Kitabı oku: «Die großen Literaten der Welt», sayfa 4
Wichtige Werke:
Diwān-e Hāfez (Diwan des Hāfez, um 1390)
1 Persisch für ›Schreibzimmer, Sammlung beschriebenen Papiers‹; Bezeichnung für Gedichtsammlung oder auch das lyrische Gesamtwerk eines Dichters in alphabetischer Ordnung
2 Die Gedichte von Hāfez inspirierten Goethe zu seinem West-Östlichen Divan (1819/27), den der deutsche Dichterfürst sozusagen als Huldigung an den persischen verstand.
1 Die Mosaffariden-Dynastie war von häufigen, oft gewaltsamen Herrscherwechseln gezeichnet und von den Einfällen der Mongolen, die zwar Schiras selbst nicht erreichten, aber den Rest des Landes in Kriegswirren stürzten. Hāfez selbst begegnete 1387 während einer zeitweiligen Besetzung von Schiras durch die Tartaren dem ›Welteroberer‹ Tamerlan – eine Begegnung, die legendär geworden ist.
2 Hāfez wurde etwa vom Brahmaniden Mahmūd Shāh nach Indien eingeladen. Ein Sturm am Persischen Golf zwang den Dichter jedoch zur Rückkehr und setzte so dem einzigen Versuch Hāfez’, das geliebte Schiras zu verlassen, ein frühzeitiges Ende – was der Legendenbildung um die enge, ›schicksalhafte‹ Bindung des Dichters an seine vielbesungene Heimatstadt Vorschub leistete.
1 Etwa nutzt Hāfez die unzähligen Doppelbedeutungen, die viele Worte in Farsi tragen, für seine gewagten Sprachspiele aufs Vollste aus.
YUN SEONDO
(1587-1671)
Der Alte Mann vom Meer – Zeit der Harmonie auf Koreanisch
Yun Seondo, auch bekannt als Yun Sŏndo, gilt vielen als der größte koreanische Literat überhaupt. Er brachte die spezifisch koreanische Dichtungsform des sijo zu ihrem Höhepunkt, und seine harmonisch-fließenden Gedichte um den schwermütigen Menschen inmitten der Natur gehören zu den bewegendsten Werken der Literaturgeschichte.
Yun Seondo war einer der zahlreichen konfuzianischen Minister-Dichter, für die die koreanische Joseon Dynastie bekannt ist, und er sollte der berühmteste und wichtigste von ihnen werden. Als Sohn und Adoptivsohn – Yun Seondo wurde von seinem kinderlosen Onkel adoptiert, der auch seine (erstklassige) Ausbildung übernahm – von hochrangigen Beamten schien der Lebensweg des künftigen Poeten fest vorgezeichnet. Und in der Tat legte er im Jahr 1612 sein Examen zur Aufnahme in die königliche Administration ab, bewies aber auch bereits seinen rebellischen wie integren Charakter, als er sich weigerte, danach tatsächlich in die Dienste des tyrannischen Kwanghaegun (1556–1622) zu treten. Im Jahr 1616 wiederum präsentierte Yun Seondo dem König ein Memorandum, in dem er gegen die Korruption hochrangiger Minister protestierte. Dies führte zur ersten Verbannung des rebellischen Geistes nach Kyonwon. Hier verarbeitete er die Erfahrung des Exils und der Einsamkeit zu seinen ersten Gedichten, die den sijo-Zyklus Gesänge zum Vertreiben der Schwermut (Kyŏnhoe-yo, 1618) bilden und in denen Yun Seondo sowohl allgemeine Menschlichkeit und Gerechtigkeit als auch die unerschütterliche Loyalität zum Königshaus als oberste Werte propagiert. Erst im Jahr 1623 wurde Yun Seondos Verbannung vom neugekrönten König Injo (1595–1649) aufgehoben, der den Dichter fünf Jahre später zum Tutor seiner Söhne berief. Dieser Wechsel von einflussreicher politischer Tätigkeit und dichterischem Schaffen während der Perioden des – teils wegen seiner anhaltenden unbequemen politisches Ansichten und Aktivitäten verhängten, teils selbstgewählten – Exils bestimmte Yun Seondos gesamtes Leben; insgesamt verbrachte er 14 Jahre in offizieller Verbannung, viele mehr zog er sich freiwillig in die Natur zurück, die in seinen Gedichten zum Gegenbild zu der Illoyalität und Boshaftigkeit der Menschen wird – ein utopisch-bukolischer Gegenentwurf der Reinheit und Unberührtheit. Seine letzte Zuflucht fand Yun Seondo schließlich auf der Insel Bogildo, deren Landschaft sich in vielen seiner Gedichte poetisch manifestiert und die sich heute noch als Wahlheimat des großen Poeten rühmt. Die fünf bedeutendsten Gedichtzyklen Yun Seondos – Gesänge zum Vertreiben der Schwermut, Neue Weisen inmitten der Berge (Sanjung singok, 1642–1645), Weitere Neue Weisen inmitten der Berge (Sanjung soksingok, 1645), Gedanken über die vier Jahreszeiten des Fischers (Ŏbusasisa, 1651) und Gesänge über die enttäuschende Fahrt (Mongch’ŏn-yo, 1652) – sind als insgesamt 75 Texte in der Nachgelassenen Schrift des Kosan (Kosan yugo) gesammelt. ›Kosan‹, was ›Einsamer Berg‹ bedeutet, ist genauso wie Haeong, d. i. ›Alter Mann vom Meer‹, ein poetischer Beiname Yun Seondos. Beide Bezeichnungen verweisen auf die Verbundenheit des Dichters mit, ja, Eingebundenheit in die Natur und ehren zugleich die große Weisheit seines immer kritischen und doch eigenartig schicksals- und weltversöhnten Geistes.
Der Gesang der fünf Freunde (Ouga) von Yun Seondo ist das vielleicht berühmteste sijo-Gedicht überhaupt. Tatsächlich besteht es aus einer Aneinanderreihung von insgesamt sechs sijos und ist von seiner Thematik her typisch für den ›Alten Mann vom Meer‹:
Du fragst, wie viele Freunde ich mein nenne? Wasser und Stein, Bambus und Pinie.
Der Mond, der über den östlichen Hügeln aufgeht, ist mir ein freudvoller Gefährte.
Von jenen fünf umgeben, nach was mehr sollte mich verlangen?
Man sagt mir, Wolken seien schön, ihrer Farbe wegen; doch wie oft dunkeln sie!
Man sagt mir, der Wind sei angenehm, seines Klanges wegen; doch er verweht in der Stille.
Und so sage ich: Nur das Wasser ist treu und unendlich.
Warum vergehen die Blumen und sterben so früh nach jenem einen herrlichen Blühen?
Warum wird das grüne Gras zu welkem Gelb, nachdem seine Speere doch so hoch geschossen waren?
Kann es denn sein, dass nur der Stein den Elementen die Stirn bietet?
Im gleichen Stil lobt der Gesang der fünf Freunde auch noch den Bambus, die Pinie und den Mond und ist so ein exzellentes Beispiel für die tiefe Naturverbundenheit des großen Koreaners und die unterschwellige Einsamkeit und Schwermut, die aus all seinen Gedichten spricht. Die Werke Yun Seondos konstituieren den Gipfel der Gattung des sijo. Diese Dichtungsart, die auch heute noch in Korea praktiziert wird, kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Der sijo – der Begriff ist zusammengesetzt aus den koreanischen Zeichen für ›Zeit‹ und ›Harmonie‹ – ist ein kurzes, lyrisches Lied; er wird also gesungen, nicht gesprochen. Die spezifisch koreanische Gattung entwickelte sich aus der mündlichen Tradition; ihre Wurzeln gehen bis ins 7. Jahrhundert, wenn nicht weiter, zurück; bereits im 13. Jahrhundert war der sijo die dominierende Gattung der koreanischen Lyrik und etablierte sich endgültig mit der Einführung des Hanguei, des koreanischen Alphabets, im 15. Jahrhundert. Der sijo ist dem zeitlich jüngeren japanischen haiku verwandt; wie dieses ist es ein Silbengedicht, das in relativ strenger Form und einfachen Bildern eine philosophische oder existentielle Idee kristallisiert. Der traditionelle sijo ist ein Dreizeiler von insgesamt 44 bis 46 Silben mit einem festen Aufbau: Der erste Vers führt die zentrale Situation ein, der zweite Vers entwickelt die initiale Idee weiter, und der dritte Vers bringt den spannungsgeladenen Wendepunkt (ein unverzichtbares Element des sijo) und darüber die Auflösung oder Schlussfolgerung des Gedichts, das jenes oft auf eine höhere, abstrakt-philosophische Ebene hebt. Da jeder Vers des sijo etwa in der Mitte eine rhythmische Pause enthält (Rhythmus ist aufgrund der liedhaften Ursprünge dieser Gattung ein zentrales Element des sijo), werden die drei Verse zuweilen aufgesplittet, so dass auch sechszeilige sijo existieren. Der sijo, so heißt es, sei das einzige Medium, um die typisch koreanische Gemüts- und Lebenshaltung des Han adäquat auszudrücken: eine komplexe Mischung von Traurigkeit und Hoffnung, wie sie in den Gedichten Yun Seondos ihre vielleicht reinste, doch auf jeden Fall meisterhafteste Manifestation findet. Ganz besonders gilt das für den Zyklus, der als das vollkommenste Werk des ›Alten Manns vom Meer‹ gerühmt wird: die Gedanken über die vier Jahreszeiten des Fischers, auch als Des Fischers Kalender bekannt, eine Sammlung von 40 symbolträchtigen Naturgedichten, die die Figur des Fischers, traditionell ein Symbol des weisen Mannes und des einfachen Lebens in der Natur, in den Mittelpunkt stellen und sowohl das Han als auch Yun Seondos eigenes Lebensgefühl in berührende Verse hüllen:
Wo reine Schneeflocken schmelzen,
ballen sich drohend die dunklen Wolken.
Wo stehen die Blumen des Frühlings in ihrer Blüte?
Mir einsamen Gestalt, verloren im Schatten
der untergehende Sonne, bleibt kein Ort,
an den ich gehen könnte.
Wichtige Werke:
Kyŏnhoe-yo (Gesänge zum Vertreiben der Schwermut, 1618)
Sanjung singok (Neue Weisen inmitten der Berge, 1642–1645),
Sanjung soksingok (Weitere Neue Weisen inmitten der Berge, 1645)
Ŏbusasisa (Gedanken über die vier Jahreszeiten des Fischers, 1651)
Mongch’ŏn-yo (Gesänge über die enttäuschende Fahrt, 1652)
WU CHENG’EN
(UM 1500–1582)
Westwärts – Der Literaturbeamte und der Affenkönig
Die Reise nach Westen (Xiyou ji, erschienen 1592) von Wu Cheng’en ist einer der vier klassischen chinesischen Romane. Sie ist das weltweit wohl bekannteste dieser si da qishu (›außergewöhnliche Bücher‹), und die fantastische Erzählung um den Affenkönig Sun Wukong und sein Streben um Wiedergutmachung einer himmlischen Schuld gehört ohne Zweifel zu den großen Geschichten der Menschheit.
Kaum etwas ist vom Leben des Wu Cheng’en überliefert – doch so wenig man auch über den Autor der Reise nach Westen weiß, es ist immer noch mehr als über die Verfasser der restlichen ›außergewöhnlichen Bücher‹1; von ihnen kennt man nicht einmal die Namen. Die klassischen chinesischen Romane sind zu allererst Volkskunst – in dem Sinne, dass ihre Stoffe überliefertem Material entstammen, welches ihre Autoren künstlerisch bearbeiteten, nur damit jene Bearbeitungen wieder Teil des Volksguts wurden. In fast jedem Medium wurden und werden die Geschichten, die in den si da quishu erzählt werden, wieder aufgegriffen – von der Malerei über das Theater bis zum Film. Die Verfasser der klassischen Romane wiederum verschwinden hinter ihren Texten und deren unzähligen Variationen. Zwischen dem präfigurierten und dem refigurierten Volksgut jedoch – zwischen der Tradition, der die ›außergewöhnlichen Bücher‹ entsprangen, und der, die sie begründeten – stehen die si da qishu als unauslöschliche Kunstwerke im wahrsten Sinne des Wortes.
Obwohl sie (sozusagen) dem Volk entstammen und letztendlich zu ihm zurückkehrten, entstanden die Romane der Ming-Zeit (1368–1644), wie sie sich im 16. Jahrhundert entwickelten, als bewusst gestaltete Kunstprodukte, als originäre und originelle Kompositionen. Deren Zielpublikum war die zu jener Zeit in China stetig anwachsende städtischen Bildungsschicht.1 Vor allem die sogenannten Literaturbeamten erwiesen sich – wie schon ihre Bezeichnung verrät – als leidenschaftliche Leser und Verfasser von Romanen. Auch Wu Cheng’en gehörte dieser intellektuellen Schicht an, war aber, so erzählt die Überlieferung, in seiner Funktion als Beamter in jeder Hinsicht weniger erfolgreich denn als Literat. Der Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Huai-an war immer mehr Gelehrter, Dichter und Schriftsteller als Beamter (auch wenn jene Positionen sich im damaligen China nicht ausschlossen, ganz im Gegenteil). Er studierte wohl für mindestens zehn Jahre an der Universität Nanjing Taixue, und die Reise nach Westen verrät Wu Cheng’ens historische Versiertheit wie seine immense philosophische Bildung. Das Werk, das zahlreiche östliche Legenden von China bis Indien aufgreift, künstlerisch gestaltet und zu einem harmonischen Gewebe verknüpft, vereint die verschiedenen Geistesströmungen seiner Entstehungszeit, vom Buddhismus über den Daoismus bis hin zum Volksglauben. Den Kern der Reise nach Westen jedoch bildet das neokonfuzianische Konzept des Selbst. Geprägt von Individualisierung und gesteigerter Selbst-Bewusstheit, charakterisiert dieses neue Verständnis des menschlichen Ich die Geisteswelt der Ming-Zeit mehr als alles andere und konstituierte einen weiteren entscheidenden Faktor für die Entwicklung des klassischen chinesischen Romans (der Roman beschäftigt sich per definitionem mit dem individuellen menschlichen Selbst)2.
Die Reise nach Westen erzählt die fantastischen Abenteuer einer Pilgergruppe, die unterwegs nach Indien ist (also westwärts wandert), um die heiligen Schriften des Buddhismus zu finden und nach China zu bringen. Solche Unterfangen sind belegt, und Wu Cheng’en fand den Stoff für seinen Roman sowohl in historischen Chroniken als auch in zahlreichen Legenden. Hauptinspirationsquelle waren die Berichte und Geschichten um die Pilgerfahrt des Mönchs Xuanzang (602–664) bzw. Tripitaka, der das Vorbild für Wu Cheng’ens Hauptfigur bildet. Die Figur des eher passiven Pilgers wird jedoch schnell überschattet von dem zweiten Protagonisten des Romans, dem Affenkönig Sun Wukong. Diese Gestalt, die in früheren Legenden lediglich die Funktion einer niederen Helferfigur für Xuanzang/Tripitaka übernimmt, wird bei Wu Cheng’en schnell zum Zentrum des Romans – und zu einer der faszinierendsten Schöpfungen der Weltliteratur. Wu Cheng’ens Affenkönig, der seinen Ursprung vermutlich im indischen Rāmāyana-Epos1 hat, ist eine himmlische Gestalt, die von Buddha wegen begangenen Unrechts auf die Erde verbannt wurde, wo Sun Wukong nun nach Wiedergutmachung strebt. Die 100 Kapitel2 der Reise nach Westen erzählen die 81 fantastischen Bewährungsproben Sun Wukongs im Kampf mit Dämonen und Gespenstern – und letzten Endes mit dem eigenen Selbst. Denn, so Clemens Treter, der Affenkönig kann traditionellerweise als Symbol des menschlichen Geistes gedeutet werden, und die Suche nach den heiligen Texten als Reise in das Selbst3. So wird die fantastische Reise nach Westen zu einer vielschichtigen philosophischen, theologischen und nicht zuletzt protopsychologischen Allegorie, während die in ironischem Stil wiedergegebenen Abenteuer des Mönchs, des Affen, des Schweins, des weißen Pferdes und des Pferdeführers in ihrem Kampf gegen die Dämonen zugleich einen der großen komischen Romane der Weltliteratur konstituieren.
Wichtige Werke:
Xiyou ji (Reise nach Westen, 1592)
1 Die drei weiteren ›außergewöhnlichen Bücher‹ sind Sanguozhi yanyi, Shuihu zhuan und Jing Ping Mei.
1 Wie der westliche Roman auch originiert der klassische chinesische Roman zu einem Großteil in einem sprunghaften Anwachsen des Lesepublikums, ausgelöst durch die Verbesserung und Ausweitung des Bildungssystems in der mittleren und späten Ming-Zeit, die ein Bedürfnis für mehr und abwechslungsreicheres Lesematerial entstehen ließ. Gleichzeitig (was sich wechselseitig bedingte) dehnten sich Buchdruck und Buchhandel aus. (vergl. Helwig Schmidt-Glintzer. Geschichte der Chinesischen Literatur. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1990. S. 426f.).
2 Trotz aller Ähnlichkeiten in der Entstehung des westlichen und des chinesischen Romans dürfen westliche Gattungsbezeichnung nur mit Vorsicht auf letzteren angewandt werden.
1 Das Rāmāyana (Epos von Rāmās Lebenslauf), eines der indischen Nationalepen, erzählt die Geschichte der siebten Inkarnation des Vishnu in der Gestalt von Rāmā; in der Geschichte übernimmt der Affenkönig Sugriva eine entscheidende Rolle. Diese mögliche Inspiration für Wu Cheng’ens Sun Wukong ist ein weiterer Beweis für die große Gelehrsamkeit des Literaturbeamten und seine Fähigkeit, unterschiedliche Traditionen zu einem einheitlichen, harmonischen Ganzen zusammenzufügen.
2 Die heute bekannte Version der Reise nach Westen mit ihren 100 Kapiteln ist wohl das Ergebnis einer Bearbeitung von Wu Cheng’ens Werk aus dem 17. Jahrhundert (vergl. Helwig Schmidt-Glintzer, S. 434).
3 Clemens Treter. »Die Literatur der Ming- und Qing-Zeit«. in: Reinhard Emmerich (Hg.): Chinesische Literaturgeschichte. Stuttgart/Weimar: Metzler 2004. S. 225–87. hier: S. 244.
MATSUO (MUNEFUSA) BASHŌ
(1644–1694)
Bananenstauden – Die Entdeckung des Kleinen im haiku
Matsuo Bashō kann ohne Übertreibung der größte Lyriker des neuzeitlichen Japans genannt werden. Als Begründer der Gattung des haiku, des epigrammatischen Siebzehn-Silben-Gedichts, kann sein Einfluss auf die Weltliteratur kaum zu hoch eingeschätzt werden.
Das vielleicht berühmteste haiku Matsuo Bashōs ist das sogenannte Froschgedicht, das in zahlreichen Sprachen nachgedichtet und auch parodiert worden ist:
Alter Teich –
Ein Frosch springt hinein
Das Geräusch des Wassers.
Das japanische haiku1 ist eine Gedichtform, die in drei Versen zu (in der Originalsprache) 5–7–5 Silben den Blick auf das Kleine lenkt, auf das momentane Detail. Genau in dieser einfachen Ausschnitthaftigkeit will das haiku die Seele schulen in der erahnenden Erkenntnis des Ganzen. – Auf diese Formel kann nicht nur die Gattung des haiku und die Poesie ihres Begründers gebracht werden, sondern auch das Leben Matsuo Munefusas, der den Künstlernamen Bashö, d. i. ›Bananenstaude‹, trug. Das etwas eigenartig anmutende Pseudonym verdankte der japanische Lyriker seiner bashō-an, seiner Klause aus Bananenstauden im Fukagawa-Viertel in Edo (Tōkyō), in die er sich von 1681 an zurückzog, wenn er Ruhe und Frieden suchte. Bis zu diesem Zeitpunkt trug Matsuo Munefusa vielerlei Dichternamen, vermutlich, um sich von der Samurai-Familie, der er entstammte, abzugrenzen; schlieōlich hatte sich Bashö entschlossen, dem Leben des niederen Adels den Rücken zu kehren und statt dessen ein Dasein als wandernder Wahrheitssucher in genügsamer Einfachheit zu führen. Somit sind Leben und Werk des großen Lyrikers aufs Engste miteinander verflochten.
Bashō begann seine Wahrheitssuche mit einem Studium in Kyōtō, wo er von 1666 an bei angesehenen Meistern studierte, in erster Linie haikai und waka (die traditionellen japanischen Gedichtformen), die klassische chinesische Literatur1 und Kalligraphie. 1672 kam Bashōs erste Verssammlung Kai ōi (›Muschelwettstreit‹) heraus und im gleichen Jahr übersiedelte der Dichter nach Edo, wo er in dem Fischhändler Sugiyama Sampū einen Gönner fand. Bald etablierte sich Bashō als haikai-Meister und Lehrer und konnte ein voll und ganz der Poesie gewidmetes Leben unter Gleichgesinnten führen. Dichtung war für den großen Japaner ein Lebensstil und ein Weg zur Erlangung von Erleuchtung, den er kado nannte (d. i. ›der Weg der Dichtung‹). Edo und die bashō-an wurden zur Heimstatt des Wahrheitssuchers, doch er bereiste ganz Japan, um seine Studien der taoistischen und der Zen-Philosophie zu vertiefen (etwa verbrachte er längere Zeit in einem Zen-Kloster). Bashō reiste aber auch, um im Sinne des Zen durch persönliches, direktes Erleben der Erkenntnis nahe zu kommen; denn, so der haiku-Meister, der Dichter müsse das »was Kiefer ist, von der Kiefer lernen« und nicht den Fußstapfen der Altvorderen folgen, sondern sich aufmachen und das suchen, wonach auch jene auf der Suche waren. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens unternahm Bashō, begleitet von seinen Schülern, fünf große Reisen durch Japan, aus denen seine beispiellosen haibun (Reisetagebücher) hervorgingen. In diesen Aufzeichnungen, von denen Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland (Oku no hosomichi, 1689) das bedeutendste ist, hielt Bashō Begegnungen, Reflexionen und Eindrücke fest – in ausdrucksstarker Prosa, aber noch eindrucksvoller in dichten haikus, die bis heute zu den besten in japanischer Sprache gerechnet werden und lange Zeit als ideale Muster hochgehalten wurden. Bis zuletzt ließ sich Matsuo Bashō das für ihn so wichtige Reisen nicht nehmen; er starb auf seiner letzten Wanderschaft im Jahr 1964, die ihn bis nach Nagasaki führen sollte.
Nicht nur auf Reisen, sondern auch auf organisierten Dichtertreffen umgab sich Bashō mit Schülern und Freunden, mit denen zusammen er Kettengedichte (renga) verfasste und diese dann in Gedichtsammlungen herausgab. Die bekannteste dieser Anthologien ist Das Affenmäntelchen (Sarumino, 1691), so benannt nach einen haiku Bashōs, das wiederum seine scharfe Aufmerksamkeit für die Details des Alltags und die mit ihnen verwobenen Gefühlsregungen offenbart:
Erster Winterregen!
Auch das Äffchen ersehnt sich
einen Regenmantel.
Im Kreise seiner Dichterfreunde und aus seinen Erfahrungen heraus entwickelte Bashō seinen eigenen shōfū-Stil, der sich von der allzu rigiden Poetik der alten haikai-Dichtung löste und trotz strenger Vorgaben große dichterische Freiheit erlaubte. Das Ziel des shōfū, und damit des haiku, ist, wie Irmela Hijiya-Kischnereit formuliert, die »mystisch-intuitive […] Anverwandlung aller Bereiche der Erscheinungswelt«1. Das heißt, über die scharfe Beobachtung des Details und dessen poetische Verarbeitung in der festen Form des haiku soll für Dichter wie Leser ein Schritt hin zum Staunen, und so hin zur Erleuchtung, getan werden. Fugano-michi, der Weg der Eleganz, war das oberste Mittel des shōfū-Stils: eine ungewöhnliche Prägnanz der Aussage bei gleichzeitiger Geschlossenheit des Gedichtes, die doch einen Nachhall (yoin) im Leser erlaubt. Das bedeutet, das haiku soll in 17 Silben ein abgerundetes Ganzes bilden und gerade dadurch etwas anregen im Leser, das den Blick über den kleinen Ausschnitt, den das Gedicht präsentiert, hinauslenkt auf ein unbestimmtes Anderes. So soll das haiku in immer wandelbarer Gestalt (ryūkō) das Unwandelbare (fueki) offenbaren.
Zwei Menschenleben!
Und dazwischen ganz üppig –
die Kirschblütenzeit.
Ein solches haiku, das im Detail auf das Ganze verweist und damit auf die unauflösliche Verwobenheit von allem mit allem, besitzt Wahrhaftigkeit (makoto).1
Die Kunst des haiku wurde zur Volkskunst in Japan, zum Volksspiel sozusagen, das einen scharfen Blick und das Staunen der Seele ausbilden soll. Auf die Lyrik des Westens im 20. Jahrhundert wiederum – als die Dichter am Rande der Verzweiflung nach neuen Ausdrucksformen in einer fundamentalen Sprachkrise suchten – hatte diese japanische Poesie des Sehens einen ungeheueren Einfluss.