Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 17
»Nun sagen Sie mir, was bedeutet das?« fragte der Jäger, welcher die Gegenstände umher mit Verwunderung betrachtete. »Ist Ihr Hauptmann ein Amphibium?« — »Ein Stück davon«, erwiderte der Diakonus. »Ich höre eben die Türe klinken, er hat das Haus verlassen, ich kann Ihnen mit Muße die Kontraste auslegen, über welche Sie erstaunen.«
Er nötigte seinen Gast auf ein Canapé, dann fuhr er fort: »Unser Hauptmann ist ein rechtwinklichter, schroffer und unvermischter Charakter. Deshalb haben sich seine Erinnerungen wie zwei mathematische Figuren auseinander gelegt. Er diente bei den Franzosen mit großer Auszeichnung; Sie haben gesehen, daß ihm unter jenen Adlern das rote Band zuteil geworden ist. Nach der Schlacht von Leipzig wurde sein Corps aufgelöst, er war als Deutscher sich selbst und den vaterländischen Verhältnissen zurückgegeben. Indem nun das Kriegsgetümmel weiter raste, und alle Welt gen Frankreich zog, wäre es unnatürlich gewesen, wenn der alte Degen hätte zurückbleiben sollen; er nahm daher preußische Dienste, und kämpfte mit so vielen andern Tausenden nun auf derselben Seite, welche er noch vor wenigen Monaten zu vernichten sich bestrebt hatte. Auch unter diesen Fahnen war seine Tapferkeit belobt, namentlich soll er späterhin in den mörderischen niederländischen Schlachten wie ein Löwe gestritten haben. Er empfing zu dem Kreuze der Ehrenlegion das eiserne, jenem so feindlich gewordene.
Nach dem Frieden blieb er nur noch kurze Zeit im Heere; seine Strapazen und Wunden hatten ihn mürbe gemacht. Hieher zog er sich mit seiner Pension zurück, welche ihm ein anständiges Auskommen gewährte. Indem nun jedermann um ihn her in den wiedererworbenen westlichen Teilen des Vaterlandes sich mit seinen Gefühlen einzurichten wußte, die Sympathien des gestürzten Reichs und der neuen Deutschheit amalgamierte, oder wenigstens zusammenschweißte und lötete, wollte es unserem armen störrigen Hauptmann nicht so wohl gelingen. Den Degen in der Faust hatte er ohne Reflexion darauf losgeschlagen, für oder wider; aber in der Muße und im Nachdenken des Friedens überfiel ihn eine Spaltung und Verwirrung, welche ihn fast toll machte. Er konnte es nicht in sich beherbergen, daß er binnen Jahresfrist ein tapferer Franzose und ein tapferer Preuße gewesen sein sollte, daß er bis zum Oktober »la perfidie du cabinet de Berlin« habe züchtigen und nach dem Oktober das Vaterland retten helfen. Mit seltsamen Blicken betrachtete er die beiden Orden, die streitbaren Löwen, welche wie friedliche Lämmer nebeneinander auf seiner Brust ruhten. Er stieß Reden aus und verübte Handlungen, die seinen Bekannten bange um ihn machten.
Ich weiß von diesen Dingen nur durch andere, denn ich war damals noch nicht hier. Möglich, daß der Zustand durch die Nachwirkung seiner Kopfwunden und des russischen Eises befördert worden ist, doch bin ich überzeugt, daß die Ursache desselben im Geistigen, in dem Leisten- und Fachartigen seines ehrenwerten Sinnes gelegen hat. Endlich nahm sich ein Fieber seiner an, machte ihm Leib und Seele frei. Unmittelbar nach der Herstellung richtete er die sonderbare Lebensweise sich ein, deren Zeichen und Spuren Ihnen aufgefallen sind, und in dieser habe auch ich ihn erst kennengelernt.
Er stiftete nämlich militärische Ordnung in seinen Erinnerungen und teilte sie, sozusagen, in zwei abgesonderte Corps ein, die für sich agieren. Eine Zeitlang ist er Franzose und ganz versenkt in die Herrlichkeit der Napoleonischen Zeit, dann wird er wieder eine Zeitlang ebenso entschiedener Preuße und Lobredner des Aufschwungs jener großen Epoche der Volksbewegung. Diese Phasen treten abwechselnd ein, je nachdem ihn eine Vorstellung, die dem einen oder andern Kreise angehört, in Beschlag nimmt, und sie dauern so lange, bis der Stoff der Vorstellung sich abgesponnen hat. Es versteht sich, daß er auch immer nur einen Orden, entweder den preußischen, oder den französischen trägt. Diesem Turnus gemäß hat er denn auch die beiden abgesonderten Wohngelasse sich ausgerüstet, und neben jedem ein besonderes Schlafgemach. Drüber unter den Marschällen bringt er zu, wenn er Franzose ist, und hier bei dem Tropäon verweilt er, wenn er die preußischen Tage hat. Nicht wahr, wir besitzen hierzulande gute Originale?«
»In der Tat«, versetzte der Jäger, »man fühlt sich bei Ihnen wie in der Welt des »Tristram Shandy«. Übrigens kann ich nicht sagen, daß mir die Manier des guten Hauptmanns, so barock sie auch aussieht, gerade unvernünftig vorkäme. Mancher Deutsche, welcher eine geraume Zeit lang selbst nicht gewußt hat, was er eigentlich war, Franzose oder Deutscher, würde durch sie seinen Charakter reiner und einfacher erhalten haben. — Wie das Gemüt ihm unbewußt einen Streich spielte! Zu dem vaterländischen Zimmer erwählte er das bestgelegene mit grüner lieblicher Aussicht, während das französische unerquicklich an der kahlen, öden Straße liegt.«
»In einem Punkte ist der Hauptmann höchst achtbar«, sagte der Diakonus, »in dem, daß, wenn auch seine Phantasie tage- und wochenweise an den fremden Erinnerungen haftet, dennoch nie der leiseste Wunsch nach der Zeit des allgemeinen Elends in ihm aufkeimt. Für unsere Gelehrte Gesellschaft ist er vom größten Nutzen, denn er besitzt einen wahren Schatz an einem Hefte persönlicher Denkwürdigkeiten eines verstorbenen, ihm innigst verbunden gewesenen Freundes, eines Offiziers.
Man lernt aus denselben das Kleinleben des Krieges kennen, was die eigentlichen Geschichtsbücher, Schlachtbeschreibungen und militärischen Berichte gar nicht enthalten, und weil ein Mensch von hinreißendem Gefühl und treuer Beobachtungsgabe jene unbefangenen Notizen aufgeschrieben hat, so ist mir nicht selten bei einzelnen Partien zumute geworden, als rolle sich vor mir eine neue Ilias und Odyssee ab. Wenigstens leidet und handelt darin der Einzelne trotz des passiven Gehorsams und der mechanischen Kriegsführung unserer Tage, wie ein homerischer Held. Von diesen Denkwürdigkeiten liest nun zuweilen der Hauptmann in unserer Gesellschaft Abschnitte vor.«
Der Jäger erkundigte sich nach der Gelehrten Gesellschaft, deren Dasein er in dieser Stadt nicht vermutet hatte, und der Diakonus erzählte ihm, indem er ihn aus dem Hause des Hauptmanns weiter durch die Stadt führte, lächelnd und heiter von ihrer eigentümlichen Gestalt, ihren Gesetzen und ihren produktivsten Mitgliedern, unter denen außer einem Dichter ein Sammler und ein Reisender von Profession vorkamen. Er sagte ihm, daß er ihm schon deshalb heute den Wagen geschickt habe, damit er einer Sitzung beiwohnen könne, die auf den Abend bestimmt worden sei und ihm vielleicht einige angenehme Stunden bereite.
Unter diesen Gesprächen waren sie zu einem geräumigen Wiesenplatze gekommen, welcher aber gleichwohl noch innerhalb der Ringmauern der Stadt lag. Auf demselben erhob sich eine alte gotische Kirche, grün wie die Wiese. Der Jäger konnte an ihrem Anblicke sein Auge nicht ersättigen. Teils war schon die Farbe des Sandsteins, wie sie bezeichnet worden, äußerst eigen; teils aber hatte die Natur auch ihr willkürlichstes Spiel mit dem lockeren und mürben Material getrieben, und in dem reichen Pfeiler- und Schnitzwerk, an den Kanten und Ecken durch Regenschlag und Nässe ganz neue Figurationen hervorgebracht, so daß das Gebäude wenigstens stellenweise aussah, als sei es nicht aus des Menschen, sondern aus ihrer Hand hervorgegangen. — »Wie sonderbare Symbole werden oft um uns hergestellt!« rief der Jäger. »Hier steht die Kirche, an welcher, mindestens an deren Ornamenten sich nicht unterscheiden läßt, was davon der Baumeister gewollt, und was Zeit und Wetter hinzugefügt haben, und gestern erschien mir an einer Blume im Walde ein schönes Mädchen.«
Der Diakonus fragte näher nach, und der Jäger erzählte ihm mit glänzenden Augen und bewegter Stimme sein Waldabenteuer. »Nach Ihrer Beschreibung zu urteilen, sind Sie mit der blonden Lisbeth zusammengetroffen«, sagte jener. »Das liebe Kind streift im Lande umher, ihrem alten faselnden Pflegevater Geld zu verschaffen; sie war auch bei mir vor einigen Tagen, wollte sich aber nicht verweilen. Wenn sie es war, so hat Ihnen die Natur wirklich ein Symbol gezeigt, denn auch das Mädchen ist in Moder und Verfall aufgeblüht, wie Ihre Wunderblume aus dem alten Baumtrumm. Über ihr halten schirmende Geister die Hände, sie ist das liebenswürdigste Aschenbrödel und ich wünsche ihr nur den Prinzen, der sich in ihren kleinen Schuh verliebt.«
Auf dem Rückwege sollten der Sammler und der Reisende besucht werden, beide waren aber nicht zu Hause. In der Wohnung des Diakonus hatten sich dagegen bei der Frau mehrere Freundinnen eingefunden, anscheinend zufällig, eigentlich jedoch wohl in der Absicht, den jungen hübschen Fremden in Augenschein zu nehmen. Sein munteres trauliches Wesen brachte ihn bald mit allen den Frauenzimmern, unter denen keine einzige Häßliche war, in naive Berührung, und es schadete ihm bei ihnen nicht, daß sie hin und wieder über seine Zischlaute heimlich lächeln mußten.
Er hatte sich bei Tische seiner Verschwiegenheit gerühmt. Als man aufgestanden war, zog ihn die Wirtin rasch beiseite und flüsterte ihm zu: »Sagen Sie den beiden« — sie zeigte auf zwei ihrer Freundinnen, welche zum Essen geblieben waren — »nichts vom heutigen Abende, es soll daraus eine Überraschung für sie gesponnen werden.« — »Sie meinen«, versetzte er, »die Gelehrte Gesellschaft des heutigen Abends.« — »Dieselbe«, erwiderte die Frau schalkhaft, »und verschweigen Sie, wenn Sie sich auch sonst verschnappen sollten, wenigstens den Ort der Zusammenkunft, wie heißt er doch nur gleich?«
Er nannte ihr harmlos den Ort, den er zufällig auch bereits vom Diakonus erfahren hatte. »Richtig!« rief die Frau, eilte zu ihren Freundinnen, und alle drei verließen flüsternd und lachend das Zimmer.
Zwölftes Kapitel
Brief und Antwort
Der Oberamtmann Ernst an den Jäger.
»Wenn Du mich Mentor nennst, so steckt Pallas Athene in mir, und wenn ich dann trotz meiner Göttlichkeit immer noch an dem unfolgsamen Telemach hange, so muß wohl das unerbittliche Schicksal daran schuld sein, dem Götter und Menschen sich beugen.
Sage mir, was bist Du? Wo fängt bei Dir die Vernunft an, und wo hört die Torheit auf — Mischwesen? Willst Du ewig ein Kind bleiben? Kommt es denn immer in Dir nur zu Blüten und setzen sich nie Früchte ab? Ich dächte, man würde alles müde, absonderlich dummer Streiche, und Du hättest den Reiz der Neuheit in dieser Materie allgemach überwunden.
Allerdings glaube ich, daß der Mensch von dunkeln Instinkten manches zu erdulden hat, und insonderheit mag Deinem Blute durch die schwärmende und übertriebene Zärtlichkeit Deiner Eltern, welcher Du Deine Entstehung verdankst, der Kitzel eingeimpft worden sein, von Abenteuern zu Abenteuern fortzustrudeln. Wenn Du aber meinst, daß aus solchen instinktelierenden Anstößen irgend etwas Großes, ja daß nur etwas Gutes und Gescheites daraus hervorgehen könne, so bist Du gewaltig im Irrtum, ich habe immer die Handlungen der Menschen erst anfangen sehen, wo diese Region dämmriger Willkürlichkeiten hinter ihren Füßen lag. Von der Geschichte Deines Ludwigsburger Granatensuchers hast Du das Ende vergessen. Der Mensch gewöhnte sich nach dem kleinen Glücke, welches ihm sein Raptus gebracht, das Trinken an, ging oder taumelte einmal bei später Abendzeit in der Gegend umher und fiel in den Neckar, aus dem man am andern Morgen seine Leiche zog. Ihr Ritter der Nachtseite der Natur greift aber immer aus den Tatsachen nur das heraus, was in Euren Kram paßt, und woran Ihr kapuzinerhaft Euren Spruch demonstrieren könnt.
Dein Umherschweifen hat Dir manche schöne Stunde und viele tausend Gulden unnütz geraubt, mit Deinem verwünschten Schießen wirst Du einmal übel ankommen; was Deine Verehrung der Frauenzimmer betrifft, so ist diese Andacht für mich eine neue Bekanntschaft, ich hatte bis jetzt in der Hinsicht nichts Absonderliches an Dir verspüren können. — Beinahe krank bin ich aber von Deinem Briefe geworden, denn es gibt nichts Verhängnisvolleres, als wenn ein Mensch in Deinen Jahren und Verhältnissen noch Streiche macht, die man kaum einem heimatlosen Studenten verzeiht. Die Leute glauben nicht an die Torheit, sie suchen und finden in solchen Eulenspiegeleien Gründe und Absichten. Was die Deinige zur Folge gehabt hat, will ich Dir kurz und praktisch vorhalten. Man steht bei Deinem einmal hingeworfenen Worte fest, Du seist schon im Auslande versprochen, man setzt Deine Reise mit diesem Geschwätz in Verbindung, sagt, Du habest nur einen Vorwand ergriffen, um zu entrinnen, und werdest unversehens mit einem aufgelesenen alten akademischen Liebchen wiederkehren. Fräulein Clelia ist durch Deine Ritterschaft aufs äußerste bloßgestellt und ganz trostlos. So erzählte mir Pfleiderer, der von Stuttgart hier durchreiste. Außerdem hat die Sache verblümt schon im »Merkur« gestanden, und was der »Merkur« weiß, das weiß bekanntlich ganz Schwaben.
Ich habe mich nun kurz resolviert. Deiner seligen Mutter versprach ich einst, für Dich Sorge tragen zu wollen bei allen Exzessen, zu denen Dich Dein stürmisches Temperament verleiten möchte; und als guter Geschäftsmann will ich mein Wort halten. Die Sommerferien stehen vor der Tür, eine Bewegung tut mir auf die ewige Schreiberei auch not, der Ärger, wenn ich Dich treffe, wird die Motion verstärken — kurz, in acht Tagen schließ‘ ich mein Oberamt zu, reise den Rhein hinab, biege nach Deiner Tacitischen Germania, wo Du unter Bohnen, Schweinen und Bauern so genußreiche Tage verlebst, hinüber, fasse Dich, wo ich Dich finde, und will dann sehen, ob Du mich wirst allein zurückreisen lassen.
Übrigens bin ich, wie immer
Dein Freund Ernst.«
Der Jäger an den Oberamtmann Ernst.
»Ich sende Dir diese Zeilen nach Stuttgart entgegen, wo sie in Wilhelms Händen für Dich beruhen bleiben, denn Du wirst als ein wahrer Gläubiger gewiß erst in unserer National-Kaaba Dein Gebet verrichten, bevor Du hinausziehst in die Fährlichkeiten des falschen Auslandes.
Nun ist mir erst wohl. Du hast mir die Lektion gegeben, und so steht alles in gehöriger Ordnung. Daß Du mir nachrennst, entzückt mich, denn ich sehe daraus, daß Torheit ansteckt und mächtiger ist, denn Vernunft. Wenn Du kommst, will ich mit Dir, geduldig wie ein Lamm heimreisen, sofern sich nicht inzwischen der Schrimbs oder Peppel noch findet, wozu freilich wenig Anschein. Könnte ich nur des alten Jochem erst wieder habhaft werden! Wer weiß, wo der arme Kerl umherrennt? Ich habe schon in verschiedenen öffentlichen Blättern nach ihm Erkundigung getan, jedoch bis jetzt vergebens.
Hier in dieser altertümlichen Stadt verweile ich seit mehreren Tagen bei einem guten Bekannten, den ich unversehens wiedergefunden habe. Eine gar hübsche Häuslichkeit und ein angenehmer Kreis umgibt ihn. Auch hier habe ich närrische Sonderlinge kennengelernt, welche doch dabei gute, schätzbare, unterrichtete Menschen sind, so daß man über sie lächeln und ihnen zugleich von Herzen zugetan sein kann. Welche Masse von Bildung, Wissen und Eigenartigkeit ist bei uns überallhin verbreitet! Wenn diese Reise auch weiter keinen Nutzen hat, so wird sie mir schon dadurch, daß sie mir jene Überzeugung recht in die Hand gab, heilsam sein.
Der Gipfel unserer Geselligkeit war der vorgestrige Abend, wo ihre Gelehrte Gesellschaft (lache nicht!) eine Sitzung hielt. Sie haben eine Akademie zusammengestiftet, in welcher die verschiedenartigsten Aufsätze vorgelesen werden. Diese sind aber statutenmäßig bis auf weiteres aller Veröffentlichung durch den Druck streng entzogen. Jeder muß Strafe zahlen, der sich zur Unterstützung einer vorgetragenen Meinung auf eine Flugschrift oder ein Zeitblatt beruft, und von den Zusammenkünften bleiben die Frauen ausgeschlossen. In dieser Gesellschaft brachte ich einen wahrhaft platonischen Abend zu, denn wenn wir alle auch lange nicht so schön redeten, wie die Griechen, so kam doch so viel Urteil, Beobachtung, Scherz und Laune zum Vorschein, daß Du Dich verwundern wirst. Ich schreibe nämlich in den Morgenstunden die Geschichte dieses Abends unter dem Titel: »Ein Gastmahl«, für Dich nieder. Eine unvermutete Wendung hatte ich der Sache zubereitet, indem ich in meiner Unschuld gegen die Frauen zum Verräter der Zusammenkunft geworden war, und diese dem Abende einen phantasievoll humoristischen Abschluß gaben.
Ach, Lieber! es ist mir zumute, als stehe mir die Poesie des Lebens so nahe, daß ich sie hinter jedem Busche jetzt und jetzt werde mit Händen greifen, aus jedem Blumenkelche in mich hineinsaugen können! Da, dort, überall guckt die Elfe hervor und sieht mich mit Liebesaugen an. Ward denn jegliches Dasein bestimmt, wie eine der verwickelten algebraischen Gleichungen nur annäherungsweise ein Analogon von Auflösung darzubieten, oder gibt es nicht auch schlichte, plane Existenzen, die aus Sehnsucht und Erfüllung ein reines Fazit ziehen? — Und was denkst Du Dir bei diesen geschraubten Worten, die da unwillkürlich meiner Feder entflossen sind?
Ich bin so wenig ein Dichter, als Du ein Schwarzwälder Uhrmacher bist, aber bisweilen bricht die Poesie aus jedem, wie die Träne aus der Rebe im Lenz. Das sind dann schicksalsschwangere Momente, Momente, in denen unsere Sterne sich rühren, und dadurch die Kräfte unsres kleinen Selbstes rühren und regen. Ich schrieb dir von dem Spessarter Märchen, welches ich da hingeworfen, und nun ist‘s sonderbar, daß sich einzelne Elemente dieser Erfindung, z. B. das unvermutete Treffen eines Freundes, ein kurioses Waldabenteuer, körperlich hinstellen, freilich ganz verschieden von meinem Poem, aber im innersten Sinne doch verwandt, so daß es ist, als wollten mich meine Spessarter Zauberfiguren mit Wirklichkeit necken.
Hiebei mußt Du Dir gar nichts Besonderes vorstellen; es gibt nur so wunderbare Stimmungen, in denen man mehr seine Gedanken, als sein Leben lebt. So will mir das Waldgefühl nicht aus dem Sinn, es flutet grün und kühl mit frischem Borkengeruch durch meine Seele, und gelbe Funken kreuzen den stillen, tröstlichen Schein.
In Leben und Tod, mein alter Ernst,
Dein Narr.
N.S. Die arme Clelia dauert mich herzlich. Wie schlecht, daß ich ihrer erst jetzt gedenke! Was mich betrifft, so mögen sie von mir schwätzen, was sie wollen.«
Dreizehntes Kapitel
Der Jäger schießt und trifft
Immer wurde unser junger Schwabe von seinen schwärmerischen Empfindungen wieder durch einen äußeren Eindruck abgezogen, der ihm etwas Neues zuführte. So besuchte er den Sammler, den wir auf dem Oberhofe kennengelernt haben, einige Tage, nachdem er den Brief an seinen Freund geschrieben hatte. Der alte Schmitz hatte ihm schon hin und wieder ein saures Gesicht gemacht, daß seine Schätze noch nicht früher in Augenschein genommen worden waren, indessen erheiterte sich dieses jetzt bald, als der Jäger, angelegentlich fragend, in der kleinen, engen und dunkeln Wohnung mit ihm durch die aufgestapelten alten Klosterbilder, Pergamenthaufen, Waffen, Urnen und Gefäße hindurchwanderte, und den gelegentlich erfolgenden Auseinandersetzungen: Wo Hermann den Varus geschlagen? ein aufmerksames Ohr lieh. — Der Jäger sah manches ihm Neue und würde von der ganzen Beschauung noch mehr Nutzen gehabt haben, wenn ihm sein Führer Muße gelassen hätte, die einzelnen Stücke genauer zu betrachten. Allein, sobald er einige Sekunden lang bei einem verweilt hatte, riß ihn der Ungeduldige mit schreienden Worten zu einem andern hin, in der Besorgnis, daß irgend etwas übersehen bleiben möchte.
Er lebte, nach Sammlermanier, ganz einsam und nur seinen Seltenheiten hingegeben. Ein großer, schwarzer Kater, welcher ihm treu anhing, machte seine ganze Hausgenossenschaft aus. Dieser ging denn auch heute, wie es seine Gewohnheit war, ernsthaft durch die Zimmer hinter den beiden menschlichen Beobachtern, wie ein dritter Altertumsfreund einher.
Der Alte war eigentlich infolge einer unglücklichen Liebe Sammler geworden. In seiner Jugend hatte er einem schönen Mädchen sein Herz zugewandt, welche, zu früh elternlos, unter der Obhut oder vielmehr Nichtobhut eines schwachen, nachlässigen Vormundes stand und bei ihrem Leichtsinn zu unabhängig war, um verständig bleiben zu können. Nachdem sie den treuen Verehrer vielfältig durch Grillen und Zweideutigkeiten gekränkt hatte, setzte sie ihrem Benehmen durch offenbare Untreue die Krone auf. Der Himmel strafte sie aber doppelt dafür; er ließ sie ihr Herz an einen Unwürdigen hängen und bald hernach in eine schwere Krankheit verfallen, von welcher sie nicht wieder erstand. Auf dem Totenbette trat die Reue ihren wankelmütigen Busen an, sie schickte nach dem Verlassenen, es erfolgte eine Aussöhnung, und sie setzte ihn zum Erben ihres Nachlasses ein. Unter diesem befand sich eine Menge goldener, silberner, emaillierter, seidner Kleinigkeiten, die das lebhafte Ding zusammengekauft, erbettelt, erstoppelt hatte, da ihr Auge, wie das der Elstern, an allen glänzenden Dingen hing, und ihre Hand besitzen mußte, was ihrem Auge gefiel. Der Hinterbliebene stellte nun daraus ein kleines Kabinett sehr ordentlich zusammen, aber bald wollte ihm das Vorhandene nicht mehr genügen, die Medaillen, die Figürchen, die gemalten Portefeuilles und Mappen forderten Gesellschaft, und er gab sie ihnen durch Münzen, Metallsachen, Siegelkapseln, schöngeschriebene Pergamenturkunden. Dergleichen greift aber immer weiter um sich, es zieht gewissermaßen magnetisch das Gleichartige an, und ehe er es sich versah, hatte daher seine Umgebung und sein Leben die nachherige Gestalt bekommen. Da nun die Liebhaberei bei ihm gefühlvollen Ursprungs war, so gab sie ihm auch nicht das Trockene und Leblose, wodurch die Sammler in der Regel der Abdruck ihrer Sachen werden; er behielt vielmehr eine freundliche und milde Sinnesart.
Der Jäger hatte neben einigem Guten viel Geringes besichtigen müssen. Jetzt fiel sein Blick in eine Ecke, worin die uns bekannte Amphora mehr versteckt als gewiesen stand. — »Wie? Und dieses herrliche Gefäß zeigen Sie mir nicht? Das ist ja leicht das schönste Ihrer ganzen Sammlung!« rief er erstaunt.
Eine Traurigkeit beschattete das Antlitz des Sammlers, seine geläufige Zunge stockte, er ging in die Ecke, streichelte die Amphora, wie ein Vater sein krankes Kind streichelt, und erzählte dem Jäger zutraulich die Geschichte ihrer Erwerbung. — »Seit der Zeit nun«, fuhr er fort, »daß ich gegen mein Gewissen dem Hofschulzen ein Attest über sein falsches Karls-des-Großen-Schwert ausstellte und mir durch diese Unwahrheit die Amphora zueignete, macht mir oft die ganze Sammlung keine rechte Freude mehr. Denn bei Altertümern beruht alles auf der Wahrheit, und wer für ein fremdes gelogen hat, der kann auch leicht den Glauben an seine eigenen verlieren. Es geht mir schon hin und wieder so; ich sehe die Donnerkeile zweifelnd an, ich habe bereits geträumt, meine so schönen Brakteaten seien nachgemachte Scharteken. Das Ende vom Liede wird wohl sein, daß ich die Amphora zurückgebe und mir mein falsches Attest wieder aushändigen lasse, wenn ich gleich nicht weiß, wie ich den Verlust des prächtigen Gefäßes werde überstehen können.«
Der Jäger mußte ungeachtet des kummervollen Gesichtes, welches der alte Mann machte, lächeln, und sagte: »Mit Ihrer Gewissenhaftigkeit wäre nie ein Museum zustande gebracht worden. — Aber sagen Sie mir, was für eine Bewandtnis hat es eigentlich mit dem Schwerte, auf welches der Hofschulze einen so außerordentlichen Wert legt?«
Hierauf gab der Sammler dem Jäger folgende wundersame Auskunft. »Daß hier auf unserer roten Erde der geweihte Boden der Freigerichte, welche man nur sehr uneigentlich Femgerichte genannt hat, war, wissen Sie«, sagte er. »Freigerichte waren sie, und Freigerichte blieben sie trotz aller späteren Entstellungen und Mißbräuche, nämlich die Gerichte der ursprünglich freien Markengenossen, die so unbeschränkt auf ihrer Wehr saßen, als der König in seiner Pfalz. Das aber werden Sie nicht wissen, daß in mehreren Distrikten und so auch nahe hiebei manche Höfe, welche das Freischöffenrecht hatten, immer noch die Tradition dieses Besitzes erhalten, und daß dieselbe vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den Enkel fortgepflanzt wird. Natürlich ist jetzt die Sache zu einer bloßen Spielerei herabgesunken. Aber Wissende gibt es wirklich noch immer, die von Zeit zu Zeit sich bei den alten Freistühlen versammeln, und durch Mitteilung der geheimen Erkennungszeichen und des Rituals neue Wissende machen. Anfangs nahmen einige Behörden von dem Hokuspokus Notiz, wollten in die Mysterien eindringen, aber das gelang ihnen nicht, die Bauern trieben ihr Wesen nur um so vorsichtiger und blieben gegen alle Anmutungen, den Sinn der Losung zu verraten, standhaft. Seitdem bekümmert man sich nicht mehr darum.
Der Oberhof gehört nun recht eigentlich zu den alten Freischöffengütern. Nach dem Bauernglauben war es Karl der Große, der die Gerichte einsetzte, und das Gewaffen, was in dem Hofe aufbewahrt wird, gilt für das Richtschwert, welches der Kaiser zum Zeichen der Investitur dem ersten Besitzer gegeben habe. Der Hofschulze, der ein gar schlauer Vogel ist, hat, sein Ansehen zu steigern, sich diesen Glauben zunutze gemacht, und spielt nun eine Art von Freigrafen. Er soll nicht selten mit den Schöffen der umliegenden großen Höfe am Freistuhl zusammenkommen. Ja man spricht, daß durch ihn in die leeren Possen wieder ein Gehalt gebracht worden sei, daß sie über manche Sachen wirklich ihre geheimen Urteile fällen. So viel ist wenigstens gewiß, daß die Gerichte sich selbst über die wenigen Streitigkeiten wundern, die aus jener Gegend vor sie gebracht werden, obgleich unser Land sonst die Heimat der Prozeßkrämer ist.«
»Aber wie ist das möglich, da ihnen ja jede Macht der Ausführung fehlt?« fragte der Jäger, den diese seltsame Entdeckung ganz träumerisch bewegte.
»Nun«, sagte der Sammler, »sie können freilich keinen Widerspenstigen mehr am Baume aufknüpfen, aber wenn sie ihm nun Hülfe, Beistand, Vorschub versagten, es durch ihren Einfluß, da sie die Reichsten in der Gegend sind, dahin brächten, daß ihn auch die andern mieden, keiner mit ihm im Kruge tränke, Knecht und Magd nicht bei ihm aushielte; wie dann? Wäre das nicht auch ein Zwang, zwingend genug? Was vermag nicht die Meinung von Standesgenossen über den Menschen? Es werden mitunter dort umher einzelne in auffallender Art freunde- und genossenlos, das dauert eine Weile, dann nähert sich ihnen wieder alles. Man spricht, diese seien Verfemte, und nur ihre Nachgiebigkeit hebe den Bann wieder von ihrem Hause.«
Der Jäger reimte nunmehr sich manches zusammen, was ihm bisher unverständlich geblieben war. Er teilte seine Vermutung, daß binnen kurzem am Freistuhl etwas vorgehen werde, dem Sammler mit, und fragte ihn eifrig, ob es nicht möglich zu machen sei, einem solchen heimlichen Gerichte aus der Verborgenheit zuzuschauen? Damit wollte indessen der Sammler als mit einer gefährlichen Sache nichts zu tun haben.
Der Fuhrmann trat ein, welcher den Jäger nach dem Oberhofe befördern sollte und sagte, daß der Wagen vor der Türe stehe. Der Jäger hatte nämlich mit dem Diakonus die Absprache genommen, sich in der Stadt einquartieren zu wollen, hielt es jedoch für ziemlich, seinem alten Wirte in Person Dank und Lebewohl zu sagen. Einen Teil des Weges über hatte er weder auf diesen, noch auf das Fuhrwerk acht, da seine Gedanken um den Freistuhl und die Geheimnisse des Femgerichtes schwebten, die noch immer schattenartig in der Gegenwart fortlebten. »Sonderbares Land«, rief er für sich, »in welchem alles ewig zu sein scheint! Wie kommt es, daß aus dir noch kein großer Dichter hervorgegangen ist? Diese Erinnerungen, welche von dem Boden nicht weichen wollen, diese alten Sitten und Gebräuche mußten doch wohl imstande sein, eine Einbildungskraft zu entzünden!« Er übersah, daß das Talent keine Feldfrucht ist, sondern wie das Manna in der Wüste vom Himmel fällt.
Als er auf die Außendinge wieder zu merken begann, nahm er wahr, daß sein Wäglein sich schneckenartig fortbewegte, weil das eine Pferd stark lahmte. Er entschloß sich kurz, ließ das Fuhrwerk heimgehen und machte den übrigen Weg zu Fuß. Freilich konnte er nun nicht, wie er gewollt, am nämlichen Tage zur Stadt zurückkehren, mußte sich vielmehr bequemen, die Nacht auf dem Lande zuzubringen.
Er fand den Hofschulzen an einem Scheurentore zimmern. Als dieser von seiner Arbeit die blitzenden Augen unter den weißen Brauen gegen ihn emporhob, kam er ihm nach den erhaltenen Aufschlüssen wie der Alte vom Berge vor. Der Jäger meldete ihm seinen bevorstehenden Abzug. Jener erwiderte: »Das ist mir lieb, das Frauenzimmerchen, welches vor Ihnen die Stube hatte, ließ mir sagen, sie würde heute oder morgen zurückkommen; der müßten Sie doch weichen, und ich könnte Sie nur unbequem logieren.«
Der ganze Hof schwamm in dem beginnenden roten Abendlichte. Eine reine Sommerwärme durchdrang die von keinem Dunste beschwerten Lüfte. Es war ganz einsam zwischen den Gebäuden; alle Knechte und Mägde mußten wohl noch auf dem Felde zu tun haben. Auch im Hause sah er niemand, als er nach seinem Zimmer ging. Dort ordnete er, was er an diesem Orte zuweilen aufgeschrieben hatte, packte seine wenigen Sachen zusammen und sah sich dann nach dem Gewehre um.
Dieses war jedoch verschwunden. Er begriff nicht, wer es ihm fortgenommen haben könne, und ging, bei dem Hofschulzen Erkundigung einzuziehen, über den Gang nach der Treppe zu. In einem Gelasse seitwärts glaubte er ein Geräusch zu vernehmen — »vielleicht ist eine Magd darin, die dir es auch nachweisen kann« — dachte er und klinkte die Tür auf. Er war aber in die Schlafkammer der Tochter geraten und sah erschreckt eine unzweideutige Gruppe. Herzklopfend schritt er rasch nach seinem Zimmer zurück; der Bräutigam, ein junger starker Bauer, folgte ihm dahin nach. »Das müssen Sie nicht für übel nehmen«, sagte dieser. »Denn das zweite Aufgebot ist gewesen, und nächsten Donnerstag ist die Hochzeit, und wenn es so weit ist, so hat sich keiner um so etwas zu bekümmern, und der Pastor und der eigene Vater fragt nichts darnach. Es wird diese Nacht bei uns im Hofe Korn gesackt, deshalb mußte ich meine Braut heut zu Nachmittage besuchen.«