Kitabı oku: «Harzmagie», sayfa 10

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Laufen für Fortgeschrittene


Elisabeth stöhnte auf, als nicht Sabrina, sondern Theobald ihr die Tür öffnete. Irgendwie kam sie sich übergangen vor, denn auch er trug bereits Laufklamotten.

»Hi, Sabrina hat mir Bescheid gesagt, dass wir heute Laufen üben. Finde ich cool, dass du es so ernst nimmst. Ich komme mit, da kann ich bestimmt auch was von dir lernen.«

Elisabeth erwiderte den Gruß nur mit einem Nicken und schlüpfte an ihm vorbei. Doch sie konnte Sabrina nicht allein erwischen. Ihre Freundin saß auf der Treppe und kämpfte sich in alte Turnschuhe.

»Hallo Elisabeth, ich dachte mir, dass wir am besten noch jemanden mitnehmen, falls ihr mich zurücktragen müsst.« Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande, beugte sich dann aber gleich wieder zu ihren Schuhen hinunter und fluchte. »Verdammt, die haben doch mal gepasst!«

Ihre Mutter schaute aus der Küche und feixte: »Und das ist noch gar nicht so lange her, etwa vor zehn Kilo.«

»Mama!«, gab Sabrina zurück und warf einen Schuh nach ihr, verfehlte diese aber weit. Elisabeth machte einen Satz und fing ihn auf. Als sie ihn ihr zurückgab, wirkte Sabrina sehr geknickt. »Sie hat ja recht, aber es zu hören, tut weh.«

Endlich waren die Turnschuhe geschnürt und es ging vor die Haustür, Elisabeth hüpfte vorweg und machte ein paar Dehnübungen. Erst nach einigen Momenten wunderte sie sich, wo die anderen beiden blieben. Sie kamen nach kurzen Augenblicken zwischen den Häusern aus einer Nische heraus. Elisabeth hob eine Augenbraue. Da stimmte etwas nicht. Und richtig, sie sah noch im letzten Moment, wie Theobald eine kleine Flasche wegsteckte. Fast so eine, wie sie in ihrer Notfalltasche hatte, die sie immer bei sich trug.

»Was habt ihr da gemacht?«, wollte sie wissen.

Sabrina schwieg betreten, doch Theobald strahlte sie an.

»Egal, du kannst es ruhig wissen. Ich kenne mich doch mit Kräutern und so aus und meine Mutter arbeitet in der Apotheke. Da habe ich ein paar kräftigende Sachen zusammengerührt – als Stärkung, damit wir mit dir mithalten können.«

»Ihr habt euch gedopt?« Elisabeth konnte es nicht fassen. »Ich meine, ihr habt doch noch nicht mal angefangen.«

»Lass gut sein, Elle!«, wehrte Sabrina ab. »Ich bin mir völlig im Klaren, dass ich hier schummle, aber ohne trau ich mich einfach nicht. Theo hat das Zeug auf dem Weg hierher schon ausprobiert. Wenn jemand zuerst blau anläuft und umkippt, dann er. Lass uns loslaufen, sonst verpufft die Wirkung wieder.« Und damit trabte sie den Zellbach hoch an einer immer noch erstaunten Elisabeth vorbei, Theobald folgte ihr und grinste dabei siegessicher.

Das legte in Elisabeth einen Schalter um. Sie joggte hinterher, musste jedoch schnell feststellen, dass die beiden trotz ihrer Unsportlichkeit ein hohes Tempo vorlegten, doch sie holte locker zu ihnen auf. Sabrina und Theobald liefen nicht über den Kronenplatz, sondern runter zur Robert-Koch-Straße und von dort über die Erzstraße durch das Unigelände, wo sich Elisabeth nach vorne setzte und die Führung übernahm.

Einige Studenten gingen gerade mit Heftern unter dem Arm zu einem Hörsaalgebäude, unter ihnen auch zwei Typen mit Bergstiefeln, einer davon mit einem Lederhut. Als die drei vorbeiliefen, pfiff ihnen der andere hinterher.

»Das galt dir«, schnaufte Sabrina sie an und sah sich kurz um. Elisabeth schnaubte nur und steigerte das Tempo, dass die anderen beiden kaum noch folgen konnten. Erst oben am Schlagbaum, als sie auf den Weg entlang der Bundesstraße einschwenkten, wurde sie etwas langsamer.

Sabrina schloss auf und versuchte zu erklären: »Ich habe Theo gesagt, dass du die Stelle untersuchen willst, wo ihr den Wolf gerammt habt. Ich hoffe, du verzeihst mir das.«

»Na ja, irgendwie schon. Ich finde gut, dass ihr mitkommt, obwohl ich das Dopen immer noch unfair finde.«

Nun meldete sich Theobald zu Wort. »Unfair? Ich bin an meiner Leistungsgrenze und das mit dem Booster. Und du keuchst noch nicht mal. Bist du so ein Laufwunderkind?«

Unwillkürlich musste Elisabeth lachen. »Nein, ich bin schon immer gerne gelaufen. Ich brauche das einfach, dann geht es mir gut.«

»Ich frage mich, wie schnell du wärst, wenn ich dir auch was von meinem Kräuterbooster gäbe?« Auf ihren scharfen Blick hin setzte er schnell hinzu: »Der ist rein bio! Nur beste Zutaten.«

Er machte dazu ein zwar etwas gerötetes aber unschuldiges Gesicht, dennoch war Elisabeth skeptisch. »Ich weiß nicht, ob sich das mit meiner Medizin verträgt.«.

»Ist die in der kleinen Flasche, von der du manchmal nach dem Sport nippst?«

»Woher weißt du das?« Elisabeth fühlte sich ertappt.

»Ich habe Augen im Kopf und ich bin der Sohn der Apothekerin. Außerdem hat deine Mutter einmal nachts bei uns Zutaten eingekauft und mir eine dicke Lügengeschichte aufgetischt, von wegen eigenes Blattläusemittel. Wenn sie ein anderer Typ wäre, hätte ich aufgrund der Zutaten getippt, dass sie eine ganze Mannschaft damit umbringen will.«

Jetzt blieb Elisabeth abrupt stehen und blickte Theobald völlig entgeistert an. »Was? Du musst dich irren!«

Sabrina, die ein paar Meter zurückgefallen war, hatte das Gespräch nicht mit angehört, kam jetzt aber auch heran.

»Hör mal, ich helfe schon seit Jahren in der Apotheke immer wieder aus. Sie hat Unmengen an Silbernitrat, Eisenhut und anderen Zutaten gekauft. Bei einigen davon würde schon eine Messerspitze reichen, um ein Pferd zu töten. Eigentlich dürfte ich dir das ja gar nicht sagen, aber da wir Freunde sind …«, rechtfertigte sich Theobald.

Sabrina blickte die anderen beiden an. »Was macht ihr denn mit den Dingen, die deine Mutter gekauft hat?«

Als Elisabeth zwischen beiden hin und her starrte, sah sie in zwei neugierige Gesichter. Es drängte sie, ehrlich zu sein, doch alleine wollte sie sich auch nicht öffnen. Sie hatte hier in Clausthal schnell zwei Freunde gefunden und wollte diese nicht gleich wieder verlieren.

»Ihr müsst mir schwören, dass ihr ein Geheimnis bewahren könnt! Und als Pfand will ich, dass ihr mir auch von euch ein Geheimnis verratet.«

Plötzlich wirkten beide seltsam betreten.

Schließlich meinte Theobald: »Okay, das ist nur fair, aber ich gebe nur ein gleichwertiges Geheimnis preis. Ist das akzeptabel für dich?«

Elisabeth überlegte noch, als Sabrina ihn verwundert ansah und von ihm wissen wollte, wie viele Geheimnisse er denn so habe. Schließlich gaben sich alle zusammen die Hand. Sabrina bestand sogar darauf, dass sie vorher noch hinein spuckten. Auch wenn sie das eklig fand, stimmte Elisabeth zu. Ihre Übereinkunft hatte fast schon etwas von einem Geheimbund.

»Ok, ich fang wohl an!«, sagte Elisabeth dann. »Ich leide an einer seltenen Krankheit, bei der schwere Krämpfe meinen Körper überfallen, ein bisschen so wie Epilepsie, aber es kommt immer, wenn ich mich zu sehr aufrege oder tierisches Eiweiß esse. Deswegen bin ich ja Veganerin. Ich bekomme dagegen eine Medizin, die früher unsere Hausärztin hergestellt hat und jetzt meine Mutter. Da ist dieses Silberdings und der andere Kram drin, aber nur so viel, dass es die Krämpfe löst. Ich muss ständig eine Flasche bei mir haben, sonst könnte ich sterben. So, nun ist es raus.« Zum Beweis holte sie ihre Flasche hervor und zeigte sie den anderen.

Sabrina war sprachlos.

Theobald pfiff durch die Zähne. »Voll abgefahren!«

Sabrina seufzte. Dann sagte sie: »Ich weiß nicht, ob das gleichwertig ist, aber ich habe von einer alten Dame die Handschuhe auf dem Friedhof ... äh ... gefunden und mitgenommen. Und als die drei Deppen mich an dem Tag eingeholt hatten, als du …«, sie fixierte Theobald, »so schnell abgehauen bist, haben sie mich umgeschubst, und ich habe dann Vinzenz und Ojan in die Klöten getreten, dass es geknackt hat. Aber Alim habe ich nur mit den Handschuhen am Kopf berührt und er hat geschrien wie am Spieß. So bin ich denen entkommen.«

Elisabeth blickte sie halb bewundernd, halb irritiert an. »Vielleicht hatte er schon Zahnschmerzen und du hast den wunden Punkt erwischt.«

»Nein, es war, als hätte er plötzlich Todesangst. Ich habe die Handschuhe zu Hause. Ich kann sie euch zeigen, wenn ich zurück bin.«

Theobald überlegte lange. Die Mädchen wurden schon beide ungeduldig, dann seufzte er schwer.

»Okay, wir haben es geschworen, also dann komme jetzt ich. Ich klaue manchmal Dinge aus der Apotheke, um selbst zu experimentieren. Will später auch mal so etwas machen. Aber damit meine Ma das nicht mitbekommt, habe ich die Kellerwand zum baufälligen Nachbarhaus aufgestemmt und mir dort ein geheimes Versuchslabor eingerichtet.«

Die Mädchen starrten Theobald gleichermaßen verblüfft an.

Sabrina knuffte ihn verschwörerisch in die Seite. »Dass du irgendwie herumexperimentierst, habe ich mir schon lange gedacht, weil deine Versuchsbeschreibungen in Chemie immer so klingen, als wenn du sie nicht abgelesen, sondern selbst erlebt hast. Aber das mit dem Keller ist wirklich die Wucht. Cool. Dürfen wir das mal sehen?«

Theobald schien jetzt doch nervös.

»Komm, meinen Trank habe ich dir auch gezeigt!«, setzte Elisabeth hinzu.

Widerstrebend antwortete Theobald: »Worauf habe ich mich hier nur eingelassen? Okay, aber ich brauche Vorbereitung und meine Ma darf nicht da sein!«

»Mann, bin ich erleichtert«, sprach Elisabeth aus, was anscheinend auch die anderen dachten. »Ich dachte, ich bin der einzige Freak, aber jetzt habe ich zwei Freunde, die mindestens genau solche Freaks wie ich sind!«

Zusammen gingen sie schweigend weiter, jeder in sich gekehrt. Es begann zu regnen, aber das störte sie nicht. Es war nun nicht mehr weit zum Negersprung. Sabrina verkündete, sie sei inzwischen doch zu kaputt, um den Abhang mit hinunterzuklettern. Sie setzte sich oben auf einen abgesägten Baumstumpf und fragte bei Theobald um Nachschub an, doch der lehnte ab wegen der Gefahr der Überdosierung, wie er sich ausdrückte. Mit Elisabeth stieg er den Hang hinab.

Der Mann hielt reglos inne. Er hatte alle Spuren beseitigt, und er war gut darin. Nichts entging seinen scharfen Augen und der feinen Nase. Ein paar junge Büsche musste er sogar ganz ausreißen und den Boden festdrücken, damit man nicht erkannte, dass jemand hineingekracht war. Das Fell an der oberen Leitplanke hatte er bis aufs letzte Haar entfernt und sie wieder gerade gebogen. Doch jetzt tauchten diese Jugendlichen auf. Zwei von ihnen kamen nun auch noch den Hang hinunter, genau auf die letzte Stelle zu, wo er das Blut noch nicht beseitigt hatte. Verdammte Giulia. Sie machte immer nur Schwierigkeiten und er musste sich um die Beseitigung kümmern. Schlimm genug, dass sie Wild und Schafe riss, aber sich auf der Straße anfahren zu lassen, machte riesige Probleme. Der Wagen hatte sicher ordentliche Dellen. Er hoffte nur, dass der Fahrer im Nebel nicht genug erkannt hatte. Wenn man keine Haare oder Spuren fand, würde die Versicherung zwar nicht zahlen, aber das war egal. Ohne Beweise würde die Presse es nicht drucken und nur darauf kam es an.

»Genau hier muss er hinuntergerollt sein. Hier müssten Äste abgeknickt sein und so, aber ich finde nichts«, hörte er das gertenschlanke, fast schon dürre Mädchen sagen. Sie blieb stehen, während der Junge langsam aufschloss.

»Wie sah der Wolf denn genau aus?«, fragte dieser.

»Es war nebelig, aber ich glaube, er hatte fast ausschließlich graues Fell. Und riesig ist er mir erschienen, fast wie ein Pony. Es hat auch richtig heftig gekracht, als unser Passat ihn gerammt hat. Mama war völlig fertig.«

Der Mann zog die Luft durch die Zähne. Verdammt! Eine Fahrerin und eine Beifahrerin. Zwei Zeugen! So etwas durfte nicht passieren. Ein einsamer Fahrer in der Nacht ließ sich leichter dementieren als zwei Frauen. Und dieses Mädchen hatte genau beobachtet, sie war sogar hergekommen, um nach dem Wolf zu suchen. Er musste sich etwas einfallen lassen.

Elisabeth starrte in das Dickicht unter ihr.

»Ich verstehe das nicht. Er kann nur hier irgendwo hinuntergerollt sein. Es sollte doch irgendwelche Spuren geben.«

Theobald hatte sie endlich eingeholt. »Möglicherweise ist er dort ganz ins Dickicht hineingerutscht. Spuren sehe ich aber auch keine. Vielleicht ginge es schneller, wenn wir nicht mit angezogener Handbremse suchten.«

Elisabeth schaute ihn fragend an.

»Nun, mein kleiner Helfer aktiviert deine volle Leistungsfähigkeit. Auf einen Versuch käme es an.« Er zog seine Flasche aus der Tasche und nahm einen Schluck und hielt sie Elisabeth hin. »Bei dem Zeug, was du sonst in dich hineinschüttest, ist das noch harmlos!«

Erst zögerte sie kurz, dann nahm sie einen Schluck. Zunächst passierte nichts, dann hatte sie das Gefühl, als wenn alle Sinne in ihrem Kopf explodierten. Sie keuchte auf.

»Was zur Hölle ist da alles drin?«, stieß sie durch die Zähne.

Theobald, der seine Flasche hastig weggesteckt hatte, entgegnete eilig, dass es rein bio sei, und entschuldigte sich eilig. Doch er zuckte die Schultern, als Elisabeth nur so dastand, ohne auf ihn zu achten, und ging resigniert den Hang wieder hoch.

Elisabeths Sinne schärften sich schlagartig. Sie hörte die Regentropfen, ihren eigenen Puls, Theobalds Puls, seinen Atmen, seine Schritte, ein Kaninchen in seinem Bau links von ihr, den Schrei eines Vogels. Sie roch den Wald, das Moos, den Hamburger, der mal in der leeren McDonalds-Verpackung gesteckt hatte. Und dann, ganz plötzlich, hörte sie das leise Atmen eines anderen großen Lebewesens hinter den Bäumen weiter unten, auf die Theobald vorhin gedeutet hatte. Was auch in dem Trank war, er hatte irgendetwas in ihr ausgelöst, denn das Kribbeln stieg in ihr auf. Während sie im Unterbewusstsein bereits ihren Trank zog und einen Schluck nahm, hörte sie, wie das Etwas sich bewegte.

Der Mann erstarrte. Als der Junge die Flasche zog, freute er sich schon, dass sie Alkohol trinken würden, der die Sinne benebelte. Aber jetzt war er alarmiert, denn das Mädchen lauschte und sie schien zu schnuppern. Gott sei Dank kam der Wind aus Westen, so konnten weder er noch sie jeweils voneinander die Witterung aufnehmen. Allerdings hatte er vorhin oben am Hang Spuren beseitigt, doch so gut waren Menschennasen nicht. Oder doch? Er konnte das Risiko nicht eingehen, von ihr entdeckt zu werden, denn sie starrte jetzt genau auf sein Versteck. Er musste sie vertreiben.

So rief er tief in sich hinein und sein Partner antwortete sofort, das Heulen stieg in seiner Kehle auf und er ließ es frei. Dazu rüttelte er an den beiden Fichten, die ihm am Nächsten standen. Es verfehlte seine Wirkung nicht, zumindest bei den anderen beiden wirkte es sofort. Eine urwüchsige Angst brach bei ihnen durch. Das Mädchen oben an der Straße lief sofort weg, der Junge, der bereits die Leitplanke wieder überstieg, folgte ihr in wildem Lauf. Doch die große Schlanke runzelte die Stirn und zuckte, als wenn sie Krämpfe hätte. Noch einmal ließ er sein Heulen hören und legte seine ganze Macht hinein. Das Mädchen schien immer noch verwirrt, doch es bemerkte jetzt, dass es alleine war, und rannte ebenfalls den Hang hoch. Erstaunt beobachtete der Mann, wie sie in atemberaubendem Tempo die Kante erreichte und ohne Zögern die Leitplanke mit einem Satz übersprang. Was auch immer sie getrunken hatte, es musste so eine Art Zaubertrank sein, der ihr übermenschliche Kräfte verlieh. Er würde sie im Auge behalten müssen. Als er sich sicher war, alle Spuren beseitigt zu haben, verschwand er ebenfalls.

Niemand sah den Mann in Outdoorkleidung, der im strömenden Regen kurz darauf aus Richtung der Kuckholzklippe den Abhang hinunterkletterte und sich wachsam umsah, bis er plötzlich innehielt. Bremsspuren zogen seine Aufmerksamkeit auf sich, die quer auf die andere Straßenseite führten und vor der Leitplanke endeten. Er bückte sich und hob etwas hoch. Es handelte sich um den Splitter eines Blinkers. Ein paar Meter weiter in der Abflussrinne lagen noch mehr. Nicht ungewöhnlich an einer Straße, doch der Mann grunzte zufrieden und steckte ihn vorsichtig ein. Er drehte sich noch einmal zu dem Hang, um die Richtung zu peilen, und überquerte dann entschlossen die Straße. An der Leitplanke entdeckte er nichts, doch auf der anderen Seite sah er niedergetretenes Gras am Abhang. Er stieg über die Leitplanke und untersuchte die frische Spur. An einer Stelle fand er das Muster von zwei verschiedenen Turnschuhen im Boden, die noch nicht durch den Regen weggewaschen waren, aber sie wiesen den Berg hinauf, also in die falsche Richtung. Wer auch immer das gewesen war, hatte vermutlich hier alles zertrampelt, und der Regen spülte den Rest weg. Die Enttäuschung war riesengroß. Er hatte die Spur verloren. Dabei war er so nah dran gewesen. Er war der ganzen Fährte vom Lerbacher Skihang bis auf die Klippe gefolgt, wo zwei Schafe gerissen worden waren. Und dann hatte er ganz deutlich das Heulen gehört, dass ihm durch Mark und Bein gegangen war. Zweimal. Hauser fluchte. Vielleicht könnte es etwas bringen, die Werkstätten abzuklappern. Er würde alle Splitter einsammeln und versuchen, herauszubekommen, was das für ein Wagen gewesen sein mochte. Aber erst einmal würde er nun eine Person besuchen, die er schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte.

Drei Mütter und Kakao mit Schuss


Der junge VW-Mechaniker untersuchte nun schon über eine Stunde lang das Auto.

»Motorhaube, Prallbox vorne und linker Kotflügel, Blinker, Scheinwerfer, Kühler eingedrückt, Sprung in der Frontscheibe und Dach eingedellt. Das sind alles in allem acht- bis zehntausend Euro. Was genau haben sie denn angefahren, einen Elch?«

Es klang nach einem flachen Scherz, aber Emilia Wollner war nicht zum Lachen zumute. »Es war ein riesiges Tier und es ist danach weggelaufen, irgendwo in der Nähe von Torfhaus. Ist auch egal, können Sie es richten? Das Geld ist nicht das Problem! Ich möchte nur vermeiden, dass mein Mann das mitbekommt. Sie verstehen sicher.«

Der Mann in seinem fleckigen Overall kratze sich an den Bartstoppeln. Emilia konnte anhand seines mehrdeutigen Blickes, der er ihr zuwarf, denken, dass er sie versuchte abzuschätzen.

»Ich krieg das schon hin. Sagen wir neuntausend und ein Abendessen.« Er grinste sie dazu verwegen an.

Emilia Wollner hatte oft eine solche Wirkung auf Männer. Es wurde Zeit, ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Sie fixierte ihn und sagte: »Gut! Neuntausendundfünfzig und Sie gehen alleine essen!«

Der Mann hob abwehrend die Hände. »Schon gut, Sie können mir nicht vorwerfen, es versucht zu haben. Ich mache es für die Neun, aber ich brauche ein paar Tage. Wann kommt Ihr Mann zurück?«

Emilia Wollner fiel nicht auf diesen Versuch, sie doch noch weiter auszuhorchen, herein.

»Das braucht Sie nicht zu kümmern. Sie müssen ihn sowieso neu lackieren. Ändern Sie die Farbe in Blau. Ich erzähle meinem Mann dann einfach, dass ich ihn zum Lackieren gegeben habe.«

Der Mann nickte, lächelte verschwörerisch und wollte anscheinend gerade noch etwas erwidern, da schrillte ein altes Handy los und unterbrach das Gespräch.

Emilia Wollner hob ab. Es war Theobalds Mutter.

»Frau Wollner, hier ist Anna Binsenkraut. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich habe Ihre Nummer von der Klassenliste. Mein Sohn Theobald wollte mit Ihrer Tochter laufen gehen, aber das war vor über drei Stunden. Er müsste längst zurück sein. Sie sind überfällig.«

Emilias Geist verfinsterte sich. Elisabeth hatte sich zwar zum Laufen verabredet, aber sie wollte mit Sabrina trainieren. Da stimmte etwas gewaltig nicht.

»Elisabeth ist bei Sabrina, irgendwo am Zellbach. Sie wollte eigentlich mit ihr laufen.«

»Vielleicht sind sie zu dritt los. Ich weiß, wo die Schuberts wohnen. Ich fahre da gleich hin, komme sowieso gerade mit dem Auto zurück.«

»Wenn es Ihnen keine Umstände macht, könnten Sie mich an der Kreuzung Erzstraße und Altenauer aufsammeln. Ich bin zu Fuß unterwegs.«

»Ist gut, mache ich. Ich bin in ein paar Minuten da.«

Emilia Wollner winkte dem Mechaniker und gab ihm per Handzeichen zu verstehen, dass er fünf Tage hatte. Er nickte. Dann verließ sie die Werkstatt und ging zur Kreuzung. Bald hielt ein weißer VW Bulli mit dem Aufdruck Bergapotheke Zellerfeld direkt neben ihr. Emilia Wollner stieg ein.

»Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Denken Sie denn, dass etwas passiert sein könnte?«, wollte sie wissen.

»Nun, ich hatte Theobald aufgetragen, mich anzurufen, um die Nachbestellungen durchzugeben. Ich komme eben aus Nordhausen, da hätte ich alles gleich mitbringen können. Er hat es aber nicht getan und geht auch nicht ans Telefon. Meine Nase sagt mir, da stimmt was nicht.« Anna Binsenkraut drückte aufs Gaspedal.

»Da können Sie Gift drauf nehmen. Ich wusste gar nicht, dass Ihr Sohn auch dabei ist.«

Schon Momente später hielten sie bei den Schuberts. Regen setzte ein. Frau Schubert erschien auf das Klingeln hin an der Tür. Ein herrlicher Duft nach Apfelkuchen begleitete sie. Erstaunt blickte sie in die Gesichter der anderen beiden Mütter.

»So eine Überraschung, ich dachte, die Kinder sind zurück, weil es zu regnen beginnt. Habe gerade den Apfelkuchen fertig.« Dann erst bemerkte sie die Mienen. »Ist was passiert?«

Emilia Wollner antwortete am schnellsten. »Nun, angeblich ist meine Tochter nur mit Ihrer Tochter unterwegs und Theobald nur mit meiner. Außerdem sind die Kinder zu spät dran.«

Frau Schubert war aber nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. »Na, dann haben sie sich halt umentschieden. Sie sind alle drei weg. Kommen Sie rein, Sie werden ja noch ganz nass. Soweit ich weiß, wollten sie eine große Runde drehen, zum Negersprung, weil da ein Wolf angefahren worden sein soll, habe ich mitgehört.«

Emilia Wollner wurde bleich und ergriff Frau Schuberts Arme. »Was? Sind Sie sich sicher?«

»Ja, ja, schon, was ist denn dabei?«

Jetzt kreischte Emilia Wollner förmlich: »Was dabei ist? Das war ein … das war ein Wolf, ich meine, ein großer Wolf, den ich gestern angefahren habe. Unser Auto ist komplett zerdellt. Und trotzdem, der könnte da noch herumstreunen.«

Jetzt schauten die anderen beiden Mütter schockiert.

»Sie haben einen Wolf so schwer angefahren? Und Sie befürchten, dass er noch lebt? Unwahrscheinlich, es sei denn …« Anna Binsenkrauts Augen wurden schmal, als habe sie plötzlich eine Eingebung, die ihre Stimme eiskalt und geschäftsmäßig werden ließ. »Wir müssen los und sie suchen. Kommen Sie, ich fahre.«

Emilia entging der Stimmungswechsel nicht. Die Fahrt wurde rasant. Auf der Adolph-Roemer-Straße sprangen zwei Fußgänger verschreckt von der Fahrbahn, als der Wagen auf sie zuraste und wild hupte.

»Wie groß war der Wolf genau?«, verlangte Anna von Emilia zu wissen, die sich an den Griff der Schiebetür klammerte.

Emilia war hin und her gerissen, ihre Befürchtungen laut auszusprechen, besann sich dann aber.

»Es war so nebelig und halb dunkel, ich habe ihn nur vage gesehen.«

»Müssten Sie das nicht dem Förster melden?«, kam es von Martha Schubert, die ebenfalls reichlich nervös wirkte, am meisten wohl aufgrund des Fahrstils.

»Im Grunde ja«, sagte Anna Binsenkraut. »Aber ich kenne den hiesigen Förster. Der ist über sechzig und hatte vor Kurzem einen schweren Bandscheibenvorfall. Glauben Sie ja nicht, der würde heute da hinfahren.«

Sie drückte das Gaspedal durch und überfuhr die Ampel vor dem Oberbergamt bei Rot. Regen prasselte auf die Windschutzscheibe, während der Wagen auf die Bundestrasse Richtung Osterode schoss.

Höhe Buntenbock kamen ihnen drei Gestalten entgegengerannt. Von der Rücksitzbank sah Emilia Wollner, wie ein Junge und Sabrina vorneweg liefen und ihre Tochter schnell zu ihnen aufschloss. Sie rannten alle, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Anna Binsenkraut stieg voll in die Bremse und legte eine hollywoodreife 180°-Drehung hin. Theobald hatte den Wagen bereits erkannt und dirigierte die Mädchen zu dem Auto. Als Emilia Wollner die Schiebetür endlich aufbekam, sprangen alle drei hinein. Sabrina fiel ihrer Mutter von hinten um den Hals und schluchzte wild. Theobald setzte sich gleich hin und sagte keinen Mucks. Elisabeth zog die Tür mit einem Krachen zu. Emilia nahm ihre triefnasse Tochter in den Arm und drückte sie ganz fest. Anna Binsenkraut, die niemand umarmte, drehte sich auf ihrem Sitz nach hinten um. Sie blickte direkt ihren Sohn an, doch er hielt schuldbewusst seinen Kopf gesenkt. Trotzdem konnte man die Spannung zwischen beiden fast greifen.

»Wir reden später!«, fuhr sie ihn an.

Sabrina, die immer noch zitterte, teils vor Kälte, teils vor Angst, sprang ihrem Freund bei und sagte: »Er kann nichts dafür. Ich habe Elle vorgeschlagen, dass wir doch auf unserem Weg noch einmal an der Stelle vorbeilaufen könnten, wo der Wolf abgestürzt ist.«

Emilia Wollner erstarrte und begann zu zittern.

Anna Binsenkraut blickte Sabrina tadelnd an. »Nun, das hättet ihr ja auch sagen können, dass ihr zu dritt bis zum Negersprung wolltet. Ich bin davon ausgegangen, dass mein Herr Sohn nur kurz mit Elisabeth joggen geht und mir dann die Bestellungen durchgibt. Und Frau Wollner hier wusste nur, dass du mit Elisabeth laufen wolltest. Dass ihr alle drei eine Wolfssuchaktion durchführt, wusste keiner.«

»Doch ich!«, entgegnete Frau Schubert, schränkte dann aber ein: »Na ja, ich habe es halt mitgehört und habe mir nichts dabei gedacht.«

»Wieso hast du das mit dem Wolf herumerzählt?«, fragte Emilia Wollner, nachdem sie ihre Fassung wiedergefunden hatte, und blickte ihre Tochter vorwurfsvoll an.

»Mama, entschuldige bitte, du hättest nie zugestimmt, dass wir die Stelle nochmal ansehen. Es hat ja keiner ahnen können, dass er noch lebt.«

Panik spiegelte sich in Emilias Augen. »Waaas?«

Bevor noch jemand etwas sagen konnte, meldete sich Martha Schubert energisch zu Wort. »Es sind drei Kinder verloren gegangen, es sind drei Kinder gefunden worden und sie sind wohlauf und nass. Das verlangt nach Kakao und Apfelkuchen und ich dulde keine Widerrede, von keinem von euch. Nichts ist es jetzt wert, dass wir uns hier im Auto streiten und die Kinder eine Erkältung bekommen. Sind wir nun Mütter oder was? Frau Binsenkraut, bringen Sie uns wieder an den Zellbach. Und diesmal bitte etwas gesitteter.«

Diese sah für einen Moment aus, als wenn sie explodieren würde, aber schließlich forderte sie alle nur zum Anschnallen auf und fuhr wieder zurück.

Eine halbe Stunde später saßen sie eng nebeneinander in Handtücher gewickelt auf dem Sofa der Schuberts. Jeder hatte vor sich ein dickes Stück selbstgebackenen Apfelkuchen mit Schlagsahne und eine dampfende Tasse Kakao. Für Elisabeth hatte Frau Schubert sogar von irgendwoher Sojamilch aufgetrieben und Kuchen aß sie sowieso nicht. Die drei Mütter hatten auf den zwei Sesseln und dem Hocker Platz genommen. Auch sie hatten einen dampfenden Kakao vor sich, mit Schuss, wie Sabrina Elisabeth heimlich ins Ohr flüsterte. Der Kakao schmeckte himmlisch gut und der Apfelkuchen noch besser. Eine Weile lang sagte niemand etwas.

Nach einer Weile brach Anna Binsenkraut das Schweigen.

»Damit ich das richtig verstehe, ihr behauptet, der Wolf, den ihr gerammt habt, sodass das ganze Auto zerdellt wurde, lebt tatsächlich noch? Habt ihr ihn gesehen?«

Die Kinder wechselten Blicke, dann nahm Elisabeth sich ein Herz. »Der, den wir angefahren haben, hatte fast nur graues Fell. Derjenige, der uns mit seinem Geheule vertrieben hat, hat sich nicht gezeigt und er hat auch an den jungen Fichten gerüttelt. Es könnte derselbe sein, aber ich bin mir nicht sicher.«

Anna Binsenkraut schaute etwas verwundert, erst zu Elisabeth, die aber tapfer ihrem Blick standhielt, dann zu ihrem Sohn, der seinen Kakao-Becher zu hypnotisieren schien.

»Könnt ihr anderen beiden das bestätigen?«

Beide schüttelten den Kopf, doch Sabrina setzte noch hinzu: »Nicht alles. Ich war so fertig und bin oben auf der Straße geblieben. Als das Wolfsgeheul losging, konnte ich nicht mehr klar denken. Meine Beine sind von alleine losgelaufen. Theo war fast schon wieder bei mir, aber Elle war noch unten am Hang. Sie ist eine sehr gute Läuferin. Sie hat uns eingeholt, obwohl wir immer noch das Aufputschmittel drin hatten.«

Elisabeth konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Theobald plötzlich zu zittern begann. Schnell warf sie ein: »Ja, äh, sie haben sich so einen High-Energy-Drink reingetan. Ich halte ja nichts davon, aber sie konnten schon auf dem Hinweg ganz ordentlich mithalten.« Elisabeth machte den Fehler, ihre Mutter anzusehen, und erkannte, dass diese begriff, dass sie log. Doch zu ihrer Verwunderung sagte sie zunächst nichts.

»Vielleicht liegt der Wolf da noch und kann sich nicht mehr von der Stelle bewegen?«, mutmaßte Martha Schubert.

Ein spöttisches Lächeln umrahmte Anna Binsenkrauts Mundwinkel. »Nein, ich habe da eine ganz andere Vermutung! Ich glaube, es gab gar keinen Wolf unten am Hang.«

Emilia Wollner sah urplötzlich aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Was ist bloß mit Mama los?, fragte sich Elisabeth nicht zum ersten Mal in der letzten Zeit. Warum hatte sie so eine riesige Panik vor Wölfen?

»Ich glaube«, so trumpfte Anna Binsenkraut auf, »da war ein Wanderer im Gebüsch. Als ihr kamt und über Wölfe geredet habt, hat er sich mit euch einen Spaß erlaubt. Ja, so wird es gewesen sein!«

Elisabeth beobachtete ihre Mutter genau, als diese erleichtert aufatmete, als wenn sie eine ganz andere Erklärung erwartet hatte. Ein Seitenblick zu Anna Binsenkraut verriet ihr, dass da noch irgendetwas im Gange war, denn die fixierte immer noch Theobald und der wiederum seinen Kakao-Becher.

Elisabeth sprang auf. »Gut, dann ist ja alles klar. Brina, du wolltest uns doch noch etwas in dem Heft zeigen. Wir sollten die Mütter jetzt einen Moment alleine lassen, was meint ihr?«

Sabrina, die sofort schaltete, pflichtete ihr bei und war auch sogleich auf den Beinen. Als Theobald folgen wollte, räusperte sich Anna Binsenkraut, doch Martha Schubert legte ihr behutsam die Hand auf den Unterarm.

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22 aralık 2023
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