Kitabı oku: «Teufelskatz», sayfa 2
Montag
Nachdem Steinböck sich eine Zigarette gedreht hatte, setzte er sich mit einer Tasse Kaffee in den Korbstuhl und stellte fest, dass er Maxi Müllers Marihuanapflanzen unbedingt gießen musste. Nachdem Maxi Müller wegen zweifachen Totschlags zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war, hatte Steinböck auf ihren Wunsch die Wohnung gewechselt, um sich besser der Pflanzen in ihrem Wintergarten annehmen zu können. Dazu hatte man ihre Möbel in seiner ehemaligen Wohnung abgestellt, und er war dafür mit seinen Sachen bei ihr eingezogen. Dafür hatte er versprochen, sich um ihre Pflanzen zu kümmern.
Während er seinen Gedanken und Tagträumen nachhing, war die Katze durch die offene Gewächshaustür hereingekommen, sprang auf den wackeligen Korbtisch und platzierte sich vor Steinböcks Kaffeetasse.
»Verdammt, du sollst nicht immer mit deinen dreckigen Pfoten auf den Tisch springen«, knurrte er und zündete dabei die Selbstgedrehte an.
»Ich hab es heute Nacht getroffen«, sagte sie, ohne auf Steinböcks Vorwurf einzugehen.
»Wen hast du getroffen?«
»Na, es, das fliegende Spaghettimonster.«
»Aha«, sagte er grinsend und nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette.
»Ja, es bestand nur aus einem großen Haufen Spaghetti mit Stielaugen, und dazwischen waren kleine Fleischpflanzerl. Ungefähr wie diese ekligen Köttbullar, die du dir bei IKEA immer reinziehst.«
Steinböck gluckste, verschluckte sich am Rauch der Zigarette und hustete wild.
»Du nimmst mich wohl nicht ernst, und außerdem solltest du nicht so viel rauchen, wenn du es nicht verträgst.«
Steinböck versuchte wieder zu Atem zu kommen, griff sein Feuerzeug und warf es nach der Katze, die aber bereits blitzschnell durch die Tür verschwunden war.
»Gewalt ist auch keine Lösung«, hörte er sie noch rufen.
Steinböcks anfängliche gute Laune war auf den Nullpunkt gesunken. Für einen kurzen Moment dachte er wieder daran, den Polizeipsychologen aufzusuchen.
Spaghetti mit kleinen Fleischpflanzerln, das kann nicht aus meinem Hirn kommen, überlegte er, und somit verwarf er den Gedanken, mit dem Psychologen zu sprechen, zum wiederholten Male. Solange es danach aussah, dass die Katze wirklich mit ihm sprach, sah er keine Veranlassung, an seinem Geisteszustand zu zweifeln.
Pünktlich um 8.30 Uhr verließ er mit seinem alten Käfer, begleitet von einigen Fehlzündungen, den Hof in der Fallmerayerstraße. Er hatte versprochen, seine Kollegin Ilona Hasleitner abzuholen und sie mit ins Kommissariat zu nehmen. Die Katze saß wie immer, wenn sie nicht schlief, vorne auf der Ablage, von wo sie in der Regel ihre Kommentare zu Steinböcks Fahrstil oder dem der anderen Verkehrsteilnehmer zum Besten geben konnte. Diesmal blieb sie still und es hatte auch nicht den Anschein, als ob sie den Verkehr beobachten würde. In der Schellingstraße stieg Ilona Hasleitner zu.
»Morgen, Chef, morgen, Katze, gut geschlafen?«, sagte sie munter und ließ sich in den Beifahrersitz plumpsen. Hasleitner hatte im letzten halben Jahr deutlich abgenommen, so passte inzwischen auch der Sicherheitsgurt des alten Käfers. Steinböck brummte ein kaum verständliches »Guten Morgen«, und Frau Merkel, die Ilona Hasleitner sonst freudig begrüßte, starrte weiterhin schweigend auf die Straße.
»Auweia, dicke Luft bei der Familie Steinböck. Soll ich aussteigen und mit der Tram fahren?«
»Awo, die Katz hat bloß schlecht g’schlafen. Sie hat eine Erscheinung g’habt und jetzt hat sie Bauchweh«, sagte Steinböck feixend.
»So, eine Erscheinung, und was ist ihr erschienen?«
»Ein großer Haufen Spaghetti mit kleinen Fleischpflanzerl.«
»Auweia, und davon hat’s zu viel gefressen?«
Jetzt lachte Steinböck laut.
»Kann scho sein, aber ich glaub’s nicht. Der Haufen Nudeln ist nämlich das fliegende Spaghettimonster und die Gottheit der Pastafari.«
»Du meinst, der Rastafari, Bob Marley und so.«
»Na, na, Pastafari ist schon richtig. Und da des alles mit einem neuen Fall zu tun hat, wirst du im Büro gleich darüber recherchieren.«
»Ein neuer Fall?«
»Ist noch nicht ganz sicher, aber mein Bauch sagt mir, dass es einer wird.«
Ilona Hasleitner schwieg einen Moment und versuchte, das eben Gehörte zu verdauen. Dann schweifte ihr Blick von der Katze zum Kommissar. Der »Chef«, wie sie Steinböck am liebsten nannte, hatte sie vor einem halben Jahr während ihrer Ausbildung zum Streifendienst zur Kripo geholt. Inzwischen hatte sie ihre Prüfung abgelegt und wollte Ermittlerin werden. Steinböck war gemütlich, aber auch genial. Doch sein seltsames Verhältnis zur Katze, die er meist mit ins Büro brachte, stellte sie immer wieder vor neue Rätsel.
»Und woher weißt du, dass dieses Spaghettimonster der Katze erschienen ist? Du kannst also doch mit ihr reden«, stellte sie fest.
»So ein Schmarrn, niemand kann mit Katzen reden«, sagte er energisch. Frau Merkel zog ihre Mundwinkel herunter, und ohne Zweifel schmunzelte sie hämisch. Dann sprang sie von der Ablage auf Ilonas Schoß und rollte sich dort genüsslich zusammen.
*
»Er ist wieder da«, raunte der Beamte an der Information Steinböck zu, wobei er eine geheimnisvolle Miene aufsetzte.
»Wer ist wieder da, Schneehofer?«
»Na, Ihr spezieller Freind«, dabei deutete er mit einem Nicken des Kopfes in Richtung der Katze auf Steinböcks Arm. »Da Staller ist wieder da.«
»Ich dachte, der kommt nicht wieder. Wie lange war der jetzt weg? Vier Monate?«
»Fünf Monat war er in psychiatrischer Behandlung. Aber jetzt soll er wieder in Ordnung sein.«
»Danke für den Hinweis«, murmelte Steinböck und steuerte auf den Aufzug zu.
»Yeah, der Kampf geht weiter«, schnurrte die Katze.
»Untersteh dich, dich ihm auch nur zu nähern«, zischte der Kommissar. Hasleitner, die die ganze Zeit hinter ihm her trottete, äffte Steinböck mit einem breiten Grinsen im Gesicht nach.
»Niemand kann mit Tieren reden.« Dann nahm sie die Treppen, während sich Steinböck mit noch zwei Beamten in den schon vollen Aufzug quetschte.
Im Büro empfing sie Emil Mayer junior, der geschickt mit seinem Rollstuhl zwischen den Schreibtischen herumkurvte.
»Morgen, Chef! Klessel hat angerufen. Er sagte, es war Mord. Du wüsstest schon Bescheid. Der schriftliche Bericht kommt nach. Du könntest auch rüberkommen, wenn du magst.«
»Dacht ich mir doch. Die SpuSi …«
»… hab ich schon losgeschickt«, unterbrach ihn Mayer junior und schob sich in Richtung Kaffeemaschine.
»Seit wann bist du schon da?«
»Seit um sechse«, antwortete Emil Mayer.
»Hast wieder Schmerzen g’habt?«
»Leider ned in die Füß, wenn’s nur endlich wehtun tät, dann wüsst’ ich, dass was passiert. Aber der Arzt hat g’sagt, die Chancen sind gut.«
Dann stützte er sich mit beiden Händen auf die Armlehnen des Rollis, streckte den Kopf nach hinten, bis es hörbar knackte, und ließ sich dann zurück in den Rollstuhl fallen.
»Magst an Kaffee, Chef?«
Steinböck sah ihn an und dachte daran, wie er das erste Mal im Büro aufgetaucht war. Er war mit dem Rollstuhl gegen die Bürotür geknallt. Die Schramme sah man heute noch.
»Emil Mayer junior. Ich bin der neue Kollege. Neger, Rollstuhlfahrer, 60er-Fan«, so hatte er sich damals vorgestellt. Gerade einmal 30, da hatte ihn eine verirrte Kugel in den Rücken getroffen.
»Kaffee oder Kaffee?«, rief er nochmal.
»Kaffee«, antwortete Steinböck und ließ sich in seinen Sessel plumpsen, der gefährlich quietschte.
»Irgendwann a mal kracht’s ihr zwei zamma«, stellte Hasleitner fest und verteilte eine Runde Butterbrezen.
»Also, passt’s auf, ich war gestern Abend beim Klessel zum Essen eingeladen … Was mich jetzt interessiert, ist des Umfeld des Toten. Familie, Beruf, Konten, Hobbys et cetera. Des machst du, Hasleitner. Und du, Emil, suchst alles raus, was du über den Nachbar, die Pastafari und des fliegende Spaghettimonster finden kannst. Ich geh inzwischen zum Klessel, und die Katz nehm ich mit.«
»Warum darf meine schwarze Schwester nicht dableiben?«, fragte Mayer junior grinsend.
»Der Staller ist wieder da«, sagte Steinböck.
»Auweia, dann is besser, wenn du die Kanzleraufsicht hast.«
*
Wie üblich traf er Klessel am Schreibtisch hockend, die Beine auf den Tisch gestreckt und wieder mal selbstzufrieden vor sich hin lächelnd.
»Du darfst mich Genie nennen«, sagte er erwartungsvoll.
»Was ist los, hast du schon wieder von deinem Formalin getrunken?«
»Hä, hä, ich habe den Fall sozusagen schon gelöst.«
»Wo kann ich mich hinsetzen?« Steinböck blickte sich vergeblich nach einer Sitzgelegenheit um, denn er wusste, dass es länger dauern würde. Schließlich setzte er sich auf einen der fahrbaren Seziertische, während die Katze auf Klessels Schreibtisch sprang.
»Ich sag nur ›Chironex fleckerie‹, die mordende Hand.«
»Oh, ich wusste gar nicht, dass ich so gefährlich bin.«
»Red endlich Klartext, sonst nehm ich dir deinen Flachmann weg«, antwortete Steinböck genervt und warf zugleich der Katze einen bösen Blick zu.
»Das Gift der ›Seewespe‹, einer Quallenart die nur im australischen Pazifik vorkommt. Eine kleine Menge davon ist bereits absolut tödlich.«
»Und wie wurde es ihm verabreicht?«
»Folge mir«, sagte Klessel theatralisch und zog den verdutzten Steinböck, der noch immer auf dem Sezierwagen saß, hinter sich zu der Wand mit den Kühlboxen her. Er öffnete eine der Türen und zog die Rollbahre mit Grubers Leiche heraus. »Hier, schau dir die Handinnenfläche an.« Er klappte das Pflaster zurück, und ein geröteter Einstich wurde sichtbar. »Siehst du die glänzende Haut? Der Täter hat die Wunde sogar mit einem Spray desinfiziert und dann ein Pflaster angebracht, um davon abzulenken.«
»Und wer sagt dir, dass es nicht Gruber selbst war? Er könnte sich an dem vergifteten Objekt verletzt und sich dann verarztet haben«, sagte Steinböck, während er vorsichtig vom Sezierwagen rutschte.
»Unmöglich, dazu hatte er keine Zeit mehr gehabt. Außerdem habe ich mit Beck von der SpuSi telefoniert. In der ganzen Wohnung gibt es kein Desinfektionsspray. Und sie haben auch kein Pflaster gefunden. Aber sie konnten einen Plastikstreifen sicherstellen, der ganz offensichtlich von der Rückseite eines Pflasters stammt. Und jetzt tritt Thomas Klessel in Aktion, der genialste Pathologe seit Karl-Friedrich Boerne.«
»Und wer soll das sein?«
»Vergiss es, Klessel, der Kerl guckt doch nur die Teletubbies.«
»Okay, stell dir vor, du hast Handschuhe an und willst die Folie eines Pflasters abziehen. Entweder ziehst du die Handschuhe aus, dann befänden sich Fingerabdrücke auf dem Pflaster, oder du hältst sie mit den Zähnen fest, dann ließen sich vielleicht Spuren von Speichel finden, um die DNA nachzuweisen.«
»Oder du hast Gummihandschuhe an, dann bekommst du sie trotzdem ab.«
»Laut Beck gibt es eine eindeutige Druckstelle, die auf einen Zahnabdruck hinweist«, dozierte Klessel und ignorierte Steinböcks Einwand.
»Wann hast du die DNA-Probe analysiert?«
»Wenn etwas zu finden ist, dann bis morgen.«
»Gute Arbeit, Thomas«, sagte er, packte die Katze unterm Bauch und nahm sie auf den Arm. »Ach, übrigens, wer ist jetzt dieser Karl-Friedrich Boerne?«
*
»Also, was Besonderes hab ich im Umfeld vom Gruber nicht gefunden. Er arbeitet seit 20 Jahren bei der Stadt im Sozialamt. Gehobener Dienst. Geboren 1970. Abitur und abgeschlossenes Theologiestudium. Er hatte bereits die Priesterweihe erhalten, verliebte sich dann aber in seine Haushälterin und legte sein Priesteramt nieder. Er studierte Psychologie und machte eine Ausbildung als Bewährungshelfer. Als solcher begann er 1999 bei der Stadt München. Zwischenzeitlich war er verheiratet gewesen und wurde vor zehn Jahren geschieden. Keine Kinder.« Hasleitner ließ das Gesagte kurz wirken und wollte dann fortfahren.
»Womit hatte er bei seiner Arbeit zu tun?«, unterbrach Steinböck sie.
»Er war in der Verwaltung, hat Leute koordiniert, Gelder genehmigt. Nichts Aufregendes. Er hatte auch seit Jahren keinen Publikumsverkehr mehr. Bis Freitag hatte er Container für Flüchtlinge organisiert.«
»Bis Freitag?«
»Richtig. Seit Freitag ist er für elf Monate freigestellt. Ein sogenanntes Sabbatjahr. Aber von seinen direkten Mitarbeitern habe ich noch keinen erwischt. Die Kollegin, die mit ihm im Büro sitzt, hat aber versprochen, heute noch vorbeizukommen.«
»Was ist mit seiner Ex?«
»Ich hab sie angerufen. Die war echt fertig. Die beiden hatten noch engen Kontakt. Ich hab sie herbestellt.«
»Gut, Ilona, und was meinst du?«
»Ich, was i moan?«
»Komm Ilona, du weißt, warum du unter anderem bei uns bist. Weilst a Nasen hast. Weilst a G’spür für Menschen hast.«
Hasleitner war sichtlich verlegen. Steinböck nahm die Katze auf den Arm und lehnte sich gegen die Fensterbank. Ilonas Blick ging von Emil Mayer junior zu ihrem Chef. Dann räusperte sie sich zweimal und legte los.
»Ich glaub, der Gruber war a ehrliche Haut. Der war scheinbar immer gradlinig und alle ham eam g’mocht. Und wenn oaner für sei große Liebe sogar sein Priesteramt aufgibt, dann nötigt mir des Respekt ab. Aber sein Glaube is ihm blieben und hat ihn offensichtlich stark gemacht.«
Frau Merkel sprang von Steinböcks Arm auf die Fensterbank. Es schien, als verdrehte sie die Augen.
»Ich sagte dir doch, dass das Mädel Drogen nimmt. Du solltest besser auf dein Personal achten.«
Der Kommissar nahm sie am Kragen und hob sie vorsichtig durch das geöffnete Fenster nach draußen, wo er sie auf dem Vordach absetzte.
»Ich sag nur Spaghetti mit Fleischpflanzerl.«
»Jetzt redet er wieder mit der Katze«, flüsterte Mayer junior Ilona Hasleitner zu.
Steinböck wandte sich ihm zu.
»Des hab ich g’hört. Pass nur auf, dass ich dir ned die Luft aus den Reifen lass. Also, was hast du rausgekriegt?«
Mayer grinste über das ganze Gesicht.
»Vollgummi, Chef, Vollgummi!«, er klopfte dabei mit der flachen Hand auf den Rollstuhlreifen. »Also, womit soll ich anfangen?«
*
Bevor Emil junior beginnen konnte, klopfte es an der Tür und Sabine Husup trat unaufgefordert ein. Wie immer trug sie einen Pullover, der ihr bis zu den Knien reichte, und ihre Haarlänge variierte, wie schon die letzten 20 Jahre zwischen 2,8 und 3,2 Millimetern. Die gegelten Spitzen erinnerten Steinböck an einen greisen Igel und die runde Nickelbrille an Harry Potter unter der Treppe.
»Morgen, Herr Kommissar, kann ich mein Smartphone wiederhaben oder müssen Sie noch was kopieren? Die Fotos von Gruber werden Sie vermutlich schon gelöscht haben«, sagte sie mit vorwurfsvollem Ton.
»Also, zuerst mal herein, dann guten Morgen, und des Weiteren, Ihr Handy hab ich überhaupt nicht angerührt.« Umständlich kramte er in seiner Jackentasche. Dann roch er kurz daran. »Warum stinkt des eigentlich so wie Klessels eingelegte Leichenteile?«, fragte er und reichte es Husup.
»Des sind die Schutzhüllen, die kommen aus China und riechen alle so nach Gift. Damit desinfizieren die die Schiffscontainer wegen dem Ungeziefer«, warf Mayer junior ein und schob sich hinter seinen Schreibtisch zurück.
»Soll das heißen, dass ich Grubers Foto veröffentlichen kann?«
»Was wollen Sie denn damit? ›Toter auf Couch, Sabine Husup sprach mit dem Kissen‹?«
»Wurde Gruber ermordet?«, fragte sie, ohne auf Steinböck einzugehen.
»Warum hat der Gruber Sie zu sich bestellt?«
»Sie zuerst.«
»Jetzt reicht’s!«, polterte Steinböck. »Legen Sie sich nicht mit einem alten Mann an.«
»Nun kokettieren Sie bloß nicht mit Ihrem Alter. Sie sehen doch noch ganz gut aus. Man könnte sogar sagen, ziemlich sexy«, dabei blickte sie fragend zu Ilona Hasleitner. Diese nickte und sagte grinsend: »Genau, ziemlich sexy.«
»Also, was wollte Gruber von Ihnen?«, zischte er.
Husup überlegte kurz, ob sie das Spiel noch weitertreiben sollte, entschloss sich dann aber dagegen.
»Ich weiß es wirklich nicht. Er tat sehr geheimnisvoll. Wie Sie vielleicht wissen, wollte er für ein Jahr durch die USA und Südamerika reisen. Er hatte einfach nicht mehr die Zeit, die Sache aufzuklären. Er sprach von einem ungeheuren Skandal und prophezeite mir Schwierigkeiten ohne Ende. Das hat mich natürlich gereizt. Hätte ich gestern nur meinen Frisörtermin verschoben und wäre zwei Stunden eher gekommen.«
»Den Frisör hätt sie sich auch sparen können«, schnurrte Frau Merkel vom Fensterbrett.
»Dann wären Sie jetzt vermutlich tot«, warf Steinböck ein.
»Also ist Gruber ermordet worden?«
»Wir wissen es noch nicht, wir haben keinerlei Motiv. Also, halten Sie noch ein paar Tage die Beine still, und ich versprech Ihnen die Story exklusiv.«
»Okay Steinböck, aber verarschen Sie mich nicht.« Genau so schnell, wie sie gekommen war, hatte sie das Büro wieder verlassen.
*
»Leute, ich fang mal mit Grubers Nachbarn an«, sagte Emil Mayer junior, während er versuchte, seinen Rolli zurück hinter seinen Schreibtisch zu manövrieren. »Der Mann ist Elektroingenieur und arbeitet bei Siemens. Er verdient mehr als wir drei zusammen. Er gilt zwar als etwas eigenbrötlerisch, aber auch als hochintelligent. Außerdem gehört er zu einer Gruppe, die sich ›Pastafari‹ nennen, und jetzt wird’s wirklich toll. Da treffen sich erwachsene Frauen und Männer, verkleiden sich als Piraten, geben sich Namen wie ›Bruder Spaghetti‹ oder ›Schwester Tortellini‹ und huldigen dabei ›Seiner Nudligkeit‹, dem fliegenden Spaghettimonster. Auf den ersten Blick ein Haufen Spinner, sollte man meinen. Aber je mehr ich darüber gelesen habe, desto mehr hat die Sache mich fasziniert.«
Emil genoss es, dass die anderen förmlich an seinen Lippen hingen. Selbst die Katze beobachtete ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen. »Also, im Jahr 2005 gründete der amerikanische Physiker Bob Henderson diese Religionsparodie. Der Anlass für die Gründung dieser Religion war die öffentliche Diskussion um die Unterrichtung von ›Intelligent Design‹ an US-amerikanischen Schulen.«
»Geht’s a bisserl einfacher?«
»Also gut, ich versuch des Ganze mal zusammenzufassen. Bei den Amis ist das Unterrichten von religiösen Inhalten an Schulen nicht erlaubt. Nun gibt’s da diese Kreationisten. Die findet man vor allem unter den Republikanern. Sie sind Vertreter der Schöpfungsgeschichte, wie sie in der Bibel steht.«
»Ah, davon hab ich schon gehört. Die sagen, dass die Erde vor ein paar Tausend Jahren, so wie’s im Alten Testament steht, erschaffen worden ist und vorher war nix«, warf Hasleitner ein.
»So ungefähr. Jetzt wird an den amerikanischen Schulen im Biologieunterricht, wie auch bei uns, die Evolutionstheorie nach Darwin gelehrt …«
»Mensch, Emil, komm zur Sache«, brummte Steinböck ungeduldig.
»Also kurz, die Kreationisten klagen seit Jahren vergeblich vor amerikanischen Gerichten, dass die Schöpfungsgeschichte als Wissenschaft anerkannt wird und somit auch in den Schulen gelehrt werden darf. So, dem Henderson ist des auf den Sack gegangen und er hat einen offenen Brief an die Schulbehörde von Kansas geschrieben und darin verlangt, dass sein Glaube an das fliegende Spaghettimonster dann ebenfalls als gleichberechtigte Lehre anerkannt wird. Tja, und dieser Brief verbreitete sich dann im Netz mit so einer Geschwindigkeit, dass es nach Angaben der Ersten Vereinigten Kirche des fliegenden Spaghettimonsters in Deutschland weltweit inzwischen mehr als 10 Millionen Anhänger bei steigender Tendenz gibt«, sagte Mayer junior und freute sich offensichtlich diebisch.
»Und was ist jetzt daran so lustig?«, fragte Ilona verwirrt.
»Mei, Ilona, dazu müsstest du mal a bisserl im Internet nachlesen. Aber für dich, Chef, hab ich da was Schönes.« Er überflog ein Blatt murmelte vor sich hin und las dann laut vor: »Nach dem Tod stehen den Gläubigen im ›Himmel‹ unter anderem ein Biervulkan und eine Stripper- und Stripperinnen-Fabrik zur Verfügung. Im Buch ›Das Evangelium des fliegenden Spaghettimonsters‹ werden unter anderem analog den zehn Geboten des Christentums die acht ›Mir wär’s wirklich lieber, Du würdest nicht …‹ beschrieben, die vom Spaghettimonster gepredigt werden. Diese sprechen sich unter anderem gegen Diskriminierung, Vorurteile, religiöse Dogmen, Nötigung und Frauenfeindlichkeit aus. Zum Beispiel das sechste Gebot: ›Mir wär’s wirklich lieber, Du würdest nicht Multimillionendollar-Kirchen, Moscheen, Tempel, Schreine für Meine Nudlige Güte erbauen. Das Geld kann man nun wirklich sinnvoller anlegen. Sucht euch etwas aus: Zum Beispiel, Armut zu beenden, Krankheiten zu heilen, in Frieden zu leben, mit Leidenschaft zu lieben und die Kosten von Kabelfernsehen zu senken. Mag ja sein, dass ich ein komplexes, allwissendes Kohlenwasserstoffwesen bin, aber ich mag die einfachen Dinge im Leben. Ich muss es wissen, ich bin der Schöpfer.‹«
»Ich glaub, da muss ich heut Abend a bisserl googeln«, sagte Steinböck wobei er sich mit dem Finger durch seinen Dreitagebart strich und dabei die Katze musterte. »Sag mal, Emil, gibt’s irgendwo eine Beschreibung, wie des Spaghettimonster aussieht?«
»Hier steht, wie eine große Portion Spaghetti mit Fleischbällchen und Stielaugen.«
»Mit Fleischbällchen?«, murmelte Steinböck.
»Na ja, bei uns sagt man kleine Fleischpflanzerl.«
Steinböck versuchte das triumphale, hämische Grinsen der Katze zu ignorieren, und nahm sich erneut vor, nächste Woche den Polizeipsychologen aufzusuchen.
*
Der Mann kam aus der Gemeinschaftstoilette und blickte vorsichtig nach beiden Seiten. Zwischen den Zimmertüren zu den Schlafräumen reihten sich die Kleiderschränke der Internatsschüler, glücklicherweise übersah er den Jungen, der sich tief in den Schatten zwischen Schrank und Tür kauerte. Eigentlich suchte der Junge nach seinem Bettnachbarn, doch der vermummte Mann ängstigte ihn. Das Mondlicht war so hell, dass der Mann den ganzen Gang übersehen konnte. Noch einmal ließ er seinen Blick herumschweifen dann zog er sich die Kapuze vom Kopf und steckte sie in die Hosentasche. Er stellte dabei fest, dass sein Hosenstall noch offen war. Zufrieden lächelte er, als er den Reißverschluss mit einem kurzen Ruck zuzog. Dann fiel das Mondlicht auf sein Gesicht. Der Junge drückte sich noch tiefer in die Ecke und wagte kaum zu atmen. Der Mann verschwand eilig den Gang hinunter.
Warum schleicht einer der Erwachsenen nachts mit einer Maske vor dem Gesicht durchs Haus?, überlegte er. Der Junge wusste nicht, wie lange er reglos in der Ecke gekauert hatte, als sich die Klinke der Toilettentür bewegte und er den Freund schluchzend auf allen vieren hinter der Tür hervorkriechen sah. Er nannte ihn immer seinen kleinen Bruder. Er hatte sich stets einen Bruder gewünscht. Vorsichtig bückte er sich zu ihm hinunter und flüsterte wiederholt seinen Namen. Er sah in dessen verzerrtes Gesicht.
»Es tut so weh!«, wimmerte er.
Der Junge brachte den Freund zurück zu seinem Bett, verstört blickte er auf dessen blutigen Pyjama.
»Was ist passiert?«
»Es tut so weh!«
»Ich werde Pater Keller holen.«
»Nein, du darfst niemanden holen«, sagte er mit gepresstem Ton, um keinen der anderen zu wecken. Dabei krallte er die Finger in den Arm des älteren Jungen.
Dieser drückte den Kopf des Gequälten an seine Brust, um ihn zu beruhigen.
»Ich weiß nicht, was war, aber morgen geh ich zu Pater Keller.«
*
Der ältere Junge hatte sich, wie so oft, auf dem Turm versteckt. Die offene Architektur der beiden 70 Meter hohen Zwillingstürme aus Beton, die mit einer schmalen Haube aus Edelstahl endeten, erlaubte nahezu einen Rundum-Blick über die Stadt. Es war eine moderne Kirche, deren Kuppel bis zum Boden reichte. Wie eine halbe Tomate hatte sein Vater damals gesagt, als er ihn hierhergebracht hatte. Er hasste das Internat. Aber er hatte keine andere Wahl. Seine Mutter war tot, und sein Vater, ein bekannter Tierfilmer, immer auf Reisen. Außer für seinen Zimmerkameraden interessierte er sich für niemanden. Er tat ihm leid. Die anderen mobbten ihn, und so hatte er die Rolle des großen Bruders für ihn übernommen. Doch was gestern geschehen war, übertraf alles. Bereits am frühen Morgen hatte er sich auf Pater Kellers Zimmer geschlichen und ihm erzählt, was am vorherigen Abend vorgefallen war. Dieser schien die Geschichte sehr ernst zu nehmen. Er versprach ihm, sich darum zu kümmern.
»Du hast doch immer noch dein Versteck auf dem Turm. Warte dort auf mich. Ich werde dich holen, sobald die Sache geklärt ist.«
Der ältere Junge holte sich eine weitere Zigarette aus der verbeulten Schachtel, die er unter dem Treppenabsatz versteckt hatte. Woher wusste Pater Keller, dass er sich immer wieder auf den Turm zurückzog? Vermutlich ahnte er auch, dass er rauchte. Ganz oben an den Kirchturmspitzen nistete ein Falkenpärchen. Er hatte noch nicht herausgefunden, in welchem der beiden Türme sie ihr Nest hatten. Er beobachtete ein paar Tauben, die sich nur wenige Meter von ihm entfernt niederließen. Im Turm waren sie sicher, aber in der Luft mussten sie sich ständig vor den Falken in Acht nehmen. Er blickte nach oben, in das sich stetig verjüngende, offene Treppenhaus. Es fiel ihm schwer, mit seinen zitternden Händen die Zigarette anzuzünden. Er musste an seinen »kleinen Bruder« denken, als sie ihn heute Morgen in die Krankenstation brachten. Unbemerkt hatte er während der Nacht seinen Pyjama gewechselt. Er hatte sich geweigert, über die Vorkommnisse auf der Toilette zu sprechen, und der ältere Junge hatte beschlossen, ihm nicht zu sagen, wer hinter der Maske steckte. Trotz des schrecklichen Erlebnisses wollte er unbedingt zur Schule gehen.
Plötzlich hörte er, wie die Metalltür am Fuße des Turmes geöffnet wurde. Er war froh, dass Pater Keller endlich kam, obwohl er doch Angst davor hatte, wie es weitergehen würde. Er wusste zwar nicht, was mit dem »kleinen Bruder« geschehen war, aber über eines war er sich sicher: Es war mehr gewesen, als nur ein paar Blutflecken auf dem Pyjama. Erstaunlich, wie leichtfüßig der Pater die Treppen heraufkam, er, dessen schlurfende Schritte man selbst unter seiner bodenlangen Soutane schon von Weitem hören konnte. Schnell drückte er die Zigarette aus, steckte die Kippe in die Schachtel zurück und wedelte wild mit den Armen um sich. Von oben blickte er auf die Gestalt von Pater Keller. Diesmal war er tatsächlich ohne Soutane unterwegs, und auch die Tonsur, die doch deutlich zu sehen sein sollte, konnte er nicht erkennen. Als der ältere Junge endlich bemerkte, wer da die Treppen hochkam, war es bereits zu spät.
*