Kitabı oku: «Der Schatz im Silbersee», sayfa 29
Dem braven Langen traten fast die Thränen in die Augen. Er nahm das Weib mit den Kindern, schob sie ihm wieder zu und sagte halb englisch und halb im Utah, welches er nicht beherrschte: »No witsch – not pokai!«
Dann wendete er sich ab und trat zu den Gefährten zurück. Die Utahs hatten das gesehen und gehört. Der Häuptling fragte: »Warum tötest du ihn nicht?«
»Weil ich ein Christ bin. Ich schenke ihm das Leben.«
»Aber wenn er gesiegt hätte, wärest du von ihm erstochen worden!«
»Er hat nicht gesiegt und es also nicht thun können. Er mag leben.«
»Aber sein Eigentum nimmst du? Seine Waffen, seine Pferde, seine Frau und auch seine Kinder?«
»Fällt mir nicht ein! Ich bin kein Räuber. Er mag behalten, was er hat.«
»Uff, ich begreife dich nicht! Er hätte klüger gehandelt.«
Auch die andern Roten schienen ihn nicht zu begreifen. Die Blicke, welche sie auf ihn richteten, sagten deutlich, wie erstaunt sie über sein Verhalten waren. Keiner von ihnen hätte auf sein Recht verzichtet, und wenn hundert Menschenleben der Gegenstand desselben gewesen wären. Der »rote Fisch« schlich davon. Auch er konnte nicht begreifen, warum der Weiße ihn nicht erstach und skalpierte. Er schämte sich, besiegt zu sein, und hielt es für das beste, sich unsichtbar zu machen.
Aber einen Dank gab es doch. Die Frau trat zu dem Langen und reichte ihm die Hand; sie hob auch die Hände der Kinder zu ihm empor und stammelte einige halblaute Worte, deren Sinn Davy zwar nicht verstand, sich aber leicht denken konnte.
Jetzt näherte sich »Namboh-avaht«, der »große Fuß«, dem Häuptlinge und fragte, ob er nun mit seinem Bleichgesichte beginnen könne. Der »große Wolf« nickte und befahl, nach der dazu bestimmten Stelle aufzubrechen. Diese lag in der Nähe der beiden Marterpfähle. Dort wurde, wie gewöhnlich, ein weiter Kreis gebildet, in dessen Mitte der Häuptling den »großen Fuß« führte. Old Shatterhand begleitete den dicken Jemmy hin. Er that dies aus dem Grunde, darüber zu wachen, daß keine Hinterlist gegen den Dicken in Anwendung komme.
Die beiden Kämpfer entblößten den Oberleib und stellten sich dann mit dem Rücken gegeneinander. Jemmys Kopf reichte nicht ganz bis an des Roten Schulter. Der Häuptling hatte einen Lasso in der Hand, mit dem er die beiden zusammenband. Der Riemen ging dem Roten über die Hüfte, dem Weißen aber über die Brust. Zufälligerweise und zum Vorteile des letzteren reichten die Enden des Lassos gerade so weit, daß der Häuptling die Schleife auf der Brust des Dicken machen mußte.
»Nun brauchst du den Riemen nicht zu zerschneiden, sondern bloß die Schleife aufzuziehen,« sagte Old Shatterhand ihm in deutscher Sprache.
Jetzt bekam jeder sein Messer in die rechte Hand, und der Akt konnte beginnen. Da der Häuptling zurücktrat, so folgte Old Shatterhand seinem Beispiele.
»Schteh feste, Jemmy, und laß dich ja nich werfen!« rief der Hobble-Frank.
»Du weeßt, wenn er dich erschticht, so bin ich für immerdar verwitwet und verwaist, und das wirscht du mir doch nich anthun wollen. Laß dich nur schtoßen, und schwipp ihn nachher tüchtig über!«
Auch der Rote bekam von verschiedenen Seiten aufmunternde Zurufe zu hören. Er antwortete: »Ich heiße nicht der »rote Fisch«, der sich besiegen läßt. Ich werde diese kleine, breite Kröte, welche mir am Rücken hängt, in wenigen Augenblicken erdrücken und zermalmen.«
Jemmy sagte gar nichts. Er schaute still und ernsthaft drein, bildete aber eigentlich hinter der Gestalt des Roten eine possierliche Figur.
Vorsichtigerweise hielt er das Gesicht seitwärts zurückgewendet, um die Fußbewegungen des Roten sehen zu können. Es lag nicht in seiner Absicht und auch nicht in seinem Interesse, den Kampf zu beginnen; er wollte das vielmehr dem Indianer überlassen.
Dieser stand lange Zeit still und unbeweglich; er wollte seinen Gegner mit einem plötzlichen Angriffe überrumpeln; aber das gelang ihm nicht. Als er vermeintlich ganz unvorhergesehen seinen Fuß nach hinten schob, um Jemmy ein Bein zu stellen, versetzte ihm dieser einen solchen Tritt gegen das andre, feststehende Bein, daß der Getroffene beinahe zu Fall gekommen wäre.
Nun aber folgte Angriff auf Angriff. Der Rote war stärker, aber der Weiße vorsichtiger und bedachtsamer. Der erstere geriet nach und nach in Wut über die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen; aber je mehr er tobte und mit den Füßen nach hinten stieß, desto ruhiger wurde der letztere. Der Kampf schien sich in die Länge zu ziehen; er verlor an Interesse, da auch nicht der kleinste Vorteil des einen oder des andern zu bemerken war. Aber desto schneller sollte das Ende kommen, nämlich durch eine verabredete Hinterlist des Indianers.
Dieser hatte durch sein bisheriges Verhalten nur bezweckt, seinen Gegner sicher zu machen. Der Weiße sollte denken, daß gar keine andre Art des Angriffes erfolgen könne und werde. Jetzt aber griff der Indianer in den Lasso, zog ihn scharf an, so daß er vorn Raum zu einer Wendung bekam, und drehte sich um – – doch nicht ganz.
Wäre ihm seine Absicht gelungen, so hätte er dem Weißen dann seine Vorderseite zugekehrt und ihn einfach niederpressen können; aber Jemmy war ein schlauer Patron und sehr auf seiner Hut. Auch der Hobble-Frank hatte die heimtückische Absicht des Roten sofort bemerkt und rief dem Dicken schnell zu: »Wirf ihn ab; er dreht sich um!«
»Weiß schon!« antwortete Jemmy.
In demselben Augenblicke, in welchem er diese Worte sprach und an dem der Rote seine Umdrehung erst halb bewerkstelligt hatte und also keinen festen Halt besaß, bückte er sich schnell nieder, riß dadurch seinen Gegner empor und zog die Schleife auf. Der Lasso gab nach. Der Rote griff mit den Händen in die Luft und machte über Jemmys Kopf einen ganz regelrechten Purzelbaum auf die Erde nieder, wobei ihm sein Messer entfiel. Wie der Blitz so schnell kniete der Dicke auf ihm, faßte ihn mit der Linken bei der Kehle und setzte ihm mit der Rechten das Messer auf die Herzgegend. Vielleicht hatte der »große Fuß« die Absicht gehegt, sich um keinen Preis zu ergeben, sondern sich in jedem Falle zu wehren, aber der Purzelbaum hatte ihn so verblüfft, und die Augen des Dicken funkelten so nahe und drohend vor seinem Gesichte, daß er es für das beste hielt, bewegungslos liegen zu bleiben. Da richtete Jemmy seinen Blick auf den Häuptling und fragte: »Gibst du zu, daß er verloren ist?«
»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er herbeitrat.
»Warum nicht?« erkundigte sich sofort Old Shatterhand, indem er auch herbeikam.
»Er ist nicht besiegt.«
»Ich behaupte das Gegenteil: Er ist besiegt.«
»Das ist nicht wahr, denn der Lasso ist geöffnet.«
»Daran ist der »große Fuß« selbst schuld, denn er hat sich umgedreht und dabei den Riemen aufgesprengt.«
»Das hat niemand gesehen. Laß ihn los! Er ist unbesiegt, und der Kampf hat von neuem zu beginnen.«
»Nein, Jemmy, laß ihn nicht los!« gebot der Jäger. »Sobald ich es dir befehle, erstichst du ihn, oder sobald er es wagt, sich zu bewegen!«
Da richtete sich der Häuptling stolz auf und fragte: »Wer hat hier zu befehlen, du oder ich?«
»Du und ich, wir beide.«
»Wer sagt das?«
»Ich sage es. Du bist der Häuptling der Deinen, und ich bin der Anführer der Meinen. Du und ich, wir beide, sind einen Vertrag über die Bedingungen des Kampfes eingegangen. Wer diese Bedingungen nicht achtet, der hat den Vertrag gebrochen und ist ein Lügner und Betrüger.«
»Du – du wagst so zu mir zu sprechen, vor diesen vielen roten Kriegern?«
»Das ist kein Wagnis. Ich sage die Wahrheit und verlange Treue und Ehrlichkeit. Wenn ich nicht mehr sprechen darf, nun wohl, so wird das Gewehr des Todes reden.«
Er hatte den Kolben seines Stutzens an der Erde gehabt; jetzt nahm er ihn in sehr demonstrativer Weise empor.
»So sag, was wünschest du denn?« fragte der Häuptling, bedeutend kleinlauter.
»Du gibst zu, daß diese beiden kämpfen sollten, mit dem Rücken gegeneinander stehend?«
»Ja.«
»Der »große Fuß« aber hat den Lasso gelüftet und sich umgedreht. Ist das richtig? Du mußt es gesehen haben!«
»Ja,« gestand der Häuptling zögernd.
»Ferner sollte derjenige sterben, den der andre unter sich zu liegen bekommen würde. Erinnerst du dich der Bedingung?«
»Ich kenne sie.«
»Nun, wer liegt unten?«
»Der »große Fuß«.«
»Wer ist also der Besiegte?«
»Er – – – »antwortete der Häuptling gezwungenermaßen, da Old Shatterhand den Stutzen so hielt, daß ihm die Mündung des Laufes fast die Brust berührte.
»Hast du etwas dagegen zu bemerken?«
Bei diesen Worten traf aus dem Auge des berühmten Jägers den Häuptling ein so großer, überwältigender Blick, daß er trotz seiner Riesengestalt sich klein fühlte und die erwartete Antwort gab: »Nein; der Besiegte gehört dem Sieger. Sage diesem, daß er ihn erstechen kann.«
»Das brauche ich ihm nicht erst zu sagen, denn er weiß es schon; aber er wird es nicht thun.«
»Will er ihm etwa auch das Leben schenken?«
»Darüber werden wir später entscheiden. Bis dahin mag der »große Fuß« mit demselben Lasso gebunden werden, von welchem er sich losmachen wollte.«
»Warum ihn binden? Er wird euch nicht entfliehen.«
»Haftest du mir dafür?«
»Ja.«
»Womit?«
»Mit meinem ganzen Eigentum.«
»Das genügt. Er mag gehen, wohin er will, soll aber am Schlusse der noch bevorstehenden zwei Einzelkämpfe zu seinem Sieger zurückkehren.«
Jetzt stand Jemmy auf und legte seine Kleider wieder an. Auch der »große Fuß« sprang empor und machte sich durch den Kreis der Roten Bahn, welche nicht wußten, ob sie ihm Verachtung zeigen sollten oder nicht.
Diese Utahs hatten überhaupt wohl noch nie erlebt, daß ein sich nicht einmal im Besitze der vollen Freiheit befindlicher Weißer in der Art wie dieser Old Shatterhand mit ihnen und ihrem Häuptling umgesprungen war. Er befand sich in ihrer Gewalt und doch getrauten sie sich nicht, ihm die Erfüllung dessen, was er begehrte, zu versagen. Das war die Macht seiner Persönlichkeit und die Wirkung des Nimbus, mit welchem die Geschichte und Sage ihn umgeben hatte.
Der Häuptling war jedenfalls darüber ergrimmt, daß bereits zwei seiner besten Krieger besiegt waren, und zwar von Gegnern, denen sie weit, weit überlegen geschienen hatten. Jetzt fiel sein Blick auf den Hobble-Frank und seine Stimmung wurde sofort eine bessere. Dieser kleine Kerl war ganz unmöglich im stande, den »springenden Hirsch« einzuholen. Hier wenigstens war den Roten der Sieg gewiß.
Er winkte den »springenden Hirsch« herbei, führte ihn zu Old Shatterhand und sagte: »Dieser Krieger besitzt die Schnelligkeit des Windes und ist noch von keinem andern Läufer übertroffen worden. Willst du deinem Gefährten nicht raten, daß er sich lieber ohne Kampf ergeben soll?«
»Nein.«
»Er würde schnell sterben, ohne Schande auf sich geladen zu haben.«
»Ist es nicht die allergrößte Schande, sich ohne Kampf zu ergeben? Hast du den »roten Fisch« nicht auch für unüberwindlich gehalten, und sagte der »große Fuß« nicht, daß er seinen Gegner, Kröte, in wenigen Minuten erdrücken und zermalmen werde? Meinst du, der »springende Hirsch« werde glücklicher sein als sie, welche so stolz begannen und so still und bescheiden endeten und sich davonschlichen?«
»Uff!« rief der »springende Hirsch«. »Ich laufe mit dem Reh um die Wette!«
Old Shatterhand betrachtete ihn jetzt genauer. Ja, er hatte den Bau eines guten Läufers, und seine Beine waren gewiß geeignet, ohne zu ermüden, große Strecken zurückzulegen. Aber die Menge seines Gehirnes schien nicht mit der Länge der Beine im Einklang zu stehen. Er hatte ein wahres Affengesicht, aber ohne daß von der Klugheit dieser Tiere ein Zeichen auf demselben zu entdecken gewesen wäre.
Der Hobble-Frank hatte sich auch genähert und den Hirsch betrachtet.
»Was hältst du von ihm?« fragte ihn Old Shatterhand.
»Das is der leibhaftige dumme Junge von Meißen, wie er vor den Fettoogen schteht und die Brühe nich finden kann,« antwortete der Kleine.
»Denkst du es mit ihm aufnehmen zu können?«
»Hm! Was seine Beene betrifft, so is er mir dreimal über; aber was den Kopp betrifft, so hoffe ich, ihm wenigstens nich unter zu sein. Wollen erscht zu erfahren suchen, off welcher Schtrecke wir loofen sollen. Vielleicht loofe ich mit dem Koppe besser und schneller, als er mit den Beenen.«
Old Shatterhand wendete sich also wieder zu dem Häuptlinge: »Ist es schon beschlossen, wo der Lauf um das Leben stattzufinden hat?«
»Ja. Komm, ich werde es dir zeigen.«
Old Shatterhand und der Hobble-Frank folgten ihm aus dem Kreise der Indianer hinaus; der »springende Hirsch« blieb zurück; ihm war das Ziel bereits genannt worden. Der Häuptling zeigte nach Süden und sagte: »Siehst du den Baum, welcher auf dem halben Wege zwischen hier und dem Walde steht?«
»Ja.«
»Bis zu ihm soll gelaufen werden. Wer dreimal um ihn herumgeht und dann zuerst zurückkehrt, ist der Sieger.«
Der Hobble-Frank maß die Entfernung mit den Augen und auch das ganze fernere südwärts gelegene Terrain, und meinte dann in englischer Sprache, welche er bekanntlich weit reiner sprach als das Deutsche: »Aber ich hoffe, daß Ehrlichkeit zwischen beiden Teilen vorhanden ist!«
»Willst du sagen, daß du uns Unehrlichkeit zutraust?« fragte der Häuptling scharf.
»Ja.«
»Soll ich dich niederschlagen?«
»Versuche es! Die Kugel meines Revolvers würde schneller sein als deine Hand. Hat sich vorhin nicht der »große Fuß« umgedreht, obgleich es verboten war? Ist das ehrlich gehandelt?«
»Es war nicht unehrlich, sondern listig.«
»Ah! Und solche Listen sollen erlaubt sein?«
Der Häuptling besann sich. Sagte er ja, so war damit das Verhalten des »großen Fußes« verteidigt, und vielleicht gab es jetzt für den »springenden Hirsch« auch eine Veranlassung, zur List zu greifen. Diese Weißen leisteten weit mehr, als was man ihnen zugetraut hatte. Vielleicht war der kleine Kerl hier auch ein guter Läufer; da erschien es wohl geraten, seinem roten Gegner eine Zuflucht offen zu halten. Darum antwortete er: »List ist kein Betrug. Warum soll sie verboten sein?«
»Kann sie denn auch von der Erfüllung der Bedingungen entbinden?«
»Nein, denn diesen muß genau nachgekommen werden.«
»Dann erkläre ich mich einverstanden und bin bereit, den Lauf zu beginnen. Von welchem Punkte aus?«
»Ich werde eine Lanze in die Erde stoßen, wo sich der Anfangs- und auch der Endpunkt des Laufes befinden soll.«
Er entfernte sich für kurze Zeit, so daß die Weißen allein standen.
»Dir ist wohl ein Gedanke gekommen?« fragte Old Shatterhand.
»Ja. Sehen Sie mir es an?«
»Allerdings, denn du lachst so still vergnügt vor dich hin.«
»Es is ooch ganz zum Lachen. Dieser Häuptling hat mir mit seiner List schaden wollen und mir ganz im Gegenteele den größten Dienst erwiesen.«
»Wieso?«
»Das sollen Sie gleich hören. Was für een Boom is das wohl, um den wir dreimal herumtanzen sollen?«
»Es scheint eine Buche zu sein.«
»Und sehen Sie ‚mal weiter nach links; da schteht ooch een Boom, aber fast zweemal so weit. Was is das für eener?«
»Eine Fichte.«
»Schön. Wohin also sollen wir loofen?«
»Nach der Buche.«
»Ich werde aber gerade nach der Fichte rennen.«
»Bist du toll!«
»Nee. Ich loofe eben mit dem Kopfe nach der Buche, mit den Füßen aber nach der Fichte, obgleich es dorthin doppelt so weit is.«
»Aber zu welchem Zwecke denn?«
»Das werden Sie dann sehen und sich darüber freuen. Ich gloobe, daß ich mich in meinen Erwartungen nich täusche. Wenn ich diesem »schpringenden Hirsche« in die vordere Garnitur schaue, so scheint mir een Irrtum gar nicht möglich zu sein.«
»Sei vorsichtig, Frank! Es handelt sich um das Leben.«
»Na, wenn sich‘s nur bloß ums Leben handelte, so brauchte ich mich gar nich anzuschtrengen. Wenn ich besiegt würde, so blieb ich dennoch leben. Der »große Fuß« hat zu schterben, und den Häuptling werden Sie ooch zu Boden bringen; gegen diese beede könnte ich ja ausgelöst werden. Also um mein Leben ist es mir gar nich bange; aber es handelt sich um die Ehre und Reputation. Soll denn schpäter in der Geschichte des vierten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts zu lesen sein, daß ich, der Hobble-Frank aus Moritzburg, von so eenem indianischen Merinogesichte überschprungen worden bin? Das lasse ich mir nich nachsagen.«
»Aber, so erkläre mir wenigstens deine Absicht. Vielleicht kann ich dir einen guten Rat erteilen!«
»Danke ergebenst! Den Rat habe ich mir schon selbst gegeben und will meine Erfindungen ooch selber ausbeuten. Nur sagen Sie mir eens: Wie heeßt Fichte in der Utahsprache?«
»Ovomb.«
»Ovomb? Sonderbarer Name! Und wie würde der kurze Satz heeßen: nach jener Fichte?«
»Intsch ovomb.«
»Das is noch kürzer, zwee Worte bloß. Die werde ich nich vergessen.«
»Was hat denn dieses Intsch ovomb mit deinem Plane zu thun?«
»Es is der Leuchtschtern für meinen Dauerloof. Aber schtille jetzt; der Häuptling kommt!«
Der »große Wolf« kam wieder. Er steckte eine Lanze in den weichen Grasboden und erklärte, daß der Todeslauf jetzt beginnen werde.
»In welcher Kleidung?« fragte ihn der Hobble-Frank.
»Wie es euch beliebt.«
Frank entledigte sich aller Kleidungsstücke bis auf die Hosen; der »springende Hirsch« trug jetzt nur einen Lederschurz. Er blickte auf seinen Gegner mit einem Gesichte, welches Verachtung ausdrücken sollte, aber das Ebenbild der göttlichsten Borniertheit war.
»Frank, gib dir Mühe!« mahnte Jemmy. »Denke daran, daß Davy und ich gesiegt haben!«
»Weine nur nich!« tröstete der Kleine. »Wennste noch nich wissen solltest, ob ich Beene habe oder nich, so wirst du sie jetzt protuberanzieren sehen.«
Da klatschte der Häuptling in die Hände. Einen schrillen Schrei ausstoßend, flog der »springende Hirsch« davon, der kleine Frank hinter ihm her. Die Bewohner des ganzen Lagers waren wieder versammelt, um den Wettlauf anzusehen. Ihrer Ansicht nach war es schon jetzt, nach drei, vier Sekunden, gewiß, wer der Sieger sein werde. Der Hirsch war seinem Gegner schon weit voraus und gewann mit jedem weiteren Schritte größeren Vorsprung. Die Roten jubelten. Es wäre Wahnsinn gewesen, zu behaupten, daß der Weiße den Roten noch ein- oder gar überholen könne.
Geradezu wunderbar war‘s, wie der Kleine seine Beinchen warf. Man sah sie fast nicht, so schnell bewegten sie sich, und doch hatte es, wenigstens für den genauen Beobachter, den Anschein, als ob er noch nicht alles leiste, sondern noch rascher laufen könne, wenn er wolle.
Da wurden die Indianer unruhig; sie ließen einzelne Ausrufe des Hohnes, der Schadenfreude hören; sie lachten und glaubten wirklich, alle Veranlassung dazu zu haben. Der Grund war folgender: Die Buche stand in schnurgerader Richtung von dem Lager aus mitten in der Prairie, wohl nicht ganz dreitausend Fuß entfernt. Links von ihr, aber wenigstens zweitausend Fuß weiter, stand die erwähnte Fichte, und jetzt, da die beiden Läufer sich in dazu genügender Entfernung befanden, sah man deutlich, daß der Kleine sich nicht die Buche, sondern die Fichte zum Ziele genommen hatte. Er rannte, was die Beinchen nur hergeben wollten, auf sie zu. Das war freilich so lächerlich, daß den Indianern ihre Heiterkeit verziehen werden konnte.
»Dein Gefährte hat mich falsch verstanden,« rief der Häuptling Old Shatterhand zu.
»Nein.«
»Aber er rennt ja nach der Fichte!«
»Allerdings.«
»So wird der »springende Hirsch« mit doppelter Schnelligkeit siegen!«
»Nein.«
»Nein?« fragte der »große Wolf« erstaunt.
»Es ist eine List, und du hast sie ihm selbst erlaubt.«
»Uff, uff! Jawohl, und uff, uff!« riefen auch die andern Roten, als der Häuptling ihnen die Worte Old Shatterhands erklärte. Ihr Gelächter verstummte, und ihre Spannung verdoppelte, nein, verzehnfachte sich. In kurzer Zeit hatte der Hirsch die Buche erreicht. Er mußte sie dreimal umkreisen. Schon beim erstenmal sah er, zurückblickend, seinen Gegner in ganz andrer Richtung, wenn auch nur dreihundert Schritte entfernt. Er blieb ganz betroffen stehen und starrte den Moritzburger erstaunt an.
Da sah man vom Lager aus, daß der Kleine den Arm nach der noch so fernen Fichte ausstreckte; aber man konnte nicht hören, was er dabei sagte.
»Intsch ovomb, intsch ovomb – nach jener Fichte, nach jener Fichte!« rief er nämlich dem Roten zu.
Dieser besann sich, ob er richtig gehört habe. Seine Gedanken reichten nicht weiter als zu der Erklärung, daß er den Häuptling falsch verstanden habe, und daß nicht die Buche, sondern die Fichte das Halbziel des Wettlaufes sei. Schon war der Kleine weiter, viel weiter fort; da galt kein Bedenken und kein Zögern; es ging ja ums Leben! Der Rote verließ die Buche und eilte weiter, auf die Fichte zu. In wenigen Augenblicken schoß er von weitem an dem Gegner vorüber und flog, ohne sich einmal umzusehen, seinem zweiten Ziele entgegen.
Das verursachte eine gewaltige Aufregung unter den Roten. Sie heulten und lärmten, als ob das Leben aller auf dem Spiele stehe. Desto größer war die Freude der Weißgesichter, und namentlich des dicken Jemmy, welche den Geniestreich ihres Kameraden so vortrefflich glücken sahen.
Dieser wendete, sobald der »springende Hirsch« an ihm vorüber war, um und rannte auf die Buche zu. Dort angekommen, ging er drei-, vier-, fünfmal um den Stamm herum und trat dann in größter Eile den Rückweg an. Vier Fünfteile desselben legte er in scharfem Trabe zurück, dann blieb er halten, um sich nach der Fichte umzublicken. Dort stand der »springende Hirsch« ganz unbeweglich. Natürlich konnte man weder die Hände und Arme oder gar das Gesicht desselben erkennen, aber es war deutlich zu sehen, daß er starr wie eine Bildsäule dastand. Er wußte nicht, woran er war, und sein Geist war nicht scharf genug, zu erraten, wie glorreich er genasführt worden.
Der Hobble-Frank fühlte sich im höchsten Grade befriedigt und legte die übrige Strecke seines Weges in gemütlichem Gange zurück. Die Indianer empfingen ihn mit finstern Blicken; er aber machte sich nichts daraus, trat zu dem Häuptlinge, schlug ihm auf die Schulter und fragte:
»Nun, altes Haus, wer hat gesiegt?«
»Wer die Bedingungen erfüllt hat,« antwortete der Rote grimmig.
»Das bin ich!«
»Du?«
»Ja, bin ich nicht an der Buche gewesen?«
»Ich sah es.«
»Und zuerst wieder hier?«
»Ja.«
»Bin ich nicht fünfmal anstatt nur dreimal um den Baum gegangen?«
»Warum zweimal mehr?«
»Aus reiner Liebe zu dem »springenden Hirsche«. Als er einmal herum war, rannte er fort, und ich habe für ihn das Fehlende nachgeholt, damit die Buche sich nicht über ihn beklagen kann.«
»Warum verließ er sie, um nach der Fichte zu gehen?«
»Ich wollte ihn fragen; aber er rannte so schnell an mir vorüber, daß ich gar keine Zeit dazu fand. Wenn er kommt, wird er es dir vielleicht sagen.«
»Warum ranntest auch du erst nach der Fichte?«
»Weil ich glaubte, es sei eine Tanne. Old Shatterhand hatte den Baum eine Fichte genannt, und so wollte ich wissen, wer recht hatte.«
»Warum bist du umgekehrt und nicht vollends hingegangen?«
»Weil der »springende Hirsch« hinging. Von ihm kann ich es hinterher ebensogut erfahren, wer sich geirrt hat, ob ich oder ob Old Shatterhand.«
Er sagte das alles im ruhigsten und unbefangensten Tone, den es geben kann. Im Innern des Häuptlings kochte es. Seine Worte kamen fast zischend über die Lippen, als er fragte: »Hast du etwa den »springenden Hirsch« betrogen?«
»Betrogen? Soll ich dich niederschlagen?« fuhr der Kleine scheinbar zornig auf, indem er sich der eigenen, früheren Worte des Häuptlings bediente.
»Oder hast du eine List angewendet?«
»List? Wozu hätte die dienen sollen?«
»Um den Hirsch nach der Fichte zu senden.«
»Das wäre eine schlechte List, deren ich mich schämen müßte. Ein Mensch, welcher um sein Leben läuft, läßt sich nicht vom Ziele aus noch so viel weiter schicken. Wenn er das thäte, so hätte er kein Gehirn, und diejenigen, zu denen er gehört, müßten sich schämen, ihn nicht besser geübt und erzogen zu haben. Nur ein Thor würde einen solchen Menschen mit einem Weißen um das Leben kämpfen lassen. Ich kann dich und deine Vermutungen nicht begreifen, da du durch dieselben deine eigene Ehre beleidigst.«
Die Hand des Häuptlings fuhr in den Gürtel und krampfte sich um den Messergriff. Am liebsten hätte er den ebenso mutigen wie listigen und vorsichtigen Kleinen augenblicklich erstochen; aber die Worte desselben gaben keine wirkliche Handhabe zur Beschönigung einer solchen That, und er mußte also seinen Grimm hinunterschlucken.
Der Hobble-Frank trat nun zu seinen Gefährten, von denen er mit stiller, aber desto herzlicherer Freude beglückwünscht wurde.
»Hab‘ ooch gesiegt, bist du mit mir zufrieden?« fragte er Jemmy in Bezug auf die Ermahnung, welche dieser ihm mit auf den Weg gegeben hatte.
»Natürlich! Das hast du wirklich schlau angefangen. Es ist geradezu ein Meisterstück.«
»Wirklich? So nimm‘s treulich in dein Gedächtnis auf, pagena hundertsechsunddreißig, und schlag dieses Blatt immer dann off, wenn dir die Alimentation kommt, an meiner Überlegenheet zu zweifeln! Da kommt der »schpringende Hirsch«, aber nich geschprungen, sondern geschlichen. Er scheint een böses Gewissen zu haben und drückt sich off die Seite, als ob er Prügel bekommen sollte. Seht nur sein Gesicht! Und mit diesem Confusius habe ich mich messen sollen! Ja, ja, die Beene thun‘s nich, selbst beim Wettloofen nich, sondern merschtenteels der Kopp!«
Der Hirsch schien sich verschwinden lassen zu wollen; aber der Häuptling rief ihn zu sich und fuhr ihn an: »Wer hat gesiegt?«
»Das Bleichgesicht,« lautete die furchtsame Antwort.
»Warum bist du nach der Fichte gelaufen?«
»Das Bleichgesicht log mich an. Es sagte, bei der Fichte sei das Ziel.«
»Und du glaubtest es? Ich hatte dir das Ziel genannt!«
Old Shatterhand übersetzte dem Hobble-Frank, daß er ein Lügner genannt worden sei. Darum verteidigte sich der verschmitzte Kleine, indem er sich an den Häuptling wendete: »Ich soll gelogen haben? Ich soll dem Hirsch gesagt haben, die Fichte sei sein Ziel? Das ist nicht wahr. Ich sah ihn an der Buche stehen; er betrachtete mich erstaunt und schien vor Angst und Sorge, was ich im Schilde führe, vergehen zu wollen. Da fühlte ich Mitleid mit dem Armen und rief ihm zu »Intsch ovomb!« Ich sagte ihm also, daß ich nach der Fichte wolle. Warum er dann an meiner Stelle hingelaufen ist, das vermag ich nicht zu enträtseln; vielleicht weiß er es selber nicht. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Old Shatterhand mußte innerlich lachen, daß der kleine ironische Tausendsasa sich der indianischen Ausdrucksweise bediente. Den Häuptling aber brachte das in noch größeren Zorn, er rief: »Ja, du hast gesprochen und bist fertig; aber ich bin noch nicht fertig und werde mit dir sprechen, wenn nachher die Zeit gekommen ist. Wort halten aber muß ich. Das Leben, der Skalp und das Eigentum des »springenden Hirsches« gehören dir.«
»Nein, nein!« wehrte der Kleine ab. »Ich mag nichts haben. Behaltet ihn hier bei euch; ihr könnt ihn wohl gebrauchen, besonders wenn es einen Wettlauf mit einem Bleichgesichte um das Leben gilt.«
Unter den Roten ging ein leises, zorniges Murmeln um, und der Häuptling knirschte ihm zu: »Jetzt magst du noch giftige Reden speien; später wirst du um Gnade wimmern, daß es bis zum Himmel schallt. Jedes einzelne Glied deines Körpers soll besonders sterben, und deine Seele soll stückweise aus dir fahren, daß dein Sterben viele Monde währt.«
»Was könnt ihr mir thun? Ich habe gesiegt und bin also frei.«
»Noch ist einer da, der noch nicht gesiegt hat, Old Shatterhand. Warte einige Augenblicke, so wird er vor mir im Staube liegen und um sein Leben flehen. Ich werde es ihm gegen das deinige schenken, und dann bist du mein Eigentum.«
»Irre dich nicht!« warnte Old Shatterhand ernst. »Noch liege ich nicht vor dir. Und wenn dir gelänge, was noch keinem gelungen ist, nämlich mich zu besiegen, so würde ich nicht mein Leben um dasjenige eines andern eintauschen.«
»Warte bis nachher! Jetzt bist du unverletzt; aber unter den Qualen, welche deiner warten, wird dein Stolz sich beugen und dein Sinn sich ändern, so daß du mir tausend Leben für das deinige bieten würdest, wenn du sie hättest! Kommt alle mit mir; es geht zum letzten, größten und entscheidendsten Kampfe!«
Die Roten folgten dem Häuptling in wirrem Haufen; die Weißen schritten langsam hinterdrein.
»Habe ich etwa zu viel gesagt?« fragte der Hobble-Frank besorgt.
»Nein,« antwortete Old Shatterhand. »Es ist ganz gut, daß ihr Kriegerstolz sich einmal selbst vor so einem kleinen Kerl beugen muß. Freilich, wenn der Häuptling mich tötete, so wäret auch ihr verloren, denn man würde sofort über euch herfallen. Aber es ist ihnen auch in dem höchst wahrscheinlichen Falle, daß ich Sieger werde, nicht zu trauen. Ich bin, ohne ganz bestimmte Gründe dazu zu haben, der Überzeugung, daß die Roten uns auf keinen Fall friedlich ziehen lassen werden. Sie entschlossen sich für den Einzelkampf, weil sie fest glaubten, daß wir alle fallen würden. Nun das vergeblich gewesen ist, werden sie auf andres sinnen. Die Hauptsache ist, daß wir ihnen imponieren. Das hat sie bis jetzt im Zaum gehalten und wird uns auch ferner nützlich sein. Und darum freue ich mich, daß du so furchtlos zu dem »großen Wolf« gesprochen hast, du, der Knirps zum Goliath. Er ist darüber zwar in Grimm geraten, aber er hat nun erfahren, daß selbst der Kleinste unter uns keine Spur von Furcht empfindet. Nun gilt es, ihn selbst vor seinen Leuten klein zu machen. Das werde ich besorgen, indem ich mich jetzt mit ihm messe. Mir scheint, sie wollen uns als Geiseln hier behalten, eine Absicht, welche wir ihnen durchkreuzen müssen, weil wir keinen Augenblick unsres Lebens sicher wären.«
Während dieser Erklärungen des Jägers waren sie an den Kreis gelangt, welcher von den Zelten und Hütten gebildet wurde. Im Mittelpunkte desselben wurden die Vorbereitungen zu dem bevorstehenden, hochinteressanten Zweikampfe getroffen.
Dort ragte aus einem Haufen zentnerschwerer, zusammengetragener Steine ein starker Pfahl empor, an welchem zwei Lassos befestigt wurden. Um diesen Platz standen alle männlichen und weiblichen Bewohner des Lagers, um Zeuge des Schauspieles zu sein. Old Shatterhand richtete sein Augenmerk darauf, daß die roten Krieger alle vollständig bewaffnet waren, ein Umstand, welcher auf seine Befürchtungen nicht beruhigend zu wirken vermochte. Er beschloß, dem entgegenzuarbeiten, und trat in die Mitte des Kreises, wo der Häuptling sich bereits befand. Dieser zeigte eine sehr siegesgewisse Haltung. Er deutete auf die beiden Lassos und. sagte: »Du siehst diese Riemen. Weißt du, wozu sie bestimmt sind?«