Kitabı oku: «Immanuel Kant: Der Mann und das Werk», sayfa 2
Bevölkerung
So verschiedenartig die einzelnen Stadtteile in ihrem Gepräge waren, so verschieden, beinahe noch mittelalterlich voneinander abgeschlossen, waren auch die einzelnen Klassen der Bevölkerung. Wer aus dem heutigen in das Königsberg des 18. Jahrhunderts versetzt würde, dem würde vor allen Dingen in die Augen fallen der Mangel einer eigentlichen Arbeiterschaft. Wohl gab es zu Kants Zeit schon eine mäßige Anzahl meist von Ausländern begründeter, zum Teil von "Schutzjuden" geleiteter Fabriken (der Leder-, Gaze-, Papier-, Tabak-, Seifen- und Tuchbereitung dienend), in denen um 1800 einige Tausend Menschen beschäftigt gewesen sein sollen; aber sie wurden doch sämtlich mehr oder weniger handwerksmäßig betrieben. Zu Arbeitern im heutigen Sinne konnte man fast nur die Lastträger an den Schiffen und in den Speichern am Pregel sowie die Brauknechte rechnen. So zählt denn Baczkos genaue Statistik vom Jahre 1787 neben 7826 Ehemännern, 609 Witwern und 1688 unverheirateten Männern, d. h. Selbständigen, bloß 1488 Gesellen, 1788 Lehrlinge und gar nur – 824 "Knechte und Diener" auf, von denen die letzteren gewiß zum größten Teil auf das Konto der persönlichen Bedienung fallen. Die Bürgerschaft zerfiel in Groß- und Kleinbürger. Zu den Großbürgern gehörten in erster Linie die Kaufleute des Kneiphof und der Altstadt, sodann die Brauherren des Löbenicht. Sie allein durften Großhandel mit Fremden treiben, ihre Hochzeiten auf dem Junkerhofe halten, sie stellten die Kirchen- und Stiftsvorsteher. Zu den Kleinbürgern zählten die Handwerker (darunter auch Kants Vater), die in jedem Stadtteil einen "Gemein-Ältesten" besaßen. Jede Zunft oder "Kunst" wählte ihren "Ältermann" auf Lebenszeit oder bestimmte Jahre; jede hatte ihre besondere Sterbe-, Kranken- und Armenkasse, ja sogar ihr eigenes Leichengerät. Noch im Jahre 1798 empfingen die Zünfte vor den Toren der Stadt das einziehende junge Königspaar mit ihren Fahnen und Musikkorps.
Der Adel wohnte nur zum Teil und im Winter in der Stadt. Aber auch, soweit er dort ansässig war, war es kein Hofadel. Seine Angehörigen fühlten sich mehr als selbständige Vasallen, denn als Untertanen. Noch im vorigen Jahrhundert sind Namen wie von Schön, von Hoverbeck, von Saucken u. a. durch den politischen Unabhängigkeitssinn ihrer Träger bekannt geworden. Ein Teil war freilich in den militärischen oder höheren Beamtendienst getreten.
Damit kommen wir zu einem weiteren, an Zahl bedeutenden Bruchteil der Bevölkerung: dem Militär. Die Garnison umfaßte um 1787 nicht weniger als drei Infanterieregimenter, von denen jedes gegen 2200 Mahn unter Waffen, ungerechnet die etwa 250 Frauen und Kinder, zählte; dazu noch zwei Füsilierbataillone, die Hälfte eines Dragonerregiments und eine Artilleriekompanie. Die Soldaten hatten damals noch keine Kasernen, sondern in verschiedenen Stadtteilen, je nach den Regimentern, ihre Bürgerquartiere.
Religionsbekenntnisse, Stände
Dem Religionsbekenntnis nach war Königsberg seit den Tagen der Reformation (1525) eine durchaus protestantische und zwar in der Hauptsache lutherische Stadt. Luthers ältester Sohn († 1575) lag in der Altstädtischen, Melanchthons. Tochter, die Gattin des ersten Rektors der Universität Sabinus, in der Domkirche begraben; im Senatszimmer des alten Kollegienhauses hingen die Bilder beider Reformatoren. Ja in dem Senatoreneid, den auch Kant hat leisten müssen, fand sich noch eine härte Stelle gegen alle "Sakramentarier", zu denen nach strenger Auffassung auch die Reformierten gehörten. Immerhin wurden diese bisweilen zu Professuren zugelassen, während man den Katholiken gegenüber exklusiv blieb. Die Reformierten zählten eine größere "teutsch-pohlnische" und eine kleinere französische Gemeinde,1 zusammen etwa 1500 Seelen. Die Zahl der zugewanderten Katholiken war sehr klein; schon seit dem 16. Jahrhundert hielten sie keine Prozessionen mehr ab. Schließlich gab es noch manche "Stille im Lande", darunter Mennoniten, Herrnhuter und andere "Separatisten". Größer war die Zahl der erst seit Ende des 17. Jahrhunderts zugelassenen Juden. Sie betrug im Jahre 1787 814 Personen, darunter 57 "Schutzjuden", von denen jedoch nur ein Teil das Recht zum Ankauf von Grundstücken besaß: nur 16 Häuser und 4 Speicher waren in jüdischem Besitz. Handel mit Roherzeugnissen wie Erlernung eines Handwerks waren ihnen untersagt. Die meisten beschäftigten sich mit Juwelen- und Galanteriewarenhandel oder waren Unterhändler bzw. Dolmetscher der Polen und Russen; doch zählte zu ihnen auch eine Reihe ansehnlicher Handelshäuser, welche ausgebreitete Wechselgeschäfte betrieben und die größten Packkammern besaßen.
So konnte man in der, von Kant selbst einmal durch ihre "Weitläuftigkeit" charakterisierten, Pregelstadt ein mannigfach bewegtes Leben wahrnehmen und alle Stufen der Kultur beobachten: von jenen fast noch den Eindruck von "Wilden" machenden polnischen "Dschimken" (s. oben) und den Matrosen und Packknechten am Flusse bis zu den höchsten Kreisen der Geld- und Geburtsaristokratie mit ihren zum Teil, u. a. durch die russische Okkupationszeit (1758—62), doch schon etwas verderbten Sitten. Übrigens fiel dem Reisenden Meerman 1800 die große Anzahl wohlgebauter Männer und schöner Frauen auf, welche letztere sich auch mit Geschmack zu kleiden wußten, "ohne doch das Natürliche und Einfache zu vernachlässigen". In der vorrevolutionären Zeit machte sich, wie überall, die schroffe Trennung der Stände auch in Königsberg geltend und ließ es zu keiner Gemeinsamkeit der Interessen kommen. Sie kam auch in den geselligen Beziehungen zum Ausdruck; so feierten die Großbürger ihre Feste im Junker-, die Kleinbürger die ihrigen im Gemeindegarten, es gab besondere Adeligen-, Kaufmanns-, Offizianten- (d. h. Beamten-) und Studentenbälle. Immerhin waren die großen Kaufleute der Stadt, die meist ein beträchtliches Stück Welt gesehen hatten, im Durchschnitt nicht protzenhaft, sondern zeigten häufig vielseitige Interessen und suchten den Umgang mit Vertretern der Wissenschaft; ebenso, wie wir noch sehen werden, ein Teil des Adels und des Militärs. Hamann und vor allem Kant, geringer Leute Kinder, konnten ohne Zwang in den vornehmsten Kreisen verkehren. Es gab in der Stadt eine Reihe öffentlicher und privater Bibliotheken, wie denn überhaupt von den Königsbergern und Königsbergerinnen viel gelesen wurde, und seit 1743 eine heute noch bestehende gelehrte Vereinigung, die "Kgl. Deutsche Gesellschaft". Auch an Konzerten und Theateraufführungen, seit 1755 in einem ständigen Schauspielhause, fehlte es nicht.
Endlich beherbergte die Hauptstadt des Landes, das dem neuen Königreich den Namen gegeben, noch eine ganze Anzahl "hoher Landeskollegien": zum Exempel das "kgl. preußische Etatsministerium", bestehend aus einem Landhofmeister, Oberburggrafen, Kanzler und Marschall (alle – wohl noch von der Ordenszeit her – aus dem einheimischen Adel ernannt), die "kgl. ostpreußische Regierung" als oberste Gerichts-, die "Königsbergsche Krieges- und Domänenkammer" als oberste Polizei-, Handels-, Bau- und Finanzbehörde. Dazu noch viele andere weniger vornehme Behörden – L. von Baczkos Beschreibung des alten Königsberg zählt im ganzen 28 auf! —, von denen wir nur noch das Lizent- oder Zollamt, das Kommerz- und Admiralitätskollegium und das Konsistorium erwähnen.
So ist Immanuel Kant, im Gegensatz zu Lessing, Schiller und Herder, ähnlich dagegen Leibniz und Goethe, in einer der größten damaligen Städte, die einem beweglichen Geiste mannigfaltige Anregung bot, herangewachsen. Und wir begreifen wohl die Worte berechtigten Heimatstolzes, mit denen unser Philosoph, sonst sparsam mit allem Persönlichen, in einer Anmerkung zu der Vorrede seines letzten Werkes, der "Anthropologie", von seiner Vaterstadt spricht, Worte, mit denen auch wir diese Überschau beschließen wollen: "Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem sich die Landeskollegien der Regierung desselben befinden, die eine Universität zur Kultur der Wissenschaften und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Inneren des Landes sowohl mit angrenzenden als auch entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten einen Verkehr begünstigt – eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zu Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden, wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann."
Das Elternhaus
Immanuel Kants Geburtshaus steht schon längst nicht mehr. Bereits zu des Philosophen Lebzeiten war es einer jener verheerenden Feuersbrünste, die in dem Speicherviertel am Pregel besonders reiche Nahrung fanden, zum Opfer gefallen. Es stand in einer Seitengasse der "Vorderen Vorstadt", durch die heute die elektrische Bahn zum Hauptbahnhof führt. Sie, die jetzt den nüchternen Namen "Bahnhofsstraße" trägt, hieß bis tief ins 19. Jahrhundert hinein Sattlergasse. Denn hier wohnten nach mittelalterlicher Sitte, wie in Danzig, Köln und anderen alten Städten, viele Handwerksgenossen in der nämlichen Straße; dass es gerade in der Vorstadt, durch die der Wagen- und Fuhrmannsverkehr aus dem "Reiche" ging, für Sattler, Riemen- und Wagenmacher besonders viel zu tun gab, liegt auf der Hand.
Ein solcher ehrsamer Sattler-, genauer Riemermeister, war auch Immanuels Vater, der aus Memel zugewanderte Johann Georg Kant. Auch dessen Vater, Hans Kant, hatte bereits, nachdem er sich als Handwerksgeselle in "frembden Landen" umgesehen und in Tilsit sein Meisterstück gemacht, in Memel dem Riemerhandwerk obgelegen, während der Urgroßvater 1667 urkundlich als "Krug"-Besitzer, also Wirt, in Werden bei Heydekrug im nördlichsten Ostpreußen nachgewiesen ist. Wie weit damit die von dem Philosophen selbst für wahr gehaltene2 schottische Abstammung vereinbar ist, steht dahin. Wenn Kants Großvater wirklich zu den "vielen" gehörte, die "aus Schottland … in großen Haufen emigrierten, und davon ein guter Teil … sich in Preußen, vornehmlich über Memel, verbreitet hat", so müßte er jedenfalls viel früher als "am Ende des vorigen" (17.) oder zu Anfang "dieses", d. h. des 18. Jahrhunderts, aus Schottland eingewandert sein, denn er hatte sich nach seiner Rückkehr von der Wanderschaft bereits um 1670 als Meister in Memel ansässig gemacht und, anscheinend nicht lange nachher, eine wohlhabende, einheimische Bürgerstochter geheiratet, die ihm als zweiten Sohn Ende Dezember 1682 Johann Georg, eben den Vater unseres Philosophen, gebar. Während der Großvater nun in Memel blieb und dort 1698 eine neue Ehe schloß, aus der ein Sohn Christian hervorging, wanderte Johann Georg, vielleicht ebendeshalb, nach Königsberg aus, wo er am 13. November 1715, also schon beinahe 33 Jahre alt, die 18 jährige Tochter eines Handwerksgenossen, Anna Regina Reuter, heiratete, deren Vater, Caspar Reuter (geb. 1670), aus Nürnberg stammte.
"Anno 1715, den 13. November, habe ich, Anna Regina Reuterin, mit meinem lieben Mann Johann George Kant, unsern hochzeitlichen Ehrentag gehalten; sind von Herrn Magister Lilienthal copulirt worden in der Kneiphöfschen Thum (d. i. Dom-) Kirche." So lautete die Eintragung der jungen Frau in ein von Immanuels Eltern, der Sitte der einfachen Leute gemäß, geführtes "Haus-", d. h. Gebet- oder Andachtsbuch. Von den neun Kindern, die sie im Verlauf einer 22 jährigen glücklichen Ehe ihrem Manne schenkte, haben nur fünf die Eltern überlebt. Das erste wurde totgeboren, zwei andere starben schon im ersten Lebensjahre, von einem vierten (einer Tochter) wissen wir nichts als den Geburtstag. Das vierte in der Reihe, der älteste der am Leben gebliebenen beiden Söhne, war unser Philosoph.
In der fünften Morgenstunde des 22. April 1724, eines Sonnabends, erblickte er das Licht der Welt. Nach alter Sitte bereits am folgenden Tage, wurde er – vermutlich in der alten Taufkapelle der Domkirche – auf den Namen E m a n u e l getauft, der nicht bloß für den 22. April in den alten preußischen Kalendern stand, sondern auch der frommen Sinnesart der Mutter entsprach. Sie schließt ihre Eintragung in das "Hausbuch" mit dem frommen Wunsche: "Gott erhalte ihn in seinem Gnaden Bunde bis an sein seliges Ende um J: C: Willen. Amen." Die bei diesem Kinde allein aufgeführten sechs Paten lassen auf den Verkehrskreis der Familie schließen. Es befinden sich darunter ein Gürtlermeister aus der Vorstadt, ein Gerichtsangestellter auf dem Sackheim, ein Händler in der Altstadt, eine verheiratete Frau Barbara Wolffin, eine Jungfer Dorothea Dürrin und ein (in dem Kirchenbuch der Domgemeinde nicht mitaufgeführter, demnach wohl bei der Taufe nicht persönlich anwesender) Kupferschmied und Bürger aus Memel, also der alten väterlichen Heimat. Im übrigen scheinen mit der großväterlichen Familie in Memel keine weiteren Beziehungen mehr bestanden zu haben. War doch auch der dortige Großvater, "Meister Kandt der Riemer", bereits acht Monate vor der Hochzeit von Immanuels Eltern gestorben und als wohlhabender Mann "mit allen Glocken, der ganzen Schul und ein Lied vor der Thür" begraben worden und nur noch die Stiefmutter am Leben, im Jahre 1735 aber bereits das Memeler Familienhaus nicht mehr vorhanden.
Die Eltern
Ist uns auch nicht viel über die Eltern unseres Philosophen überliefert, so genügt das Wenige doch, uns ein einigermaßen zuverlässiges Bild von ihnen zu geben. Es war ein ähnliches Verhältnis wie bei den Eltern Herders und Schillers: der Vater ein braver, ehrenfester, streng rechtlich denkender Handwerker, der auch von seinen Kindern vor allem Fleiß, Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit verlangte; die Mutter, vielleicht infolge des süddeutschen Einschlags in ihrem Blute, eine weichere Natur. Sie führte ihr "Manelchen" oft ins Freie, machte ihn auf die Gegenstände und Erscheinungen der Natur aufmerksam, lehrte ihn nützliche Kräuter kennen und erzählte ihm von dem Bau des Himmels, soviel sie davon wußte. Sie war, wie er selbst gegenüber Wasianski, dem Pfleger seiner letzten Jahre, äußerte, "eine Frau von großem, natürlichem Verstande, einem edlen Herzen und einer echten, durchaus nicht schwärmerischen Religiosität"; daneben hatte sie auch ihre Bildung nicht vernachlässigt und schrieb orthographischer als die meisten vornehmen Frauen ihrer Zeit. So oft er von ihr sprach, war er gerührt und glänzten seine Augen.3 Und die Erinnerung an sie ließ ihn noch in seinen 60 er Jahren gegen seinen Zuhörer und späteren Biographen R. B. Jachmann äußern: "Ich werde meine Mutter nie vergessen, denn sie pflanzte und nährte den ersten Keim des Guten in mir, sie öffnete mein Herz den Eindrücken der Natur; sie weckte und erweiterte meine Begriffe, und ihre Lehren haben einen immerwährenden, heilsamen Einfluß auf mein Leben gehabt." Um so wehmütiger empfand er es, dass er schon als Dreizehnjähriger sie verloren hatte. Körperlich wie seelisch eine zarte Frau, von der er die eigene Konstitution "bis auf die eingebogene Brust", wie auch die Gesichtszüge geerbt zu haben meinte, starb sie, erst vierzig Jahre alt, am 18. Dezember 1737. Wie der Vater im Familienbuch vermerkt, an einem "hitzigen und giftigen Flußfieber"; nach des Sohnes eigener Erzählung gegenüber Wasianski hätte sie geglaubt, sich an dem Bett einer am typhösen Fieber erkrankten vertrauten Freundin angesteckt zu haben; die Krankheit habe sich durch ihre Einbildungskraft erhöht, und nach kurzer Zeit sei sie gestorben.
Zwischen den beiden Gatten herrschte die ganze Zeit ihrer Ehe hindurch das innigste Verhältnis, die größte Eintracht, auch in Beziehung auf die Erziehung der Kinder, denen sie selber in sittlicher Hinsicht das beste Vorbild gaben. "Nie, auch nicht ein einziges Mal", äußerte Kant wiederholt zu seinem Biographen Borowski, "hab' ich von meinen Eltern irgend etwas Unanständiges anhören dürfen, nie etwas Unwürdiges gesehen". Und in dem Entwurf zu jenem Briefe an Bischof Lindblom (S. 15 Anm.) rühmte noch der Greis, dass "meine beiden Eltern (aus dem Handwerksstande) in Rechtschaffenheit, sittlicher Anständigkeit und Ordnung musterhaft, ohne ein Vermögen (aber doch auch keine Schulden) zu hinterlassen, mir eine Erziehung gegeben haben, die, von der moralischen Seite betrachtet, gar nicht besser seyn konnte, und für welche ich bei jedesmaliger Erinnerung an dieselbe mich mit dem dankbarsten Gefühle gerührt finde." Beide Eltern gehörten – den Anstoß gab wohl Frau Regina – zu der damals in Königsberg sehr verbreiteten pietistischen Richtung. Sie war jedoch bei ihnen nichts äußerlich Angewehtes, sondern gab ihrem ganzen Tun und Lassen das Gepräge. Das beste Zeugnis gibt auch hier der in religiöser Hinsicht später so anders denkende Sohn, der noch in seinem Alter einst zu seinem Amtsgenossen Rink meinte: "Man sage dem Pietismus nach, was man will. Genug! Die Leute, denen er ein Ernst war, zeichneten sich auf eine ehrwürdige Weise aus. Sie besaßen das Höchste, was der Mensch besitzen kann, jene Ruhe, jene Heiterkeit, jenen inneren Frieden, der durch keine Leidenschaft beunruhigt wurde. Keine Not, keine Verfolgung setzte sie in Mißmut, keine Streitigkeit war vermögend, sie zum Zorn und zu Feindschaft zu reizen."
Einfach genug wird es in dem elterlichen Hause hergegangen sein, das wir uns – wie die meisten Häuser der kleinen Leute in der Vorstadt – einstöckig, vielleicht auch mit aufgesetzter Dachstube, ohne Unterbau, den Flur gleich verbunden mit der nicht besonders abgeschlagenen Küche, links oder rechts eine große Stube, daneben die Schlaf kammern, zu denken haben. Einen Gesellen oder Lehrling mag Meister Kant zeitweise beschäftigt haben; mehrere schwerlich. Gab es doch noch im Jahre 1787 im Königsberger Riemergewerbe neben 13 "Herren und Meistern" nur 14 Gesellen und 9 "Lehrbursche". Und dass das Geschäft von Kants Vater schon in den 30er Jahren nicht sehr geblüht haben muß, geht aus der Tatsache hervor, dass er seine gehebte Frau 1737 "still", d. h. ohne die übliche Leichenbegleitung durch singende Schulkinder, und "arm", d. h. auf Armenkosten beerdigen lassen mußte. Die Gewerke der Riemer und Sattler waren damals noch getrennt, und jedes hielt eifersüchtig auf seine Gerechtsame; darunter hatte, bei ausgebrochenen Differenzen, auch Meister Kant erheblich zu leiden. "Dessenungeachtet wurde selbst bei der häuslichen Unterhaltung dieser Zwist mit solcher Schonung und Liebe in betreff der Gegner von meinen Eltern behandelt und mit einem solchen festen Vertrauen auf die Vorsehung, dass der Gedanke daran, obwohl ich damals ein Knabe war, mich dennoch nie verlassen wird" (Kant zu Rink).
Kinderzeit
Von der Knabenzeit im Elternhause wissen wir sonst kaum etwas, da der Philosoph später nur sehr selten davon zu erzählen pflegte. Die Sattlergasse führte, zwischen Getreidespeichern der Großhändler hindurch, nach der "Insel Venedig", einem auf allen Seiten mit Gräben umgebenen viereckigen Platze. Hier und auf den "Holzwiesen" am Pregel mag Immanuel als Knabe oft gespielt haben. Eine von den wenigen Überlieferungen aus seiner Kinderzeit bezieht sich auf die Geistesgegenwart, mit der er sich, als er einst einen solchen Graben auf einem ins Rollen geratenen Baumstamm überschreiten wollte und ins Wasser zu fallen drohte, dadurch rettete, dass er einen Gegenstand jenseits des Grabens fest ins Auge faßte und dann gerade darauf los lief. An seinen fünf Geschwistern (zwei weitere starben früh, noch ehe sie das erste Lebensjahr vollendet hatten) wird er wohl kaum Gespielen gehabt haben. Denn die älteste Schwester Regina war fünf Jahre älter, während die drei ihm folgenden Maria Elisabeth, Anna Luise und Barbara drei, bzw. sechs und siebeneinhalb Jahre jünger als er waren. Sein einziger Bruder Johann Heinrich aber erblickte das Licht der Welt erst, als Immanuel bereits im zwölften Lebensjahre stand.
Die erste Schule, die der "kleine Immanuel besuchte, war die in der Hinteren Vorstadt, etwa sieben Minuten von seinem Elternhause gelegene Elementarschule beim St. Georgen-Hospital, einem schon 1329 von den Altstädtern gegründeten Stift für alte Leute, die sich darin einkaufen mußten. Sie hatte nur einen Lehrer, zugleich Kantor und Organist an der noch aus vorrefor-matorischer Zeit stammenden Kirche, der die Kinder im Lesen, Schreiben, etwas Rechnen und "Christentum" unterrichtete; Schulgeld wurde indes auch hier, ausgenommen von den Alier-ärmsten, entrichtet. Wer weiß, wie lange Immanuel diese Schule besucht haben würde, hätte nicht ein besonderer Umstand eine glückliche Wendung herbeigeführt.
Seine Mutter besuchte als fromme Christin mit ihren älteren Kindern oft die Bet- und Bibelstunden des Doktors der Theologie Franz Albert Schultz, welcher der Sache des Pietismus einen gewaltigen Aufschwung gegeben hatte, seitdem er 1731 als Konsistorialrat und Pfarrer an die Altstädtische Kirche in Königsberg gekommen war. Dieser für die Entwicklung des religiösen und geistigen Lebens in ganz Ostpreußen bedeutsame Mann, von dem wir bald noch mehr hören werden, wurde auf seine eifrige Zuhörerin aufmerksam, besuchte öfters das Handwerkerhaus in der Sattlergasse und lernte so auch den aufgeweckten kleinen Immanuel kennen. Er redete den Eltern zu, ihn studieren zu lassen und zu dem Zweck in das erst vor wenigen Jahrzehnten begründete Gymnasium Fridericianum zu schicken, dessen Leitung er (Schultz) selbst demnächst übernehmen sollte. Der Mutter ward damit gewiß ein Lieblingswunsch erfüllt, aber auch der Vater war gern bereit, dem begabten Sohne eine bessere Ausbildung zu geben, als er selbst sie genossen hatte. So trat bald nach Ostern 1732 der achtjährige Knabe in das heute noch als "Friedrichskollegium" bestehende Collegium Fridericianum seiner Vaterstadt als Schüler ein.