Kitabı oku: «Satan und Ischariot III», sayfa 16
»Und ich war so erschrocken darüber! Ich hatte Sie ja nur erschrecken wollen.«
»Sonderbar! Und das soll ich glauben?«
Sie können es glauben! Sie sollten nicht herunterkommen.«
»Und als ich unten war, schossen Sie doch noch auf mich! Sennora, darüber werden wir später sprechen. Jetzt bitte ich, mir zu sagen, wo Mr. Jonathan Melton sich befindet; ich habe mit ihm zu sprechen.«
»Er ist nicht hier!«
»Sie verleugnen ihn? So muß ich ihn mir suchen!«
»Suchen Sie!«
»Das werde ich freilich thun, und Sie haben die Güte, mir dazu zu leuchten!«
»Ich bin nicht Ihre Dienerin. Hier haben Sie die Lampe!«
Sie hielt mir das kleine, vasenartige Gefäß hin; ich schüttelte den Kopf und antwortete:
»Sie sind hier daheim, und ich bin unbekannt; ich muß Sie also bitten, mich zu führen!«
»Und ich thue es nicht.«
»Sie werden es thun!«
»So kommen Sie! Sie sind im stande, eine Dame zu maltraitieren und vielleicht gar zu schlagen!«
»Das ist mir allerdings unter Umständen zuzutrauen! Also bitte, gehen Sie voran! Ich bleibe hart hinter Ihnen. Sollte es irgend jemanden hier geben, der einen Angriff auf mich beabsichtigt, so dienen Sie mir als Schild und müssen außerdem gewärtig sein, daß Ihnen mein Messer in den Rücken dringt. Sie haben zweimal auf mich geschossen; ich habe also gar keine Veranlassung, Sie zu schonen!«
»Es ist niemand hier. Kommen Sie!«
Sie sagte das in einem Tone, der mich irre machte. Das klang so glaubhaft, und doch mußte Melton sich hier befinden. Sie führte mich nach rechts, durch die Räume, welche sie selbst bewohnte. Die Ausstattung ließ, die Verhältnisse und die Oertlichkeit in Betracht gezogen, nichts zu wünschen übrig. Hinter jedem Thürvorhang glaubte ich, auf Melton zu treffen; er war nicht da!
Dann kehrten wir um; sie führte mich auf die linke Seite, also in seine Wohnung hinüber. Dieser sah man es an, daß sie früher der Aufenthalt eines Indianerhäuptlings gewesen war. Der Gesuchte war auch hier nicht zu sehen!
»Nun, haben Sie ihn?« fragte sie mich im Tone und mit einem Blicke des Triumphes.
»Bis jetzt noch nicht. Er ist irgendwo hier versteckt, und ich werde nicht eher ruhen, als bis ich ihn gefunden habe.«
»So thut mir‘s um Ihre Ruhe leid, zu welcher Sie niemals kommen werden. Mr. Melton ist seit mehreren Stunden fort.«
»Wohin?«
»Weiß ich es? Er ist nicht mehr hier, nicht mehr im Pueblo und überhaupt nicht mehr in der Gegend desselben.«
»Und vor einer halben Stunde habe ich ihn noch gesehen!«
»Das ist nicht wahr!«
»Ich hörte ihn sogar mit Ihnen sprechen, vorn auf der Bank unter dem Eingange. Kehren wir jetzt dorthin zurück! Sie werden noch andern Besuch bekommen.«
»Wen?«
»Winnetou.«
»Herrlich!« meinte sie in spöttischem Tone. »Ich bin begierig, ob zwei so berühmte Westmänner die Spur finden werden!«
»Ich hab‘ sie schon, Sennora! Da, wo die Leiter jetzt liegt, welche an Ihrem Eingange fehlt, nachdem ich sie kurz vor her noch dort gesehen habe.«
»Und wo liegt sie jetzt?« fragte sie mich spöttisch.
»Ich werde sie Ihnen zeigen.«
»Da müßten Sie allwissend sein. Ich weiß, was für eine Spürnase Sie besitzen, aber so lang ist sie doch nicht, wie sie sein müßte, wenn Sie mit ihr an die Leiter stoßen wollten!«
»Werden sehen. Kommen Sie jetzt mit nach dem Eingange!«
Als wir dort anlangten, rief ich Winnetou. Die Leiter, natürlich eine andere, als die, von der wir jetzt gesprochen hatten, wurde herabgelassen, und dann kam der Apatsche herniedergestiegen. Er würdigte die Jüdin keines Blickes, blickte besorgt an mir hernieder und fragte:
»Jonathan Melton?«
»Nicht zu sehen.«
»Werden suchen.«
Jetzt nahm ich der Jüdin die Lampe aus der Hand und leuchtete. Sie ging neugierig hinter uns her. Wir begaben uns zunächst hinüber nach der linken Seite, der Männerwohnung. Die Beschreibung derselben hat kein Interesse. Es gab auch hier niemals Tageslicht, und wo die Außenluft Zutritt fand, das hätte ich auch nicht sagen können. Wir fanden nichts und begaben uns also nach der rechten Seite.
Was mir dort, ohne daß ich es erwähnte, aufgefallen war, das bemerkte der Apatsche sofort auch. Der Indianer hatte uns gesagt, daß die weiße Squaw im letzten Raume auf dieser Seite zu kochen und im vorletzten zu schlafen pflege. Es gab ganz hinten allerdings eine Küche. In der hintersten Ecke war eine Art Herd aus Lehm errichtet und darüber ein Loch durch die Decke gebrochen, durch welches der Rauch abziehen konnte. Auch Teller, Tassen, Schüsseln und anderes Geschirr gab es, dazu einen großen irdenen Wasserkrug.
In der andern Ecke stand oder vielmehr lag das Bett, bestehend aus einer Art Matratze, mehreren Fellen und Decken. In dem vorletzten Raume hingen Kleidungsstücke; auf jedem Tische befanden sich mehrere Toilettengegenstände, und auf der Erde, dem Fußboden, lagen verschiedene andere Sachen. Man sah es, daß dieselben absichtlich so hingeworfen worden waren.
»Nun?« fragte sie jetzt. »Der große und berühmte Häuptling der Apatschen ist auch da. Was haben Sie gefunden? Nichts!«
»Allerdings nichts,« antwortete ich.
»Und Sie behaupten doch, die Spur zu haben!«
»Die haben wir und das Finden wird sofort beginnen.«
Wir standen im vorletzten Raume. Winnetou brachte es doch nicht fertig, auch jetzt noch zu schweigen; er war zwar zu stolz, sich direkt an die Jüdin zu wenden, sagte aber, daß sie es hörte, zu mir:
»Wenn die Squaw ein Mann wäre, würde Winnetou ihr eine Antwort geben. Mein Bruder reiche mir die Lampe her!«
Ich gab sie ihm. Er bückte sich nieder und leuchtete auf den Boden, indem er mich fragte:
»Glaubt mein Bruder, daß die Sachen stets hier liegen?«
»Nein. Sie sind vor ganz kurzer Zeit hergeworfen worden.«
»Wozu?«
»Um den Raum zu füllen. Man soll nicht sehen, was hier eigentlich fehlt.«
»Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen. Er blicke in diese Ecke. Was ist da zu bemerken?«
»Ein langes Viereck, welches von dem andern Teil des Bodens absticht.«
»Wie lang und breit ist dieses Viereck?«
»Gerade so lang und breit wie das Bett, welches jetzt draußen in der Küche liegt.«
»Richtig! Das Bett hat also stets hier gelegen; die Squaw hat hier geschlafen. Warum hat sie ihr Bett so plötzlich hinüber neben den Herd geschafft?«
»Um damit etwas zu verdecken, was wir nicht sehen sollen.«
»So ist es. Old Shatterhand mag also mit in die Küche gehen.«
Als wir drüben standen und Winnetou nach den Decken griff, um sie wegzunehmen, rief Judith:
»Sennores, was soll das heißen! Hoffentlich ist Ihnen die Ruhestätte einer Dame heilig!«
»Allerdings,« antwortete ich. »Darum wollen wir sie wieder dorthin schaffen, wo sie sich stets befunden hat. Hier in der Küche haben Sie nie geschlafen.«
»Stets!«
»Auf der Leiter?«
»Auf der Leiter! Was meinen Sie?«
»Ich meine natürlich die Leiter, welche wir suchen. Uebrigens habe ich Ihnen eine sehr wichtige Frage noch nicht vorgelegt. Wo steckt der junge Sennor, welcher hier gefangen ist?«
»Ich weiß es nicht. Um Männerangelegenheiten habe ich mich nicht gekümmert.«
»Er hat aber in Ihre Wohnung herabsteigen müssen!«
»Davon weiß ich nichts.«
»Wenn Sie es wirklich nicht wissen, werden wir es Ihnen sagen; er steckt unter Ihrem Bette.«
Da legte sie sich plötzlich auf die Decken nieder und rief:
»Hieran darf sich kein Mensch vergreifen! Es ist eine Roheit, eine Gemeinheit, welche Sie begehen wollen!«
»Stehen Sie auf, Sennora!«
»Nein! Ich werde nur der Gewalt weichen. Sie haben mich ja schon prügeln wollen. Thun Sie es doch jetzt!«
Es widerstrebte mir, Gewalt anzuwenden, aber was wollte man mit dem obstinaten Frauenzimmer anders thun? Da kam mir Winnetou zu Hilfe, welcher trotz seines ernsten Charakters doch zuweilen den Schalk im Nacken hatte; er sagte:
»Wer nicht freiwillig geht, wird weggeschwemmt!«
Er nahm das große, thönerne Wassergefäß vom Boden auf, welches so schwer war, daß er es kaum zu tragen vermochte, und näherte sich damit dem Bette.
»Himmel! Er will das Wasser auf mich schütten!« rief Judith und sprang auf.
Winnetou hatte das Gefäß noch nicht wieder an seinen Ort gestellt, so hatte ich schon alles, was zu dem Bette gehörte, auf die Seite gerissen. Da sahen wir denn, was wir erwartet hatten. Ein Loch führte von hier in das Erdgeschoß hinab; es war zugedeckt, und die Decke bestand aus Rundhölzern, welche aus starken Aesten zugeschnitten und mit Riemen zusammengebunden waren.
»Nun, Sennora, meinen Sie nicht, daß die gesuchte Leiter gleich hier zum Vorscheine kommen wird?« fragte ich.
Sie antwortete nicht.
Wir hoben die Decke weg und leuchteten in das Loch hinab. Da lehnte die Leiter.
»Hier ist sie. Sie sehen also, Sennora, daß ich vorhin garwohl wußte, wo die Spur zu suchen sei. Wollen Sie die Güte haben, uns voranzusteigen!«
»Fällt mir nicht ein! Gehen Sie nur immer allein!«
»Ich muß darauf bestehen, daß Sie mitgehen! Sie könnten, wenn wir Sie allein hier oben ließen, uns irgend einen Streich spielen. Man weiß nicht, wie die Tiefe da unten beschaffen ist, und ob wir dann wieder heraufkönnten.«
»Ich gehe nicht mit!«
»Da zwingen Sie mich wirklich, Sie wieder beim Arme zu nehmen, denn hinunterschwemmen können wir Sie doch unmöglich.«
Ich streckte den Arm nach ihr aus; da schritt sie auf das Loch zu und sagte wütend:
»Rühren Sie mich nicht wieder an! Mich schmerzt der Arm noch jetzt, den Sie mir am Tage so übel zugerichtet haben. Sie sind ein entsetzlicher Mensch. Ich steige ja hinab!«
Und sie stieg hinab. Ich folgte ihr mit der Lampe, und Winnetou kam hinter mir. Als wir die letzte Sprosse hinter uns hatten, umfing uns eine feuchte, modrige Luft. Wir befanden uns in einem langen, schmalen Gange, und zwar am Ende desselben.
»Wohin führt der Gang, Sennora?« erkundigte ich mich.
»Sehen Sie selbst nach!« antwortete sie kurz.
»Giebt es vielleicht rechts oder links Zimmer?«
»Suchen Sie!«
Die beiden Wände des Ganges bestanden aus Lehm; es gab keine einzige Oeffnung in denselben. Als wir ihn halb durchschritten hatten, kamen wir an eine Stelle, wo der Boden nicht aus Erde, sondern aus starken, dicken Hölzern bestand, welche nebeneinander lagen, ungefähr in der Weise, wie man Senk- oder andere Gruben zu bedecken pflegt. Ich kniete nieder und entfernte zwei oder drei von diesen Hölzern. Ein tiefer liegender Wasserspiegel schimmerte von da unten herauf. Ich nahm eins der Hölzer und hielt es in das Wasser hinab, um dasselbe zu sondieren. Es war nicht ganz zwei Ellen tief, und der über dem Wasser bis zum Fußboden liegende Raum mochte eine Elle betragen.
»Uff!« sagte der Apatsche im Siouxdialekte. »Mein Bruder hat die Cisterne gesehen, welche sich draußen vor dem Pueblo befindet, gerade in der Mitte desselben?«
»Ja.«
»Wir stehen gerade in der Mitte des Ganges, welcher die Breite des Pueblo einnimmt. Sollte das Wasser mit der Cisterne in Verbindung stehen?«
»Wahrscheinlich.«
»Dann kommt es aus dem Flusse, und wenn man in dies Loch steigt und in dem unterirdischen Wasser weitergeht, kann man in den Flujo blanco hinausgelangen.«
»So ist es; so ist es! Und der junge Melton ist uns auf diesem Wege entwischt.«
»Das wäre außerordentlich zu beklagen. Wir müssen die Squaw zwingen, es uns zu sagen!«
»Ob sie sich zwingen läßt!«
»Sie muß, und wenn – horch! Hat mein Bruder nicht einen Seufzer gehört?«
»Nein.«
»Es war da hinten im Gange. Wir wollen einstweilen weitergehen.«
Ich brachte die Hölzer wieder an ihre Stelle, und dann setzten wir unsere Nachforschung fort. Ja, jetzt hörte auch ich einen Seufzer oder vielmehr ein röchelndes Stöhnen. Wir beschleunigten unsere Schritte und kamen an das Ende des Ganges, ohne darauf zu achten, daß die Jüdin zurückblieb. Ich mußte an Vogel denken, den wir suchten; darum die Eile und darum auch die erwähnte Achtlosigkeit. Und richtig, da lag er, mit Riemen gefesselt und an einen in den Boden getriebenen Pfahl gebunden. Man hatte ihm ein altes Tuch mehrfach über Mund und Nase befestigt, sodaß er nicht schreien und rufen, sondern nur stöhnen und kaum atmen konnte. Der Knebel wurde natürlich zuerst entfernt. Da that er einen tiefen Atemzug und rief:
»Dem Himmel sei Dank! Ich sah Sie da hinten im Gange erscheinen und hatte Angst, daß Sie nicht ganz bis hierher kommen, sondern wieder umkehren würden. Bitte, machen Sie die Riemen los!«
Sie wurden durchschnitten; er konnte also aufstehen. indem er sich reckte und streckte, fragte ich ihn:
»Haben Sie viel Angst ausgestanden?«
»Natürlich!«
»Sie konnten sich doch sagen, daß wir kommen würden!«
»O, daß Sie in das Pueblo dringen würden, das traute ich Ihnen schon zu, aber daß Sie diesen Ort finden würden, das konnte ich kaum glauben. Ich habe um mein Leben gebangt!«
»So ist es, wenn man Pferde bewachen soll und dabei einschläft!«
»Ich konnte nicht dafür. Ich war eigentlich gar nicht müde, sondern nur die Langeweile war es, welche mich eingeschläfert hat. Als ich plötzlich aufgeweckt wurde, war ich auch schon gefesselt. Ich wurde durch den Cañon und die Felsenenge nach dem Pueblo geschafft und da verhört.«
»Von wem?«
»Von den beiden Meltons und der Jüdin. Sie haben das Weib bisher nur für leichtsinnig gehalten; sie ist aber schlecht, ebenso schlecht wie die Meltons, denn sie weiß, daß der Reichtum, den Jonathan besitzt, die Frucht des Betruges, des Verbrechens ist. Ich geriet in Wut, und die machte mich unvorsichtig.«
»Sie sagten, daß Sie der rechtmäßige Erbe sind?«
»Ja. Sie können sich das Staunen und die darauffolgende Freude denken! Man sagte mir, daß ich sterben müsse, und schaffte mich hierher.«
»Es war nicht so schlimm gemeint. Man wollte Ihnen Angst machen, um Sie mürbe werden zu lassen. Es ist uns ja ein Angebot gemacht worden, welches ich abgeschlagen habe. Später mehr davon. Sagen Sie uns jetzt, ob man Sie nach unsern Absichten ausgefragt hat!«
»Natürlich hat man dies gethan! Die Meltons wollten wissen, welchen Plan Sie verfolgten, um zum Ziele zu gelangen; ich habe aber nichts gesagt.«
»Das war gut. Doch wollen wir nicht länger hier verweilen. Wir können oben besser miteinander reden. Kommen Sie. Wie ich sehe, ist die Jüdin schon voraus.«
Wir kehrten durch den Gang zurück. Als wir an das Ende gelangten und die Leiter emporsteigen wollten, war sie fort. Wir sahen einander an.
»Was sagt mein Bruder dazu?« fragte Winnetou, indem ein halb lustiges Lächeln um seine Lippen spielte.
»Dummköpfe sind wir gewesen!«
»Wir können nicht hinauf!« klagte Vogel. »Wir sind also gefangen!«
»Nein,« antwortete Winnetou. »Und wenn wir gefangen wären, dann aber nur für kurze Zeit. Wir müssen zunächst sehen, ob wir oben den Deckel öffnen können.«
»Wir können ja nicht hinauf; es ist keine Leiter da!«
»Es ist eine da,« antwortete ich. »Wir selbst sind die Leiter. Können Sie ein wenig klettern? Sind Sie Turner?«
»Ja.«
»Stellen Sie sich auf Winnetous Schultern; ich kniee nieder, und Winnetou tritt auf die meinigen. Dann reichen Sie bis oben an die Decke und können versuchen, ob der Deckel sich heben läßt.«
Die Probe wurde gemacht, doch ohne guten Erfolg. Judith war emporgestiegen, hatte die Leiter nachgezogen und den Deckel auf das Loch gelegt. Auf welche Weise sie ihn so fest oder schwer gemacht hatte, daß Vogel ihn nicht heben konnte, das wußten wir nicht.
»Was ist da zu thun?« fragte der letztere. »Ich bin kaum frei und schon wieder ein Gefangener.«
»Sir Emery wartet oben. Wenn wir nicht kommen, so holt er uns.«
»Aber wenn auch er überlistet wird!«
»So haben wir den Weg durch das Wasser.«
»Welches Wasser?«
»Wissen Sie nicht, daß sich in der Mitte des Ganges Wasser unter dem Boden befindet?«
»Nein.«
»Das Wasser scheint mit dem Flusse draußen in Verbindung zustehen. Wir vermuten sogar, daß Jonathan Melton uns vorhin auf diesem Wege entkommen ist.«
»Was? Wie? Wann dürfte das wohl gewesen sein?«
»Vor wenig über einer Stunde.«
»Ah, um die Zeit ungefähr sah ich hier ein Licht herabkommen und hörte leise sprechen. Verstehen konnte ich die Worte nicht; ebensowenig vermochte ich die Personen zu erkennen; es schienen mir zwei zu sein. Sie kamen bis in die Mitte des Ganges, wo das Licht eine Zeit lang stehen blieb, bis es sich wieder entfernte.«
»Das ist die Jüdin mit Jonathan Melton gewesen; er ist uns entkommen! So fatal das ist, so bildet es doch auch ein Glück für uns, weil wir nun einen Ausweg wissen. Wir werden gar nicht warten, bis Sir Emery uns vermißt, sondern den Wasserweg sofort antreten. Jetzt haben wir noch Oel genug hier in der Lampe, denselben zu erleuchten; später müßten wir ihn im Finstern zurücklegen, was weit schwieriger ist, da wir ihn nicht kennen. Stimmt mir mein Bruder Winnetou bei?«
Der Apatsche war ganz meiner Meinung, und der Violinvirtuos hatte uns gegenüber keinen Willen. Winnetou und ich machten uns nicht das mindeste daraus, wenn wir ein wenig naß wurden, und Vogel mußte sich notgedrungen in das kleine Uebel ergeben. Wir gingen also in die Mitte des Ganges zurück und nahmen die Hölzer weg. Nachdem wir uns das Schuhwerk ausgezogen und die Revolver und sonstigen Sachen, welche nicht feucht werden durften, verwahrt hatten, stiegen wir in das Wasser, welches mir nicht einmal bis an die Brust reichte.
Ich mußte dabei lebhaft an einige frühere Ereignisse denken, welche dem jetzigen zwar ähnlich, aber viel gefährlicher gewesen waren. Um ein geraubtes Mädchen aus dem Harem zu retten, war ich einst in Aegypten in einen Kanal gedrungen, welcher aus dem Nile unterirdisch in den Hof des betreffenden Hauses führte. Der Kanal war nur durch Zertrümmerung eines starken Holzgitters und nach Lossprengung eines sehr festen Blechsiebes zu passieren gewesen, und während der Arbeit hatte ich mich, auch mit dem Kopfe, ganz unter Wasser befunden. Ich war auf eine halbe Sekunde dem Tode des Erstickens, des Ertrinkens nahe gewesen. Ein ganz ähnliches Ereignis hatte ich im Norden der Vereinigten Staaten erlebt, wobei der Ort von allen Seiten von feindlichen Indianern umgeben gewesen war, Wie ungefährlich war dagegen unsere heutige Lage!
Ich ging mit der Lampe voran. Wir mußten uns bücken, um nicht oben anzustoßen. Vor wieviel hundert Jahren war der Kanal wohl gebaut worden! Er bestand aus einer Art von Ziegeln, welche sich sehr gut erhalten hatten. Die Luft war schlecht, doch nicht so sehr, daß wir belästigt worden wären. Wenn mich meine Berechnung nicht trog, ging der Kanal durch die Felsenenge hinaus nach dem Flusse. Wir mußten also unter dem Wege hinaus, auf dem Emery vorhin in den Thalkessel und nach dem Pueblo gekommen war.
Der Weg war keineswegs kurz. Endlich bemerkten wir, daß die Luft mit jedem Schritte besser wurde, und dann fiel der Schein unserer Lampe auf dichte Zweige, welche vor mir niederhingen. Ich löschte das Licht aus, schob die Zweige auseinander, ging noch zwei Schritte vorwärts und stand —im Flusse, dessen Wasser gerade so tief wie dasjenige im Kanale war. Die Zweige gehörten einem Schlinggewächse an, welches die Mündung des Kanales vollständig verdeckte und verbarg.
Winnetou und Vogel traten hinter mir auch ins Freie; dann erstiegen wir das Ufer und befanden uns im Cañon des Flujo blanco neben der Felsenenge.
»Hier ist Melton auch herausgekommen,« sagte Winnetou leise. »Meint mein Bruder, daß er sich vielleicht noch in der Nähe befindet?«
»Nein. Er ist jedenfalls fort. Er hat sich wohl keinen Augenblick aufgehalten.«
»Unser Bruder Emery muß nicht aufgepaßt haben, sonst hätte er ihn sehen oder hören müssen!«
»Ich glaube vielmehr, als Melton hier aus dem Kanale kam, ist Emery schon bei uns drin auf dem Pueblo gewesen.«
Das Feuer, welches bei dem Englishman hier gebrannt hatte, war ausgegangen. Wir schritten über die Asche desselben in die Felsenenge hinein. Am jenseitigen Ende derselben brannte das Feuer der Yumaindianer, über welches Emery hinweggesprungen war. Es blieb uns nichts übrig als denselben Sprung zu thun. Ich voltigierte als der vorderste über die Flammen hinweg und riß zwei oder drei von den Yumas, welche jenseits saßen, über den Haufen. Die Roten sprangen erschrocken auf und starrten mich an. Da kam auch Winnetou geflogen. Das war ihnen dann doch zu rätselhaft! Sie wußten uns droben im Pueblo, und jetzt kamen wir wie von einer Sehne geschnellt, über das Feuer herein in den Thalkessel geflogen. Sie rissen die Augen und die Mäuler auf und brachten vor Erstaunen nicht einmal einen Ausruf hervor.
Jetzt kam auch Vogel gesprungen. Das war für sie noch wunderbarer. Das junge Bleichgesicht steckte ja als Gefangener hinter den starken Mauern des Terrassenbaues, und jetzt war er nicht nur frei, sondern er kam aus dem Freien herein zu ihnen!
»Uff, uff, uff!« erklang es endlich doch rundum, und derjenige, mit welchem wir die Friedenspfeife geraucht hatten, fügte hinzu:
»Thut der große Winnetou heute ein Wunder? Oder besitzen unsere Brüder zwei Leiber, daß sie dort im Pueblo und auch jetzt hier bei uns sein können?«
»Das mag sich unser roter Bruder einmal überlegen,« antwortete ich. »Wenn er keine Erklärung des Wunders findet, wird sie ihm vielleicht einmal im Traume kommen.«
Wir gingen zu der Leiter, welche am Erdgeschosse des Pueblo lag, und stiegen diese und auch die nächste empor. Es läßt sich denken, mit welchem Erstaunen uns Emery kommen sah! Er stand oben am Eingange zu der Wohnung der Jüdin Wache. Er erwartete uns natürlich aus diesem Loche zurück, und nun kamen wir aus dem Thale herauf! Er kam uns bis an die Leiter entgegen und rief mit lauter, verwunderter Stimme:
»Ihr hier! Und Master Vogel auch, von dem ich denke, daß er-«
»Still!« unterbrach ich ihn. »Schrei nicht so! Die Jüdin soll nichts hören. Hast du sie gesehen, seit wir von dir fort sind?«
»Ja, unten in ihrer Wohnung. Ich blickte zuweilen hinunter und habe sie da hin und her gehen sehen.«
»Ist dir nichts dabei aufgefallen?«
»Nein. Sie hat die Lampe wieder angesteckt, welche du vorhin ausgelöscht hast.«
»Und ist dir denn unser Ausbleiben nicht als zu lang vorgekommen?«
»Ein wenig wohl; aber ihr konntet ja zu thun haben. Was ist denn geschehen? Es muß einen heimlichen Weg aus dem Thale geben, den ihr entdeckt habt!«
»So ist es. Die schöne Judith hatte es bös mit uns vor; sie glaubt uns in der Falle, und es sollte mich wundern, wenn sie nicht versuchte, nun auch dich zu überlisten.«
Ich erzählte ihm, was wir erlebt hatten, und fügte dann hinzu:
»Wir werden uns nicht sehen lassen. Ich bin überzeugt, sie hat etwas gegen dich vor und wird bald heraufkommen, um es auszuführen. Bin neugierig, wie sie es anfangen wird, auch dich in ihre Gewalt zu bringen.«
Hierauf ging ich mit Winnetou und Vogel nach der Stelle, an welcher die Gewehre der Yumas lagen. Wir stellten sie zu Pyramiden zusammen und setzten uns dahinter, sodaß wir von dem Loche aus nicht gesehen werden konnten.
Wie gedacht, so geschehen. Nach einiger Zeit kam Judith die Leiter heraufgestiegen und sah sich nach Emery um. Er stand in einiger Entfernung von ihr.
»Sennor!« rief sie. »Der Anführer der Yumas soll mit noch drei Indianern herauf und in meine Wohnung kommen.«
»Wer hat das befohlen?«
»Sennor Shatterhand. Er ist unten bei Sennor Melton.«
»Warum schickt Old Shatterhand Sie? Er konnte es mir doch selbst sagen!«
»Er hat keine Zeit. Die Sennores haben sehr wichtige Dinge zu besprechen. Sie reden, glaube ich, von der Erbschaft.«
»Was sollen die Roten dabei?«
»Ich weiß es nicht. Shatterhand läßt sagen, Sie sollen sich beeilen!«
»Gut! Sagen Sie ihm, daß die Roten bald kommen werden!«
Sie stieg wieder hinab. Emery kam zu uns und fragte:
»Was mag sie im Schilde führen?«
»Das ist doch sehr leicht zu erraten. Sie glaubt, uns fest zu haben, und will sich nun auch deiner bemächtigen. Sie läßt also die Roten kommen, um sie zu überreden, dich festzunehmen.«
»Aber welchen Zweck verfolgt sie dabei? Was kann es ihr denn nützen, wenn sie uns fest hat?«
»Viel, sehr viel! Sie sendet ihrem Jonathan einen Boten nach, der ihn zurückbringen soll. Stecken wir dann fest, so ist sein Spiel gewonnen.«
»So müßte sie doch wissen, wohin er ist!«
»Natürlich weiß sie das.«
»Ah, wenn wir es erfahren könnten!«
»Wir erfahren es durch List.«
»Wie?«
»Indem ich mich für Melton senior ausgebe.«
»Sie kennt dich ja! Sie wird dich doch nicht etwa mit ihm verwechseln!«
»Sie wird mich für ihn halten. Sie weiß noch nicht, daß er gefangen ist; sie wird ihn unter allen Umständen benachrichtigen wollen, wohin sein Sohn ist. Bei dieser Gelegenheit erfahre ich es.«
»Und doch begreife ich nicht, wie du das anfangen willst!«
»Komm mit herunter zu ihr! Bin neugierig, was sie für ein Gesicht machen wird, wenn sie mich sieht. Sag zunächst zu ihr, daß du mich sprechen willst!«
Wir stiegen die Leiter hinab und horchten. Sie schien in dem Zimmer zu sein, in dem die Kleider hingen. Emery ging voran, und ich folgte ihm bis zum letzten Vorhange. Er schob denselben auseinander und trat zu ihr ein.
»Sie sind es, Sennor?« hörte ich sie sagen. »Ich erwartete die Indianer. Wann kommen sie?«
»Ich habe ihnen noch nichts gesagt.«
»Warum nicht? Sennor Shatterhand hat es sehr eilig.«
»Ich möchte vorher mit ihm sprechen. Wo befindet er sich?«
»Drüben auf der andern Seite. Aber warum thun Sie nicht sofort, was er haben will? Warum wollen Sie erst mit ihm reden?«
»Weil mir die Sache verdächtig vorkommt. Wozu braucht er Indianer? Er hat ja mich und Winnetou, der sich bei ihm befindet!«
»Ja, ich weiß es nicht.«
»Aber ich will es wissen! Führen Sie mich zu ihm!«
»Das darf ich nicht. Er hat jede Störung verboten.«
»Störung? Pshaw! Ich, sein Freund, störe ihn nie; die Indianer aber würden ihn stören! Also, wo ist er?«
»Drüben auf der andern Seite, wie ich schon sagte.«
»Und Sie wollen mich nicht zu ihm hinüberbringen?«
»Nein, denn es ist mir verboten worden.«
»So gehe ich allein!«
»Sie werden ihn nicht finden!«
»Sofort finde ich ihn, sofort. Soll ich es Ihnen beweisen?«
»Ja,«
»Gut, Sennora! Hier haben Sie ihn!«
Er schob den Vorhang auseinander, nahm meine Hand und zog mich hinein. Als sie mich erblickte, stand sie vor Schreck sprachlos.
»Sie sehen, Sennora,« sagte ich, »ich werde nicht nur schnell gefunden, sondern ich finde mich auch selbst schnell zurecht. Kaum unter uns in der Unterwelt eingesperrt, sehen Sie mich wieder hier oben, ohne daß Sie die Güte gehabt haben, mir die Leiter hinabzulassen. Sie freuen sich doch jedenfalls darüber, mich so wohl wiederzusehen?«
»Ja, ja, ich freue mich; ganz, ganz außerordentlich freue ich mich!« rief sie aus, indem sie die Fäuste ballte und die Zähne zusammenbiß.
»So will ich Ihre Freude durch die Mitteilung verdoppeln, daß auch Winnetou und Sennor Vogel sich an der Oberwelt befinden. Der unterirdische Kanal hat nicht nur Ihren Verlobten, sondern auch uns an die Freiheit geführt.«
Da fuhr sie mich wie eine Katze an:
»Sie haben tausendmal mehr Glück, als Sie Verstand besitzen! Aber freuen Sie sich nur nicht zu sehr! Den schönsten, den gelungensten Streich habe doch ich Ihnen gespielt!«
»Welchen denn?«
»Eben den, daß ich Melton fortgeholfen habe. Er ahnte von dem Kanale nichts. Kein Mensch wußte, daß man durch das Wasser aus dem Pueblo gelangen kann; ich wußte es allein. Mein Mann, der Häuptling, hat mir das Geheimnis für etwaige Notfälle mitgeteilt.«
»Und ein solcher Notfall war heute eingetreten!«
»Ja. Ich zeigte ihm erst heute den Rettungsweg, und kaum eine halbe Stunde später hörten wir Ihre Namen rufen. Sie waren da. Jonathan aber beeilte sich, Ihnen zu entkommen, und er – er ist Ihnen auch entkommen!«
»Mag er! An seiner Person liegt mir gar nichts. Das Geld hat er doch dagelassen.«
»Meinen Sie? Meinen Sie das wirklich? Wie klug Sie sind! Und für wie dumm sie ihn halten! Sie denken, hier nur zuzugreifen zu brauchen! Aber da irren Sie sich gewaltig. Er hat das Geld mitgenommen.«
»Nur einen Teil desselben!«
»Nein, das ganze, das ganze! Es war eine ganze Ledertasche voller Staats- und Wertpapiere!«
»Alle Wetter! Das ist freilich Pech! Und sein Alter ist auch fort!«
Ich sagte das in möglichst zornigem Tone.
»Auch?« fragte sie, indem ihre Augen vor Vergnügen funkelten. »Woher wissen Sie das?«
»Sein Nest ist leer.«
»Haben Sie denn sein Nest gekannt?«
»Es liegt eine Etage über Ihnen. Wir sind nicht durch die Felsenenge gekommen, sondern an mehreren zusammengeknüpften Lassos in das Thal heruntergeklettert, und gerade als man uns bemerkte und um Hilfe rief, ist der alte Melton unten am Feuer bei den Wächtern gewesen und zur Felsenenge hinaus entwischt.«
»Herrlich, herrlich!« jubelte sie. »Gleich darauf ist sein Sohn durch den Kanal geflohen, und sie haben sich jedenfalls getroffen und sind miteinander fort.«
»Wohin?«
»Wohin? Ja, ja, das fragen Sie! Das möchten Sie wohl gar zu gern wissen?«
»Natürlich. Ich bin in diesem Falle ebenso neugierig wie Sie. Sie möchten doch wohl auch gern wissen, wohin Ihr Geliebter Ihnen entwischt ist?«
»Mir entwischt, mir, hahaha!« lachte sie.
»Lachen Sie nur! Sie täuschen mich doch nicht. Er ist auch Ihnen entwischt. Sie werden ihn und sein Geld niemals wiedersehen.«
»Niemals? Sennor, ich sage ihnen, daß ich ihn wiedersehen werde, sobald ich nur will!«
»Unsinn! Sie wissen nicht, wohin er sich gewendet hat.«
»Ich weiß nicht nur das, sondern ich weiß sogar auch, wo er auf mich warten wird.«
»Und Sie wissen das allein? Ich weiß es auch!«
»Sie? Ich glaube, Sie phantasieren! Den Ort kennen nur zwei, nämlich er und ich.«
»Drei! Rechnen Sie mich auch dazu. Ehe ich das Pueblo verlasse, werde ich Ihnen den Namen sagen.«
»Nichts werden Sie, gar nichts! Ich höre wohl, was Sie wollen. Sie wollen es machen, wie die Kinder, wenn sie gern etwas erfahren wollen, und Sie meinen, ich sei so dumm, mich von Ihnen soweit bringen zu lassen, daß ich im Aerger herausplatze. Da verrechnen Sie sich aber ungeheuer! Es ist heute überhaupt ein Tag des falschen Rechnens für Sie. Jonathan ist Ihnen mit seinem Gelde entkommen, und sein Vater ist auch fort mit dem Gelde, welches er bei sich hatte. Ja, wenn Sie wenigstens den erwischt hätten! Dem brauchten Sie nur die Stiefel auszuziehen. Er hat seinen Anteil zwischen den Doppelschäften stecken.«
»Donnerwetter!« stieß ich, der ich niemals fluche, jetzt absichtlich hervor. »Zwischen den Doppelschäften! Und den konnte ich schon mehreremale erwischen! Das ist doch ein Pech, ein riesenhaftes Pech!«
»Ja, das ist freilich Pech, und Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich darüber freue! Ich hasse Sie mit jeder Ader, in jeder Fingerspitze; darum freut es mich unendlich, daß Sie wie der Fuchs vor dem leeren Hühnerstalle stehen. Und das Beste dabei ist, daß Sie die Meltons niemals wiedersehen werden.«