Kitabı oku: «Scepter und Hammer», sayfa 2
Vor ihm lag ein im höchsten Komfort ausgestattetes und von einer kostbaren Ampel erleuchtetes Arbeitszimmer. Die Zigeunerin hatte gemächlich auf einem Sammetfauteuil Platz genommen und eine kurze Thonpfeife hervorgezogen, welche sie aus einer Düte mit Tabak stopfte und dann in Brand steckte. Sie rauchte mit einem Behagen, als befinde sie sich in ihrem Eigenthume, und es hatte allen Anschein, als ob sie sich nicht sogleich wieder erheben werde.
Was hatte das Alles zu bedeuten? Wie kam die fremde, verachtete Bettlerin dazu, in dieser Weise die geheimen Räume des Herzogs zu kennen und aufzusuchen? Max nahm sich jetzt nicht die Zeit, sich diese und ähnliche Fragen vorzulegen; er mußte vor allen Dingen die Situation ausnützen. Er glitt zurück, um den Eingang zu untersuchen, und bemerkte zu seiner Beruhigung, daß derselbe von innen durch einen hinter den Büchern angebrachten Riegel, welcher mit dem äußeren Drücker in Verbindung stand, geöffnet werden konnte.
Jetzt fiel sein Blick auf die Büchertafel. Gerade vor ihm lag neben einigen eng mit Ziffern beschriebenen Papieren ein Blatt, welches die Aufschrift »Schlüssel« führte. Sollte es den Schlüssel für die geheime diplomatische Korrespondenz des Herzogs enthalten? Dieser war als entschiedener Gegner des gegenwärtigen Systems bekannt und stand mit den verschiedenen Höfen in direkter Beziehung. Es waren sogar schon öfters Gerüchte aufgetaucht von einer ebenso verborgenen wie kräftigen Agitation für die Abdankung des jetzigen Herrschers. Der Herzog war Generalissimus der Armee – hundert Gedanken durchzuckten den Doktor; er trat nochmals zur PortiŠre; die Zigeunerin saß noch in derselben ungenirten Haltung da und schmauchte ihren Stummel – schnell saß er auf einem Stuhle, zog sein Notizbuch und notirte Ziffer um Ziffer, Buchstaben um Buchstaben und Zeichen um Zeichen von dem wichtigen Blatte.
Eben war er damit fertig, als drüben ein halblauter Ausruf ertönte. Schnell trat er zur PortiŠre und blickte hindurch. Der Herzog war eingetreten und hatte den nächtlichen, geheimnißvollen Besuch bemerkt.
»Donner und Doria; wer ist das?!«
Die Zigeunerin machte nicht die geringste Miene, sich zu erheben. Sie that noch einen kräftigen Zug aus ihrer Pfeife und antwortete dann:
»Donner und Doria; er kennt Zarba, sein Weib nicht mehr!«
»Zarba!« rief er, sichtlich erschrocken und den Riegel vor die Thür schiebend. »Du lebst noch! Was willst Du? Hast Du vergessen, daß der Tod darauf ruht, wenn Du mein Haus betrittst?«
»Der Körper der Zingaritta ist gealtert, aber ihr Geist ist stark. Sie hat nichts vergessen, doch fürchtet sie Dich nicht. Sie lebt noch und wird nur dann sterben, wen Bhowannie es will. Wo hast Du meinen Sohn?«
»Er ist längst gestorben.«
Jetzt erhob sie sich.
»Lügner!«
Er lächelte überlegen.
»Weib, nimm Dich in Acht, daß ich Dich nicht vernichte!«
»Mann, hüte Dich vor Zarba, der Zigeunerin! Als sie die Schönste war unter den Töchtern der Brinjaaren, hast Du sie bethört. Sie verließ ihr Volk, um bei Dir zu wohnen; aber Deine Schwüre waren Meineid, Deine Küsse Gift und Deine Liebe und Treue Betrug. Du raubtest mir den Sohn, Deinen und meinen Kind?«
»Gestorben.«
»Gestorben? Ja, todt, mehr als todt! Sein Körper lebt, aber seit sechs Jahren mordest Du seinen Geist, dessen Stärke Allem widersteht. Wo ist mein Kind, mein Sohn? Im Irrenhause, von Dir eingekerkert und unter die Wahnsinnigen gesteckt, weil er weiß, daß ein Herzog sein Vater ist. Gieb ihn heraus!«
»Du selbst bist wahnsinnig!«
Sie trat von ihm zurück und sah ihm lange in das finstere Angesicht; dann ließ sie sich langsam auf das Knie nieder.
»Du hast das Herz eines Mädchens kennen gelernt, welches sein Volk, seinen Stamm, seinen Glauben, seine Eltern und Schwestern und Alles, Alles hingab, weil Du es wolltest; aber Du kennst nicht das Herz einer Mutter; es ist das Herz einer Löwin, welche den zerreißt, der ihr Junges rauben will. Denke zurück an unser Glück und sieh Zarba, wie sie jetzt vor Dir kniet! Sie fleht zu Dir um« – — —
»Halt!« unterbrach er sie streng, »kein Bühnenspiel! Dein Sohn ist todt für Dich. Du wirst ihn niemals wiedersehen!«
Sie erhob sich.
»Noch einmal bittet Zarba: Gieb ihn mir zurück!«
»Niemals!«
»So wird die Zingaritta Dich zu zwingen wissen! Sie wird vor allen Thüren erzählen und auf allen Gassen ausrufen, daß Du der Vater ihres Kindes bist!«
»Pah! Das wird zu verhindern sein.«
»Meinst Du?« Ihre Züge nahmen jetzt einen Ausdruck des Hasses und der Entschlossenheit an, der doch den Hohn, welcher um seine Lippen spielte, verschwinden machte. »Meinst Du, Zarba fürchte sich vor Dir und Deiner Macht, Herzog von Raumburg? Du bist in ihre Hand gegeben wie der Fuchs in die Tatze der Löwin, und ein einziges Wort von ihr bringt Dich in Tod und Verderben!«
»Ah? Sprich dieses Wort!« gebot er, ungläubig und verächtlich lächelnd.
Sie trat ihm näher und raunte ihm zu:
»Es heißt: Prinzenraub!«
Er fuhr zurück.
»Landstreicherin, Du bist wahrhaftig wahnsinnig!«
»So höre weiter!«
Sie näherte sich ihm von Neuem und zischte ihm Worte entgegen, welche Max nicht verstehen konnte, weil sie leise gesprochen waren. Der Herzog war mit einem Male leichenblaß geworden; er vermochte nicht zu antworten.
»Nun? Du trachtest nach Thron und Krone; die Hand der Landstreicherin kann Dir Beides geben und Beides nehmen. Soll sie ihren Sohn wiederhaben?«
Er trat an das Fenster und starrte lange hinaus. Endlich drehte er sich zu ihr um.
»Hast Du bisher geschwiegen?«
»Ja.«
»Schwöre es mir!«
»Ich schwöre es bei Bhowannie.«
»So sollst Du Deinen Sohn sehen!«
»Nur sehen?«
»Und mitnehmen dürfen.«
»Wann?«
»Wann Du willst.«
»Morgen! Ich kenne das Haus, in welchem er wohnt.«
»Gut. Ich werde Dir einen Befehl für den Direktor schreiben.«
Er setzte sich und füllte ein herbeigezogenes und bereits mit Unterschrift und Siegel versehenes Blanket aus.
»Hier. Auf Vorzeigen dieser Schrift erhältst Du Einlaß in die Anstalt.«
Ihr Auge ruht scharf auf ihm.
»Du wirst mich nicht betrügen?«
»Nein.«
»So lebe wohl! Ich komme niemals wieder!«
Die Antwort des Herzogs konnte Max nicht vernehmen; er mußte sich zurückziehen. Doch wohin? In den Gang durfte er sich noch nicht wagen, da ihn die dort bewandertere Zigeunerin sicher eingeholt hätte; es blieb ihm nichts Anderes übrig, als sich unter der Tafel zu verbergen, deren weit herabhängende Decke ihm sicheren Schutz gewährte.
Bibliothekzimmer.
»Lebe wohl für immer,« sprach der Herzog, »und bedenke, daß meine Macht so weit reicht, als Euch Eure Füße tragen!«
Sie entfernte sich durch die geheime Thür, während er in sein Arbeitszimmer zurückkehrte.
Lange hörte Max ihn in demselben auf- und abgehen; dann erklang das leise Kritzeln einer Feder. Schon überlegte der Doktor, ob er sich auf alle Gefahr hin entfernen oder ruhig versteckt halten solle, bis der Herzog schlafen gegangen sei, als dieser sich erhob und heraus in die Bibliothek trat. Er schritt zur verborgenen Thür, öffnete dieselbe und stieg die Treppe hinab.
Jedenfalls wollte er sich überzeugen, ob die Zigeunerin das Fenster unten wieder verschlossen habe. Max vermuthete, was der Herzog soeben geschrieben habe; er hatte jetzt Gelegenheit, sich zu überzeugen, ob seine Ahnung richtig sei. Er eilte in das Arbeitszimmer, trat an den Schreibtisch und warf einen Blick auf das dort liegende und bereits vollendete Schriftstück. Es enthielt den Befehl an den Direktor der Landesirrenanstalt, die Zigeunerin Zarba als unheilbar wahnsinnig zu installiren, sobald sie erscheine, sich auf keinerlei Verhör mit ihr einzulassen und bei etwaiger Widersetzlichkeit die schärfsten Zwangsmaßregeln in Anwendung zu bringen. Eine eingehendere Instruktion sollte umgehend folgen.
»Schurke!« konnte sich der Doktor nicht enthalten auszurufen; dann kehrte er in sein Versteck zurück.
Er erreichte es gerade noch rechtzeitig, denn schon im nächsten Augenblicke trat der Herzog wieder ein und begab sich in das Nebenzimmer. Bald darauf wurde der Geruch von Siegellack bemerkbar, dann rückte ein Sessel, und die Außenthür zum Arbeitskabinet erklang. Der hohe, fürstliche »Schurke« hatte dasselbe jedenfalls verlassen, um den Befehl einem Kourier zu übergeben, da es nothwendig war, der Zigeunerin zuvorzukommen.
Jetzt durfte Max seinen unbequemen Platz verlassen. Er öffnete das Bücherfach, verschloß es hinter sich und tastete sich die Treppe hinab. Er hatte ein eigenthümliches und gefährliches Abenteuer bestanden und stand, unten im Gang angelangt, unwillkürlich tief aufathmend still.
»Zarba, Du sollst gerettet werden,« gelobte er sich; »Du und Dein unglücklicher Sohn. Gott hat mich hinter Dir hergeführt; er ist der Schutz der Gerechten!«
Er fand das Fenster geschlossen; die Wirbel befanden sich an der Außenseite desselben, doch war eine Scheibe zerbrochen, so daß er hindurchlangen und öffnen konnte. Als er hinausgestiegen war und den Verschluß wieder bewerkstelligt hatte, trat Thomas auf ihn zu.
»Gott sei Dank, Herr Doktor, daß Sie mit heiler Haut wieder pei mir sind! Die Hexe ist schon längst wieder heraus. Was hat es denn da drin gegepen?«
»Das sollst Du später erfahren. Bis dahin aber erzählst Du keinem Menschen, was heut geschehen ist!«
»Keinem Einzigen; ich gepe gleich einen Eid darauf! Nicht einmal der guten Parpara Seidenmüller, die doch sonst Alles wissen muß!« – — —
Drittes Kapitel: Die Brüder Jesu
Es war an demselben Abende. Der nach der Hauptstadt gehende Schnellzug mußte bald kommen, und die Reisenden im Wartezimmer erster und zweiter Klasse machten sich allmählich zum Aufbruche fertig.
An einem der entfernt stehenden Tische saßen zwei Männer, deren Äußeres nicht kontrastirender gedacht werden konnte. Der Eine, welcher die Uniform eines Obersten der Infanterie trug, war mit beinahe herkulischen Gliedmaßen begabt und überragte den andern, welcher außerordentlich klein und schwächlich gebaut war, beinahe um das Doppelte. Seine Gesichtszüge waren, wenn nicht roh, so doch außerordentlich eckig und kantig geschnitten und zeigten jene intensive Röthe, welche die Folge einer wohlbesetzten Tafel und eines ebenso gut gefüllten Kellers zu sein pflegt. Wenn es zugegeben werden muß, daß es Physiognomien gibt, welche zu einem zoologischen Vergleiche auffordern, so mußte man zugestehen, daß dieses Gesicht an denjenigen Wiederkäuer erinnerte, welcher in den Savannen der westlichen Hemisphäre wild gejagt und in Spanien zu aufregenden Kämpfen benutzt wird. Gewalt und Eigenwille waren deutlich in demselben ausgeprägt, und stier, wie die Augen blickten, mußte auch der Charakter sein, der wohl durch keine klärende und läuternde Schule gegangen war. Der Offizier machte bemühte.
»Also ein self-man sind Sie, Herr Oberst,« meinte der Kleine, »der Alles, was er ist und hat, sich selbst verdankt. Dann ist Ihr Weg voller Dornen gewesen und wird es später wohl noch mehr sein. Gerade in Ihrer Branche ist die Konnexion der Hauptfaktor des Vorwärtsschreitens.«
»Der Teufel soll mich holen, wenn dies nicht wahr ist! Konnexion, Protektion und noch so manche andere »ion« bringt manchen Laffen in die Höhe, der nichts vorzustellen vermag, als einen betreßten und bebrouillonten Taugenichts. Nur gut, daß es auch gewisse »ions« gibt, bei denen diese Schlingels spurlos verschwinden, weil da nur der gebraucht werden kann, der einen ganzen Mann abgibt!«
»Und diese »ions,« welche sind es?«
Der Offizier blickte sich vorsichtig um und flüsterte:
»Dieselben, welche auch Sie meinen: Rebellion, Revolution. Lassen Sie es nur so bald wie möglich losgehen; ich bin mit Leib und Seele dabei und werde die mir angewiesene Stelle zur vollsten Zufriedenheit ausfüllen.«
»So schnell, wie Sie wünschen, geht es allerdings nicht. Ein so großes und gefährliches Werk bedarf der sorgsamsten und umfassendsten Vorbereitungen.«
»Pah! Ich bin vorbereitet und meine Jungens machen alle mit. Der Teufel soll mich holen, wenn ein einziger zurückbleibt!«
»Sind Sie dessen sicher?«
»Sicher? Welche Frage! Ich bin Oberst, und mein Regiment hat mir zu gehorchen.«
»Gewiß, in den gegenwärtigen regulären Verhältnissen. Ob es Ihnen aber auch dann gehorcht, wenn diese Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden, das ist eine Frage, welche nicht so leicht beantwortet werden kann.«
»Dann bin ich erst recht meiner Sache sicher.«
»Auch Ihres Offizierskorps?«
»Vollständig. Es besteht aus lauter Männern, die, dem Bürgerstande entsprossen, in der Hefe stecken bleiben müssen, weil Ihnen die Vetter im Kriegsministerium fehlen. Gebt mir und Ihnen eine Gelegenheit zum Avancement, und der Teufel soll mich holen, wenn wir nicht unsere Schuldigkeit thun! Gibt es ja Einen oder den Andern, dessen man nicht vollständig sicher ist, so bekommt er Urlaub, die beste Methode, quere Köpfe einstweilen auf die Seite zu bringen. Ich bin hier Oberstkommandirender, habe ein Regiment Infanterie, eine Kompanie Schützen und zwei Feldbatterien zu befehligen und werde mit ihnen zur rechten Zeit am Platze sein so gewiß, als ich hier sitze und auf das Gelingen des Unternehmens mit Ihnen anstoße.«
Kleine:
»Und die Bevölkerung Ihres Kreises?«
»Ist mit der jetzigen Regierung höchst unzufrieden. Wir befinden uns hier im bevölkertsten Fabrikdistrikte des Landes; Handel und Gewerbe stocken nicht blos, sondern liegen ganz und vollständig darnieder; der Arbeiter hungert mit seiner Familie; die Sozialdemokratie erhebt ihr Haupt und heult um Rache und Hülfe überall, am kleinsten Orte tagen Meetings und Versammlungen, in denen der Kreuzzug gegen die Aristokratie, gegen die besitzenden Klassen gepredigt wird. Was wollen Sie? Ich höre schon den muthigen Schritt der Arbeiterbataillone, welcher alles Widerstrebende zertreten und zermalmen wird. Die Schaaren der Turner, die Vereine der Bürgergarden, sie bedürfen nur der brauchbaren Waffe, um nach der Residenz geführt zu werden. Das findet!«
»Dazu bedarf es einer tüchtigen Vorbereitung des Landes, mit welcher wir leider noch nicht genugsam vorgeschritten sind. Wir dürfen unser Exempel nicht mit Hoffnungen machen, die uns betrügen können, sondern müssen mit Thatsachen arbeiten, deren wir sicher sind. Über Ihren Kreis, Herr Oberst, bin ich vollständig beruhigt; ich glaube Ihren Versicherungen und werde dem geheimen Komité einen befriedigenden Bericht abstatten. Mit dem Augenblicke des Losschlagens dürfen Sie die Generalsepauletten anlegen, und Ihre weiteren Chancen haben Sie dann in der eigenen Hand. Sie sind einer von den wenigen Stabsoffizieren, denen wir unbedingtes Vertrauen schenken, und ich bin zugehen.«
Er erhob sich, reichte ihm die Hand und verließ das Wartezimmer. Draußen war der Train bereits vorgefahren. Er verlangte nach erster Klasse und erhielt ein Coupé angewiesen, in welchem bereits ein Herr saß, welcher allem Anscheine nach dasselbe schon längere Zeit innegehabt hatte.
Es begann zu dämmern, doch konnte man sich gegenseitig noch ganz genau erkennen.
Der Fremde trug durchweg einen graukarrirten Anzug; seinen Kopf bedeckte ein breitrandiger Panamahut, und auf der Spitze seiner Adlernase balancirte in verwogener Stellung ein blauglasiges Pincenez, welches mit dem feinen Teint des Angesichtes scharf kontrastirte. Die feinen Bockstiefeletten und die fleischfarbenen Gummihandschuhe zeigten ebenso wie der wohlgepflegte Backenbart und die schwergoldene Uhrkette, daß er gewohnt sei, auf seine äußere Erscheinung die möglichste Sorgsamkeit zu verwenden. Man mußte auf den ersten Blick den Engländer in ihm erkennen.
»Guten Abend!« grüßte der Schwarze.
»Good evening!« antwortete der Graue und drehte den Kopf langsam dem Eingestiegenen zu.
Kaum hatte er ihn erblickt, so ergriff er den blauen Zwicker und ließ ihn von der Nasenspitze nach der gehörigen Stelle zurückretiriren. Der Blick, welchen er jetzt scharf durch die blauen Gläser warf, war erstaunt, verächtlich und feindselig zugleich. Hatte er in dem kleinen Manne eine ihm verhaßte Persönlichkeit erkannt?
»Sie reisen auch nach der Residenz, Sir?« frug dieser, als er es sich bequem gemacht hatte.
Der Gefragte zog statt der Antwort ein goldenes Etui hervor, entnahm demselben eine Cigarette und steckte sie in Brand.
»Ich freue mich, bis dahin Gesellschaft zu finden. Eine Reise ohne Unterhaltung gehört zu den größten Unannehmlichkeiten, welche ich kenne.«
Der Graue ließ das Fenster nieder, wandte sich gleichmüthig von seinem Gegenüber ab und blickte hinaus auf die in optischer Täuschung vorüberfliegende Landschaft.«
Hier meine Karte, Sir! Darf ich wissen, mit wem mich der glückliche Zufall zusammenführt?«
Auf der kleinen Karte war in feinen Zügen »Aloys Penentrier, Rentier« zu lesen. Der Engländer hielt es nicht der Mühe werth, einen Blick darauf zu werfen, sondern behielt beharrlich seine Stellung bei.
»Sie scheinen mehr nachdenklich als unterhaltend gestimmt zu sein, Sir. Oder soll ich vielleicht in der Nichtbeachtung meiner Karte eine absichtliche Beleidigung erkennen?«
Der Graue steckte jetzt den Kopf ganz zum Fenster hinaus; das bleiche Gesicht des Kleinen röthete sich. Er legte die Hand auf den Arm des Engländers und frug:
»Wollen Sie die Güte haben, zu hören, was ich sage?«
Der Engländer zog unter dieser Berührung den Kopf zurück. Die Lorgnette war ihm unter dieser raschen Bewegung wieder vor auf die Nasenspitze gerutscht.
»Very well, uoll‘ Sie flieg‘ aus das Uagen hinaus in das Luft? Uas uag‘ Sie, anzugreif meinen Person!«
»Ich frage nur, ob Sie die Absicht haben, mich zu beleidigen?«
»Stand off, bleib‘ Sie mir von das Leib! Uas frag ich nach Ihr‘ Kart‘, Ihr Personage und Ihr Beleidigung! Halt‘ Sie das Mund; ich uill hab‘ Ruhe!«
Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, welcher dem Kleinen ganz wider Willen imponirte. Er zog sich in seine Ecke zurück, murmelte etwas von »Unverschämtheit« und »Spleen«, warf noch einen giftigen Blick auf den Grauen und schloß dann die Augen.
Die Reise wurde schweigend fortgesetzt. An jeder bedeutenderen Station blickte der Schwarze aus dem Wagen und nahm dann jedesmal von einer Person, welche den Zug erwartet haben mußte, ein Couvert in Empfang, welches er öffnete, um den Inhalt zu überfliegen. Dieser Umstand fiel dem Engländer auf, doch ließ er sich nicht das Mindeste davon merken. Nach der jedesmaligen Lektüre, die durch das im Coupé brennende Licht ermöglicht wurde, legte der Kleine das Schriftstück neben sich auf den Sitz. So lagen acht bis neun dieser Skripturen neben ihm, als man die letzte Station an der Residenz erreichte. Auch hier bog er sich durch das Fenster, um ein Couvert in Empfang zu nehmen und mit dem Überbringer desselben einige Worte zu wechseln. Der Engländer benutzte diesen Augenblick; mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er eins der Papiere ergriffen und in seiner Tasche verborgen.
Wagen.
Der Graue stieg schnell hinter ihm aus. Ein Diener, welcher zweiter Klasse gefahren war, wartete bereits auf ihn, und neben demselben stand Doktor Brandauer, welcher, von seiner Kahnfahrt zurückgekehrt, sich nach dem Bahnhofe begeben hatte, um den Sohn des Lord Halingbrook zu empfangen.
»Emery!«
»Max!«
Sie begrüßten einander durch eine herzliche Umarmung, welche sich aber Emery schnell zu lösen beeilte.
»Have care! Siehst Du dort den kleinen schwarz gekleideten Menschen mit dem Gepäckschein in der Hand?«
Er konnte jetzt sehr gut deutsch sprechen. Hatte er sich vorhin nur verstellt?
»Du meinst den, welcher mit dem Kofferträger verhandelt?«
»Yes, denselben.«
»Was ist mit ihm?«
»Komm! Wir müssen ihm folgen; wir müssen sehen, wo er wohnt!«
»Warum?«
»Später! Unterwegs sollst Du es erfahren.«
»Der Wagen wartet draußen auf Dich.«
»Können ihn nicht gebrauchen. Go on, vorwärts!«
Er warf dem Diener einen kurzen Befehl hin, nahm den Freund unter den Arm und folgte mit ihm dem Schwarzen, welcher nach dem Ausgange schritt und dort einen Fiaker nahm.
In der Nähe hielt eine Equipage mit dem Peerswappen der Familie Halingbrook. Sie schritten an ihm vorüber und nahmen eine Droschke.
»Dem Fiaker dort nach, aber ohne daß es bemerkt wird!« befahl Emery beim Einsteigen.
Dann nahmen sie Platz.
Der Weg ging durch mehrere Straßen und über einige Plätze der Stadt. Während der Fahrt konnte Emery seine Mittheilung machen. Max sagte sich, daß der kleine Mann eine sehr beachtenswerte Persönlichkeit sein müsse, da der junge Lord nach einer langen und beschwerlichen Reise nicht zur Wohnung fuhr, sondern diesen Unbekannten sofort vom Bahnhofe weg verfolgte.
»Du kennst ihn?« frug er.
»Yes, und zwar sehr. Er ist ein Jesuit, eines der hervorragendsten Mitglieder dieser Brüderschaft.«
»Ah!«
»Er hat in Freiburg, wo ich ihm begegnete und von ihm sprechen hörte, ohne daß er mich bemerkte, seine Erziehung genossen und gilt als der feinste Schlaukopf der ganzen Kongregation. Später sah ich ihn in Paris, Brüssel, London und Washington, und überall war mit seinem Erscheinen ein Streich verbunden, welchen die heiligen Väter der Regierung spielten. Heut nun fuhr er mit mir in demselben Coupé, und zwar unter Umständen, welche mich schließen lassen, daß er nicht nur hier bereits heimisch ist, sondern an einer Aufgabe arbeitet, welche jedenfalls eine den Interessen des Thrones feindliche ist.«
»Den Jesuiten ist der Aufenthalt im Lande streng untersagt.«
»All right! Nehmen wir diesen Umstand, die Politik des Herzogs von Raumburg, die Gerüchte, welche mit immer größerer Deutlichkeit ihre Stimme erheben und die im Auslande besser gekannt werden als von Euch selbst, und dazu die Anwesenheit dieses Menschen, welcher an jeder Station schriftliche Berichte entgegennimmt, so ergibt sich jedenfalls die Nothwendigkeit, wenigstens seine Wohnung kennen zu lernen.«
»Und ihm auch noch etwas näher auf die Finger zu sehen. Ich weiß sehr genau, daß der Herzog die Aufnahme der Jesuiten eifrig befürwortet.«
»Behold! Ich schätze sehr, daß er mit diesem Ungeziefer in Verbindung steht. Vater und ich sind in Folge unserer hiesigen Besitzungen Unterthanen Seiner Majestät, und so habe ich die Verpflichtung, das Thun und Treiben solchen Gezüchtes nicht unbeachtet zu lassen. Woher kennst Du diese Befürwortung?«
»Der König selbst hat gegen uns davon gesprochen.«
»Well. Der Hofschmied erfährt mehr als mancher Rath und Minister. Du hast bessere Chancen als Mancher, dessen Stammbaum bis in die antediluvianische Zeit hinaufreicht, und ich begreife nicht, daß Du – — – have care, er hält! Wem gehört dieses Boarding-house?«
»Wahrhaftig, er hält bei unserer guten Barbara Seidenmüller! auffallen.«
»Fair! So fahre ich nach Hause. Hier hast Du ein Schreiben, welches ich ihm weggekapert habe. Ich konnte es bisher nicht lesen, und da Du ihm folgst, ist es Dir vielleicht nöthiger als mir.«
»Kennst Du seinen wahren Namen? Ich nehme natürlich an, daß er hier einen falschen trägt.«
»Pater Valerius, deuce take it, der Teufel hole ihn! Er hatte zwar die Güte, mir seine Karte zu präsentiren, doch hatte ich nicht Lust, mich mit derselben zu beschmutzen. Good night!«
»Gute Nacht!«
Die Droschke lenkte um, und Max trat in die Gaststube der ehrsamen Wittfrau und Kartoffelhändlerin Barbara Seidenmüller.
Der erste Gast, welcher ihm in die Augen fiel, war Baldrian, der Exgrenadier. Als dieser ihn bemerkte, erhob er sich respektvoll von seinem Stuhle. Der Doktor trat zu ihm.
»Bist Du schon lange hier?«
Der Gefragte nickte bejahend.
»Das ist am den. werde gleich gehen!«
»Willst Du mir einen Gefallen thun?«
Ein zweites Nicken erfolgte.
»Auch das ist am den!«
»Es muß hier ein Fremder logiren, der an seiner kleinen, schwächlichen Gestalt und seiner schwarzen Kleidung leicht zu erkennen ist.«
»Sogar dieses ist am den. Ist bereits vier Wochen hier.«
»Du kennst ihn?«
Ein energisches Nicken diente als Antwort.
»So stelle Dich einmal gegenüber in das Dunkle, wo Du nicht gesehen wirst. Wenn er das Haus verläßt, benachrichtigst Du mich schleunigst. Du hast doch gute Augen?«
»Das ist am den!«
Er trank sein Bier aus und verließ das Lokal.
Jetzt bemerkte die Wirthin den neuen Gast und kam sofort auf ihn zugeschritten. Sie war eine korpulente, noch junge Frau, und ihr geröthetes Gesicht glänzte vor Freude, als sie ihm die Hand entgegenstreckte.
»Willkommen, tausendmal willkommen, Herr Doktor! Ich habe Sie wohl ein Jahr lang nicht zu sehen bekommen. Wo sind wir denn überall herumgelaufen?«
»In Italien, Frankreich, England, Holland und so weiter.«
»Herrjesses, muß das fürchterlich sein! Da lobe ich mir meinen »blauen Adler«; von ihm komme ich nicht weg, so lange ich lebe. Daheim ist daheim! Ich soll doch ein Fläschchen vom Besten bringen?«
»Ja. ich brauche zunächst einen guten Schluck und sodann Sie selbst.«
»Mich?«
»Allerdings. Ich muß eine Erkundigung einziehen, womöglich unter vier Augen.«
»Unter vier Augen? So kommen Sie heraus in das leere Hinterstübchen, wo wir vollständig ungestört sind, Herr Doktor!«
»Ich muß hier bleiben, da ich jeden Augenblick einen Boten erwarte, der mich dann nicht sehen würde. Bringen Sie mir den Wein hier an den Tisch zunächst der Thür!«
Die Wirthin beeilte sich, diesem Gebote Folge zu leisten und befahl dem Kellner, auf die übrigen Gäste Achtung zu haben.
»Sie haben seit vier Wochen einen fremden Herrn im Logis,« begann Max, als sie bei ihm Platz genommen hatte, »dessen Namen und Charakter ich gerne wissen möchte, ohne daß er etwas über meine Erkundigung erfährt.«
»Welchen meinen Sie?«
»Er ist klein und hager, bleich und bartlos und trägt sich schwarz gekleidet. Irre ich mich nicht, so ist er vor wenigen Augenblicken von einer Reise zurückgekehrt.«
»Ach, Sie meinen den Herrn in Nummer eins bis vier!«
»Er hat vier PiŠcen inne? Dann muß er wohl situirt sein.«
»Allerdings; er ist Rentier, zahlt außerordentlich prompt und nobel und hat einen französischen Namen, den ich vielleicht nicht richtig aussprechen kann. Geschrieben wird er Aloys Penentrier.«
»Verreist er oft?«
»Er ist sehr wenig daheim und oft mehrere Tage nicht hier.«
»Korrespondirt er viel?«
»Wenn er zu Hause ist, schließt er sich gewöhnlich ein. Was er da thut und ob er schreibt, weiß ich nicht; wenn er es thut, so muß er sich seine Briefe selbst besorgen, aber er erhält deren täglich mehrere.«
Poststempel.«
»Aus Paris, Petersburg, London, meist aber aus dem Inlande.«
»Mit wem verkehrt er?«
»Kann ich nicht sagen. Er empfängt allerdings öfter Besuch von Herren, die ich aber leider nicht kenne.«
»Welcher Klasse gehören sie an?«
»Allem Vermuthen nach nicht der unteren. Einige hatten, obgleich sie in Civil gingen, etwas entschieden Militärisches. Andere sahen mir aus wie Geistliche, so fromm und salbungsvoll traten sie auf. Zwei oder drei Male war auch ein Diener des Herzogs von Raumburg hier. Er trug zwar auch Civil, aber ich kannte ihn doch.«
»Geht er viel aus?«
»Nur des Abends.«
»Wann kehrt er da zurück?«
»Sehr spät! ich bemerke dies, trotzdem ich ihm einen Hausschlüssel zur Verfügung stellen mußte. Auch heut scheint er gehen zu wollen; er hat ein Abendbrod bestellt und um Beschleunigung gebeten.«
»Ist ihm bereits servirt worden?«
»Ja; kalte Küche. Er ißt sehr schnell und wird wohl nun fertig sein.«
Sie hatte recht, denn eben öffnete sich die Thür und die lange Gestalt Baldrians schob sich in möglichster Eile herein.
»Ist er fort?« frug Max.
»Ja, das ist am den.«
»Wohin? Rechts in die Straße?«
»Nein, das ist nicht am den, sondern links.«
»So trinke Du meinen Wein, Baldrian. Gute Nacht!«
Er legte ein Geldstück auf den Tisch und ging.
»Ein guter Herr, nicht wahr, Baldrian?« frug die Wirthin.
Der vormalige Grenadier konnte blos nicken. Er hatte das Weinglas bereits an den Mund gesetzt und that einen Zug, der es bis auf die Nagelprobe leerte.
»Hast wohl draußen aufpassen müssen?«
Er nickte und schenkte sich ein zweites Glas ein.
»Auf den kleinen Rentier?«
Das Glas wieder am Munde, ließ er sich zu einem abermaligen Nicken herbei; dann goß er sich den bei ihm so seltenen Trank in den Mund.
»Was muß er denn mit ihm haben?«
Wieder einschenkend zuckte er die Achsel. Die kleine, propre Wittfrau hatte ihm sein Herz geraubt, aber daß sie ihn jetzt in seinem Genusse störte, wollte ihm nicht im Geringsten gefallen.
»Du weißt es nicht, Baldrian?«
Er schüttelte den Kopf und führte das Glas zum dritten Male zum Munde.
»Schmeckt der Wein?«
Er trank, machte die Augen zu und nickte dabei mit einem so verklärten Gesichte, als trinke er den Nektar der griechischen Götter.
»Das glaube ich; es ist meine beste Sorte. Aber da hat er mir zuviel hergelegt. Was thue ich? Gebe ich Dir heraus oder – ja, ich werde mir den Überschuß merken, bis er wiederkommt.«
Baldrian hatte sich den Rest eingeschenkt und stand schon im Begriffe, das Glas zu erheben; jetzt aber ließ er es wieder sinken.
»Donnerwetter, das ist ja gar nicht am den!«
»Du meinst, das Geld sei Dein?«
Er nickte trinkend, setzte das Glas auf den Tisch, strich das zurückgegebene Geld ein und stülpte sich die Mütze auf den Kopf.
»Gute Nacht, Bärbel!«
»Gute Nacht, Baldrian!«
Mit stolzen Schritten ging er nach Hause. Nicht jeder, der heut dasselbe that, hatte eine Flasche vom Besten aus Frau Barbara Seidenmüllers Weinkeller getrunken. —
Als der Doktor aus der Thür des Gasthauses trat, konnte er die Gestalt des sich entfernenden Rentiers gerade noch im Scheine einer Laterne erkennen. In kurzer Zeit hatte er ihn soweit erreicht, daß er ihn fest im Auge behalten konnte.
Der Kleine ging schnellen Schrittes mitten auf der Straße; er aber hielt sich hart an der einen Häuserreihe, in deren Schatten er nicht so leicht bemerkt werden konnte. Sie befanden sich in einem der äußeren Viertel der Residenz und näherten sich immer mehr den äußersten Häusern desselben. Als diese erreicht waren und nun auch der Lampenschimmer aufhörte, zog sich die Landstraße eine Strecke weit längs des Flußes hin, um dann an den sich allmählich erhebenden Bergen langsam emporzusteigen.
Dort oben, in etwa drei Viertelstunden Entfernung von der durchstöbert. zuvorzukommen!« hatte. mündete.
Die angewandte Vorsicht, mit welcher er seine Schritte möglichst vernehmen.
»Woher?« frug der Posten mit halblauter Stimme.
Antwort.
»Wohin?«
»Zum Siege.«
»Wodurch?«
»Durch die Lehre Loyola‘s.«
»Der Bruder kann passiren!«
Der kleine Rentier schritt an dem Posten vorüber. Max folgte ihm. konnte.
Er ließ das Seil wieder hinuntergleiten und bog sich vor, um einen Blick in die Tiefe zu werfen. Er mußte dies so vorsichtig wie möglich thun, da man sonst seinen Kopf trotz der nächtlichen Dunkelheit von unten hätte bemerken können. Der Brunnen war vor langer Zeit in Folge eines Unglücksfalles bis zur Hälfte seiner Höhe ausgeschüttet worden, besaß aber dessenungeachtet eine Tiefe von immer noch beinahe sechzig Fuß. Ein schneller, blitzartiger Lichtschein flammte unten auf; dann blieb die Tiefe in stetes Dunkel gehüllt, bis er seine Beobachtung aufgeben mußte, da ihm ein Geräusch das Nahen eines Kommenden verrieth.