Kitabı oku: «Konstruktive Rhetorik», sayfa 4
6Das Publikum ist nie passiv
»Ein nasskalter Tag im beginnenden Frühjahr 1828, ein Wetter, bei dem man lieber zu Hause blieb. Doch Hunderte von Menschen strömten in Richtung Singakademie zu einer Vorlesungsreihe eines Mannes, der schon seit dem Dezember des vorangegangenen Jahres die Einwohner Berlins fesselte. … Obwohl der größte in Berlin verfügbare Raum mit fast achthundert Personen gefüllt war, herrschte in diesem eine Ruhe, wenn auch eine angespannte, als der Gelehrte den Vortragssaal betrat …«51
Alexander von Humboldts „Cosmos-Vorträge“ waren im Wintersemester 1827/28 ein Publikumsmagnet und die Berichte, die wir von Zuhörenden haben, zeugen von der Autorität des Gelehrten. Der Hinweis auf die „angespannte Ruhe“ zeigt, dass die öffentliche Rede nicht nur Rednerinnen und Rednern, sondern auch denjenigen, die zuhören, besonderes Verhalten abverlangt. Sie richten sich auf die Rolle des zu belehrenden und zu unterhaltenden Publikums ein und machen damit den Schritt von der nichtöffentlichen zur öffentlichen Situation ebenso mit wie der Redner selbst.
Wer alles zum Publikum zählt, wird wiederum von Rahmenbedingungen bestimmt, die Gesellschaft und Institutionen vorgeben. Humboldt hielt seinen Vortrag bewusst in der Sing-Akademie und nicht an der Universität. An dieser wäre er nur von Studierenden und Kollegen gehört worden, und nur von Männern. Frauen wurde der Zugang zu preußischen Universitäten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich geöffnet. Humboldt verlangte für seine Vorträge keine Eintrittsgebühr und so kamen Zuhörende „aus den unterschiedlichsten Schichten – von Mitgliedern der königlichen Familie bis zu Kutschern, von Studierenden bis zu Dienstboten, von Gelehrten bis zu Maurern – und die Hälfte waren Frauen.“52
So beteiligt sich das Publikum
Die klassische Anordnung von Bühne und Zuschauerraum sieht für das Publikum eine passive Rolle vor: Zuhören. Dennoch ist es aktiver, sogar im Extremfall einer derartigen Großveranstaltung. Auch wenn keiner ein Wort sagt, sind die verschiedensten Aktivitäten möglich: geistige wie Mitdenken und Mitschreiben, nonverbale wie Lächeln, Stirnrunzeln, Kopfnicken, paraverbale wie Raunen oder Lachen. Die Anwesenden sind aber auch Multiplikatoren. Sie sind der erste Kreis in einer Reihe von Öffentlichkeiten, die um die Veranstaltung herum entstehen. Die Wirkung der Rede wird weiter vermittelt zu Gesprächspartnern außerhalb des ursprünglichen Publikums und gegebenenfalls in weitere Medien. Bei Alexander von Humboldt waren dies Berichte von Besuchern in Briefen, Zeitungsartikeln und Büchern.53 Im 21. Jahrhundert sorgen soziale Medien und je nach Art der Veranstaltung die üblichen Massenmedien für Resonanz.
Die Vorstellung, dass die Zuhörenden stumm und ohne eigenen gedanklichen Beitrag einem Vortrag folgen, ist in jedem Fall falsch, auch wenn es in Rhetoriktrainings geradezu sprichwörtlich geworden ist, die Rednerin als die darzustellen, die die Zuhörenden „führt“.54 Die Zuhörenden sind immer aktiv – vorausgesetzt sie stehen noch mit der Rednerin in Kontakt. Die Aufgabe einer dialogischen Rhetorik ist es, diesen Kontakt zu sichern und auszubauen.
Wie sie zuhören: rational, emotional, kreativ, orientierend
Von David Malan wurde erwartet, dass er eine stinknormale Einführung in die Informatik hielt. Der Kurs im B.A.-Programm der Harvard University war nicht besonders beliebt. Etwa 130 Studierende hatten sich jeweils eingeschrieben; 25 von ihnen hatten daraufhin Informatik als Hauptfach gewählt. Der Rest war für immer abgeschreckt. Malan wollte das ändern. Er tat zwar genau, was man von ihm erwartet hatte: Er führte in die Grundlagen und die Denkweise des Computers ein. Aber er tat es auf eine völlig andere Weise als seine Vorgänger, und wenige Jahre später schrieben sich 700 Studierende ein, und immerhin 50 wählten Informatik als Hauptfach.55
Ein Grund für den Erfolg dieses Dozenten war, dass er die Aktivität der Zuhörenden richtig einschätzte. Während sich die meisten Menschen, die über ihr Fach vortragen, auf Sachinformationen konzentrieren, wurde hier das Publikum auf mehreren Aktivierungsebenen angesprochen: nicht nur auf der Informationsebene, sondern auch auf der emotionalen, kreativen und orientierenden Ebene.
Über Emotionen motivieren
Malan beginnt seine Einführung in Computational Mathematics (in Harvard CS 50 genannt) weder mit einer Definition noch mit einem Überblick über die Thematik, sondern mit einer Selbstoffenbarung:
»Hallo! Mein Name ist David Malan, und das ist CS 50. Ich liebe diesen Kurs über alles. Für mich ist das mein Traumjob, ehrlich gesagt …«56
Er steht vor 400 Studierenden verschiedenster Fächer, die nicht genau wissen, was sie in Informatik erwartet, und er sagt ihnen zuallererst, wie sehr er das Fach liebt. Er erzählt, wie er dazu gekommen ist, es zu studieren, dass er – ebenso wie wohl viele im Hörsaal – eher Angst davor gehabt hat und wie er herausgefunden hat, dass es mit vielen seiner Interessen zusammenhängt.
Malan will die Studierenden mitreißen, sein Ziel ist zunächst, dass seine Begeisterung überspringt. Neben dieser emotionalen Aktivierung tritt die strukturierte Vermittlung von Inhalten in den Hintergrund. Als er das Fach vorstellen muss, tut er dies zuerst über Geschichten, die dessen Anwendung illustrieren. Er erzählt: Als Studierender fand er es umständlich, die nächste Busverbindung herauszufinden, die ihn vom Campus nach Hause brachte. Er nutzte die digitalisierten Fahrpläne, um einen Dienst zu entwickeln, der ihm per SMS die gewünschten Abfahrten und Anschlüsse übermittelte – lange bevor es Smartphones und dazu passende Apps gab. Zwar lassen sich über das Erzählen nur einzelne Beispiele vermitteln; Verallgemeinerungen brauchen abstraktere Formen. Aber die Geschichten vermitteln seine Gefühle und motivieren zum weiteren Zuhören, auch wenn es komplexer wird.
Die Kreativität der Zuhörenden ansprechen
Gibt es eine Methode, um auf rationelle Art zu ermitteln, wie viele Personen im großen Vorlesungssaal versammelt sind? – Eine einfache Frage, die zunächst die Kreativität der Studierenden anregen soll. Mehrere melden sich zu Wort und schlagen mögliche Arten des Zählens oder Schätzens vor. Dann aber schlägt der Dozent eine eigene Methode vor, die das Denken der Informatik erfahrbar macht. Sie besteht darin, dass die Studierenden Zweiergruppen bilden. Einer der beiden setzt sich, der andere bleibt stehen. Derjenige, der noch steht, repräsentiert jetzt zwei Personen. Wieder bilden je zwei der noch Stehenden eine Gruppe; einer setzt sich, der andere repräsentiert jetzt vier Personen. So geht es weiter. Wenn die Letzten, die noch stehen, ihre Summen addieren, ist die Gesamtzahl ermittelt.
Es ist ein munteres Treiben, bei dem sich alle körperlich betätigen und dabei erfahren, was binäres Verarbeiten von Informationen bedeutet.
Zum Mitdenken anregen
Zu jeder Rede gehören auch Informationen, die rationales Denken erfordern. Dazu gehören begründende, verallgemeinernde, zusammenfassende Aussagen, die sich auf einer abstrakteren Ebene als die praktischen Beispiele bewegen. Die Frage ist, wann man sie platzieren soll. Dazu gehören Behauptungen wie: „Informatik macht euch offen für die Möglichkeiten, Probleme effektiver zu lösen.“
Wäre der Dozent damit eingestiegen, vor den praktischen Aufgaben und Beispielen, hätte er nur ein schwaches Interesse geweckt. Aber nachdem Emotionen und Kreativität aktiviert wurden, fallen auch die rationalen Aussagen auf fruchtbaren Boden.
Orientierung schaffen
Zu diesen Appellen an die emotionale, die kreative und die rationale Beteiligung gesellt sich eine weitere Ebene, die orientierende. Dazu gehört Überblick über die Organisation der gesamten Veranstaltung ebenso wie die Orientierung innerhalb des Vortrags: Wo sind wir? Was wird als nächstes kommen? Wie ist die aktuelle Aussage mit den übrigen verknüpft? Es wird eine Struktur für die aktuelle Vorlesung skizziert, und die Studierenden bekommen auch eine erste Idee für die folgenden Wochen. Die orientierende Ebene enthält also mehrere Dimensionen: zum einen Klärungen über den Aufbau und die Gliederung bis hin zum verwendeten Vokabular, zum anderen Informationen über die zeitliche Platzierung der Vorlesung, aber auch über die Rahmenbedingungen, das Biotop, in dem sich diese abspielt.
Den Kontakt verstärken
David Malan hat eine halbe Stunde lang sehr einfache Beispiele präsentiert, mit denen er in das Denken der Informatik eingeführt hat. Er hat gezeigt, wie sich Boolesche Operatoren, Funktionen und Ausdrücke unterscheiden. Dann verlässt er die Inhaltsebene und stellt das Team vor, das hinter dem Lehrprogramm steckt, die Mitarbeiterinnen, mit denen die Studierenden zu tun haben werden. Dies ist eine einfache Methode, den Kontakt auf Beziehungsebene zu verstärken. Natürlich hat er schon zu Beginn Kontakt aufgenommen, durch die Art der Ansprache, durch Blickkontakt oder Fragen. Aber das Interesse für die Personen, die hinter der Präsentation stecken, ist größer, wenn eine Basis gelegt ist. Nach einem ersten einführenden Teil macht es Sinn, die Assistentinnen kennenzulernen. Deren Namen und Aufgaben können jetzt mit den ersten Erfahrungen verknüpft werden; Informationen auf verschiedenen Ebenen werden nutzbringend miteinander verknüpft.
Was sie nachher tun: die Weiterverwendung von Reden
Buddha zog ein halbes Jahrhundert lang von Ort zu Ort und verkündete seine Lehre. Eine Gruppe von Mönchen begleitete ihn, und diese Mönche prägten sich ein, was der Meister zu sagen pflegte. Als er 483 v.Chr. starb, konnten sie die Reden und Aussprüche mit großer Genauigkeit aus dem Gedächtnis wiedergeben, und auch in den folgenden Jahrhunderten wurden diese kaum verändert von Mund zu Mund weitergegeben.57 Es gehört zur Tradition des öffentlichen Redens, dass seine Produkte mehr Bestand haben, als es die flüchtige Form vermuten ließe. Die Reden die Buddha vor zweieinhalbtausend Jahren hielt, wurden in einer Form festgehalten, die es leichter machte, sie weiterzugeben.58 Eine Mnemotechnik, eine Methode, das Gedächtnis zu aktivieren, war entwickelt worden, die der schriftlichen Aufzeichnung ebenbürtig war.59 Lange bevor die buddhistischen Mönche lesen und schreiben konnten, konnten sie sich auf einen Wortlaut für die Reden berufen, der für sie alle als gesichert galt.
Auch in unserer Kultur haftet einer mündlichen Rede noch immer an, dass sie zur Weiterverwendung und Weiterwirkung dienen soll. Sie hat einen bestimmten Wortlaut, ist in gewissem Sinne ein Text, auf den sich Redner und Zuhörende berufen können. Im Parlament oder bei Gerichtsverhandlungen wird mitgeschrieben. Ein Protokoll wird erstellt, aufbewahrt und liegt zur Einsicht vor. Aber auch da, wo Mitschriften nicht üblich sind, wie in der Predigt, oder wo nur unvollständige Aufzeichnungen entstehen, wie bei der Vorlesung, kann der Redner auf seine Worte verpflichtet werden.
Das gesprochene Wort ist nicht flüchtig
Eine öffentliche Rede hat schon deshalb mehr Bestand, weil die Zuhörenden die Erwartung haben, etwas mitnehmen zu können. Um die Behaltensleistung zu erhöhen und die Wiedergabe zu erleichtern, wird auch im Zeitalter der elektronischen Aufzeichnung besondere Sorgfalt auf die sprachliche Form verwendet. Wer kompliziert redet, kann mit weniger Widerhall rechnen. Wer prägnant formuliert, findet eher Resonanz.
Viele große Reden leben anhand von eingängigen Zitaten weiter: In Winston Churchills erster Rede als Premierminister war es die Aussicht auf „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“.60 John F. Kennedy ist in Erinnerung mit seiner Aufforderung: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann; fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“61 Aus Helmut Kohls Rede vor der Knesset 1984 (und vielen anderen Reden) ist es die Formel von der „Gnade der späten Geburt“.62
Prägnante Formulierungen können eine öffentliche Rede zu einem literarischen Ereignis machen. Rhetorik ist da wie schon im Altertum die Kunst, seine Sache schön und gut zu sagen (lat. ars bene dicendi). Aber den Schwerpunkt auf den stilistischen Schmuck zu legen, ist für den unmittelbaren Dialog nicht relevant. Es demonstriert vielmehr den monologischen, oft propagandistischen Charakter einer öffentlichen Rede. Wer dagegen den Dialog sucht, wird die Schwerpunkte anders setzen.
Verstärkt wird die sprachliche Leistung durch den Einsatz weiterer Medien, die Visualisierung mit einer geeigneten Software oder die Diskussion eines Demonstrationsobjekts. Aussagen werden verstärkt, indem mehrere Sinne angesprochen werden, nicht nur der akustische. Die Ethnologin projiziert die Flugbahn eines Bumerangs auf ein Panorama der Heimatstadt ihrer Zuhörenden, so dass sie die Aussage: „Flugdistanz 427,2 m“63 besser begreifen. Der Zoologe bringt ein Nashorn zum Streicheln mit, um die Dicke der Haut nachvollziehbar zu machen. Die Genetikdozentin verteilt Papiere, die mit der Verbindung PTC getränkt sind, so dass jeder Zuhörende überprüfen kann, ob er das Gen für den bitteren Geschmack hat oder nicht. Die Kombination der Sinne sorgt dafür, dass die gewonnenen Informationen besser behalten und weiterverwendet werden. Denn autonome Weiterverwendung gehört zur Vorstellung von Öffentlichkeit. Die Adressaten bringen, was sie gehört haben, in andere Diskurse ein. Sie übernehmen Fakten und Argumente daraus, sie kommentieren oder widerlegen es. Jede Rede ist deshalb auch nur einer von vielen Bausteinen im thematischen Gebäude, das im öffentlichen Diskurs erstellt wird. In einer modernen Gesellschaft gehört zur Aktivität des Publikums auch, dass es weitere Quellen zur Verfügung hat. Es kann die Fakten anhand journalistischer und wissenschaftlicher Texte überprüfen und sich bei den verschiedensten Medien nach weiteren Informationen und Meinungen erkundigen.
Dass Reden zur Weiterverwendung gedacht sind, weist auf die aktive Rolle des Publikums ebenso wie auf die Verantwortung der Rednerin hin. Es kann für diesen aber auch eine Erleichterung bedeuten, zu wissen, dass sein Text nur eine von vielen Wortmeldungen zum Thema ist.
Das Publikum macht immer mit
Sogar für klassische Reden gilt: Nicht nur Rednerin und Veranstalter sind aktiv, sondern auch das Publikum. Es beteiligt sich durch:
Mitdenken
emotionale Reaktionen
kreative Mitarbeit
orientierendes Vernetzen
Weiterverwenden
Die traditionelle öffentliche Rede kann im Publikum potenziell alle diese verschiedenen Ebenen aktivieren – die inhaltliche, die emotionale, die kreative und die orientierende. Wer sie erkennt und nutzt, tut einen wichtigen Schritt in Richtung konstruktive Rhetorik.
7Das Problem: Monolog statt Dialog
Als die ketzerische Bevölkerung von Rimini keine Lust zeigte, den Predigten des Heiligen Antonius zu lauschen, begab sich dieser zum Strand und sprach zu den Fischen. Als er sie rief, schwammen sie in dichten Schwärmen herbei und sie blieben, bis er ihnen den Segen erteilte.64
Dagegen, dass Antonius seine Redebegabung auch der Tierwelt zuteil kommen ließ, ist natürlich nichts einzuwenden. Für die Fische in der Adria war es sicher eine willkommene Abwechslung und es wird ihnen nicht geschadet haben. Merkwürdig ist, dass dieses Wunder die verstockten Leute von Rimini dazu animierte, sich ebenfalls an den Strand zu begeben, vor dem Prediger auf die Knie zu gehen und ihm ebenso brav zuzuhören.
Dabei war die Situation so einseitig, wie es nur geht: Einer sprach, die anderen hörten stumm zu – wie die sprichwörtlichen Fische eben. Antonius schien sich auch nicht dafür zu interessieren, was die Tiere zum Thema beizutragen hatten. Ihm genügte, dass sie alle zu ihm hinsahen und sich dabei, wie die Zeitzeugen versichern, verneigten.
Aber das Volk war beeindruckt. Und so ist es immer wieder. Reden, die in extremer Weise so angelegt sind, dass einer spricht und die anderen den Mund halten, haben große Anziehungskraft und werden für ihre vermeintliche Wirkung gelobt. Monolog in Reinkultur ist die Grundform öffentlicher Rede und steht weitherum in hohem Ansehen. Menschen, die ein großes Publikum anziehen und überzeugen, werden verehrt – oft, ohne dass ihre Botschaft oder ihre Argumente überprüft würden. Diese Verherrlichung des Monologs kann man den Fischen des Heiligen Antonius nicht vorwerfen, aber von den Ketzern aus Rimini (die ansonsten ganz vernünftige Ansichten hatten) hätte ich mehr erhofft.
Monologisches Vorgehen widerspricht den meisten Redezielen, zumindest überall da, wo Redner und Publikum gemeinsam ein Ziel erreichen sollen. Reden des Informierens, des Lehrens, des Zeigens, des Vorführens, des Motivierens sind effektiver, wenn sie einen möglichst hohen Anteil an dialogischen Elementen haben. Zudem machen sie es auch den Rednern leichter. Deshalb führt der Weg vom reinen Dozieren, Präsentieren, Vorführen zu einer ansprechenden, zum Mitreden auffordernden, dialogischen Rede.
Die Grenzen monologischer Kommunikation
Am aufschlussreichsten ist es, mit dem Beispiel einer missglückten Rede anzufangen, mit einem zwar optimal gestalteten Vortrag, der aber sein Publikum nicht erreicht hat, weil es nicht gelang, den Monolog zu durchbrechen. Es handelt sich um eine der berühmtesten Reden aus der jüngeren deutschen Geschichte – die Ansprache des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger am 50. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938. Jenninger, der den Nationalsozialismus in aller Klarheit verurteilte, versuchte nachvollziehbar zu machen, worin dessen Faszination für die Deutschen bestanden hatte und was sie zum Mitmachen motiviert hatte. Die Rede empörte viele, die sie live anhörten, weil es schien, als ob Jenninger die Quellen, die er wiedergab, kritiklos akzeptierte.
Jenninger führte sehr ausführlich Texte aus den 1930er-Jahren an, unter anderem eine verstörend lange Passage aus einer Rede von Heinrich Himmler, seines Zeichens „Reichsführer SS“. Es waren Zitate, aber der Tonfall ließ eine Distanzierung nicht erkennen. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch ein Bild, das um die Welt ging und viele Missverständnisse provozierte: Man sah Jenninger am Rednerpult und daneben die Schauspielerin Ida Ehre, die soeben gesprochen hatte. Sie hatte den Kopf geneigt und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Man nahm das allgemein als Ausdruck ihres Entsetzens über den Inhalt der Rede. In Wirklichkeit war sie einfach erschöpft und, wie später klar wurde, in Gedanken gar nicht bei Jenningers Rede.
Viele, die im Publikum saßen und sich ohnehin als die besseren Antifaschisten verstanden, waren nicht in der Lage, Jenningers Bemühungen anzuerkennen. Und Jenninger selbst war es in diesem Rahmen einer Feierstunde nicht möglich, Signale aus dem Publikum wahrzunehmen und zu deuten. Heute wird die Rede, aus der Distanz und aufgrund ihrer schriftlichen Gestalt, durchweg anders beurteilt. An ihrer antifaschistischen Haltung wird nicht mehr gezweifelt, man hebt sogar die Differenziertheit ihrer Analyse hervor.65
Wenn man sich nur spielerisch vorstellt, dass bei einer solchen Veranstaltung das Publikum einbezogen werden könnte, dann hätten sich die Missverständnisse sofort geklärt. Man hätte zurückgefragt – „Meinst du das wirklich so?“ – und der Redner hätte die Chance gehabt, das Gemeinte zu wiederholen oder zu verdeutlichen. In jeder anderen, nichtöffentlichen Redesituation wäre es normal gewesen, Ida Ehre zu fragen: Wie geht es dir? In diesem Akt des symbolischen Gedenkens aber war ein solcher Einbezug menschlicher Reaktionen nicht vorgesehen.