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Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 54

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»Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu reden«, erwiderte Lisbeth kaum hörbar. »Ich bitte Sie, mich ruhig meiner Wege gehen zu lassen. Ich wollte nach der Stadt zu dem Herrn Diakonus, von dem ich vorhin einige Zeilen auf meinem Zimmer gefunden habe, daß er mich aufnehmen will.«

»Nach der Stadt wollte ich auch«, sagte er kalt lächelnd. »Wie aber die Sachen zwischen uns stehen, so werden Sie wohl meine Begleitung ablehnen.«

»Ich fürchte mich nicht und bin gewohnt, allein zu wandern«, antwortete Lisbeth. — »Übrigens darf ich Ihnen ja die offene Straße nicht verbieten, die Ihnen wie mir gehört.« — Sie verließ die Kammer und wäre er ihr nachgefolgt, so hätte er ein Schluchzen wahrnehmen können, welches das ganze Wesen des armen Kindes aufzulösen drohte.

Er hätte sie nur fragen dürfen: »Was hast du gegen mich Lisbeth? Sage mir‘s! Selbst wenn du meinst, daß ich geraubt und gemordet habe, so mußt du mir mein Verbrechen doch nennen.« — Dann hätte sie gesprochen und er hätte gesprochen und aus dem Sprechen wäre wahrscheinlich ein Lachen über die unnützen Kümmernisse geworden. Aber er dachte nicht daran sie zu fragen. Denn Liebe ist alles; auch ungerecht und hochmütig ist Liebe, sie sieht in manchen Fällen die Geliebte lieber treulos oder veränderlich, als unter der Wucht eines Mißverständnisses erliegend.

Ingrimmig knirrte er mit den Zähnen, als er allein war. »Es ist unglaublich!« rief er, »freilich aber doch wahr.« Er stieß seine Stirn wider die Wand, um nur einen recht heftigen körperlichen Schmerz zu empfinden. Dann rief er in seine Brust hinein, in welcher es eben wieder unheimlich zu wühlen begann: »Herauf Ihr kleinen roten Schlangen! Herauf ans Tageslicht!« — Die Axt nahm er, die der alte wilde Bauer ihm hatte aufnötigen wollen und warf sie mit solcher Gewalt nach einem Kasten, daß die Schärfe des Beils tief in das Holz fuhr und darin stecken blieb.

Ein Geräusch draußen verriet ihm, daß Lisbeth fortgehe. Obgleich sie ihm nicht mehr gehörte, so war ihm doch, als sei noch Leben im Oberhofe, so lange Lisbeth darin verweilte. Nun aber kam es ihm vor, als öffne sich das Grab. — »Fort aus dem Grabe!« rief er und sprang Lisbeth nach. Sie stand, ihr Bündelchen unter dem Arme, unten einen Augenblick still und zuckte zusammen, als sie Oswald kommen sah. Er wollte ihr das Bündel abnehmen, sie versagte es mit stummer Gebärde. Sie ging und er schlug, mehrere Schritte zwischen sich und ihr Raum lassend, denselben Weg ein. So geschieden und sich scheidend verließen sie den Oberhof, in welchem ihnen viel begegnet war, beides, Freude und Schmerz.

Eilftes Kapitel

Eine Art von Feldzug

In keinem Trauerhause fehlt es an jemand, der auf eine so lächerliche Weise zu weinen weiß, daß er die Wehklage der anderen fast in Unordnung bringt und nahe dem Umschlagen in eine geheime Heiterkeit. — Der würdigste Vater mag sich bei der wohlgemeintesten und wohlgesprochensten Ermahnung an seine mannbare Tochter ja davor in acht nehmen, daß irgendein sonderbar mithandelnder Zipfel ihm ein durchaus komisches Ansehen leihe. — Ernste Männer vom größten Verdienst haben nicht selten das Unglück gehabt, daß ihre feierlichsten Handlungen durch den ungeschickten Eifer eines Anhängers fast wie Schnurren ausliefen. — Mir ist, um auf das Trauerhaus noch einmal zurückzukommen, der Fall bekannt, daß eine ganze Familie am Begräbnis einer teuren Verwandten in das tiefste Leid eingetaucht um einen Tisch her versammelt saß, plötzlich aber zu einem ärgerlichen und unwiderstehlichen Lachen fortgerissen wurde, weil einer, und gerade der Schluchzendste, sacht eine baumwollene Nachtmütze hervorholte, diese sich auf den Kopf setzte und unter derselben fortfuhr zu schluchzen. An und für sich war diese Handlung höchst vernünftig, weil er das Herannahen eines Rheumatismus im Kopfe fühlte und demselben mit der wärmenden Hülle begegnen wollte. Gleichwohl wirkte sie in so anstößig erheiternder Weise! Denn eine baumwollene Nachtmütze gehört nun einmal zu den Dingen, die unwiderstehlich jeden feierlichen Ernst zerstören.

Der neckende Geist, welcher bei allen trüben oder erhabenen Angelegenheiten des Lebens sein Spiel zu treiben scheint, hatte auch den Küster wieder in die Nähe des Oberhofes geführt. Dieser Mann war nämlich gekommen, sein Deputat an Lebensmitteln von der Hochzeit einzufordern. Rasch hatte sich das Geschäft gemacht, weil schon alles für ihn bereitstand. Jetzt wandelte er mit seiner korbtragenden Magd den Weg voran, den auch unser leidendes Liebespaar zu gehen hatte. Der Nebel war endlich verweht, die Sonne sah wieder golden vom Himmel, es war ein angenehmer, klarer Tag, wenn auch etwas kühl. In der Heiterkeit der Lüfte war dem Küster der Gedanke zugeweht, nach so manchen Ängsten ein frohes und genügliches Mahl im Freien zu halten, da er sich auf der Hochzeit selbst, wie wir wissen, nicht zum vierten Teile satt gegessen hatte. Er bezweckte dabei zugleich, wie wir nachmals hören werden, die Erfüllung seines dritten Lebenswunsches, des Wunsches, der in dem Gespräche mit dem kupfernasigen Schirrmeister unausgesprochen blieb, weil das Gespräch damals leider nicht zum ruhigen Abschlusse gedieh.

In solchen Gedanken schritt er denn also mit seiner Magd fürbaß. Die Magd konnte wegen des schweren Korbes nicht rasch gehen, er bestellte sie daher nach dem sogenannten alten Spritzenhäuschen, welches auf der Hälfte des Weges lag, und ging eilig voran, weil er unterweges in einem einzelnen Hause noch eine Verrichtung hatte.

Zu der langsam nachwandelnden Magd gesellte sich aber, als ihr Herr ihrem Gesichte entschwunden war, ein zweiter Wanderer, der Schulmeister Agesel. Die Magd hatte wohl von den Einbildungen des Schulmeisters vernommen, da sie aber zu den mutvollen Personen ihres Geschlechtes gehörte, so fürchtete sie sich nicht vor ihrem Begleiter, vielmehr war es ihr lieb, Gesellschaft zu finden. Der Schulmeister seinerseits war erfreut, die Magd zu finden, denn er wollte an ihren Herrn, nicht ihm ein Leid zuzufügen, sondern den Leugner von seinen gesunden Verstandeskräften zu überzeugen. Nachdem er im allgemeinen über diesen Punkt mit der Magd gesprochen hatte, sagte er zu ihr: »Es ist ja mein offenbarer Schaden und eine Sache, die mir mein ganzes Brot und den Kredit in der Bauerschaft verderben kann, wenn der Küster, der noch dazu ein halber Amtsbruder von mir ist, überall umherläuft und mich bei den Leuten anschwärzt. Deshalb muß ich ihn notwendig davon überzeugen, daß ich meine fünf Sinne beisammen habe.«

»Natürlich«, versetzte die Magd. »Wenn mich einer eine Diebin schilt, so muß er auch hören können, warum ich keine Diebin bin.«

»Nun also!« fuhr der Schulmeister eifrig fort, »und heute muß es geschehen, denn die Gelegenheit kommt mir nie so günstig wieder.«

»Wie das?« fragte die Magd.

»Wenn ich ihn in der Stadt aufsuche oder im Freien ansprenge, so reißt er aus, wie er mich nur erblickt. Hält er aber, wie Ihr mir sagt, im alten Spritzenhäuschen seine Mahlzeit ab, und ich trete mit meiner Rede unversehens in den Eingang, so muß er wohl Stich halten und alle meine Gründe anhören, denn es ist wider die Natur der Furcht, daß er gegen mich stürzen, mich überrennen und so das Freie gewinnen sollte.«

Die Magd dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Da ist nur eines zu befürchten.«

»Was?« fragte der Schulmeister.

»Daß er ein Fach an der anderen Seite ausschlägt und so durchbricht. Denn das Spritzenhäuschen ist sehr alt und verfallen und die Lehmwände haben überall große Löcher, zu denen der Tag einscheint, und wenn mein Herr in der Angst und Furcht gegen so ein Loch stürzt, so stehe ich nicht dafür, daß er die ganze Wand einrennt, denn, kriegt er die Manschetten, da ist mit ihm nicht zu spaßen.«

»Deshalb müßt Ihr mir einen Gefallen tun, Mädchen«, sagte der Schulmeister.

»Und welchen?« fragte die Küstermagd.

»Tretet vor das größte Loch auf der anderen Seite, und lehnt Euch gegen die Wand, damit wenigstens die Hauptgefahr des Entrinnens abgewehrt wird, denn daß er auch Euch umrennen sollte, ist nicht wahrscheinlich, weil Ihr eine robuste Person seid.«

»Ich will das recht gerne tun«, versetzte die Magd, »denn seinem Nebenmenschen muß man helfen, wo man kann.«

Nachdem dieses sinnreiche Gespräch zwischen dem Schulmeister und der Magd so weit gediehen war, wurde auch noch verabredet, zu welcher Zeit der Anschlag gegen den Küster ausgeführt werden sollte. Der Schulmeister sagte der Magd, daß er sie in der Nähe des Spritzenhäuschens vorangehen lassen und sich verstecken wolle, bis sie ihm ein Zeichen gebe, daß es für ihn Zeit sei, hervorzubrechen und mit seinem Amtsbruder ein Wort der Verständigung zu reden.

Nach diesen Verabredungen gingen die beiden Personen ihres Weges weiter. Einige Zeitlang blieb nun die Straße ganz still und einsam. Dann aber erhob sich ein auffallender Lärmen die Felder hindurch, welche sie zu beiden Seiten begrenzten. Die jungen Burschen, welche das Hochzeitgefolge gemacht hatten, waren nämlich noch in irgendeinem Kruge versammelt gewesen, um einen Nachtrunk zu halten, denn der Bauer kann eine Lustbarkeit, wenn sie auch mit allen Anhängen vorüber ist, immer noch nicht schließen. Im Kruge war nun unter sie eine Kunde gedrungen, daß der junge Fremde etwas Unrechtes habe ausgehen lassen. Was es gewesen sei, darüber lauteten die Nachrichten verworren oder schwiegen auch wohl ganz. Nach einigen Berichterstattern sollte er das Schwert weggenommen haben, nach anderen ausfallend gegen den Hofschulzen gewesen sein, ein dritter kam der Wahrheit näher, indem er erzählte, der Fremde habe die Heimlichkeit droben am Freistuhle in Unordnung gebracht. Es genügte ihnen aber überhaupt nur zu hören, daß ein Fremder irgendein Unrecht begangen habe, um ihre schon erhitzten Köpfe noch mehr zu entflammen. Die meisten hatten ihre Gewehre noch bei sich, in mehreren der Läufe staken sogar noch Schüsse. An Pulver fehlte es auch nicht und in seiner Aufregung begann nun der Haufen, nachdem er viel getrunken hatte, durch die Gegend zu schwärmen, ohne eine eigentliche feindselige Absicht, aber doch gefährlich in seiner planlosen Leidenschaft, wenn dieselbe durch den geringsten Anreiz zum Ausbruche gebracht wurde.

Sie schossen ihre Gewehre ab, luden wieder, lärmten und schrien. Zwischen diesen Trupps von drei, vier, fünf Menschen, die näher oder ferner die Straße umschweiften, kam nun unser verdüstertes Paar einhergegangen. Lisbeth ging auf der linken Seite der Straße, Oswald auf der rechten und zwischen ihnen war die ganze Breite des Weges. Um nichts auch verminderten sie dieselbe, wenn ein lärmender Trupp mit drohender Gebärde links oder rechts an ihnen vorüberstreifte, oder ein Schuß fiel, der, wie man am Pfeifen der Kugel merkte, durch einen schlimmen Zufall leicht das Verderben hätte bringen können. Schweigend, bleich, ohne sich irren zu lassen, ging das einander entfernte Paar seinen Weg durch diese Bedrohungen und Schrecknisse hindurch und nur, wenn an Lisbeths Seite sich ein lärmender Trupp zeigte, oder ein Schuß fiel, sah sich Oswald besorgt nach ihr um, warf aber, wenn er bemerkte, wie sie ohne seines Beistandes in diesen Gefahren sich bedürftig zu zeigen, fürderschritt, einen Blick des schmerzlichsten Zornes dann nach der anderen Seite der Felder.

Ungefähr eine halbe Stunde mochten sie in diesem Lärmen und Schießen gegangen sein und wirklich mußte der Himmel über ihren Häuptern wachen, denn sonst hätte gewiß die Hand irgendeines der berauschten Schützen den Lauf des Gewehres in verhängnisvoller Richtung angeschlagen. Da sah Oswald in einiger Entfernung auf einem freien Platze unter Bäumen vor sich einen Haufen von wohl zwanzig Bauern, die sämtlich mit Gewehren bewaffnet waren. Augenscheinlich lauerten die wilden Menschen, deren Reden und Schwadronieren schon von weitem sich hören ließ, ihm auf. Er erschrak. An sich dachte er nicht, nur an Lisbeth, wie er sie ungefährdet dem rohen Haufen vorüberbringen möchte. Es kam ihm in dieser Not ein Gedanke und da ihm nichts Besseres einfallen wollte, so beschloß er sein Heil mit dem zu versuchen, was ihm eben eingefallen war.

Rasch ging er voran und mutig auf den Haufen zu. Zuvorderst stand ein langer junger Kerl in blauem Kittel, der sein Gewehr drohend durch die Luft schwang und ihm wie der Anführer der übrigen vorkam. An diesen beschloß er sich mit seiner Kriegslist zu wenden, die auf dem uralten Grundsatze des Herrschens durch Teilung beruhte.

Er begrüßte daher den Menschen so freundlich, als seine Stimmung es ihm gestatten wollte und bat ihn, mit ihm zur Seite zu treten, da er ihm notwendig etwas im geheimen zu sagen habe. Der Mensch sah seine Kameraden fragend an, folgte aber doch dem Ersuchen. — »Ihr scheint mich hier nicht durchlassen zu wollen«, sagte Oswald zu ihm, so daß es die übrigen nicht hören konnten. Wirklich versperrten sie die ganze Straße. — »Nein«, sagte der Mensch, »denn Sie haben was begangen.« — »Ja, das habe ich auch«, erwiderte Oswald, »und es tut mir herzlich leid, aber es läßt sich doch noch ein Wort darüber reden, und zu Euch muß ich das sprechen, denn Ihr seid der einzige Nüchterne und Verständige von der ganzen Kompanie da.« — »Ja, der bin ich«, erwiderte der lange Bauer und taumelte. — »Also nur her das Wort, denn ein Wort muß der Mensch mit sich reden lassen, absonderlich, wenn er vernünftig angesprochen wird.«

»Ihr seht doch da das Frauenzimmer?« sagte Oswald. — »Die sehe ich«, versetzte der Bauer. — »Nun, diesem jungen Frauenzimmer habe ich versprochen, sie eine Strecke zu geleiten, und dagegen könnt Ihr nichts haben.« — »Nein, dagegen kann man nichts haben«, sagte der Bauer. »So laßt mich sie also begleiten, bis wohin ich es ihr versprochen habe und dann kehre ich hieher zu Euch zurück, und bringe mit Euch meine Sache an diesem Platze in Ordnung«, fuhr Oswald fort. — »Das müßt Ihr nun den anderen verdeutschen, denn Ihr seid der einzige Nüchterne und Verständige von der ganzen Kompanie da.«

Der lange Bauer, der gerade noch so viel Verstand besaß, um gegen den Reiz der Eitelkeit empfindlich zu sein, wandte sich stolz zu seinen Genossen um und rief in einem hochfahrenden Tone: »Macht Platz da dem Herrn!« — »Was!« versetzte der Haufen; »bist du geck?« — »Macht Platz da, Ihr betrunkene Bagage«, rief der einzige Nüchterne und Verständige noch lauter. — »Selbst Bagage!« schrien die anderen und einer rief: »Ich glaube, der hat Tollbeeren gefressen!« — »Ich will dir die Tollbeeren an den Hirnkasten geben!« erwiderte der Lange und schoß sein Gewehr ab, zwar nur in die Luft, indessen gab dieser Knall das Zeichen zu einer allgemeinen Schlägerei. Denn einige stürzten auf den Schießenden zu und rannten dabei andere über, die, hiedurch beleidiget, sich zu rächen entbrannten, in der Verwirrung ihrer Sinne aber nicht die Überrennenden angriffen, sondern dritte Unschuldige, welche sich am fernsten von dem Streit gehalten hatten. So war bald jeder, ohne daß er wußte wie? mit einem Gegner versehen; alles balgte sich herum, Ohrfeigen, Püffe, Stöße regnete es, wenn auch nicht vom Himmel; dazwischen platzten die Gewehre ab, die aber zum Glück hier alle nur mit Pulver geladen waren, und es gab eine wilde Kampf- und Blutszene (denn schon manche Wange und Nase war aufgeschlagen) welche sich von der Straße nach dem angrenzenden Kornfelde wälzte, weil die Schwächeren zufällig an dieser Seite gestanden hatten und sich dorthin zurückzogen, um wenigstens auf Garben und Mandeln zu einer weicheren Niederlage zu gelangen.

Als Oswald seine List selbst über die Erwartung hinaus gelungen und den Platz frei sah, winkte er Lisbeth, die in einiger Entfernung ängstlich stillgestanden hatte. Scheu ging sie über den Platz, ohne sich nach der Schlägerei umzusehen, und als sie einige hundert Schritte von dort außer dem Bereiche dieser Roheiten war, erwartete sie ihren Beschützer. — »Ich habe Ihnen Dank zu sagen für Ihren Beistand«, sprach sie, als Oswald sich ihr genähert hatte. — »Nicht den geringsten«, versetzte er. »Ich würde mich jedes Frauenzimmers angenommen haben, mit welchem ich desselben Weges gegangen wäre.« — Sie wandte sich von ihm ab und er von ihr und beide gingen in der früheren Weise weiter.

Eine halbe Stunde von dort lag das alte Spritzenhäuschen. Dieses kleine Gebäude war unter den Streitigkeiten zweier Bauerschaften darüber, welche dasselbe zu erhalten habe? verfallen und darauf hatten sich die beiden Bauerschaften neue Spritzenhäuser erbauen müssen. Die Wolken des Himmels schauten durch die Öffnungen im Dache und die Lüfte des Feldes fuhren zur Türöffnung hinein und zu den Löchern in dem lehmernen Fachwerke wieder hinaus. — In diesem luftigen Lusthäuschen hatte der Küster sein Mittagsquartier aufgeschlagen, um eine recht vergnügliche Mahlzeit zu halten, nach welcher sein Sinn mit einem besonderen Verlangen stand. Er saß auf altem Holzwerk, welches sich dort noch hatte vorfinden lassen; vor ihm war eine Serviette ausgebreitet, auf welche die Magd nun Brot und Fleisch legte, auch eine Flasche Wein stellte, die man ihm auf besonderes Wünschen vom Oberhofe hatte mitgeben müssen, weil er seiner Versicherung nach am Hochzeitstage der Furcht vor dem Schulmeister wegen zu keinem ordentlichen Schlucke gekommen war. Die ganze Zurüstung dieses ländlichen Mahles ließ der Küster mit einem feierlichen Schmunzeln geschehen. Er weidete sich wie es schien an den großen Augen der Magd, welche nicht begriff, warum ihr Herr, der, wenn er sonst im Freien etwas verzehrte, ein Stück Brot ohne viele Umstände aus der Tasche aß, zu dieser Mahlzeit so schwerfällige Vorbereitungen machen ließ.

Nachdem alles Eßbare aufgesetzt worden war, und die Magd ein Glas Wein eingeschenkt hatte (denn auch ein Glas war vom Oberhofe leihweise mitgegeben worden) teilte der Küster seiner Dienerin ein Stück Brot und Fleisch zu und fragte sie dann, bevor er selbst anbiß, was sie wohl davon denke, daß er sich hier so häuslich niederlasse und sein Mittagessen im Freien halte?

»Ja, was soll ich davon denken?« erwiderte die Magd. — »Ich denke, es gibt hin und wieder kuriose Einfälle, die dem Menschen anwehen, wie der Wind.«

»Du denkst das vermutlich nur, Gudel, weil wir uns hier im Winde befinden, der allerdings einigermaßen stark durch das Spritzenhäuschen hindurch zieht. Nicht ein bloßer kurioser Einfall ist es von mir, im Freien hier mir gehörig decken zu lassen, sondern lange hatte ich mir vorgenommen und nur immer nicht der Gelegenheit dazu habhaft werden können, einmal Hochzeitfreude ohne den lästigen Zwang, den mir mein Stand auferlegt, zu genießen. Es war dieses mein dritter und größter Lebenswunsch. Denn wohl mag mancher, der draußen umherschleicht, den Küster beneiden, daß er sich an der Hochzeittafel so vollstopfen kann, wie jener denkt, weil er nahe der Schüssel sitzt, und ihm unter den ersten stets präsentiert wird. Aber die Bürde des Amtes beachtet der oberflächliche Urteiler nicht! Keinen beschäftigteren Mann gibt es wohl auf einer Hochzeit als den Küster. Denn erst muß er singen und dann muß er beten und über Tische die Augen allerorten haben, seinen zierlichen Spaß anbringen zur rechten Zeit und in rechten Einschnitten, und abtrumpfen, wer sich zu mausig macht und ermuntern, wer wie ein Tuckmäuser dasitzt. Während dieser Amtshandlungen ißt und trinkt nun zwar ein Küster, was er kann, aber auch nur gleichsam pflichtmäßig schlingt er alles hinunter, ohne rechtes Gefühl von Speise und Trank. Weshalb ich sagen darf, daß mir von den mehreren hundert Hochzeiten, denen ich beigewohnt habe, wenig Erinnerung verblieben ist. Nun aber muß es nach meiner Überzeugung eine der schönsten Empfindungen sein, in voller Seelenruhe und in dankbarer Erhebung zu Gott, dem Geber alles Guten, zugleich der Festesspeise und Tränkung froh zu werden, zu genießen und dabei der feierlichen Gelegenheit zu denken, bei welcher man genießt, des Tages, an welchem ein von Gott selbst gestifteter Stand sich begründet. Diese aus Erbauung und Wohlgeschmack zusammengesetzte Empfindung hätte ich gern schon lange einmal gehabt, konnte aber wie gesagt auf den Hochzeitschmäusen selbst nie dazu gelangen. Als ich nun im Oberhofe vorgestern durch gerechte Furcht vor einem Rasenden um alle Hungersstillung gebracht wurde, erkannte ich plötzlich den Finger Gottes und entschloß mich sogleich zu diesem meinem heutigen Hochzeitnachschmause, den ich denn auch bei noch frischer Erinnerung an Predigt, Lied, Orgelspiel, abgelegt die Last meines Amtes, abgestreift die Fessel des Ranges, hier unter Gottes freiem Himmel (denn das Dach des Spritzenhäuschens will wenig sagen) in der schönen gemischten Empfindung zu halten denke, welche, wie ich deutlich verspüre, währenden Redens bereits in mir aufgestiegen ist. — Wolltest du mich aber fragen, Gudel, warum ich nicht zu Hause nachspeise, so wäre dieses eine unnütze Frage. Denn abgesehen von der Kurrende, welche heute zu mir gelaufen kommt, um die Büchse zu überreichen, und welche mir alle Gedanken vertreiben würde, so fehlt mir überhaupt zwischen meinen vier Pfählen bei dem Reden meiner Ehefrau jegliche Einbildungskraft, und sie würde nur gemeines Essen sein, diese Hochzeitspeise, welche ich dort zu mir nähme.«

Die Magd hatte von der langen Rede ihres Brotherrn wenig oder nichts verstanden. Sie dachte nur an den Schulmeister, von dem ihm eine Überraschung bevorstand und fragte den Küster: »Mögt Ihr jemand lieber vor Tische sprechen, oder nach Tische, Herr?«

»Ich weiß nicht, wie du auf diese Frage kommst, Gudel«, versetzte der arglose Küster. »Indessen, da du einmal fragst, so antworte ich: nach Tische spreche ich niemand gern, wie du weißt, sondern liebe zu schlummern.«

»Wohl, so will ich draußen auch mein Stück Brot und Fleisch verzehren«, erwiderte die Magd ohne allen logischen Zusammenhang. Sie ging aus dem Spritzenhäuschen, stellte sich an die durchlöcherte Wand und winkte dem Schulmeister, der sich in der Nähe schon versteckt aufgestellt hatte.

Leise schleichend näherte sich der Schulmeister dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede vorbereitet, fast so lang als die des Küsters gewesen war. Sie begann so: »Herr Amtsbruder, es ist endlich Zeit, verjährten Irrtümern zu entsagen. Der Mann soll den Mann erkennen, wie er ist, das ist Mannespflicht. Schämen soll der Mann sich nicht, erkannten Irrtümern zu entsagen. Blicken Sie in das Herz eines Mannes, welcher Ihrer Freundschaft nicht unwürdig ist, stoßen Sie einen Mann nicht von Ihrer Brust zurück, welcher an derselben zu ruhen recht herzlich sich sehnt!« Nach diesem Erregung des Gefühls bezweckenden Eingange wollte er durch eine klare Auseinandersetzung auf den Verstand des Verstandesleugners wirken.

Jenen Eingang still für sich wiederholend schlich er zum Spritzenhäuschen, worin der andere eben, auch durch seine Rede zu einer Art von erbaulichem Seelentaumel gesteigert, das erste Stück Rindfleisch in die Hand genommen hatte. In diesem Augenblicke hörte der Küster hinter der Wand neben der Türöffnung mit sanfter Stimme sagen: (denn der Schulmeister wollte seine Erscheinung stufenweise vorbereiten) »Herr Amtsbruder, es ist endlich Zeit, verjährten Irrtümern zu entsagen...« Er kannte die Stimme — »geronnen fast zu Gallert durch die Furcht« saß er da, das Stück Rindfleisch starr erhoben haltend vor dem geöffneten und doch nicht zufassenden Munde, ein mitleidswürdiges Bild! Aber eine schwache Hoffnung im letzten Winkel seines Herzens flüsterte ihm zu: »Nein, es ist nicht möglich, es muß eine Täuschung sein, so hart kann dich der Herr nicht strafen.« — Doch da erschien in der Türöffnung das Entsetzliche, die Harpye, die nun abermals auch diese Nachmahlzeit besudeln wollte, das Haupt der Gorgone wurde sichtbar, wirklich stand der tolle Kerl, der Agesilaus, in der Türe, diesmal sogar mit einem Knotenstocke bewaffnet! Aufsprang der Küster, schleuderte dem Feinde, was er in der Hand hatte, in das Antlitz, nämlich das Rindfleisch, und stürzte schreiend nach dem hinteren Teile des Häuschens, sich gegen die lehmerne Wand drückend und mit Augen, die fast aus ihren Kreisen schossen, nach seinem Gegner starrend. Der Schulmeister, von dieser Unvernunft erzürnt und von dem Wurfe mit dem Rindfleische auf das Empfindlichste beleidigt, verlor nun alle Geduld. Mit den Worten: »Wenn du verfluchter Kerl nicht hören willst, so sollst du fühlen!« sprang er, den dicken Knotenstock schwingend, in das Häuschen auf den Küster zu. Unfehlbar würde er diesen jetzt für seine Meinung, er sei rasend, wie ein Rasender abgestraft haben, wenn nicht die Verzweiflung den Küster gerettet hätte. Hatte derselbe vorher geschrieen, so brüllte er nunmehr. Brüllend griff er mit der Faust durch ein Loch der Lehmwand hinter sich und faßte die Magd, welche außen wacker gegengestemmt stand, in den Schopf. Die Magd, welche sich so schmerzlich berührt fühlte, vergaß nun auch ihre Aufgabe, die Wand zu halten; sie zerrte sich vielmehr mit aller Kraft ihres starken Leibes von der Wand ab, um der Faust aus dem Schopfe quitt zu werden. Dadurch wurde der Küster, der sich an diesem letzten Strohhalme in seiner äußersten Not, an einem menschlichen, mitfühlenden Wesen, krampfhaft festhielt, gegen die Lehmwand heftiger gepreßt. Die Lehmwand leistete unter solchem Drucke keinen längeren Widerstand, sondern brach zusammen und der Lehm überschüttete den Küster scheußlich gelb von oben bis unten, so daß er aussah, wie ein König der gelben Erbsen; indessen wurde er von der Magd, an deren Schopfe er gleichsam wie ein Geschleifter hing, in das Freie gerissen und erhielt nur einen Schlag über die Nase vom Schulmeister. Der genotängsteten Magd glückte es endlich, den Brotherrn mit Zurücklassung eines Haarbüschels in seiner Hand abzuschütteln und der Küster stürzte draußen immer brüllend zu Boden. Die Magd sprang von dannen, der belehmte und nasenblutende Küster raffte sich nun auf und sprang ihr nach, und der Schulmeister, dem sein wohlgemeinter Verständigungsversuch so übel geraten war, rasete in seiner blinden Wut, wie Ajax in die Herde, in das schuldlose Mahl des Entsprungenen. Er zerriß die Serviette, trat die Fetzen mit den Füßen, schleuderte die Weinflasche gegen einen Stein und warf Brot, Fleisch, Hühner, Eier, Salz, Kuchen nach allen vier Winden, kurz, er benahm sich ganz so, als sei er der, wofür er irrtümlich gehalten wurde.

Eine so traurige Wendung erbaulicher Eßgedanken bereitete dem Küster seine ausnehmende Feigheit.