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Kitabı oku: «Scepter und Hammer», sayfa 4

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»Mein Kind, ich habe nach der Überzeugung zu handeln, daß sich der Herzog und die Wissenschaft niemals irren können. Die Familienbeziehungen der Eingelieferten gehen mich nichts an, und daß mir für die Lektüre von Romanen nicht die mindeste Zeit übrig bleibt, weißt Du ja. Ich glaube sehr, daß an Deinem »Irren von St. James« nicht ein Tüpfelchen Wahrheit ist!«

Er erhob sich, um sich zum Rapporte zu begeben.

Die Ärzte standen bereits, von dem Diener eingeführt, in seinem Arbeitskabinete. Sie hatten schon über eine halbe Stunde auf ihn gewartet.

»Guten Morgen, meine Herren,« grüßte er herablassend. »Setzen Sie sich! Ehe ich Ihnen den täglichen Bericht abnehme, muß ich Sie auf einen Umstand aufmerksam machen. Es wird nämlich im Laufe des Vormittags eine Zigeunerin erscheinen, um ihren Sohn zu sehen. Diese Person ist wahnsinnig und wird sofort, das will ich gestatten, da die mir gewordene Instruktion es nicht verbietet, auf fünf Minuten zu ihrem Sohn gebracht, dann aber ohne jede weitere Manipulation in einer der Zellen für tobsüchtige Weiber installirt.«

»Wer ist ihr Sohn?« frug der Oberarzt.

»Der Hauptmann Nummer Elf.«

Die beiden Assistenten warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu, und auch über das Gesicht des Oberarztes zuckte ein nur halb unterdrückter Zug der Überraschung.

»Seine Mutter eine Zigeunerin? Darf ich fragen, von wem die erwähnte Instruktion gegeben wurde?«

»Von Seiner Durchlaucht dem Herrn Ministerpräsidenten und Generalissimus Herzog von Raumburg.«

»Dann ist sie allerdings wahnsinnig. Seiner Durchlaucht stehen so untrügliche ärztliche Kapazitäten zur Seite, daß eine Untersuchung hierorts vollständig überflüssig ist.«

»Natürlich! Ich wünsche nicht, – verstehen Sie wohl, meine Herren, in Folge der betreffenden Instruktion wünsche ich nicht, daß Sie Ihre ja sonst schon so außerordentlich in Anspruch genommene Divinationsgabe an der übergeschnappten Landstreicherin vergebens verschwenden. Und jetzt nun zum Rapporte!«

Dieser nahm nur wenige Minuten in Anspruch. Die Untergebenen kannten genugsam das Prinzip ihres Vorgesetzten, die Leitung der Anstalt in der Weise zu führen, daß durch dieselbe seine Verdauung nicht gestört werde.

Eben war man beim Schlusse angelangt, als der Pförtner eintrat, um zu melden, daß eine Zigeunerin im Empfangszimmer sei, welche einen Internirten zu sprechen wünsche, den sie als ihren Sohn bezeichne. bekannt.«

Der Angeredete entfernte sich, ertheilte auf dem Korridore einige Befehle und begab sich dann in den Empfangsraum. Es war Zarba, welche seiner dort wartete.

»Wer ist Sie?« frug er barsch, sie mit seinem stechenden Auge scharf fixirend.

»Ich heiße Zarba und bin die Vajdzina meines Stammes.«

»Was will Sie?«

»Lese der gestrenge Herr dieses Papier, welches mir der Herzog von Raumburg geschrieben hat!«

»Sie war bei ihm selbst?«

»Ja.«

Er entfaltete und überflog den Befehl.

»Komme Sie!«

Er verließ mit ihr das Zimmer, schritt über den Hof hinüber und betrat ein finster dreinschauendes und mit eng und stark vergitterten Fenstern versehenes Gebäude. Hier stieg er eine Treppe empor, ließ sich von einem robusten Wärter die Eingangsthüre zu einem dunklen Korridore öffnen und schob die schweren eisernen Riegel von einer der hier befindlichen, stark beschlagenen Thüren.

»Hier herein!«

Sie trat ein. Ein doppelter Aufschrei erscholl; er aber schlug die Thür hinter ihr zu, blickte auf seine Uhr und begann dann, langsam den Korridor auf- und abzuschreiten.

In den zahlreichen Zellen zu beiden Seiten des engen Ganges herrschte ein mehr als reges Leben. Hier vernahm man ein zorniges Gestampfe, dort den Tritt eines rasenden Tanzes, dazwischen erscholl weiterhin ein brüllender Gesang, lautes Ächzen und Stöhnen, markerschütternde Hilferufe, gräßliche Flüche und Verwünschungen tönten dazwischen, oder es ließ sich eine zum Erbarmen flehende Stimme vernehmen. Der Oberarzt schien kein Ohr für all diese fürchterlichen Zeichen des schrecklichsten Zustandes geistiger Zerrüttung zu haben. Er schritt ruhig hin und her, warf zuweilen einen Blick auf die Uhr und trat, genau als die fünf Minuten abgelaufen waren, wieder an die Thür, hinter welcher nach dem ersten Aufschrei tiefe Stille geherrscht hatte. Er öffnete und befahl:

»Komme Sie einmal heraus!«

»Schon! Ich bitte den gestrengen Herrn, mich – —«

»Ruhe! Sie wird nachher wieder herein dürfen. Jetzt aber komme Sie!«

Sie trat zögernd heraus. Ihre Augen standen voller Thränen, und in ihrem verwitterten, runzelvollen Antlitze lag ein Ausdruck von Schmerz, Wuth und Rachsucht, der sich unmöglich beschreiben läßt.

»Warum hat man meinen Sohn eingeschnürt, Herr? Der Schaum und das Blut steht vor seinem Munde; er kann sich nicht bewegen, nicht reden; der Schmerz treibt ihm die Augen aus dem Kopfe und – —«

»Ruhe! Sie hat mir schweigend zu folgen!«

Er führte sie über einen zweiten Hof nach einem ähnlichen Gebäude, welches sie soeben verlassen hatten und in einen gerade so engen und finstern Korridor. Hier öffnete er eine Thür.

»Trete Sie ein!«

Die Zelle hatte ein schmales, niedriges, mit einem Gitterkorbe versehenes Fenster, durch welche der Schein des Tages nur mühsam einzudringen vermochte; die dicken Mauern waren mit starken Pfosten ausgekleidet, und mehrere an ihnen herabhängende Ketten erhöhten den abschreckenden Eindruck, welchen dieser Raum machen mußte.

Die Zigeunerin trat einen Schritt zurück. Eine fürchterliche Ahnung schien sich ihrer zu bemächtigen.

»Was soll ich da drin?«

»Das wird Sie sehen!«

»Ich gehe nicht eher hinein, als bis ich es weiß. Ich will zurück zu meinem Sohne!«

»Vorwärts!«

Ohne weitere Umstände erfaßte er sie und schob sie in die Zelle, deren Thür er wieder verriegelte.

»Die Frau bleibt in dieser Nummer,« befahl er einer bereitstehenden Wärterin. »Wenn sie sich nicht ruhig verhält, geben Sie ihr die Zwangsjacke. Zu essen bekommt sie heute nichts!«

Als er über den Hof schritt, kam ihm der Pförtner entgegen.

»Herr Oberarzt, ich suche Sie. Es ist ein Herr gekommen, welcher die Anstalt zu sehen wünscht, und ich weiß nicht, ob ich den Herrn Direktor jetzt stören darf.«

»Wer ist es?«

»Ein sehr feiner Herr. Er hat seinen Namen nicht genannt.«

»Werden sehen.«

Er inspizirte vorher gemächlich einige Spazierhöfe und begab sich.

»Der Herr Direktor?« frug er mit einer nicht sehr tiefen Verbeugung.

»Der Oberarzt,« antwortete dieser frostig. Er mochte glauben, einen Literaten und Berichterstatter von der Sorte, welche gern die öffentlichen Anstalten interviewt, vor sich zu haben.

»Ich bat, den Herrn Direktor sprechen zu dürfen. Ist er verreist?«

»Ihr Name?«

»Hier meine Karte!«

Diese trug die einfache Aufschrift »Dr. Max Brandauer.« Der Oberarzt verbeugte sich kalt.

»Sie wünschen, einen Gang durch unsere Anstalt machen zu dürfen?«

»Allerdings.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Zum Zwecke der Berichterstattung.«

»Ah!«

Über das Gesicht des Oberarztes flog die Genugthuung, daß er sich in seiner Voraussetzung nicht getäuscht habe.

»Ich gestatte Ihnen den Zutritt und werde Sie durch einen der Wärter führen lassen.«

»Ich wünsche die Begleitung des Herrn Direktors!«

»Geht nicht! Er und vier Ärzte sind von unserem schwierigen Berufe so sehr in Anspruch genommen, daß wir uns unsere kostbare Zeit nur von Vorgesetzten oder Herren höherer Extraktion kürzen lassen dürfen.«

Max lächelte.

»So bin ich also nicht extrakt. Bitte, lesen Sie diesen Befehl, mein Herr!«

Er zog einen zusammengefalteten Bogen aus der Tasche und reichte ihn dem Arzte hin. Dieser blickte überrascht und ein wenig verlegen auf. Das Papier enthielt einen sehr kurz gefaßten Befehl des Ministers des Innern, dem Vorzeiger desselben als königlichen Kommissär alle Zellen und Räume der Anstalt zu öffnen und ihm auf alle seine Fragen die ausführlichste Antwort zu ertheilen.

»Das ist etwas Anderes, mein Herr,« meinte der Arzt beinahe stotternd.

»Bitte, bemühen sich der Herr Doktor mit mir zum Herrn Direktor!«

Er führte ihn ungesäumt in das Arbeitskabinet des Letzteren. Es war leer. Die Direktion hatte sich nach der Anstrengung des Rapportes einem stärkenden Morgenschläfchen in die Arme geworfen.

»Darf ich ersuchen, Platz zu nehmen? Ich werde den Herrn Kommissär sofort melden.«

»Wohl! Doch wünsche ich nicht, wieder eine halbe Stunde warten zu müssen. Meine Zeit ist mir noch kärger zugemessen als den Herren Ärzten!« klang die kurze Antwort.

Sie war von Erfolg, denn schon nach kaum zwei Minuten trat der Direktor ein, den schriftlichen Befehl noch in der Hand. Es war ihm deutlich anzusehen, daß er im Schlafe gestört worden war.

»Herr Kommissär, ich habe die Ehre – —«

»Bitte, Herr Direktor, wo haben Sie den Herrn Oberarzt gelassen?«

»Er mußte schleunigst zu einem Kranken, welcher – —«

»Bitte, rufen Sie ihn ebenso schleunigst zurück! Sie könnten sonst in den Verdacht kommen, daß er beauftragt sei, die Anstalt auf meine Inspektion vorzubereiten.« ein.

»Brechen wir auf, meine Herren!« gebot Max. »Ich wünsche zunächst die Kollektivräume, wie den Andachtssaal, die Küche, Spazierorte und so weiter zu sehen, und dann gehen wir die Einzelzellen durch.«

Es war das erste Mal, daß ein königlicher Kommissär vollständig unangemeldet die Anstalt überraschte, und das scharfe Auge des Doktors erblickte Manches, über welches er zwar einen lauten Tadel zurückhielt, doch bemerkten seine Begleiter an den zahlreichen Notizen, welche er eintrug, daß sie es nichtsdestoweniger mit einem strengen Besuche zu thun hatten.

Der Rundgang durch dieses Haus der Irren ließ Max einen tiefen Blick in die Leiden thun, denen der menschliche Geist ausgesetzt ist. Es gab da Gemüthskranke, welche irgendein eingebildetes Ereigniß betrauerten, Idioten, die leise und unablässig vor sich hinwimmerten, Tiefgestörte, welche nie einen Laut von sich gaben, und Redselige, die keinen Augenblick zu schweigen vermochten. Es gab da Künstler und Dichter, die, berühmt durch ihre Werke, hier an kindischer Einbildung laborirten oder unter dem Eindrucke eines finstern Phantomes wie seelenlose Kreaturen dahinvegetirten. Einer hielt sich für einen Tiger. Man hatte seine Zelle in einen Menageriekäfig verwandeln müssen; er aß nur rohes, blutiges Fleisch, welches er mit den Zähnen und seinen langen Nägeln zerriß, und brüllte wie ein wildes Thier. Ein Anderer drehte sich unablässig um sich selbst; er bildete sich ein, die Erdachse zu sein. Ein Fernerer beobachtete den Himmel durch eine wie ein Fernrohr gebrauchte Papierrolle; er hielt sich für Galilei und entdeckte alle Tage neue Sterne. Ein Weiterer glaubte Bonaparte zu sein; er stand laut kommandirend in seiner Zelle und dirigirte die Schlacht bei Wagram.

In der Zelle Nummer Elf saß ein junger Mensch, in der Weise in die Zwangsjacke eingepreßt, daß die furchtbare Kongestion nach dem Kopfe ihm den Verstand rauben mußte. Dicker Schaum triefte ihm aus dem Munde, und die blutunterlaufenen Augen quollen aus ihren Höhlen. Er vermochte nicht zu sprechen, sondern ließ bei dem Eintritte der drei Männer nur ein wildes, unartikulirtes Ächzen vernehmen, in welchem sich die entsetzlichste Todesangst ausdrückte.

Max.

»Er hat sich an seinem Wärter vergriffen und ihn beinahe getödtet. Er ist der Schlimmste der Tobsüchtigen und nur auf diese Weise zu zähmen.«

Im Weiberhause wiederholten sich mit den durch das Geschlecht bedingten Abänderungen ganz dieselben Szenen und Verhältnisse. Aus einer der Zellen erscholl ein so entsetzliches Geschrei, daß Max es nicht anzuhören vermochte.

»Um Gotteswillen, Herr Direktor, gibt es kein Mittel, diese Leute zum Schweigen zu bringen?«

»Sie werden von selbst aufhören. Man hat diese Art Gebrüll stets zu hören, wenn ein Zuwachs zum ersten Male in die Jacke kommt.«

»Diese Person befindet sich also erst seit Kurzem hier?«

»Seit heute.«

»Wer ist sie?«

»Eine Zigeunerin.«

»Ah! Welcher Art ist ihr Wahnsinn?«

»Das hatten wir noch nicht Gelegenheit zu beobachten, Herr Doktor.«

»Aber durch die Einlieferungsakten muß Ihnen eine Bemerkung darüber doch unbedingt zugegangen sein?«

»Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, sie zu lesen.«

»Bitte, lassen Sie öffnen!«

Die begleitende Wärterin schob die Riegel zurück. Inmitten der Zelle lag Zarba auf der Diele; ihre Füße staken in eisernen Klammern und ihr Oberkörper war ganz in derselben Weise wie bei dem Irren Nummer Elf eingeschraubt. Max hatte Mühe, seine Ruhe zu bewahren.

»Ist diese Behandlung durchaus nöthig, Herr Direktor?«

»Durchaus.«

»Aus welchem Grunde?«

»Nun?« frug der Direktor die Wärterin.

»Sie schlug an die Thür und begehrte, herausgelassen zu werden.«

»Dieser Begehr ist ein sehr natürlicher und, wie mir scheint, hier auch gerechtfertigt. Ich ersuche Sie, Herr Direktor, die Gequälte aus ihrer Lage zu befreien!«

»Ich darf diesem Wunsche unmöglich Gehör schenken, Herr Doktor. Es ist eine Heilung vollständig unmöglich, wenn man verzeihen!«

Der Beamte wußte gar wohl, warum er diese Antwort gab. Entfesselte er die Zigeunerin, so stand gewiß eine Enthüllung der Angelegenheit bevor, über welche der Kommissär am wenigsten Etwas erfahren durfte.

»Es ist Ihnen also unmöglich, meine Bitte zu erfüllen?«

»Leider!«

»So befehle ich es!«

Der Direktor blickte ihm halb verwundert und halb besorgt in das Gesicht. Es gab nur einen Ausweg:

»Ich darf auch diesen Befehl nicht berücksichtigen, Herr Doktor. Überhaupt habe ich Befehle zu erhalten nur von Vorgesetzten, welche Eigenschaft Sie allerdings nicht besitzen. Die Excellenz hat mir befohlen, Ihnen alle Auskunft zu ertheilen, nicht aber, Befehle von Ihnen entgegen zu nehmen!«

»Schön! Bitte, lesen Sie auch Dieses!«

Er zog ein zweites Schreiben hervor und überreichte es. Der Direktor erbleichte, als er seinen Inhalt überflog.

»Sie sehen, Herr Direktor, daß es mir allerdings hier zusteht, jede mir beliebige Verfügung zu treffen; diese eigenhändige Instruktion Seiner Majestät muß Sie davon überzeugen. Lassen Sie diese Frau nicht sofort entfesseln, so entsetze ich Sie auf der Stelle Ihres Amtes!«

Diese Drohung hatte einen augenblicklichen Erfolg. Der Direktor war der Wärterin sogar selbst behilflich, die Jacke aufzuschnallen und die Klammern zu lösen. Kaum vermochte die Gemarterte, wieder frei zu athmen, so verstummte ihr Geschrei; aber eine Aufklärung ihrerseits hatte der Beamte nicht zu befürchten; sie sank besinnungslos zu Boden. Er sollte aber die Überzeugung erhalten, daß der Kommissär besser unterrichtet sei als er selbst.

»Sie sprachen vorhin von den Einlieferungsakten dieser Kranken, die Sie noch nicht studirt haben?«

»Allerdings.«

»Sie haben dieselben aber bereits in Ihrer Hand gehabt?«

»Ja.«

»Sie lügen!«

»Herr Doktor – —!«

»Ich wiederhole es, Sie lügen. Bitte, schicken Sie sofort, sie herbeiholen zu lassen!«

»Ich glaube – ich hoffe, Herr Doktor, daß – ich wollte sagen —«

»Nun, was wollten Sie sagen?«

»Daß diese Akten allerdings nicht ganz die gewöhnliche Form besitzen – »

»Sondern nur in einem Befehle des Herzogs von Raumburg bestehen?«

Der Direktor erschrak auf das Heftigste. Wer war dieser junge Mann, dieser einfache »Doktor Max Brandauer«, der doch ein so außerordentliches Vertrauen des Königs besaß, daß er mit augenblicklicher Entlassung drohen konnte? Und wie kam er dazu, von dem Befehle des Herzogs zu wissen?

»So – so – ist es!« stotterte er.

»Sie werden mir diesen Befehl ausliefern!«

»Herr Doktor, ich kann nicht sagen, ob er sich noch vorfinden wird.«

»Sie werden ihn finden, um eine amtliche Durchsuchung Ihrer Papiere zu vermeiden. Diese Frau betrat die Anstalt, um ihren Sohn zu besuchen?«

»So ist es.«

»Wo befindet sich derselbe?«

»In Nummer Elf der Tobsüchtigen.«

»Ah! Jener so furchtbar Gefesselte ist es? Vorwärts, meine Herren; er wird sofort aus seinen Banden befreit!«

Er eilte so schnell voran, daß ihm die beiden Andern kaum zu folgen vermochten. Der Direktor schwitzte vor Angst; er wagte während des raschen Ganges kein Wort mit dem Oberarzte zu wechseln.

»Nummer Elf öffnen!« rief Max schon unter der Korridorthür dem Wärter zu.

Die beiden Unterärzte befanden sich auf einem Rundgange in der Nähe. Sie traten herbei, überrascht darüber, daß ein Fremder hier in so stürmischer Weise das Kommando führte.

»Herr Doktor Brandauer, königlicher Kommissär!« keuchte der Direktor.

Der Genannte aber eilte achtlos an den beiden Männern vorüber und trat in die Zelle.

»Herunter mit der Jacke, augenblicklich herunter!« gebot er.

Der Wärter blickte seine Vorgesetzten fragend an. wurde.

Jetzt war es Max, welcher beim Öffnen des Marterwerkzeuges mithalf.

Der Befreite sog die Luft in einem tiefen Zuge in die von der entsetzlichen Pressung erlöste Lunge und versuchte, die Glieder zu recken, die von dem stagnirenden Blute angeschwollen waren. Aber die Fähigkeit, zu denken, schien ihm noch nicht zurückgekehrt zu sein.

»Der Name dieses Mannes, Herr Direktor!«

»Von Wallroth, vormals Hauptmann der Artillerie.«

»Seine Einlieferungsakten – ?«

Der Direktor schwieg.

»Ich verstehe! Sie waren jedenfalls ganz von derselben Beschaffenheit wie diejenigen seiner Mutter. Herr Direktor, es scheinen unter Ihrer Leitung Dinge vorzugehen, welche mich veranlassen, eine strenge Untersuchung zu beantragen. Halten Sie den Hauptmann wirklich für wahnsinnig?«

»Natürlich!«

»Wer sind diese beiden Herren?«

»Meine Unterärzte.«

»Meine Herren,« wandte er sich an diese, »ich bitte um Ihre Meinung über diesen Punkt.«

»Herr Kommissär – !«

»Keine Ausflucht oder Bemäntelung! Ich frage Sie auf Ihre Ehre und Ihr Gewissen, ob Sie diesen Bedauernswerthen wirklich für wahnsinnig halten. Ihre Antwort wird über Ihre Stellung und Zukunft entscheiden.«

»Er wird es in kurzer Zeit sein,« antwortete der Muthigere von Beiden.

»Das genügt und stimmt mit meiner eigenen Überzeugung vollständig überein. Herr Direktor, ich erkläre den Hauptmann sammt seiner Mutter für frei und aus der Anstalt entlassen. Sorgen Sie augenblicklich für die nöthige Stärkung der Beiden und dann für einen Wagen, in welchem sie mich nach der Residenz begleiten. Vorher aber wollen wir noch sehen, ob der Befehl zu finden ist, welchen Sie heute von Seiner Durchlaucht durch einen Expressen erhielten. Das Weitere wird durch die Behörde verfügt werden, deren Instruktion Sie so gern respektiren!« —

Fünftes Kapitel: An der Grenze

Das Königreich Norland wird von dem Nachbarstaate Süderland durch ein Gebirge getrennt, welches in zwei parallelen Systemen von Westen nach Osten streicht. Sich nach und nach aus tiefen, sumpfigen Niederungen erhebend, steigt es in seiner mittleren Region viele tausend Fuß hoch über die Wolken empor und senkt sich dann allmählig zur Küste des Meeres hinab, um sich seinen felsigen Fuß von den Wogen desselben bespülen zu lassen. Nur einige schmale, schwer wegsame Pässe öffnend, bilden die beiden Hauptzüge zwischen sich eine langgezogene Reihe von Thälern und Schluchten, in welche der erwärmende Strahl der Sonne nur am hohen Mittag zu dringen vermag. Aus ihrem feuchten Grunde steigen düstere Tannen- und Föhrenwälder empor, welche nur selten der menschliche Fuß betritt, und läßt sich je einmal das Geräusch von Schritten vernehmen, so wird es verursacht von einem einsam revierenden Forstbeamten, einem verborgen dahinschleichenden Wildschützen oder einem Schmuggler, der es bei diesem Terrain wohl wagen darf, seinem verbotenen Gewerbe selbst am Tage nachzugehen.

Zuweilen allerdings geschieht es, daß er sich nicht allein befindet; es kommt vor, daß sich aus Rücksichten des Geschäftes und der Sicherheit Mehrere an einander schließen, die dann, wohl bewaffnet und mit schweren Paketen beladen, in einer langen und weiten, Intervalle bildenden Reihe über Berg und Thal, durch Busch und Dorn dringen und jederzeit bereit sind, die ihnen anvertrauten Waaren gegen jeden Angriff zu vertheidigen.

Diese Schmuggelei ist eine leicht zu erklärende Folge des heftigen Zollkrieges, welcher zwischen den beiden Nachbarstaaten geführt wird. Im Besitze ganz gleicher Hilfsmittel und an einem und demselben Meere liegend, haben sie einander stets rivalisirend gegenübergestanden. Zwar hat es nicht an wohlgemeinten Versuchen gefehlt, ein freundlicheres Verhältniß herbeizuführen, doch haben derartige Bemühungen immer nur einen momentanen Erfolg gehabt, da bei den beiden Nachbarvölkern eine gegenseitige Abneigung in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint, ihre Interessen lassen.

Max Joseph, König von Süderland, ist ein Regent, welcher die Traditionen seiner Dynastie in ihrem ganzen Umfange aufrecht zu erhalten weiß, alle Zweige der Administration um seine Person gruppirt, keinem Menschen Einsicht in seine Intentionen gestattet und das »l‘état c‘est moi« jedem seiner Worte und jedem seiner Befehle aufzudrücken gewohnt ist. Seine Minister sind weniger seine Berather, als vielmehr seine Diener im engeren Sinne des Wortes; er hat nie einen derselben mit besonderem Vertrauen beglückt, und wie er ein in sich abgeschlossener Charakter ist, so bleibt auch sein ganzes Bestreben darauf gerichtet, eine Schutzmauer um sein Volk zu ziehen, um dasselbe unabhängig von äußeren Einflüssen zu machen und es gegen jede von daher kommende Gefahr gerüstet zu sehen.

Dieses defensive Verhalten wird wohl auch mit bedingt durch die nachbarliche Politik, welche seit einigen Jahrzehnten offenbar als eine offensive bezeichnet werden muß und deren Vertreter kein Anderer als der Herzog von Raumburg ist.

Wilhelm der Zweite, König von Norland, ist ein Herrscher von so wohlmeinenden Gesinnungen, wie sie in solchem Umfange wohl keiner seiner Vorfahren aufzuweisen hatte. Leider läßt die Güte seines Herzens nicht Raum genug für die strenge Energie, welche ein Mann besitzen muß, in dessen Hände die größten und schwierigsten Aufgaben staatlicher Entwicklung gelegt sind. Die Güte, welche den Einen beglückt, scheint den Andern zu benachtheiligen, kränkt ihn vielleicht wirklich in seinem Rechte, und so kommt es, daß ein Theil der Bevölkerung den väterlichen Herrscher vergöttert, während der andere Theil in stillem, verborgenem Mißmuthe sich nach Veränderungen sehnt, die nur die Selbstsucht, der kurzsichtige persönliche Egoismus herbeiwünschen kann.

Das Königshaus repräsentirt die ältere Linie seiner Dynastie; die jüngere bildet das herzoglich Raumburgische Geschlecht. Nach alten, unumstößlichen Bestimmungen tritt das Letztere in die Herrschaft ein, wenn die ältere Linie aussterben sollte. Gegenwärtig ist dazu alle Hoffnung, oder nach einer andern Lesart, alle Befürchtung vorhanden. Das Königspaar wurde mit keinem Thronfolger gesegnet; das einzige Kind, eine Tochter, starb bereits einige Tage nach der Geburt. Der Herzog von Raumburg, welcher mit dem Könige zugleich erzogen wurde, besaß zu aller Zeit das unbeschränkte Vertrauen desselben, hat sich dasselbe nutzbar zu machen gewußt, nennt sich den eigentlichen Herrscher des Landes und erwartet nur das Ableben des Königs, um sich selbst oder seinen Sohn auf den Thron zu setzen. Er hat es ganz vortrefflich verstanden, die Fäden der Administration in seiner Hand zu vereinigen, die Militärmacht sich zu unterstellen und auch auf die diplomatischen Beziehungen zu dem Auslande den weitgehendsten Einfluß zu gewinnen. Dieser Einfluß trägt die alleinige Schuld an dem bisherigen unerquicklichen Verhältnisse zu dem Nachbarstaate, und daher erregte es nicht geringe Verwunderung, als man vernahm, nur seiner Vermittlung sei der gegenwärtige Besuch des Kronprinzen von Süderland mit der Prinzessin Asta zu verdanken. Daß dieser Besuch einen politischen Hintergrund habe, war nicht zu bezweifeln, und man erwartete mit allgemeiner Spannung die Zeit, in welcher derselbe auch gewöhnlichen Augen sichtbar werden mußte.

Es war am Nachmittage. Zwei Wanderer schritten auf der schmalen, holperigen Gebirgsstraße dahin, welche von der See heraufkommt und sich zwischen den finstern Gebirgsblöcken dahinwindet wie das Bette eines ausgetrockneten Baches, aus welchem man nur die größeren Felsblöcke entfernt hat, um ihn für den Fuß des Wanderers gangbar zu machen. Sie schienen alte Bekannte zu sein, obgleich zwischen ihrem Äußeren der größte Unterschied herrschte, den man sich nur denken kann.

Der Eine war eine hohe, fast mehr als breitschulterige Figur. Sein von dichtem Haarwuchse bewaldeter Kopf zeigte ein vom Wetter hart mitgenommenes Gesicht, dessen scharfes, offenes Auge mit den derben, gutmüthigen Zügen sehr glücklich harmonirte. Dieser Kopf war bedeckt von einem Hute, der so alt war, daß man den Stoff, aus dem er gefertigt war, und die ursprüngliche Farbe nur nach einer eingehenden chemischen Untersuchung hätte bestimmen können. Er war in unzählige Knillen und Falten gedrückt, und weil sein Besitzer jedenfalls eine freie Stirn liebte, so hatte er denjenigen Theil der breiten Krempe, welcher bestimmt ist, das Gesicht zu beschatten, einfach mit dem Messer abgeschnitten. Der Oberleib stak in einem kurzen, weiten, seegrünen Rocke, dessen Ärmel so kurz waren, daß man den vorderen Theil der sauber gewaschenen Hemdärmel hat.

Der Andere war eine kleine, schmächtige Figur. Er trug eine rothe phrygische Mütze, unter welcher ein rabenschwarzes Haar in langen Locken hervorquoll. Sein hageres Gesicht war außerordentlich scharf geschnitten und zeigte jenen orientalischen Typus, welchen man besonders an den Zigeunern zu bemerken pflegt. Sein schwarzes, unruhiges Auge wanderte rastlos von einem Gegenstande zum andern, und jeder Zollbreit des ganzen Mannes zeigte jene Unruhe und Beweglichkeit, die dem wandernden Volke der Zigeuner zu eigen ist. Seine Kleidung war einfach, bequem und nicht so auffallend wie diejenige seines gigantischen Reisegefährten, doch trug sein schwankender Gang ganz dieselben Spuren einer zurückgelegten längeren Seereise.

An Alter waren Beide einander ziemlich gleich, und auch nach ihrem Innern schienen sie verwandt zu sein, wie die kameradschaftliche Weise ihrer Unterhaltung zeigte.

»Ein verdammter Weg, nicht wahr, Bruderherz?« meinte der Riese. »Hätte ich gewußt, daß man in diesem Fahrwasser bei jedem Schritte an eine Klippe segelt, so hätte ich einen andern Kurs vorgezogen, wenn wir auch einige Tage später in der Residenz die Anker geworfen hätten.«

»Ich muß herauf in das Gebirge,« antwortete der Kleine. »Hättest Du die Bahn benützt, so wärest Du in einem halben Tage an Ort und Stelle gewesen.«

»Die Eisenbahn? Hat Dich der Klabautermann gebissen, he? Soll ich etwa meinen Leichnam in eine Koje stecken, in der man weder stehen, noch sitzen, noch liegen kann und wo noch zehn Andere hocken, so daß ich meine armen Beine geradezu zum Fenster hinausrecken müßte? Und meinst Du wirklich, daß ich so einen braven Maate, wie Du bist, allein in diese Wildniß dampfen lasse, in der er jeden Augenblick Schiffbruch leiden und zum elenden Wrack werden kann? Hast Du mir nicht selbst erzählt, daß es hier eine Menge Ungeziefer gibt, dem nicht zu trauen ist, Schmuggler, Wilddiebe und wie die Piraten und Flibustier alle heißen mögen, denen es möglichen Falles auch nicht darauf ankommt, mit einer Kugel ein ehrliches Menschenkind in den Hafen zu bugsiren, von welchem aus Keiner wieder in See gegangen ist? Nein, wo Du bist, da bin ich auch, ich, der Steuermann Balduin Schubert auf seiner Majestät Kriegsschiff Neptun.«

»Gut, Steuermann; wir sind Freunde und werden auf gleicher Länge und Breite bleiben, bis Du wieder an Bord irgend eines Fahrzeuges gehst.«

»Ich?« frug Schubert erstaunt. »Nur ich? Ich denke, das thun wir Beide mit einander! Oder hast Du etwa gar Lust, unter das armselige Volk der Landratten zu gehen, die kein Floß von einem Dreimaster unterscheiden können und vor Angst in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Tropfen Seewasser sehen?«

»Du weißt es, Steuermann, daß ich die See liebe, obgleich ich auf dem Wasser die schlimmsten Tage meines Lebens verbracht habe. Es ist mein Wunsch, einst auf dem Meere sterben zu können, aber ich weiß heute nicht, ob nicht die Verhältnisse mich am Lande festhalten werden.«

»Verhältnisse? Heiliges Mars- und Brahmenwetter! Was kann es denn für Verhältnisse geben, die Dich, den Bootsmann Karavey, verhindern könnten, wieder in See zu gehen?«

»Dieselben Verhältnisse, welche mich jetzt an das Land und herauf in das Gebirge treiben.«

»Ich weiß kein Wort von ihnen. Du nennst mich Deinen besten Freund und hast mir noch kein Wort davon gesagt. Ist das recht, he? Wenn Du nicht augenblicklich den richtigen Faden abwickelst, so verdienst Du, gekielholt oder an den Brahmstängenstag gebunden zu werden!«

»Räsonnire nicht, Alter! Es war bisher niemals die richtige Zeit, von diesen Dingen zu sprechen; jetzt aber sollst Du Alles hören.«

Lande!«

»Soll geschehen! Du kennst meine Abstammung und weißt, daß ich ein Gitano bin, der – »

»Papperlapapp! Gitano, Zingaritto, oder Zigeuner, mir Alles gleich. Du bist ein braver Junge, und da frage ich nicht, ob Deine Mutter eine Gräfin oder eine Vagab- wollte sagen, eine Zigeunerin war.«

»Das bist Du. Aber außer Dir hat es genug Leute gegeben, welche doch darnach fragen. Mein Vater war Vajda und meine Mutter Vajdzina unseres Stammes. Ich und – »

»Stopp, Alter! Was bedeuten diese fremden Worte, he?«

»Sie heißen zu Deutsch Führer und Führerin. Ich und meine Schwester Zarba waren die einzigen Kinder, hatte.«

»Wieder ein solches Wort, bei dem man in die Zunge einen Knoten machen muß, wenn man es richtig aussprechen will!«

»Bhowannie ist die Göttin unseres Volkes. Zarba war der Liebling des Stammes, die Schönste aller Mädchen, die herrlichste unter den Blumen und Rosen der Erde. Wir waren stolz auf sie und hüteten sie vor den verlangenden Blicken der jungen Männer aller Länder, durch welche wir zogen. Sie war der Born unserer Freuden und der Quell unseres Glückes, denn sie verstand es besser als alle Andern, in die Zukunft zu blicken und die Schicksale der Sterblichen voherzuverkünden.«

»Papperlapapp, Alter, das glaube ich nicht! Mensch.«

»Um das zu können, Steuermann, braucht man nicht allwissend zu sein. Die Eigenschaften eines Menschen sind ihm an die Stirn geschrieben; man liest sie aus jedem Blicke seines Auges, und man vernimmt sie aus jedem Worte seiner Rede. Verstehst Du das, und weißt Du, wen Du vor Dir hast, so wird es Dir nicht schwer, ihm ein Schicksal zu verkünden, welches sicher eintreffen muß. Zarba war unsere beste Wahrsagerin; sie verdiente für uns Gold und Silber von den Reichen und Speise, Trank und Kleidung von den Andern. Gar viele Jünglinge des Stammes hatten ihre Augen auf sie geworfen, doch sie erhörte keinen, weil ihr Herz nicht sprechen wollte. Da kamen wir in die Residenz, und sie erblickte einen jungen, blanken Offizier, der ihr Herz zur Rede zwang.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
680 s. 1 illüstrasyon
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Public Domain
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