Kitabı oku: «Harzmagie», sayfa 11

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»Lassen Sie gut sein, die drei müssen den Schock doch noch verdauen. Immerhin werden sie nicht mehr so leichtsinnig sein wie heute.«

Bevor noch jemand etwas anderes erwidern konnte, stürmten die Kinder nach oben in Sabrinas Zimmer. Sabrina ließ sich aufs Bett fallen und stöhnte.

»Mann, was war das denn? Ich glaube deiner Mutter ja kein Wort, Theo. Die weiß mehr, hat aber auch nichts gesagt. Und deine Ma stand ja fast ständig am Rande zur Ohnmacht. Echt, da geht voll was ab und wir kapieren nur die Hälfte.«

Theobald nickte und seufzte. »Meine Mama wird mir noch die Ohren langziehen. Du hättest das mit dem Trank nicht erwähnen sollen, aber ich glaube, ich lasse zu Hause einfach zwei von den Dextrotränken für Sportler verschwinden. Sie wird mir das vom Taschengeld abziehen, aber ich denke, damit komme ich durch.«

»Die ersetze ich dir, auch wenn ich nicht allzu reich bin.«

Elisabeth war still geblieben, dann fragte sie: »Theo, dein Trank, ich habe mich so komisch gefühlt. Was ist da alles drin?«

Theobald schaute verwundert zurück. »Also, das ist eigentlich ein Geheimnis, aber ich habe nur Pflanzen drin und etwas Blutserum.«

»Was?«, riefen beide Mädchen aus. Sabrina vor Ekel, Elisabeth wurde schwindelig.

»Ich darf kein tierisches Eiweiß zu mir nehmen!«

»Bäh, ich trinke das nie wieder!«, meldete sich Sabrina.

»Das ist ein künstlich hergestelltes Serum, keine Panik!«, sagte Theobald entrüstet. »Gewirkt hat er ja wohl. Du hast uns trotz unseres Vorsprungs ja noch spielend eingeholt und wir haben nicht getrödelt.«

Elisabeth schwieg. Sie erinnerte sich an die komische Sinneserweiterung, die sie verspürt hatte. Das intensive Gefühl hatte sie fast überwältigt, aber das wollte sie jetzt nicht zugeben. Wie es aussah, hatten sie alle ein paar mehr Geheimnisse. Aber sie war heute nicht bereit, noch mehr davon zu teilen.

»Ist es okay, wenn ich die Handschuhe heute nicht heraushole, solange die Moralabteilung unten noch tagt?«, fragte Sabrina.

Sie hatte zuweilen eine komische Art, sich auszudrücken, aber die anderen beiden nickten. »Zuviel Aufregung für einen Tag.«

Sabrina holte ihre Tattoo- und Piercinghefte heraus und sie diskutierten eine Weile über die Motive, doch dann wurden sie von immer lauter werdenden Stimmen abgelenkt, die von unten durch die Decke drangen. Mittlerweile war im Wohnzimmer eine lebhafte Diskussion zum Thema Schule entbrannt. Martha Schubert kannte offensichtlich jeden Lehrer persönlich, vor allem private Dinge. Anna Binsenkraut steuerte das eine oder andere pikante Detail bei. Die Mütter prusteten bei der kleinsten Anekdote los, als wären sie Teenager. Die Kinder hörten oben, wie es lauter und alberner wurde. Sabrina rollte mit den Augen.

»Ich wette, meine Ma füllt eure beiden gerade nach Strich und Faden ab. Sowas kann sie gut. Ihr hört es ja schon selbst. Ich habe mal erlebt, wie der Direktor uns besucht hat, weil ich wegen meiner Kleidung einen Verweis erhalten sollte. Er ist nun mit meiner Mutter per du. Manchmal schickt er ihr sogar Blumen zum Geburtstag. Aber wenn ihr noch nach Hause fahren wollt, dann sollten wir einschreiten, sonst gibt es mit der Polizei Ärger oder ihr müsst ein Taxi nehmen.«

Also machten sie sich auf den Weg die Treppe hinunter, Sabrina vorweg. Auf der vorletzten Stufe blieb sie stehen und lauschte. Die andern beiden taten es ihr nach.

»Wisst ihr, so nette Freundinnen wie euch beide habe ich schon lange nicht mehr getroffen, wo meine beste Freundin doch vor kurzem in der Weser ersäuft wurde«, flötete Anna.

»Nee, echt? Du nimmst uns jetzt hoch, Anna«, kicherte Emilia.

»Doch, doch, aber ich hab's der Schlampe, die das gemacht hat, gezeigt und ihre Bude abgefackelt.«

»Hihi, wie im Film, die böse Rächerin!«

Elisabeth erkannte nur mit Mühe die mädchenhaft verschobene Stimme ihrer Mutter. Sie tauschte mit Theobald einen vielsagenden Blick.

»Ja, und jetzt kommt keiner mehr zur Wintersonnenwende zum Schwesterntreffen«, lallte Anna. »Ich bin ja sooo traurig! Hicks!«

»Dann kommen wir eben, nicht wahr, Emmi Schatz?«

Durch den Türspalt konnte Elisabeth sehen, dass die Mütter Wassergläser hervorgeholt hatten. Martha Schubert goss großzügig aus einer Flasche Cognac nach.

»Nee, nee!« Anna Binsenkraut wedelte übertrieben mit dem Finger. »S’iss nur für echte Hexen!«

Eine Pause entstand. Die drei Freunde auf der Treppe schauten sich ungläubig an.

»Ja, wenn's weiter nichts ist. Sabrina hält mich schon lange für eine alte Hexe. Das sind wir doch alle als Mütter, oder?«

Wieder brachen alle Frauen in wieherndes Gelächter aus.

»Gut, dann gilt's Mädels, zur Wintersonnenwende bei mir. Trinken wir darauf!«, tönte Anna Binsenkraut.

Sabrina straffte sich und ging die letzten Stufen zum Flur hinunter. »Jetzt reicht's, bevor sie noch den Teppich vollkotzen, machen wir dem ein Ende. Geht ihr rein, ich rufe schon einmal zwei Taxis.«

Elisabeth fiel abends müde ins Bett. Sie konnte nicht schlafen, weil ihr Kopf so voller Gedanken war. Sie hatte ihre Mutter nur mit Mühe ins Taxi bugsieren können und zu Hause hatte ihr Vater sie mit ihr zusammen ins Bett getragen. Emilia Wollner war unterwegs eingeschlafen und nicht einmal dann erwacht, als Michael Wollner ihren Kopf aus Versehen gegen den Türrahmen stieß. Ihr Vater hatte sie dann nochmals befragt, was eigentlich los gewesen sei. Elisabeth hatte eine deutlich vereinfachte Variante berichtet. Die brisanten Details sparte sie aus, aber ihr Vater kaufte ihr die Geschichte ab. Mit sichtlich schlechtem Gewissen hatte ihr Vater geantwortet, dass er seine Frau mit der ganzen Arbeit alleine gelassen habe. Insofern wäre es nicht verwunderlich, dass so etwas passiert sei. Er versprach, sich in der Folgewoche frei zu nehmen.

So war Elisabeth dann endlich in ihr Bett gefallen und schaute an die Decke. Sie ging den Tag nochmal durch, aber ihre Gedanken wanderten immer wieder zum Hang, den erweiterten Sinnen und dem Heulen. Irgendwie hatte sie überhaupt keine Angst gehabt. Doch irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf, in dem wirre Träume sie heimsuchten.

Nach dem Laufen ist vor dem Laufen


Während der großen Pause am nächsten Schultag trafen sich die drei etwas abseits des Pausenhofes. Sabrina grinste.

»Meine Ma hat immer noch fürchterliche Kopfschmerzen und ist gleich liegengeblieben. Wie lief es bei euch?«

Theobald lief leicht rot an. »Deine Mama ist echt die Wucht, danke nochmal. Meine hat zu Hause die Standpauke ganz vergessen und ist gleich aufs Klo gerannt. So betrunken habe ich sie noch nie erlebt. Ich vermute, es wird ihr sehr peinlich sein, wenn sie wieder zu sich kommt.«

»Meine ist eingeschlafen und ich habe sie mit Papa ins Bett getragen. Er hat ihr den Kopf aus Versehen gegen den Türrahmen gehauen, aber sie ist nicht aufgewacht«, vermeldete Elisabeth.

»Das ist der Cognac, den mein Vater immer von der See mitbringt. Der ist um einiges stärker als der normale Verschnitt, den es hier im Laden gibt. Wenn Mama den rausholt, dann bleibt keiner stehen«, bestätigte Sabrina.

»Haben die sich echt zu einem Treffen zur Wintersonnenwende verabredet?«, vergewisserte sich Elisabeth.

Theobald nickte. »Ich konnte es auch nicht fassen, Mama und ihre Freundin Lylly haben sich da immer zu zweit getroffen, manchmal auch mit meiner Oma. Ist wirklich was Besonderes. Aber hey, wir könnten da eine Gegenparty machen. Immerhin darf ich nicht dabei sein. Ist nur für große Mädchen!«

Sabrina knuffte ihn freundschaftlich auf den Arm. »Armer Junge, darfst nicht sehen, wie die nackt um den Tisch tanzen?«

»Wenn ich mir das so genau überlege, will ich das gar nicht sehen«, gab er angeekelt zurück. »Wir haben gleich Sport. Juhu! Ich habe immer noch Muskelkater.« Resigniert rieb sich Theobald die Waden.

»Och, wenn du mir das nicht so vermiest hättest, hätte ich noch was von dem Booster genommen«, maulte Sabrina.

»Nee, den habe ich nicht mit. In der Schule wird nicht geschummelt!« Theobald blickte ernst. »Außerdem ist die Flasche sowieso leer und neuen kann ich aktuell nicht kochen. Zu gefährlich mit meiner Ma im Haus!«

So schleppten die beiden sich zur Umkleide. Nur Elisabeth freute sich wirklich auf die Sportstunde. Eine Viertelstunde später standen sie in ihrer Sportkleidung auf der Tartanbahn am Sportplatz. Manfred Burglos hatte Sprints angesetzt. Ojan kam mit einem dicken Verband zum Sportunterricht gehumpelt. Er hatte ihn am Morgen noch nicht getragen, aber er erzählte, er sei in der Pause umgeknickt und könne nicht laufen. Es klang wie eine dumme Ausrede, aber Burglos überging es, ohne die Miene zu verziehen.

»Gut, kein Problem, wir brauchen eh einen Starter und ein paar Stopper. Dann machst du den Starter. Beim Stoppen wechseln die anderen sich ab.«

Fast alle Mädchen standen zusammen und kicherten albern. Eine Wolke aus Parfüm hüllte sie ein, sodass es Elisabeth in die Nase stach. Als Manfred Burglos, der davon keine Notiz zu nehmen schien, sie für fünf Runden zum Einlaufen schickte, sah sie, wie Vinzenz, Ojan und Alim die Köpfe zusammensteckten.

»Die hecken schon wieder etwas aus«, bemerkte Elisabeth. Sabrina hatte es auch gesehen. Doch dann raubte das Laufen ihnen immer mehr den Atem. Elisabeth ließ es langsam angehen. Sie tänzelte neben Sabrina her, die ohne den Trank sichtliche Mühe hatte, mit der Klasse mitzuhalten. Als sie die erste Runde vollendet hatte, waren die führenden Läufer schon auf der anderen Seite.

»Jetzt müsste jemand hinter dir heulen, dann sehen die anderen mal, wie schnell du sein kannst«, feixte Elisabeth.

»Un…fair! Du … willst … mei…ne … Freun…din … sein?«, presste Sabrina stoßweise zwischen den Schritten heraus und machte vergeblich Anstalten, Elisabeth zu knuffen. Das nahm diese zum Anlass, mit dem Getänzel aufzuhören und richtig Gas zu geben. Sie überholte Theobald, der sich tapfer an der Hauptgruppe hielt, aber die Zähne aufeinandergepresst hatte. Nach den geforderten fünf Runden kam sie mit weitem Abstand als Erste bei Manfred Burglos an, dessen Blick sie die ganze Zeit auf sich gespürt hatte.

»Du bist schon in Hannover für die Schule gelaufen, oder?«, fragte er sie interessiert.

»Ja und nein, meine Ma wollte nie, dass ich auf Wettkämpfe gehe. Aber ich habe mit der Mannschaft trainiert.«

»Das ist aber schade, du wärst mit etwas Coaching vermutlich richtig gut. Wie schnell bist du auf fünfundsiebzig Meter?«

Sie überlegte kurz. »Meine Bestzeit war 9,31 Sekunden!«

Burglos pfiff anerkennend durch die Zähne, während die anderen langsam eintrudelten. »Das wäre eine Spitzenzeit. Das würde ich gerne heute einmal mit eigenen Augen sehen. Wir reden am besten später darüber.«

Er wandte sich der Klasse zu. Zunächst erklärte er die Startblöcke und die Startsequenz, dann forderte er sie auf, sich zu Paaren zusammenzufinden. Sabrina griff sofort nach Elisabeths Hand. Theobald bekam Kevin ab, einen drahtigen Jungen aus Wildemann. Im wechselnden Turnus mussten sie laufen und stoppen, während Ojan die ganze Zeit die Startklappe bediente. Der Sportlehrer war sehr unzufrieden mit ihm, weil er immer irgendwelchen Blödsinn machte. Schließlich rannte Burglos nach hinten und schrie ihn an, dass es über den ganzen Platz schallte.

»So blöd kann man doch nicht sein, Ojan. Es heißt: Auf die Plätze! Fertig! Los! – Und genau bei Los haust du die Startklappe zusammen, nicht vorher und nicht nachher! Hast du das jetzt kapiert? Oder soll ich dir für deine ungenügende Leistung eine Sechs geben?«

Ojan machte eine abwehrende Geste. Alim und Vinzenz liefen beide nach hinten, um beruhigend auf den Lehrer einzureden. Schließlich kam er nach einigen Minuten wieder zum Ziel zurück. Er war jedoch puterrot und die Ader an seiner Schläfe pochte. Danach lief es besser. Sabrina drängelte sich ganz nach hinten. Verwundert sah Elisabeth sie an.

»Taktik!«, wisperte Sabrina. »Weil wir nach Sport nur fünf Minuten Pause haben, gehen die meisten gleich zum Umziehen. Dann sehen mich nicht alle laufen.«

Die Überlegung war nicht von der Hand zu weisen. Bei den Fragen, die Burglos vorhin gestellt hatte, hatte sich Sabrina pausenlos gemeldet. Sie wusste wirklich viel, aber in der Praxis war sie nicht so berauschend. Also ging Elisabeth mit ihr an das Ende der Reihe. Durch die vielen Fehlstarts, die Ojan verursacht hatte, wurde die Zeit knapp. Wollte er es so rauszögern, dass sie gar nicht mehr drankamen? Elisabeth spähte skeptisch zur Startlinie.

Dann hörte man ein Krachen aus der Umkleide, in die fast alle aus der Klasse schon verschwunden waren, gefolgt von wildem Geschrei. Manfred Burglos rannte hin und alle scharten sich um die Tür. Vinzenz hatte Alim am Kragen gepackt und die Umkleidebank lag auf der Seite.

»Wie nennst du meine Mutter, du Hurensohn?«, brüllte Vinzenz. Burglos ging dazwischen. Es gab erneut eine Ansprache und die Ankündigung eines Verweises, bevor der Lehrer wieder herauskam und einen Eintrag ins Klassenbuch machte. Als er an Elisabeth vorbeiging, erhaschte sie einen höhnischen Blick von Vinzenz. Er zwinkerte ihr sogar zu.

Er heckte wirklich etwas aus, nur was? Sie kamen als letztes Paar dran, Theresa und Brigitta mussten stoppen. Mit gespielt gelangweilter Haltung stand Ojan bei den Startblöcken. Doch man sah, dass auch er dämlich grinste.

»Hat dir jemand die Mundwinkel an den Ohren festgetackert?«, blaffte Sabrina ihn an, doch er grinste weiter.

Elisabeth konnte sich auch keinen Reim darauf machen, aber was sollte es. Sie kniete sich in den Startblock, als Ojan diesmal vorschriftsgemäß »Auf die Plätze!« sagte. Sabrina kauerte sich neben sie und warf ihr einen letzten leidenden Blick zu.

»Fertig!«

Sollte sie mit Sabrina mitlaufen oder voll durchziehen, um ihren Lehrer zu beeindrucken? Im letzten Moment entschied sich Elisabeth für Durchziehen.

»Los!«

Elisabeth sprang aus dem Startblock und sprintete los. Sie sah, wie Burglos den Kopf hob und den Lauf verfolgte. Sie fühlte sich gut, richtig fit, und als der Wind ihr im vollen Lauf um die Nase pfiff, jubelte ihr Unterbewusstsein auf und zog sie in einen Rausch. Laufen war einfach toll! Viel zu schnell querte sie die Ziellinie. Sie ließ erst danach das Tempo sinken und lief locker aus. Als sie sich umwandte, kämpfte Sabrina immer noch auf der Bahn. Sie gab alles und sogar Theresa und Brigitta feuerten sie an. Manfred Burglos kam in dem Moment herüber, wo Sabrina die Ziellinie passierte. Sie fiel gleich nach vorne über und schnappte wild nach Luft.

»Gut durchgehalten, Sabrina!«, erkannte Herr Burglos den Arbeitssieg an. »Und ein Supersprint Elisabeth, große Klasse! Wie waren die Zeiten?«

»Ich habe 20,9 Sekunden gestoppt!«, sagte Brigitta.

»9,40 Sekunden!«, vermeldete Theresa, die nicht glauben konnte, was sie ablas.

»Keine Bestzeit heute, aber Klassenrekord. Herzlichen Glückwunsch, Elisabeth. Das wird schon mal für das Laufen eine Eins plus.«

Die vier Mädchen gingen in die Umkleide. Als Manfred Burglos die Zeiten notiert hatte, sah er auf. Natürlich war Ojan schon verschwunden. Die Startklappe lag ganz hinten im Gras. Einen stummen Fluch murmelnd, stand er auf und lief, um sie zu holen. Als er ankam, runzelte er die Stirn. Die Startblöcke steckten nicht an der Fünfundsiebzig-Meter-Linie. Jemand hatte sie an die Hundert-Meter-Markierung verschoben. Wann war das passiert? Dann fiel ihm der Tumult in der Jungenumkleide ein. Die Jungs hatten Sabrina und Elisabeth reinlegen wollen. Aber das war nach hinten losgegangen, weil er es gemerkt hatte.

Wenn Theresa nicht komplett falsch gestoppt hatte, was beim manuellen Messen schon mal 0,5 Sekunden ausmachte, dann war da jemand gerade mindestens weiblichen Weltrekord gelaufen und wusste es nicht einmal. Der lag irgendwo bei 10,49 Sekunden auf hundert Meter, wie er noch wusste. Er musste unbedingt mit Elisabeth sprechen.

Inselzuflucht


Die Sonne ging langsam über dem Horizont unter. Sie warf ein malerisches Licht in Orange, Rot und Gelb an die Wolken. Der frische Wind aus Nordwesten roch nach Salz. Ein letzter Fahrradfahrer radelte die Strecke vom Leuchtturm auf Wangerooge zurück zum Ort. Er kam an der alten Frau auf der Bank vorbei und grüßte mit einem fröhlichen »Moin!«. Die Alte nickte nur und blickte weiter hoch zu den Möwen, die sie schon die ganze Zeit beobachtete. Als der Mann schließlich vorbeifuhr, holte die Frau einen Kristall aus ihrer Tasche und fuhr vorsichtig über die leicht beschädigte Oberfläche. Sie hätte ihn im Teutoburger Wald fast verloren, aber es war nur ein kleiner Splitter abgeplatzt. Der Zauber, der die Energie ins Innere band, funktionierte immer noch einwandfrei. Seit mehreren Tagen hatte sie ihren Standort gewechselt und war nie länger als vier Stunden an einer Stelle geblieben. Sie hatte haufenweise Alarmzauber und Fallen hinterlassen. In den ersten Tagen waren die Jägerinnen ihr ständig auf der Spur gewesen, doch nie wieder war ihr jemand so nah gekommen, wie diese verfluchte Anna Binsenkraut. Aber sie befand sich nicht mehr unter den Jägern. Dafür hatte Borga schon vor langer Zeit gesorgt. Ihre Verbündete im Hohen Rat hatte sie gleich nach dem Vorfall wieder in den Harz zurückgeschickt, um sie von ihr abzulenken. Dennoch würde sie weitere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen.

Der formschöne Kristall in ihrer Hand war fast vollkommen leer. Sie seufzte. Dieser und der zweite, den sie schon aufgebraucht hatte, waren ihre besten Stücke. Er würde sich aber schnell wieder füllen, denn die Kraftquelle, mit der ihn der Zauber verband, war ungewöhnlich stark. Doch das würde einige Stunden dauern.

Auf der Insel war sie vor den meisten Ortungszaubern auf natürliche Art und Weise geschützt. Die letzte falsche Spur, die sie gelegt hatte, führte nach Rumänien. Ein beliebter Zufluchtsort für gesuchte Kreaturen. Dort würden die Jägerinnen eine Weile lang beschäftigt sein. Doch eine Sache gab es noch zu tun. Sie nahm den Kristall in die Hand und ließ die gefangene Energie in sich strömen. Es erfrischte sie, als die magische Energie ihre eigenen Kräfte verstärkte. Dann rief sie die Möwen zu sich herunter. Der Zauber, den sie wob, war nicht einfach, aber er würde ihr Dutzende zusätzliche Augen verschaffen. Mochten die Jägerinnen sich auch noch so gut wappnen, bei so vielen kleinen Helfern würde es fast unmöglich sein, sich unbemerkt auf die Insel zu schleichen.

Als der Zauber vollendet war, testete sie ihn, indem sie die Augen schloss und in den Geist einer Möwe wechselte. Der Blickwinkel war anders als der von Menschen, doch sie kannte das breitere Sichtfeld bereits von früheren Experimenten. Dann wechselte sie die Möwen durch. Es klappte. Zufrieden mit sich legte sie den Kristall in ihre Tasche zurück, wo noch eine ganze Reihe anderer lagen. Dann erhob sie sich und ging zu dem alten unscheinbaren Schuppen, der etwas abseits des Weges stand. Er sah von außen nicht aus, als wäre hier mehr als nur etwas Gerätschaft untergebracht. Die Verfolger waren weit genug weg. Sich mit Magie wach zu halten, ging zwar, aber man regenerierte sich nicht und das merkte sie jetzt. Sie würde nach vielen Tagen endlich einmal sich hinlegen können. Schlaf! Dieser Körper brauchte endlich Schlaf!

Rund um die Okertalsperre


Das Wetter war einmal ausnehmend schön. Es hatte einige Zeit gedauert, bis Elisabeth und Sabrina wieder joggen gehen durften. Erst als Frau Schubert sich bereiterklärt hatte, sie jeweils zum Joggen zu fahren und wieder abzuholen, hatte auch Emilia Wollner endlich zugestimmt. Theobald hatte nicht so ein Glück gehabt. Seine Mutter hatte ihm haufenweise Arbeit aufgehalst, die ihn daran hinderte, mitzukommen. Aber so ganz unrecht schien es ihm nicht zu sein, denn er hatte nach dem Sprinten in der Schule immer noch Probleme mit seinen Waden.

»Richtig glücklich wirkst du gerade nicht«, bemerkte Elisabeth zu Sabrina, die langsam neben Elisabeth hertrabte und offensichtlich kämpfen musste.

»Ich habe dir doch das Kleid gezeigt, in das ich einmal hineinpassen will. Es ist so wunderschön, aber der Riss geht tief. So gut kann ich nicht nähen und du auch sicher nicht. Ich habe die Reparaturkosten gestern bei der Änderungsschneiderei Gerster schätzen lassen. Das werden so hundertachtzig bis zweihundert Euro. Dafür muss ich lange sparen.«

»Sie es mal so: Jetzt hast du gleich zwei Gründe, um abzunehmen. Kein Geld mehr für Süßigkeiten ausgeben und mit mir laufen. Die AG bei Herrn Burglos ist diese Woche ja ausgefallen, genauso wie sein Unterricht.«

Sabrina nickte. »Die Schramm sagte, er müsse schon wieder zu einem Seminar nach Bonn und es gäbe keinen Vertretungslehrer. Wenigstens konnten wir so deiner Ma das Lauftraining als Ersatzunterricht verkaufen.«

»Deine Mutter ist eine echte Verbündete! Ich glaube, ohne sie hätten wir das nicht geschafft«, warf Elisabeth ein. »Dass ich dafür mit dir Mathe und die anderen Fächer pauken muss, ist ein hoher Preis. Du bist eine gute Lehrerin, Brina, und ich eine schlechte Schülerin.«

»Finde ich gar nicht. Wir haben in wenigen Tagen zwei Monate an Schulstoff aufgearbeitet. Mir hilft das Wiederholen ja auch. Das wird schon mit dir. Beim Laufen werden wir auch immer besser und ich halte jedes Mal ein Stück weiter durch.«

»Du hast den Weg um die Okertalsperre nur ausgesucht, weil der fast komplett flach verläuft. Außerdem sind mir hier zu viele Jogger unterwegs.«

Sie liefen eine Weile schweigend weiter und genossen den Ausblick. Martha Schubert hatte sie früh abgeholt. Sie wollte dann zu einer Tante weiterfahren, die irgendwo bei Wernigerode lebte.

Die Talsperre war erstaunlich leer. Man konnte noch gut erkennen, wie hoch früher das Wasser gestanden hatte. Aber einerseits regnete es nicht mehr so viel wie früher und es wurde auch viel Wasser abgelassen für die Kajakfahrer, die unterhalb der Talsperre auf der Oker trainierten. Eine Verschwendung von gutem Trinkwasser, befand Sabrinas Mutter, und mit dieser Meinung blieb sie in der Gemeinde nicht allein. Dass es schon lange nicht mehr viel Wasser im Stausee gab, konnte man auch daran erkennen, dass die freigelegten Flächen wieder voll begrünt waren. An einigen Stellen begannen schon Sträucher zu wachsen.

»Wollen wir wirklich am Harzlauf teilnehmen? Ich meine, das ist einmal komplett quer über den Harz und vor allem bis rauf auf den Brocken und wieder herunter«, durchbrach Sabrina schließlich wieder das Schweigen.

»Warum nicht? Sicher, das ist nicht ohne, aber der Lauf ist ja erst im nächsten Juni. Bis dahin fließt noch viel Wasser die Innerste herunter. So sagt man hier doch, oder?«, gab Elisabeth zur Antwort.

»Letztes Jahr hat ein Junge aus Wolfshagen gewonnen. Ist so in unserem Alter, denke ich. Albert Wolfsherr. Der Vorname ist ein wenig angestaubt, aber den Nachnamen finde ich cool«, resümierte Sabrina weiter. »Ich habe ihn gesehen, wie er durch Clausthal durchlief. Genauso ein schneller Läufer wie du, sieht aber wie ein Zehnkämpfer aus und ist richtig sexy.«

Elisabeth zwinkerte ihr zu. »Der hat es dir angetan, was?«

»Schon irgendwie, aber so einen kriege ich nicht ab. Ich finde, der sieht noch besser aus als Herr Burglos. Aber er ist nicht auf der regulären Schule, sondern er soll auf so ein elitäres Privatinternat gehen und ist bestimmt völlig eingebildet. Aber sein Körper ist einfach himmlisch. Ich würde mich von dem sofort flachlegen lassen.«

Elisabeth rollte nur mit den Augen. Sabrina redete für ihren Geschmack manchmal etwas vulgär und hatte offenbar keine Skrupel, ihre Gedanken auszusprechen, auch die, die Elisabeth nie preisgegeben hätte.

Genau in dem Moment holte sie ein anderer Jogger ein, der im Gegensatz zu ihnen schnell unterwegs war.

»Na die Damen, das freut mich aber, dass ich so begehrt bin, aber mit so schrecklich müffelnden Mädchen würde ich mich sicher nicht einlassen. Außerdem seid ihr echte Schnecken. Einen schönen Tag noch!«

Sabrina wurde knallrot und blieb abrupt stehen. »Scheiße, das war er. Was macht der denn hier?«

Elisabeth hielt nun auch an, schaute aber nicht zu ihrer Freundin. Sie blickte dem wirklich sehr gut aussehenden Läufer hinterher, der sich schnell entfernte. Ein herber Moschusgeruch hing in der Luft und kitzelte sie in der Nase.

»Mann, der hat uns erst belauscht und dann voll beleidigt. Und das, wo ich heute bis hier durchgehalten habe.« Sabrina keuchte schwer. »Das dürfen wir uns nicht bieten lassen. Los Elle, hol dir den Angeber!«

Elisabeth warf einen kurzen Blick zu ihrer Freundin, die mit der Hand in die Richtung zeigte, in die der Junge verschwunden war.

»Nun mach schon! Für unsere Ehre!«

Elisabeth lief los. Der Junge hatte inzwischen einen erheblichen Vorsprung, also begann sie mit einem forschen Tempo. Auch sie hatte durch das sehr regelmäßige Laufen gemerkt, dass sie besser wurde. Es tat ihr gut und sie brauchte in letzter Zeit auch weniger von ihrem Notfalltrank. Als sie um die Kurve bog, sah sie ihn, wie er gerade zwei Spaziergänger überholte.

Mann, ist der schnell unterwegs!, dachte sie bei sich und steigerte ihr eigenes Tempo weiter. Sabrina war ihre Freundin und er hatte sie beide beleidigt. Sie und müffeln? Niemals! Die Spaziergänger hatte sie schnell überholt. Ein Ehepaar im mittleren Alter, das sie sogar anfeuerte.

»Los, junge Dame, ihr Freund ist schon vorbei!«

Elisabeth schnaubte. Ihr Freund war er nicht, aber das konnten die Leute nicht wissen. Sie würde es diesem Schönling schon zeigen und ging bis an ihre Grenzen. Ein Gefühl inneren Glücks brandete in ihr hoch, als ihre Beine nur so über den Weg flogen und der Wind an ihren Haaren zog. Der Moschusgeruch tauchte wieder vor ihr auf. Als sie die nächste Biegung umrundete, sah sie ihn vor sich. Er überholte schon wieder jemanden, diesmal einen anderen Jogger, der vor einigen Minuten noch an Sabrina und ihr vorbeigelaufen war. An einer schmalen Stelle, wo eine mehrere Meter lange Pfütze den Weg einengte, wich der Mann vor dem schnelleren Läufer unbeholfen aus und trat voll ins Wasser, das sich als tiefer entpuppte, als es zunächst den Anschein hatte. Er schimpfte wild hinter Albert her, der sich genau in diesem Moment umblickte und Elisabeth entdeckte, die inzwischen immer schneller aufholte. Er machte ein verwundertes Gesicht und beschleunigte nun seinerseits.

Der andere Läufer stieg umständlich aus dem Wasser und band seinen Schuh auf. Elisabeth setzte mit einem gewaltigen Sprung über die Pfütze hinweg und rannte weiter, um nun ebenfalls als »Verrückte Spinnerin!« beschimpft zu werden, aber sie hörte nicht hin. Ihr Ziel lag vor ihr und sie hatte das Jagdfieber gepackt. Auch wenn sie es nicht mehr für möglich gehalten hatte, konnte sie nochmals etwas weiter beschleunigen, doch mit dem Beschleunigen schoss ein Kribbeln in ihre Beine.

Sicher ein drohender Krampf!, dachte sie zuerst, doch als es immer höher kroch, merkte sie, dass es das Zittern war. Bis zum Parkplatz war es nun nicht mehr weit und sie hielt sich gut – keine zwanzig Meter mehr hinter Albert. Sie konnte jetzt nicht aufgeben. Also biss sie die Zähne aufeinander und zwang sich, weiterzulaufen. Albert hatte sich erneut umgeblickt, inzwischen mit einem äußerst irritierten Blick. Und dann schockierte er seinerseits Elisabeth, indem er noch schneller wurde. Das war unmöglich, sie sprintete schon und er zog jetzt wieder davon. Das Kribbeln breitete sich inzwischen bis zur Hüfte aus. Sie würde doch abreißen lassen müssen. Da kam der Parkplatz in Sicht. Sie sah, wie Albert schlitternd abbremste und in einen wartenden, roten Porsche sprang, der gleich darauf mit durchdrehenden Reifen anfuhr und Steine sowie Dreck aufschleuderte. Der Wagen kam ihr irgendwie bekannt vor, doch sie konnte ihn momentan nicht einordnen.

Ein altes Ehepaar mit einem kleinen Schoßhund wich gerade noch aus, um nicht über den Haufen gefahren zu werden. Die Rentner schimpften wild, als der kläffende Hund sich losriss und von dem Auto weg auf den Weg zulief. Elisabeth konnte nicht mehr, sie stolperte die letzten Schritte mit wackligen Beinen vorwärts, als der Porsche schon längst auf der Straße verschwunden war. Schweiß stand ihr auf der Stirn und lief ihr in die Augen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie pumpte wild nach Luft. Die Farben verschwammen vor ihren Augen und das Zittern stieg höher und höher.

Nein, nein! Sie konzentrierte sich auf das Atmen, doch jeder Zug stach in ihrer Lunge. Die Welt um sie herum schwankte, als sie sich auf die Knie fallen lies und mit den Händen abfing. Der kleine Hund kam näher und bellte sie jetzt wild an. Sie verfluchte ihn in ihrem Kopf. Das Gekläffe machte sie immer wütender. Die Schmach, den Jungen nicht geschlagen zu haben, brannte lodernd in ihr. Der kleine Hund machte sie jetzt schier rasend. Sie wollte ihn wegscheuchen, doch als sie ihn anblickte und den Mund öffnete, kam nur ein grollendes Knurren aus ihrer Kehle. Der kleine Yorkshire Terrier stellte abrupt das Kläffen ein, steckte den Schwanz zwischen die Beine und rannte winselnd den Weg entlang, während seine Leine wild hinter ihm her tanzte. Die beiden Rentner eilten ihm nach, nicht ohne in Elisabeths Richtung einige Verwünschungen loszulassen.

Elisabeth konnte nicht mehr klar denken. Mit einer Hand öffnete sie umständlich ihre Bauchtasche und nestelte mit zitternden Fingern die Flasche heraus. Sie brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um den Bügelverschluss aufzudrücken. Als er dann endlich aufsprang, nahm sie gierig ein paar große Schlucke. Als das Brennen schließlich nachließ und sich ihr Blick klärte, lehnte sie sich gegen einen Stein am Wegesrand, der als Parkplatzbegrenzung diente. Sie schloss die Augen.

Einige Minuten später kam der Jogger mit dem nassen Schuh kopfschüttelnd vorbei, kurz darauf Sabrina.

»Elle, oh mein Gott. Du siehst völlig fertig aus. Was ist passiert? Hast du ihn erwischt?«

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22 aralık 2023
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892 s. 5 illüstrasyon
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9783969010099
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