt aufgenommen.

Dialog in der öffentlichen Ansprache

Dialog als Prozess, als ein Text, den alle Beteiligten gemeinsam herstellen: Dies kann auch ein Ansatz für das Reden vor Publikum sein. Zunächst ist es ein Modell, nach dem sich die Rednerin ausrichten kann (und das sich, wenn möglich, auf ihr Publikum überträgt). Das Mantra „Ich bin nicht allein verantwortlich“ kann entlastend wirken und den Einsatz der rhetorischen Mittel vernünftig leiten.

In Bezug auf die Rollenerwartungen hilft es, die autoritären Vorstellungen einer übertriebenen Wirkung zurückzuschrauben.

Inhaltlich ermöglicht es die offene Planung, weil man während der Rede auf Impulse aus dem Publikum eingeht und dieses Aufbau und Informationsdichte mitgestaltet.

Formal betrifft es die Wahl von Mitteln, die auf Anschlussfähigkeit ausgerichtet sind – vom Blickkontakt bis zur verbalen Interaktion.

Letztlich ist Dialog eine Eigenschaft der gesamten Rede. Auch wenn sich die Rede dabei nicht in eine lebhafte Diskussion verwandelt, so soll doch kein Zweifel daran gelassen werden, dass jede Rede, jeder Vortrag, jede Vorlesung, jede Präsentation nur der zweitwichtigste Beitrag zum Thema ist und sich immer in weitere Auseinandersetzungen, Gespräche, Debatten einfügt, gerade auch in solche Formen, die für den Dialog offener sind. Formal und inhaltlich ist jede konstruktive Rede ein Angebot zum Dialog.

Die Kommunikationsform der Symmetrie

Das Prinzip des Dialogs ist die Symmetrie. Alle Gesprächspartner sind gleichberechtigt. Das Prinzip des Monologs ist dagegen die Asymmetrie. Einer spricht, die anderen hören zu. Eine monologische Situation stellt sich ein, sobald einer eine besondere Rolle einnimmt: wenn er etwas zu erzählen hat, wenn er über eine Sache mehr als andere weiß, wenn er seine Macht als Vorgesetzter oder Elternteil ausübt oder wenn er zu einer Motivations- oder Überzeugungsrede ansetzt.

Natürlich kommt die reine dialogische Form so wenig vor wie die rein monologische. Auch im Dialog tendiert immer wieder ein Gesprächspartner (wie die obigen Beispiele zeigen) dazu, das Heft an sich zu reißen und zu monologisieren. Und auch im Monolog gibt es von jeher dialogische Unterbrechungen: Applaus, Zwischenrufe, Antworten auf Fragen an das Publikum usw. Die grundsätzliche Unterscheidung zu treffen, ist dennoch wichtig, weil intuitiv die reine monologische Form für traditionelle Redeaufgaben häufig als die einzige Lösung erscheint. Man wird z.B. für eine Führung durch ein Museum engagiert und bereitet sich vor wie auf einen klassischen Vortrag, ohne andere Formen überhaupt zu überlegen.93 Dabei kann man umgekehrt vorgehen und bei der Frage anfangen, was das Publikum beizutragen hat.

Merkmale konstruktiven Redens

Rahmen: Beiträge des Publikums sind möglich. Das Ziel besteht in gemeinsamem Erzielen eines Resultats oder im Lernen und Kennenlernen. Nicht die Qualität einer einzelnen Rede steht im Vordergrund, sondern der Prozess, in dem sie stattfindet.

Diskurs: Die Rede fügt sich in einen Diskurs ein und steht gleichwertig mit anderen Beiträgen da.

Form: Gegenseitiges Zuhören wird angestrebt, ermöglicht und gefördert. Der Redner sucht den Kontakt mit dem Publikum. In der Rede werden Dialogangebote gemacht.

Argumentation: Sachentscheidungen werden mit rationaler Argumentation gestützt.

Wirkung: Gemeinsame Resultate werden aus einer argumentativen Auseinandersetzung erreicht.

Einer der Helden meines Studiums war Hans Rudolf Oswald, Ordinarius für Anorganische Chemie an der Universität Zürich.94 Ich habe seinen Vorlesungsstil bis heute in Erinnerung, obwohl meine Leidenschaft für sein Fach nie so recht erwacht ist. Aber der Kontakt, den er zu seinen Zuhörenden hatte, war beeindruckend. Und wir waren immerhin einige hundert Studienanfänger, für die Chemie nur ein Pflichtfach war, ohne das wir in unserem Hauptfach (teils Medizin, teils Biologie) nicht weiterkamen.

Es war eine der ersten Semesterwochen. Man wusste noch nicht so recht, wie eine Uni funktioniert. Zudem war die Arbeitsbelastung hoch, man eilte von einem Fach zum nächsten, von einem Übungslabor ins andere. Alle fühlten sich leicht überfordert. Da saßen wir also und warteten, dass es gleich wieder um Bindungen und Wechselwirkungen gehen würde, und wir waren wenig motiviert.

Und da tat der Professor etwas Unerwartetes: Er trat einen Schritt auf die Bankreihen zu und schaute uns, die dreihundert Greenhorns, an und dann fragte er mit seinem unverwechselbaren Berner Akzent: „Wie geht es?“

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Das Stöhnen und die Klagen begannen sofort. Er lachte und nahm das, was ihm zugerufen wurde, auf. In wenigen Sekunden hatte er ein Gespräch mit seinem Publikum angefangen, in dem er auf die Situation der jungen Leute einging und auch ein paar tröstende Worte fand.

Zu Beginn einer Vorlesung „Wie geht's?“ zu fragen, ist eine gute Idee. Es funktioniert aber nur, wenn die Frage ernst gemeint ist, wenn man den so Gefragten Zeit lässt, eine Antwort zu geben – sei sie verbal oder nonverbal. Wenn man dies tut, nimmt man ein Element der dialogischen Alltagssprache in die scheinbar monologische Situation herein, verändert die Atmosphäre und stellt eine Beziehung her, die auch den späteren Verlauf der Vorlesung bestimmen kann.

Merkmale des Dialogs

Dass eine Rede dialogisch ist, lässt sich sowohl anhand ihrer sprachlichen als auch ihrer sprecherischen und körpersprachlichen Merkmale zeigen.

Dialogisch im Sinne dieses Buchs ist eine Redeweise, die auf Austausch ausgerichtet ist: auf Austausch von Inhalten und Äußerungen auf jeder Ebene des Ausdrucks, sei es durch Worte, durch die Stimme oder durch Mimik und Gestik. Hinzu gehört immer auch das Zuhören; ohne die aktive Beteiligung des Publikums kann von Dialog keine Rede sein. Dialog beruht auf der Achtung des anderen, unabhängig davon, ob es ein Gesprächspartner in einer alltäglichen Unterhaltung oder das Publikum einer offiziellen Ansprache ist. Und auch diese Haltung gilt idealerweise nicht nur für diejenige, die am Reden ist, sondern auch für die von ihr Angesprochenen. Unabhängig von der sonstigen Rollenverteilung (Lehrer/Schülerin, Vorgesetzte/Untergebener, Pfarrer/Gemeinde etc.) sind die Beteiligten insofern Partner, als sie an einem gemeinsamen Prozess beteiligt sind. Die Information, die die Rednerin gibt, ist nicht wichtiger als das Verstehen des Publikums; ihre Worte wiegen nicht schwerer als die Signale, mit denen das Publikum sie dieses Verstehen erkennen lässt.

Die klassische Rhetorik erfordert von der Rednerin, dass sie, wie Josef Kopperschmidt es formuliert95, die Zuhörenden „zuhörbereit“ macht. Die konstruktive Rhetorik dagegen erwartet, dass die Rednerin mit den Zuhörenden in den Dialog tritt. Sie wird

die Bereitschaft zum Dialog signalisieren,

Äußerungen des Publikums wahrnehmen,

auf diese Äußerungen reagieren.

Dialog auf der Beziehungsebene

Auf der Beziehungsebene ist das wichtigste Zeichen für einen dialogischen Prozess der Kontakt – der Kontakt trotz der Rollenaufteilung in Redner und Publikum, trotz der unterschiedlichen Anforderungen, denen sie genügen müssen. Zwar wird von dem Redner eine klare Zielsetzung erwartet, eine überzeugende thematische Gestaltung, zudem vollständige Sätze, oder eine angemessene Lautstärke. Dennoch ist auch bei der Rede vor Publikum die erste Aufgabe, Kontakt zu halten, d.h. dafür zu sorgen, dass etwas vom Publikum zurückkommt und darauf zu achten, was von ihm zurückkommt.

Eine typische Situation: Die Dozentin betritt den Raum, stellt sich hinter das Podium und will beginnen. Sie bemerkt, dass noch viel Unruhe herrscht, nur wenige sehen zu ihr hin, alle scheinen mit sich beschäftigt oder im Gespräch. Sie könnte jetzt einfach anfangen zu reden und hoffen, dass es allmählich ruhig wird. Aber sie entscheidet sich für etwas anderes: Sie geht nochmals vor die Tür, tritt nochmals ein und schlägt resolut die Tür hinter sich zu. Die Zuhörenden schrecken hoch, blicken zu ihr hin und folgen ihr mit ihren Blicken. Dann steht sie vor ihnen und statt einfach mit Reden zu beginnen, verstärkt sie den Blickkontakt. Das ist das erste Signal für Gemeinsamkeit. Es verpflichtet beide Seiten zum Dialog.

Dies ist gemeint, wenn von einer dialogischen Einstellung, einer dialogischen Haltung des Redners gesprochen wird. Sie besteht in der Aufmerksamkeit für das Publikum, in der Achtung vor den Zuhörenden als potenziellen Mitredenden.

Die klassische Redelehre wendet sich an den Einzelnen, der mit einem klaren Ziel sein Publikum führen will. „Die Rhetoriktheorie interessiert sich nicht für den Kommunikator in Hinblick auf seine Rolle als Mitspieler im Konzert der kommunikativen Welt, sondern in Hinblick auf seine Rolle als Solist oder Dirigent, falls er den Taktstock ergreifen sollte.“ So beschreibt es Joachim Knape.96 Dialog dagegen, ebenso extrem verstanden, ist offen in Bezug auf den Ausgang. Die Teilnehmenden sind gleichberechtigt und treffen eine Übereinkunft in Bezug auf den Verlauf und das zu erreichende Ziel. Die Menschen, an die man sich richtet, auch wenn sie „nur“ Publikum sind, werden als gleichberechtigt verstanden.

Noch einfacher gesagt, gehört zum Dialog, dass sich der Redner für die Zuhörenden interessiert – nicht nur dafür, wer sie sind und was sie erwarten, sondern auch dafür, was sie zum Vortrag beizutragen haben – zum Thema, zu dessen Aufbereitung, zur Verständlichkeit und Anschaulichkeit. Dialogisch ist eine Rede erst dann, wenn der Redner die Reaktion des Publikums, dessen Zustimmung oder Gegenrede, wahrnimmt. Zum dialogischen Reden gehört also auch, dass auch der Redner zum Zuhörenden wird, dass er sich Zeit nimmt, darauf zu achten, wie seine Rede aufgenommen wird.

Dialog auf der Sachebene

Zwar beginnt jede Rednerin ihre Rede vor Publikum mit einem klaren Ziel. Sie will aufklären, motivieren, instruieren oder missionieren. Auf den ersten Blick ist das ein klares Gegenstück zu den typischen Zielen des dialogischen Gesprächs: Es gibt Gespräche, die nur den gemeinsamen Informationsstand oder den Stand der Beziehung klären wollen. Es gibt Gespräche, die der Lösung eines Problems oder eines Konflikts dienen. Es gibt Streitgespräche, in denen Standpunkte verglichen und gegeneinander abgewogen werden. Für all diese Dinge wird man keine Rede vor Publikum wählen. Was aber Gespräch und Rede eint, ist das Ziel, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.

In der als Dialog verstandenen Rede vor Publikum kann das Ziel genau gleich formuliert werden: zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Sogar der Prediger auf dem Marktplatz, der von seinem Erweckungserlebnis berichtet, um die Passanten zur Umkehr zu bewegen, wird gut daran tun, ihnen entgegenzukommen – nicht nur, indem er seine Worte ihrem Alltagswortschatz und seine Satzlängen ihrer Konsumhaltung anpasst, sondern vor allem auch dadurch, dass er ihnen zuhört und in der Reaktion auf deren Verhalten seine Redeziele allenfalls herunterschraubt.

Dialog durch visuelle Wahrnehmung

Dialogisches Reden zeigt in Körperhaltung, Gestik und Blickkontakt die Bereitschaft, mit den Zuhörenden zu interagieren – und zwar mit allen. Nicht zuletzt zeigt sich dies in der Reaktion auf Unvorhergesehenes. Wenn etwa ein Zwischenrufer die Rede unterbricht, muss der Redner nicht nur entscheiden, mit welchen Worten er darauf eingeht. Er muss auch sicherstellen, dass der Dialog mit allen Anwesenden weitergeht. Zu leicht passiert es sonst, dass sich der Dialog einengt auf Redner und Zwischenrufer, weil er sich diesem körperlich zuwendet und die Mehrheit der übrigen Anwesenden ausschließt. Er muss gerade in einem solchen Fall verhindern, dass er nicht nur diese einzelne Person wahrnimmt. Wenn er darauf achtet, dass er weiterhin auch die Zuschauer in den anderen Teilen des Raums anspricht, wird der Zwischenruf auch nonverbal zum Problem aller und damit leichter zu bearbeiten.

Steve Jobs, der Mitbegründer von Apple, hielt seit den 1980er-Jahren beeindruckende Reden. Noch heute, Jahre nach seinem frühen Tod, sind auf YouTube seine zündenden „Keynotes“ so beliebt, dass sie jährlich von Hunderttausenden gesehen werden. Eine davon stammt aus dem Jahr 2007. Steve Jobs präsentierte darauf bei der Macworld-Konferenz 2007 das damals neueste Produkt: das iPhone. Millionen Klicks bezeugen, dass eine Werbeveranstaltung für ein neues, aber unterdessen in die Jahre gekommenes Gerät noch immer faszinieren kann, wenn die Präsentation stimmt. Wer aber von Steve Jobs lernen will, achtet nicht auf die großartigen, einstudierten Phrasen, sondern auf Details. Jobs blieb sich selbst treu, wenn er auf der Bühne stand. Er hatte nun einmal das Glück, seinen Berufsweg als dynamische, extravertierte Persönlichkeit zu gehen, und es ist kein Wunder, dass er damit dem Ideal eines überzeugenden, siegbewussten Redners entsprach. Dennoch ließ er sich immer die Zeit, die er brauchte, um sein Publikum wahrzunehmen.

Wenn man eine Aufnahme findet,97 bei der auch festgehalten ist, wie Jobs auf die Bühne oder zum Rednerpult kommt, kann man seine wichtigste Fähigkeit studieren: sich Zeit zu lassen, bevor er zu reden anfängt. Auch in der prestigegeladenen Graduiertenfeier der Stanford University nimmt er sich zuerst einmal Zeit. Er schaut sich um. Er blickt ins Publikum. Er lächelt. Dankt für den Applaus. Dann erst fängt er an. Und die ersten Worte kommen gar nicht so geschliffen daher. Er spricht mit Pausen, tastet sich zunächst voran, als ob er sich noch erst mit dem Publikum synchronisieren müsste. Er mag die Sätze vorbereitet haben und vollständige, klare Sätze sprechen. Aber er erlaubt sich „Ähs“ und Pausen und lange Blicke ins Publikum. Das ist so ziemlich das Gegenteil davon, was man von einem blendenden Redner erwarten würde, der sich als „insanely great“ in Szene setzt.98 Aber es ist dialogisch – nicht im Sinn von Rede und Gegenrede, sondern dialogisch durch viele kleine Elemente, die in einer solchen Situation möglich sind. Jobs nutzt Pausen, er sieht ins Publikum und spürt, ob da jemand zurückblickt. Er hört auf die Reaktionen der Zuhörenden. Das zeigt, dass auch einer, der als brillanter Redner gilt, nicht einfach als Alleinunterhalter loslegt, sondern sich mit den Menschen, zu denen er redet, abgleicht. Er gibt sich selbst und ihnen die Chance, aufeinander einzugehen.

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