Kitabı oku: «Harzmagie», sayfa 8

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Es gärt gewaltig


Die Ferien waren wie im Flug vergangen, so kam der Schulanfang einfach zu schnell. In der folgenden Woche Mittwoch sollte es losgehen, obwohl sie sich noch nicht ganz eingelebt hatten, weil sie einfach keine wirkliche Ruhe fanden. Wie so oft in letzter Zeit kamen die drei Wollner-Frauen aus Goslar zurück.

Klara saß schmollend auf dem Rücksitz. Sie war es leid, ständig zum Arzt zu müssen. In Hannover hatte man ihre Knochenbrüche einfach ganz normal behandelt. Aber dieser neue Hausarzt ängstigte sie mit seiner Experimentierfreudigkeit und der übermäßigen Neugier, die er ihr schenkte. Sie fand Dr. Teufels schmierig und ekelig. Außerdem hatte er so unnatürlich kalte Hände, dass Klara jedes Mal zusammenzuckte, wenn er sie anfasste. Wenn ihre Mutter nicht ständig über ihr gewacht hätte, wäre sie schon längst schreiend aus der Praxis gelaufen. Heute hatte sie wieder mehrere Behandlungen über sich ergehen lassen müssen, aber am meisten störten sie die ewigen Spritzen. Dementsprechend war sie schlecht gelaunt, schweigsam und rieb sich die schmerzende Stelle, wo sie diesmal eine Vitaminspritze bekommen hatte. Elisabeth war wieder einmal mitgefahren und hatte sich die ganze Zeit in der Stadt herumtreiben können, was Klara schlichtweg unfair fand.

Dunkle Bäume rauschten vorbei und mit jedem Schild, dass die Höhenmarkierung über dem Meeresspiegel angab, sank die Temperatur draußen weiter und weiter. Sie fröstelte und zog ihre Jacke bis zum Hals zu. Ihre Mutter fuhr heute auffallend aggressiv. Erst dachte Klara noch, dass sie sich ebenfalls über den dämlichen Arzt ärgerte, der heute wieder einmal sie für die schlechte körperliche Verfassung Klaras verantwortlich gemacht hatte. Doch dann hörte sie dem Gespräch auf den Vordersitzen genauer zu, denn da braute sich etwas ganz anderes zusammen.

»Nun sag schon. Was hast du eigentlich die ganze Zeit in der Stadt gemacht, als Klara beim Arzt war?«, verlangte Emilia von Elisabeth zu wissen.

»Ach, gar nichts«, gab diese deutlich genervt zurück.

»Für gar nichts bist du aber reichlich spät wieder auf dem Parkplatz gewesen. Hast du etwa jemanden getroffen?«

»Das geht dich überhaupt nichts an!«, blaffte Elisabeth so heftig zurück, dass ihre Mutter ihr einen schockierten Blick zuwarf.

»Aber bitte erlaube mal! Was ist denn das für ein Tonfall? Ich bin deine Mutter!«

»Na und? Ich kann mich treffen, mit wem ich will! Du musst mich nicht dauernd kontrollieren. Ich bin keine Zwölf mehr.«

»Ich kontrolliere dich doch nicht dauernd.«

»Ach nein? Jedes Mal, wenn ich von der vielen Hausarbeit, die du mir ständig aufhalst, mal eine Pause mache, willst du dann immer sofort wissen, wo ich war und was ich gemacht habe. Das geht mir so was von auf die Nerven.«

»Ich mache mir nur Sorgen.«

»Warum? Ich schufte mir den Buckel krumm, während Papa dauernd ins Institut verschwindet und Klara, die doofe Zicke, die ganze Zeit an ihrem Rechner herumhängt und nicht mal abzuwaschen braucht.«

Es traf Klara hart, wie ihre Schwester von ihr redete, und sie lief knallrot an. Wütend holte sie Luft, um sich in die Diskussion einzumischen, doch Elisabeth redete sich bereits weiter in Rage.

»Warum hältst du mich absichtlich dauernd auf Trab? Ich habe auch ein Recht zu leben.«

»Ach, Betsy, es gibt noch so viel zu tun und du bist nun mal die Einzige, die gerade verfügbar ist. Immerhin trägt Klara doch noch den Gips. Schau mal, ich arbeite doch auch ununterbrochen. Und du verdrückst dich schon reichlich oft. Warum finde ich dich eigentlich ständig bei dem Stein an der Innersten?«

»Der gefällt mir halt und ich dachte, er liegt weit genug weg vom Haus, um ein bisschen Ruhe zu haben, aber offensichtlich muss ich mir ein neues Versteck suchen. Ich habe keinen Bock mehr, jeden Abend todmüde ins Bett zu fallen. Und besuchen darf mich auch niemand.«

»Wer soll dich denn hier besuchen?«, bohrte Emilia nach, während sie endlich vor dem Haus hielt.

»Das ist meine Sache!«, fauchte Elisabeth zurück, sprang als Erste aus dem Wagen und rannte ins Haus.

Klara starrte ihr mit einer Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit nach. So kannte sie ihre Schwester gar nicht. Sicherlich hatte Elisabeth schon immer mehr Ärger mit ihrer Mutter gehabt als sie selbst, doch heute schien da noch mehr zu gären. Gab es da eventuell einen Jungen?

»Ich denke, das werden wir klären müssen. Deck bitte du heute den Tisch, Klara«, wandte sich ihre Mutter an sie und stieg aus.

Klara nickte. Das erschien heute sinnvoll. Sie humpelte ebenfalls hinein. Ihre Mutter folgte, nachdem diese das Auto zugesperrt hatte. Doch kaum, dass sie die Küche betreten hatten, ging es weiter.

»Hör auf, die Vorräte zu plündern!«, tadelte ihre Mutter Elisabeth, die bereits die Kühlschranktür aufgerissen hatte und sich etwas in den Mund stopfte.

Klara drückte sich vorbei, um aus der Schusslinie zu sein, und versuchte, den Küchentisch zu decken.

»Ach, auf einmal kannst du auch den Tisch decken. Wo hast du das denn so schnell gelernt?«, fuhr Elisabeth sie daraufhin an.

»Lass deine Schwester in Ruhe und leg die Karotte weg! Wir essen gleich alle zusammen!«

»Jetzt darf ich nicht mal etwas essen! Kriege ich gleich noch Stubenarrest? Mach doch! Dann kann ich wenigstens nicht mehr Rasen mähen oder Holz hacken!«

»So war das nicht gemeint.«

»Hast du einen Freund?«, warf Klara jetzt ihre Vermutung dazwischen, was ihr einen wütenden Blick ihrer Schwester eintrug.

»Stimmt das?«, hakte Emilia sofort mit schneidendem Tonfall und stechendem Blick nach.

Elisabeth rollte mit den Augen. »Ihr spinnt ja beide. Ich habe mich mit Sabrina getroffen, wenn ihr es unbedingt wissen wollt.«

»Etwa dieser Gothictante, von der du schon mal erzählt hast? Das hatte ich dir doch verboten. Das ist kein Umgang für dich«, ereiferte sich ihre Mutter sofort.

Klara runzelte die Stirn. Von der hatte sie noch nichts gehört. Das wurde ja immer interessanter.

»Mir bleibt ja nichts anderes übrig! Dann treffe ich Sabrina halt woanders! Nach Hause einladen darf ich sie ja nicht, weil meine Frau Mutter sie für asozial hält!«

»Unterstellung! Das habe ich nie gesagt!«, rief Emilia, die jetzt genauso wie Elisabeth knallrot anlief.

»Aber gedacht hast du es! Du kennst sie doch gar nicht richtig. Sie ist total nett. Nur weil sie auf Fantasy- und Vampirgeschichten steht ...«

Emilia baute sich vor ihrer großen Tochter auf und drohte mit dem erhobenen Zeigefinger. »Genau vor solchen Spinnereien versuche ich dich zu beschützen.«

»Das ist kein Beschützen, das ist der blanke Terror, was du mit mir machst!«

»Elisabeth Wollner, mäßige sofort deinen Ton!«, schrie Emilia.

»Den Teufel werde ich!«, brüllte Elisabeth noch lauter. »Du benimmst dich wie ein trotziges Kleinkind!«

»Ich bin kein Kleinkind mehr! Die da ist eins!« Dabei überschlug sich Elisabeths Stimme und sie pfefferte das Glas, das sie eben noch hatte auf den Tisch stellen wollen, gegen die Wand, sodass ein Schauer aus Splittern auf Klara niederregnete. Die bekam es jetzt doch mit der Angst zu tun und tauchte unter den Küchentisch ab. Sie erkannte ihre Schwester gar nicht wieder und ihre Mutter auch nicht. Tränen kullerten ihre Wangen hinab und sie begann in ihrer Verzweiflung, dazwischen zu schreien, dass Elisabeth und ihre Mutter aufhören sollten. Doch die beiden hörten nicht auf sie. Über dem Tisch ging es heftig weiter. Noch einige Minuten lang flogen wütend Sätze hin und her, dann erzitterte der Küchentisch, als Elisabeth mit einem Wutschrei dagegen trat, sodass Essen und Geschirr rings um Klara zu Boden fielen. Emilia sprang herbei, um sie aufzuhalten, doch Elisabeth stieß ihre Mutter grob zu Boden und stürmte hinaus auf ihr Zimmer.

Klara beobachtete wimmernd, wie ihre Mutter sich fluchend wie ein Kesselflicker wieder hochrappelte und die Tür der Hausapotheke aufriss. Sie griff sich mehrere Flaschen und rannte Elisabeth hinterher. Dabei knallte die Küchentür so heftig zu, dass eine weitere Flasche umkippte und herausrollte. Sie fiel und zerbrach auf dem Steinboden. Klara starrte die Medizin an, die sich auf dem Boden verteilte und mit dem Essen vermischte. Auf der Treppe polterte jemand nach oben, eine weitere Tür knallte und wurde wieder aufgerissen. Es erklang ein wütender Schrei, dann ein langgezogenes »Nein!«, das in einem gurgelnden Geräusch abbrach. Danach wurde es still, sehr still. Klara hörte auf zu schluchzen. Furcht überkam sie, eine Furcht, die tief in ihr saß. Was war nur los? Dann erklangen Schritte von draußen und jemand öffnete die Hintertür. Ihr Vater kam herein und blieb wie angewurzelt stehen.

Überdosis


»Was, um alles in der Welt, ist passiert?«, stieß Michael Wollner verwirrt hervor, als sein Blick auf das Chaos vor ihm fiel. Eine kreidebleiche Klara, die ihre Stimme noch nicht wiedergefunden hatte, zeigte nur stumm auf die Tür zum Flur. »Du rührst dich nicht von der Stelle!«, wies er sie an, aber diese hätte eh weder Kraft noch den Mut gehabt, jetzt etwas anderes zu tun, als dort sitzen zu bleiben, wo sie war. Mit wenigen Sätzen durchquerte er den Raum und verschwand in den Flur. Er eilte die Treppe nach oben, wo sich ihm ein grauenhaftes Bild bot. Elisabeth lag rücklings auf dem Boden und wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, die Augen wild verdreht und mit schwarzgrauem Schaum vor dem Mund. Sein Blick erfasste daneben mehrere leere Medizinflaschen.

Emilia saß zusammengekauert im Türrahmen und wimmerte immer wieder: »Ich habe sie umgebracht! Ich habe sie umgebracht!«

Einige Sekunden zögerte er, dann eilte er zu seiner Tochter und beugte sich über sie. Sie nahm ihn nicht wahr. Ihr Atem kam stoßweise durch die Nase, während der eklige Schaum ihr über die Wangen lief und herabtropfte.

»Oh, mein Gott! Emilia, wie viel hast du ihr eingeflößt?«, fuhr er erst seine Frau an, dann beugte er sich über seine Tochter. »Elisabeth, komm schon, spuck das Zeug aus!«, schrie er auf sie ein, während er versuchte, sie auf die Seite zu drehen, doch das gestaltete sich schwieriger, als er gedacht hatte. Er packte heftiger zu und schüttelte Elisabeth grob, wodurch er hoffte, sie so wieder zur Besinnung zu bekommen. Endlich erreichte er eine Reaktion, doch es war nicht die, auf die er gehofft hatte.

Ein blutunterlaufenes Auge öffnete sich, fixierte ihn kurz. Eine Hand stieß blitzartig vor und traf ihn hart vor die Brust, sodass es ihn hochhob und heftig von ihr wegschleuderte. Er krachte gegen die Wand und fiel um.

Schockiert, nach Luft röchelnd und stöhnend vor Schmerz rappelte er sich wieder auf, traute sich aber zunächst nicht noch einmal näher. Er hatte gehört, dass Epileptiker während ihrer Krämpfe sehr viel Kraft freimachten, aber diese Stärke, die er soeben bei seiner Tochter erlebt hatte, war zu verstörend. Hilflos musste er mit ansehen, wie Elisabeth sich nochmals aufbäumte und zusammenbrach, dann bewegte sie sich nicht mehr. Angst erfüllte ihn. Er krabbelte auf allen vieren näher. Von der Tür kam immer noch die wirre Stimme seiner Frau.

»Ich habe sie umgebracht!«, jammerte Emilia stetig vor sich hin.

Michael beugte sich voller Angst über Elisabeth. Zunächst konnte er nichts feststellen, weil sein eigenes Herz so hämmerte. Kein Puls, kein Atem. Ihre Adern traten stark hervor, als das Gebräu darin sich schwarz verfärbte. Starb seine Tochter wirklich gerade? Mit tränenerfüllten Augen verfolgte er, wie sich die Schwärze, einem Wurzelgeflecht gleich, immer mehr verteilte.

Minuten vergingen, in denen er mit zusammengepressten Lippen über ihr kniete. Weinend schloss er sie in die Arme und hielt sie fest. Emilia kam herübergekrabbelt und schlang schluchzend ihre Arme um sie beide. Eine Weile hockten sie so da. Das Grauen hatte sich ihrer bemächtigt.

Ein halb ersticktes Röcheln. Dann noch einmal. Ein Beben durchlief Elisabeth. Michael sah, wie von einem Moment auf den anderen die Farbe aus Elisabeths Adern verschwand.

Dann hob sich ihr Brustkorb wieder.

Er jubelte: »Sie lebt, Emilia, sie lebt!«

Nachgeschmack


Elisabeth kam erst am nächsten Morgen wieder zu sich. Ihr tat alles weh. Ihr ganzer Körper brannte. In ihrem Mund hatte sie einen faden Geschmack nach Erbrochenem. Ekelig.

Neben ihr auf der Bettkante saß ihre Mutter mit dem Rücken an die Wand gelehnt und war offensichtlich eingedöst. Sie schien viel geweint zu haben, denn ihre Augen waren tiefrot umrändert und ihr Make-up verlaufen. Was war passiert? Elisabeth konnte sich nur noch an den Streit in der Küche erinnern, der Rest war in einem undurchdringlichen Nebel verschwunden. Als sie sich aufsetzen wollte, merkte sie, dass sie die Hände nicht heben konnte. Jemand hatte sie am Bett festgebunden. Als sie sich regte, schrak ihre Mutter auf und begann gleich wieder zu weinen, diesmal vor Erleichterung.

»Mein Engel, wie gut, dass es dir wieder besser geht. Warte, ich mache dich gleich los, du hattest einen schlimmen Anfall, weißt du.«

Während Emilia eilig die Gürtel löste, die sie verwendet hatte, hörte Elisabeth die Worte, konnte sie aber nicht nachvollziehen.

»Ich erinnere mich nur, dass wir uns gezankt haben, danach ist alles weg.«

»Ich weiß, meine Liebe, ich weiß. Ein dummer und völlig unnötiger Streit.«

»Mama, warum hast du mich ans Bett gefesselt?«, verlangte Elisabeth nun zu wissen.

»Ich habe mir so große Sorgen gemacht, dass du dich verletzen könntest. Du hast um dich geschlagen und gekrampft. Aber das ist ja nun vorbei.«

Einen Moment blickte Elisabeth ihre Mutter geistesabwesend an. Angestrengt versuchte sie, sich zu erinnern, was sonst noch passiert war. Schließlich schüttelte sie den Kopf. Es wollte ihr einfach nicht einfallen.

Ihre Mutter wechselte das Thema: »Erzähl mir doch von dieser Sabrina.«

Also berichtete Elisabeth von ihr und Emilias Miene hellte sich etwas auf. Dann ließ sie ihre Tochter im Bett zurück, um bei Sabrinas Mutter anzurufen. Eine Weile später, als Elisabeth schon fast wieder eingedöst war, kam sie zurück.

Sie wirkte deutlich erleichtert, als sie berichtete: »Ich hatte ein erstaunliches Gespräch mit Frau Schubert. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Sabrina soll in der Schule wirklich exzellente Noten haben. Und ihre Mutter hält große Stücke auf sie und bezeichnet diesen Gothiclook ihrer Tochter als eine temporäre pubertäre Phase. Ich schlage vor, du lädst sie einmal hierher ein, wenn es dir wieder besser geht.«

Damit ging sie nach unten, um Elisabeth schlafen zu lassen, die ob dieses Einlenkens ein schwaches Lächeln zustande brachte. Sie hatte sich noch nie so matt gefühlt, doch sie wachte ständig wieder auf. Vielleicht lag es auch daran, dass sie davor so viel geschlafen hatte oder weil sich jedes Geräusch übersteuert und unnatürlich laut anhörte. Sie konnte sogar ihre Mutter die Karotten in der Küche schneiden hören, obwohl sie sich weit entfernt befand. Das stetige Schack-schack-schack dröhnte wie eine Dampframme in ihren Ohren. Die Gemüsebrühe, die ihr ihre Mutter später hochbrachte, ließ sie kalt werden, nachdem sie nur einmal daran genippt hatte. Sie schmeckte ihr zu fade.

Endlich krabbelte sie aus ihrem Bett, setzte sich ans Fenster und öffnete es weit. Die kühle Abendluft tat gut und vertrieb den Schmerz. Die Sonne ging unter, doch es blieb immer noch hell genug, um Einzelheiten zu erkennen. Die Gerüche waren herrlich. Elisabeth lehnte eine Weile am Rahmen und sog den Harz in sich auf. Ein weitentfernter Schrei einer Eule ließ sie hochschrecken. Sie bemerkte, dass sie etwas fröstelte. Deswegen ging sie zurück in ihr Bett, lies aber das Fenster offen. Wieder eingeschlafen träumte sie vom Wald.

Hexenjagd


Die anderen zwei Jägerinnen näherten sich von der gegenüberliegenden Seite. Anna Binsenkraut zog ihren Talisman heraus und schickte ein Stoßgebet zu ihrer Göttin Freya, wie sie es früher jedes Mal getan hatte, wenn sie in den Kampf zog. Es hatte ihr immer Glück gebracht und mehr als einmal das Leben gerettet. Ein Lächeln voll wilder Vorfreude huschte über ihr Gesicht, als sich ihr Puls beschleunigte. Sie würde gleich wieder jemanden zur Strecke bringen, ganz offiziell, nachdem sie es schon so lange nicht mehr hatte tun dürfen. Anna fieberte dem Kampf entgegen. Mit einem Kuss auf die winzige Darstellung einer schwer gerüsteten Frau mit Flügeln ließ sie es wieder unter ihre Kleidung gleiten. Dann schlich sie lautlos über den schmalen Trampelpfad auf das Waldhaus zu, die Augen komplett weiß, die Hände vor sich erhoben, bereit, sofort einen Angriffszauber loszulassen. Der dichte Nebel dämpfte die Sicht erheblich. Jäh hielt sie inne, als sie vor sich ein schwaches Flackern bemerkte. Nach einer eingehenden Untersuchung musste sie der Gegenspielerin unwillkürlich Respekt zollen. Eine Alarmbarriere, getarnt vor dem magischen Blick durch einen komplizierten Tarnzauber. Man konnte sie fast nicht erkennen, doch die langjährige Tätigkeit als Jägerin hatte Anna paranoid genug werden lassen und ihre Sinne waren offensichtlich noch nicht eingerostet. Wer auch immer das getan hatte, musste nicht nur eine fähige Hexe sein, sondern kannte sich auch mit den Gepflogenheiten der Jägerinnen aus. Zwei offensichtliche Barrieren hatte sie schon umgangen, die einerseits normale Menschen abhielten und ein Einfliegen verhinderten. Wer sich hier versteckte, war eine gefährliche Gegnerin.

Die Anhörung beim Rat vor einigen Tagen war beunruhigender gewesen, als Anna sich zunächst eingestehen wollte. Es war nicht nur eine Jägerin getötet worden, sondern insgesamt vier. Die erste Tote hieß Olga, eine junge blinde Hexe mit enormem Spürsinn. Ihr blankes Skelett hatte man in der Eilenriede in Hannover gefunden. Ein Suchtrupp von drei Hexen unter der Leitung ihrer alten Partnerin Lylly Urs war daraufhin ausgesandt worden und hatte eine Fährte bis in den Teutoburger Wald verfolgt, wo sie spurlos verschwanden. Man hatte einige Zeit später drei tote Frauen aus der Weser gezogen. Die Polizei glaubte an ein Badeunglück, doch Anna und der Rat wussten es besser. Jemand hatte ein komplettes Suchteam ausgelöscht. Anna erstaunte es nicht, dass man sie um Rat fragte, denn sie hatte mit Lylly jahrelang zusammengearbeitet. Diese war es auch gewesen, die von ihrer Schwangerschaft gewusst und sie gedeckt hatte. Anna schuldete ihr etwas.

Da der Rat auf sie zurückgegriffen hatte, obwohl sie eigentlich ausgestoßen worden war, zeigte ihr, wie verzweifelt dieser sein musste. Sie war sich auch sicher, dass er etwas verschwieg. Immerhin winkte die Option, wieder in den aktiven Dienst aufgenommen zu werden. Das hatte man ihr als Belohnung angeboten. Sie hatte daraufhin bei Theobald angerufen und ihm gesagt, sie müsse noch eine Woche in Berlin bleiben. Er solle so lange die Apotheke schließen und mit Herrn Zenkmann in Clausthal telefonieren, damit er den Dienst übernahm. Theobald hatte ihr alles Gute gewünscht, aber er klang eine Spur zu glücklich am Telefon. Er wurde für ihren Geschmack in der letzten Zeit zu neugierig. Ein intelligenter Sohn einer Hexe. Sie liebte ihn zwar sehr, aber er war auch der Grund, warum sie nicht mehr ihren Dienst versah. Anna hatte damals vor Erleichterung gejubelt, als ihre Mutter ihr mitgeteilt hatte, dass eine Magieuntersuchung negativ verlaufen war. Sie selbst hatte ihn später mit dem Blick gemustert, aber er verströmte keinerlei magische Aura. Und das war gut so. Die Deaktivierung und Strafversetzung in den Harz hatte sich im Nachhinein als gar nicht so schlimm herausgestellt. Sie hatte die neu gewonnene Freiheit genießen gelernt.

Doch genau jetzt, in diesem Moment, war sie wieder ganz die Jägerin und voller Spannung und Tatendrang. Der Alarmzauber zog sich um das Haus, konnte aber leicht überwunden werden, da er eher wie ein Band gewoben war. Der Tarnzauber machte ihn erst richtig gefährlich. Viele hätten ihn nach den offensichtlichen Barrieren übersehen. Anna ließ sich in einer Mulde neben dem Weg auf den Rücken hinab und rutschte vorsichtig Zentimeter für Zentimeter unter dem Flirren hindurch. Sie wagte es nicht, Magie einzusetzen, da das Brechen des Zaubers sicher sofort bemerkt werden würde. Dass sie sich dabei schmutzig machte, war ihr egal. Sie befand sich in ihrem Element.

Sie hatte es gerade geschafft, da leuchtete vor ihrem Hexenblick der Zauber auf und ein Alarm bellte los. Anna war sich absolut sicher, den Zauber nicht berührt zu haben, aber sie kam ja nicht allein. Sie stieß einen Fluch aus, sprang auf und rannte los Richtung Hintertür, während sie hastig einen magischen Schild hochzog. Vorbei war es mit ihrem Überraschungsvorteil. Eine heftige Explosion an der Vordertür und ein schmerzerfüllter Schrei verrieten ihr, dass gerade eine ihrer Mitjägerinnen schwer erwischt worden war. Sie machte sich nicht die Mühe, die Klinke zu drücken, sondern blieb kurz stehen und schleuderte aus sicherer Entfernung ihre volle magische Kraft gegen die Tür. Sie hielt einige Augenblicke länger stand, als normales Holz es vermocht hätte, aber schließlich riss sie mit lautem Krachen aus der Zarge und flog nach innen, nicht ohne hier auch unter einem Knall ein rotleuchtendes Flammenmeer zu versprühen. Höllenfeuer, schwarze Magie! Anna duckte sich unwillkürlich, doch sie stand weit genug weg, um nicht erwischt zu werden. Die Flammen brannten schnell nieder, denn sie verzehrten nur lebende Kreaturen und deren Seelen. Ihr magischer Schild hätte ihr da wenig geholfen.

Anna rückte vor, während sie in ihrer Hand einen Betäubungsball formte. Erneut legte sie all ihre Kraft hinein. Sie schleuderte ihn ins Haus. Mit einem ohrenbetäubenden Knall ging er hoch. Die Scheiben drückte es komplett nach außen und überall flogen Splitter umher. Im letzten Moment bemerkte sie aus den Augenwinkeln einen Besen, der hinauf in den wolkenverhangenen Nachthimmel rauschte, auf ihm eine Gestalt im Nachthemd und mit einer Umhängetasche. Anna schoss noch einen Zauber hinterher, aber der Besen flog zu schnell, die Wolken verschluckten ihn schon Momente später. Ihre Gegnerin war entkommen.

Erneut fluchend betrat Anna das Haus. Nach dem Betäubungsball war innen nicht mehr viel heil geblieben. Das Haus hatte im Wesentlichen aus einem Raum und einer kleinen Schlafkammer bestanden. Es gab auch noch ein Bad. Die Einrichtung erinnerte Anna an eine klassische Hexenhütte, eine wie aus einem alten Märchen. Es gab einen offenen Kamin mit einem Kessel, der auf der Seite lag. Kräuter lagen herum und Pflanzen aller Art. Ihre dritte Kollegin fand sie im Schlafzimmer im Türrahmen mit einem dampfenden Loch im Oberkörper, durch das Anna den blutverschmierten Fußboden sehen konnte. Ein Energieblitz, so vermutete Anna. Dagegen hätte der Schild geholfen.

Verdammte Amateure, mit denen man sie losgeschickt hatte, dachte Anna verdrossen. Ein Blick vor die geborstene Haustür genügte, um ihr zu zeigen, dass die andere Jägerin auch nicht mehr lebte. Es bot sich ein grässliches Bild einer verkohlten Leiche in unverbrannter Kleidung mit weit aufgerissenem Mund und hohlen Augenhöhlen. Larindra war ihr Name gewesen, soweit sich Anna erinnerte. Sie hatte vor einigen Minuten noch wunderschön ausgesehen. Dem Rat würde das gar nicht gefallen. Anna wandte sich um und durchsuchte die Hütte gründlich. Vieles war zerstört, doch in einem Rezeptbuch für Arzneien stieß sie auf einen Namen. Dr. med. Rawinda Borga. Anna Binsenkraut keuchte auf. Wenn es sich um die Borga handelte, dann hatte sie mehr als Glück gehabt, das eben zu überleben. Borga war eine Legende unter den Hexen. Anna überlegte eine Weile. Wann hatte Borga noch den Vorsitz des Hohen Rates innegehabt? Es muss zu Zeiten von Napoleon gewesen sein, aber man hatte sie wegen schwarzer Magie angeklagt und zum Tode verurteilt. Soweit die Geschichte der Hexen weiter berichtete, war Borga vor ihrer Hinrichtung geflohen und hatte den Rat verflucht. Was genau ihr Fluch aussagte, war nicht überliefert, aber seit dieser Zeit hatte der Rat in Berlin nicht mehr die Bedeutung in der Welt, die er zuvor hatte. Borga hier zu finden, kam einer Sensation gleich. Anna war sich bewusst, dass dies alle in Berlin aufschrecken würde. Doch damit sollte sich der Rat selbst herumschlagen. Sie hatte ihr Ziel erreicht und die Identität der gesuchten Hexe aufgedeckt. Mehr hatte man nicht von ihr verlangt.

Behutsam sammelte sie alle Beweise ein, die sie finden konnte. Nachher würde sie dann die ganze Hütte in Brand stecken. Kein Normalsterblicher durfte sehen, was sich hier befunden hatte.

Beim Durchsehen der Dinge im Hauptraum fand sie noch etwas Merkwürdiges. Es schien ein Splitter eines Kristalls zu sein. Da es durch die Phiolen und anderen Glasdinge abertausende Splitter gab, war es ein Wunder, dass sie diesen überhaupt fand. Er stammte von einem Bergkristall, so viel konnte sie erkennen. Seltsamerweise hatte er sich nachtschwarz verfärbt. Ein Blick in die magische Dimension enthüllte, dass er fast komplett ausgebrannt war. Als sie ihn berührte, flackerte kurz ein schwaches Bild in ihrem Geist von einem kleinen Baby auf. Ein Kribbeln jagte ihren Arm hinauf, aber das Bild verschwand sofort wieder, doch das Kribbeln blieb länger und machte ihren Arm fast taub. Das war in der Tat merkwürdig. Anna konnte sich keinen Reim darauf machen, wickelte den Kristallsplitter vorsichtig in ein Taschentuch und steckte ihn in ihre Hosentasche. In der Küche fand sie einen Kanister mit Petroleum. Sie verschüttete ihn in dem Haus. Als sie ihr Werk schließlich vollendet hatte, ging sie hinaus und zog die Jägerin, die draußen lag, auch hinein. Sie suchte die Taschen ab und fand den Autoschlüssel des Dienstwagens, der auf dem Parkplatz wartete, und nahm ihn an sich. Dann steckte sie das Haus in Brand. Ohne zurückzublicken, lief sie über den Weg zurück. In Berlin würde man große Augen machen.Das

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22 aralık 2023
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9783969010099
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