Kitabı oku: «Der Altersfaktor beim fortgeschrittenen Zweitspracherwerb», sayfa 2

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2.1.1 Erstspracherwerb

Der Erstspracherwerb ist ohne Zweifel eine der komplexesten und faszinierendsten kognitiven Leistungen des Menschen. Schon ungefähr zwischen dem fünften und dem neunten Lebensmonat sind Kinder normalerweise imstande, Phrasenstrukturgrenzen zu erkennen. Im zweiten Lebensjahr tauchen in ihrer Sprache in der Regel erste Mehrwortäußerungen und Umstellungen der Satzgliedreihenfolge auf (vgl. Philippi & Tewes, 2010: 19).

Erstaunlich ist insbesondere, dass alle Kinder, bis auf einige wenige Einzelfälle1, in der Lage sind, trotz unzureichender Evidenz ein so komplexes System wie die Grammatik einer natürlichen Sprache zu erwerben. Das Sprachmaterial, das Kindern zur Verfügung steht, ist nicht nur unvollständig und fehlerhaft, sondern vor allem zu wenig, als dass die grammatische Kompetenz allein auf seiner Basis aufgebaut werden könnte. Dieses logische Problem des Spracherwerbs wird innerhalb der Linguistik als Spezialfall von Platons Problem2 aufgefasst:

„For many years, I have been intrigued by two problems concerning human language. The first is the problem of explaining how we can know so much given that we have such limited evidence. (…) The first problem we may call Plato’s problem.“ (Chomsky, 1986: XXV)

Der sprachliche Input, der von Kindern aufgenommen wird, ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unterdeterminiert, weil er – im Gegensatz zum von Kindern erworbenen Wissen, das aus Regeln und Prinzipien zusammengesetzt ist – aus konkreten Äußerungen besteht, die nur als ein kleiner Ausschnitt der in einer Sprache möglichen Sätze zu betrachten sind. Darüber hinaus vollzieht sich der Erwerb des grammatischen Wissens allein auf der Grundlage positiver Evidenz, d. h. Kinder bekommen keinen Aufschluss darüber, welche Strukturen in ihrer Sprache ungrammatisch sind. Die Eltern konzentrieren sich eher auf den Inhalt einer Äußerung und lassen die grammatische Korrektheit außer Acht. Wenn sie aber doch grammatische Korrekturen vornehmen, werden sie von Kindern kaum beachtet (vgl. z. B. Pinker, 1984: 29). Das Problem der qualitativen und quantitativen Unterdeterminiertheit des grammatischen Wissens von Kindern durch die ihnen verfügbare Evidenz wird im Rahmen des generativen Ansatzes durch einen Verweis auf ein angeborenes, genetisch determiniertes Sprachprogramm gelöst.

Es besteht eine Reihe von Argumenten, die die Annahme eines angeborenen sprachlichen Wissens kräftig unterstützen, darunter der Spracherwerb bei sprachlich-sozialer Isolation. Ein klassischer Fall ist das „wilde“ Mädchen Genie, das seine Kindheit bis zum 13. Lebensjahr in völliger Abgeschlossenheit verbracht hat und deswegen keinerlei Kontakt mit der Sprache hatte. Trotz zahlreicher Fortschritte in der kognitiven Entwicklung, z. B. in der visuell-räumlichen Perzeption, war sie nicht imstande, das syntaktische und morphologische Wissen ihrer Muttersprache zu erwerben. Zwar hat Genie ein relativ komplexes Lexikon aufgebaut, wodurch sie mit der Zeit Mehrwortäußerungen produzieren konnte, sie waren aber immer noch ungrammatisch (vgl. Klann-Delius, 2016: 67).

Ein weiterer Beweis für die Existenz angeborener Prädispositionen liefern die Pidgin- und Kreolsprachen. Als Pidgin wird ein meist vor dem Hintergrund der Migration entstandenes Kommunikationssystem bezeichnet, das infolge des Kontaktes zwischen Sprechern verschiedener Sprachen herausgebildet wird und sich durch vereinfachte grammatische Strukturen sowie ein schlichtes Vokabular charakterisiert. Wenn ein Pidgin zu einer Muttersprache der nächsten Generationen wird, handelt es sich dann um eine Kreolsprache. Obschon sie auf der Basis einer stark reduzierten Sprachform entsteht, ist sie komplex und weist universale Struktureigenschaften auf. Darüber hinaus entstammen manche ihrer Eigenschaften weder der Muttersprache der Eltern noch der Umgebungssprache. Dies hat Bickerton (1981) dazu veranlasst, die universalistische These zu formulieren, welche besagt, dass den Pidginsprachen ein Bioprogramm von Sprache zugrunde liegt. Die Markierung von Tempus, Modus und Aspekt durch Partikeln vor dem Verb kann als eine universale Tendenz in Kreolsprachen angesehen werden (vgl. z.B. Riehl, 2014b: 126).

Eine Spracherwerbstheorie, die von einer angeborenen Grundausstattung ausgeht, muss den Anfangszustand der Sprachfähigkeit charakterisieren können. Nach Grewendorf (2002a: 12) müssen linguistische Hypothesen über den Anfangszustand folgenden Ansprüchen gerecht werden:

1 Eine Hypothese über den Anfangszustand muss restriktiv genug sein, um als Lösung für die linguistische Version von Platons Problem zu überzeugen.

2 Eine Hypothese über den Anfangszustand muss liberal genug sein, um mit der Verschiedenheit natürlich-sprachlicher Grammatiken kompatibel zu sein.

3 Eine Hypothese über den Anfangszustand muss es erlauben, den Erwerb einer einzelsprachlichen Grammatik aus der Interaktion von Anfangszustand und sprachlichem Input des Kindes zu erklären.

Diese Bedingungen gehen in der Prinzipien- und Parameter-Theorie (PPT) von Chomsky (1981, 1986) in Erfüllung, die den eigentlichen Anfang eines universalgrammatischen Ansatzes markiert und infolge ihrer großen Erklärungskraft und damit einhergehender Erfolge als zweite kognitive Revolution bezeichnet wird (vgl. Grewendorf, 2002a: 7). Die PPT kann als Beschreibung der Universalgrammatik (UG) in Form von universalen Prinzipien angesehen werden. Als Anfangszustand des Spracherwerbs determinieren sie die zielsprachliche Grammatik, also den Endzustand des Spracherwerbs. Die Prinzipien sind deswegen universal, weil sie allen Sprachen der Welt zugrunde liegen. Als Beispiel kann hier das Prinzip dienen, dass Nomina durch Adjektive modifiziert werden können (vgl. Philippi & Tewes, 2010: 26). Die Stellung des Adjektivs ist aber sprachspezifisch, worüber die Parameter entscheiden, die für einzelsprachliche Variationen zuständig sind. Sie nehmen auf der Grundlage des zielsprachlichen Inputs verschiedene Werte an, die anfangs noch unspezifiziert sind. Die Festlegung der Werte in Abhängigkeit von der Einzelsprache wird als Fixieren von Paramatern bezeichnet. Dafür braucht ein Kind nur einfache Inputdaten, was das logische Problem des Spracherwerbs lösen lässt. Ein weiteres Prinzip kann das Wissen um die universalen Merkmale der Phrasenstruktur, d. h. das X-bar-Schema sein. Parametrisiert ist jedoch die Position des Phrasenkopfes, die festgelegt werden muss (vgl. Chomsky, 1981: 48f.).

Die einzelsprachlichen Regularitäten, die aus den Prinzipien und Parametern der Universalgrammatik abgeleitet werden können, machen den Kernbereich der Sprache aus, wohingegen die restlichen sprachlichen Aspekte, die erlernt werden müssen, zur Peripherie gehören. Rothweiler (1993: 140) weist beispielsweise darauf hin, dass sich der Erwerb von Nebensätzen im Deutschen teils parametrisiert, teils peripherisch vollziehen kann. Dabei muss einerseits ein rein kerngrammatisches Wissen über Rektion, Kongruenz und Genuszuweisung auf eine neue Struktur übertragen werden; andererseits spielt auch die Erweiterung des kindlichen Lexikons eine bedeutsame Rolle. Die Universalgrammatik ist modular aufgebaut, d. h. die Prinzipien sind spezifischen Modulen zuzuordnen, die zusammenwirken und damit für die grammatische Kompetenz konstitutiv sind (vgl. Grewendorf, 2002a: 13). In der PPT werden zwei Gruppen von Subkomponenten angenommen: (1) Module der Grammatik und (2) Subsysteme der Prinzipien:3

„UG consists of interacting subsystems, which can be considered from various points of view. From one point of view, these are the various subcomponents of the rule system of grammar. From another point of view, which has become increasingly important in recent years, we can isolate subsystems of principles.“ (Chomsky, 1981: 5)

In der PPT spielt die Unterscheidung zwischen funktionalen und lexikalischen Kategorien eine Schlüsselrolle. Zu den lexikalischen Kategorien gehören: N(omen), V(erb), A(djektiv) und P(räposition). Sie haben einen deskriptiven/semantischen Inhalt und bilden eine offene Klasse, die ständig erweitert werden kann. Zu den funktionalen Kategorien werden im nominalen Bereich D(eterminant) und N(umerus), im verbalen Bereich hingegen C(omplementierer), AGR(eement) und T(empus) zugerechnet. Sie erfüllen grammatische Funktionen und stellen eine Menge von abstrakten formalen Merkmalen dar. Nur die funktionalen Kategorien sind parametrisiert, was zur Folge hat, dass Unterschiede zwischen einzelnen Sprachen auf unterschiedliche Merkmale der funktionalen Kategorien zurückzuführen sind. Die lexikalischen Kategorien werden vom Kind früher erworben als die funktionalen (vgl. Parodi, 1998: 14; Schmitz, 2006: 16).

Für die vorliegende Arbeit sind nun folgende zwei Parameter relevant, die mit dem Aufbau der Satzstruktur in der deutschen Sprache zusammenhängen: der V2-Parameter (Platzack, 1983; Koopman, 1984; vgl. auch Slabakova, 2016: 224) und der OV/VO-Parameter4 (Neeleman, 1994; vgl. auch N. Müller, 1998). Der Erstere wird im Deutschen auf den Wert [+V2] fixiert, was dazu führt, dass das finite Verb im Hauptsatz obligatorisch in die zweite Position bewegt wird. Der V2-Parameter ist auch mit dem Erwerb der Negationsstellung verbunden (vgl. Kapitel 4.2.1). Der Letztere legt die Kopfstellung in der Verbalphrase fest und bezieht sich auf die interne Struktur des Satzes. Das Deutsche wird als eine OV-Sprache klassifiziert, weil sich das direkte Objekt sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen vor dem infiniten Verbteil befindet. Das Polnische dagegen ist keine V2-Sprache und weist die VO-Abfolge auf, weil die VP im Gegensatz zum Deutschen linksköpfig ist (vgl. Mecner, 2005: 130–138).5

Dabei gilt es zu fragen, wie diese Parameter festgelegt werden. Im Rahmen des generativen Ansatzes wird das Fixieren von Parametern als ein kognitiver Prozess beschrieben, der aufgrund von Triggering zustande kommt (vgl. Meisel, 2011: 52). Das Festlegen von den für die Einzelsprachen geltenden Werte wird demnach durch den Input getriggert.6 Dieser Prozess geschieht schnell und nur aufgrund einfacher Inputdaten. Die Vorkommenshäufigkeit und Salienz der relevanten Strukturen im Input sollen dabei eine untergeordnete Rolle spielen. Damit aber das Kind nötige Informationen aus dem Input extrahiert, muss zuerst eine Reihe von quantitativen wie auch qualitativen Vorbedingungen erfüllt werden. Sie können aber leider im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden.7

Die generative Sprachtheorie wurde im Laufe der Zeit mehreren Revisionen unterzogen, wozu eine systematische Forschungstätigkeit beigetragen hat. Viele theoretische Annahmen haben sich als insuffizient erwiesen, um das Phänomen des Spracherwerbs adäquat zu explizieren; infolgedessen wurde auch die PPT stark modifiziert, was zur Entstehung des Minimalistischen Programms (Chomsky, 1995) geführt hat.8 In Hinblick auf die in der PPT eingeführte Konzeption der Parameter wird im Rahmen des Minimalistischen Programms angenommen, so Möhring (2005: 56), dass Parametrisierungen einerseits nur auf formale Merkmale, andererseits auf das Verhältnis zwischen Morphologie und Syntax zurückzuführen sind. Da diese Modifikationen für die vorliegende Studie nicht von großer Relevanz sind, werden sie nicht näher behandelt.

Eine der fundamentalen Fragen in der generativen Erstspracherwerbsforschung ist, wann universale Prinzipien in die mentale Grammatik des Kindes implementiert werden. Als Antwort bieten sich zunächst zwei sich zuwiderlaufende Hypothesen an: die Reifungshypothese (Felix, 1984, 1992; Borer & Wexler, 1987) und die Kontinuitätshypothese (Pinker, 1984).9 Im Rahmen der Reifungshypothese wird argumentiert, dass die universalgrammatischen Prinzipien nach einem genetisch vorprogrammierten Reifungsschema erst später im Spracherwerb in Kraft treten (Felix, 1984: 142). Die Entfaltung der universalen Prinzipien kann dieser Hypothese zufolge mit der Reifung des Gehirns gleichgesetzt werden, wobei die Bedeutung der Umgebung wesentlich geschmälert wird:

„Like any other instance of biological maturation, the principles take time to develop, but the particular character of experience during this time is not what makes the principles develop.“ (Borer & Wexler, 1987: 124)

Nach der Reifungshypothese (Felix, 1984, 1992; Borer & Wexler, 1987) geht der Syntaxerwerb somit mit dem Heranreifen kognitiver Fähigkeiten des Kindes einher, deswegen werden zunächst einfache Strukturen in die mentale Grammatik inkorporiert. Die mentale Grammatik kann laut Möhring (2004: 13) aus diesem Grund anfangs noch nicht UG-konform sein, denn es bedarf Zeit, damit die universalen Prinzipien im Gehirn heranreifen. Zwar liefert der Ansatz eine Erklärung dafür, warum bestimmte Parameter zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt werden, sie kann aber keinen Aufschluss über die interne Logik des Spracherwerbs geben. Die Kontinuitätshypothese (Pinker, 1984) geht demgegenüber davon aus, dass in der Kindersprache die gleichen Kategorien und Relationen auftreten wie in der Sprache von Erwachsenen. Der Spracherwerb verläuft in einer Reihe aufeinanderfolgender Stadien, die jeweils durch die Universalgrammatik restringiert sind. Der Übergang von einer Erwerbsstufe in die nächste erfolgt aufgrund von Informationen, die das Kind den gehörten und verarbeiteten Äußerungen entnimmt.

Wenn das universalgrammatische Wissen dem Kind von Anfang an zur Verfügung steht, ist zu fragen, warum sich die grammatische Kompetenz eines Kindes von der eines Erwachsenen unterscheidet. Als Lösungsvorschlag kann z. B. die Hypothese des lexikalischen Lernens (z. B. Clahsen, 1988a) angesehen werden, nach der der Erwerb lexikalischer Elemente als Trigger für die Ingangsetzung der universalgrammatischen Prinzipien und für das Fixieren offener Parameter fungiert; der Grammatikerwerb hängt danach mit dem sukzessiven Lexikonzuwachs zusammen (vgl. Clahsen, 1988a: 246). Das kommt laut neueren generativen Theorien des mentalen Lexikons daher, dass ein Lexem nicht nur aus Informationen über die Lautstruktur und Bedeutung besteht, sondern auch morphosyntaktisches Wissen umfasst (vgl. Siebert-Ott, 2001: 45f.).

Eine andere Lösung liefert die Strukturaufbauhypothese (Guilfoyle & Noonan, 1992). Sie nimmt an, dass Kinder anfangs nur lexikalische Kategorien anwenden und funktionale Kategorien erst sukzessiv erwerben. Die Struktur der Kindersprache wächst allmählich heran, wobei jede Stufe des Spracherwerbs von universellen Prinzipien eingeschränkt ist, wodurch die kindliche Grammatik immer mit der Universalgrammatik übereinstimmt. Die Strukturaufbauhypothese setzt somit keine Rekonstruierung der Grammatik, sondern vielmehr ihre sukzessive Ergänzung um neue Struktureinheiten voraus. In Hinblick auf die Wortstellung zeigen die Autoren, dass Kindern zuerst nur lexikalische Kategorien zugänglich sind, funktionale Kategorien, z. B. Kongruenz und Flexion, hingegen erst später erworben werden. Angesichts der Erkenntnis, dass der Erstspracherwerb in einer Reihe von geordneten Phasen verläuft, und dass der Erwerb verschiedener Phänomene zeitlich zusammenfällt, scheint die Strukturaufbauhypothese überzeugender zu sein.10 Es ist aber nach Verrips (1990: 20) zu konstatieren, dass keine der beiden Extrempositionen, mit der Reifungshypothese auf der einen Seite und der Kontinuitätshypothese auf der anderen Seite, unkritisch annehmbar ist. Den Spracherwerb hat man sich vielmehr als Interaktion zwischen Maturation und Lernen vorzustellen.

Man darf nicht vergessen, dass es auch andere Erstspracherwerbsansätze gibt, darunter vor allem interaktionistische und kognitivistische, aber auch die in letzter Zeit gefragten gebrauchsbasierten Theorien. Sie betonen jeweils andere Faktoren, z. B. den großen Einfluss der Interaktion mit der Umgebung auf den Erfolg beim Spracherwerb im Falle des Interaktionismus oder die Rolle der allgemein-kognitiven Fähigkeiten bzw. Intelligenz im Falle des Kognitivismus (vgl. z. B. Klann-Delius, 2016). Allerdings haben sie der Forschung zum Wortstellungserwerb aus mehreren Gründen wenig anzubieten und werden daher in diesem Rahmen nicht miteinbezogen.11

Aus dem Vorangegangenen ist ersichtlich, dass der generative Ansatz schlagkräftige Antworten auf Fragen liefert, mit denen sich die Spracherwerbsforscher seit Langem auseinandersetzen. Er erfreut sich der längsten Forschungstradition, was zur Folge hat, dass er zahlreiche Erstspracherwerbshypothesen hervorgebracht hat, die zur Klärung der sprachlichen Entwicklung maßgeblich beigetragen haben. Der generative Ansatz hat nicht zuletzt die Erstspracherwerbsforschung revolutioniert und erschüttert, wodurch alternative Theorien ausgearbeitet wurden, die Chomskys Annahmen oft vervollkommnen oder aber infrage stellen wollen.

2.1.2 Zweitspracherwerb

Der Zweitspracherwerb ist im Vergleich zum Erstspracherwerb kein einheitliches Phänomen, weil der Weg zur Beherrschung einer zweiten Sprache in Abhängigkeit von diversen internen und externen Faktoren verschiedene Formen annehmen kann. So betont Meisel (2008: 56f.): „L1 and L2 are fundamentally different, meaning that the two types of learners acquire qualitatively different types of linguistic knowledge“. In der Fachliteratur herrscht Übereinstimmung darüber, dass sich die Prozesse des Erst- und Zweitspracherwerbs in vielen wesentlichen Punkten voneinander unterscheiden. Da die L1/L2-Divergenzen in Hinblick auf alle Subsysteme und Fertigkeiten erforscht werden können, stellen sie einen enorm komplexen Problembereich dar.1 Dennoch lassen sich einige übergreifende Unterschiede zwischen dem Erst- und Zweitspracherwerb spezifizieren, von denen die meisten Forscher ausgehen (vgl. Meisel, 2008: 57):

1 Anfangszustand des Spracherwerbs (initial state): Die Äußerungen der Zweitsprachlerner sind länger, möglicherweise komplexer und enthalten funktionale Kategorien.

2 Erwerbsverlauf (course of acquisition): Sowohl der Erstspracherwerb als auch der Zweitspracherwerb sind durch invariante Entwicklungssequenzen gekennzeichnet, die jedoch nicht identisch sind.

3 Schnelligkeit des Spracherwerbs (rate of acquisition): Die Erstsprache wird schneller erworben als die Zweitsprache.

4 Einheitlichkeit des Spracherwerbs (uniformity): Beim Zweitspracherwerb ist eine stärkere Variation sowohl auf der interindividuellen als auch auf der individuellen Ebene zu beobachten.

5 Endzustand des Spracherwerbs (ultimate attainment): Im Gegensatz zu einsprachigen Kindern erreichen wenige (oder keine) Zweitsprachlerner muttersprachliches Niveau.2

Der unterschiedliche Anfangszustand beim Zweitspracherwerb hat mindestens zwei Ursachen: Erstens ist das zur Verfügung stehende Wissen am Anfang des Erwerbsprozesses grundsätzlich ein anderes, weil die Zweitsprachlerner auf ihre Erstsprache zugreifen können; zweitens schaffen die bei ihnen weiter entwickelten kognitiven Fähigkeiten mehr Möglichkeiten beim Lernen, Speichern und Verarbeiten von Sprache (vgl. Meisel, 2007a: 99). Die Tatsache, dass der Ausgangspunkt des Zweitspracherwerbs von dem des Erstspracherwerbs divergiert, muss notwendigerweise auch den Erwerbsverlauf beeinflussen, weil „ein gleiches Ziel von unterschiedlichen Startpunkten aus nicht auf gleichem Weg erreicht werden kann“ (Meisel, 2007a: 99). Die aufgelisteten Unterschiede können sicherlich auch dadurch erklärt werden, dass der Zugang zur Universalgrammatik beim Zweitspracherwerb nur teilweise oder gar nicht möglich ist (vgl. Kapitel 4.3.1). Die meisten dieser Variationen werden im Rahmen des generativen Ansatzes einleuchtend erklärt. Er ermöglicht es auch, präzise Hypothesen über den Zweitspracherwerb aufzustellen und zu verifizieren.3

Im Mittelpunkt der generativen Zweitspracherwerbsforschung stand schon immer die Frage, wie das grammatische Wissenssystem einer Zweitsprache zu Beginn und im Verlauf des Erwerbs beschrieben und erklärt werden kann (vgl. z. B. Rothman & Slabakova, 2018: 419). Dabei wird, genauso wie im Falle des Erstspracherwerbs, auf die Universalgrammatik zurückgegriffen. Daraus resultiert die Kontroverse um den Anfangszustand des Zweitspracherwerbs, also die Frage, inwieweit das universalgrammatische Wissen die Entwicklung der Zweitsprache steuert. Zahlreiche Studien zeigen, dass L2-Grammatiken tatsächlich von der Universalgrammatik beeinflusst werden können:

„Die L2-Grammatiken weisen Eigenschaften auf, die nicht dem L2-Input, der Erstsprache der Lerner, dem Lehrverfahren, dem expliziten Lernen oder allgemeinen kognitiven Fähigkeiten entstammen können und für die nur eine Erklärung innerhalb der UG vorgelegt worden ist.“ (Sopata, 2009: 89)

Betroffen sind aber nicht zufällige Aspekte der Zweitsprache, sondern Parameter, die dank dem Input fixiert werden. Dies hat zur Folge, dass die Variabilität der L2-Grammatiken eingeschränkt ist. Im Rahmen des generativen Ansatzes wird ferner untersucht, auf welche Art und Weise die universalen Prinzipien die Entwicklung der Zweitsprache beeinflussen und inwieweit (wenn überhaupt) sich die Struktur der Erstsprache auf die L2-Grammatik auswirkt, wobei hauptsächlich funktionale Kategorien anvisiert werden. Während sich die meisten Forscher darüber einig sind, dass die Zweitsprachlerner die universalen Prinzipien zur Verfügung haben, vertreten sie jedoch unterschiedliche Meinungen bezüglich des Erwerbs von Merkmalen der funktionalen Kategorien (vgl. Sopata, 2009: 90). Dies ist insofern wichtig, als verschiedene Merkmale der funktionalen Kategorien unterschiedliche Phänomene in den einzelnen Sprachen, z. B. unterschiedliche Wortstellungsregularitäten, nach sich ziehen.

Die Hypothesen zum Anfangszustand des Zweitspracherwerbs differieren in Abhängigkeit davon, wie sie den Einfluss der Erstsprache und den Zugang zur Universalgrammatik auffassen:

„One source is the native grammar, and how much of it constitutes the initial hypothesis for the L2 grammar. Full transfer, partial transfer, and no transfer were all proposed. The other possible source of knowledge, relevant for later stages of acquisition beyond the initial state, was access to UG, based on the L2 linguistic experience. Thus, full access, partial access, and no access to UG were discussed.“ (Slabakova, 2016: 2016)

Ein voller Zugang zur Erstsprache und zur Universalgrammatik wird in der vielzitierten Full Transfer/Full Access Hypothesis von Schwartz und Sprouse (1994, 1996) angenommen. Der Initialzustand des Zweitspracherwerbs wird hiernach durch die volle L1-Grammatik mit allen L1-Parameterwerten konstituiert, die sozusagen kopiert werden, ohne das Original zu modifizieren. Die mentale Repräsentation der Lernersprache beinhaltet von Anfang an funktionale Kategorien und ihre Merkmale. Der Transfer betrifft die zugrunde liegenden Strukturen und Parameterwerte der Erstsprache, weshalb sich die frühen Stadien des Zweitspracherwerbs nicht unbedingt an der Oberfläche der Erstsprache orientieren müssen. Wenn die übernommenen L1-Repräsentationen mit dem L2-Input nicht kompatibel sind, wird auf die UG-Optionen zurückgegriffen, die in der Erstsprache nicht vorhanden sind. Die Interimssprache4 ist somit stets durch die Universalgrammatik restringiert, was aber nicht bedeutet, dass sie sich in späteren Phasen zur vollen Grammatik der Zielsprache entwickeln muss. Die der Zweitsprache nicht entsprechenden Grammatiken sind insbesondere dann zu erwarten, wenn die Eigenschaften der Erstsprache zu einer Inputanalyse führen, die von der Inputanalyse der L2-Muttersprachler abweicht (vgl. auch White, 2003: 68). Das Erreichen der zielsprachlichen L2-Grammatik ist dieser Hypothese zufolge „possible but not inevitable“ (White, 2003: 94).

Die Full Transfer/Full Access Hypothesis von Schwartz und Sprouse (1994, 1996) wird von Westergaard et al. (2019) einer Kritik unterzogen und durch das Full Transfer Potential ersetzt. Nach diesem Konzept bildet die Erstsprache zwar den Initialzustand des Zweitspracherwerbs, jedoch nur in dem Sinne, dass sie immer aktiv bleibt; sie wird nicht als Ganzes übernommen bzw. kopiert. Potenziell können alle L1-Eigenschaften transferiert werden, dies darf aber nur schrittweise geschehen (property-by-property transfer). Wenn der Lerner dem L2-Input ausgesetzt wird, versucht er, ihn zuerst mithilfe der Erstsprache zu verarbeiten. Wenn der L2-Input mit der Erstsprache vereinbar ist, kommt ein Transfer zustande. Anderenfalls muss der Lerner auf die Universalgrammatik zurückgreifen. Westergaard et al. (2019) argumentieren, dass die L2-Grammatik zu Beginn des Zweitspracherwerbs noch nicht vollständig ist, sondern aufgrund der Interaktion zwischen Input und Universalgrammatik wie auch aufgrund des L1-Transfers inkrementell aufgebaut wird. Obwohl sie keine expliziten Aussagen über den Endzustand treffen, kann man dem theoretischen Rahmen dieser Hypothese unterstellen, dass die Lerner die zielsprachliche Grammatik letztendlich erwerben.

Zu den Hypothesen, die den Zugang sowohl zur Erstsprache als auch zur Universalgrammatik postulieren, gehört darüber hinaus die Minimal Trees Hypothesis von Vainikka und Young-Scholten (1994, 1996). Sie nimmt den vollen Zugang zur Universalgrammatik an, aber lässt nur den Transfer der lexikalischen Kategorien zu. Die funktionalen Kategorien sind dagegen in der frühen Erwerbsphase abwesend. Die Hypothese knüpft an die Strukturaufbauhypothese von Guilfoyle & Noonan (1992) an, die für den Erstspracherwerb entwickelt wurde. Wie Sopata (2009: 91) anmerkt, ist der Vorschlag von Vainikka und Young-Scholten (1994, 1996) mit dem Vorhandensein des L1-Wissens und der fortgeschrittenen kognitiven Entwicklung im Falle des Zweitspracherwerbs nicht zu vereinbaren.

Die Full Transfer/Full Access Hypothesis (Schwartz & Sprouse, 1994, 1996) und Minimal Trees Hypothesis (Vainikka & Young-Scholten, 1994, 1996) haben es gemeinsam, dass sie vom Transfer der Wortstellung der Erstsprache beim Zweitspracherwerb ausgehen. Demnach sollten polnische Lerner des Deutschen anfangs die zielsprachliche rechtsköpfige VP durch die linksköpfige VP ersetzen und infolgedessen sowohl das finite als auch das infinite Verb vor das Objekt stellen. Die Anwendung der Eigenschaften der VP aus der Erstsprache auf den Erwerb der VP in der Zweitsprache wurde tatsächlich für andere Sprachkonstellationen bestätigt (vgl. Kapitel 4.2.3).

Eine andere Charakteristik des Anfangszustands wird in der Valueless Features Hypothesis von Eubank (1993/1994, 1994, 1996) vorgebracht. Die Autorin argumentiert im Einklang mit den bereits referierten Hypothesen, dass die L1-Grammatik den Anfangszustand des Zweitspracherwerbs konstituiert. Allerdings geht sie von einem partiellen Transfer aus: Während die lexikalischen Projektionen vollständig übernommen werden, sind die funktionalen Kategorien nur teilweise vom Transfer betroffen. Merkmale der funktionalen Kategorien sind zu Beginn noch nicht spezifiziert, weil ihre parametrisierten Werte an die overte Morphologie gebunden sind. In Bezug auf den Erwerb der Wortstellung zeigt Eubank (1994) anhand der ZISA-Daten (vgl. Kapitel 4.2.2), dass die unspezifizierten Merkmale der funktionalen Kategorien u.a. darin resultieren können, dass die Lernersprachen zugleich eine Grammatik mit und ohne V2-Eigenschaft permittieren. Nach dieser Hypothese konvergiert die Interimsgrammatik schließlich mit der zielsprachlichen L2-Grammatik.

All die dargestellten Hypothesen betreffen vor allem den Anfangszustand des Zweitspracherwerbs.5 Im Rahmen des generativen Ansatzes wird aber auch untersucht, wie sich die Interimsgrammatik in fortgeschrittenen Zweitspracherwerbsstadien entwickelt. Diesbezüglich unterscheidet White (2003: 102) folgende vier Betrachtungsweisen:

„(…) (i) global impairment, implying no parameters at all; (ii) local impairment, or breakdown in the case of some parameters; (iii) no parameter resetting, according to which only L1 settings are available; (iv) parameter resetting, which assumes the possibility of acquiring parameter settings distinct from those found in the L1. Under the first two views, interlanguage grammars fail to conform to properties of natural language. Under the two latter perspectives, interlanguage grammars are natural-language systems in which parameters are instantiated.“ (White, 2003: 102)

Die erste Betrachtungsweise, also die globale Beeinträchtigung, beinhaltet, dass die Interimsgrammatiken der Zweitsprachlerner durch die Universalgrammatik nicht eingeschränkt sind. Dabei handelt es sich aber nicht um die UG-Prinzipien, sondern um die Parameter, die beim Zweitspracherwerb keine Rolle spielen (vgl. z. B. Clahsen & Hong, 1995). Als Beweis dafür wird vor allem der Befund gedeutet, dass syntaktische und morphologische Phänomene in der Zweitsprache separat erworben werden. Als Vergleichsmaßstab wird der Erstspracherwerb herangezogen, bei dem ein Zusammenhang zwischen Syntax und Morphologie zu beobachten ist (clustering of properties) (vgl. Kapitel 4.2.1). Beim Erwerb von Eigenschaften der Zielsprache, die in der Erstsprache abwesend sind, muss der Lerner auf generelle Lern- und Problemlösungsstrategien ausweichen. Die lokale Beeinträchtigung (Beck, 1998) impliziert ein permanentes Defizit in der L2-Grammatik, das die Stärke der Werte von Merkmalen der funktionalen Kategorien betrifft. Die Werte der Merkmale können nicht spezifiziert werden, was zu einer permanenten Optionalität in der L2-Grammatik führt. Die lokale Beeinträchtigung basiert auf der Erkenntnis, dass solche Phänomene wie Verbanhebung auch bei fortgeschrittenen Zweitsprachlernern optional sind.

Im Kontrast dazu stehen die zwei letzten von White (2003: 102) genannten Positionen, die jegliche Beeinträchtigung des grammatischen Moduls ausschließen und die L2-Grammatiken im Rahmen der Parametersetzung charakterisieren. Die No Parameter Resetting Hypothesis nimmt an, dass das Umsetzen der im Erstspracherwerb bereits festgelegten Parameter unmöglich ist (vgl. z. B. Sopata, 2004). Der Erwerb neuer Parameterwerte ist nicht vorgesehen, weil nur die in der Erstsprache schon fixierten Parameter zugänglich sind. Situationen, in denen die Erst- und Zweitsprache unterschiedliche Parameterwerte aufweisen, verhindern den erfolgreichen Erwerb des betroffenen Phänomens.6 Anhänger der letzten Hypothese vertreten demgegenüber die Ansicht, dass die Lerner durchaus in der Lage sind, die funktionalen Kategorien sowie ihre Merkmale erfolgreich zu erwerben. Dies impliziert, dass die L1-Parameter umfixiert werden können:

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