Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 18
»Mich geht das nichts an«, antwortete der Jäger verwirrt, »wenn ich nur wüßte, wo mein Gewehr ist.« »Dieses will ich Ihnen sagen«, antwortete der junge Bauer, »der Schwiegervater hat es heimlich weggenommen und dort hinter dem großen Schranke versteckt, denn er sagte, der dritte Choral aus Ihrer Geschichte wäre —«
»Was? Choral? Ihr wollt wohl Moral sagen?«
»Jawohl. Also der dritte Choral aus Ihrer Geschichte wäre, daß man einem Fehlschützen von Mutterleib aus kein Schießgewehr unter Händen lassen müsse. Ein gewöhnlicher Fehlschütz wäre wenig zu ästimieren, aber ein Fehlschütz von Mutterleib könnte großen Schaden anrichten.«
Der Jäger hörte nicht länger auf diese Reden hin, warf vielmehr seine Weidtasche um, eilte nach dem Schranke, zog hinter demselben das Gewehr hervor, lud, und war mit zwei Schritten aus dem Hofe nach dem Freistuhl, sich die unruhig wogenden Bilder aus der Seele zu schießen. Schon im duftigen goldenen Dämmer des Eichenkamps hatte er seine Lebensgeister wieder beisammen. — »Nun das muß wahr sein«, rief er, »die Idyllenschreiber haben uns die Bauernwelt arg verzeichnet! Sowohl die schäferlich-zarten, als die knolligen Kartoffelpoeten. Sie ist eine Sphäre, so mit derber Natur, wie mit Sitte und Zeremonie ausgefüllt, und gar nicht ohne Anmut und Zierlichkeit, nur liegt letztere woanders, als wo sie in der Regel gesucht wird. Ist der Bursch aus Unenthaltsamkeit vor der Zeit in sein Recht getreten? Gewiß nicht. Es ist so Herkommen, lieblicher, lustiger Brauch, und sein Mädchen würde sich vielleicht für verachtet halten, wenn er ihn nicht mitmachte.«
Droben auf dem Hügel am Freistuhl ward ihm sehr wohl. Das Korn wiegte säuselnd die Ähren, schwer von Segen, des Vollmondes große glührote Scheibe stieg am Ostrande des Himmels auf und noch wirkte der Widerschein der in Westen abgeschiedenen Sonne. Die Atmosphäre war so rein, daß dieser Widerschein gelbgrün glänzte. — Er empfand seine Jugend, seine Gesundheit, seine Hoffnungen. Hinter einen großen Baum am Waldrande stellte er sich; »heute will ich doch erproben«, sagte er, »ob das Geschick nicht zu beugen ist. Ich schieße nur, wenn mir etwas bis auf drei Schritte vor dem Rohre nahe kommt, und da müßte es ja mit Zauberei zugehen, wenn ich fehlen sollte.«
Im Rücken hatte er den Forst, vor sich die Senkung mit den großen Steinen und Bäumen des Freistuhls, gegenüber umschlossen die gelben Kornfelder den einsamen Ort. In den Wipfeln über ihm gurrten noch einige einzelne verlorne Töne der Turteltaube, durch die Äste der Bäume am Freistuhl fingen die wilden Lindenschwärmer an mit den grün-roten Flügeln zu schwirren. Allgemach begann es auch im Walde am Boden sich zu rühren. Ein Igel kroch schläfrig durch das Laub; ein Wieselchen zog den geschmeidigen Leib aus einer Steinspalte, nicht breiter, als der Kiel einer Feder, hervor. Buschhäslein sprangen mit vorsichtigen Sätzen, zwischen jedem innehaltend, sich duckend und die Löffel legend, ins Freie, bis sie, mutiger geworden, auf dem Rain am Kornfelde sich emporhoben, tänzelten, miteinander spielten, und die Vorderläufe zu scherzenden Schlägen brauchten.
Der Jäger hütete sich wohl, dieses Hasenvolk zu stören. Endlich trat ein schlankes Reh aus dem Walde. Klug die Nase in den Wind streckend, links und rechts aus den großen, braunen Augen umherschauend, schritt das Tier auf den feinen Füßen mit leichter Grazie einher. Jetzt war das Zarte, Wilde, Flüchtige dem Geschosse des Versteckten gegenüber angelangt, es war so nahe, daß es fast nicht gefehlt werden konnte, er wollte abdrücken, da schreckte das Reh zusammen, tat einen Sprung in veränderter Richtung gerade auf den Baum zu, hinter welchem der Jäger stand, sein Schuß ging los, das Wild setzte in gewaltigen Sprüngen unverwundet waldein, zwischen dem Korne aber war ein Schrei erschollen, und wenige Augenblicke nachher kam eine weibliche Gestalt auf einem schmalen Pfade, der in der Linie des Schusses lag, aus den Feldern hervorgewankt.
Der Jäger warf die Flinte weg, stürzte auf die Gestalt zu und meinte vergehen zu müssen, als er sie erkannte. Es war das schöne Mädchen von der Blume im Walde. Sie hatte er statt des Rehes getroffen. Sie hielt die eine Hand auf der Gegend zwischen Schulter und linker Brust, dort quoll unter dem Tuche reichlich das Blut hervor. Ihr Antlitz war bleich und etwas von Schmerz verzogen, doch nicht entstellt. Sie holte dreimal tief Atem und sagte dann mit sanfter und matter Stimme: »Gottlob, es muß nichts gefährlich verletzt sein, denn ich kann Atem holen, wenn es mir auch Schmerzen macht. — Ich will versuchen«, fuhr sie fort, »den Oberhof zu erreichen, zu dem ich auf diesem Richtwege gelangen wollte, wo mich nun das Unglück treffen mußte. Geben Sie mir Ihren Arm.« — Er führte sie einige Schritte hügelabwärts, da zuckte sie zusammen und sagte: »Es geht doch nicht, die Schmerzen sind zu heftig, ich könnte unterwegs ohnmächtig werden. Wir müssen schon an diesem Orte aushalten, bis Leute herbeikommen und eine Tragbahre verschaffen können.«
Trotz ihrer Wundschmerzen hielt sie ein Päckchen fest in der linken Hand, dieses reichte sie ihm jetzt und sagte: »Verwahren Sie es mir, es ist das Geld, welches ich für den Herrn Baron eingesammelt habe, ich möchte es verlieren. — Wir müssen auf längeres Bleiben uns gefaßt machen«, fügte sie hinzu. »Wenn es Ihnen möglich wäre, mir ein Lager zu bereiten und etwas Wärmendes zu geben, daß die Kälte nicht zur Wunde schlägt!«
So hatte sie die Besonnenheit für sich und ihn. Er stand sprachlos, bleich und starr, wie eine Bildsäule; die Verzweiflung wühlte in seinem Herzen und ließ kein lautes Wort über die Lippen. Jetzt gab ihm ihre Aufforderung Bewegung, er eilte nach dem Baume, hinter dem er seine Weidtasche abgelegt hatte. Dort sah er auch das unglückliche Gewehr liegen. Wütend ergriff er es und schlug es mit solcher Kraft gegen einen Stein, daß der Schaft zersplitterte, die Läufe sich bogen, und die Schlösser von ihren Schrauben lossprangen. Er verwünschte den Tag, sich, seine Hand. Zu dem Mädchen zurückgestürzt, welches sich auf einen Stein des Freistuhls gesetzt hatte, fiel er ihr zu Füßen und flehte, den Saum ihres Kleides küssend, unter heftigen Tränen, die nun aus seinen Augen mit Gewalt brachen, sie um ihre Vergebung an. Sie bat ihn, doch nur aufzustehen, er habe ja nicht dafür gekonnt, die Wunde sei gewiß nicht bedeutend, er möge ihr nur jetzt helfen. Er richtete ihr nun einen Sitz auf dem Steine zu indem er die Weidtasche auf denselben legte. Um ihren Hals band er sein Tuch, um ihre Schultern legte er locker und lose seinen Rock. Sie setzte sich auf den Stein, er nahm neben ihr Platz und bat sie, zu ihrer Erleichterung ihr Haupt an seine Brust zu neigen. Sie tat es.
Der Mond war in völliger Klarheit über einen Teil des Himmels gedrungen und beschien fast taghell die beiden durch einen rohen Zufall einander so Nahegerückten. In der vertraulichsten Nähe saß der Fremde mit der Fremden, sie stieß leise Schmerzenstöne an seiner Brust aus, und von seinen Wangen flossen unaufhaltsame Tränen. Rings aber um sie her verbreitete sich nach und nach das Schweigen und die Einsamkeit der Nacht.
Endlich wollte es das Glück, daß ein später Wanderer durch die Kornfelder ging. Der Ruf des Jägers erreichte sein Ohr, er eilte herzu und wurde nach dem Oberhofe geschickt. Bald darauf ließen sich Fußtritte hügelan Kommender vernehmen; es waren die Knechte, welche einen Tragsessel mit Kissen brachten. Der Jäger hob die Verwundete sanft hinein und so gelangte sie spät in der Nacht unter das Obdach ihres alten Gastfreundes, der sich freilich sehr verwunderte, die Erwartete in diesem Zustande ankommen zu sehen.
ZWEITER TEIL
Drittes Buch. Acta Schnickschnackschnurriana
Erstes Kapitel
Gegenseitige Offenheiten
»Diese Ziegen am Helikon —«
»Öta wollt Ihr sagen —«
»Nein, Helikon will ich sagen, ich habe mich früher versprochen. — Diese Ziegen am Helikon, unter welche ich als Knäblein geriet, hatten ehedem einen Bund zur Verfeinerung ihrer Wolle gestiftet«; äußerte Münchhausen.
»Es freut mich«, rief der alte Baron, »daß wir jetzt unter das Vieh kommen! Auf diesen Punkt in Euren Historien war ich immer noch einigermaßen gespannt, denn das andere, was Ihr seither vortrugt, wollte mir nicht mehr recht unterhaltend scheinen — nehmt mir‘s nicht übel, Mann, aber Offenheit muß unter Freunden sein.«
»Versteht sich am Rande«, sprach Münchhausen feierlich. »Die Ziegen also...«
»Guter Meister, kannst du mir zusichern, daß in der Geschichte nichts vorkommt, was mein Zartgefühl beleidiget?« fiel das Fräulein ein. Sie nannte Münchhausen seit einer erhebenden Szene, die sich zwischen ihnen vor einigen Tagen zugetragen hatte, du.
»Nicht das geringste, Diotima-Emerentia«, antwortete der Freiherr. »Zu jener Viehart gehören zwar der Ordnung der Natur gemäß Böcke, auch kommen diese in meiner Geschichte vor, ich werde aber delikat sein und sie die Gatten der Ziegen nennen. Ferner tritt ein Mistkäfer auf, der soll das Roß des Trygäos heißen; eine Schmeißfliege flicht sich ein — du wirst mich fassen, wenn ich von der blauen Schwärmerin spreche.«
»Ich werde dich ganz fassen, mein Meister«, antwortete das Fräulein mit einem ihrer unbeschreiblichen Blicke. — »Ja«, sagte Münchhausen, »darin bist du du, und deinen Schwestern gleich. Wenn nur der Bock der Gatte der Ziegen heißt, so können sie alles anhören.«
»Hört, Kinder«, rief der alte Baron halb scherzend, halb ärgerlich, »dieses du und du, und du du klingt ein wenig, als wenn der Kuhhirt dutet. Ich dächte, Ihr bliebet beim Sie, es ist ein feinerer, spitzerer Laut. Ich liebe dich, Renzel, und ich schätze Euch, Münchhausen, deshalb will ich für Euch beide klug sein. Eine Mariage wäre nichts mehr in Euren Jahren.«
»Mariage!« rief das Fräulein und errötete. »O wie verstehen Sie, mein Vater, mich einmal wieder recht gründlich miß!« Sie ging aus dem Zimmer.
»Mariage!« rief der Freiherr und ergrünte. »Nein, mein würdiger Altvater, befürchten Sie keine Mariage. Ich könnte Ihre unschätzbare Tochter tausend Jahre lang du nennen und dächte nicht an Mariage. Zur Mariage gehört Amour; ich spüre keinerlei Amour für meine Diotima-Emerentia. Es ist der Ort und ist die Stunde, Ihnen eine wichtige Entdeckung zu machen. Ich fühle eine Achtung für jenes reine weibliche Wesen, die in das Unermeßliche geht, sie läßt sich nur mit der Begeisterung Kühnes für Theodor Mundt vergleichen. Wenn Emerentia nieset, so ist das für mich ein Gedicht; aber meine Empfindungen stehen zu derselben Zeit abgesondert, gleichsam geronnen, für sich, sie haben keinen Verkehr mit der Achtung, sie führen ihren eigenen Haushalt; kurz, denn Offenheit muß ja, wie Sie selbst herzlich und bieder aussprachen, unter Freunden sein — Ihre göttliche Tochter ist mir trotz aller Wertschätzung, die ich für sie empfinde, durchaus zuwider.«
»Eigentlich sollte ich das übelnehmen, ich als Vater«, sagte der alte Baron. »Aber mir liegt hauptsächlich nur daran, daß zwischen Euch keine Mariage zustande kommt, und deshalb ist es mir lieb, daß Ihr Renzeln nicht leiden könnt. Nennt sie denn also in Gottes Namen du. Unter uns, heißt das, nicht vor dem Schulmeister. Anfangs wärt Ihr mir als Schwiegersohn wie eine erwünschte Stütze meines Alters vorgekommen, aber seit Ihr so manches Naturspiel an Euch entfaltet, hat sich die Sache geändert. Zwar erschrecke ich vor nichts mehr an Euch. Wenn Ihr nach Euren geheimen Experimenten oft verteufelt mineralisch riecht, wie Nenndorf, Pouhon und Aachen durcheinander, pflege ich zu sprechen: »Tut nichts, große Männer haben ihre Eigenheiten«, und nehme eine stärkere Prise Doppelmops. Ich halte Euch wirklich für einen großen Mann, aber — zum dritten Male sei es gesagt: Unter Freunden muß Offenheit sein — obschon ich Eure Qualitäten wahrhaft anerkenne — Ihr seid nachgerade für mich ein Kerl geworden, vor dem ich eine stille Aversion verspüre.«
Münchhausens Wangen nahmen die Farbe des Smaragds an, die doppelfarbigen Augen zwinkerten zum Teil, zum Teil leuchteten sie von Tränen. Er griff in hoher Bewegung nach der Hand seines Wirtes, führte sie an sein Herz und rief: »Wie danke ich Ihnen für dieses rückhaltslose Geständnis! Ist das nicht eine andere und männlichere Gesinnung, frei heraus zu sagen, was einer auf dem Herzen hat, als jene altbackene Empfindsamkeit und höfische Scheu, die Schlangen im Busen nährt und auf die Lippen Nachtigallen schickt?«
»Kann denn nicht der deutsche Mann zum deutschen Manne sagen: »Du bist ein Schafskopf« — und dennoch mit ihm in Ruhe und Frieden leben?« rief der alte Baron eifrig.
»Kann ich Sie denn nicht für einen Einfaltspinsel halten, und nichtsdestoweniger Sie herzlich lieben?« schrie Münchhausen.
»Bruder!« schluchzte der alte Baron und fiel seinem Gaste um den Hals, »Gott soll mich verdammen, wenn deine Gesellschaft mir nicht von Herzen abschmeckend zu werden anfängt. Ich meinte, du würdest mir die Journale ersetzen, aber du kommst mir nach und nach alberner vor als irgendein Journal.«
»Glaubst du denn, Bruder«, versetzte der Freiherr und gab seinem Wirte einen Kuß, »daß ich eine Stunde länger bei dir und bei deiner schrumpflichten Tochter vergähnen würde, wenn ich nur irgendwo anders Obdach und etwas zu beißen und zu brechen hätte?«
Die bewegten beiden Männer lagen einander lange sprachlos in den Armen. Zuerst erhielt der Wirt notdürftig seine Fassung wieder und stammelte: »Mein Bruder also?«
»Dein Bruder!« flüsterte der Gast —
»Und in des Worts verwegenster Bedeutung!«
Der Schulmeister trat ein. Die neuen Freunde wischten ihre Augen, der Schulmeister aber sagte: »Das gnädige Fräulein läßt anfragen, ob, wenn sie wiederkomme, keine Anspielungen, die ihr unangenehm wären, weiter vorfallen würden?« Ihr Vater sandte den Boten mit der beruhigendsten Erklärung hinaus, welcher die Nachricht hinzugefügt wurde, daß nichts als die größte gegenseitige Offenheit im Zimmer herrsche.
Als das Fräulein, noch eine leichte Röte auf den Wangen, erschien, ging ihr Münchhausen entgegen, küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und sagte ernst: »Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!«
»Keine Mariage, mein Meister«, erwiderte das Fräulein in würdiger Haltung.
So standen die beiden jungen Leute ohne Liebes- und Heiratsgedanken einander gegenüber; ihre Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwischen sie, legte seine Rechte, wie segnend auf die verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief: »Nie in diesem Leben eine Mariage!«
Die Rührung des Abends war groß. Der Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht. Keine der drei Personen, welche auf dem Wege der Offenheit einander so nahegerückt waren, mochte einen Bissen in den Mund nehmen. Der Schulmeister, welcher nichts von dem ganzen Hergange begriff, aß alles auf.
Von den tiefsinnigen Bemerkungen, welche Münchhausen an diesem Abende mitteilte, hat die Geschichte folgende bewahrt.
»Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin kommen, daß keiner dem andern eine Ohrfeige übelnehmen darf, wofern letztere nur aus einer teuren Überzeugung entsprang. Kein Briefgeheimnis, kein Hausgeheimnis! Alle diese obsoleten Begriffe müssen fallen! Alles muß öffentlich sein! Die Spalten der Zeitungen dürfen sich selbst den Beobachtungen über die Vorgänge des Orts, wohin niemand schicken zu können Kaiser Karl der Fünfte bedauerte, nicht verschließen.«
»Was für ein Ort ist dieser, mein Meister?« fragte das Fräulein.
»Er heißet auf Ebräisch Gehenna«, versetzte der Freiherr.
»Ah so«, sagte das Fräulein und tat, als ob sie Münchhausen verstehe.
Dieser fuhr fort: »Alles muß öffentlich sein für das neue priesterliche Geschlecht der Wahrheit! Gott der Herr hat zwar Herz und Hirn unter Hüllen von Knochen, Häuten und Fleisch gesetzt, und deshalb meinte die Menschheit lange Zeit, sie dürfe manches, was Herz und Hirn ihr beschäftige, unter Hüllen verwahren, aber sie hat im Irrtum gestanden, es ist ein Versehen bei der Schöpfung vorgefallen. Brust und Kopf sollten eigentlich mit Glasschiebern erschaffen werden, was nur damals im Drange der Geschäfte übersehen worden ist. Ich weiß dieses von Nostradamus, den ich kürzlich sprach, und der es von Gott unmittelbar hat.«
»Wer ist Nostradamus?« fragte der alte Baron.
»Ein emeritierter Professor der Naturgeschichte zu Leiden«, antwortete der Freiherr, nahm ein Licht und empfahl sich.
Nach Münchhausens Abgange sagte das Fräulein zu ihrem Vater: »Damit nie wieder eine Anspielung der Art, wodurch ich heute aus dem Zimmer gescheucht ward, verlaute, bin ich im Begriff, Ihnen, mein Vater, sobald der Herr Schulmeister sich entfernt haben wird, eine große Eröffnung zu tun.« Der Schulmeister ging und murmelte: »Ich werde heute meinen Entschluß fassen.« Der alte Baron, welcher eigenen Gedanken nachhing, hörte auf seine Tochter nicht hin, sondern verließ mit den Worten: »Es ist eine Scheidewand gefallen und ich werde mir nun Licht schaffen«; das Zimmer.
Emerentia hatte sich — wie sie sagte, aus weiblicher Schamhaftigkeit, und um den Blick des Vaters zu meiden — mit dem Antlitze der Wand zugekehrt, als sie sich anschickte, die große Eröffnung zu tun. Sie bemerkte daher den Abgang ihres Vaters nicht und sprach eine geraume Zeit die tiefsten Herzensangelegenheiten der tauben Wand gegenüber aus, bis sie, hingerissen von ihrem Feuer, sich plötzlich umwendete und sah, daß es ihr an einem Hörer fehle und, wie sie nun vermuten mußte, immer gefehlt habe. Da blieb ihr das Wort zwischen den Lippen haften und der Rest ihrer Eröffnung im Herzen stocken; stumm und verdrießlich suchte sie ihr Lager auf.
Zweites Kapitel
Der Autor gibt einige notwendige Erklärungen
Die Geheimnisse des Schlosses, welches ich auch wohl fernerhin Schnick-Schnack-Schnurr nennen muß, weil ich ihm, wie vielem, was in dieser Geschichte vorkommt, leider nicht den rechten Namen geben darf — die Geheimnisse des besagten Schlosses, sage ich, nicht über die Gebühr undurchdringlich zu machen, muß hier teilweise berichtet werden, was die drei handelnden Personen mit ihren Reden gemeint hatten.
Münchhausen war nicht sobald auf der Stammburg derer von Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage zum Warzentrost warm geworden, als seine Anwesenheit in dem Gemüte des Barons, seiner Tochter und des Schulmeisters große und verschiedenartige Bewegungen hervorbrachte, wie denn ein bedeutender Mensch niemals in einen Kreis tritt, ohne daß von ihm in den Verhältnissen des Kreises Umwandelungen ausgehen. Der Kreis unseres Schlosses hatte sich bis zu Münchhausens Ankunft von seinen leidenschaftslosen Einbildungen still ernährt, es fehlte aber viel, daß dieser idyllische Zustand seitdem noch fortdauerte, vielmehr wurden die drei Akademiker von Schnick-Schnack-Schnurr in entzücktem Herzklopfen, brennender Neugier und ernster Selbstbetrachtung umgetrieben.
Emerentien war das entzückte Herzklopfen zugefallen.
Sie hatte Rucciopuccion, den Birmanen aus Siena, der eigentlich der Prätendent von Hechelkram war, durch alle niederen Hüllen hindurch, welche Laune oder tiefberechnete Absicht ihn anzulegen getrieben, erkannt. Das Herz der Frauen ist in solchen Dingen ein sicherer Wegweiser; Damajanti sah dem Wagenlenker des Königs Rituparna sofort an, daß in ihm ihr Gatte Nala die Peitsche schwinge, Theodolinde von Bayern merkte gar bald, als sie dem angeblichen Freiwerber den Becher kredenzte, daß er ihr bestimmter Bräutigam Autharit, König von Lombardien sei, und es währte nicht lange, so wußte Emerentia, woran sie mit — dem Bedienten Karl Buttervogel war.
Erschreckt nicht, meine Teuren! Die Sache hatte sich ganz natürlich zugetragen, nämlich folgendermaßen. Anfangs war die Gestalt des so sehnlich zurückerwarteten Geliebten wie ein Traumbild vor ihr auf und nieder gewallt, nach und nach hatte das Traumbild bestimmte Züge angenommen, endlich wich jeder Zweifel und machte der gewissesten Gewißheit Raum.
Denkt an Emerentiens Bewegung, als die beiden Fremdlinge die Burg ihrer Väter betraten, als aus dem Munde des Dieners die verhängnisvollen Worte: »Blumenhut« und »Lauferschurz«, erklangen, als der Diener selbst mit dem improvisierten Blumenhute und Lauferschurze vor ihr stand! War ihrem Geiste nicht seit so vielen Jahren der Laufer als Vorläufer des Fürsten von Hechelkram erschienen? Da stand nun ein Laufer vor ihr, das bunte Taschentuch als Schurz um die Hüfte gewunden, den Strauß von Feldblumen am Hute, kein gewöhnlicher gemachter Laufer, nein, ein unwillkürlich zusammengefügter, ein Schicksalslaufer!
Es durchzuckte ihr Herz. Wenn sie in diesem Augenblicke den Wink der himmlischen Mächte nicht begriffen hätte, so würde sie sich selbst haben verachten müssen. »Aber vorsichtig, Emerentia«, flüsterte sie dem pochenden Herzen zu, »vorsichtig, daß die letzte Täuschung nicht die schlimmste werde!«
Sie richtete jene tiefsinnig prüfenden Fragen an Münchhausen, welche er so wenig verstand, als die unglücklichen Leser des ersten Teils dieser Geschichten sie werden verstanden haben. Münchhausen aber gab ihr darauf die befriedigendsten Antworten. Jetzt war sie versichert, daß ihr durch Blumenhut und Schurz die Erscheinung des Fürsten von Hechelkram angekündiget worden sei. »Aber wo, wo weilest du?« fragte ihre sehnsüchtige Seele.
Münchhausen begann zu erzählen, ein Tag nach dem andern verstrich, Rucciopuccio blieb unsichtbar. Ihr Gemüt litt unter der unruhigen Erwartung. Endlich faßte sie sich ein Herz (was wagt nicht ein liebendes Weib?) und schüchtern sagte sie zu dem Diener Karl Buttervogel eines Tages, gerade als sie ihn den Rock Münchhausens ausklopfend fand: »Karl, sein Sie wahr gegen mich! Wo weilt der Größere, in dessen Dienste Sie eigentlich stehen?«
Karl Buttervogel ließ den Klopfstock sinken, riß die Augen auf, spuckte, wie gemeine Leute bei Verlegenheit zu tun pflegen, aus, und sagte: »Mich soll der Teufel holen, wenn mein Herr größer ist, als ich, und ich kenne keinen Größeren, und mit meinem Dienen hat es zum längsten gewährt.«
»Wie?« fragte das Fräulein in höchster Spannung.
»Denn diese Kondition gefällt mir nicht, und ich werde mich bald auf meine eigene Hand setzen«, fuhr Karl Buttervogel fort.
»Was?« rief das Fräulein, von einem überwältigenden Gedanken erschreckt. Sie wankte und war einer Ohnmacht nahe. Münchhausen, dem der Diener mit dem Rocke zu lange machte, kam in Hemdärmeln die Treppe heruntergestolpert und fing die Freundin auf. »Schlingel, was trödelst du wieder? Lauf jetzt und hole Essig für das gnädige Fräulein!« rief er Karlen zu. Dieser versetzte trotzig: »Ich bin kein Schlingel, denn Sie geben mir keinen Lohn, aber Essig tue ich holen aus Barmherzigkeit.« — »Münchhausen«, flüsterte Emerentia in den Armen des Freiherrn, »Sie sehen mich in meinem Schmerz und zeigen mir ein menschlich Herz. Schmerz nenne ich diese Stimmung, denn auch das Übermaß der Freude kann wehe tun. Ich bin in einer unaussprechlichen Verfassung und beschwöre Sie, mir zu sagen: Sind Sie und Ihr Karl die Vorläufer jemandes, oder sind Sie...« Münchhausen fuhr seltsam zusammen, zitterte mit den Nasenflügeln, sah sich scheu um, ließ Emerentien nicht ausreden, sondern stotterte hastig: »Was Vorläufer? Lassen Sie sich doch nichts in den Kopf setzen, meine Diotima. Gott verdamme mich, wenn uns jemand nachgelaufen kommt. Wir sind da, ich und mein Taugenichts von Bedienten, und man muß uns nehmen, wie wir sind, und nicht wähnen, daß noch ein anderer uns folge und hier auf dem Schlosse ankommen könne.«
»Also ist es klar und entschieden, mein Glück!« rief das Fräulein. Der Bediente Karl Buttervogel kam mit Essig. Emerentia spreche sich und ihr Glück jetzt selbst aus.