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Kitabı oku: «Am Jenseits», sayfa 28

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Es antwortete hierauf niemand. Selbst mein kleiner, sonst so sprechfertiger Halef war still. Die allgemeine Stimmung zeigte überhaupt einen Ernst, ich möchte sagen, eine Feierlichkeit, weiche in diesem Grade und bei diesen Menschen nur bei höchst seltenen Gelegenheiten zu bemerken war. Mochte die Quelle, aus welcher die Reden und Darstellungen des Persers geflossen waren, sein, welche sie wolle, der Eindruck war ein ebenso tiefer wie nachhaltiger. Der Orientale ist für ein solches Hereinragen des Übersinnlichen in das Sinnliche ganz besonders empfänglich, und ich bin überzeugt, daß ein Abendländer, der dem Basch Nazyr zugehört hätte, wohl schwerlich so unverständig gewesen wäre, über ihn und seine Erzählung zu lächeln. Ich bin ja auch kein Orientale, und das Leben hat mich gelehrt, allem, was mir unbekannt erscheint, zunächst kühl und forschend gegenüberzutreten; aber das, was wir erst von Ben Nur und nun von dem Perser gehört hatten, kam mir denn doch nicht wie das ausschließliche Produkt eines kranken Gehirns oder wie die innere Folge eines äußerlichen Druckes auf die Herzgegend vor. Der Gelehrte wird zwar da gleich von Krankheit sprechen. Ja, krank war der Münedschi; das ist nicht zu leugnen, und den Basch Nazyr hatte gar eine Kugel hingestreckt: aber der letztere war nach seinem Erwachen aus der Ohnmacht geistig völlig gesund und klar, und was den ersteren betrifft, so gibt es mehr als genug Gelehrte, sogar echte, richtige Zunftgelehrte, weiche behaupten, es sei nicht durchgängig wahr, daß eine kräftige Seele nur in einem kräftigen Körper wohnen kann, sondern es habe sich umgekehrt sehr häufig erwiesen, daß die Seele erst und grad dann ihre Kräfte und Tätigkeiten entfalten könne, wenn die körperlichen Banden, in denen sie gefesselt ist, schwach und darum weniger hinderlich geworden sind.

Was unsere Gefangenen betrifft, so hatten auch sie alles gesehen und alles gehört. Das Erwachen des Persers hatte bei ihnen gewiß dasselbe Erstaunen hervorgebracht wie bei uns. Höchst wahrscheinlich freuten sie sich nun desselben, denn sie glaubten wohl, der Umstand, daß die Kugel unschädlich gewesen sei, müsse uns zur Milde stimmen. Gesagt aber hatte keiner vonihnen etwas, kein einziges Wort. Der Münedschi saß mit geschlossenen Augen bei ihnen, er rührte sich nicht, und wenn er ja einmal eine Bewegung machte, so war es diejenige des Rauchens, obgleich er seine Pfeife nicht in den Händen hatte. Was mit ihm geschehen werde, das hing ganz von dem Schicksale seiner mekkanischen Gefährten ab.

Dem Perser konnte ich in unserer gegenwärtigen Lage nur eine kalte Kompresse raten, welche von Zeit zu Zeit erneuert wurde. Er war schon sonst ein ernst angelegter Mann; jetzt nun schien sich dieser Ernst verdoppelt zu haben, und ich will gleich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß während unsers ganzen späteren Beisammenseins nur sehr selten ein Lächeln auf seine Lippen kam. Die Wirkung der »Waage der Gerechtigkeit,« welche er, sooft er von ihr sprach, eine entsetzliche nannte, war keine vorübergehende bei ihm.

An der Beratung über die Strafe, welche die Schuldigen treffen sollte, hatten folgende Personen teilzunehmen: Halef, Kara, der Perser, Omar Ben Sadek und ich. Es galt vor allen Dingen, festzustellen, wer sich an dem Kampfe gegen die Soldaten beteiligt hatte. Khutub Agha behauptete, gesehen zu haben, daß nicht bloß die Beni Khalid, sondern auch die Mekkaner geschossen hätten. Um sich Gewißheit zu verschaffen, ging Halef hin zu ihnen und fragte den Ghani:

»Hast du auf die Soldaten geschossen?«

»Nein«, antwortete er.

»Dein Sohn?«

»Nein.«

»Einer deiner andern Gefährten?«

»Auch nicht. Warum hätten wir uns an dem Kampfe beteiligen sollen? Es waren ja genug Beni Khalid da!«

»Glaubt ihm nicht!« rief da der Scheik dazwischen.

»Er hat gar wohl geschossen, und zwar mehrere Male!«

»So!« meinte Halef. »Sein Sohn etwa auch?«

»Ja.«

»Und die andern?«

»Diese ebenso! Sie haben alle geschossen, alle. Nun aber sind sie so feig, es zu leugnen.«

»Und du sagst diese dir vom Teufel eingegebene Lüge, um nicht der einzige zu sein, den die Strafe trifft. Du willst uns mit dir ins Verderben ziehen!« rief der Ghani.

Der Scheik antwortete ihm wieder, und so entspann sich ein Hin und Her von Schimpfworten, dem ich dadurch ein Ende machte, daß ich ihnen befahl:

»Seid still! Ich werde gleich sehen, wer die Wahrheit sagt!«

Ich untersuchte ihre Flinten. Sie waren alle geladen, aber auch ebenso alle vor kurzem abgeschossen worden. Um aber doch ganz sicher zu gehen, richtete ich die Frage an den Ghani:

»Eure Flinten sind noch geladen; das spricht für euch, denn der Kampf ist sehr kurz gewesen, und wenn ihr euch an ihm beteiligt hättet, so wären die Läufe leer. Ist es so?«

»Ja, ja, so ist es. Du hast das richtige getroffen, Effendi«, antwortete er.

»Was hättet ihr auch jetzt oder in den letzten Tagen zu schießen gehabt! Ich wüßte nichts.«

Er ließ sich wirklich durch den beistimmenden Ton, in welchem ich dies sagte, irre machen und antwortete:

»Nichts, gar nichts, Effendi! Wir haben weder gejagt, noch sonst eine Gelegenheit zum Schießen gehabt.«

»Wirklich nicht?« Nein.«

»Auch nicht auf eurem gestrigen Wege, vom Brunnen weg nach Südwest und dann hierher?«

»Nein! Du siehst also, daß wir unschuldig sind!«

»Ich sehe vielmehr, daß ihr schuldig seid. Es sind alle eure Flinten erst vor kurzem abgeschossen worden, und da du mir jetzt soeben bewiesen hast, daß dies nirgends anderswo geschehen ist, so ist es hier geschehen.«

Da lachte der Scheik höhnisch auf und rief ihm zu:

»Dummkopf! Hörtest du es denn diesem Effendi aus dem fernen Westen nicht an, daß er von vorn ganz ungefährlich tat, weil er dich von hinten packen wollte? Das ist ein schlauer Teufel, an den du nicht reichtest, auch wenn du das Gehirn von hundert solchen Kerlen, wie du bist, unter deinem Schädel hättest! Nun hat er dich gefangen, und ich habe recht behalten. Ich wiederhole, und ich mache keine Lüge: ihr habt vier oder fünf von den Soldaten erschossen! Ich gebe mein Wort darauf, und da ist es wahr!«

Der Ghani war nun still, und das genügte! Wir setzten uns zusammen. Die Haddedihn lauschten, damit ihnen kein Wort entgehen möge. Auch Hanneh hatte sich aus demselben Grunde ganz in unserer Nähe niedergelassen. Ihr liebes, gütiges und dabei doch so kluges Gesicht strahlte vor Stolz, ihren Sohn zum ersten Male in der Dschemmah, der »Versammlung der Ältesten«, nicht nur zu wissen, sondern sogar zu sehen und sprechen zu hören. Sein Vater war nicht weniger von Genugtuung erfüllt. Er selbst gab sich sehr ernst und würdevoll, was ihm, dem Jüngling, gar nicht übel stand.

Halef ergriff zuerst das Wort. Die Anwesenheit seiner Frau und seines Sohnes war für ihn eine sehr zwingende Ursache, eine seiner berühmten Reden zu halten. Ich kann sie hier übergehen und bringe nur den Schluß:

»Ihr wißt, wie gerne ich meine Peitsche sprechen lasse; aber nach dem, was wir von Ben Nur vernommen haben, bin ich gewillt, ihr von jetzt an weniger als früher das Wort zu geben, und hier, wo es sich um den Tod von soviel Menschen und auch außerdem um eine ganze Anzahl von Sünden und Verbrechen handelt, hat sie überhaupt zu schweigen. Eine Untersuchung ist nicht notwendig, denn die Taten liegen offen und deutlich vor unsern Augen. Es kann sich nur um den Tod handeln. Den haben sie mehr als verdient. Stimmen wir schnell ab! Das ist zwar nur eine Förmlichkeit, die aber doch erfüllt werden muß. Dein Urteil, Sihdi?«

»Ich will der letzte sein«, antwortete ich.

»So mag es nach der Reihe gehen. Khutub Agha, du sitzest neben mir. Also sag! Nicht wahr, den Tod?«

Der Perser sah in die Weite hinaus, als ob er von dorther einen Rat erwarte. Dann antwortete er:

»Nein!«

»Was – —wie – – ? Nicht den Tod?« rief Halef erstaunt.

»Nein!«

»Was sonst?«

»Ich begnadige sie. Sie mögen laufen! Ich weiß, daß sie der Strafe nicht entgehen werden, nicht entgehen können; aber ich will nicht derjenige sein, der das Tuch über ihnen zerreißt!«

»Das soll ich für Ernst nehmen?«

»Es ist mein Ernst. Und nun bitte ich dich, mich nicht weiter zu drängen! Ich habe die Waage‘ kennen gelernt und will erst selbst besser werden, ehe ich über andere richte!«

»Ich kann dich nicht zwingen und wünsche nur, daß du es nicht bereuen magst. Jetzt du, Omar Ben Sadek!«

»Ich stimme für den Tod!«

Das sagte er fest und streng und weiter kein einziges Wort.

»Jetzt du, Kara Ben Halef, mein Sohn!« fuhr der Hadschi fort.

Es war ein jugendlich helles, gutes, freundliches Auge, welches Kara jetzt auf mich richtete. Daß er grad mich ansah, das war mir erklärlich, denn ich wußte ja, daß er schon als Knabe stets gesagt hatte, er werde sich alle Mühe geben, so zu sein wie Kara Ben Nemsi Effendi. Ich war selbst auch neugierig auf das Wort, weiches wir aus seinem Munde hören würden.

»Ich begnadige sie auch!« klang es mild und doch so fest.

»Allah! Du auch, mein Sohn?« fragte Halef. »Wahrscheinlich hast du es dir nicht recht überlegt?«

»Ich habe es überlegt. Allah verlangt Liebe, und ich gebe sie; ich werde sie geben, so lange ich lebe!«

Da konnte ich nicht anders. Ich langte zu ihm hinüber und drückte ihm die Hand. Und von dem Platze her, wo seine Mutter saß, erklang der anerkennende Ruf:

»Kara, mein Sohn, säßest du jetzt nicht in der Versammlung der Ältesten, ich würde jetzt kommen und dich küssen!«

Er errötete, denn geküßt zu werden, wenn auch von der Mutter, ist etwas, wovon in der würdevollen Dschemmah nicht gesprochen werden darf.

»Nun habe ich mein Wort zu sagen«, erklärte Hadschi Halef. »Ich stimme natürlich für den Tod und füge hinzu, daß das Urteil sofort zu vollstrecken ist, denn wir haben keine Zeit zum langen, nutzlosen Verweilen hier. Jetzt bist noch du als der letzte übrig, Effendi. Es sind zwei Stimmen für und zwei Stimmen gegen den Tod. Bei dir liegt also die Entscheidung. Darf ich vorher noch ein Wort sagen?«

»Ja, doch kurz!«

»Ich sehe nämlich ein, daß wir uns in Gefahr befinden, Taten, welche gradezu zum Himmel schreien, unbestraft zu lassen. Das hat Ben Nur nicht gesagt und auch nicht gewollt! Er hat von Richtern gesprochen, welche selbst in dem ärgsten Verbrecher noch den Menschen suchten, um ihrem Urteile Milde verleihen zu dürfen, aber daß ein zwanzigfacher Mord keine Strafe finden soll, daß wir diese Menschen nach all den schweren Plänen und Anschlägen, die sie gegen uns hegten und nur deshalb nicht zur Vollendung bringen konnten, weil wir klüger, erfahrener und vorsichtiger sind als sie, freizulassen haben, das will selbst Ei Mizan nicht, die Waage der Gerechtigkeit. Was wird geschehen, wenn wir ihnen nicht die verdienten Kugeln geben? Sie reiten fort und lauern uns wieder auf. Und können sie uns nichts anhaben, so leben sie in ihrer Weise weiter, und alle schlechten Taten, weiche sie dann begehen, haben wir zu verantworten und zu tragen, wenn wir dereinst durch die Pforte des Todes gehen. Wenn ich mir Mühe gebe, ein guter Mensch zu sein, so will ich mich ja hüten, nicht etwa durch meine eigenen, sondern durch die Taten anderer doch noch hinabgerissen zu werden in den Abgrund des Verderbens! Das habe ich geglaubt, noch sagen zu müssen, und das gebe ich besonders dir zu bedenken, Effendi. Überlege es dir wohl, ehe du das letzte, entscheidende Wort auf die Lippen nimmst!«

Der Hadschi hatte in seinem Leben wohl viel Überflüssiges gesprochen; das jetzt aber war, wie mir schien, ein Wort zur rechten Zeit! Ich gestehe, daß auch ich beabsichtigt hatte, Gnade walten zu lassen, nicht etwa aus falscher Liebesduselei oder um meinen Standpunkt als Christ besonders hervortreten zu lassen, sondern aus dem Grunde, weicher für mich in dem Namen lag: Ben Nur. Ich sage aufrichtig, daß ich noch unter dem Eindrucke seiner Reden stand, und grad hier, nicht fern dem Orte, an welchem er gesprochen hatte, widerstrebte es mir, das Blut von sechs Menschen zu vergießen, weiche, mochten sie auch noch so schlecht gehandelt haben, doch die Entschuldigung für sich hatten, Angehörige einer Bevölkerung zu sein, weiche den Raub als eine Art ritterliches Handwerk betrachtet. Aber die ernste und sehr begründete Vorstellung Halefs war zu beherzigen. Ich überlegte. Leider sollte nur eine Strafe geltend sein, die Todesstrafe. Wäre diese Bedingung nicht gemacht worden, so hätte sich wohl ein Weg oder ein Mittel finden lassen, die Sühne ohne Blutvergießen mit der Schuld in das möglichste Gleichgewicht zu bringen. Die Hauptschuldigen waren unbedingt der Scheik und der Ghani; wenn diese – – – ja, das war es! Auf diese Weise konnte ich hier der Strenge und dort der Milde gerecht werden: diese beiden sollten bestraft, die andern aber begnadigt werden! Als Halef, dem mein Nachsinnen zu lange dauerte, mit einem: »Nun, Effendi?« drängte, beschloß ich, demgemäß zu sprechen.

Ich achtete dabei kaum darauf, daß der alte Münedschi aufgestanden war und sein Gesicht, doch mit geschlossenen Augen, nach uns gerichtet hatte.

»Mein Entschluß ist folgender«, sagte ich: »Der Scheik der Beni Khalid und Abadilah el Waraka, den man Ei Ghani nennt, sollen miteinander

»El Aschdar – – – ! El Aschdar – – – ! El Aschdar – – – !« schrie da, mich unterbrechend, der Münedschi mit aller Kraft seiner Stimme herüber. Trotz der hoben Tageshitze überlief es mich eiskalt! Niemand sah auf mich; aller Augen waren auf den Blinden gerichtet, welcher mit hocherhobenen Händen dastand, als ob er uns vor einer großen Gefahr zu warnen habe. Halef, Kara, Hanneh und der Perser kannten die Bedeutung dieses Wortes, denn Halef war neugierig gewesen und mit seinen Fragen so lange in mich gedrungen, bis ich ihm gesagt und erzählt hatte, warum ich kurz vor dem Zweikampfe von dem Münedschi fortgeführt und was mir da gesagt worden war.

»El Aschdar! Der Drache!« sagte Halef, indem er mich ganz betroffen anschaute. »Er hat es dreimal gesagt; hörst du, Effendi, dreimal! Weißt du noch, was das zu bedeuten hat?«

»Jawohl, weiß ich es«, antwortete ich.

»Wenn dir der Drache droht, will Ben Nur im Momente der Gefahr dreimal das Wort El Aschdar rufen! Welche Gefahr aber soll das jetzt sein? Ich sehe keine!«

»Aber ich!«

»Wo?«

»Hier, in unserer Dschemmah. Ich stand im Begriffe, eine Entscheidung zu treffen, welche nicht in und nach dem Sinne der Liebe ist. Es scheint, wir sollen uns vor Blutvergießen hüten.«

»Höre Effendi, werde nicht bedenklich! Was kann es uns persönlich schaden, wenn wir der Gerechtigkeit Genüge tun?«

»Vielleicht ist eine persönliche Gefahr dabei, vielleicht auch nicht; das ist jetzt Nebensache. Die Hauptsache besteht darin, daß ich vor dem Drachen der Lieblosigkeit gewarnt worden bin.«

»Vielleicht bezieht sich diese Warnung gar nicht auf das Urteil, welches wir hier zu fällen haben!«

»Ich beziehe es darauf. Horch!«

Der Blinde begann wieder zu sprechen. Es war ganz unmöglich, daß ein Wort von uns zu ihm gedrungen war, denn ich hatte, und Halef ebenso, in gedämpftem Tone gesprochen. Dennoch rief der Münedschi jetzt zu uns herüber:

»Ja, es ist das Urteil gemeint, streitet euch also nicht! Es gibt ein großes Gesetz der Gerechtigkeit, dessen Walten euch verborgen ist. Dasselbe Gesetz stellt neben die Gerechtigkeit die Gnade. Wenn die Gnade spricht, ist die Gerechtigkeit erfüllt! Ihr habt euch zu Richtern gesetzt des vergossenen Blutes wegen, dessen Lachen ich hier starren sehe. Wer unter euch besitzt das Recht dazu? Nur einer, denn den andern haben diese Toten ferngestanden. Und dieser eine hat sich für das Wort der Gnade entschieden. Woraus schöpft ihr andern nun die Pflicht, die Ausführung seines dem Himmel wohlgefälligen Entschlusses unmöglich zu machen? Ruft das, was euch getan wurde, eine blutige Rache heraus? Es ist El Aschdar, dessen Stimme ich in eurem Urteile höre! Vermeßt euch nicht, in den Gang der höheren Gerechtigkeit einzugreifen! Sie hat die Faust schon hoch erhoben zum wohlverdienten Schlage. Wenn ihr sie stört, trifft dieser Schlag euch; darum weicht zurück; jetzt ist noch Zeit dazu! Der Mund, der die Berechtigung dazu besitzt, hat Gnade ausgesprochen, nun laßt sie walten. Ich fordere es von euch!«

Das war mit der Stimme Ben Nurs, nicht mit der gewöhnlichen des Münedschi gesprochen worden. Nun setzte sich der Blinde wieder nieder und war ganz so teilnahmslos wie vorher, ein Werkzeug, welches nicht weiß, was es getan hat.

Halef holte tief Atem und sah mich bedenklich an.

»Effendi, du hast es gehört?« fragte er.

Ich nickte.

»Und auch verstanden?«

»Wahrscheinlich! Sag, Halef, wer war wohl mit dem gemeint, welcher allein zum Urteile berechtigt ist?«

»Hier Khutub Agha.«

»Ja. Und es ist richtig! Gehen wohl uns die Soldaten etwas an? Sind wir ihre Vorgesetzten, ihre Offiziere gewesen?«

»Allerdings nein!«

»Sie gehörten zu Khutub Agha, nicht zu uns.«

»Aber sie sind mit uns zusammengetroffen; sie waren unsere Gefährten, und so haben wir sie zu rächen. So lautet das Gesetz der Wüste, nach weichem wir uns hier richten müssen, Effendi.

»Ja, sie waren unsere Gefährten! Khutub Agha aber war ihr Gebieter; darum steht seine Bestimmung über der unserigen. Ich weiß jetzt genau, was ich zu tun und was ich zu sagen habe.«

»Nun, was?«

»Ich stimme für Gnade.«

Er senkte den Kopf; die andern waren alle still. Dann, als er ihn wieder hob, war in seinem Gesichte keine Spur von Enttäuschung zu sehen; er lächelte vielmehr zustimmend, indem er sagte:

»Wahrscheinlich hätte ich es auch gradso gemacht wie du. Ich war für die größte Strenge, denn ich glaubte, daß ich verpflichtet dazu sei; da dies aber nicht der Fall ist, so soll Khutub Agha seinen Willen haben. Jetzt sag mir, ob du an den Hieb glaubst, Sihdi?«

»An welchen Hieb?«

»Er sprach doch von der Faust, die bereits zum Schlage erhoben sei. Wenn wir sie stören, soll er uns treffen. Das scheint eine Prophezeiung zu sein. Ob sie sich wohl in Erfüllung setzt?«

»Halef, bin ich allwissend? Wir haben mehr zu tun, als uns mit solchen ungewissen Dingen zu beschäftigen. Du weißt nun, wofür ich meine Stimme abgegeben habe. Ich denke, wir haben nichts weiter zu beraten.«

Ja. Ich erkläre die Dschemmah für beendet und geschlossen. Die Mörder sind begnadigt, weil nicht wir es sind, weiche den Tod der Soldaten zu rächen haben. Und was die Halunken gegen uns gesündigt haben, das wollen wir aus dem Buche der Vergeltung streichen; sie sind ja arme, machtlose Würmer gegen uns!«

Die Haddedihn hörten das. Es war keiner unter ihnen, der durch ein Wort oder auch nur durch irgend ein Zeichen zu verstehen gegeben hätte, daß er mit diesem so unerwarteten Ausgange der Beratung nicht einverstanden sei. Erstens verbot ihnen das die Achtung, die sie uns ja nie versagten, und zweitens standen sie unter dem Einflusse der Rede, weiche der Münedschi gehalten hatte. Er galt bei ihnen für das, was auch sein Name bedeutete, für einen Wahrsager, und die Drohung mit der schon erhobenen Faust hatte einen ganz besonderen Eindruck auf sie gemacht.

Unsere Herren Verbrecher aber hatten von unserem Entschlusse nichts gehört. Als sie sahen, daß wir aufstanden, ruhten ihre Blicke mit ängstlicher Erwartung auf uns. Halef ließ es sich natürlich nicht nehmen, ihnen die betreffende Mitteilung selbst zu machen. Er trat zunächst vor den Ghani hin, nahm seine allerfreundlichste Miene an und fragte ihn:

»Mein heißgeliebter Milch und Waffenbruder, was denkst du wohl, was über dich, den Liebling des Großscherifes, beschlossen worden ist?«

Der Gefragte sah ihn forschend an. Er wußte nicht, was er aus dieser plötzlichen und so strahlend freundlichen Brüderschaft zu machen hatte. Wahrscheinlich war sie Hohn, und darum zog er vor, keine Antwort zugeben. Halef fuhr fort:

»Warum willst du mich denn nicht mit dem ersehnten Tone deiner Stimme beglücken? Ich schmachte nach ihm. Also sei so gut und sprich!«

»Spotte nicht!« würgte der Mekkaner doch hervor.

»Spotten? Ich deiner? Was denkst du von mir! Ich kenne jedes einzelne Gesetz der Höflichkeit und trachte stets mit Eifer darnach, sie zu erfüllen. Du bist als Schech el Harah der berühmte Gebieter eines ganzen Stadtviertels von Mekka, und so weiß ich, was ich dir schuldig bin. Dein Fuß wandelt täglich in dem größten Heiligtume Muhammeds, des Propheten, und die Blicke von tausend frommen Pilgern sehen auf deine erhabene Gestalt, wenn sie über den Suq el Lehl (»Nachtmarkt« in Mekka) oder durch den Schi‘b el Maulid (Straße mit dem Geburtshaus Muhammeds) spaziert. Genauso bin auch ich erfüllt von Ehrfurcht und Bewunderung für dich, das unerreichbare Vorbild aller derer, welche das Glück haben, dich in den Strahlen deiner unzählbaren Tugenden kennenzulernen. Und da meinst du, daß ich deiner spotte? Ich bin im Gegenteile ganz von Seligkeit erfüllt, dir mitteilen zu können, daß du dich über das Ergebnis unserer Beratung freuen darfst.«

Das Gesicht des Mekkaners wurde – es gibt keinen andern Ausdruck dafür, und ich muß es also sagen immer dümmer.

»Freuen? – Wieso?« fragte er.

»Wir haben alles, was für dich und was gegen dich sprach, sehr genau miteinander verglichen und wohl erwogen, und sind zu dem Ergebnisse gelangt, daß du unschuldig bist.«

»Ich?!« rief der Mekkaner.

»Ja, du!«

»Unschuldig?!«

»Gewiß! Vollständig unschuldig!«

»Hadschi Halef, das ist Schlechtigkeit von dir, die allergrößte Schlechtigkeit, denn was du sagst, das ist ja wirklich nichts als Spott!«

»Mein Freund, wie wenig kennst du mich! Es tut meinem Herzen bitter wehe, daß ich grad von dir so falsch beurteilt werde!«

»Aber un – – unschuldig?!«

»So unschuldig, wie der Frosch daran unschuldig ist, daß er im Wasser naß wird. Du bist rein, unendlich rein von allen deinen Fehlern!«

Der Ghani stieß, ohne auf die Doppelzüngigkeit dieser letzten Worte zu achten, sondern nur an das, was er getan hatte, denkend, den Einwand hervor:

»Ich habe aber doch auf den Perser geschossen!«

»Ja, das hast du allerdings. Nun sag, in welcher Absicht du das tates.«

»Ich wollte ihn töten!«

»Schön! Aber ist er tot?«

»Nein; er lebt!«

»Bist du daran schuld, daß er lebt?«

»Nein!«

»So liegt die Sache doch so klar, wie sie klarer gar nicht liegen kann! Sei so herablassend, mir noch zu sagen: Bist du schuld an seinem Tode?«

»Nein! Er ist ja gar nicht tot!«

»Nun so denke doch nach! Du bist nicht schuld an seinem Tode, und du bist nicht schuld daran, daß er noch lebt, also bist du nicht nur überhaupt unschuldig, sondern sogar doppelt unschuldig!«

Die Verblüfftheit des Ghani hatte jetzt ihren höchsten Grad erreicht. Er wußte nicht, was er sagen könne, ohne sich lächerlich zu machen, und zog es darum vor, zu schweigen und zu warten.

Halefs Gesicht strahlte vor Vergnügen. Er fuhr freundlich fort:

»Da also erwiesen ist, daß nicht die geringste Schuld auf dich fällt, so haben wir kein Recht, dich länger festzuhalten, und ich bitte dich um dein gütiges Einverständnis, daß ich dich befreie!«

»Allah, Allah!«

Ein weiteres Wort als diesen Ausruf fand er nicht. Halef bückte sich nieder und band die Fesseln los. Da sprang der alte Sünder freilich augenblicklich auf und rief in frohestem Tone:

»Also frei, frei! Wirklich frei!«

»Ja. Du siehst und fühlst es doch!«

»Und keine Strafe?«

»Nein, denn Unschuldige bestrafen wir nicht.«

»Und mein Sohn?«

»Wird auch frei.«

»Wann?«

»Sofort.

»Und meine anderen Gefährten?«

»Ebenso! Wenn du mir eine Liebe erweisen willst, so befreie sie selbst von ihren Banden! Du wirst dir dadurch ihre Dankbarkeit erwerben.«

Das ließ sich der Ghani freilich nicht zweimal sagen. Er kniete sofort nieder und machte sich mit vor freudiger Aufregung zitternden Händen an die ihm so willkommene Arbeit. Als sie beendet war und seine Leute den freien Gebrauch ihrer Glieder wieder erhalten hatten, holte er tief Atem und fragte:

»Dürfen wir aber auch fort?«

»Jawohl«, nickte Halef.

»Wann?«

»Sobald wie möglich, am liebsten gleich jetzt.«

»Mit allem, was uns gehört?«

»Ja. Wir sind keine Räuber.«

»Und wie steht es mit dem Kanz el A‘da?«

Da bekam das Gesicht Halefs plötzlich einen ganz andern Ausdruck. Er riß die Peitsche aus dem Gürtel und antwortete in drohendem Tone:

»Mensch! Kerl! Halunke! Sag dieses Wort nur noch ein einziges Mal, so zerhaue ich dir das Gesicht, daß die Fetzen bis nach Mekka fliegen! Eine solche Frechheit ist noch nie auf Erden vorgekommen!«

»Verzeih, verzeih! Ich glaubte, ich müsse doch wenigstens eine Erwähnung davon tun.«

»Und ich glaube, oder ich bin vielmehr davon überzeugt, daß unsere Nachsicht nur bis hierher, aber keinen Schritt weiter geht. Schlägst du dir den Kanz el A‘da nicht vollständig aus dem Kopfe, so wird er dir trotz aller unserer Barmherzigkeit doch noch zum Verderben!«

»Ich verzichte, ich verzichte! Wir dürfen uns also unsere Waffen nehmen?«

»Ja. Aber unsere Gewehre werden auf euch gerichtet sein, bis ihr aus unsern Augen verschwindet. Und schlagt euch ja auch alle weiteren Pläne gegen uns aus den Köpfen! Von diesem Augenblicke an bringt euch die kleinste Bewegung eines Fingers, die ihr gegen uns wagt, den Tod. Weiter habe ich euch nichts zu sagen.«

Wir hatten den Kanz el A‘da natürlich schon längst an uns genommen und uns auch überzeugt, daß nichts davon fehlte. Die Mekkaner nahmen den Blinden auf und gingen mit ihm zu ihren Kameraden. Er war geistesabwesend und ließ sich führen, ohne zu wissen, was geschah. Sie beeilten sich außerordentlich, in die Sättel zu kommen, denn sie mochten dem Landfrieden doch nicht recht trauen. Ihrem Anführer aber fiel, ehe er aufstieg, noch etwas ein. Er kam eilfertig zu Halef gelaufen und richtete an ihn die Frage:

»Wie steht es aber nun mit dem Scheik der Beni Khalid?«

»Warum fragst du?« antwortete der Hadschi.

»Weil ich wissen möchte, was ihr über ihn beschlossen habt.«

»Geht dich das etwas an?«

»Sehr viel sogar! Er hat den Tod verdient. Was er gegen euch unternommen hat, das wißt ihr ja ebenso genau wie ich. Schon das muß ihn um das Leben bringen! Aber außerdem wollte er auch uns hier ermorden, um sich in den Besitz des Schatzes zu setzen. Ich brauche das nicht zu beweisen, denn der Effendi aus Wadi Draha hat alles mit angehört. Darum muß ich unbedingt von euch verlangen, daß er ohne Gnade erschossen wird!«

»Ah! Also unbedingt?«

»Ja!«

»Und ohne Gnade?«

»Ja!«

»Du bist also nicht bereit, dich zur Milde, zur Nachsicht bewegen zu lassen?«

»Nein, auf keinen Fall! Er ist der größte Halunke, den es gibt. Er hat uns, seine Freunde, betrügen und umbringen wollen. Ihr habt ihn zu erschießen!«

»So? Wir?«

»Ja!«

Da brauste der Hadschi zornig auf:

»So wagst du also, uns zuzumuten, die Henker zu sein, welche deine Befehle auszuführen haben? Kerl, nicht er ist es, sondern du, du selbst bist der größte Halunke, den es gibt! Ja, du bist noch mehr als das, nämlich eine Bestie in menschlicher Gestalt! Wir haben dich mit Gnade und Erbarmen förmlich überschüttet; ein anderer hätte dafür Allah und uns auf seinen Knien gedankt und seinem Herzen den Schwur getan, von nun an ein besserer Mensch zu werden. Du aber hast als Antwort auf all diese große Liebe nur den Haß und forderst das Blut dessen, der dein Helfer war und für dich mehr, ja viel mehr wagte, als er durfte! Eigentlich sollten wir nun unsern Gnadenspruch zurücknehmen; aber es graut uns allen so vor dir, daß wir nur den einen Wunsch haben, dich nicht mehr zu sehen! Mach dich rasch fort!«

Der Ghani hatte ihm mit seinem gespannten Blicke jedes einzelne Wort sozusagen aus dem Munde gezogen; nun, da er erfahren hatte, was er wissen wollte, machte er seinem Grimme rücksichtslos Luft:

»Es scheint also, ihr wollt ihn auch begnadigen! Dieser räudige Hund, dieser Verräter, dieser Mörder seiner Gastfreunde soll entkommen! Und warum? Ich weiß es wohl und will es euch sagen: Aus Liebe, Liebe, Liebe!«

Er lachte höhnisch auf, warf die Arme mit einer verächtlichen Bewegung hoch empor, ließ das Gelächter zum zweitenmal hören und führ dann fort: »Ich muß sprechen, muß reden, und wenn es mir das Leben kosten sollte! Ich saß bei euch und habe eure verrückten Reden über diese Liebe anhören müssen! Ich habe alles gesehen, was ihr tatet; ich habe alles beobachtet und weiß also nur zu gut, daß dieses Nebel und Jammerbild, weiches ihr Liebe nennt, von euch erfunden wurde, um eure Albernheit und Schwäche zu entschuldigen oder gar zu beschönigen. In dieser eurer Liebe begeht ihr jetzt wieder die hirnlose Einfältigkeit, eurem größten und unerbittlichsten Feinde das Leben zu schenken und ihn wieder gegen euch loszulassen! In dieser eurer Liebe bildet ihr euch ein, etwas Höheres und Besseres zu sein als andere Menschen! Wegen dieser eurer Liebe sollen die Bewohner dieses Landes, sollen ihre Sitten und Gebräuche, sollen ihre Gedanken und Taten, ja, soll sogar die Wüste sich plötzlich verändern! In dieser eurer Liebe dünkt ihr euch weiße, reine, heilige Schwäne zu sein, welche sich den freien Adlern und Geiern dieses Gebietes zugesellen und von ihnen verlangen dürfen, ihren Gewohnheiten und Instinkten gänzlich zu entsagen! In dieser Liebe glaubt ihr, Wunder zu tun, und wenn man diese Wunder näher betrachtet, so sind sie erbärmliche Knabenstreiche, über welche man nur lachen kann! In dieser eurer Liebe scheint ihr sogar zu glauben, daß wir euch für diese Streiche loben, preisen und danken sollen, denn eure Lippen fließen von salbungsvollen Ermahnungen und Warnungen er, die ihr uns am liebsten nach hinten auf den Rücken heften möchtet! Es wird dem, der das anzusehen und anzuhören hat, so schlimm, daß es ihm scheint, sein Inneres wolle sich nach außen wenden! Ich fordere euch um Allahs willen auf, ja dem Gedanken zu entsagen, daß ihr mich damit anders macht, als ich gewesen bin und auch für immer bleiben werde! Ihr habt in mir nur Ekel erregt, weiter nichts! Hier seht mich an, ob ich nicht ein ganz anderer Mann bin, als ihr alle seid! Hier stehe ich! Ich habe euch, ohne mich vor euch zu fürchten, den ganzen Inhalt meines Herzens ausgeschüttet. Nun schießt mich augenblicklich nieder! Denn soviel Gerippe wird euer Charakter und eure Ehre doch vielleicht noch haben, daß ihr nicht sogar auch noch jetzt euch hinter dieses schwache, vor Angst zitternde Weib, die Liebe, steckt, um euer schönes, weißes Gefieder ja nicht durch den Vorwurf einer Tat der Rache zu beschmutzen! Ich wiederhole: Hier stehe ich; nun schießt mich nieder!«

Der Grimm, mit dem er seine Rede begonnen hatte, war von Satz zu Satz gewachsen. Sein Gesicht hatte sich verzerrt, und seine Lippen geiferten. Dieser Mensch hatte uns alle Veranlassungen gegeben, ihn für einen Feigling zu halten, und er war es auch. Die treibende Kraft seines jetzigen Auftretens war nicht etwa das Selbstbewußtsein, der Mannesmut, sondern die zügellose unbezähmbare Wut darüber, daß wir ihn nicht an dem Scheik rächen wollten. Grad daß er diese Wut nicht beherrschen konnte, war ein Beweis seiner Schwachheit, denn wer für das Leben der Psyche ein aufmerksames Auge besitzt, wird die Erfahrung gemacht haben, daß Leute, welche eine so plötzliche Eruption, einen in dieser Weise ausbrechenden Todesmut zeigen, eigentlich feig und zaghaft sind. Der wahre Mut ist ruhig und weiß sich in jeder Lage zu beherrschen!

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
590 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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