Kitabı oku: «Winnetou 2», sayfa 27
Es war Sam, der Kleine. Aber wie war er nur hierhergekommen, da ich ihn doch längst in der »Burg« vermutete? Das war jedenfalls leicht und sofort zu erfahren; ich durfte ihn ja nur fragen, und als ich deshalb so geräuschlos wie möglich an ihn herankroch, machte mir der Schreck, welchen er über den unvermuteten Überfall haben mußte, schon im voraus Vergnügen.
Leise, ganz leise griff ich nach der Büchse, welche an seiner Seite lag, zog die alte, vorsündflutliche Liddy an mich heran und öffnete den rostbedeckten Hahn derselben. Bei dem dadurch verursachten Knacken fuhr er so schnell herum, daß ihm das überhängende Zweigwerk Hut und Perücke abstreifte, und als er seine eigene Büchse auf sich gerichtet sah, wurde unmittelbar unter der in allen Regenbogenfarben spielenden Papageinase ein mächtig großes Loch sichtbar, welches vor Erstaunen immer weiter aufgerissen wurde.
»Sam Hawkens,« flüsterte ich, »wenn Ihr Euren Mund nicht bald zumacht, werde ich Euch das ganze Dutzend Fallen hineinschieben, welches hier liegt!«
»Good lack, Ihr habt mich erschreckt, Sir, wenn ich mich nicht irre!« antwortete der Trapper, welcher trotz seiner Bestürzung keinen einzigen unvorsichtigen Laut von sich gegeben hatte und schleunigst Hut und Perücke ihren verlorenen Herrschersitz wieder anwies. »Hol‘ Euch der Teufel! Mir ist‘s in alle Glieder gefahren, meine ich; denn wenn Ihr eine Rothaut gewesen wäret, so —«
»So hättet Ihr Eure letzten Boudins gegessen gehabt. Hier habt Ihr Euer Schießgewehr! Und nun sagt, wie Ihr dazu kommt, Euch hier schlafen zu legen.«
»Schlafen? Na hört ‚mal, von Schlafen war wohl gar keine Rede, wenn Ihr mir auch auf den Leib gerückt seid, ohne daß ich es gemerkt habe. Hatte meine drei Gedanken eben nur bei den zwei Rattenfellen, welche ich mir noch holen wollte, und Ihr braucht da drinnen den Andern beileibe nicht zu erzählen, daß der alte Sam überrumpelt worden ist.«
»Werde still sein.«
»Wo habt Ihr den kleinen Sir?«
»Steht da hinten. Wir hörten Eure Fallen klirren, und ich mußte natürlich wissen, was das für Glocken wären.«
»Glocken? Ist‘s so laut gewesen? Sam Hawkens, was bist du für ein alter, dummer Waschbär! Liegt das alte Maultier da, um Skalpe zu fangen, und macht dabei einen Lärm, der droben in Kanada zu hören ist, wie mir scheint! Aber wie seid Ihr denn in die Richtung geraten? Seid wohl auch hinter den beiden Rothäuten her?«
Ich bejahte diese Frage und erzählte ihm, was ich gesehen hatte.
»Hm, wird viel Pulver kosten, viel Pulver, Sir! Kam da mit meinen Fallen das Wasser herauf und sah plötzlich zwei Braune, wenn ich mich nicht irre, die spionierend dort am Rande des Gebüsches, kaum acht Schritte von uns entfernt, standen. Natürlich duckte ich mich ins Gesträuch und gewahrte nun, daß der Eine abwärts, der Andere aber aufwärts ging, um das Tal abzusuchen, Wird ihnen aber schlecht bekommen, meine ich! Ich ließ den Einen an mir vorüber und machte mich dann hierher, um die Burschen zu fragen, was sie gesehen haben, wenn sie nachher hier wieder zusammentreffen.«
»Glaubt Ihr es?«
»Meine es! Wenn Ihr klug sein wollt, so macht Euch da hinüber auf die andere Seite, damit wir sie dazwischen kriegen, und laßt den kleinen Sir nicht länger warten. Könnte sonst vor lauter Ungeduld einen Fehler machen.«
Ich folgte der Weisung und kehrte zu Harry zurück. Nachdem ich ihm in kurzen Worten Bericht erstattet hatte, nahmen wir eine, Sam gerade gegenüber liegende Stellung ein und warteten auf die Rückkehr der beiden Rothäute.
Lange wurde unsere Geduld auf die Probe gestellt, und es vergingen fast einige Stunden, ehe wir den leisen Schritt eines heranschleichenden Menschen hörten. Es war einer von den Erwarteten, ein alter, verwetterter Bursche, der für die erbeuteten Skalps so wenig Platz an seinem Gürtel gefunden hatte, daß er die Außennähte seiner weiten Hosen in dicken Lagen mit dem Haare seiner erlegten Feinde ausgefranst hatte.
Kaum war er in unseren Bereich getreten, als er auch schon von hüben und drüben gepackt und »ausgelöscht« wurde.
Ebenso erging es dem Andern, welcher nach kurzer Zeit erschien, und nun kehrten wir, vereint, wie wir ausgegangen waren, in die Festung zurück.
Vor dem Tore suchten wir den Posten auf, welcher hinter dem beschützenden Gesträuch verborgen gelegen und den spionierenden Wilden, der in einer Entfernung von kaum einigen Schritten an ihm vorübergeschlichen war, wohl bemerkt hatte. Es war Will Parker.
Sam blickte ihn erstaunt an.
»Bist ein Greenhorn gewesen, Will, und wirst ein Greenhorn bleiben, bis dich mal die red-men beim Schopfe haben, meine ich. Hast wohl geglaubt, der Braune gehe hier nur Ameisen fangen, daß du das Eisen stecken gelassen hast?«
»Sam Hawkens, wirf die Schlinge um deine Zunge, sonst tue ich jetzt an dir, was ich vorhin unterlassen habe! Will Parker ein Greenhorn! Der Spaß wäre schon einige Körner Pulver wert, altes Coon. Aber deiner Mutter Sohn ist wohl nicht klug genug, um einzusehen, daß man einen Kundschafter laufen läßt, um nicht die übrigen durch seinen Untergang aufmerksam zu machen?«
»Sollst recht haben, Mann, wenn du nämlich nicht zu Indianerfellen kommen willst, wie mir scheint.«
Mit den letzten Worten wandte er sich dem Wasser zu, drehte sich aber, ehe er zwischen den Felsen verschwand, noch einmal um und warnte den Wachehaltenden:
»Mache deine Augen auf! Da drüben im »Gutter« gibt‘s ein ganzes Nest Pfeilmänner. Könnten ihre Nasen auch zwischen deine Beine stecken wollen. Wäre schade um dich, wenn ich mich nicht irre, jammerschade!«
Tief unter den um ihn hängenden Fellen begraben, schritt er uns voran, und bald standen wir an dem Ausgange der Schlucht und konnten den Talkessel überblicken. Ein scharfer Pfiff des alten Trappers genügte, um sämtliche Bewohner unseres Versteckes herbeizurufen, und mit gespannter Aufmerksamkeit folgten alle dem Berichte unseres Abenteuers.
Schweigend hörte Old Firehand ihn bis zu Ende, aber als ich ihm von Parranoh sagte, entfuhr ihm ein Ausruf der Verwunderung und zugleich der Freude.
»Wär‘s möglich, daß Ihr Euch nicht getäuscht hättet, Sir? Dann könnte ich meinen Schwur wahr machen und ihn zwischen meine Fäuste nehmen, wie es jahrelang mein einziger, mein heißester Wunsch gewesen ist.«
»Die Haare allein machen mich irre.«
»O, die sind gleichgültig! Sam Hawkens mag Euch als Beispiel dienen, und es ist doch nicht ganz unglaublich, daß Ihr ihn in jener Nacht nicht recht getroffen habt. Die Seinen haben ihn gefunden und mitgenommen. Während ich krank war, hat er sich erholt, hat uns beobachten lassen und ist dann gefolgt.«
»Aber warum griff er uns nicht an?«
»Weiß es nicht; wird aber jedenfalls seinen Grund haben, den wir auch erfahren. Seid Ihr müde, Sir?«
»Könnte es nicht behaupten.«
»Ich muß den Mann selbst sehen. Wollt Ihr mich begleiten?«
»Versteht sich. Nur muß ich Euch auf das Gefährliche dieses Ganges aufmerksam machen. Die Indianer werden vergebens auf ihre ausgesandten Späher warten, sich bald nach ihnen umsehen und die Toten finden. Wir geraten zwischen die Suchenden und werden vielleicht von den Unserigen abgeschnitten.«
»Das alles ist möglich; aber ich kann unmöglich bleiben und ruhig zuwarten, bis sie uns finden. Dick Stone!« Dieser letztere war gestern fort gewesen, um »Fleisch zu machen«, und sah mich also erst jetzt. Er begrüßte mich auch herzlich und wurde dann von Old Firehand gefragt:
»Hast du es gehört, wohin es gehen soll?«
»Denke es.«
»Hole dein Gewehr! Wir sehen nach Rothäuten.«
»Bin dabei, Sir! Reiten wir?«
»Nein; es geht nur bis zum »Gutter«. Ihr Andern aber rührt die Hände und deckt die Catches mit Rasen zu. Man kann nicht wissen, wie es geht, und wenn die Braunen ja zwischen unsere Felsen kommen, sollen sie wenigstens nichts von dem finden, was sie brauchen können. Harry, du gehst zu Will Parker, und du, Bill Bulcher, magst auf Ordnung sehen, wenn wir fort sind!«
»Vater, laß mich bei dir sein,« bat Harry.
»Kannst mir zu nichts dienen, Kind. Ruhe dich aus; wirst schon noch zur rechten Stelle kommen!«
Harry wiederholte seine Bitte; aber Firehand hielt an seiner Bestimmung fest, und so schritten wir bald wieder zu dreien durch das Bett des Baches hinaus.
Draußen angekommen schritten wir nach einigen kurzen Weisungen an der Wache vorüber, dem Orte zu, an welchem sich Hawkens versteckt gehabt hatte. Die von dort nach der Schlucht führende Richtung war jedenfalls die für uns vorteilhafteste; denn wir hatten von beiden Seiten Deckung und waren sicher, denjenigen von den Indianern zu begegnen, welche annehmbarerweise ihren Versteck verlassen hatten, um nach dem Verbleiben der uns Begegneten zu sehen.
Winnetou hatte kurz nach unserm frühzeitigen Aufbruche am Morgen das Lager auch verlassen und war noch nicht zurückgekehrt. Er wäre uns auf dem jetzigen Gange der willkommenste Begleiter gewesen, und ich konnte mich einer leisen Sorge um ihn nicht erwehren. Es war ja ein Zusammentreffen mit dem Feinde so leicht möglich, und in diesem Falle war er trotz seiner Tapferkeit verloren.
Eben dachte ich an diesen Umstand, als sich plötzlich neben uns die Büsche teilten und der Apache vor uns stand. Unsere Hände, welche beim ersten Rascheln der Zweige nach den Waffen gegriffen hatten, fuhren von denselben zurück, als wir ihn erkannten.
»Winnetou wird gehen mit den weißen Männern, um zu sehen Parranoh und die Ponkas,« sagte er.
Erstaunt blickten wir ihn an. Er wußte also schon von der Anwesenheit der Indianer.
»Hat mein roter Bruder die Krieger der grausamsten Verwandten der Sioux gesehen?« fragte ich.
»Winnetou muß wachen über seinen Bruder Old Shatterhand und über den Sohn Ribannas. Er ist hinter ihnen gegangen und hat gesehen ihre Messer fahren in das Herz der roten Krieger. Parranoh hat sich genommen den Schädel eines Mannes vom Volke der Osagen; sein Haar ist eine Lüge, und seine Gedanken sind voller Falschheit. Winnetou wird ihn töten.«
»Nein, der Häuptling der Apachen wird ihn nicht berühren, sondern ihn mir lassen!« entgegnete Old Firehand.
»Winnetou hat ihn schon einmal geschenkt seinem weißen Freunde!«
»Er wird mir nicht wieder entgehen, denn meine Hand —«
Nur das letzte Wort hörte ich noch; denn in dem Augenblicke, in welchem es gesprochen wurde, sah ich zwei glühende Augen hinter dem Strauche, welcher die Biegung der Fußspuren verbarg, hervorleuchten und hatte mit einem raschen Sprunge den Mann gepackt, dem sie angehörten.
Es war der, von welchem gesprochen wurde, Parranoh, und kaum stand ich vor ihm und warf ihm die Finger um die Kehle, so raschelte es zu beiden Seiten, und eine Anzahl Indianer sprangen hervor, ihrem Häuptlinge zu Hilfe.
Die Freunde hatten meine Bewegung gesehen und stürzten sich sofort auf meine Angreifer. Ich hatte den weißen Häuptling unter mir. Meine Kniee auf seiner Brust, die Finger der Linken um den Hals und die Rechte um seine Hand, weiche das Messer gepackt hatte, krümmte er sich unter mir wie ein Wurm und machte die wütendsten Anstrengungen, mich von sich zu stoßen. Mit den Füßen wie ein angeketteter Stier um sich schlagend, versuchte er, in riesenkräftigen Rucken sich emporzuschnellen; der falsche, langbehaarte Schädel lag neben ihm, und die Augen traten weit mit Blut unterlaufen aus ihren Höhlen; vor dem Munde stand ihm der gärende Schaum der Wut, und die nackte, von dem Skalpmesser Winnetous barbierte Kopfblöße schwoll unter der Anstrengung aller Fasern und Nerven und dem wilden Schlage des zusammengedrückten Pulses mit einer erschreckenden Häßlichkeit auf. Mir war, als hätte ich ein rasendes Tier unter mir, und mit aller Gewalt krampfte ich meine Finger um seine Kehle, so daß er einigemal konvulsivisch zusammenzuckte, den Kopf hintenüber legte und, die Augen verdrehend, unter einem immer leiser werdenden Zittern die Glieder von sich streckte; -er war besiegt.
Jetzt endlich blickte ich, mich erhebend, um mich, und es bot sich mir eine Szene, wie sie die Feder nie zu beschreiben vermag. Keiner der Kämpfenden hatte, aus Sorge, dem Feinde Hilfe herbeizurufen, eine Schußwaffe gebraucht, sondern nur das Messer und der Tomahawk waren tätig gewesen. Keiner von ihnen stand aufrecht, sondern alle lagen am Boden und wälzten sich in ihrem oder dem Blute ihres Gegners.
Winnetou stand eben im Begriffe, einem unter ihm Liegenden die Klinge in die Brust zu stoßen; er bedurfte meiner nicht. Old Firehand lag auf einem der Gegner und versuchte, einen Zweiten, welcher ihm den Arm zerfleischte, von sich abzuhalten. Ich eilte ihm zu Hilfe und schlug den Dränger mit seinem eigenen Beile, welches ihm entfallen war, nieder. Dann ging‘s zu Dick Stone, welcher zwischen zwei toten Rothäuten unter einem riesigen Manne lag, der sich alle Mühe gab, einen tödlichen Stich anzubringen. Es gelang ihm nicht; das Beil des Stammesgenossen machte seiner Bemühung ein Ende.
Stone erhob sich und brachte seine Gliedmaßen in Ordnung.
»By god, Sir, das war Hilfe zur rechten Zeit! Drei gegen einen ist doch, wenn man nicht schießen darf, ein wenig zu viel; habt Dank!«
Auch Old Firehand streckte mir die Hand entgegen und wollte eben sprechen, als sein Blick auf Parranoh fiel.
»Tim Finn – ist‘s möglich? Der Häuptling selber! Wer hat‘s mit ihm zu tun gehabt?«
»Old Shatterhand hat ihn niedergeworfen,« antwortete Winnetou statt meiner. »Der große Geist hat ihm die Kraft des Büffels gegeben, der die Erde pflügt mit seinem Horne.«
»Mann,« rief Old Firehand, »wie Euch, so hab‘ ich noch keinen getroffen, so weit ich auch herumgekommen bin. Aber wie ist es möglich, daß Parranoh mit den Seinen hier versteckt sein konnte, da Winnetou dort in der Nähe war?«
»Der weiße Häuptling ist nicht verborgen gewesen an der Seite des Apachen,« antwortete Winnetou. »Er hat bemerkt die Spuren seiner Feinde und ist ihnen nachgegangen auf ihrem Pfade. Seine Männer werden ihm nachkommen, und meine weißen Brüder müssen Winnetou schnell folgen in ihre Wigwams.«
»Hat recht, der Mann!« bekräftigte Dick Stone. »Wir werden sehen müssen, daß wir zu den Unsrigen kommen.«
»Gut,« erwiderte Old Firehand, von dessen Arm das Blut in hellen Strömen floß; »auf alle Fälle aber müssen wir die Spuren des Kampfes möglichst beseitigen. Gehe doch ein wenig vorwärts, Dick, damit wir nicht etwa überrascht werden.«
»Soll geschehen, Sir, aber nehmt mir doch zuerst einmal das Messer aus dem Fleische. Ich kann nicht gut zu dem Dinge kommen.«
Einer von den Dreien hatte ihm das Messer in die Seite gestoßen, und durch das Ringen war es immer weiter hineingedrungen. Glücklicherweise stak es an keiner gefährlichen Stelle und hinterließ bei seiner Entfernung eine für Stones Eisennatur nur leichte Wunde.
In kurzer Zeit war das Notwendige getan und Dick Stone wurde herbeigeholt.
»Wie bringen wir unsern Gefangenen fort?« fragte Old Firehand.
»Er wird getragen werden müssen,« antwortete ich. »Wird aber seine Schwierigkeiten haben, wenn er vollständig zur Besinnung kommt.«
»Tragen?« fragte Stone. »Ist mir seit etlichen Jahren nicht so wohl geworden und möchte diesem alten Knaben dieses Herzeleid auch nicht antun.«
Mit einigen Schnitten trennte er eine Anzahl der nebenstehenden Stämmchen von der Wurzel, nahm die Decke Parranohs wieder vor, schnitt sie in Streifen und meinte, uns vergnügt zunickend:
»Bauen da eine Schleife, einen Schlitten, ein Rutschholz oder so etwas zusammen, binden das Mannskind darauf fest und trollen uns damit von dannen.«
Der Vorschlag ward angenommen und ausgeführt, und bald setzten wir uns in Bewegung, die allerdings eine so deutliche Spur zurückließ, daß der hinterher gehende Winnetou alle Mühe hatte, sie nur einigermaßen zu verwischen. – —
Es war früh am andern Tage. Noch hatten die Strahlen der Sonne nicht die Spitzen der umliegenden Berge berührt, und tiefe Ruhe herrschte im Lager. Ich aber war längst schon wach und auf den Felsen gestiegen, wo ich Harry wieder gefunden hatte.
Unten im Tale wälzten sich dichte Nebelballen um die Büsche, oben aber war die Luft rein und klar und wehte mir mit ermunternder Kühle um die Schläfe. Drüben hüpfte ein Kernbeißer unter Brombeerranken auf und ab und lockte mit schwellender, pfirsichblütroter Kehle sein unfolgsames Weibchen; etwas tiefer saß ein blaugrauer Katzenvogel und unterbrach seinen Gesang zuweilen durch einen possierlichen, miauenden Schrei, und von unten herauf ertönte die wundervolle Stimme des Entenvogels, der am Schlusse jeder Strophe seiner musikalischen Bravour mit einem lauten Entengequakel applaudierte. Meine Gedanken aber waren weniger bei dem Frühkonzerte, als vielmehr bei den Erlebnissen des vorhergehenden Tages.
Nach dem Berichte eines unserer heimkehrenden Jäger, welcher, still durch die Waldungen schleichend, die Ponkas auch bemerkt hatte, waren diese in noch größerer Anzahl vorhanden, als wir angenommen hatten; denn er war unten in der Ebene an einem zweiten Lagerplatze vorüber gekommen, an welchem sich auch die Pferde befunden hatten.
Es war also mit Bestimmtheit anzunehmen, daß ihr Kriegszug nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen unsere ganze Niederlassung gerichtet war, und aus diesem Grunde und der bedeutenden Anzahl der Feinde wegen durften wir unsere Lage keineswegs zu den beneidenswerten rechnen.
Die Vorbereitungen, welche getroffen werden mußten, einem Überfalle zu begegnen, hatten den gestrigen Nachmittag und Abend in der Weise ausgefüllt, daß wir keine Zeit gefunden hatten, über das Schicksal unseres Gefangenen eine Bestimmung zu treffen. Er lag wohlgebunden und gut bewacht in einer der Felsenkammern, und noch vorhin erst, gleich nach meinem Erwachen, hatte ich mich von der Zuverlässigkeit seiner Fesseln überzeugt.
Die nächsten Tage, vielleicht schon die heutigen Stunden mußten uns wichtige Entscheidungen bringen, und es war wirklich ein außergewöhnlicher Ernst, mit welchem ich an meine gegenwärtige Lage dachte, als ich durch nahende Schritte aus dem Sinnen wachgerufen wurde.
»Guten Morgen, Sir! Der Schlaf scheint Euch ebenso geflohen zu haben, wie mich.«
Ich dankte dem Gruße und antwortete:
»Wachsamkeit ist die notwendigste Tugend in diesem gefahrvollen Lande, Sir.«
»Fürchtet Ihr Euch vor den Braunen?« fragte Harry lächelnd, denn dieser war es.
»Ich weiß, daß Ihr diese Frage nicht im Ernste aussprecht. Aber wir zählen im ganzen dreizehn Mann und haben einen zehnfach überlegenen Feind vor uns. Offen können wir uns desselben gar nicht erwehren, und unsere einzige Hoffnung besteht darin, von ihm nicht entdeckt zu werden.«
»Ihr seht die Sache doch etwas zu schwarz. Dreizehn Männer von der Art und Weise unserer Leute vermögen schon ein Erkleckliches zu leisten, und selbst wenn die Rothäute unser Versteck aufspürten, würden sie sich nichts als blutige Köpfe holen.«
»Ich hege andere Meinung. Sie sind ergrimmt über unsern Überfall, noch mehr aber über den gestrigen Verlust ihrer Leute, und wissen jedenfalls ihren Häuptling in unsern Händen. Sie haben natürlich nach den Fehlenden gesucht, die Leichen gefunden und dabei Parranoh vermißt, und wenn eine so zahlreiche Horde um irgend eines Zweckes willen solche Strecken zurücklegt wie diese, so wird dieser Zweck auch mit der möglichsten Energie und Schlauheit zu erreichen gesucht.«
»Alles ganz recht, Sir, aber noch kein Grund zu schlimmen Befürchtungen. Ich kenne diese Leute auch. Feig und verzagt von Natur, wissen sie nur hinterrücks zu handeln und den Wehrlosen anzugreifen. Wir haben ihre Jagdgründe durchstreift vom Mississippi bis zum stillen Meere, von Mexiko bis hinauf zu den Seen, haben sie vor uns hergetrieben, uns mit ihnen herumgeschlagen, vor der Übermacht fliehen und uns verbergen müssen, aber immer, immer wieder die Faust am Messer gehabt und die Oberhand behalten.«
Ich sah ihn an, antwortete aber nicht, und es mußte in meinem Blicke etwas der Bewunderung Unähnliches gelegen haben, denn nach kurzer Pause fuhr er fort:
»Sagt, was Ihr wollt, Sir, es gibt Gefühle im Menschenherzen, denen der tatkräftige Arm gehorchen muß, gleichviel ob er der eines Mannes oder eines Knaben ist. Hätten wir gestern den Bee-fork erreicht, so wäre Euch ein Grab zu Gesicht gekommen, welches zwei Wesen birgt, die mir die Liebsten und Teuersten gewesen sind auf der ganzen, weiten Erdenrunde. Sie wurden hingeschlachtet von Männern, welche dunkles Haar und braune Haut besaßen, und seit jenen schrecklichen Tagen zuckt mir‘s in der Hand, wenn ich eine Skalplocke wehen sehe, und mancher Indianer ist blutend vom Pferde geglitten, wenn die Pistole blitzte, aus welcher das tötende Blei in das Herz meiner Mutter fuhr, und deren Sicherheit Ihr ja auch bei New-Venango kennen gelernt habt.«
Er zog die Waffe aus dem Gürtel und hielt sie mir vor die Augen. Dabei sprach er weiter:
»Ihr seid ein guter Schütze, Sir; aber aus diesem alten Rohre würdet Ihr auf fünfzehn Schritte nicht den Stamm eines Hikory treffen. Ihr mögt also denken, wie oft und viel ich mich geübt habe, um meines Zieles gewiß zu sein. Ich weiß mit allen Instrumenten umzugehen; aber wenn es sich um Indianerblut handelt, dann greife ich nur zu diesem da; denn ich habe geschworen, daß jedes Körnchen Pulver, welches jene mörderische Kugel trieb, mit dem Leben einer Rothaut bezahlt werden müsse, und ich glaube, ich stehe nicht sehr weit von der Erfüllung dieses Schwures. Dasselbe Rohr, welches die Mutter niederstreckte, soll auch das Werkzeug meiner Rache sein!«
»Ihr bekamt die Pistole von Winnetou?«
»Hat er Euch davon erzählt?«
»Ja.«
»Alles?«
»Nichts, als was ich eben sagte.«
»Ja, sie ist von ihm. Doch setzt Euch, Sir! Ihr sollt das Notwendigste erfahren, wenn die Sache auch nicht eine solche ist, über welche man viele Worte machen könnte.«
Er nahm neben mir Platz, warf einen beobachtenden Blick über das unter uns liegende Tal und begann:
»Vater war Oberförster da drüben im alten Lande und lebte mit seinem Weibe und einem Sohne in ungetrübtem Glücke, bis die Zeit der politischen Gärung kam, welche so manchen braven Mann um seine Ziele betrogen hat und auch ihn in den Strudel trieb, welchem er sich schließlich nur durch die Flucht zu entziehen vermochte. Die Überfahrt kostete ihm die Mutter seines Kindes, und da er nach der Landung mittellos und ohne Bekannte in einer andern und neuen Welt stand, so griff er zum ersten, was ihm geboten wurde, ging als Jäger nach dem Westen und ließ den Knaben bei einer wohlhabenden Familie zurück, in welcher derselbe als Kind aufgenommen wurde.
»Einige Jahre verflossen ihm unter Gefahren und Abenteuern, welche aus ihm einen von den Weißen geachteten, von ihren Feinden aber gefürchteten Westmann machten. Da führte ihn eine Jagdwanderung hinauf an den Quicourt, mitten unter die Stämme der Assineboins hinein, und hier traf er zum erstenmal mit Winnetou zusammen, welcher von den Ufern des Colorado kam, um sich am oberen Mississippi den heiligen Ton für die Calumets seines Stammes zu holen. Beide waren Gäste des Häuptlings Tah-scha-tunga, wurden Freunde und lernten in dem Wigwam desselben Ribanna, seine Tochter, kennen. Sie war schön, wie die Morgenröte, und lieblich wie die Rose des Gebirges. Keine unter den Töchtern des Stammes vermochte die Häute so zart zu gerben und das Jagdkleid so sauber zu nähen, wie sie, und wenn sie ging, um Holz zu holen für das Feuer ihres Kessels, so schritt ihre schlanke Gestalt wie die einer Königin über die Ebene und von ihrem Haupte floß das Haar in langen Strähnen fast bis zur Erde herab. Sie war der Liebling Manitous, des großen Geistes, war der Stolz des Stammes, und die jungen Krieger brannten vor Begierde, sich die Skalps der Feinde zu holen, um sie ihr zu Füßen legen zu dürfen.
»Aber keiner von ihnen fand Gnade vor ihren Augen, denn sie liebte den weißen Jäger, obgleich derselbe viel älter war als alle, die sich um sie bewarben. Von ihnen war Winnetou der jüngste, fast noch ein Knabe.
»Auch in des Weißen Seele waren die heiligsten Gefühle erwacht; er folgte der Spur ihres Fußes, wachte über ihrem Haupte und sprach mit ihr wie mit einer Tochter der Bleichgesichter. Da trat eines Abends Winnetou zu ihm.
»»Der weiße Mann ist nicht wie die Kinder seines Volkes. Aus ihrem Munde fallen die Lügen wie die Boudins aus einem Büffelmagen! Aber er hat stets die Wahrheit gesprochen zu Winnetou, seinem Freunde.«
»»Mein roter Bruder hat den Arm eines starken Kriegers und ist der Weiseste beim Feuer der großen Beratung. Er dürstete nicht nach dem Blut des Unschuldigen, und ich habe ihm gegeben die Hand eines Freundes. Er spreche!«
»»Mein Bruder hat lieb Ribanna, die Tochter Tah-schatungas?«
»»Sie ist mir lieber als die Herden der Prairie und die Skalpe aller roten Männer.«
»»Und er wird gut mit ihr sein und nicht hart reden zu ihren Ohren, sondern ihr sein Herz geben und sie schützen gegen die bösen Stürme des Lebens?«
»»Ich werde sie auf meinen Händen tragen, und bei ihr sein in aller Not und Gefahr.«
»»Winnetou kennt den Himmel und weiß die Namen und die Sprache der Sterne; aber der Stern seines Lebens geht hinunter, und in seinem Herzen wird es dunkel und Nacht. Er wollte die Rose vom Quicourt nehmen in seinen Wigwam und an ihre Brust legen sein müdes Haupt, wenn er zurückkehrt vom Pfade des Büffels oder von den Dörfern seiner Feinde. Aber ihr Auge leuchtet auf seinen Bruder, und ihre Lippen sprechen den Namen des guten Bleichgesichtes. Der Apache wird gehen aus dem Lande des Glückes, und sein Fuß wird einsam weilen an den Wogen des Pecos. Seine Hand wird nimmermehr berühren das Haupt eines Weibes, und nie wird die Stimme eines Sohnes dringen an sein Ohr. Doch wird er zurückkehren zur Zeit, wenn das Elenn durch die Pässe geht, und wird sehen, ob glücklich ist Ribanna, die Tochter Tah-scha-tungas.«
»Er drehte sich um, schritt in die Nacht hinaus und war am andern Morgen verschwunden.
»Als er zur Zeit des Frühlings zurückkehrte, fand er Ribanna, und ihre strahlenden Augen erzählten ihm besser als Worte von dem Glücke, welches ihr beschieden war. Er nahm mich, das erst einige Tage alte Kind, von ihrem Arme, küßte mir den kleinen Mund und legte seine Hand beteuernd auf mein Haupt:
»»Winnetou wird sein über dir wie der Baum, in dessen Zweigen die Vögel schlafen und die Tiere des Feldes Schutz finden vor der Flut, die aus den Wolken rinnt. Sein Leben sei dein Leben und sein Blut wie dein Blut. Nie wird der Hauch seines Atems stocken und die Kraft seines Armes erlahmen für den Sohn der Rose vom Quicourt; möge der Tau des Morgens fallen auf deine Wege und das Licht der Sonne auf deine Pfade, damit Freude habe an dir der weiße Bruder des Apachen.«
»Jahre vergingen, und ich wuchs heran. Aber ebenso wuchs auch das Verlangen des Vaters nach dem zurückgelassenen Sohne. Ich nahm teil an den mutigen Spielen der Knaben und ward erfüllt von dem Geiste des Krieges und der Waffen. Da konnte der Vater seiner Sehnsucht nicht länger gebieten; er ging nach dem Osten und nahm mich mit. Mir ging an der Seite des Bruders und mitten im zivilisierten Leben eine neue Welt auf, von der ich mich nicht trennen zu können vermeinte. Vater kehrte allein zurück und ließ mich bei den Pflegeeltern des Bruders. Bald aber regte sich das Heimweh nach dem Westen mit solcher Macht in mir, daß ich es kaum zu bewältigen vermochte und nach dem nächsten Besuche des Vaters mit ihm wieder in die Heimat ging.
»Daselbst angekommen, fanden wir das Lager leer und vollständig ausgebrannt. Nach längerem Suchen entdeckten wir ein Wampum, welches Tah-scha-tunga zurückgelassen hatte, um uns bei unserer Ankunft von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen.
»Tim Finnetey, ein weißer Jäger, war früher oftmals in unserem Lager gewesen und hatte die Rose vom Quicourt zur Squaw begehrt; aber die Assineboins waren ihm nicht freundlich gesinnt, denn er war ein Dieb und hatte schon zu mehreren Malen ihre »Catches« geöffnet. Er wurde abgewiesen und ging mit dem Schwur der Rache auf den Lippen. Vom Vater, der mit ihm in den Black Hills zusammengetroffen war, hatte er erfahren, daß Ribanna sein Weib sei, und er ging zu den Schwarzfüßen, um sie zu einem Kriegszuge gegen die Assineboins zu bewegen.
»Sie folgten seiner Stimme und kamen zu einer Zeit, in welcher die Krieger auf einem Jagdzuge abwesend waren. Sie überfielen, plünderten und verbrannten das Lager, töteten die Greise und Kinder und führten die jungen Frauen und Mädchen gefangen mit sich fort. Als die Krieger zurückkehrten und die eingeäscherte Stätte sahen, folgten sie den Spuren der Räuber, und da sie ihren Rachezug nur einige Tage vor unserer Ankunft angetreten hatten, so war es uns vielleicht möglich, sie noch einzuholen.
»Laßt mich‘s kurz machen! Unterwegs stießen wir auf Winnetou, welcher über die Berge gekommen war, die Freunde zu sehen. Er wandte auf des Vaters Bericht, ohne ein Wort zu verlieren, sein Pferd, und nie im Leben werde ich den Anblick der beiden Männer vergessen, welche lautlos, aber mit glühendem Herzen und drängender, angstvoller Eile den Weg der Vorangezogenen verfolgten.
»Wir trafen sie am Bee-fork. Sie hatten die Schwarzfüße ereilt, welche im Flußtale lagerten und erwarteten nur die Nacht, um über sie herzufallen. Ich sollte bei der Pferdewache zurückbleiben; aber es ließ mir keine Ruhe, und als der Augenblick des Überfalles kam, schlich ich mich zwischen die Bäume vor und kam gerade an dem Rande des Gehölzes an, als der erste Schuß fiel. Es war eine furchtbare Nacht. Der Feind war uns überlegen, das Kampfgeschrei verstummte erst, als der Morgen zu grauen begann.
»Ich hatte das Gewirr der wilden Gestalten gesehen, das Ächzen und Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden gehört und betend im nassen Grase gelegen. Jetzt kehrte ich zur Wache zurück. Sie war verschwunden. Unsägliche Angst bemächtigte sich meiner, und als ich jetzt das Freudengeheul der Feinde vernahm, wußte ich, daß wir besiegt seien.
»Ich versteckte mich bis zum Abend und wagte mich dann auf den Platz, wo der Kampf stattgefunden hatte.
»Tiefe Stille herrschte ringsum, und der helle Schein des Mondes fiel auf die leblos daliegenden Gestalten. Gepackt von grausem Entsetzen irrte ich zwischen ihnen herum, und – da lag sie, die Mutter, mitten durch die Brust geschossen, die Arme krampfhaft um das kleine Schwesterchen geschlungen, dessen Köpfchen von einem tiefen Messerhiebe klaffte. Der Anblick raubte mir die Besinnung; ich fiel ohnmächtig über sie hin.