Kitabı oku: «Transkulturalität - Prozesse und Perspektiven», sayfa 8
Für Pierre Bourdieu wiederum, der selbst aus ErfahrungErfahrungsprachliche – die Mechanismen und Wirkungen des französischen KolonialismusKolonialismusbelgischer -, französischer – , britischer – im Algerien der späten 1950er und früher 1960er Jahre vor Augen hatte, sind es in einem allgemeineren Sinn die Machtverhältnisse in der Gesellschaft zwischen den Herrschenden und Mächtigen, zwischen jenen, die über entsprechend hohes ökonomisches und/oder symbolisches Kapitel verfügen und jenen anderen, die Beherrschten, Marginalisierten oder Unterdrückten, die über kein solches Kapital oder die über tendenziell immer weniger davon verfügen. Seit den 2000er Jahren trifft letzteres für beträchtliche Teile der traditionellen Mittelschichten in den europäischen Nationalstaaten zu (vgl. Mau 2017).
All das behält auch heute seine Gültigkeit, gleichzeitig sind jedoch noch andere Dynamiken in Gang gekommen – transnationaletransnationale Migration, transareale, digitale –, die die ErosionErosion von GrenzenGrenze(n) und Kategorien beschleunigen, die vor wenigen Jahrzehnten noch Staaten, Märkte, Menschen und Kulturen trennten.
Bereits erwähnt wurden die starken Tendenzen der IndividualisierungIndividualisierung5 im SpätkapitalismusSpätkapitalismus, zugleich die ebenfalls starken Tendenzen der Homogenisierung unter Verhältnissen der GlobalisierungGlobalisierung (vgl. Beck 1997, 2002). Zu den veränderten Dynamiken gehört die Errichtung von neuen und nicht selten sehr viel weniger durchlässigen kulturellen GrenzenGrenze(n) anstelle bisheriger territorialer und sozialökonomischer Grenzen (vgl. Middell/Middell 1998, Kleeberg/Langenohl 2011) sowie die dazu nur scheinbar gegenläufigen Prozesse der KulturalisierungKulturalisierung im Spätkapitalismus. In dem Maße, wie im Spätkapitalismus auch die „nicht-kulturellen“ Erscheinungsformen Prozessen der Kulturalisierung und der KommodifizierungKommodifikation, Kommodifizierung, Kommodifzierbarkeit unterworfen sind und dadurch die Komplexität der kulturellen Verhältnisse wächst, ist ‚DifferenzDifferenz‘ allein nicht mehr ausreichend, denn es heißt auch, die oben erwähnten „nicht intendierten Systemeffekte“, die Seiteneffekte, das unbeabsichtigt und unvorhersehbar neu Entstehende in seiner Eigenschaft als etwas ‚Emergentes‘ beschreiben und erklären zu können. Für das Verständnis von Transkulturalität braucht es somit neben der DifferenztheorieDifferenztheorie noch eine andere TheorieTheorie der unsichtbaren Hand, die hier als EmergenztheorieEmergenztheorie im Hinblick auf Transkulturalität eingeführt werden soll.6
2.7.3 EmergenzEmergenz
Die als klassisch zu apostrophierenden Felder der Emergenzforschung sind die Naturwissenschaften.1 Wie Blanchard (2011) ausführt, entstammt der Emergenzbegriff der Biologie und wurde schon im 19. Jahrhundert von Physikern und Chemikern übernommen und weiterentwickelt. EmergenzEmergenz bezeichnet in den Naturwissenschaften jene Eigenschaften eines Systems, die seine Einzelteile oder seine Agenten nicht besitzen und die erst durch das Zusammenspiel der Teile entstehen. Anders gesagt: die VernetzungVernetzung der Einzelteile prägt wesentlich das Gesamtsystem im Sinne des Mottos „Das Ganze ist mehr, oder besser: anderes als die Summe seiner Teile“. Als spektakuläre Beispiele für Emergenz wird oft die Schwarmintelligenz erwähnt, zugleich ein Beispiel für die Selbstorganisation von Agenten. Ohne jede zentrale Steuerung führen lokale Wechselwirkungen zwischen den Agenten zu einem komplexen globalen Verhalten. An Vogel- und Fischschwärmen und Ameisenstaaten lässt sich dies eindrücklich illustrieren. Die V-Formation von Vogelschwärmen zum Beispiel ist eine Eigenschaft, die die einzelnen Vögel selbst nicht aufweisen.
Wie Sawyer (2011, 188) konstatiert, resultiert die V-Formation nicht daraus, dass ein Vogel zum Anführer gewählt wird und die anderen sich hinter ihm einreihen. Vielmehr resultiert das Verhalten der Vögel aus dem Verhalten der ihm benachbarten Vögel. „Die V-Form ist weder geplant noch zentral gesteuert, sie resultiert aus einfachen paarweisen Interaktionsregeln“ (ebd.). EmergenzEmergenz bezieht sich in den Naturwissenschaften somit auf Mikro-Makro-Verhältnisse oder auch Teil-Ganzes-BeziehungenTeil-Ganzes-Beziehungen und befasst sich mit der Frage nach der ontologischen Beschaffenheit von Makrosystemen und der Möglichkeit ihrer Reduktion auf Mikrophänomene.
Im 20. Jahrhundert hat der Begriff der EmergenzEmergenz Eingang in die PhilosophiePhilosophie und die Sozialwissenschaften (vgl. Schwarz 2016) gefunden, um komplexe institutionelle Systeme zu analysieren. Der französische Soziologe Émile Durkheim gilt hierbei als Vorreiter. Emergenz lenkt in den Sozialwissenschaften die Aufmerksamkeit auf verschiedene Arten von Prozessen, die emergente Effekte erzeugen, verstanden als das unerwartete Auftreten von Neuartigem. Beide Aspekte, sowohl das Auftreten von Neuartigem als auch die Nichtvorhersagbarkeit seien Greve/Schnabel (2011, 10) zufolge aber noch nicht hinreichend, um das zu kennzeichnen, was unter Emergenz verstanden wird. Konstitutiv für den Emergenzbegriff sei, dass er sich auf das Verhältnis zweier Ebenen bezieht. Wie man sich dieses Verhältnis wie auch die beiden genannten Aspekte – Neuartigkeit und Unvorhersagbarkeit – von Emergenz vorstellen kann, führt Sawyer (2011, 191ff.) am Beispiel der Aufführung einer Improvisationstheatergruppe in Chicago aus. Die Aufführung der Theatergruppe zeige,
wie kreative Produkte aus einer gemeinsamen Gruppeninteraktion hervorgehen können. Dieser Prozess weist dabei die zentralen Merkmale von EmergenzEmergenz auf: Er ist unvorhersagbar, insbesondere was den Zeitpunkt und das Tempo angeht – die Schauspieler wissen weder, wer als Nächster sprechen wird, noch, wann sie sprechen werden. Folglich kann jeder die nächste konversationale Wende einleiten. […] Der entstehende (emergierende) dramatische Rahmen ist neu, da seine Eigenschaften von den individuellen Schauspielern weder vorhergesehen noch beabsichtigt sind. Und der auftretende dramatische Rahmen ist nicht auf die Absichten und die mentalen Repräsentationen der individuellen Schauspieler reduzierbar. (Sawyer 2011, 193)
Im Weiteren arbeitet Sawyer ein viertes Merkmal sozialer EmergenzEmergenz heraus, das in der IntersubjektivitätIntersubjektivität besteht. Er erklärt Intersubjektivität wie folgt:
Im Fall sozialer EmergenzEmergenz entsteht die Kreativität nicht im Kopf eines Darstellers, wird dann externalisiert und den anderen Darstellern auferlegt, sondern ist im Gruppenprozess zu finden. Die resultierende Darstellung kann nicht mittels der Absichten der Akteure in den einzelnen Gesprächswendungen erklärt werden, denn in vielen Fällen kann der Akteur die Bedeutung seines eigenen Beitrags nicht kennen, bevor die anderen nicht geantwortet haben. Folglich ist IntersubjektivitätIntersubjektivität fundamental sozial, kollektiv und muss ausgehandelt werden. (ebd., 194)
Die Analyse von sozialer EmergenzEmergenz erfordere nach Sawyers die gleichzeitige Wahrnehmung von drei Analyseebenen: der IndividuenIndividuum, Individuen, der interaktionalen Dynamik und der emergenten sozialen Makroeigenschaften der GruppeGruppe (ebd., 208).
Was Sawyers als Soziologe damit in die emergenztheoretischemergenztheoretische Diskussion einbringt, ist von großem Interesse auch für das Verständnis des Wandels kultureller Verhältnisse und für die Erklärung transkultureller Praktiken. Denn anders als bei anderen Emergenztheoretikern, wie etwa in den eingangs erwähnten Naturwissenschaften, in PhilosophiePhilosophie und SoziologieSoziologie, die EmergenzEmergenz im Paradigma von Struktur und von Systemen betrachten, sind seine Überlegungen und Analysen auf Prozesse der InteraktionInteraktion, auf das individuelle (Aus-)HandelnHandeln und auf die Makroeigenschaften der Gruppen ausgelegt. Denn es geht ihm darum, das entstehende Neue, in seiner flüchtigen wie in seiner stabilen Form, dialektisch zu begreifen. In jeder Situation bringen IndividuenIndividuum, Individuen gemeinsam flüchtige wie stabile Emergentien hervor, und gleichzeitig begrenzen diese, indem sie fortwährend entstehen und sich verändern, als soziale Phänomene den Fluss der Interaktion. Im Beispiel des Improvisationstheaters zeige sich,
dass interaktionelle Rahmen auftreten und sich als soziale Tatbestände erweisen, die sich unabhängig von den individuellen Interpretationen charakterisieren lassen. Sobald ein solcher Rahmen entstanden ist, begrenzt er die Handlungsmöglichkeiten. Obwohl der Rahmen von den beteiligten IndividuenIndividuum, Individuen durch ihre kollektive HandlungHandlung erzeugt wird, ist er analytisch unabhängig von und hat kausale Kraft gegenüber diesen Individuen. Diesen Prozess bezeichne ich als gemeinschaftliche EmergenzEmergenz (collaborative emergence). (ebd., 208)
Was bedeutet dieser Zugriff auf EmergenzEmergenz für die Beschreibung und Erklärung kultureller Praktiken und Prozesse, die der Transkulturalität eingeschlossen? Prinzipiell ist davon auszugehen, dass sich KulturKultur und Kulturen in sozialen Räumen entfalten und dass kulturelle Emergenz immer auch auf die sozialen Verhältnisse verweist und durch diese mitbestimmt wird, ganz im Sinne der von Sawyers dargestellten InteraktionInteraktion der beteiligten IndividuenIndividuum, Individuen und der sozialen Rahmungen ihrer Handlungen und Handlungsoptionen. Aufgabe der TheorieTheorie der unsichtbaren Hand ist dabei, Strukturen zu erklären und Prozesse sichtbar zu machen. Wenn die DifferenztheorieDifferenztheorie auf die Beschreibung und Erklärung von Strukturen und Prozessen von MachtMacht, -verhältnisse und Hegemonie und die durch sie hervorgebrachten Ordnungen referiert, so bezieht sich die EmergenztheorieEmergenztheorie auf die Beschreibung und Erklärung von Strukturen und Prozessen spontaner Ordnungen, d.h. Ordnungen, die entstehen, ohne vorbedacht oder geplant zu sein, und die aus Handlungen und deren Resultaten bestehen, die, z. B. als Seiteneffekte anderer Handlungen, unbeabsichtigt und unvorhersagbar und somit als nicht teleologisch zu betrachten sind.2
EmergenzEmergenz, nun ins Kognitive und zugleich Poetologische gewendet, schließt in dieser Hinsicht an die Idee des ‚archipelischen Denkens‘ des Literaten und Philosophen Édouard Glissant an, der darunter folgendes versteht:
Eine neue Art des Denkens, das intuitiver, anfälliger, bedrohter ist, dafür aber eingestimmt auf die Chaos-Welt und ihre Unvorhersehbarkeit. Dieses Denken kann sich vielleicht auf die Erkenntnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften stützen, es verweist aber auch auf eine Vision des Poetischen und Imaginären auf die Welt. Ich nenne es ‚archipelisch‘, das heißt, es ist nicht-systematisch, sondern induktiv, es erforscht das Unvorhergesehene des Welt-Ganzen. (Glissant 2005, 76)
EmergenzEmergenz heißt in diesem Sinne, dass sich etwas Neues herausbildet – etwas emergiert – , das in seiner IntersubjektivitätIntersubjektivität nicht auf die Absichten der Akteure reduzierbar ist.
Wenn also die Strategien des KonfliktmanagementKonfliktmanagements der BikulturalitätBikulturalismus, Bikulturalität, MultikulturalitätMultikulturalität und InterkulturalitätInterkulturalität, die an Prozesse und Strukturen von MachtMacht, -verhältnisse und Hegemonie gebunden sind, weitgehend differenztheoretischdifferenztheoretisch zu erklären sind, verlangt Transkulturation/Transkulturalität zusätzlich nach einer emergenztheoretischemergenztheoretischen Erklärung.
Die TheorieTheorie der unsichtbaren Hand kultureller EmergenzEmergenz lässt sich dabei als eine Art übergreifende Theorie zu Teilaspekten des Soziokulturellen modellieren. Oben wurde bereits die wirtschaftswissenschaftliche Pfadtheorie erwähnt, die sektoriell im betriebswirtschaftlichen und organisationssoziologischen Bereich Strukturen erklärt und Prozesse beschreibt, die im Zusammenhang mit der Rekrutierung des Führungspersonals im Topmanangement stehen. Auch das soziologische Konzept der ‚symbolischen GewaltGewaltsymbolische –‘ hat seinen Platz in einer emergenztheoretischen Betrachtung. Und wiederum sektoriell bzw. als emergenztheoretische Teiltheorie wäre die von dem Sprachwissenschaftler Rudi Keller (1994) ausgearbeitete „Theorie der unsichtbaren Hand“„Theorie der unsichtbaren Hand“ bzw. die „Invisible-hand-Theorie“ zur Beschreibung und Erklärung von SprachwandelSprachwandel zu nennen.
Kellers TheorieTheorie der unsichtbaren Hand des Sprachwandels – SprachwandelSprachwandel als eine grundlegende Eigenschaft von Sprache – knüpft in metaphorischer Weise an die Entstehung von Trampelpfaden an, die sich zu Wegen, oder eben zu Sprechweisen ausformen dadurch, dass auch andere Akteure sich sprachlich ebenso verhalten, frei nach dem Motto: „keiner will es, aber alle tun es“ oder auch „alle tun es, aber niemand bemerkt es“. Auch die SprachpolitikSprachpolitik oder die Sprachplanung „von oben“ setzen den Invisible-hand-Prozess nicht außer Kraft. Sie stellen lediglich Faktoren – möglicherweise sehr wirksame oder mächtige Faktoren – „der Ökologie des Handelns der Sprecher dar“ (Keller 1994, 129).
Emergenztheoretischemergenztheoretisch aufschlussreich sind darüber hinaus die sprachlichen Dynamiken in der englischsprachigen Welt, die Mufwene (2010) mit den beiden PolenPolen zwischen „Global English“ und „World English(es)“ bestimmt hat und dessen Darstellung von Mythen und Fakten trefflich geeignet ist, den naiven neoliberalen Blick auf das Englische als Lingua franca des 21. Jahrhunderts zu hinterfragen (vgl. hierzu auch Watts 2011). An einem Fall wie dem Singlish, auch Colloquial Singaporean English genannt, zeigt sich, wie die Herausbildung einer solchen Kontaktvarietät aus EnglischEnglisch, Malaiisch, chinesischen und indischen Sprachen, darunter vor allem das Tamoul, immer weitere Verbreitung findet und gleichzeitig, nun schon seit Jahrzehnten, von politischen und Bildungsinstitutionen Singapurs bekämpft wird (vgl. Lim et al. 2010, Forlot 2018).3 Die TheorieTheorie der unsichtbaren Hand der EmergenzEmergenz, hier bezogen auf Sprachen oder Varietäten, verknüpft sich in diesem Kontext mit der Theorie sozialer Konflikte.
Schließlich, um noch einen dritten Theoriebereich in der SprachwissenschaftSprachwissenschaft anzuführen, wäre auf die grammatiktheoretische Diskussion im Kontext der KonstruktionsgrammatikKonstruktionsgrammatik hinzuweisen, die ihrerseits einen substantiellen Beitrag zur EmergenztheorieEmergenztheorie erbringt. So lenken Auer/Pfänder (2011) anhand der Unterscheidung zwischen engl. ‚emergent‘ und ‚emerging‘ die Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen einer resultativen und einer prozessualen Dimension von EmergenzEmergenz: ‚emerging grammar‘, als Resultat, richtet den Blick darauf, wie etwas in der Zeit geworden ist, während ‚emergent grammar‘ auf die Prozessualität eines laufenden, zeitlich strukturierten, unvollendeten Prozess von „languaging“ (dt. Versprachlichung) abstellt (ebd., 5), um dann als Fazit zu formulieren: „Emergent structures are the basis of emerging constructions“ (ebd., 18.).
Günthner (2011) befasst sich ihrerseits mit dem Verhältnis von ‚EmergenzEmergenz‘ und ‚SedimentierungSedimentierung‘. An die Handlungstheorie von Luckmann (1992, 156) anknüpfend, diskutiert sie die Herausbildung von kommunikativen Routinen und sprachlichen Routineformen (z. B. „was ich eigentlich damit sagen wollte“, „also was ich wichtig finde“, „die Sache/das Ding ist (dass)“ usw.) im Spannungsfeld zwischen Sedimentierung und Emergenz. Routineformen bilden sich im häufigen Gebrauch heraus und machen als solche, in ihrer sedimentierten Form, die KommunikationKommunikation einfacher, berechenbarer, sie vermindern Koordinationsaufwand und das permanente Neuverhandeln(müssen) von Bedeutungen und Formen. Sedimentierung erlaubt ein sich Einrichten in den Gegebenheiten (ebd., 157f.) und ist auf diese Art selbst auch etwas Emergentes.
2.8 Transkulturalität
Die bisherige Argumentation in diesem Kapitel über KulturKultur und Kulturen im KonfliktmanagementKonfliktmanagement geht davon aus, dass
KulturKultur mehr und anderes ist als es mit einem humanistischen – und oft auch alltagssprachlichalltagssprachlichen – Kulturverständnis und seinem Fokus auf Konzert, Oper, Literatur, Theater, Museum, eventuell auch noch Film und gutes Essen ausgedrückt wird.
KulturKultur – in Form von Werten und Normen, Sprachen, Religionen, Theaterstücken, Liedern, Tonkrügen, Schuhen, Autos, Dresscodes, Diskursen, Medien usw. – von Menschen „gemacht“ wird. Daran anknüpfend und im Anschluss an Wimmer (1996) wird Kultur als Prozess der AushandlungAushandlung von Bedeutungen verstanden (vgl. Abschnitt 2.3).
zwischen den Akteuren und um deren KulturKultur(en) soziale Konflikte ausgetragen werden, und dies im Großen wie im Kleinen und Alltäglichen.
sich die Vorstellungen, die sich die Menschen von KulturKultur – ihrer eigenen Kultur, der Kultur(en) der Anderen und den kulturellen DifferenzDifferenzen – machen, historisch stark verändert haben und weiter verändern. In der bürgerlichen Gesellschaft stellt Kultur in ausgeprägter Weise ein FeldFeld, Feldtheorie sozialer DistinktionDistinktion (vgl. Bourdieu 1979) dar, seit Mitte des 20. Jahrhunderts fungiert sie im NationalstaatNationalstaat (auch) als Filter im Migrationsgeschehen, und im SpätkapitalismusSpätkapitalismus avanciert sie in Form der Kulturalisierungsregimes zu einem Ordnungskriterium obersten Ranges in den Gesellschaftsbeziehungen.
im Zuge eines konstruktivistischkonstruktivistischen Kulturverständnisses sich ein Perspektivenwechsel von der Gemeinschaft/GruppeGruppe als „Kulturträger“ auf das IndividuumIndividuum, Individuen vollzogen hat. KulturKultur ist, was den Einzelnen formt und wie er damit umgeht.
der Motor kultureller Dynamik in der MobilitätMobilität der Menschen, der MigrationMigrationMigrationArbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- und der fortwährenden Neugestaltung ihrer Beziehungen in realen und virtuellen Räumen besteht.
Dass Transkulturalität an dieses Verständnis von KulturKultur anschließt, wurde im Kapitel 1 bereits ausgeführt. Doch ist nun zu klären, was unter Transkulturalität zu verstehen ist. Ein erster Schritt der begrifflichen Klärung besteht darin, ausgehend von den ausführlich diskutierten Begriffen der Bi-, Multi- und InterkulturalitätInterkulturalität, zu zeigen, in welcher Weise sich Transkulturalität von diesen Konzepten unterscheidet. Ein zweiter Schritt der Schärfung des Konzepts besteht darin, auf dem Weg der Gegenprobe – was ist das Gegenteil von Transkulturalität? – weitere Klarheit zu erreichen, um dann in einem dritten Schritt zu dem in diesem Buch vertretenen Verständnis von Transkulturalität vorzustoßen.
In der bisherigen Argumentation in diesem Kapitel sollte deutlich geworden sein, dass die Konzepte und Strategien des Managements kultureller Konflikte wie Bi-, Multi- und InterkulturalitätInterkulturalität ganz Unterschiedliches – und dieses unterschiedlich gut – leisten. Der in DeutschlandDeutschland von konservativen Kreisen totgesagte MultikulturalismusMultikulturalismus wird in KanadaKanada/Canada von ebenfalls konservativen Kreisen als hohes Gut im Kampf gegen kulturelle und rassische DiskriminierungDiskriminierung und im Sinne kultureller Anerkennung und Selbstbestimmtheit gepriesen. Als ob dies in Deutschland nicht auch ein ernstzunehmendes FeldFeld, Feldtheorie sozialer Wahrnehmungen und politischen HandelnHandelnpolitisches –s wäre. Und in Kanada wiederum gilt dieser Multikulturalismus aus ebenso nachvollziehbaren Gründen als ein Konzept des anglophon geprägten NationalismusNationalismus und NeoliberalismusNeoliberalismus, gegen den der frankophone Quebecer Nationalismus sein Konzept der Interkulturalität in Stellung bringt und sich seinerseits wiederum von den Vertretern der Transkulturalität in QuébecSchulbücher, QuébecQuébec/Quebec (vgl. dazu Abschnitt 3.3) – zumindest zeitweilig – herausgefordert sieht. In Konfliktlagen, wie sie der SpätkapitalismusSpätkapitalismus auf die Agenda setzt, wird mit all diesen Konzepten ein KonfliktmanagementKonfliktmanagement von allenfalls kurzer oder mittlerer ReichweiteReichweite unternommen werden können, so dass wir uns über kurz oder lang auch noch mit anderen Konzepten befassen werden. Ob ein solches Konzept „HyperkulturHyperkultur(alität)(alität)“ heißen wird, wie es gelegentlich schon in der Diskussion ist (vgl. Han 2005, Griese 2006), wird sich noch erweisen.
Dieses Buch legt nun den Finger auf Transkulturalität. Als Konzept ist Transkulturalität mit den eben genannten anderen Kulturkonzepten verwandt; zugleich unterscheidet sie sich in kategorialer Weise von diesen. Miteinander verwandt sind sie aufgrund einer Gemeinsamkeit, die darin besteht, dass sie sich alle auf UngleichheitUngleichheit und Differenz beziehen.
Auf kategoriale Weise unterschiedlich sind sie dadurch, dass Transkulturalität – zumindest bislang –
erstens, kein Konzept des politischen HandelnHandelnpolitisches –s und des Managements kultureller KonfliktKonflikte ist, sondern eines der wissenschaftlichen Beschreibung und der Erkenntnis sozialer und kultureller Prozesse und folglich auch einer anderen Logik verpflichtet ist als ein Konzept des politischen HandelnHandelnpolitisches –s;
zweitens, in zeitlicher und in gegenständlicher Hinsicht, primär retrospektiv und rekonstruierend das Augenmerk auf die Inszenierungsformen und -praktiken kultureller Verflechtungen richtet, damit potentiell aber auch Wissen für künftiges HandelnHandeln bereitstellt;
drittens, die damit verbundenen Prozesse und Strukturen nicht nur – wie im Falle von Bi-, Multi-, und InterkulturalitätInterkulturalität – differenztheoretisch, sondern auch emergenztheoretisch zu beschreiben und erklären sind.
Um weitere Klarheit darüber zu erreichen, was unter Transkulturalität zu verstehen ist, bietet sich eine Gegenprobe und ein Nachdenken darüber an, was als Gegenteil von Transkulturalität zu verstehen ist. Das Gegenteilige ist jedoch nicht mit einem Begriff zu fassen, sondern erstreckt sich über ein ganzes Spektrum des Nichtzustandekommens, der Vermeidung, Unterdrückung, Auslöschung kultureller KontaktKontakte. Wenn Transkulturalität prinzipiell den Kontakt von Kulturen voraussetzt, welche Szenarien sind dann zu unterscheiden, die nicht zu Transkulturalität führen?
1 Kein Kontakt von Kulturen. Transkulturalität kommt nicht in Gang, wenn keinerlei Kontakte zwischen Kulturen stattfinden, wie es für isolierte Inselkulturen oder für völlig abgeschieden lebende Gemeinschaften anzunehmen ist. Zwar wandeln sich diese Kulturen auch, aus sich heraus und in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, nur ist dies eben kein kontaktinduzierter und somit transkultureller WandelWandel.
2 Zeitlich begrenzter Kontakt mit dem Ziel der Vernichtung, VertreibungVertreibung, Auslöschung anderer Kulturen. Auch hierbei ist Transkulturalität keine Option, wie die PolitikPolitikKultur-, Sprachpolitik, Sozial- von „ethnischen Säuberungen“ zeigt.
3 Zeitlich begrenzter KontaktKontakt mit dem Ziel der Assimilation von Minderheiten an die dominante KulturKultur oder auch des BruchBruchs in der Tradierung von kulturellem Wissen und kulturellen Praktiken. Weder die Assimilation noch der „Kulturwechsel“ erfolgen in der Weise, dass keine kulturellen Spuren zurückbleiben, die ihrerseits wiederum ein Potential für transkulturelle Prozesse darstellen können. Letzteres muss aber nicht zwingend der Fall sein. Für dieses Szenario gibt es unzählige Belege im Zusammenhang mit dem „kulturellen GenozidGenozidkultureller“ an den indigeneindigenen/autochthonen Völkern (vgl. Abschnitt 2.5).
4 Permanenter Kontakt mit Erstarren oder Abbruch transkultureller Prozesse. Dieses nur scheinbar ungewöhnliche Szenario begegnet uns im Lernen von Zweitsprachen bei Erwachsenen im Kontext von MigrationMigrationArbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- und wird in der SprachwissenschaftSprachwissenschaft als ‚FossilisierungFossilisierung‘ bezeichnet. Auch der umgekehrte Fall, dass im Kontext der MigrationMigration die ErstspracheErstsprache „verloren geht“, als ‚AttritionAttrition‘ oder ‚Rückbau‘ (im Gegensatz zu ‚SprachausbauSprachausbau‘) bezeichnet, ist vielfach belegt.
5 Latenter und eingeschränkter Kontakt durch Auferlegung eines meist auch repressiven Grenzregimes, wie im Fall von SegregationSegregation, ApartheitApartheit oder GhettoisierungGhettoisierung.
6 Abbruch des KulturkontaktKulturkontakts mit einem traumatisch besetzten VergessenVergessen der HerkunftsspracheHerkunftssprache DeutschDeutsch, wie er bei Opfern der ShoaShoa dokumentiert ist (vgl. Schmid 2002, Ben-Rafael/Schmid 2007).
Diese Fälle weisen auf Verschiedenes hin. Wenn davon auszugehen ist, dass Transkulturalität prinzipiell KulturkontaktKulturkontakt zur Voraussetzung hat, so führt Kulturkontakt nicht notwendig zu Prozessen von Transkulturalität. Weiterhin zeigt sich, dass das Ingangkommen von transkulturellen Prozessen nicht auf ein Entweder-oder-Szenario wie bei a), b) und f) zu reduzieren ist, sondern auch andere Szenarien wie die Assimilation in c), die FossilisierungFossilisierung und der Rückbau in d) oder die SegregationSegregation in e) anzunehmen sind.
Vor diesem Hintergrund besteht nun der dritte Schritt darin, das in diesem Buch vertretene Verständnis von Transkulturalität weiter auszuformulieren. Es orientiert sich an empirischen Befunden, die hauptsächlich in philologisch-kulturwissenschaftlichen Fächern verhandelt werden.
Aus der oben getroffenen Unterscheidung zwischen Transkulturalität einerseits und den Konzepten des Managements kultureller Konflikte andererseits ist festzuhalten,
1 dass Transkulturalität als ein Konzept der wissenschaftlichen Beschreibung auf das Verständnis der kulturellen Dynamiken in Gegenwart und Vergangenheit ausgerichtet ist.
2 Gegenstand der Erforschung von Transkulturalität sind die Prozesse und Strukturen kultureller Austausch-, Aushandlungs- und VerflechtungVerflechtungsbeziehungen, die (vermutlich) die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch zu verfolgen sind und – seit wenigen Jahren zunehmend systematisch – von den historischen Wissenschaften wie AnthropologieAnthropologie, Archäologie, EthnologieEthnologie, GeschichtswissenschaftGeschichtswissenschaft, historische MigrationsforschungMigrationsforschung, Religionswissenschaften, Sprach- und Literaturwissenschaften, TranslationswissenschaftTranslationswissenschaft u.a. Stück für Stück retrospektiv und rekonstruierend freigelegt werden.
3 Die philologisch-kulturwissenschaftliche Transkulturalitätsforschung1 geht ihrerseits davon aus, dass sich Gemeinschaften wie IndividuenIndividuum, Individuen mit ihren Sprachen, Literaturen, Medien und anderen kulturellen Manifestationen nicht in ethnisch abgeschlossenen, sprachlich homogenen und territorial abgegrenzten Räumen konstituieren und bewegen, sondern sie grenzüberschreitend mit anderen Gemeinschaften und Individuen verflochten sind und sich ihre Kontakte im Wesentlichen aus MigrationMigrationMigrationArbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- und MobilitätMobilität der Akteure ergeben.
4 Transkulturalität unterstellt, dass sich Kulturen in ihrer Verschiedenheit begegnen und der KontaktKontakt zwischen ihnen auf Aushandlungen angewiesen ist. Damit kommen vielfältige Prozesse der MischungMischung (vgl. 4.2, zu HybriditätHybridität), der MigrationMigrationArbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- (vgl. 4.3 zu DiasporaDiaspora und diasporischediasporische Lesart Lesart), des transkulturellen Erinnerns (vgl. 4.4), der ErosionErosion von GrenzenGrenze(n) (vgl. 4.5, im Hinblick auf migrantisches SchreibenSchreiben, Schreibung), der AneignungAneignung und des Konflikts (vgl. 4.6 zu ‚SprachbiografieSprachbiografie‘), der Weitergabe und Umwertung (vgl. 4.7, im Hinblick auf ‚GenerationGeneration‘) und des Transfers und der Vermittlung (vgl. 4.8 zu ‚TranslatioTranslatio‘) in Gang, die wiederum in MachtMacht, -verhältnisse-, Hegemonie- und Verwertungsprozesse eingebunden sind.
5 Transkulturalität unterstellt weiterhin, dass sich Kulturen nicht en bloc begegnen, sondern es IndividuenIndividuum, Individuen und Gruppen mit ihren Normen, Werten, Anschauungen, Sprachen, Religionen usw. sind, die in KontaktKontakt treten. Dies verlangt danach, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen: von den Kulturen von Gemeinschaften zu den Individuen und ihren kulturellen Praktiken. Dieser Perspektivenwechsel bedeutet zugleich, anstelle der den Gemeinschaften unterstellten HomogenitätHomogenität den Akzent auf DistinktionDistinktion, DifferenzDifferenz und HeterogenitätHeterogenität innerhalb und zwischen Individuen und Gruppen zu verlagern.
6 Wenn der Gegenstand von Transkulturalität in der Erforschung von Prozessen und Strukturen kultureller Austausch-, Aushandlungs- und Verflechtungsbeziehungen besteht (siehe 2.) und der Akzent auf den Prozessen der DistinktionDistinktion, Differenz und HeterogenitätHeterogenität innerhalb und zwischen IndividuenIndividuum, Individuen und Gruppen liegt (siehe 5.), dann ist auch davon auszugehen, dass in diesen Verflechtungen und InteraktionenInteraktionen immer auch unvorhersehbare, unerwartete, unbeabsichtigte und neue kulturelle Formen und Praktiken entstehen. In theoretischer Hinsicht bedeutet das, dass Transkulturalität nicht nur differenztheoretischdifferenztheoretisch (wie bei Bi-, Multi- und InterkulturalitätInterkulturalität), sondern auch emergenztheoretischemergenztheoretisch zu modellieren ist.
7 Begriffsgeschichtlich geht das Konzept von Transkulturalität auf die Untersuchungen des kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz (1940) – er spricht von ‚transculturación‘ – zurück, das er – in Abgrenzung von dem damals in der US-amerikanischen AnthropologieAnthropologie vorherrschenden Begriff der ‚AkkulturationAkkulturation‘ – für den Prozess des Wandels von Kulturen und kulturellen Verhältnissen einführte. Wenn im Anschluss an Ortiz ‚Transkulturation‘ für den Prozess des Wandels steht, so soll im vorliegenden Buch ‚Transkulturalität‘ den Strukturaspekt dieses Prozesses bezeichnen.
8 Die wachsende Verbreitung des Begriffs der Transkulturalität steht im direkten Zusammenhang mit der rasant anwachsenden Vielfalt in den Sozialisationsformen im Zeitalter von GlobalisierungGlobalisierung, InternetInternet und Computertechnologien einerseits und den Kulturalisierungsregimes im SpätkapitalismusSpätkapitalismus andererseits. In diesem Kontext steht Transkulturalität für individuelle Mobilitätsprofile und individuelle Ausdrucks- und AneignungAneignungsformen kultureller Praktiken – zugespitzt formuliert: jedes IndividuumIndividuum, Individuen hat (s)eine KulturKultur.
Aus diesem letzten Aspekt der Bestimmung von Transkulturalität lässt sich schließlich die Frage ableiten, ob Transkulturalität unter die Bedingungen der GlobalisierungGlobalisierung einzuordnen ist, Globalisierung verstanden als ein sich über mehrere Jahrhunderte erstreckender Prozess (vgl. Osterhammel/Petersson 2003), der die frühe Neuzeit mit den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts verbindet? Wenn man Globalisierung nicht so weit fassen will, dass darunter auch die Herausbildung von Reichen und Großreichen seit der Antike zu verstehen ist, in denen es gewiss auch vielfältige transkulturelle Prozesse gegeben hat, so sind darunter auf jeden Fall die mit der frühen Neuzeit einsetzenden Phasen beschleunigter Globalisierung (vgl. Ette 2012, 8-26) zu erfassen. Deren erste Phase setzt mit der kolonialen Expansion europäischer Mächte ein, die zunächst von Spanien und PortugalPortugal angetrieben wird. Die zweite Phase der Beschleunigung ergibt sich aus dem Aufstieg von FrankreichFrankreich und GroßbritannienGroßbritannien im 18. und 19. Jahrhundert als koloniale Akteure und zugleich als Dauerrivalen im Kampf um MachtMacht, -verhältnisse und Einflusssphären, verbunden mit neuen Handelssystemen und mit Entdeckungs- und Forschungsreisen. Von England geht die industrielle Revolution aus, von Frankreich die politische Revolution mit ihren Ansprüchen auf Universalität. Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in der dritten Phase beschleunigter Globalisierung, steigen die USAUSA zu einem globalen Akteur auf und werden Teil der kolonialen und neokolonialen Verteilungskämpfe. Die beiden Weltkriege setzen immense technische Modernisierungsschübe frei. Neue und sehr viel raschere Kommunikationsmöglichkeiten breiten sich aus. Die vierte und gegenwärtige Phase beschleunigter Globalisierung setzt in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein, nach dem Ende des Kalten Kriegs, technologisch angetrieben durch die DigitalisierungDigitalisierung und das InternetInternet, mit einer KommunikationKommunikation rund um den Globus in Echtzeit und mit dem, was die Humangeografie „Raum-Zeit-Kompression“ nennt.