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Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 53

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Neuntes Kapitel

Das Freigericht und was diesem folgte

Oswald trat in einer seltsamen Stimmung aus der Türe des Oberhofes. Ihm wäre wohler gewesen, so bedünkte es ihn, wenn er Lisbeth im Sarge vor sich gesehen hätte, dann wäre er jammernd über den Sarg gestürzt, hätte auf den erstarrten Lippen mit seinen Küssen einen kurzen Schein der Lebenswärme hervorgerufen, hätte sich das Herz in Tränen totgeweint. Aber ein Albernes, eine Grille, etwas unbegreiflich Dummes schied ihn von ihr, oder etwas noch Schlimmeres, eine plötzliche Reue über den rasch geschlossenen Bund; so mußte er auch glauben. Der Zorn, der Schmerz über diesen unsichtbaren Feind, über einen dumpfen und stumpfen Zauber, den er nicht lösen, ja nicht einmal anfassen konnte, fraß ihm tief in die Brust hinein. — »Ein leichtes, veränderliches Mädchen, die heute sich hingibt und morgen sich spröde versagt!« murrte er ingrimmig und empfand es wie ein scharfes Messer in seinen Eingeweiden, daß er solche Worte sprach. Es fiel ihm nicht ein, daß er ein großer Graf und Lisbeth ein armer Findling sei, daß dieses verlassene Mädchen auch ihr reichstes äußerliches Glück in der Ehe mit ihm finden müsse; in seinen schwärmerischen und wütenden Gedanken sah er sie hoch über sich. Er war der niedere Schäfer, sie die Prinzessin, die ihn nach Willkür an sich gezogen hatte, nach Willkür ihn nun verstieß. In so furchtbarer Gemütsverfassung, in so bitterer Pein fand er das große Gesetz der Liebe, welches dem Liebenden ewig seine Stelle zu den Füßen der Geliebten anweiset, und wäre diese eine aus dem Staube hervorgegangene Bäuerin. Habe du die Schätze des Moguls, grüne der Lorbeerkranz des Ruhmes um deine Schläfe, führe du Salomos geisterbeherrschenden Ring, kröne dich der Reif der Hoheit, die Geliebte wird, und nicht im abgeschmackten Gleichnis, sondern in der Wahrheit und Wirklichkeit deine Königin sein, demütig wirst du den zaubergewaltigen Ring in ihren Schoß legen, der Kranz wird dich drücken in ihrer Nähe, ein Bettler wirst du immerdar bleiben vor ihr, und auch als König ein Sklav‘.

In solchen ausgeweinten, ausgeleerten, ausgenüchterten Stunden ergreift den Menschen eine wilde Gleichgültigkeit und zugleich schärft sich in ihm eine Art von gedankenlosem Merken auf die unbedeutendsten Dinge. An der Stelle, wo du verzweifeltest, sahst du, ob ein Grashalm so oder so gebogen war, du wußtest, daß an dem Busche, der da stand, zwanzig Knospen aufgebrochen waren, genau so viele, nicht mehr und nicht minder, du könntest den Hirten, der gerade seine Herde dem Platze vorbeitrieb, lange nachher aus der Erinnerung malen, so genau beobachtetest du seinen Rock, den messingenen Kamm im Haar und seine nichtsbedeutenden Gesichtszüge. Du verwünschest dein Geschick, und erkennst während deiner schäumendsten Flüche, daß der Vogel, der dort in weiter Entfernung auf einem dürren Aste sitzt, eine Krähe ist und nicht eine Dohle.

Oswald war gleichgültig über alles geworden und wäre mit seinem juristischen Freunde abgereiset, hätte sich dieser jetzt am Oberhofe eingefunden. Aber er sah auch mit den verwachten und geröteten Augen alles, er hörte alles, was um ihn vorging. — Vor dem Hause stand der Hofschulze mit einem anderen Bauern im Gespräch. Sie standen mit dem Rücken gegen die Türe, so daß sie den jungen Grafen nicht bemerkten. — »Hofschulze«, sagte der Bauer, »es kann doch nun einmal nichts helfen, kommt also nur immerhin zum Stuhl, denn das Gericht muß gehegt werden auch ohne dieses.« — Der Hofschulze antwortete auf das anfangs mit einem tiefen Seufzer, dann sagte er so hohl, als steige die Stimme aus dem Grabe empor: »Ich will kommen, aber ich weiß nicht, ob es ohne das Schwert gelingen wird.« — Der Bauer ging seitwärts ab, der Hofschulze wandte sich um und Oswald sah, daß das Antlitz seines alten Wirtes ganz verfallen war. So blickte auch der Hofschulze in das zerstörte Antlitz seines jungen Gastes; sie warfen einander finstere und doch nichtssagende Blicke zu, und dann ging jeder seiner Wege; der junge Graf durch die Felder, der alte Bauer in das Haus. Auf seinem Wege sagte Oswald zerstört lachend: »Sie werden heute ihren Hokuspokus am Freistuhl machen; ich will mich verstecken und zusehen, was kann der Mensch Besseres tun, als etwas Neues beobachten?«

Nicht lange nach diesem Auftritte wanderten zehn bis zwölf Bauern von verschiedenen Seiten die Pfade den Hügel hinauf nach dem Freistuhle. Es waren die reichsten Hofesbesitzer der Umgegend. Die Gesichter dieser Leute waren ernsthaft und feierlich. Ihre Schritte übereilten sie nicht, und wo auch zwei zusammengingen, wurde dennoch kein Wort gewechselt. Diese alten Freibankbauern trugen auch heute noch ihren Feierputz und die großen breitkrempigen Hüte gaben ihnen ein schweres und würdiges Ansehen. Der Nebel, der noch immer fortdauerte, umhüllte die heimlichen und schweigenden Wanderer.

Als sie oben am Freistuhle angekommen waren, einer nach dem anderen, setzten sie sich schweigend und einander nicht begrüßend auf die Steine umher, die in der Einsenkung zwischen den Brombeergebüschen lagen, der größte aber unter den drei alten Linden blieb leer und für den Freigrafen aufbehalten. Sie saßen wohl eine Viertelstunde lang, ohne einander anzusehen, geschweige daß sie zusammen geredet hätten. Jeder blickte starr und fest vor sich hin. Zuletzt kam der alte Bauer, welcher mit dem Hofschulzen gesprochen hatte, der Fronbote; nächst dem Besitzer des Oberhofes der kundigste in den Sitten und Gebräuchen der Väter. Dieser stellte sich außerhalb des Kreises der Steine hin, auf seinen Knotenstock gestützt und nach der Gegend des Oberhofes hinuntersehend.

Von dieser Gegend kam nach einer Viertelstunde der Hofschulze heraufgegangen, der Freigraf. Neben ihm ging sein Eidam. Feiermäßig war auch sein Anzug, aber gebückt und kummervoll sein Gang. Den Eidam ließ er an einer über hundert Schritte vom Freistuhl entfernten Stelle zurückbleiben, das Gesicht von diesem abgekehrt. Der Fronbote ging dem Hofschulzen entgegen, führte ihn bis an den Kreis und sagte:

 
»Herr Graf, mit Urlaub und mit Behagen
Tue ich Euch fragen;
Soll ich, Euer Knecht,
Euch den Königsstuhl setzen, wie Recht?«
Der Hofschulze erwiderte:
»Alldieweil die Sonne mit Rechte
Bescheinet Herren und Knechte
Und alle unsere Werke,
Spreche ich, das Recht zu stärken,
Den Stuhl zu setzen eben,
Und rechte Maß zu geben.«
 

Der Fronbote ging hierauf durch den Kreis zu dem großen Steine unter den drei alten Linden, legte die Hand an denselben, als setzte er ihn wie einen Stuhl zurecht, stellte ein kleines Kornmaß, welches er unter dem Rocke hervorzog, vor den Stein, blieb selbst daneben stehen und rief dem Hofschulzen, der sich noch immer außerhalb des Kreises befand, folgenden Spruch zu:

 
»Herr Grafe, lieber Herre;
Ich vermahne Euch bei Eurer Ehre,
Ich bin Euer Knecht,
Darum sagt mir für Recht,
Ob diese Maß ist gleich
Für arm und reich,
Zu messen Land und Sand
Bei Eurer Seelen Pfand?«
Der Hofschulze antwortete:
»Ich erlaube Recht und verbiete Unrecht
Bei Peen der alten erkannten Recht.«
 

Er ging nun auch in den Kreis, schritt, ohne von seinen Genossen begrüßt zu werden, oder sie zu begrüßen, auf den Stein unter den Linden, den Königsstuhl, zu, setzte sich, stellte seine Füße auf das Kornmaß und entblößte das Haupt, welchem Beispiele die Bauern folgten. Dann zog er eine Flechte von Weidenzweigen aus dem Rockärmel und gab sie dem Fronboten, der sie auf einen tischartigen Stein vor dem Stuhle legte.

Die Bauern murmelten und einer fragte: »Die Wyd sehen wir; wo ist das Schwert?«

Der alte Freigraf zuckte zusammen und der Fronbote antwortete statt seiner: »Es hat nicht gleich auf der Stelle gefunden werden können.«

»Nachbarn«, sagte der Hofschulze zitternden Lautes, »es ist ein Malheur mit dem Schwerte von Carolus Magnus geschehen, und wenn Ihr so wollt, stehen wir auf und gehen heim.«

»Nein!« riefen die Bauern; »aber daß das Schwert mangelt, ist schlimm, denn es bedeutet das Kreuz, woran der Herr Christus gelitten hat.«

Sie blieben in nachdenklichen Stellungen. Auch ihr alter Vorstand hatte Mühe, seine Fassung zu behalten. Er erhob indessen die Stimme und sprach zum Fronboten:

 
»Ich biete, zu sagen mir:
Sind Notschöffen allhier?
Oder Mann, die nicht wissen?
Das sage mir beflissen.«
 

Der Fronbote sah sich im Kreise um und versetzte dann mit lautem Tone:

 
»Alle Mann sind wissend und gerecht,
Weder Notschöffen, weder Juden, weder Knecht.«
 

Jetzt redete der Hofschulze die Versammlung mit folgenden Worten an: »Ist es die rechte Stätte und die rechte Stunde, Ding und Gericht zu halten nach Freistuhlsrecht unter echtem Römischen Königsbann?« — Die Bauern antworteten einstimmig: »Ja, sie ist es«; und der Hofschulze fuhr fort: »So warne ich Euch vor Unlust, Keif, Scheltwort. Niemand soll sprechen, denn mit Fürsprach, niemand scheiden vom Gericht, denn mit Urlaub. — Dieweil —« setzte er hinzu —

 
»Dieweil an diesem Tage
Mit Eurer aller Behagen
Unter dem hellen Himmel klar,
Ein frei Feldgericht offenbar
Wo Notschöffen keine
Gehegt beim lichten Sonnenscheine,
Nicht in Schlüften
Nicht in Klüften
Zwischen sieben Uhr frühe
Und Ein Uhr mittags; siehe!
Alle Mann auch nüchtern kommen sind,
Königsstuhl und Maß man recht befindt,
So sprecht das Recht ohne Witz und Wonne,
Weil scheint die Sonne.«
 

Die Bauern sprachen: »Wir wollen‘s.«

Der Hofschulze fragte abermals: »Was gibt dem Freischöffen Fug und Recht?«

Die Bauern murmelten dumpf: »Hebende Hand, blickender Schein, gichtiger Mund.« —

Darauf sagte der Fronbote: »Herr Grafe, es steht draußen ein Mann, der Begehr am Ding und Gericht hat.«

Der Hofschulze wandte sich wieder an die Versammlung und sprach:

 
»Ist es Euch genehm und zum Behagen,
Daß mein Eidam vom Jürgenserb,
Frei, keinem eigenbehörig,
Ohne Schimpf noch Schande,
Unverleumd‘t im Lande,
Wissend gemacht werde
Auf roter offener Erde,
Fahe Losung und Heimlichkeit,
Wie Kaiser Carolus gesetzt zu seiner Zeit?«
 

Die Freischöffen erwiderten: »Es geschehe.« — Der Hofschulze gab nun dem Fronboten einen Wink, dieser ging zu dem Eidam und führte ihn herbei. Der junge Bauer sah sehr stolz und freudig aus, als er in den Kreis trat, in welchem er die höchste Ehre von seinesgleichen empfangen sollte.

Der Fronbote gab ihm Anweisung, darauf entblößte der junge Bauer sein rechtes Knie, kniete bedeckten Hauptes vor seinem Schwiegervater nieder, legte die linke Hand auf die Weide, die ihm der Fronbote vorhielt, und empfing in dieser Stellung vom Hofschulzen die Vermahnung vor Eidbruch, die ihm unter schweren Verwünschungen erteilt wurde. Bei der Weide solle er denken an den Strick um den Hals, hieß es darin, und bei der Linde, die er sehe, an den Baum, der den Verräter trage. Vermaledeit sei dessen Fleisch und Blut, der Wind solle ihn verwehen, die Krähen, Raben und Tiere in der Luft sollen ihn verführen und verzehren.

Noch schrecklichere Drohungen enthielt dieses Verwarnen. Der Eidam verzog aber keine Miene dabei. Hierauf nahm ihm der Fronbote den Eid ab, den der neue Schöffe nachsprach. Er schwor, die Feme zu hüten:

 
»Vor Mann, vor Weib,
Vor Dorf, vor Traid,
Vor Stock, vor Stein,
Vor groß, vor klein,
Auch vor Quick
Und vor allerhand Gottesgeschick,
Ohne vor dem Mann,
Der die heilige Feme hegen und hüten kann,
Und nicht zu lassen davon
Um Lieb noch um Leid,
Um Pfand oder Kleid,
Noch um Silber, noch um Gold,
Noch um keinerlei Schuld.«
 

Als der Eidam den Eid geleistet hatte, wollte er aufstehen, der Fronbote hielt ihn aber in seiner knieenden Stellung fest und sagte, sich vergessend, und aus der feierlichen Redeweise in seine Bauernsprache fallend: »Wollt Ihr denn wie das liebe Vieh Schöffe sein? Ihr kriegt ja erst die Losung.«

»Auch gut!« rief der junge Bauer, dem die fürchterliche Verwarnung und der Eid ein Behagen erregt zu haben schien. »Her mit der Losung!«

Der Hofschulze setzte den Hut auf, der Eidam mußte ihn abnehmen und nun sagte jener: »Die Losung und das Notzeichen, das ich dich lehre, lautet: Stock, Stein, Gras, Grain.«

»Gut«, versetzte der Eingeweihte. »Stock, Stein, Gras, Grain, das ist wohl zu behalten. Aber was bedeutet: Stock, Stein, Gras, Grain?«

»Neige dein Ohr zu meinem Munde«, versetzte der Freigraf, »du sollst den heimlichen Sinn erfahren, den außer dir nicht einmal die Lüfte hören dürfen.«

Indem der Eidam sich zu den Lippen des Schwiegervaters hinüberbeugte, rief aber der alte Fronbote überlaut: »Halt! Das Ding ist geschändet, wir haben einen Lauscher in der Nähe, ich hörte ein Geräusch ganz deutlich.«

»Nun ja«, sagte Oswald, der hinter der alten Linde hervortrat, gezwungen lachend, »ich habe Euch belauscht. Ich stand in dem hohlen Baume da. Das Horchen, welches ich noch nie getan, wollte mir aber so schlecht behagen, daß ich mich rührte, um fortzugehen, womöglich da in den Forst, Euch unbemerkt. Nehmt mir‘s nicht übel, ich werde nichts von Euren Sachen verraten, es ist, als ob ich sie nicht gehört hätte.« — Er trat in den Forst zurück und verlor sich unter den Bäumen.

Wie wenn bei einem fröhlichen Mahle plötzlich ein fremder Eindringling durch eine ungeheure Beleidigung der ganzen Gesellschaft den Fehdehandschuh hinwirft — anfangs ist alles lautlos und gleichsam versteinert, mit einem Male aber springt jeder auf und läßt das verletzte Gefühl in Blick, Gebärde, Drohung, Zornes- und Racheworten ausschäumen, so wirkte hier die unerwartete Erscheinung des fremden Zeugen anfangs nur ein atemloses Staunen und die Bauern sahen ihm, ohne ein Wort zu sagen, nach, bis er im Forste verschwunden war. Dann aber sprangen sie wütend auf, ballten die Fäuste und ergossen sich in einem Strome von wilden Reden, Drohungen, Verwünschungen. Einige riefen: »Soll das geschehen dürfen wider uns?« Andere antworteten: »Nimmermehr; tot sollte man ihn schlagen!« »Tot!« riefen alle und bekräftigten dieses finstere Wort durch ein lautes Murren, welches schauerlich von der nebelumgebenen Höhe klang. — An eine Fortsetzung des Freigerichts wurde nicht gedacht.

Der Hofschulze war während des Getöses stumm geblieben, sein Antlitz sah aber kreideweiß aus. Als jetzt nach jenem Murren eine augenblickliche Stille eintrat, erhob er sich und sagte: »Nachbarn, wollt Ihr mir überlassen, die Sache in aller Manier zu schlichten?«

Die Bauern versetzten: »Tut das, Hofschulze. Nur daß nichts auskommt von der Heimlichkeit.«

»Ich hoffe, es soll nichts auskommen«, versetzte der Hofschulze mit einem seltsamen Lächeln.

»Wie wollt Ihr es anfangen?« fragten seine Nachbarn.

»Ich will Euch nur veroffenbaren«, sagte der Hofschulze und sein Lächeln wurde immer sonderbarer, »daß ich eine Sache von meinem Vater seliger ererbt habe, die, wenn man sie gehörig braucht, jemandem den Mund schließt über jegliches Ding, worüber man will.«

»Ja«, sagte einer, »so etwas müßt Ihr wohl innehaben, denn vom Oberhofe ist niemals was herunter geschwatzt worden.« — Sie schüttelten ihm die Hand und liefen nach allen Richtungen hügelabwärts auseinander, unterweges ihr Murren, Schelten und Verwünschen fortsetzend.

Als die beiden Alten oben auf der Höhe allein waren, wechselten sie miteinander die allerverwunderlichsten Blicke. Der Fronbote hatte seit dem Abgange des jungen Grafen wie ein Falke nach jedem Gesichtszuge seines Freigrafen gespäht.

Er verstand ihn und der Freigraf verstand den Fronboten; es bedurfte aber dazu keines Wortes unter ihnen.

Nach langem Schweigen erhob zuerst der Fronbote seine Stimme und sagte: »Wollt Ihr mir eine Nachbargefälligkeit tun, Hofschulze?«

»Ja, wenn ich kann«, versetzte der Hofschulze.

»Ihr könnt schon«, sagte der alte Fronbote. »Es fehlt mir im Nußholz an Fällern und auf der Pfaffenwiese an Grummetwenderinnen. Darf ich Eure Knechte und Mägde dazu vom Oberhofe mitnehmen, die Knechte nach dem Nußholze schicken und die Mägde nach der Pfaffenwiese? Ihr kriegt sie aber vor spät abend nicht zurück, denn es ist viel zu tun.«

»Nehmt sie nur alle mit, Knechte und Mägde, und behaltet sie bis zum späten Abend draußen«; antwortete der Hofschulze.

»Ich tue Euch auch einen Gefallen dagegen«, sagte der Fronbote. »Ihr spracht neulich, daß Ihr den alten Brunnen hinter der Scheure wiederaufnehmen wolltet; er ist aber ganz versperrt; das Gestrohde vor dem Zugange will ich Euch daher immer schon etwas wegräumen, wenn ich hinunterkomme.«

»Es soll mir recht lieb sein«, erwiderte der Hofschulze.

»Wohin geht Ihr von hier aus?« fragte der Fronbote.

»In die Hollenberge, um nach den Mandeln zu sehen«, antwortete der Hofschulze, und schlug, ohne sich weiter zu verweilen, einen Pfad zwischen den Kornfeldern ein. Der Fronbote sah ihm nach und sagte dann: »Wenn man nun einstmals unvermutet um Sachen befragt werden sollte, so kann man schwören, daß er weder in den Oberhof noch in den Forst da gegangen ist, dem Menschen nach.« Hierauf schritt er den Weg zum Oberhofe hinunter.

Der Hofschulze kehrte, als er einige hundert Schritte gegangen war, um und ging in den Forst, bebend, bleich, außer sich.

Zehntes Kapitel

Wie der Hofschulze und der Graf Oswald aneinander und auseinander gerieten

Unten im Oberhofe befahl der Fronbote den Knechten zum Holzfällen nach dem Nußholze, den Mägden zum Grummetwenden nach der Pfaffenwiese zu gehen, der Baas habe sie ihm für den Tag verstattet. Sie sollten sich Brot mitnehmen und am Abend werde er ihnen das eingebüßte Mittagessen wohl ersetzen; fügte er hinzu.

Die Knechte und Mägde gehorchten ihm, denn der alte Fronbote war des Hofschulzen genauester Freund und galt wie der Herr selbst im Hofe, wenn jener entfernt war.

Nachdem sich alle Menschen, wie er glaubte, aus dem Hofe entfernt hatten, blieb er noch einige Minuten in dem stillen Hause stehen und sagte dann wohlgefällig: »Jetzt kann hier geschehen, was Recht ist.« Darauf ging er über den Hof nach den Ställen. Zwischen der Scheure und dem Pferdestalle war ein schmaler Gang, der noch dazu durch Rasen und Reisig etwas versperrt war. Diese Hindernisse räumte der Fronbote hinweg, legte sie jedoch so, daß sie mit leichter Mühe wieder an ihren Platz getan werden konnten. Von dem Gange gelangte er auf ein kleines dunkeles Plätzchen hinter der Scheure, welches kaum acht Fuß im Gevierte hielt. Nur ihm und dem Hofschulzen war das Dasein dieses Plätzchens kund, auf welchem der alte Brunnen des Oberhofes stand, der, welcher gebraucht worden war, ehe durch den Bau der neuen Scheure vor dreißig Jahren das Plätzchen verbaut wurde, welches durch einen Winkel der hinter der Scheure durchziehenden Hofesmauer entstand.

Ein großer Holunderbaum, welcher an dieser Mauer grünte, überschattete das Plätzchen und machte es feucht. Nesseln und Unkrautspflanzen wucherten dort in wilder Fülle. Der Fronbote schlug einige der höchsten Nesseln zurück, und seine rauhen Fäuste empfanden nichts von ihrem Brennen. Er stieß mit dem Fuße die Kröten fort, die auf den feuchten Steinen in Menge saßen, nahm ein paar morscher Bretter, womit der Brunnen überdeckt war, hinweg, beugte sich über die niedrige Brunnenmauer, ließ einen Stein hinunterfallen und freute sich, als das Plätschern unten anzeigte, daß noch Wasser in dem Brunnen war. Er legte einige große Steine neben den Brunnen und einen Strick, den er aus der Tasche zog, legte er dazu. Dann schwang er sich ungeachtet seines Alters rüstig an dem Holunderbaume über die Mauer, nachdem er noch ein Blatt von dem Baume abgebrochen hatte. Auf dem Blatte pfiff er eine Melodie, während er draußen durch Wiesen und Felder nach seinen Besitzungen ging. Zuerst wollte er das Nußholz und dann die Pfaffenwiese besuchen.

Als das Haus des Oberhofes ganz still geworden war, tat es oben an der Türe der Kammer, worin das Schwert Karls des Großen gelegen hatte, ein leises Klinken, so leise, als fürchte der Klinkende, daß auch nur das geringste Geräusch von ihm vernommen werden möchte. Darauf schlich es ebenso leise über den Gang nach dem Zimmer Lisbeths, und dann wurde es wieder eine Zeitlang ganz still, als werde an der Türe gehorcht, ob jemand in dem Zimmer sei. Darauf klinkte die Türe des Zimmers schon etwas lauter und als nun letztere geöffnet worden war, ging es oben und tat ein Kramen wie von jemand, der nicht mehr darauf achtete, ungehört zu bleiben.

Aber plötzlich ertönte unter dem Kramen ein Schrei, es kam aus dem Zimmer gesprungen, die Türe desselben wurde rasch zugeworfen, es rannte über den Gang, huschte in die Kammer und auch deren Türe flog mit Geräusch zu.

Kurz nach diesem Vorgange betrat der Hofschulze mit dem jungen Grafen Oswald das Haus. Das war ungefähr um die Zeit, als der Fronbote sein Geschäft am Brunnen getan hatte. — »Welche Versicherung begehrt Ihr von mir, daß ich Eure Heimlichkeit nicht ausbringe?« fragte Oswald seinen alten Gastfreund. »Ich bin willfährig mit Euch gegangen, als Ihr mich oben im Forste darum ersuchtet, aber nun beeilt Euch und sagt mir an, was Ihr wollt.« — Mit einem schweren Seufzer setzte er hinzu: »Es gefällt mir nicht mehr bei Euch und ich muß fort.«

»Ich werde Ihnen da droben meine Meinung veroffenbaren, da droben in der Kammer am Gange«, sagte der Hofschulze so mühsam und stockend, daß jedes Wort sich wie von Klammern in seiner Brust loszuringen schien. Er ließ den Gast vorangehen und folgte ihm mit schweren und dröhnenden Schritten.

Als sie oben in die Kammer eingetreten waren, schob der Hofschulze den Riegel vor das Schloß und warf seinen lichtblauen Feiertagsrock ab. Dann reckte er seine Glieder und die ganze Gestalt wuchs wieder wie damals, als er im Mondschein den Jäger warnte, an die Geheimnisse des Schwertes zu rühren. Er wiegte die Arme und Fäuste, gleichsam um ihre Kraft zu prüfen, hin und her.

Oswald, durch dessen Seele eine finstere Ahnung flog, sagte nicht ohne Schauder: »Was soll das?«

Der Alte zog die buschichten Brauen in die Höhe und versetzte kalt: »Einer von uns beiden verläßt diese Kammer nicht lebend.«

»Was!« rief Oswald entsetzt. »Ihr wollt mich ermorden? Zum Meuchelmörder wollt Ihr an Eurem Gaste werden?«

»Keinesweges«, sagte der Hofschulze ruhig wie in guten Tagen. »Sondern es soll alles mit der Manier zugehen. Jetzt höret mich an, junger Herr Graf oder Fürst, oder wer Ihr sonst sein möget, denn es kann sich treffen, daß ich auf dieser Kammer liegen bleibe, und drum ist mir sehr vonnöten, daß Ihr eine gute Meinung von mir heget und behaltet. Das Gemüte des Menschen kann ein Vieles ertragen, aber vom Übermaß wird es in die Desperation getan. Ich bin desperat, Herre, und kann dafür nichts. Meine Seele ist voll Nöte und Pein und schreit wie ein Hirsch nach der Wasserquelle. Es ist zuviel Kreuz und Herzeleid über mich gekommen in diesen paar Tagen und das letzte war das schlimmste. Mein Schwert ist mir gestohlen, mein Schwert! mein Schwert! Das Schwert von Carolus Magnus! Ich bin wie Asche und Scherben, wenn ich daran gedenke. Nun behorchen Sie auch noch die Heimlichkeit, meine Heimlichkeit! Ei, Herre, war das recht? Nachdem ich Ihnen Logement gegeben manchen Tag und mich ganz in der Ordnung mit Ihnen betragen? Sie werden es ausbringen und haben uns eine Schande angetan, eine Schande, daß mir zumute ist, als wäre meiner Tochter durch Sie Gewalt geschehen —«

Oswald rief: »Ich schwöre, nichts...«

»... zu verraten, das wollen Sie schwören«, fiel der Hofschulze ein. — »Sie schwören es heute und brechen es morgen, ich verstehe mich auf solche Schwüre. Wer dergleichen absonderliche Heimlichkeit erfuhr, der verrät sie auch an seinen Freund, oder an seine Liebste, oder an ein Blatt Papier, oder an die Lüfte und die Sache kommt unter das Schwabenvolk draußen im Reich. Nein, nur der Tod stopft den Mund über diese Dinge, auch sagen die alten Rechte ganz genau, wer Freigerichtes Heimlichkeit sieht, ohne wissend zu sein, der ist des Lebens los. Ich habe einen Haß auf Sie, wie auf keinen Menschen sonst in der Welt, denn — sagen muß ich Ihnen auch nur: In der Nacht zeigte mir das Gesicht mein Schwert in Ihrem Verschlage, darunter stecken Sie also auch mit, und nun tun Sie das — das — das —«

Er hielt, von innerer Wut zusammengeschnürt, einige Augenblicke inne. Dann fuhr er pathetisch fort: »So dachte ich da droben auf der Höhe am Stuhl: Herr, Herr, wie soll das werden? Die Heimlichkeit darf nicht von der roten Erde, wie aber magst du es gleichwohl schlichten? Du kannst nicht drei hinter ihm hergehen lassen, die ihn fassen am Kreuzweg und aufhenken und ihm lassen Geld und Gold und ihr Messer neben ihn stecken in die Borke des Baumes nach Königsrecht! — Und darfst du ihn locken in dein Gehöfte und abmeucheln und sollst noch so etwas Schandhaftiges auf dich laden in deinen urältesten Tagen, o pfui, o pfui! — Auf einmal aber tat es in mir einen Blitzschlag und eine innerliche Erleuchtung und ich wußte, wie ich mich zu fassen und zu verhalten habe. Denn ich bin zwar noch stark bei Kräften, aber Sie sind jung und auch nicht schwach, und so sind wir einander gleich. Deshalb wollen wir nun kämpfen um unser Leben, Mann gegen Mann, Auge in Auge blickend. Schlage ich Sie darnieder, so ist Ihr Grab im alten Brunnen bereitet und die Heimlichkeit bleibt auf der roten Erde, tun Sie es mir an, so hat es Gott also gewollt; auf jegliche Weise aber ist dieses ein wahres und aufrichtiges Gottesgericht. Also frisch ans Werk, denn ich weiß mir sonst nicht zu helfen!«

Er erhob eine Axt, die neben ihm stand und sah, indem er sie leicht wie eine Feder emporschwang, furchtbar aus, gleich einem von den Streitern Wittekinds in den Schlachten bei Detmold und an der Hase.

»Seid Ihr bei Sinnen, Hofschulze?« rief Oswald. »Ich fürchte mich vor keinem Feinde, aber womit soll ich mich verteidigen gegen Euch alten, rasenden Mann?«

»Dort steht eine zweite Axt«, sagte der Hofschulze. »Nehmt sie, Herre; jegliches Gerät kann zu einer Waffe werden in des Mannes Faust, und wie geschrieben steht, so sind sie vor alten Zeiten auch solcherweise mit Streitäxten aufeinander losgegangen.«

»Ich nehme die Axt nicht und haue mich nicht mit Euch herum wie ein Schlächter und Stierfäller«, versetzte stolz und fest der junge Graf. »Ihr seid, scheint es, in der Berserkerwut, dem uralten Wahnsinne Eures Stammes. Ihr werdet aber zu Euch selbst kommen und Euch dann schämen mit mir so verfahren zu sein um Possen...«

»Possen!« schrie der alte Bauer mit einer entsetzlichen Stimme. »Possen!« wiederholte er ebenso laut und stieß den Stiel der Axt so heftig auf den Boden, daß ein Teil des Kalks von der Decke fiel. — »Herr! Herr! In den Possen bin ich alt und grau geworden, und mit den Possen habe ich mir Recht genommen an einem Schalk und Sohnesmörder, und mit den Possen folgen mir meine Landsleute, wohin ich sie haben will, wie eine Lämmerherde, und um die Possen verstehen sie mich, ohne daß wir ein Wort miteinander zu reden brauchen, also mögen es wohl für Euch da draußen in Schwabenland Possen sein, aber für mich und meinesgleichen sind es keine Possen nicht. — Und Herr, ich will jetzo mein Recht haben und meine Rache an Euch und die Sicherheit von wegen der Heimlichkeit. So wahr der Herr lebt, ich suche das alles nicht wie ein schlechter und boshafter Mensch, sondern in grausamer Herzensangst und Unruhe — wißt Ihr ein ander Mittel, sagt es an — aber werden muß mir es; mein Recht und die Sicherheit, und werden soll mir es, so wahr uns hier niemand hört als Gott und die vier weißen Wände, denn der Fronbote hat die Menschen hinweggeschafft vom Hofe und nur das blöde Vieh brüllt da drunten in seinem Stalle.«

Das Saatlaken bewegte sich und eine bleiche, jungfräuliche Gestalt trat dahinter hervor. »Ihr irrt Euch, Hofschulze«, sagte Lisbeth zitternd am ganzen Körper, aber mit fester Stimme. — »Aus meinem Verstecke treibt es mich hervor, Euch vor Torheit zu retten. Nicht Gott allein hörte Euch und die stumme Wand, sondern auch ich hörte Euch und er setzte mich zu einer Zeugin Eurer wilden Gedanken. So hat Euch also Gott mit Eurem Vermessen in mir zuschanden werden lassen, deshalb steht von den Werken blinden Grimmes ab.«

Die Gewalt dieser plötzlichen Erscheinung war zu groß, als daß der Hofschulze nicht vor ihr mit seiner doch nur fieberhaften Aufregung hätte zusammenbrechen müssen. Er ließ die Axt fallen, seine Gestalt schrumpfte gleichsam vor dem zitternden Mädchen, welches doch so fest sprechen konnte, ein, stumm und gebeugt verließ er die Kammer.

Oswald war überrascht, freudig und kummervoll vor Lisbeth in die Kniee gesunken. Ach, sie war wieder da, aber wie sah sie aus und wie streng und kalt hatte sie ihn einen Augenblick angesehen, um dann beharrlich von ihm wegzublicken! — »Kommst du endlich wieder zum Vorschein, Lisbeth?« stammelte er. »O was hattest du vor? — Du hast mir mein Leben gerettet, denn ich glaube, die Kraft würde mir ausgegangen sein dem wütenden Alten gegenüber.«

»Sie haben mir dafür nicht zu danken, Herr Graf oder Fürst, um zu sprechen wie der Hofschulze sprach«, versetzte Lisbeth. »Was ich hier tat, würde ich jedem Fremden erwiesen haben.« Sie wollte das in einem kalten Tone sagen, aber die Stimme bebte so heftig, daß es wie Zorn klang.

Die Liebe hört in solchen Fällen nur auf die Worte und deren Klang. Zornig und bestürzt sprang er auf, trat weit von ihr zurück und sagte schneidend: »Also ist es wahr? Also doch verabschiedet nach vierundzwanzig Stunden?«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
1010 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
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