Kitabı oku: «Blutgrätsche», sayfa 3

Yazı tipi:

Sex mit dem Ex

Keiner kommt hier lebend raus. So ist das mit der großen Stadionuhr. Das Spiel läuft bis zum Abpfiff. Für jeden von uns. Auch wenn du nicht weißt, wann es für dich zu Ende geht. Ob du vielleicht schon vor dem Schlusspfiff rausgenommen wirst oder vom Platz getragen. Deshalb gilt es, jede Sekunde zu nutzen. Eine vergebene Torchance ist für immer verloren. Wir sollten jeden Augenblick genießen, das Leben auskosten, wo es nur geht. Lieben, hassen, emotional sein, uns begeistern. Musik machen. Das ist so einfach gesagt. Aber die Uhr tickt und jeder weiß es.

Es ist noch früh am Morgen, zu früh. Ich sitze in einem Café mit meinem Exmann, Leonhard, dem Frühaufsteher. Wir waren fünf Jahre verheiratet. Acht zusammen. Gute Zeit. Meistens jedenfalls. Wann ist eine Zeit gut? Wenn sie schnell vergeht. Aber dann kriegt man es eben auch gar nicht so mit. Trotzdem.

»Wie läuft es mit der Neuen?«

»Gut. Julia ist großartig.«

»Gut? Das ist gut. Julia. Großartig.«

Er sieht mich an. Noch immer sind wir gut darin, wir zwei, gemeinsam Zeit vergehen zu lassen. Es fühlt sich nicht komisch an wie mit manch anderen.

»Hör damit auf, Nina.«

»Was?«

»Das bringt doch nichts.«

Vielleicht doch nicht so gut. Ich weiß, dass es nichts bringt. Und wenn schon! Wir haben längst getrennte Leben geführt, als wir noch zusammenlebten. Zum Schluss. Heute hängt sein Wohlbefinden von einer anderen ab. Von Julia. Na und? Meins hängt ausschließlich von mir ab.

»Was gibt es denn?«

»Nichts.«

Er lehnt sich zurück und zieht die Augenbrauen hoch. »Du wolltest mich sehen.«

»Ja.«

»Und?«

Konnte ihm noch nie etwas vormachen.

»Sonst bin ich es, der um ein Treffen bittet.«

»Wir haben einen Leichenfund auf dem Schlossberg.«

Jetzt guckt er blöd. Kann ihn noch immer steuern.

»Einen Leichenfund?«

»Es ist Cat.«

»Scheiße. Wirklich?!« Es macht ihn echt betroffen. Offensichtlich. Leo mochte Katrin sehr. Damals. Als er noch nicht alles scheiße fand, was mit mir zu tun hat.

»Mord?«

Ich nicke.

»Das tut mir so leid, Schätzchen.« Wie bei Benzelers zu Hause. Mord. So eine Nachricht über einen Menschen, den man gut kannte, besitzt ziemliche Durchschlagskraft. Da steckt Wucht dahinter. Und es entwickelt sich sofort eine Eigendynamik.

»Bist du mit der Untersuchung beauftragt?«

»Sonst würde ich dich kaum deswegen treffen.«

»Ist bestimmt schwer für dich.«

Muss er das jetzt noch extra herausstellen?

Ja. Wir vier – Katrin, ihr Freund Jo Lederer, Leo und ich –, zusammen mit einigen weiteren von den Ultras, wir waren fanatische Fans und Anhänger. Verschworen. Er zwar weniger, gemäßigter, schon allein deshalb, weil er kein Fußballer ist, sondern Leichtathlet. Aber auch, weil er ein anderer Typ Mensch ist. Er ist immer so, wie soll ich sagen, edel. So weise, so gemäßigt eben. Maßvoll, sagt man wohl. Immer hat er ein Gefühl dafür, wann etwas genug ist. Wann man nicht übertreiben sollte. Das Mittelmaß in Person eben. Wie in unserer Beziehung auch. Er wusste immer, wann ich es übertreibe, ich über das Ziel hinausschieße. Und musste es dann auch sagen. Auch im Streit. Das war so ätzend. Man kann überhaupt nicht provozieren, weil es gleich als unfair entlarvt wird. Und was hat ein Streit überhaupt für einen Sinn, wenn man es nicht übertreiben darf? Das macht einen Streit doch überhaupt erst aus. Wie wenn auf dem Spielfeld einer umgemäht wird und seine Kameraden auf den Foulspieler einstürmen. Es gibt eine Rangelei, der Schiedsrichter geht dazwischen, wird weggeschubst, verliert kurz die Kontrolle, verteilt wenig später gelbe Karten oder gar rote. Das ist doch das Salz in der Suppe. Das pralle Leben. Im Fanblock genauso. Wenn es wild zugeht, die Emotionen lodern. Ein wenig Eskalation und Kontrollverlust machen das Leben erst richtig spürbar.

Aber Leo, Leo wusste immer genau, wann es genug war. Auch als er sich von mir trennte. Als er mir sagte, dass er sich scheiden lässt. Wie ich es hasse. Vernünftig zu sein, immer alles im Griff zu haben. Auch sich selbst. Zum Kotzen.

»Und was willst du jetzt von mir?«

»Wir tappen noch im Dunkeln. Klar, wir arbeiten erst seit gestern daran. Die erste Frage ist natürlich, was könnte es für Motive geben.«

Er nickt. In seiner sachlichen Art. Und hat sich schon wieder im Griff. Ich komme niemals dorthin, wo er sich nach wenigen Minuten bereits befindet: auf dieser Insel von Gelassenheit, auch bei überraschenden Nachrichten oder gar schlechten, wenn’s einmal richtig mies läuft. Deshalb war er früher auch so leistungsfähig bei Wettkämpfen. »Oh, da ist jemand ziemlich gut. Der kann mir gefährlich werden. Da muss ich mir was einfallen lassen.« So macht er das. Mit einer unmenschlichen Coolness nimmt er alles, wie es kommt. Sieht sich die Situation in Ruhe an, analysiert sie, und dann findet er einen Kniff. Und dabei ist er kein Zahlen-, Daten- und Faktenmensch. Eher im Gegenteil, verdammt einfühlsam. Das habe ich geliebt an ihm. Und noch mehr gehasst. Er spürt immer genau, was Sache ist. Auch bei sich. Hat die Situation im Griff – und sich selbst. Leo hat sich verdammt noch mal immer unter Kontrolle.

»Und ich soll dir nun ein Motiv liefern? Oder mit dir überlegen, wer es getan haben könnte?«

»Nachdenken kann ich selbst, Leo. Du bist doch als Beiratsmitglied des Gesamtvereins darüber informiert, wie das Verhältnis zu den Ultras aktuell ist. Gibt es irgendwelche Querelen, schlechte Stimmung oder so?«

Sein Unterkiefer verschiebt sich. Manche Gesichtsausdrücke kommen einem selbst nach Jahren so bekannt vor. So vertraut. »Nicht, dass ich wüsste. Glaubst du nicht eher an Rivalitäten unter den Ultras? Es ging ziemlich zur Sache beim letzten Spiel.«

Eigentlich glaube ich bisher an gar nichts. Ich stochere im Trüben. Zu Beginn einer Ermittlung steckt immer ein gewisser Widerspruch in der Zeitwahrnehmung unserer Arbeit. Die ersten 48 Stunden nach einer Tat sind enorm wichtig, weil die Beweise frisch sind, der Täter seine Deckung noch nicht geordnet hat, womöglich besonders nervös ist. Auf der anderen Seite muss man selbst zuerst ein Gefühl entwickeln für einen Fall. Man kann nicht gedankenlos drauflosstürmen, sondern muss zuerst das Spielfeld abstecken, sondieren und sehen, wie der Gegner aufgestellt ist. Abtasten, langsam ins Spiel finden.

»Die Aalener Fans waren natürlich alle wütend am Sonntag nach dem Spiel«, sage ich zu Leo. »Stehen oben auf meiner Agenda. Aber ein privates Motiv ist ebenso denkbar.«

»Privat?«

Ich sehe ihm lange in seine hübschen grünen Augen. Bemerke irgendwann, dass es zu lange war. »Das mit Hannes war ja schon länger vorbei«, sage ich.

Er nickt. »Ja, sie hat ihm eine böse Abfuhr erteilt. Es gab ein paar, die ihn dafür aufgezogen haben im Verein. Eine Zeit lang hat er darauf ziemlich wütend reagiert. Aber irgendwann war das Thema durch. Auch für die anderen.«

Das Thema war durch. Ist es das je? Meine Berufserfahrung sagt mir etwas anderes. Wenn ich überlege, wie manche Morde zustande kommen, welche Motive in Menschen schlummern und erst nach Jahren urplötzlich herausbrechen wie eine Naturgewalt, die nur darauf wartete, dass es einen kleinen Riss in der Oberfläche gibt. Einen Anlass. Ich sehe meinen Exmann an. Nein, durch ist man mit dem Thema nie. »Weißt du, woran genau es gescheitert ist?«

»Ja, nein. Das mit ihren kleinen Affären und so, das war es nicht. Aber sie hat seinen Antrag abgelehnt. Und sie hat ihm klipp und klar gesagt, dass sie sich keine Kinder wünscht. Er wollte aber welche, und dann entschied er sich irgendwann dazu, einen Schlussstrich zu ziehen.«

Klipp und klar. Einen Schlussstrich ziehen. So ist das im Leben. Manchmal dreht man sich um und geht. Die Frage ist immer, was man dabei mitnimmt.

»Weißt du, ob sie einen neuen festen Freund hatte?«, erkundige ich mich.

»Was verstehst du unter festem Freund?«

Ich weiß. Cat war ein flatterhaftes Ding. Blöder Ausdruck. Könnte von meiner Großmutter stammen. »Wir haben uns schon lange nicht mehr richtig gesehen«, erklärt mir Leo. »Cat und ich. Trafen uns im Stadion ab und zu, umarmten uns, tauschten ein paar Sätze aus.«

»Verstehe.« Immerhin mehr als bei Cat und mir. So ist das. Manchmal zieht man nicht bewusst einen Schlussstrich, sondern verliert sich aus den Augen. »Und unter den Ultras, im Block? Gab es Machtkämpfe?«

Wieder ein Kiefermalmen. »Nicht, dass ich wüsste. Der Capo ist noch recht frisch, seit es Bruno nicht mehr macht. Aber da musst du vor allem die Sozialpädagogen des Fanprojekts fragen.«

»Hm. In Ordnung. Hältst du die Augen und Ohren offen?«

Leo sieht mich an, traurig, und nickt.

Wir sollten jetzt aufstehen. Gezahlt ist bereits. Aber irgendwie tut es keiner von uns beiden.

»Ich war vorgestern bei deinem Vater auf dem Friedhof.«

Ich nicke. »Lass uns in Kontakt bleiben. Und hör dich bitte mal um. Wenn du was mitkriegst, sag mir Bescheid.« Habe ich das nicht gerade schon gesagt?

»Klar.«

Er starrt auf meinen beschädigten kleinen Finger, sieht langsam zu mir auf. Mitleid liegt in seinem Blick. Diesen Gesichtsausdruck habe ich immer an ihm gehasst. Nach meinem Unfall hat er mich eigentlich nur noch so angesehen. Ich kann nicht aufstehen. Warum nicht, verdammt? Irgendwas hält mich zurück.

»Was ist noch?«, frage ich ihn.

»Nina«, er blickt mich todesgütig an, wie Paule, das FCH-Maskottchen. Dann kommt es: »Julia ist schwanger.«

Bääämmm. Das saß.

Blutgrätsche.

Verdammte Kacke. Das musste irgendwann ja kommen. Ich lasse mir nichts anmerken. Leichtathletische Gelassenheit. »Schön. Das freut mich für dich.«

»Nina, ich weiß, das ist merkwürdig, aber…«

»Was? Nein. War ja klar. Hab mir schon gedacht, dass ihr in drei Jahren vielleicht auch mal Beischlaf haben könntet.«

»Nina.«

»Alles gut. Oder ich weiß es nicht, ob es so gut ist wie unser Sex. Aber tun werdet ihr es natürlich. Und das kommt dann dabei raus, wenn man’s richtig macht, oder?«

Sex mit meinem Ex. Bilder in meinem Kopf. Wie das damals war, als wir zwei uns noch miteinander ausbrannten. Körpervollkontakt, so läuft das Spiel. Ohne Schutz und Schienbeinschoner. Wir haben eine nicht unerhebliche Zeit miteinander geteilt, Heim und Herd, Schweiß und Tränen, das Bett auch. Und Lebenslinien. Gemeinsam Vergangenheit und Erinnerungen angesammelt und dann gingen die Linien wieder auseinander. Aber bis zu dem Punkt haben wir viel Gemeinsames im Rucksack. Und gerade blicke ich in meinen hinein, und da liegt noch ziemlich viel Leo oben auf. Bei ihm vermutlich weniger. Weil dort nun so viel Neues drinsteckt. Mit Julia.

»Ja. Wir sind jetzt an einem Punkt in unserer Beziehung, wo …«

»Wann heiratet ihr?«, frage ich – nicht weil ich es wissen will, sondern weil ich nicht die Scheiße darüber hören will, wie toll sein Leben ohne mich ist.

»Haben wir noch nicht darüber geredet.«

Ich krampfe mir ein Lächeln heraus.

Die wird sicher weniger Schmerzen dabei empfinden, das Balg herauszupressen, als es mir wehtut, diesen dämlichen Gesichtsausdruck zu produzieren. So ein Mist!

Dann stehe ich auf, ein bisschen zu schnell. »Alles klar. Leo. Also. Wir sehen uns.« Unverbindlichkeit. Professionalität bitte, Nina.

»Wenn du etwas brauchst …«

»Bis dann, Leo. Wir bleiben in Kontakt«, sage ich, zeige tatsächlich mit dem Finger auf ihn und zwinkere ihm dabei zu wie einem Kollegen. »Wegen der Sache, meine ich.« Er will noch etwas sagen, aber ich bin schon weg.

Weit weg.

Scheiße, Scheiße, Scheiße. Endgültigkeit!

Ich hasse Endgültigkeit.

Es gibt Tage, da denkt man: Das Leben könnte so einfach sein, wenn man tot wäre. Aber das wäre ja auch wieder endgültig.

Theorien kloppen

»Wie war’s mit deinem Exmann?«

»Gut.«

»Gut?«, fragt Berti, grinst. Schröter auch.

Sag mal: Wollen die mich alle verarschen?

Mir ist übel von gestern Abend. Aber den Besprechungsraum fand ich schon immer ätzend. Weil er in der Regel bedeutet, dass der Fatzke auftaucht. Flöhnrieser. Doktor Flöhnrieser. Wie kann man nur so heißen? Ich weiß gar nicht, woher der Name ursprünglich stammt. Spielt auch keine Rolle. Fatzke ist Fatzke, das reicht.

Es klopft, förmlich. Mit dieser falschen Höflichkeit, wie es nur Staatsanwälten möglich ist. Und schon schneit er herein, der Fatzke. Jung und dynamisch, strahlend wie Jürgen Klopp.

»Komme ich zu spät?« Fatzke sieht auf die Uhr. Er weiß genau, dass er auf die Minute pünktlich ist! Lächelt sein Lächeln und mir wird noch übler, dann stellt er sein Aktentäschchen auf den Konferenztisch und reicht jedem voller Elan die Hand. Mir hängt noch der Morgenkaffee mit Leo nach. Ich kann das jetzt nicht. Aber der Doktor kennt keine Gnade. Er ist der Jüngste im Raum. Warum darf der das eigentlich?

»Und, meine Herren und Damen? Was haben wir? Triebmord, Vergewaltigung? Eifersucht? Oder hat’s etwas mit Fußball zu tun?«

Die Art, wie der Fatzke das Wort »Fußball« betont, ist derart herablassend, dass ich ihm am liebsten seine hässliche Krawatte in den Rachen stopfen möchte. Aber Fatzke nimmt das nicht wahr. Ist auch besser so.

»Herr Heinzel, was hat die KTU ergeben?«, fragt er Berti. Ich kann seinen Tonfall schlecht ertragen. Sein extraförmliches Anwaltsgesülze.

»Leider nichts Konkretes«, erklärt Berti. »Keine Mordwaffe. Ihr Handy ist schwer beschädigt. Die Technik arbeitet daran, die Daten zu rekonstruieren.«

»Was sagt die Gerichtsmedizin?«, erkundigt Doktor Föhnbeißer sich weiter und glotzt in die Runde. Das Einzige, was mich oft rettet in solchen Gesprächen, ist das Erfinden von Spitznamen für ihn.

Schröter antwortet ihm: »Todesursache: drei Stiche ins Herz. Ein Fan-Emblem wurde ihr vermutlich post mortem in den Mund gesteckt. Die Male am Körper entstanden wahrscheinlich als Nebeneffekt. Keine Vergewaltigung.«

Berti sieht mich an. »Keine Spermaspuren. Aber Fremd-DNA an der Kleidung. Männliche DNA.«

Das erfahre ich erst in diesem Moment.

»Für mich ist der Fall eindeutig: ein wütender Fan-Rivale aus Aalen«, lege ich mich fest. »Zumindest ist das die naheliegende Schlussfolgerung.«

»Nach Cats Provokation während des Spiels am wahrscheinlichsten«, stimmt mir mein SpuSi Berti zu. »Die waren extrem angefressen, weil sie verloren haben. Und Cat hat sie zusätzlich gedemütigt.«

»Und das Emblem in ihrem Mund passt für mich dazu: Die wollten ihr oft genug das Maul stopfen«, ergänze ich für das Staatsanwaltsjungchen, sehe dann zu Schröter, um zu überprüfen, ob mein Tatortphilosoph mir beipflichtet. Tut er nicht.

»Die Leiche wurde in eine quasi schlafende Position gebracht, nachträglich«, wendet er ein. »Und das Gesicht abgedeckt. Mit jemandem, den ich hasse, mache ich mir diese Mühe nicht. Den will ich erniedrigen und möchte, dass ihn, in diesem Fall sie, alle so sehen.« Ich schüttle sofort den Kopf, aber er redet weiter: »Ich glaube an Eifersucht. Jemand mochte sie, wurde enttäuscht und ist wütend geworden. Und danach wurde ihm bewusst, dass er das eigentlich nicht wollte, und hat sie symbolisch zur Ruhe gebettet, sozusagen.«

»Dazu passt das Emblem im Mund nicht«, widerspricht ihm Berti, und ich sehe es genauso.

Schröter zieht die Schultern hoch. »Oder es war jemand aus den eigenen Reihen, der sich Hoffnungen machte und enttäuscht wurde. Sie war eine attraktive Frau.«

Berti und ich schütteln nun beide den Kopf. »Von den eigenen Fans?«, frage ich. »Weißt du, was für eine eingeschworene Clique die sind? Mach dich nicht lächerlich.«

»Klar«, antwortet Schröter. »Die Rivalen sind der erste Gedanke. Und das Emblem im Mund deutet darauf hin. Aber das ist mir ein viel zu respektvoller Umgang mit jemandem, der sie so runtergeputzt hat.«

Das versteht er nicht. »Nein, Schröter. Die Ultras sehen das anders. Für die stellen die Provokationen im Stadion keine persönliche Angelegenheit dar. Das ist ein Wettstreit darum, wer das Duell der Kurven gewinnt. Provokationen gehören dazu. Und wenn es eine gute ist, dann respektiert man das.«

Schröter sieht mich skeptisch an. »Eine gute Provokation?«

»Ja, Schröter. Eine kreative.« Mein Partner scheint nicht überzeugt. Ich lege nach: »Für mich ist das ein völlig homogener Gedanke: Du bist wütend, es kommt zum Streit, die Emotionen kochen hoch, und dann geschieht es. Aber aus Respekt vor dem, was Cat als Heldin der Osttribüne und als Ultra geleistet, wie engagiert sie ihren Verein supportet hat, legst du sie hin wie schlafend. So hast du es doch ausgedrückt.«

Ich blicke zu Berti, und der sieht es offensichtlich genauso.

»Versteh ich nicht«, meint Schröter. »Für mich wäre das nur so denkbar: Katrin Benzeler behandelt die gegnerischen Fans respektlos und erhält dafür die Quittung. Dann wirfst du den Leichnam aber in den Dreck und bist mit ihr fertig.«

Wir starren uns alle an. Ach ja. Ich liebe meinen Job.

Aber mein Philosoph ist nicht durch damit. Ich sehe schon, gleich kommt noch was. Na. Wann? Jetzt.

»Wage es, hinter das Offensichtliche zu blicken«, meint er. Da haben wir’s ja. »Vielleicht ist das Emblem im Mund auch nur eine Finte. Inszeniert für uns, um von dem persönlichen Motiv abzulenken. Jemand mochte sie dafür, was sie war, aber hasste es dagegen, wie sie war. Dann wäre es jedoch ebenfalls ein Beziehungsdelikt.«

Gut. Auch nicht unplausibel.

»Okay. Das sind alles schöne Theorien«, meint der Fatzke nun. »Aber halten wir uns an die Fakten. Wie wollen Sie vorgehen?«

»Zunächst das nähere Umfeld abstecken. Rausfinden, ob sie aktuell mit jemandem zusammen war. Damit haben wir bereits begonnen.« Ich sehe zu Schröter. »Eine Beziehungstat ausschließen. Parallel dazu die Fans aus Aalen ins Visier nehmen.«

»Das Emblem, post mortem in den Mund gesteckt. Haben wir einen Psychopathen?«, fragt sich Flöhnrieser laut. »Müssen wir die vom Sexualdelikt dazuholen?«

Bevor ich aufspringen und abwehren kann, klingelt Schröters Handy. »Die Gerichtsmedizin.« Er geht ran. »Aha. Okay. Wirklich!?«

Schröters Augen werden größer. Was ist?

»Verdammt.«

Was?

»Übersehen?«

Was denn? Was ist los?

»Danke.« Schröter blickt betroffen in die Runde. »Katrin Benzeler war schwanger.«

Menopause

»Das werde ich den Benzelers nie und nimmer sagen!«, blaffe ich und lasse den Motor aufheulen. Im Leben nicht! Kann machen, wer will. Ich nicht!

»Verändert die Sachlage nochmals«, bemerkt Schröter auf dem Beifahrersitz.

Als ob ich das nicht selbst wüsste. Schwanger verändert einfach alles!

Der Kopf dreht sich. Too much information. Meine Welt wankt. Nicht, dass ich das nicht kenne. Sie geriet die letzten Jahre bei der Kripo des Öfteren aus dem Gleichgewicht, aber nicht so grundsätzlich. Diesmal schwankt mehr, viel mehr. Mein komplettes, eh schon fragiles Seelengefängnis wird in Gänze durchgeschüttelt.

»Zumindest macht es meine Theorie wahrscheinlicher«, meint mein Partner.

»Ja, ja. Eine Beziehungstat. Geschenkt.« Bin trotzdem nicht davon überzeugt.

Wir sind auf dem Weg in die Ulmer Hauptzentrale, um dort zwei SKB-Beamte zu treffen. »Szenekundige Zivil-Beamte«, die verdeckt im Fußballbereich agieren. Der Fatzke bestand darauf, dass wir mit ihnen sprechen. Ob das Erkenntnisse bringt, kann ich nicht einschätzen. Als ich noch bei den Schwestern war, gab es die ebenso wenig wie das Fanprojekt oder die Sozialpädagogen. Aber ich muss dem Fatzke beipflichten: Die Beamten könnten zumindest eine Ahnung davon haben, was abläuft. Vermutlich schmeckt es mir nur nicht, weil es von ihm kommt und eine dienstliche Anordnung war.

»Schnittig.«

»Was?«

»Du hast einen schnittigen Fahrstil heute.«

»Passt dir was nicht?«

»Ich sag’s nur.«

»So fahr ich immer.«

»Nina. Manchmal bist du echt anstrengend.«

Absurd. Es macht mich wütend, dass ich immer so wütend werde. Bin. Eigentlich bin ich es, permanent. Zumindest fühlt es sich so an. Und das macht mich dann oft zusätzlich wütend, wenn ich mir das klarmache.

»Sie war also schwanger.«

»Warum hör ich nur überall schwanger?«, frage ich und verschalte mich. »Weil ich so zielstrebig auf die Menopause zudrifte?« Ich haue den Gang mit Gewalt rein. Schröter verzieht das Gesicht und lacht. »Manchmal denke ich: Ich stecke schon mittendrin.«

»Ich auch.«

»Schröter. Du bist ein Kerl und 35.«

»Ich meine: Ich denke manchmal auch, dass du schon mittendrin steckst.«

»Alter! Vorsichtig!«

Diese Scheiße hat also nicht nur ein Leben gekostet, sondern zwei. Cat trug einen kleinen Menschen in sich. Ob der Mörder das wusste? Wie hat er sie dann angesehen, danach? Mir wird übel.

»Hat die Analyse ihres Notebooks eigentlich etwas ergeben?«

Schröter schüttelt den Kopf. Bisher keine Auffälligkeiten, erklärt er mir. »Ihrem Unternehmen ging es nicht besonders gut.«

»Was heißt: nicht besonders gut?«, blaffe ich ihn an.

»Schulden. 60.000.«

»Pffff.«

»Da ging ein relativ hoher Betrag vom Konto ab. Bar abgehoben. Immer am 15. des Monats. Nicht ersichtlich, was sie damit machte.«

»Und?«

»Es gab vor einigen Jahren Ermittlungen wegen Schutzgeldforderungen von Rockerbanden.«

Ich blicke ungläubig zu ihm. »Bei Copy-Shops?«

»Egal was für Läden. Sieh auf die Straße, Nina!«

Ich halte das wirklich für äußert unwahrscheinlich. Außerdem kann ich gerade eh keinen klaren Gedanken fassen. Zu präsent und hässlich ist das alles.

Wütend haue ich den Gang ins Getriebe. Der Motor heult auf. Schröter auch, aber nur innerlich. Mehr getraut er sich nicht. Zumutung. Das Ganze ist eine einzige Zumutung. Katrin, das Stadion, ihre Eltern. Alles!

Und was geschieht? Ich schlage um mich. Wie ich es eigentlich immer tue. Auch ich bin eine Zumutung. Behindert. Ich bin einfach behindert. Seit damals.

»Nachher fahre ich«, meint Schröter.

»Vergiss es.«

Böser Tonfall. Nina! Der Psycho-Onkel sagt, ich sei verletzt. Meine Seele sei »verletzt«. Und deshalb sei ich oft so verletzend. Das tröstet natürlich keinen einzigen meiner Mitmenschen.

»Warum hast du eigentlich keine Kinder?«

»Schnauze, Schröter.«

Manche haben es aber auch nicht anders verdient.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
305 s. 9 illüstrasyon
ISBN:
9783839267004
Yayıncı:
Telif hakkı:
Автор
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