Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 37
Da wieherte bei den Schatten ein Pferd. Ein anderes antwortete – – noch eines und noch eines. Das war in der Stille des Morgens weithin zu hören und für Ahriman ein Zeichen, daß seine Schatten angekommen seien. Er hatte sie schon des Nachts erwartet und war ungeduldig geworden. Warum den Duar erst leise und schleichend besetzen, wenn es nur einiger weniger Augenblicke bedurfte, ihn in schnellem Ansturm zu überrumpeln? Der Morgenhauch war zum Winde geworden, welcher die Dünste zur rascheren Bewegung zwang. Er begann, sie zu drängen, zu zerreißen, zu peitschen. Sie flatterten auseinander. Sie stoben nach allen Seiten. Sie flohen in alle Lüfte, um dort zerrissen zu werden. Der lichte Morgen war am See erschienen und räumte mit ihnen auf. Von den Ruinen verschwanden sie zuerst, weil der von der Felsenwand zurückkehrende Luftstrom dort doppelt wirkte. Da sahen wir Ahriman stehen. Er hatte sich hoch und gebieterisch aufgerichtet und eine Pistole in der Hand, um das verabredete Zeichen zu geben. Er schaute hinaus, über den See. Er sah nur Schatten, nichts als Schatten, welche nun alle herangekommen waren und in dichtgedrängter Menge das Tal besetzt hielten. Er sah nicht die Dschamikun auf den Höhen, weil sie sich hinter Felsen, hinter Bäumen und Sträuchern verbargen. Und er sah, wie bereits erwähnt, auch nicht unsere kanonenstarrende Aufstellung unten an der vordersten Ruinenmauer. Darum gab er sein Signal; die Pistole krachte.
Nun war er selbstverständlich überzeugt, daß die Schatten sofort von beiden Seiten in das Dorf dringen würden. Das geschah aber nicht, jedenfalls zu seinem größten Erstaunen. Ihre Spitzen waren nahe genug herangekommen, um zu sehen, was vor ihnen lag. Sie hatten beim Anblicke der ihnen entgegengähnenden Geschütze ihre Bewegung eingestellt, und die Führer schienen sich zu beraten. Da schoß Ahriman den zweiten Lauf ab und winkte mit beiden Armen, indem er laute Befehle rief. Man sah seinen Bewegungen an, daß er zornig geworden war. Jedenfalls hatte er befohlen gehabt, sein Zeichen zu erwidern, denn die Pädärahn gaben nun auch ihre Schüsse ab, je einen auf beiden Seiten. Weiter vorzurücken aber unterließen sie, indem sie wiederwinkten und nach dem Dorfe zeigten. Ihre Schüsse schienen ein vielstimmiges und nicht enden wollendes Echo erweckt zu haben, und Aller Augen richteten sich nach oben, von wo es herunterklang. Da brannten die Warnungsfeuer zwar noch, aber blaß und fahl im Tageslichte. Die Wächter hatten sich auf dem sichern Felsen am Alabasterzelte zusammengezogen und sagten uns durch die Stimmen der mit hinaufgenommenen Gewehre, daß die Moräne zum Sturze auszuholen beginne. Und zu gleicher Zeit griff nun der Hauptmann in die Szene ein. Seine kommandierende Stimme erscholl. Auf seinen beiden Flanken donnerte je ein Geschütz, für dieses eine Mal nicht scharf geladen, und die acht rund um den See verteilten Kanonen fielen augenblicklich ein. Und nun sprangen auf allen Höhen die Dschamikun hinter ihren Verstecken hervor und ließen ihre Stimmen erschallen und ihre Gewehre ertönen. Das war wie ein einziger Schrei und wie ein einziger Krach, unter dem das ganze Tal und der See in ihm erbebte. Dann trat jene tiefe, den Atem anhaltende Stille ein, welche nur entscheidenden oder gar fürchterlichen Ereignissen voranzugehen pflegt.
Kein Mensch, so weit man sah, schien sich bewegen zu können, mit Ausnahme von nur einem. Das war der Chodj-y-Dschuna. Er ging nach dem Landeplatze, stieg in das Boot und ruderte es so weit vom Lande ab, daß er von Ahriman gesehen werden konnte. Dieser stand, noch immer hoch aufgerichtet, aber wie zu Stein erstarrt, auf seinem Platze. Begriff er das, was vor ihm lag? Oder konnte er überhaupt nichts mehr begreifen? Da erhob sich der brave Lehrer der Dschamikun von der Ruderbank und rief mit weithin hörbarer Stimme zu ihm hinauf:
»Ahriman! Die Sterbestunde deines Reiches naht. Die Mauern unter dir beginnen schon, zu wanken, und über dir will die Lawine stürzen; man gab von dort das Zeichen, daß sie kommt. Du willst dem Schah-in-Schah die Herrschaft stehlen und – – —«
Ein schmetterndes Gelächter schnitt ihm die Rede ab. Aber nicht der Mirza lachte, der sich immer noch nicht regen zu können schien, sondern die Gul war aufgesprungen, um in dieser Weise zu zeigen, daß das Weib in den Augenblicken der Gefahr oft hoch über dem Manne stehe. Sie riß dem vollständig Ratlosen den Säbel aus der Scheide, trat bis ganz an den Rand der hohen Mauer vor und schrie herab:
»Erzähle keine Fabeln, sondern schau dich nach der Wahrheit um! Die Lawine will nicht erst kommen, sondern sie ist schon da. Sie wird Euch packen, sofort, sofort! Heran, ihr Leibscharen des neuen Schah-in-Schah, heran! Hier blitzt der Stahl; ich rufe Euch zum Siege! Yallah113 – yallah – – yallah!«
Sie schwang den Säbel hoch empor, indem sie diesen Ruf ebenso hinausschmetterte, wie vorher das Gelächter und – – – war das tollkühne Absicht oder die Folge des unvorsichtigen, zu weiten Vortretens? Sprang sie, oder stürzte sie? Ließ sie die Klinge fallen, oder hielt sie sie fest? Man konnte das nicht unterscheiden, aber – – – bei dem dritten Yallah flog sie von der Mauer herunter. Das sah genauso aus, als tue sie das, um durch diesen verwegenen Sprung in die Feinde herunter die zögernden Schatten zum Angriff zu begeistern. Und es wirkte!
»Yallah, yallah!« riefen die Pädärahn, indem sie vorwärts stürmten. »Yallah, yallah!« schrien die ihnen nachdrängenden Schatten. »Yallah – yallah – – yallah!« brüllte es, weiterlaufend, rund um den ganzen See. Die beiden Kolonnen drängten nach vorn. Da winkte der Chodj-y-Dschuna vom Boote aus dem Hauptmanne zu. Dieser gab das Zeichen. Es wurde zu beiden Seiten gesehen, und die Geschütze begannen, den Tod in die Feinde zu sprühen, nicht nur die zwölf im Duar, sondern auch die übrigen acht.
Der Donner der Kanonen riß den Mirza aus seiner Erstarrung. Er fuhr sich mit beiden Händen nach dem Kopfe und trat, so wie vorher die Khanum, ganz an den Rand der Mauer vor, um ihr nachzublicken. Aber unsere Augen wurden durch etwas Anderes von ihm und von der Wirkung der Schüsse ab- und in die Höhe gezogen.
Wir konnten vom Beit-y-Chodeh aus das ganze abschüssige Terrain am Alabasterzelte übersehen. Die Moräne hatte das lockere Geröll erreicht und schob es vor sich her. Sie wuchtete selbst die größten Blöcke aus, welche infolge ihrer Schwere ins Rollen kamen und der eigentlichen Lawine vorausstürzten. Das geschah gerade in der Pause nach dem ersten Krachen unserer Kanonen. Die Massaban schauten von der Kampfesszene weg, hinauf nach der Bergeskuppe. Sie wußten von dem Aschyk, daß ein Bergsturz erfolgen werde, und als sie nun Stein auf Stein herniederfallen sahen, ergriffen sie schleunigst die Flucht. Der Duar lag zu nahe am Berge; von ihm aus konnte der Eintritt der Katastrophe noch nicht bemerkt werden. Aber den Schatten draußen am Wasser mußte er unbedingt in die Augen fallen. Sie hielten im Vordrängen wieder inne. Sie schrien nicht mehr »yallah«, sondern ganz anders. Sie richteten ihre Blicke nicht nach vorn, obgleich da unsere Geschütze weiterdonnerten, sondern nach oben, wo die Moräne sich am Felsen des Zeltes in zwei breite, wirbelnde Ströme geteilt hatte und nun herniederschoß. Noch ehe sie unten auftraf, erscholl von allen Punkten des Tales ein vieltausendstimmiger Schrei, dann – —
Das war kein Krach, den es gab, kein Schlag, kein Knattern und Prasseln, kein Dröhnen und Rasseln, kein Knirschen und Tosen, kein Brausen und Saufen, kein Zerbersten, Zerspringen und Zerplatzen, kein Knallen, kein Beben, kein Zittern, kein Rollen, und doch aber war es dieses Alles, Alles, Alles, aber in so entsetzlicher und betäubender Weise vereint, daß es ganz unmöglich beschrieben werden kann. Die Wucht des Sturzes dieser schweren Massen erregte einen Luftdruck, der uns hier hüben wie ein unsichtbarer Schlag an die Köpfe traf, drüben aber Alles, was da stand, zu Boden warf. Ahriman Mirza wurde von der Mauer hinweg und weit in die Luft hinausgeblasen. Wohin er fiel, das sahen wir nicht, weil aus der höllischen Verwirrung eine Staubwolke aufstieg, welche zunächst die ganze Ruinenseite des Tales verhüllte und sich dann in der Weise weiter verbreitete, daß wir nur mit Vorsicht atmen konnten. Die Atmosphäre wurde in solcher Höhe und Weite von diesem Staube erfüllt, daß noch einige Tage später der Bergwald am äußersten Ende des Sees aus Grün in Grau verwandelt lag. Das Auftreffen der Lawine hatte eine Bodenerschütterung zur Folge, die als Zittern weiterlief und von einem Geräusch begleitet wurde, als ob ein Kegeljunge alle seine Kugeln auf der Laufrinne hinunterrollen lasse.
Obgleich wir auf dieses Ereignis vorbereitet gewesen waren, konnten wir uns dem Eindrucke seiner elementaren Gewalt doch nicht entziehen. Wie mußte es da erst bei Denen wirken, die es unerwartet traf! Wir sahen das zwar nicht, aber wir hörten umso mehr. Das war kein Lärm, der zu uns heraufdrang, sondern ein überlaut zeterndes Getöse. Menschliche Stimmen erschallten in jeder Klangfarbe des Entsetzens. Pferde wieherten überall, aber in einer mir bisher ganz fremden Weise. Kamele brüllten; Hunde heulten. Auch im Walde wurde es laut. Die ganze Tierwelt, die zahme und die wilde, schien sich in der größten Aufregung zu befinden. Wir mußten hin zum Aschyk eilen, weil unsere Pferde durchgehen wollten.
Als wir sie beruhigt hatten und wieder an unsern Platz kamen, stieß der Ustad einen Ruf der Ueberraschung aus, indem er dort hinüber deutete, von woher die Lawine gekommen war. Auch wir staunten, Kara und ich. Die Staubwolke hatte nicht bis zur Bergeskuppe steigen können, und hier bei uns begann sie, dünner zu werden. Darum sahen wir zwischen den beiden Wegen, welche die Moräne genommen hatte, einen freien, nackten, starken Felsenarm weit in die Luft hinausragen, in dessen gewaltiger Faust die glänzend weiß blinkende Alabasterkrone ruhte. So, genau so hatte ich es mir gedacht, als ich mich zum ersten Male auf dem See befand114. Meine damalige Idee war also keine schnell und spurlos zerplatzende Gedankenblase gewesen!
Wie da drüben die eine Lawine niedergegangen war, so schickte sich nun auch die andere, die kriegerische, an, zu Tale zu rollen. Ueberall, wo der Staub es nicht verhüllte, sahen wir, daß die Dschamikun die Höhen verließen, um in die von der Katastrophe unterbrochene Aktion einzugreifen. Es war vorherbestimmt worden, daß sie nach den ersten Kanonensalven sich unter guter Deckung an die Schatten machen sollten, um sie unter ihr Gewehrfeuer zu nehmen, welches bei den hier gegebenen Verhältnissen denselben Erfolg haben mußte wie ein Hagelwetter auf ein schutzlos stehendes Feld. Dann hatte die zu beiden Seiten des Duar versteckte Reiterei hervorzubrechen, um die Uebriggebliebenen niederzurennen oder, einer unheilvoll wirkenden Schaufel gleich, in den See zu werfen.
Wir erwarteten, daß das Schnellfeuer dieser tausende von Schützen jetzt beginnen und mit seinem ununterbrochenen Rollen jedes andere Geräusch verschlingen werde, bekamen aber nichts zu hören als das dumpf herauftönende Stampfen eilig laufender Pferde. Kein Schuß wollte fallen, weder aus einer Kanone noch aus einem Gewehre. Was war das? Welchen Grund hatte dieses für uns rätselhafte Schweigen? Unser Freund, der Morgen, beantwortete uns diese Frage. Wie vorher in die Nebel, so fuhr er mit seinem Winde nun auch in die Staubwolke. Er trieb sie vom See hinweg nach dort, woher sie gekommen war, nach den Ruinen, und drückte sie derart gegen die Felsenwand, daß sie zu ersticken begann. Das Tal lag infolge dessen vollständig frei vor unseren Augen, und da erkannten wir, daß uns unser so wohlüberlegter Plan auf das Gründlichste verdorben worden war. Wir sehen einander an und wußten nicht, ob wir lachen oder uns ärgern sollten.
Wie lächerlich von uns, geglaubt zu haben, daß die Schatten unter dem Schutze des Alles verhüllenden Staubes unsern Kanonen standhalten würden! Sie waren nämlich gar nicht mehr da, diese unstäten, schreckhaften Memmen! Wo Lawinen stürzen, bleiben nur herzhafte Männer stehen, nicht aber feige Gesellen, denen das Rückgrat fehlt! Wie aber war das gekommen? Und wie hatte es geschehen können, daß eine so dicht zusammengedrängte Menge sich zu entfernen vermochte, ohne unter sich selbst auch nur eine Spur von Verwirrung anzurichten? O, sehr einfach und leicht! So kompakt sich ihre Masse vorerst zusammengeschoben hatte, es war doch schnell, sehr schnell Platz geworden. Die Hintertreffen hatten gleich bei den ersten Kanonenschüssen das Weite gesucht, denn für eine so grobe Behandlung ist kein Schatten zu haben. Dadurch waren ganz naturgemäß neue Hintertreffen entstanden, welche ganz derselben Meinung waren und auch ganz dasselbe taten; sie machten ebenso Kehrt. So hatte sich ein Hintertreffen nach dem andern gemütvoll abgelöst, um heimlich nach rückwärts zu gehen. Wir sahen diese einzelnen Geschwader schon außerhalb des Tales reiten, um sich dort einträchtig und wohlbehalten wieder zusammenzufinden. Wenn auch nicht ganz, aber doch so ziemlich nahe befanden sich nur noch die beiden lieben Vordertreffen. Sie hatten ganz unerwartet und zu ihrem größten Erstaunen bemerkt, daß sie nun nicht mehr vorn, sondern hinten waren, und sich augenblicklich umgedreht, um wieder nach vorn zu kommen. Ihre Pferde waren es, deren galoppierenden Hufschlag wir gehört hatten. Sie strebten soeben von beiden Seiten dem Zelte Ahriman Mirza‘s zu und jagten, als ob ihnen unsere ganze Macht im Nacken säße.
»Schatten!« sagte der Ustad in einem Tone, als ob es ihn ekele. »Und mit solchem Gesindel will man nicht nur uns, sondern sogar dem Schah-in-Schah imponieren! Wie töricht von uns, solche Vorbereitungen zu treffen, wo es sich jetzt herausstellt, daß es keines einzigen Mannes von uns bedurfte. Fast schäme ich mich!«
Wir sahen, daß man unten im Duar ebenso erstaunt war, wie wir hier oben, doch zögerte man nicht, sich der neuen Situation sofort anzubequemen. Die Reiterei brach hervor, um die Verfolgung aufzunehmen. Drüben erschien der auf dem Nordwestwege versteckt gewesene Scheik von Schohrd mit seinen Leuten, und ihm folgte Ibn el Idrak mit den Takikurden, die er hatte anmelden lassen. Hüben brachen die südlichen Dschamikun aus dem Wege nach dem Tale des Sackes hervor, hinter ihnen die Dinarun, von ihrem Scheike angeführt. Sie ritten, was ihre Pferde nur laufen konnten, auf der Rennbahn zu beiden Seiten des Wassers hin, um die Schatten den vereinigten Kalhuran und nördlichen Dschamikun entgegen zu treiben. Auch der Hauptmann der Leibgarde warf sich auf sein Pferd; der Chodj-y-Dschuna ebenso. Dschafar Mirza eilte nach dem Hause hinauf, um sich beritten zu machen. Die Dschamikun alle, welche im Niedersteigen begriffen gewesen waren, kehrten schnell wieder um, weil sich jenseits der Höhen die Plätze befanden, wo ihre Pferde einstweilen untergebracht worden waren. Von dort aus war es ihnen leicht, im Osten hinabzukommen und die Umzingelung der Schatten zu verstärken. Es schien, als ob Jedermann von einer Art von Verfolgungsfieber ergriffen worden sei, ausgenommen die Leute des Schah-in-Schah, welche nun nach der Entfernung des Hauptmannes ein Najyb-y-Aewwäl115 kommandierte.
Auch wir fühlten uns nicht berufen, wegen fliehender Schatten unsere Pferde anzustrengen; wir blieben. Zudem wurden wir von dem Anblicke festgehalten, den der Ruinenplatz jetzt bot. Die Lawine war, wie bereits erwähnt, in zwei Hälften herabgestürzt. Die beiden hohen, gewaltigen Erd- und Steinhaufen, welche sich hierdurch gebildet hatten, lagen im Hintergrunde vereinigt, vorn aber nicht. Es gab da eine schmale Einbuchtung der Trümmer, durch welche die Tür zum Allerheiligsten freigelassen worden war. Dort hatte ein Teil der Massaban gestanden, um den geheimen Gang zu bewachen. Wie sich später herausstellte, war es ihnen gelungen, sich durch die Flucht zu retten und einstweilen zu verbergen. Und doch gab es Leute dort. Sie traten aus der Tür, Einer nach dem Andern, und zeigten durch ihre Bewegungen, wie sehr sie über den Anblick erschraken, der sich ihnen bot. Es folgten Mehrere, und als sie weiter nach vorn kamen, sahen wir, daß es unsere Leute waren, welche in dem Gang postiert gewesen waren, um die Ultra-Taki nicht hindurchzulassen. Sie hatten das Aufschlagen der Lawine und die erdbebenartige Erschütterung sehr deutlich gespürt und einen Kameraden herausgeschickt, um nachzusehen, was geschehen sei. Er meldete es ihnen, und nun kamen sie Alle, um sich zu retten. Sie wußten ja, daß die Säulen unter den Ruinen einzubrechen begannen, und waren überzeugt, daß die Decke die niedergestürzten Massen nicht zu tragen vermöge. Wenn sie einbrach, so mußte Jeder, der sich im bedrohten Teile des Ganges befand, verloren sein. Darum hatten sie sich geflüchtet und beeilten sich, in der schnellsten Weise herunter in den Duar zu kommen.
Hinter ihnen erschienen die eingeschlossenen Taki, Allen voran der Selige, der Heilige, der Imam und die Generale. Sie waren sehr wohl bedacht gewesen, die Gefahr des Kampfes zu meiden, und aber nun in eine viel größere geraten. Wie behend sie klettern konnten! Wie sie sprangen und rannten, ganz gegen alle früher gezeigte Würde! Nur um den lieben, irdischen Leib in Sicherheit zu bringen! Nach diesen drängten sich die Andern aus der Tür, alle die Feinde, die wir bei den Taki hatten. Sie schoben sich; sie stießen sich; sie trieben einander mit den Fäusten vorwärts. Ihre Zahl wuchs mehr und mehr. Und wie sie so dem Dunkel der Erde entquollen und schreiend, fluchend, stolpernd, über einander stürzend, in sinnloser Hast zu entrinnen und nur zu entrinnen suchten, kamen sie mir vor wie fliehende Ratten, welche von ihren Schiffe nichts mehr wissen wollen, weil es zu sinken beginnt. Sie waren so voller Angst und so Hals über Kopf verwirrt und verschüchtert, daß sie sofort Alles, was sie an Waffen bei sich trugen, wegwarfen, als der Oberleutnant ihnen unten entgegentrat und sagte, daß er sie als Feinde gefangen zu nehmen habe. Trotz dieser Bereitwilligkeit aber erklärten der Selige, der Heilige, der Imam und die beiden Generale, sofort mit dem Ustad sprechen zu müssen. Weder sie noch die hier anwesenden Taki hätten je irgend Etwas gegen uns unternommen, und es sei also eine schreiende Ungerechtigkeit von uns, sie als Gefangene zu betrachten und zu behandeln. Als sie hörten, daß der Ustad hier oben am Beit-y-Chodeh sei, verlangten sie, hinaufgeführt zu werden, damit diese wichtige Sache sogleich entschieden werde. Er hielt es für keinen Fehler, auf dieses Verlangen einzugehen, und so sandte er uns die ganze Cohorte zu, von einer Anzahl Leibgardisten als Wache begleitet.
Als sie oben anlangten, kamen sie alle in den Tempel herein und stellten sich hinter uns auf. Der Selige trat vor, um zum Ustad zu sprechen; dieser aber forderte ihn auf, jetzt noch zu schweigen und hinüber nach den Ruinen zu sehen, wo soeben ein Anderer zu sprechen beginne, der über allen Seligen erhaben sei und dessen Rede man nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen bekommen werde.
Er hatte mit diesen Worten nicht zuviel gesagt, denn was sich jetzt da drüben vorbereitete, mußte Jeden, der es sah, mit Grauen erfüllen. Es war im Osten vollständig morgenrot geworden, und die Sonne stand dem Aufgange nahe. Die Alabasterkrone hoch oben lag bereits in vollster, goldiger Glut. Sie flimmerte wie von millionen Diamanten und Rubinen. Aber tief unter ihr war es unheimlich, denn da begann es sich zu regen und zu bewegen, und man konnte doch nicht deutlich erkennen, wo und wie. Es war wie ein langsames Wiegen hin und her. Hier und hier und dort und da schütterte und verschwand der Boden in sich hinein, in die Tiefe, wie durch sich bildende Schächte. Wir hörten einen Knall, als ob die Erde von innen heraus auseinandergesprengt werde. Es folgte ein steinernes Knacken und Prasseln, wie von einem gigantischen Ungeheuer, welches Berge verzehrt und die Felsenknochen derselben mit den Zähnen zermalmt. Und da – da – – da tat sich vor unsern Augen da drüben ein furchtbarer Rachen auf und begann die Ruinen mitsamt den herabgestürzten Höhenmassen zu verschlingen! Und während sie in diesem heißhungrigen, gefräßigen Schlund verschwanden, schoß ihm das emporgetriebene Wasser der Tiefe über die Lefzen und wurde zu gleicher Zeit mit einer solchen Gewalt aus dem Kanal in den See gepreßt, daß es sich wie ein beutegieriger, springender Leviathan über seine Fläche stürzte und erst weit draußen verendend niedersank.
Wir aber achteten weder auf den jetzt plötzlich in hohen Wellen gehenden See, in den sich der ganze Inhalt der unterirdischen Bassins zu ergießen hatte, noch auf sonst etwas Anderes, sondern nur auf eine einzige Stelle, die unsere Aufmerksamkeit in fast wunderbarer Weise gefangennahm. Wir sahen von den Ruinen nur noch die vordere Mauer. Alles, was hinter und über ihr gelegen hatte, war verschwunden, in ein vollständig ebenes Feld verwandelt, fast genau so, wie es von der Kirchenzeichnung des Ustad dargestellt wurde. Und grad da, wo auf dieser Zeichnung im Hintergrunde der Säulenhalle das leere Postament stand, leuchtete uns die herrliche Alabastergestalt des durch die Katastrophe nun endlich erlösten »verzauberten Gebetes« entgegen. Vom dunkeln Hintergrunde der Nische uns doppelt hell gezeigt, streckte es seine emporgehobenen Arme dem Aufgange der Sonne entgegen, um mit offenen Händen den Segen zu nehmen und zu spenden, in den der tausendjährige Fluch verwandelt worden war. Und wie sie nun emporstieg, die ersehnte Sonne, so kam ihr Licht von der funkelnden Alabasterkrone hernieder, wie auf Engelsschwingen getragen, die sich hold und froh zur Erde senken. Sie küßte die Stirn, die Wangen, den Mund des genau unter dieser Krone stehenden Gebetes und floß dann über das ganze Tal, um zu verkünden, daß es bisher nur Morgen gewesen, nun aber endlich und wirklich Tag geworden sei.
Der Ustad sprach kein Wort. Er hatte meine Hand ergriffen und drückte sie mir so, daß es allerdings keiner Worte bedurfte, ihn zu verstehen. Um so lauter waren die hinter uns Stehenden. Ihr Dogma zwang sie, die auf so rätselhafte Weise erschienene Figur als einen Greuel zu betrachten, denn Allah hat verboten, von beseelten Wesen Bilder anzufertigen. Wer vor Bildern betet, ist ein Götzendiener. Wer aber gar Bilder selbst beten läßt, der ist ein Gotteslästerer, wie es keinen größern geben kann. Sie sagten das ganz ungeniert und in so scharfen Ausdrücken, daß ich die Selbstbeherrschung des Ustad bewunderte, der sich zu ihnen umdrehte und sie fragte, was sie eigentlich hier an dieser Stelle zu suchen hätten. Da öffnete der Selige den Mund und hielt seine Rede, deren Grundgedanke die Behauptung war, daß kein Einziger von ihnen jemals daran gedacht habe, irgend etwas Feindseliges gegen die Dschamikun zu unternehmen. Sie seien keine Feinde und also augenblicklich freizulassen. Zur Bekräftigung gebe er im Namen Aller sein Ehrenwort, daß er die Wahrheit gesprochen habe.
»Im Namen Aller? Wirklich?« fragte der Ustad, indem er sie anschaute und sein Auge auf jedem Einzelnen ruhen ließ.
Da erhoben sie ihre Hände zum Zeichen der Bejahung, keiner von ihnen ausgenommen. Der Ustad nickte mir und Kara zu, ihm zu folgen. Er ging, ohne Antwort zu geben. Wir bestiegen unsere Pferde und ritten nach dem Duar. Unten angekommen, teilte er dem Oberleutnant mit, daß die Gefangenen frei seien, aber das Gebiet der Dschamikun sofort zu verlassen hätten.
»Frei?« rief Kara, der sich doch nicht halten konnte, fast zornig aus. »Sie haben ja bei ihrer Ehre gelogen, alle, alle! Der Selige, der Heilige, der Imam, die Generale und sämtliche Taki, vom Ersten bis zum Letzten!«
»Das weiß ich ebenso gut, wie sie es selbst auch wissen,« antwortete der Ustad lächelnd. »Aber grad darum gebe ich sie frei, denn solche Ehrenmänner möchte ich nicht einmal als Gefangene bei mir haben! Verstehst du mich nun?«
Das Erste, was wir nun taten, war, uns nach Ahriman Mirza und der Khanum Gul zu erkundigen. Denn daß die Katastrophe mit den Ruinen zugleich auch den Scheik ul Islam vernichtet hatte, das bedurfte ja keiner Frage. Der Oberleutnant sagte, daß wir im Hofe des Chodj-y-Dschuna die Antwort finden würden. Dort angekommen, sahen wir Beide. Die Khanum war tot, in den Säbel gestürzt. Der Mirza saß neben ihr, unbeschädigt am Körper, aber mit stumpfem Gesicht und leeren Augen. Er kannte uns nicht mehr. Er schien auch sich selbst nicht mehr zu kennen und leierte, wir mochten sagen, was wir wollten, nur immer und immer den Satz vor sich hin: »Ahriman Mirza ist der Fürst der Schatten, und wenn er stürzt, ist es mit ihnen aus. Ahriman Mirza ist der Fürst der Schatten, und wenn er stürzt, ist es mit ihnen aus – – —!« Der Ustad hat es also erreicht: Ihn nur mit dem einen Worte »Chodem«, am richtigen Orte und zur rechten Zeit angewendet, aus der »Schablone« herausgetrieben, die nichts und nichts als Lüge war! Da hatten wir sie vor uns, nicht die seidene, sondern die eigentliche schwarze Larve des Aemir-i-Sillan. Und dieses psychologische Präparat wurde nun durch die Macht des Verhängnisses gezwungen, nichts und nichts weiter mehr zu tun, als die bisher so sorgfältig verhüllte Wahrheit ganz offen und nur immer und immer vor sich herzuleiern!
Als wir aus dem Hause traten, trafen wir auf Agha Sibil und die Seinen, welche vor dem Nahen der Schatten ihr vollständig ausverkauftes Zelt abgebrochen und sich hinauf zu uns geflüchtet hatten. Sie kehrten zu dem verlassenen Platz zurück. Auch kamen von allen Seiten die Angehörigen der Festgäste und die Frauen und Kinder unserer heimischen Dschamikun herbei. Sie hatten sich selbstverständlich zurückziehen müssen und nun aber die Nachricht erhalten, daß sie sich wieder einstellen könnten. Man kann sich das Erstaunen denken, als sie die Veränderung sahen, welche mit dem Ruinenplatze vor sich gegangen war. Wir warnten sie, die gern sogleich hinaufgestiegen wären. Ehe man dies wagen konnte, hatte sich die Masse erst noch zu beruhigen und zu senken. Zugleich langten diejenigen von unseren Leuten an, mit denen an der andern Seite des Berges der geheime Gang von außen besetzt worden war. Auch sie hatten die Detonationen gehört und die Erschütterung der Erde gespürt. Als sie dann später bemerkten, daß sich die Ultrataki gar nicht mehr in dem Gange befanden, hatten sie geglaubt, ihren Posten verlassen zu dürfen. Sie kamen eben von der einen Seite in den Duar, als die von ihnen eingeschlossen Gewesenen von der andern, der Seite des Tempelberges, sich näherten. Diese Letzteren gingen mit würdevoll abgemessenen Schritten und hochgetragenen Häuptern stolz zwischen den Dschamikun hindurch, um jenseits in der Schlucht des Baches zu verschwinden! Den Ersteren aber sagte der Ustad, daß die nicht gebrauchten Signalflammen sich heut Abend in Freudenfeuer zu verwandeln hätten, wobei auch die verteilten Fackeln mit zu verwenden seien. Das brachte die schnellste Bewegung auch in die Menge der Frauen und Kinder. Man ging sofort an das Werk, alles vorhandene Brennmaterial zusammenzusuchen und die Zahl der Holzstöße zu vermehren, denn heut Abend müsse es im Tale so hell wie am Tage sein.
Hierauf wurde beschlossen, einen Ritt um den See zu machen, um nach den gefallenen Schatten zu sehen. Sie lagen nur an den Stellen, welche von den Kanonen bestrichen worden waren. Wir fanden nicht nur den Vertrauten des Mirza, sondern auch sämtliche Pädärahn, welche an jenem Sonntage des Gottesdienstes mit dem Mirza und dem Henker als Bluträcher zu uns gekommen waren. Der Ustad beschloß, diese Leichen alle den Ultra-Taki hinüberzuschicken, um nach dem von dem Scheik ul Islam vorgeschriebenen Dogma und Ritus begraben werden zu können. Das solle eine Todeskarawane werden, welche wirkliche Verstorbene, nicht aber Gewehre für Empörer transportiere.
Als wir das andere Ende des Sees erreichten, stand das Zelt Ahrimans verlassen, gänzlich menschenleer. Wir gingen hinein. Es war fürstlich ausgestattet. An der hintern Wand stand zwischen einem Diwan und einem langen Speiseserir eine köstlich gearbeitete, verschlossene Truhe. Ueber ihr hing ein kleines Bild und ein vergoldeter Schlüssel dabei. Der Ustad trat hinzu, um nachzusehen, was für ein Bild es sei. Kaum fiel sein Blick darauf, so stieß er einen Ruf der Ueberraschung aus. Er nahm es herab und ging zum Eingang, um besser sehen zu können. Dann öffnete er vorn sein Gewand und zog eine Perlenkette unter demselben hervor, an welcher auch ein Bild, von ganz derselben Form und Größe, hing. Er hielt beide neben einander, um sie zu vergleichen. War das seinige vielleicht dasselbe Bild, von welchem Pekala mir erzählt hatte, daß er es an einem einzigen Tage des Jahres auf seinem härenen Gewande trage?
Nach einiger Zeit kehrte er zur Truhe zurück und versuchte, ob der Schlüssel passe. Es war der richtige. Sie schien nur Papiere zu enthalten. Er griff hinein, um zu sehen, was für welche. Er las, griff weiter und las wieder. Dann drehte er sich zu mir herum und sagte:
»Befremdet es dich, wenn ich Euch bitte, mich jetzt zu verlassen? Ich muß allein sein, muß suchen und lesen. An der Verfolgung der Schatten beteiligte ich mich nicht; sie widerte mich an. Nach dem aber, was ich hier sehe, möchte ich, daß keiner von ihnen entkomme, kein einziger. Ich habe sie alle zu fassen, alle, und dem Beherrscher auszuliefern. Das Reich muß frei werden von ihnen, gänzlich frei! Darum bitte ich Euch, reitet unsern Leuten nach und sorgt dafür, daß man ja nicht nachsichtig oder gar sorglos verfahre! Ich vermute, daß ich lange Stunden brauche, bis ich hier fertig bin; für mich habt Ihr Euch also mit Eurer Rückkehr nicht zu beeilen.«
So stiegen wir Drei also wieder auf und ritten nicht nach dem Duar zurück, sondern nach Osten, gegen die Pässe. Die dorthin führende Ebene lag frei. Kein Mensch war auf ihr zu sehen. Die sehr flüchtig berittenen Schatten hatten keine Nachzügler oder gar Marode zurückgelassen, und die Verfolger waren ebenso schnell hinterher gewesen. Als wir in der Nähe des Gebirgszuges angekommen waren, sahen wir, daß man sich geteilt hatte, um gleichzeitig durch beide Pässe zu gehen. Wir wählten den südlichen, den des Hasen, durch welchen Kara damals mit Tifl geritten war. Auf seiner Höhe angekommen, sahen wir die herrenlose, steppenähnliche Fläche unter uns liegen, auf welcher Kara den von den Bluträchern gejagten Scheik der Kalhuran und seine Frau gerettet hatte. Sie war die festgeschlossene Falle, in welcher sich die Sillan jetzt befanden.