Kitabı oku: «Scepter und Hammer», sayfa 3
Er zog sich hinter einen nahen Mauervorsprung zurück und beobachtete nach und nach vierzehn Gestalten, welche in den Brunnen stiegen.
Es drängte ihn, zu wissen, was diese geheimnißvollen Männer mit ihrer Zusammenkunft bezweckten; aber es war unmöglich, ihnen zu folgen. Er konnte sie nur von außen beobachten und mußte die Untersuchung des Brunnens bis auf eine Tagesstunde verschieben.
Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es dauerte fast zwei Stunden, ehe er den ersten wieder Emporsteigenden bemerkte. Es war der Rentier, welchem hart auf dem Fuße zwei Andere folgten.
»Ihr wißt, weshalb ich mit Euch vorangestiegen bin?« frug der Erstere.
»Ja,« antwortete der Eine. ausgeschieden.«
»Auf welchem Wege?«
»Auf dem gewöhnlichen. Geht an Euren Platz! Man kommt.«
Die beiden Männer verschwanden hinter dem Gemäuer. Dem Brunnen entstiegen nach und nach die elf Übrigen. Der Letzte von ihnen löste das Seil vom Felsen und nahm es zu sich.
»Der Herr behüte unseren Ausgang und Eingang!« grüßte der Rentier.
»Jetzt und in Ewigkeit, Amen!« antworteten die Anderen, worauf sie sich entfernten.
Ein Einziger war geblieben. Der Rentier hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt.
»Bruder Ambrosius, ich habe noch mit Dir zu sprechen!«
Der Angeredete hatte schon wie die Übrigen im Begriffe gestanden, zu gehen. Er wandte sich wieder zurück.
»Trotz des Verdachtes, welcher heut gegen Dich ausgesprochen wurde,« meinte der Rentier, »besitzest Du mein vollständiges Vertrauen. Ich habe Dich dem Pater Provinzial empfohlen und einen Auftrag für Dich bekommen, welcher Dir beweisen wird, wie sehr ich in schwierigen Fällen auf Deine Befähigung rechne. Bist Du bereit, ihn zu hören?«
»Ich werde hören und gehorchen.«
»So komm! Ich werde Dich einweihen in das tiefste Geheimniß, welches die Erde trägt, und ich bin überzeugt, daß kein Wort davon über Deine Lippen kommen wird.«
Er entfernte sich mit ihm in derselben Richtung, welche die beiden Anderen eingeschlagen hatten.
Max hatte jedes Wort vernommen. Dem Manne drohte jedenfalls eine Gefahr. Welcher Art konnte dieselbe sein? War er der Hülfe würdig? Und wie sollte diese Hilfe geleistet werden, da Max die Art und Weise der Gefahr nicht kannte? Er mußte sich sagen, daß er die dringendste Veranlassung habe, seine Anwesenheit nicht zu verrathen, und beschloß, sich ruhig abwartend zu verhalten.
Nach einer Weile war es ihm, als vernehme er einen leisen, unterdrückten Ruf. War es ein Hülferuf? Er lauschte eine Weile in die stille Nacht hinein, doch blieb jetzt alles ruhig. Erst nach fehlte.
»Ihm ist sein Recht geschehen,« meinte er salbungsvoll. »Möge seine Seele durch das Fegefeuer gereinigt werden, obgleich ihm die heiligen Sterbesakramente entgangen sind!«
»Es ist schwer zu beklagen, daß selbst der gebenedeiete Leib Jesu solche Glieder hat,« ließ sich einer seiner Begleiter vernehmen.
»Darum befolgt die Gesellschaft Jesu die Lehre des Erlösers: Ärgert Dich Deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von Dir! Er ist bereits der Zweite, den die gerechte Hand der Strafe ereilt. Möge er der Letzte sein! Geht jetzt und empfangt meinen Segen, Ihr frommen und gehorsamen Kinder des Herrn!«
Er erhob seine Arme; sie verneigten sich ehrerbietig und entfernten sich dann. Er wartete, bis das Geräusch ihrer Schritte vollständig verschollen war, und folgte ihnen dann langsam nach. Die frommen Brüder Jesu verfolgten die Taktik, den Ort ihrer nächtlichen Zusammenkunft einzeln zu verlassen, um die Erregung jeden Verdachtes zu vermeiden.
Jetzt trat der Doktor hinter seinem Verstecke hervor.
»Sie haben ihn gemordet. Ich muß sehen, auf welche Weise!«
Er verließ die Ruine in derselben Richtung, welche sie vorhin eingehalten hatten, und untersuchte das ganze Plateau des Berges, ohne auf die geringste Spur irgend eines gewaltthätigen Ereignisses zu treffen.
»Die Finsterniß ist schuld. Ich werde am Tage zurückkehren und dann sicher finden, was ich suche.«
Seine vergebliche Nachforschung hatte eine ziemliche Zeit in Anspruch genommen, so daß er annahm, daß sich keiner der geheimnißvollen Männer mehr in der Nähe befinde. Daher durfte er es wagen, den Ort auf dem gewöhnlichen Wege zu verlassen, und schritt nach einem ebenso aufregenden wie ereignißvollen Abende der Residenz wieder zu. – — —
Viertes Kapitel: Im Hause der Irren
Als Max nach Hause kam, war schon längst Alles zur Ruhe gegangen. Auf seinem Zimmer angelangt, machte er Licht und nahm das Schreiben vor, welches ihm Emery übergeben hatte. Es war ein mit Datum, Anrede und Unterschrift versehener Brief, wie er aus der ganzen Anordnung sah, aber leider nicht mit gewöhnlicher Schrift, sondern in Ziffern, getrennten Buchstaben und räthselhaften Charakteren geschrieben.
Er machte es sich bequem und setzte sich an den Schreibtisch, um den Versuch zu machen, das Schreiben zu dechiffriren. Die Erlebnisse des heutigen Abends hatten seine Nerven so in Spannung versetzt, daß es ihm unmöglich war, an Ruhe und Schlaf zu denken, und so kam ihm diese Beschäftigung, der er sich mit dem größten Eifer hingab, nicht ungelegen.
Er mußte dabei unwillkürlich an den Schlüssel denken, welchen er sich in der Bibliothek des Herzogs abgeschrieben hatte. Er zog daher sein Notizbuch hervor, fand aber, daß er es hier mit einer Schrift zu thun habe, deren Schlüssel ein vollständig anderer war.
Es war nicht das erste Mal, daß er sich eine ähnliche Aufgabe stellte, und es war ihm stets gelungen, sie zu lösen, heut aber wollte ihm das nicht gelingen. Er gab sich die möglichste Mühe – vergebens. Da kam ihm der Gedanke, ob das Hinderniß nicht in einer Umstellung der Silben oder der Einschaltung eines Lautes bestehe. Er hatte als Knabe mit seinen Mitschülern oft eine ähnliche Spielerei gepflogen und sich mit ihnen in der B-, F- oder U-Sprache unterhalten. Er zog sich die am meisten vorkommenden Ziffern, Buchstaben und Zeichen heraus und sah bald seine Bemühung von Erfolg begleitet. Die Vokale und Diphthonge waren durch verschieden gestellte Punkte, die Konsonanten durch Ziffern bezeichnet und die Ziffern in der Weise umgestellt, daß sie mit einem regelmäßig wiederkehrenden U verbunden wurden. Er hatte es also mit der U-Sprache in Charakteren zu thun.
Der Morgen graute bereits, als er den Schlüssel gewonnen hatte und nun den kurzen Brief zu lesen vermochte. Dieser lautete:
»Helmberg, den 2. Juli.
Lieber Bruder in Jesu!
Deiner Aufforderung zu Folge erhältst Du heut im Passiren diese Zeilen. Das mir von Dir übertragene Werk schreitet rüstig fort und verspricht ein gutes Gelingen unserer Intentionen. Meine Agenten erweisen sich als tüchtig; alle Minen sind in Thätigkeit, denken.
Für heute habe ich eine Versammlung meiner Untergebenen anberaumt und bin leider also verhindert, mich zu dem von Dir befohlenen Rendez-vous einzufinden, doch werde ich sicher bei dem nächsten am Siebenbrüdertag erscheinen und Dir ausführlich Bericht erstatten.
Bis dahin, verehrter Bruder, sei im Herrn gegrüßt von Deinem eifrigen und getreuen H. de M.
I. de la Robe.«
Er sprang überrascht vom Stuhle auf.
»Ein Jesuit de la Robe! Er ist von Adel, und zwar von französischem, wie es scheint! Ich habe es hier jedenfalls mit einer weitverzweigten Verbindung zu thun, welche den Zweck hat, durch eine Umstürzung der gegenwärtigen Verhältnisse, mit anderen Worten durch eine Revolution, den Jesuiten den Eingang in das Land zu erzwingen und sie, was die Folge davon sein würde, an das Ruder zu bringen. Emery hat Recht; dieser Rentier Aloys Penentrier ist ein hervorragendes Mitglied des Ordens und ein ebenso schlauer als kühner Mensch. Die Sache ist von unendlicher Wichtigkeit. Ich werde sofort wieder hinaus nach der Ruine gehen, um meine Untersuchung von Neuem aufzunehmen.«
Er kleidete sich sofort wieder an, versah sich mit einem Stricke von der Länge dessen, den er am Brunnen in der Hand gehabt hatte, steckte eine Blendlaterne, Hammer, Zange und sonstiges Geräthe zu sich, dessen er bedürftig sein konnte, und machte sich dann auf den Weg.
Als er die Treppe hinabstieg, vernahm er unten in der Werkstatt ein lautes, geräuschvolles Gähnen.
»Uu-aah! Uu-aah! Thomas Schupert, was pist Du dumm und alpern! Erst drei Uhr, höchstens halp Viere; konntest noch peinahe zwei Stunden im Pette pleipen! Aper die Zigeunerin, die Hexe, hat mir keine Ruhe gelassen. Sie ist mir im Traum erschienen, hat mich gehetzt und gejagt wie ein pöser Geist und mir das Gesicht zerkratzt und zerpissen. Es ist nur gut, daß es blos im Traum passirt ist, denn sonst könnte ich mich vor der Parpara Seidenmüller zehn Wochen lang nicht sehen lassen.«
Max mußte lächeln bei diesem lauten Monologe, der an den Liebesgedanken des braven Kavalleristen zum Verräther wurde. Sollte er ihn mitnehmen? Thomas war treu und verschwiegen, und vier Augen und Hände konnten jedenfalls mehr sehen und verrichten als zwei.
Er trat in die Werkstatt, wo der Geselle eben beschäftigt war, in die Jacke zu fahren.
»Guten Morgen, Thomas!«
»Tausendsapperlot, guten Morgen, Herr Doktor! Sind Sie auch schon munter? Ich glaupe, die Hexe hat Ihnen auch keine Ruhe gelassen!«
»Willst Du schon arbeiten?«
»Ich möchte wohl, aper ich darf nicht, weil ich sonst die Anderen aufwecke.«
»Ich habe einen Gang vor. Willst Du mich begleiten?«
»Zu Pefehl, Herr Doktor!«
»So ziehe Dich an und vergiß Deine Morgenpfeife nicht!«
»Hm, ja, Herr Doktor, mein Tapak ist alle!«
»So nimm hier eine Cigarre!«
»Danke schön! Ampalema?«
»Nein, Cuba.«
»Cupa? Hape noch keine geraucht. Pin neugierig, welche pesser ist, Cupa oder Ampalema.«
Der rauchlustige Geselle war mit seiner Toilette schnell fertig, dann schritten sie in den frischen Morgen hinein.
Das Leben war in der Stadt noch nicht erwacht; erst später begegneten ihnen einige Milchwagen, welche das Straßengeräusch alltäglich zu beginnen haben. Max fühlte keine Lust zu einer Unterhaltung; er gab seinen Gedanken Audienz, die er erst dann beendete, als er mit seinem Begleiter die Ruine erreicht hatte. Er schritt über den Hof derselben nach der Stelle, an welcher er sich in der vergangenen Nacht versteckt gehalten hatte.
Außerhalb des Gemäuers breitete sich ein schmales, ebenes Terrain aus, welches von Trümmern übersäet und mit Gras bewachsen war. Am Rande des Plateaus fiel es senkrecht in die Tiefe und bildete mit der nächsten Höhe eine Spalte, welche schmal, tief und von allen Seiten geschlossen war. Am Rande derselben stand eine alte Tanne, welche eine Anzahl ihrer starken Äste weit über den Abgrund hinausstreckte.
Gesellen.
»Thomas, da draußen ist heute Nacht Jemand ermordet worden.«
Der gute Schubert bekam einen Schreck, der ihm in alle Glieder fuhr. Mit weit aufgerissenen Augen und alle zehn Finger von sich streckend trat er einige Schritte zurück.
»Ermordet? Umgepracht? Tausendsapperlot! Wer denn? Von wem denn? Ich pin‘s nicht gewesen, Herr Doktor!«
»Nein, Du warst es nicht,« antwortete Max lächelnd. »Ich habe nicht weit davon gestanden und es weder verhindern, noch mir später Gewißheit verschaffen können. Laß uns einmal suchen, ob wir etwas entdecken.«
»Zu Pefehl, Herr Doktor! Augenplicklich werde ich suchen. Vielleicht ist der arme Teufel noch nicht ganz todt, und es gelingt uns, ihn wieder aufzupringen!«
Auch jetzt war ihre Nachforschung vergeblich, bis Max an die Tanne gelangte und da bemerkte, daß unter derselben das Gras niedergetreten war.
»Was meinst Du zu dieser Stelle, Thomas?«
»Was ich meine, Herr Doktor? Hier hapen sich ein Paar pei den Haaren gehapt und tüchtig herumgepalgt.«
Das Auge unwillkürlich emporhebend, machte Max jetzt eine Bemerkung, welche mit der nächtlichen That in Verbindung stehen mußte. In etwas über Manneshöhe waren an einem der Tannenäste zwei Schlingen zu sehen, welche jedenfalls von starken, hanfenen Schnüren herrührten, an denen eine bedeutende Last gehangen hatte, denn sie waren so fest zugezogen, daß sie in die rauhe Schale des Holzes eingeschnitten hatten. Beide Schnuren waren, das sah man deutlich, unterhalb der Schlingen mit einem Messer abgeschnitten worden, die eine vor längerer Zeit und die andere gewiß erst in der verflossenen Nacht, wie die Schärfe der Schnittfläche und die Farbe der Fasern bewies.
»Betrachte Dir doch einmal diese Schlingen, Thomas!«
»Zu Pefehl, Herr Doktor! Ich will gleich auf der Stelle den großen Ampos verschlingen, wenn sich da nicht Zwei aufgehängt hapen, die nachher wieder apgeschnitten worden sind!«
»Du meinst, sie haben sich selbst aufgehängt?«
»Natürlich! Man hängt sich doch stets selber an den Paum. Ein Anderer wird einem nicht gern pehilflich sein.«
»Und diese Spuren im Grase?«
»Sapperlot, das sieht allerdings aus, als op sie sich gewehrt hätten!«
»Diese eine Schlinge stammt von letzter Nacht, die andere ist höchstens drei Wochen alt. Hast Du während dieser Zeit einmal gehört, daß sich auf dem Klosterberge Jemand gehängt hätte?«
»Nein.«
»Die Ermordeten sind also nicht gerichtlich aufgehoben, sondern von den Mördern sofort wieder abgeschnitten worden und – »
Er trat an den Rand der Spalte und blickte hinab. Das kahle, nur an wenigen Stellen mit Büschelgras bewachsene Gestein zeigte die deutliche Spur eines Körpers, welcher zur Tiefe gestürzt war.
»Und,« fuhr er fort, »hier unten haben sie ihr Grab gefunden.«
»Hapen sie ihr Grap gefunden,« nickte Thomas, seinerseits auch aufmerksam hinabblickend. »Wir müssen Anzeige machen, Herr Doktor!«
»Ehe ich mich dazu entschließe, müssen wir ein Anderes untersuchen. Komm!«
Er schritt zum Brunnen und zog den Strick hervor, den er an dem Felsblock befestigte.
»Wir müssen hinab in den Brunnen.«
»Da hinap? Warum denn, Herr Doktor? Ist da auch einer umgepracht worden?«
»Nein. Bleib einstweilen noch oben und passe auf, daß uns Niemand überrascht!«
»Zu einer Üperraschung ists zu früh, Herr Doktor. Zur jetzigen Stunde kommt Niemand auf den Perg gestiegen.«
Max untersuchte den inneren Brunnenrand. Es war weder eine Leiter noch sonst etwas Derartiges zu bemerken; aber als er den hinunterhängenden Strick hin- und herschwankte, stieß dieser an ein Hinderniß, und bei schärferem Niederblicken gewahrte er, daß dieses in einem eisernen Bolzen bestand, welcher in die Brunnenmauer eingetrieben worden war.
Das Räthsel war gelöst. Jedenfalls führte eine Reihe solcher Bolzen, die zugleich als Stufen und Haltepunkte für die Hände dienten, zur Tiefe hinab, und das Seil hatte keinen anderen Zweck, als die Passage bis zum obersten Bolzen zu erleichtern, da dieser, müssen.
Max ließ sich an dem Stricke bis zu ihm hinab und sah seine Voraussetzung bestätigt. In kaum ellenweiter Entfernung von einander befand sich ein Bolzen unter dem andern, so daß er in größter Bequemlichkeit zur Tiefe gelangen konnte.
Als er in dem Munde des Brunnens verschwunden war, zog Thomas ein Streichholz hervor und steckte die Cigarre in Brand. Er hatte sie vorhin vor Schreck ausgehen lassen.
»Da ist er nun hinap, und wer weiß, was ihm da unten arrivirt. Seit er von seiner Reise wieder da ist, kommt ein Apenteuer auf das andere. Gestern der Einpruch in den Garten und die Hexe, heut die zwei Gehenkten und das Loch hier. Was wirds weiter gepen! Aper ein tüchtiger Kerl ist er, und eine gute Cigarre raucht er, das ist wahr. Diese Cupa ist noch pesser als die Ampalema. Wenn ich nur wüßte, wie ich es anfange, um noch eine zu pekommen.«
Unterdessen hatte Max den Boden erreicht und zog die Laterne hervor, um sie anzubrennen. Als dies geschehen war, leuchtete er um sich. Er bemerkte nichts, als die ihn eng umgebende Mauerrundung, welche hier unten nicht aus Ziegeln, sondern aus viereckigen Platten aufgeführt war. Eine Versammlung von vierzehn Personen konnte in dem engen Raume unmöglich abgehalten werden. Er nahm den Hammer und klopfte an die Mauer. Dem Aufstiege gegenüber vernahm er einen hohlen Klang. Er drückte, und zwei über einander liegende Platten bewegten sich nach innen, so daß eine Öffnung entstand, welche gerade groß genug war, daß ein Mann in gebückter Stellung sie passiren konnte.
Er trat ein. Der Eingang verschloß sich in Folge der Schwere der Platten ganz von selber. Sie waren an ihrer Rückseite mit Brettern verkleidet, durch welche sie zusammengehalten wurden. Er befand sich jetzt in einem ungefähr acht Fuß hohen, viereckigen Raume, welcher ringsum nothdürftig verschalt war; die Decke wurde von einigen Pfeilerstützen gehalten. Ein roh zusammengezimmerter Tisch stand in der Mitte, an dessen oberer Seite ein auf zwei Pfählen genageltes Brett wohl als Sessel des Vorsitzenden diente, während an den Wänden einige Bänke von derselben primitiven Konstruktion angebracht waren.
Die sorgfältigste Untersuchung des Raumes hatte kein weiteres Ergebniß, und keine Nadel, kein Papierschnitzel fand sich als Zeichen, daß sich hier vor noch ganz kurzer Zeit eine Anzahl Männer zusammengefunden hatten.
Er trat wieder hinaus in den Brunnen und blickte nach oben. Als Knabe hatte er sich mit einigen Schulkameraden mehrere Male hier herabgelassen. Der Brunnen schien ihm nicht mehr die frühere Tiefe zu besitzen, was jedenfalls eine Folge davon war, daß er die aus dem geheimen Versammlungsraum herausgeworfene Erde hatte aufnehmen müssen. Er blies das Licht aus, steckte die Laterne zu sich und stieg wieder nach oben.
Thomas saß auf dem Felsblocke und erwartete ihn.
»Das hat lange gedauert, Herr Doktor. Peinahe wäre ich nachgekommen.«
»War nicht nothwendig, lieber Schubert. Ich bin allein fertig geworden.«
»Ich darf wohl nicht fragen, was es da unten gegepen hat? Sie dachten gewiß, man könnte die peiden Leichen auch hier hinapgeworfen hapen.«
»Sie sind nicht aufzufinden,« antwortete er, den Gesellen bei dieser Meinung lassend.
Obgleich er von der Treue und Verschwiegenheit desselben vollständig überzeugt war, hielt er es doch für besser, den eigentlichen Zweck seiner Morgenpromenade geheim zu halten. Daher fuhr er fort:
»Vielleicht war das mit dem Aufhängen auch nur eine Täuschung. Es ist am Gerathensten, wir schweigen gegen Jedermann über diese Angelegenheit, von der wir doch nur amtliche Wege und Verantwortung hätten.«
»Ich pin gleich dapei, Herr Doktor. Mich hapen sie nicht erschlagen oder an den Paum geknüpft, und vor dem Gerichte und der Polizei hape ich all mein Leptage ganz gewaltigen Respekt gehapt. Von mir erfährt Niemand, wo wir gewesen sind.«
»Auch die Barbara nicht?« frug Max lächelnd, an die gestrigen Worte des Kavalleristen denkend.
»Auch die Parpara nicht, Herr Doktor,« versicherte dieser. »Pei einem Weipsen ist so etwas erst recht unsicher aufgehopen!«
Sie traten den Heimweg an.
Aus der Schmiede tönten ihnen schon von Weitem mächtige Hammerschläge entgegen. Vor der Thür derselben hielten mehrere Pferde, von Reitknechten in königlicher Livrée gehalten. gefehlt!«
»Ich werde Dich entschuldigen. Hier nimm noch diese Cigarren für Deine Begleitung!«
»Alle?«
»Alle!«
»Zu Pefehl, Herr Doktor, und danke pestens,« antwortete er, das dargereichte Etui leerend. »Diese Cupa ist ausgezeichnet und von einem guten Tapak faprizirt. Die muß ich heut der Parpara vorrauchen, die sich wundern wird, was der Thomas Schupert für ein feiner Kerl geworden ist!«
Mit dem Rücken nach dem Feuer stand der Hof-, Kur-, Huf- und Waffenschmied Brandauer und hielt ein mit der Zange gepacktes Stück glühendes Eisen auf den Ambos. An der andern Seite desselben schwang ein Mann, dessen Kleidung ihn nicht als Schmied kennzeichnete, den großen Zuschlagehammer, daß ringsum die Funken sprühten. habe.
Es war der König.
Hohe Herren haben ihre Passionen. Es gibt berühmte Herrscher, welche als Goldschmiede, Drechsler, Köche ganz Beträchtliches leisteten; Peter der Große wurde sogar Schiffszimmermann. Jedermann im Lande kannte die außerordentliche Liebhaberei des Königs für die Schmiedekunst, und Jedermann in der Residenz wußte, daß der hohe Herr diese Kunst sehr fleißig und geschickt in der Hofschmiede ausübte. Wenn die Sorgen der Regierung ihm einmal allzu drückend wurden oder er aus irgend einem andern Grunde das Bedürfniß empfand, sich zu zerstreuen, ging er zur Schmiede und griff zu Hammer und Zange. Die hohen Würdenträger sahen dies gern, weil er dann jedesmal heiter und guter Laune zurückkehrte, was sein.
Auch heute war der König schon am frühen Morgen erschienen, um sich einige Pferde seines ausgezeichneten Marstalles selbst zu beschlagen. Die Gesellen und Lehrjungen hatten sich entfernen müssen, und nun erklang neben dem Takte der Hammerschläge das Gespräch der beiden Männer, die sich äußerlich so fern und innerlich so nahe standen.
»Also keine Jesuiten, Brandauer?« frug der König.
»Nein, Majestät. Sie sind Baum.«
»Hast Recht, Brandauer,« klang es unter Hammerschlägen. »Der Herzogpräsident will sie haben, aber ich, ich will sie nicht, ebenso wenig wie Du. Gieb das Eisen noch einmal ins Feuer!«
Der Schmied gehorchte und zog den Blasebalg an.
»Und was war das andere, was Du mir noch sagtest?« frug der König, den Arm auf den Hammerstiel stützend.
»Das von der Revolution.«
»Pah! Leeres Gerede, von französischen Müßiggängern angestiftet. Ich thue meine Pflicht, und mein Volk ist mit mir zufrieden. Schau diesen Hammer! Mit ihm zermalme ich das Eisen. Es gibt einen Hammer, unter dem die Rebellion zerstiebt. Was sagst Du zu den Zollstreitigkeiten mit Süderland?«
»Wie viel bringt der Zoll im Jahr?«
»Wenig; gegen fünfmalhunderttausend Thaler.«
»Und was kostet die Bewachung der Grenze?«
»Einige zehntausend Thaler mehr als diese Summe.«
»So lassen Sie den Zoll fallen, Majestät!«
»Von dem angezogenen Gesichtspunkte aus hast Du Recht, doch muß diese Frage auch von anderen Seiten beleuchtet werden, die Deinem Verständnisse fern liegen.«
»Ich denke wie mein Junge, und der verstehts!« antwortete der Schmied kurz und mit väterlichem Stolze.
»Was sagt er zu der Todesstrafe?«
»Weg damit!«
»Gut. Muß ihn einmal hören. Heraus mit dem Eisen, Alter!«
Wieder klang der Hammer und wieder stoben die Funken. Da trat Max ein und grüßte mit einer tiefen, respektvollen Verbeugung den hohen Gehilfen seines Vaters.
»Guten Morgen, Herr Doktor! Wieder zurück in die Heimath?« Er schlug zu, bis das Eisen wieder in das Feuer mußte, dann reichte er ihm mit sichtlichem Wohlwollen die Hand. »Willkommen! Hast Du Zeit, mein Bursche?«
»Stets für Ew. Majestät!«
»Dann herunter mit dem Rocke, das Schurzleder um und den Hammer in die Hand. Wollen einmal wieder zu Dreien schlagen!«
Im Garten saßen die Gesellen und plauderten, in ihrer Nähe, wie gewöhnlich, die Lehrjungen. Wenn der König in der Werkstatt war, hatten sie stets freie Zeit.
»Wenn da jetzt Jemand zuhören könnte!« meinte Heinrich, der Artillerist. »Da wird Politik getrieben und manche Frage entschieden, von der selbst der Minister nichts zu hören bekommt.
»Ja, das ist am den!« bekräftigte Baldrian.
»Der Alte ist ein praktischer Kopf, aber der König richtet sich doch mehr nach dem, was der junge Herr sagt, wenn er es sich auch nicht merken läßt. Aus dem wird gewiß noch etwas Großes.«
Baldrian nickte sehr eifrig mit dem Kopfe.
»Vielleicht gar ein Kavalleriewachtmeister,« fuhr Heinrich fort, hinüber zu Thomas schielend.
»Das ist möglich,« antwortete dieser ruhig, »denn zur Artillerie zu gehen wird ihm nimmermehr einfallen; die ist zu grop und unverschämt.«
»Ist das am den?« frug Baldrian, dem es stets Vergnügen gab, die Beiden aneinander zu bringen.
»Natürlich! Und wers nicht glaupen will, der praucht nur einen Plick auf den Heinrich da zu werfen, dann wird ers wohl pegreifen, daß ich Recht hape. Wir von der Reiterei dagegen sind immer feine Leute; denn warum geht der junge Herr am liepsten mit mir, he? Und wer pekommt die meisten Ampalema? Wer hat heut sogar siepen Stück Cupa pekommen? Der Thomas von der Kavallerie!«
»Und wer hat gestern Abend sogar eine Flasche Wein von ihm erhalten?« neckte Heinrich.
»Ich glaupe, Du jedenfalls nicht!«
»Nein, aber der Baldrian von den Grenadieren.«
»Ist das wahr, Paldrian?«
»Das ist am den!« nickte stolz der Gefragte.
»Pei wem denn und wofür denn? Oder ist das etwa ein Geheimniß?«
Der Grenadier nickte bedächtig.
»Das ist am den!«
Dann erhob er sich und schob sich langsam von dannen. Es lag nicht in seiner Absicht, sich ausfragen zu lassen. Thomas und Heinrich aber neckten sich fort, bis der Meister nach ihnen rief. Der König hatte in Begleitung des Doktors die Schmiede verlassen; nun konnten die Gehilfen wieder an ihre gewohnte Arbeit gehen.
Erst nach Verlauf von über einer Stunde kehrte Max zurück. Rasse.
»Bekommen?« frug der Vater, vor die Thür tretend.
»Ja, sogar auch vom Minister.«
»Du bringst sie natürlich zu uns!«
»Versteht sich!«
Er nahm den Rappen in die Zügel und sprengte im kurzen Galoppe davon. Der Schmied sah ihm nach, so lange er es vermochte; es konnte Niemand stolzer sein als er auf seinen Sohn.
Max verfolgte dieselbe Straße, auf welcher er heute Morgen nach der Ruine gelangt war. Von da führte sie immer längs des Flusses stromaufwärts in das Gebirge, wo in etwa drei Meilen Entfernung von der Residenz ein steiler Höhenzug bis hart an das Ufer trat und dort eine natürliche Felsenbastion bildete, auf welcher sich das alte Schloß erhob, dessen aus den verschiedensten Jahrhunderten stammende Baulichkeiten jetzt die Landesirrenanstalt bildeten. Der Direktor derselben war ein ehemaliger hoher Militärarzt, welcher durch die Protektion des Herzogs von Raumburg diese höchst einträgliche Stellung erhalten hatte.
Er hatte sich vor wenigen Minuten erhoben und saß mit seiner Familie bei dem sehr reichlich ausgewählten Frühstücke. Der Mann erfreute sich eines bedeutenden Leibesumfanges, und seine feisten, glänzenden Wangen gehörten ganz entschieden zu der Kategorie der Hängebacken.
»Nichts Neues, meine Liebe? Bitte, schenke mir nochmals ein!«
»Es kam diese Nacht ein Kurier vom Herzog. Er wollte unbedingt Dich selber sehen; ich sagte ihm jedoch, daß Du verreist seist. Hier hast Du Kaffee! Ist er süß genug?«
»Recht so, mein Herz! Der Schlaf ist das bedeutendste Bedürfniß der menschlichen Konstitution; wer ihn kürzt, kürzt sich das Leben. Die Depesche kommt auf alle Fälle noch rechtzeitig zum Lesen. Bitte, thu mir noch ein Stück Zucker in die Tasse!«
»Sie liegt hier auf dem Teller. Willst Du sie öffnen? Hier ist Zucker!«
»Laß sie liegen! Jede Lektüre bei Tische strengt mittelbar diejenigen Theile unseres Körpers an, welche der Verdauung, also der Erhaltung unseres Lebens dienen. Gieb mir noch ein Brödchen; aber etwas mehr Butter darauf!«
»Hier hast Du, mein Lieber! Was wünschest Du zum zweiten Frühstücke? Wirst Du zum Morgenrapporte heut nicht etwas zu spät kommen?«
»Nein, liebe Frau; der Vorgesetzte kommt niemals zu spät; das mußt Du Dir merken. Eine kleine, noble Verzögerung, wie Du sie ja auch stets beim Besuche der Soiréen und Kränzchen in Anwendung zu bringen pflegst, gehört mit zu den Vorzügen und Rechten der Distinktion. Dein Schinken war gestern gut; ich möchte von ihm haben, doch gieb mir statt des Bordeaux einmal einen Trébisond. Er ist zwar etwas schwer, aber meine angegriffenen Nerven bedürfen einer solchen Stärkung. Ich glaube, ich werde einige Wochen in das Seebad gehen müssen. Ein Stück Torte hast Du wohl übrig. Magst Du mir die Tasse nochmals füllen?«
»Hier, mein Guter! Es ist wahr, Du strengst Dich wirklich zu sehr an, was um so mehr zu bedeuten hat, als diese Anstrengung eine rein geistige ist, ganz abgesehen davon, daß die tägliche Revision der Zellen auch bedeutend echauffirt. Ich werde den Konditor abdanken. Er macht mir seit einigen Tagen zu viel Mandeln in das Gebäck, welches dadurch einen bittern Geschmack erhält, der mir den ganzen Tag nicht von der Zunge kommt.«
»Ich empfehle Dir allerdings, zu einem andern zu gehen. Die bittre Mandel hat einen ganz bedeutenden Gehalt an Blausäure, bekanntlich eines der stärksten Gifte, und ich habe natürlich nicht im mindesten die Intention, mich von dem ersten besten Zuckerbäcker umbringen zu lassen. – Was Du da von der geistigen Anstrengung sagst, hat seine vollständige Richtigkeit, ganz besonders aber bei dem Irrenarzte. Durch das stete Beisammensein mit geistig gestörten Subjekten schwebt man stets in höchster Gefahr, selbst verrückt zu werden, wie es ja Fälle gegeben haben soll, daß irrthümlich Internirte, welche vollständig gesund waren, dadurch wirklich monoman geworden sind. Ich halte mich in Folge dessen von jeder näheren Beziehung zu meinen Wahnsinnigen und jeder Beobachtung ihres Zustandes grundsätzlich fern. So, das hat geschmeckt, und nun gib die Depesche her, meine Liebe!«
Sie reichte ihm das sorgfältig versiegelte Schreiben; er erbrach dasselbe, um es zu lesen.
»Hm, ein neuer Zuwachs!« meinte er sodann, das Papier zusammenfaltend.
»Männlich?«
Zigeunerin.«
»Ah! Jedenfalls eine Landstreicherin. Woher wird sie eingeliefert?«
»Sie kommt selbst.«
»Selbst? Freiwillig? Wie ist das möglich?«
»Sie kommt, um ihren Sohn zu besuchen, und wird dabei festgehalten.«
»Wer ist ihr Sohn?«
»Nummer Elf der Tobsüchtigen.«
Die ältere Tochter legte den Kaffeelöffel klirrend in die Tasse zurück.
»Der hübsche Offizier, welcher immer behauptete, er sei gesund und werde nur aus schlimmen Gründen für krank erklärt?«
»Derselbe, mein Kind.«
»Papa, ich halte ihn für nicht wahnsinnig, und die beiden Unterärzte sind ganz derselben Meinung.«
»Woher weißt Du das Letztere?« frug er frappirt.
»Ich hörte diese Bemerkung, welche sie aussprachen, ohne meine Gegenwart zu wissen.«
»Die beiden Assistenten sind noch jung im Berufe und haben also kein Urtheil. Der Oberarzt hat ebenso wie ich die Krankheit konstatirt, und überdies liegt über dieselbe ein Urtheil unserer allmächtigen Durchlaucht vor, welches Du wohl als untrüglich gelten lassen mußt. Nummer Elf wird die Anstalt nicht verlassen. Seine Störung tritt täglich mehr und mehr hervor; er gehört bereits zu den Tobsüchtigen, und da ich ihn nicht anders als durch Kostentziehung zu diszipliniren vermag, so ist er körperlich bereits so abgeschwächt, daß er sich binnen kurzer Zeit todtrasen wird. Er kommt ohnehin aus der Zwangsjacke niemals heraus.«
»Es muß hier ein höchst interessantes Geheimniß vorliegen, Papa. Er war Hauptmann trotz seines jugendlichen Alters und ist der Sohn einer Zigeunerin. Der Herzog lieferte ihn ein und gibt Dir jetzt auch den Befehl, seine Mutter festzuhalten. – Hast Du den »Irren von St. James« von Philipp Galen gelesen, Papa?«