Kitabı oku: «Immanuel Kant: Der Mann und das Werk», sayfa 8
Art seiner Vorlesungen
Mit dem Beifall, den seine Vorlesungen fanden, konnte der neue Dozent zufrieden sein. Die allererste freilich, die er im Hörsaal des Professor Ordinarius Kypke auf der Neustadt (dem, heutigen Löbenicht), bei dem er auch wohnte, abhielt, geriet ihm nicht ganz. Der Ruf seiner Gelehrsamkeit hatte eine "beinahe unglaubliche Menge" von Studierenden angezogen, die nicht bloß den geräumigen Saal, sondern auch Vorraum und Treppe füllten. Das machte ihn verlegen. Er sprach noch leiser, als er es ohnedies schon zu tun pflegte, und verbesserte sich oft. Doch bereits in der nächsten Stunde hatte er die kleine Schwäche überwunden. Seitdem blieb sein Vortrag "nicht allein gründlich, sondern auch freimütig und angenehm", wie Borowski, der selbst als 15 jähriger Fuchs das Kolleg besuchte, erzählt. Allerdings die "beinah unglaubliche" Menge, die sich den Neuen hatte anhören wollen, hielt nicht aus. Immerhin steht nach erhaltenen Universitätsakten fest, dass mindestens 23 Studierende – 21 der Theologie, 2 der Jurisprudenz, solche der Philosophie gab es offiziell nicht – Vorlesungen bei Kant in dessen erstem Dozentensemester haben hören wollen; möglicherweise sind es später auch mehr geworden.23 Doch wenn auch nicht: der Privatdozent einer schwach besuchten Provinzuniversität konnte für den Anfang damit zufrieden sein.
Wir besitzen aus der Feder desselben Borowski weitere anschauliche Schilderungen über die Vortragsweise des neuen Magisters: "Das Kompendium, welches er etwa zum Grunde legte, befolgte er nie strenge.... Oft führte ihn die Fülle seiner Kenntnisse auf Abschweifungen, die aber doch immer sehr interessant waren, von der Hauptsache. Wenn er bemerkte, dass er zu weit ausgewichen war, brach er geschwind mit einem 'Und so weiter' oder 'Und so fortan' ab und kehrte wieder zur Hauptsache zurück." Seine Vorlesung war "freier Diskurs, mit Witz und Laune gewürzt", auch wohl mit (in seinen Schriften bekanntlich fast ganz vermiedenen) Zitaten und Hinweisen auf interessante Schriftsteller, bisweilen auch Anekdoten, "die aber immer zur Sache gehörten", untermischt. Dagegen suchte er nie, wie manche andere, durch allerlei Späße, Pikanterien oder Sticheleien gegen Kollegen sich wohlfeilen Beifall zu erwerben. "Dem Nachschreiben war er nicht hold. Es störte ihn, wenn er bemerkte, dass das Wichtigere oft übergangen und das Unwichtigere aufs Papier gebracht ward." Immer warnte er vor bloßer Nachbeterei. "Sie werden, das wiederholte er seinen Schülern unablässig, bei mir nicht Philosophie lernen, aber – philosophieren; nicht Gedanken bloß zum Nachsprechen, sondern denken.... Selbst denken, selbst forschen, auf seinen eigenen Füßen stehen, waren Ausdrücke, die unablässig wieder vorkamen." Freilich "war rege Aufmerksamkeit bei seinen Vorträgen nötig. Die Gabe, die vorkommenden Begriffe und Sachen ganz ins klare für jeden zu setzen, sie etwa durch Wiederholung in anderen Ausdrücken auch den zerstreuteren Zuhörern doch faßlich zu machen …, war Kant freilich nicht eigen." Weil er selbst viel von sich verlangte, so erwartete er auch von seinen Zuhörern geistiges Sich-Zusammennehmen, so dass Hamann in einem Briefe an ihn von 1759 meint, dieselben hätten Mühe, "es in der Geduld und Geschwindigkeit des Denkens mit Ihnen auszuhalten". Die meisten begannen daher auch, weil seine philosophischen Vorlesungen für zu schwer galten, mit seiner physischen Geographie, oder sie hörten, wie selbst der doch gewiß begabte Hippel, vorher den "ganzen philosophischen Kursus" bei einem weniger schwierigen Dozenten, wie Kants Kollegen Buck. "Übrigens nahm er etwaige Zweifel oder Bitten um Aufklärung in jüngeren Jahren stets freundlich entgegen und setzte dem Betreffenden die Sache, auch wohl auf einem Spaziergang nach dem Kolleg, gern auseinander. Ja, er kam in diesen ersten Dozentenjahren den Wünschen "einiger Herren" so weit entgegen, dass er einige Semester lang für seine Metaphysik-Vorlesung das gründliche, aber schwerere Kompendium von Baumgarten mit dem leichteren von Baumeister vertauschte.
Und er las viel, weit mehr als unsere heutigen Privatdozenten. Gleich im ersten Semester drei Kollegien auf einmal: Logik, Metaphysik und Mathematik; vielleicht auch noch Physik. Im folgenden Sommer kam noch die von ihm, als einem der ersten Universitätslehrer, eingeführte Physische Geographie hinzu, im Winter Ethik usf. Im Durchschnitt hat Kant während seiner Magisterjahre nicht unter 16 Wochenstunden gelesen, ja in einzelnen Semestern der 6oer Jahre ist diese Zahl auf 26 bis 28 gestiegen! Zu diesen im offiziellen Lektionskatalog angekündigten Vorlesungen traten in manchen Semestern noch Privatissima, zunächst während des siebenjährigen Krieges für russische Offiziere. Auch beaufsichtigte er gerade in diesen ersten Jahren häufig vornehme oder wohlhabende Studenten, die auf den Wunsch der Eltern im selben Hause mit ihm wohnten und aßen.
Vermögensverhältnisse
Alle diese Arbeit nahm er, wie aus einem Briefe an seinen Ereund Lindner hervorgeht, in erster Linie aus pekuniären Gründen auf sich. Auch wurde sie, besonders die Privatissima, nach seinem eigenen Zeugnis gut bezahlt, so dass er sogar Anträge, die ihm nicht zusagten, ablehnen konnte; wie er denn z. B. in den Jahren 1759 und 1760 eine Anzahl Studierender, die ein ästhetisches Kolleg mit Übungen "in Wohlredenheit und im deutschen Stil" von ihm wünschten, seinem Schüler Borowski überwies, der dann den Unterricht "unter Kants Direktion" erteilte. So blieb unser Immanuel vor eigentlicher Dürftigkeit. und vor dem, was ihm das Schrecklichste gewesen wäre, der Notwendigkeit, Schulden zu machen, bewahrt. Er selbst hat noch Jahrzehnte nachher, in einem Briefe an seinen Verleger Lagarde von 1790, gegen die "mitleiderregende Beschreibung" seiner äußeren Lage während der Magisterzeit durch einen gewissen Denina energisch protestiert: er habe stets "sein reichliches Auskommen" gehabt, eine Wohnung von zwei Stuben und einen "sehr guten" Tisch bezahlen, ja sogar sich einen Diener halten können. Jene Jahre seien im Gegenteil "die angenehmsten seines Lebens" gewesen. In der Tat hatte er schon 1761 einen eigenen Bedienten, wie aus einem Briefe an Borowski vom 6. März d. Js. zu sehen ist; und auf einer zufällig in seinem Nachlaß erhaltenen Rechnung aus seinen ersten Magister jähren sind neben drei Gulden für die Magd, einem Gulden für Waschen, sechs Groschen für Butter und drei für die "Perüque", auch 7½ Groschen für – Wein verzeichnet. Auch hat er, im Gegensatz zu Lessing oder Schiller, niemals für den Erwerb zu schreiben brauchen; er hat es, von den offiziellen Universitätsschriften abgesehen, stets nur aus innerem Bedürfnis heraus getan.
Seelische Stimmungen
An den äußeren und inneren Verhältnissen der Königsberger Professorenschaft hatte sich während der acht Jahre, die zwischen seinem Abgang als Studiosus und seinem Wiedereintritt in den akademischen Körper lagen, wenig oder nichts geändert. Innere Anteilnahme und wissenschaftliche Anregung fand er, zumal da Knutzen nicht mehr lebte, unter seinen Kollegen nur bei sehr wenigen: eher wohl neidische Gegner, die sich durch ihn verdunkelt sahen. Wenn ein Menschenalter später Goethe über das "Hetzen, Werben, Kompromittieren" der Jenaer Professoren, ihren "pfäffischen Stolz" und ihre "verworrene Borniertheit" unwillig sich äußerte, so wird es an der noch beschränkteren und isolierteren Königsberger Akademie der 50er und 60er Jahre kaum besser gewesen sein. So spottet nicht bloß der geistreiche Hamann öfters über die kleinlichen Rivalitäten und Schikanen wie über den Hochmut der Königsberger Professorenkreise, sondern auch zahlreiche Äußerungen in Kants eigenen Schriften über Gelehrteneinbildung und -pedanterie lassen sich ohne üble persönliche Erfahrungen kaum erklären. Er aber wirkte rein durch die Sache. So schreibt Hamanns Bruder am 16. März 1757 an G. E. Lindner: "Herr Magister Kant lebt glücklich und zufrieden, in der Stille wirbt er die Zuhörer des marktschreierischen Watson und schwächt durch seinen Fleiß und echte Gelehrsamkeit den scheinenden Beifall dieses Jünglings."24 Neben frohen und erhebenden Stunden – er bekennt selbst später, er habe in jenen ersten Magisterjahren den "ganzen Stolz des Gelehrten in sich gefühlt" – hat Kant indes sicherlich auch trübe durchgemacht, von denen er freilich die Außenstehenden nichts merken ließ. In die Welt seines inneren Gefühls, die uns hierüber aufklären müßte, und die bei so vielen anderen Großen der Menschheit in Briefen oder Selbstbekenntnissen offen vor uns liegt, läßt seine Eigenart uns nur äußerst selten einen Blick tun. Es hindert ihn daran eine merkwürdige Verschlossenheit oder mindestens Kühle des Sichgebens gegenüber anderen, die durchaus nicht identisch ist mit Unbewegtheit des Gemüts, sondern eher von einer Keuschheit des Gefühls herrührt, wie sie der norddeutschen Natur häufig eigen ist. So hat uns denn bloß der glückliche Zufall eines erst neuerdings aufgefundenen Briefes einen Einblick in das Innenleben des "kleinen Magisters", wie Hamann ihn zu nennen pflegte, gewährt und gezeigt, dass er doch nicht der völlig leidenschaftslose, kühle Verstandesmensch gewesen ist, für den man ihn oft gehalten hat. Am 28. Oktober 1759, also nach vier Jahren Privatdozententums, beglückwünschte er seinen Freund und späteren Kollegen, den damaligen Gymnasiallehrer Lindner in Riga, dass dieser sich bei der ihm dort zuteil gewordenen Anerkennung hinwegsetzen könne, "über die elenden Buhlereyen um den Beyfall und die abgeschmakte [sic!] Einschmeichelungs Künste", die in Königsberg "großthuerische kleine Meister, die höchstens nur schaden können, denen auferlegen, welche gerne ihre Belohnung verdienen und nicht erschleichen möchten". Das muß auf jene mißgünstigen und marktschreierischen Kollegen gehen, die er als geistig unter ihm stehend empfand. Und auch seine Vorlesungen vermögen ihn nicht von einem Gefühl der Bitterkeit und inneren Leere zu befreien. Wiederholte sich doch der Stoff immer wieder, und waren seine Zuhörer doch vielfach erst Jüngel-chen von 16, ja 15 Jahren, so dass gerade ein tiefer Denker wie er oft genug das faustische Gefühl empfunden haben wird:
"Das Beste, was Du wissen kannst,
Darfst Du den Buben doch nicht sagen."
"Ich meines Theils sitze täglich vor dem Ambos meines Lehrpults und führe den schweren Hammer sich selbst ähnlicher Vorlesungen in einerley tacte fort." Manchmal zieht ihn innere Neigung zu erhebenderer Beschäftigung: "bisweilen reizt mich irgendwo eine Neigung edlerer Art, mich über diese enge Sphäre etwas auszudehnen." Aber – "der Mangel, mit Ungestühmer Stimme sogleich gegenwärtig mich anzufallen und immer wahrhaftig in seinen Drohungen, treibt mich ohne Verzug zur schweren Arbeit zurück". Indes, er will von niemandem, auch von den Freunden nicht, bemitleidet sein. Und so fährt er fort: in Anbetracht des Ortes, wo er sich befinde – er hängt an seiner Heimat – und der "kleinen Aussichten des Überflusses", die er sich erlaube, begnüge er sich schließlich mit dem Beifalle, mit dem man ihn begünstige, und mit den Vorteilen, die er daraus ziehe, um die ganze, sowieso schon ausnahmsweise Expektoration mit einem Worte zu schließen, das ich ähnlich in keiner seiner sämtlichen Schriften und Briefe gelesen zu haben mich erinnere, und das man jedem anderen eher zutrauen würde als gerade ihm: und – "träume mein Leben durch". Gewiß nicht immer, ja vielleicht nicht einmal häufig, wird Kants Selbstbeherrschung sich solchen melancholischen und doch wieder mit einem überlegenen Humor gepaarten Stimmungen überlassen haben; aber es ist doch bezeichnend, dass selbst bei einer so kühlen und verstandesklaren Natur wie Kant Stunden nicht gefehlt haben, wie sie keinem Genie erspart bleiben, das sich mit den Armseligkeiten und Kleinlichkeiten seiner Umgebung abfinden muß.
Geselliger Umgang.
Eine Trostschrift
Der gesellige Verkehr des "kleinen Magisters" scheint sich in diesen ersten Jahren in ziemlich bescheidenen Grenzen bewegt zu haben. Freilich spricht Hamann in einem Briefe aus dem Jahre 1759 schon von der "akademischen" und "galanten" Welt, in der, im Gegensatz zu ihm selbst, Kant sich bewege. Allein bei dem "Magus aus Norden", der anspruchs- und formlos bis zum Äußersten war, will das nicht viel besagen. Die wenigen uns erhaltenen Nachrichten berichten jedenfalls nur von höchst einfachen Vergnügungen, von einem "bäurischen Abendbrot", das man zu dreien in dem Krug der Trutenauer Windmühle (in der weiteren Umgebung der Stadt) verzehrte oder von einem Zusammensein mit Referendar Wulf, Dr. jur. Funk (1721—1764), Hamann, Prof. Kypke und Gymnasiallehrer Freytag in Schultz' Kaffeegarten. Die beiden letztgenannten waren Schulkameraden Kants; mit Freytag, der seit 1747 am Domgymnasium unterrichtete, 1767 als Pfarrer nach dem benachbarten Kirchdorf Neuhausen kam und dort 1790 starb, scheint er besonders viel verkehrt zu haben. Er empfiehlt sich gelegentlich auch durch seinen gewesenen Schüler Borowski, der dort Hofmeister war, den "gnädigen Damen des von mir äußerst verehrten Schulkeimschen Hauses". Und er verkehrte natürlich, auch abgesehen von solchen Studierenden, deren Führung, d. h. "Beaufsichtigung" er besonders übernommen hatte, mit seinen augenblicklichen oder früheren Zuhörern.
Ein Zeichen davon, wie sehr man ihn in weiten Kreisen schätzte, ist das, dass man nach dem Tode eines derselben gerade von ihm ein Trostschreiben an die trauernde Mutter begehrte. Diesem Umstand verdanken wir seine im Druck erschienenen, vom 6. Juni 1760 datierten 'Gedanken bei dem frühzeitigen Ableben des Herrn Johann Friedrich von Funk'. Wichtiger als der besondere Anlaß, der Tod eines an der Schwindsucht verstorbenen stillen und fleißigen kurischen Studenten, ist für uns die Beleuchtung, in der hierbei des Philosophen eigene Sinnesart erscheint. Die "Gedanken" sind in schwungvoller, fast poetischer und doch die Phrase verschmähender Sprache geschrieben, hier und da durch ein Dichterwort von Lukrez, Haller oder Pope gewürzt. Sie zeigen, dass ihr Verfasser keineswegs des weicheren Gefühls entbehrte. Gegenüber den "rauschenden Freuden" und dem "Getümmel der Geschäfte und Zerstreuungen", in denen die meisten Menschen ihr Glück suchen, preist er die "ruhige Heiterkeit der Seele", der nichts Menschliches unerwartet kommt, die "sanfte Schwermut", die in einsamer Stille die Nichtigkeit desjenigen erwägt, "was bei uns gemeiniglich für groß und wichtig gilt". "Bereit, sich mit einer christlichen Resignation in den Befehl des Höchsten zu ergeben", wenn es diesem gefällt, "ihn von der Bühne abzurufen", wird der Weise, in Gedanken an "seine große Bestimmung jenseits dem Grabe", bis dahin eifrig seine Pflichten erfüllen, "vernünftig in seinen Entwürfen, aber ohne Eigensinn, zuversichtlich auf die Erfüllung seiner Hoffnung, aber ohne Ungeduld, bescheiden in Wünschen, ohne vorzuschreiben, vertrauend, ohne zu pochen".
Unter russischer Herrschaft
Durch die russische Okkupation Ostpreußens, die vom Januar 1758 bis in den Juli 1762 hinein, also volle vierundeinhalb Jahre dauerte, änderte sich nichts Wesentliches in den Einrichtungen des Landes, insbesondere auch im gewohnten Leben der Universität: nur dass die Eingaben – auch diejenige Kants, wie wir sahen – jetzt an die "Allerdurchlauchtigste Großmächtigste Kayserin und große Frau" Elisabeth anstatt an den "Allerdurchlauchtigsten Großmächtigsten König" Friedrich II. gerichtet werden mußten. Besonders der menschenfreundliche Gouverneur Nikolaus von Korff (Juli 1758 bis Januar 1761) machte sich durch seine Rechtschaffenheit und Güte allgemein beliebt. Die russischen Offiziere brachten Geld ins Land; freilich mit dem größeren Luxus, den bald auch die Einheimischen annahmen, auch größere Leichtfertigkeit, namentlich in geschlechtlichen Dingen. Daneben herrschte jedoch in einem Teile des Offizierkorps anscheinend ein gewisser Bildungsdrang; wenigstens wird berichtet, dass unser Magister damals "viele russische Offiziere in der Mathematik privatim unterrichtet" habe. Zu einer nicht sicher bestimmten Zeit auch einen polnischen Edelmann von Orsetti, der im Sommer seine Güter bewirtschaftete, im Winter sich in Königsberg aufhielt und durch seinen Eifer Kant bis in sein Alter unvergeßlich blieb (Wannowski). In seinen Briefen und Schriften ist nirgends von den politischen und kriegerischen Zeitereignissen die Rede, eine Stelle in dein eben erwähnten Trostschreiben an Frau von Funk ausgenommen. Und auch dort sind es nicht patriotische, sondern allgemein-menschliche Gefühle, denen der Briefschreiber Ausdruck verleiht. "Zu einer Zeit, da ein wütender Krieg die Riegel des schwarzen Abgrunds eröffnet, um alle Trübsale über das menschliche Geschlecht hervorbrechen zu lassen", da flöße der gewohnte Anblick von Not und Tod den davon Bedrohten wohl eine "kaltsinnige Gleichgültigkeit" ein; anders, wenn in der "ruhigen Stille des bürgerlichen Lebens" der Tod einem aus dem Zirkel der uns Nahestehenden reiße! So schreibt ein Bürger von Königsberg Juni 1760, d. i. mitten in der Bedrängnis seines Staates durch den Krieg der sieben Jahre, der freilich die meiste Zeit fern von Ostpreußens Gefilden geführt wurde!
Verkehr mit J. G. Hamann
Ehe wir uns Kants Schriften während dieser Epoche zuwenden, müssen wir auf seinen Verkehr mit einem der Genannten noch besonders zurückkommen, weil gerade er einen neuen Blick in das innere Wesen Kants ermöglicht: den mit seinem sechs Jahre jüngeren Landsmann Johann Georg Hamann. Schon im Sommer 1756 hatte Magister Kant den damals kürzere Zeit unbeschäftigt in der Heimatstadt weilenden, 26 Jahre zählenden Chirurgensohn flüchtig kennengelernt, und letzterer ihn in einem Briefe an seinen Bruder einen "fürtrefflichen Kopf" genannt, dessen Schriften er zu lesen begierig sei. In näheren Verkehr kamen beide erst 1759 durch zwei gemeinschaftliche Freunde, den aus Königsberg stammenden und schon genannten Rektor Lindner in Riga (der auch in Herders Jugend eine Rolle spielt), und den Sohn eines Rigaer Kaufmannshauses, Christoph Berens. Hamanns Freundschaft mit dem jungen Berens, die auf ihrer gemeinsamen Begeisterung für Deismus und Weltbürgertum begründet gewesen war, hatte durch des ersteren, nach zeitweilig ziemlich leichtsinnigem Leben, plötzlich in London erfolgte "Bekehrung zu Christo" einen Stoß erlitten. Berens suchte nun während seines Königsberger Aufenthaltes den Freund für sich persönlich und für eine freiere Weltanschauung zurückzugewinnen mit Hilfe – Kants. Eine persönliche Aussprache gelegentlich jenes "bäurischen Abendbrotes" blieb ohne Erfolg; desgleichen ein Besuch beider in der Wohnung Hamanns. Vergeblich suchte der Phüosoph letzteren durch Übersetzung einiger Artikel aus der berühmten französischen Enzyklopädie auf andere und freiere Gedanken, vielleicht auch zu etwas Gelderwerb zu bringen. Zwei der ihm von Kant vorgeschlagenen Artikel über das Schöne und über die Kunst, fand der eigenartige Mensch zu fad. Der dritte: vom "Scharwerk und den Gehorcharbeitern" – vielleicht darf man aus diesem Vorschlag auf ein frühes Interesse unseres Philosophen für die von ihm in Judtschen beobachteten Verhältnisse der Landarbeiter schließen – sei zwar gut, liege ihm aber zu fern. Hamanns Ablehnung erfolgte in einem noch erhaltenen ausführlichen Briefe an Kant vom 27. Juli 1759. Statt eines ursprünglich verabredeten weiteren "Kolloquiums" zog nämlich der Magus vor, sein stärkstes Geschütz, das Schreiben, spielen zu lassen. Er ließ an jenem Tage eine gewaltige, in der Akademie-Ausgabe von Kants Briefwechsel neun volle Seiten (I, 7—16) umfassende Epistel oder, wie er selbst drastisch sagt, eine "Granate aus lauter kleinen Schwärmern" auf den "kleinen Magister" los. Von dem letzteren ist leider kein Brief aus dieser Zeit an Hamann erhalten. Um so wertvoller sind für uns die Stellen, an der Kants entgegengesetzte Wesensart in den Zeilen des geistreich-witzigen Brief Schreibers sich widerspiegelt. Gewiß trifft dieser das Richtige, wenn er meint, er müsse Kant "episch" schreiben, weil der Magister die "lyrische Sprache", die der Geschichtsschreiber des menschlichen Herzens anwende, noch nicht zu lesen verstehe. Der Gegensatz beider Naturen tritt ferner in dem ironischen Spott des "Magus" über den Philosophen hervor. Er müsse beinah darüber lachen, dass man einen solchen dazu ausgesucht, um eine Sinnesänderung in ihm hervorzurufen. Möge derselbe auch auf "die Dichter, Liebhaber und Projektmacher" herabsehen "wie ein Mensch auf einen Affen", mit "Lust und Mitleiden" zugleich: über gewisse Dinge solle er sich doch nicht mit ihm einlassen, die er (Hamann) besser beurteilen könne, weil er seine Autoren "nicht aus Journalen, sondern aus mühsamer und täglicher Hin- und Herwälzung derselben" kenne.
Die Liebesmüh' von beiden Seiten war umsonst: jeder blieb auf seinem Standpunkt. Der Magus wahrte seine Selbständigkeit auch einem Kant gegenüber. "Nicht Ihre Vernunft, nicht meine," schrieb er ihm in einem späteren Brief von Ende 1759, "hier ist Uhr gegen Uhr, die Sonne aber geht allein recht." Die Sonne aber war für den "gläubig" gewordenen Hamann einzig das biblische Christentum, und der Philosophie Amt bestand in seinen Augen bloß darin, ein "Zuchtmeister zum Glauben" zu sein, wofür er selbst Humes Skeptizismus in Anspruch nahm. So reiste denn Berens im Oktober d. J. wieder von Königsberg ab, ohne dass es zu einer Erneuerung der alten Freundschaft, gekommen wäre. Eür Hamann aber sind beide, Kant und Berens, die unbeabsichtigten Urheber seiner ersten Schrift, der "Sokratischen Denkwürdigkeiten" (Amsterdam 1759) gewesen, die "Niemand", d. i. dem Publikum, und "Zween", d. i. Berens und Kant, gewidmet waren. Die geistvolle und lebendige Auffassung des Sokrates, dem er allerdings auch manche Züge des eigenen Wesens unterschiebt, insbesondere die mystische Auffassung des sokratischen "Genius", spiegelt sich anscheinend noch in Kants spätester Schrift, freilich vorzugsweise in seiner Abneigung gegen diesen "orakelnden" Genius, wieder.25 Im übrigen tritt die Person Kants in den "Denkwürdigkeiten" ganz zurück; nur einmal wird er, in unbewußter Vorausahmung seines philosophischen Ruhms, mit Newton als "allgemeinem Weltweisen" und philosophischem "Münzwardein" verglichen. Die eigene, im stärksten Kontrast zu der Art Kants stehende Denk- und Schreibweise charakterisiert Hamann in treffender Selbsterkenntnis mit den Worten: "Wahrheiten, Grundsätzen, Systemen bin ich nicht gewachsen. Brocken, Fragmente, Grillen, Einfälle."
Der Philosoph hatte demgegenüber wohl das Gefühl, dass eine Verständigung mit einer so entgegengesetzten Natur ausgeschlossen sei. Gleichwohl hat er eine in den 'Hamburger Nachrichten' erschienene Besprechung der Schrift, nach der "kein Jakob Böhme, kein wahnsinniger Schwärmer unverständlicheres und unsinnigeres Zeug reden und schreiben kann, als man da zu lesen bekommt" (Hamann), sicherlich weder selbst geschrieben noch veranlaßt, wie der mißtrauische Hamann eine Zeitlang argwöhnte. Denn noch in dem gleichen Jahre 1759 besprach er mit diesem ganz freundschaftlich den Plan einer gemeinsam abzufassenden "Kinderphysik", d. h., wie sich aus Hamanns ausführlichen zwei Antwortschreiben ergibt, einer Art Physischer Geographie oder Naturgeschichte für die Jugend, die von den ersten Elementen des Weltalls bis zu den Tieren und Menschen führen sollte. Kant, im Gefühl seiner Schwäche in Sachen praktischer Pädagogik, wandte sich an den in dieser Beziehung besser beschlagenen Hamann. Dieser traute allerdings – und wohl mit Recht – dem gelehrten Magister, dem kaum die Studenten im Kolleg zu folgen vermochten (s. S. 83), nicht zu, dass er sich in die Seele der Kinder zu versetzen, "sich zu ihrer Schwäche herabzulassen vermöge". Ein "Philosoph für Kinder" müsse "Herz" genug haben, der Verfasser einer "einfältigen, törichten und abgeschmackten" Naturlehre zu sein und, was für Hamann die Hauptsache war, "auf dem hölzernen Pferde der mosaischen Geschichte zu reiten" sich bequemen! Das war denn doch nicht Kants Fall. Denn am wenigsten konnte er, der der Aufklärung auch der Jugend dienen wollte, geneigt sein, den Unterricht eng an den biblischen Schöpfungsbericht anzuknüpfen. So ist es zu der gemeinsamen Arbeit und zu einem Schulbuche aus seiner Feder nicht gekommen. Er muß wohl Schweigen als die beste Antwort betrachtet haben, denn in einem zweiten Briefe beklagt sich Hamann bitter über Kants Stillschweigen, das "eine Beleidigung für mich ist, die ich ebensowenig erklären kann … als Sie meine auffahrende Hitze". Gekränkt erklärt er: "Es ist Ihnen aber nichts daran gelegen, mich zu verstehen. … Das heißt nicht philosophisch, nicht aufrichtig, nicht freundschaftlich gehandelt." Damit scheint eine längere Pause in dem schriftlichen und mündlichen Verkehr beider eingetreten zu sein. Wir werden auf das spätere Verhältnis Kants zu dem merkwürdigen Manne noch zurückkommen.