Kitabı oku: «Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche», sayfa 6
[2.]Entstehung des BetrVG 1952 in der Nachkriegszeit
Auch das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Kontrollratsgesetz Nr. 22 sah ebenso wie das Betriebsrätegesetz von 1920 keine Ausklammerung der Kirchen aus seinem Geltungsbereich vor. Wiederum wurde es im kirchlichen Bereich von den Vertretern einiger Landeskirchen als nicht anwendbar aufgrund der kirchlichen Autonomie angesehen.283 Allerdings wurde diese Ansicht zum damaligen Zeitpunkt von einem Teil der Literatur als verfehlt angesehen, da Rechtsgrundlage für die Kirchenautonomie Art. 137 Abs. 3 WRV war und die Weimarer Verfassung nach Kriegsende nicht automatisch weiter Geltung beanspruchte. Sie wurde zwar nicht ausdrücklich aufgehoben, jedoch wurde sie in der Zeit nach 1933 vielmehr durch ein nationalsozialistisches Verfassungsrecht ersetzt, nach dessen Aufhebung die Weimarer Verfassung nicht automatisch wieder in Kraft trat.284 Erst die Schaffung des Grundgesetzes im Mai 1949 brachte hinsichtlich der Geltung des Art. 137 Abs. 3 WRV durch die Inkorporation nach Art. 140 GG Klarheit. Als die Bundesrepublik 1950 dann einen Gesetzentwurf für ein Betriebsverfassungsgesetz vorlegte, der ebenfalls die Religionsgemeinschaften in seinen Anwendungsbereich mit einbezog, schrieb der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Dibelius, an den damaligen Bundeskanzler Adenauer. Darin bat er um Aufnahme eines entsprechenden Paragraphen zum Gesetzesentwurf, der anordnen sollte, dass das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften finde. Zwar bejahte er in seinen Ausführungen die sozialpolitische Tendenz des Gesetzes auch für die Kirchen, stellte jedoch heraus, dass auch nur eine teilweise Anwendung des Gesetzes auf den kirchlichen Dienst sich immer auf Bereiche auswirken würde, die die Kirchen um ihres besonderen Auftrags willen selbst regeln dürfe.285 In seinem Antwortbrief an den Bischof bestätigte Adenauer, dass auch seiner Auffassung nach aus Gründen der kirchlichen Autonomie sowie aus politischen Gründen keine Anwendung des Gesetzes auf die Religionsgemeinschaften erfolgen solle. Er werde sein Möglichstes tun, dass der vorgebrachte Wunsch des Bischofs in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages im Sinne dieses Vorschlags ergänzt werde.286 Auch Smend kam in einem nicht veröffentlichten Rechtsgutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche 1951 zu dem Ergebnis, dass „die vom Bund zu erlassenden Betriebsverfassungsgesetze [sind] kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 137Abs. 3 WRV“ sind.287
Obwohl bereits der ursprüngliche Regierungsentwurf vom Bundesrat gebilligt worden war, wurde ein neuer Gesetzesentwurf eingereicht, in dem die Bedeutung der Kirchenautonomie für die gesetzliche Betriebsverfassung im Sinne des Bischofs berücksichtigt wurde. Deshalb wurde in das BetrVG vom 11.10.1952 eine Freistellung für die Religionsgemeinschaften von der Anwendbarkeit des Gesetzes in § 81 Abs. 2 mit folgendem Wortlaut aufgenommen: „Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.“288 Die Mehrheit der Ausschüsse sah eine vollständige Freistellung als nötig an und damit auch in Bezug auf erzieherische und karitative Einrichtungen. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Stellen sogar in der sowjetischen Besatzungszone nicht unter das dortige Betriebsverfassungsrecht fielen. Man müsse deshalb verhindern, dass sich die Lage in der Ostzone diesbezüglich verschlechtere, wenn hier eine Einbeziehung in die Betriebsverfassung geschehe.289
b.Freistellung der Religionsgemeinschaften von der Anwendbarkeit des BetrVG nach § 118 Abs. 2 BetrVG
Seit Schaffung des BetrVG 1952 hat der staatliche Gesetzgeber die Religionsgemeinschaften und Kirchen dann stets von der Anwendbarkeit der Gesetze ausgenommen, die das bisherige Betriebsverfassungsrecht bzw. Personalvertretungsrecht neu gestaltet oder für den Bereich der Unternehmensorganisation ein Mitbestimmungsstatut geschaffen haben.290 Im geltenden BetrVG hat der staatliche Gesetzgeber die Religionsgemeinschaften mit § 118 Abs. 2 BetrVG insgesamt freigestellt. Entsprechende Regelungen im staatlichen Bereich finden sich im § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG, § 112 BPersVG, § 1 Abs. 4 S. 2 MitbestG und in § 1 Abs. 2 S. 2 DrittelbG.
Im Gegensatz zu der Tendenzschutzklausel des § 118 Abs. 1 BetrVG ist für Religionsgemeinschaften in Absatz 2 der Vorschrift eine vollständige Freistellung verankert. Rüthers sieht darin die Verankerung eines Rangverhältnisses in der Schutzwirkung, das besagt, dass in Absatz 2 die Gewährleistung der Kirchenautonomie als weitreichender anzusehen ist als beim Tendenzschutz des Absatzes 1.291
[1.]Beruhen der Freistellung auf Art. 137 Abs. 3 i.V.m. Art. 140 GG
Die Freistellungsvorschrift des § 118 Abs. 2 BetrVG beruht nach überwiegender Auffassung auf Art. 137 Abs. 3 i.V.m. Art. 140 GG.292 Diesen Zusammenhang hat bereits das Bundesarbeitsgericht mit seinem Beschluss vom 19.12.1969293 klargestellt und darauf hingewiesen, dass die Gestaltung ihrer eigenen inneren Angelegenheiten den Religionsgemeinschaften selbst nach Art. 137 Abs. 3 WRV zustehe und dass dazu auch die Gestaltung ihrer Verfassung und Organisation gehöre.
Der Gesetzgeber schafft also mit der Freistellung eine dem Grundgesetz entsprechende Regelung.294 Denn das gesamte Modell der Mitbestimmung im dualistischen Betriebsverfassungssystem steht dem Selbstverständnis der Kirche entgegen, den kirchlichen Dienst und die Dienstgemeinschaft aller im kirchlichen Dienst Beschäftigten als Einheit zu verstehen.295 In der kirchlichen Dienstgemeinschaft wird das Verhältnis zwischen Dienstgeber und Mitarbeiter als kooperativ angesehen, obwohl auch hier, wie bei jedem Beschäftigungsverhältnis, ein gewisser Interessengegensatz beider Parteien gegeben ist. Allerdings ist ein dualistisches System zwischen Arbeitgebern und Interessenvertretungen von Arbeitnehmern, die gegeneinander ihre Interessen vertreten und durchsetzen wollen, im kirchlichen Bereich undenkbar.296 Denn der kirchliche Dienst untersteht dem Leitbild der Dienstgemeinschaft, aufgrund dessen schon ein Gegeneinander von Dienstgebern und Mitarbeitern ausgeschlossen ist.297 Die Freistellung der Religionsgemeinschaften von der Anwendbarkeit des BetrVG erscheint deshalb als einzig systemgerechte Lösungsmöglichkeit, die der verfassungsrechtlich verankerten Autonomie der Kirche gerecht wird.
Das BAG hat diesen Zusammenhang auch in seinem Beschluss vom 06.12.1977 entsprechend befunden und herausgestellt, dass der Dualismus der staatlichen Betriebsverfassung dem Wesen der christlichen Religionsgemeinschaften widerspreche und dass die Ausklammerung aus dem BetrVG auf dem Freiheitsraum beruhe, der den Kirchen in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV eingeräumt worden war und diesen konkretisiere.298 „Der innere Grund der Ausklammerung ist darin zu sehen, dass das Betriebsverfassungsgesetz ein Spannungsmoment zwischen dem Betriebsrat und der Belegschaft auf der einen und dem Arbeitgeber auf der anderen Seite widerspiegelt, wenn dies auch von dem Kooperationsgedanken überlagert wird. Das streng dualistische System des Betriebsverfassungsgesetzes widerspricht dem Wesensgehalt der christlichen Religionsgemeinschaften.“299 Damit folgt es der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, das in seinem Beschluss vom 11.10.1977 klarstellte, dass die Freiheit der Kirche nach Art. 137 Abs. 3 i.V.m. Art. 140 GG, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten, eingeschränkt werde, wenn ihr auferlegt würde, anstatt der eigenen kirchlichen Entscheidung über die Mitbestimmung, diese Mitbestimmung nach dem staatlichen Gesetz zu vollziehen.300 Es stellt diesbezüglich zudem fest, dass Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG nicht nur für die organisierte Kirche und die rechtlich selbständigen Teile dieser Organisation gelte, sondern für alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis, ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend, berufen seien, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen.301
[2.]BetrVG kein „für alle geltendes Gesetz“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV
Auch wenn die Ausklammerung aus dem BetrVG heute ganz überwiegend als Konsequenz des Selbstbestimmungsrechts anerkannt ist, war das verfassungsrechtlich nicht unbestritten. So vertritt ein Teil der Literatur eine insgesamt andere Auffassung302 und sieht das BetrVG als ein „für alle geltendes Gesetz“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV und somit als Grenze der Kirchenautonomie an. Diesbezüglich wird von Herschel vertreten, dass § 118 Abs. 2 BetrVG gegen das Übermaßverbot im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgebot verstoße, weil sich der Gesetzgeber mit der vollständigen Freistellung nicht des mildesten Mittels bedient habe, obwohl ein solches gleich effektiv gewesen wäre (partielle Freistellung).303 Der Gesetzgeber darf in der Tat zur Erreichung seines Ziels, die grundgesetzlich geschützte Tätigkeit der Religionsgemeinschaften zu bewahren, entgegenstehende Grundrechtspositionen der Mitarbeiter nur so wenig wie möglich einschränken. Anders ausgedrückt: „Die Freistellung der Religionsgemeinschaften von der Anwendung der staatlichen Gesetze ist auf das Maß zu beschränken, das der Schutz der religiösen Freiheit und Selbstbestimmung erfordert.“304 In Bezug auf das BetrVG sei nach Herschel „die Verbeugung zu tief geraten“.305
Einen Schritt weiter geht sogar Ruland, indem er die generelle Ausklammerung der Religionsgemeinschaften aus dem Anwendungsbereich des BetrVG als verfassungswidrig einstuft.306 Es müsse eine Abwägung zwischen den hier widerstreitenden Verfassungsprinzipien stattfinden, also dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht auf der einen und der Koalitionsfreiheit und dem Sozialstaatsprinzip ergänzt durch den Gleichbehandlungsgrundsatz auf der anderen Seite. Dabei sei festzustellen, dass die religiöse Tendenz bereits ausreichend durch den allgemeinen Tendenzschutz des § 118 Abs. 1 BetrVG geschützt werden könne und es somit keiner weitreichenderen Regelung bedürfe.307 Schwerdtner308 sieht die Freistellung des BetrVG zwar ebenfalls als sachwidrig an, verweist jedoch gleichzeitig darauf, dass auf eine Berufung der Verfassungswidrigkeit der Regelung mangels evidenter Sachwidrigkeit wohl verzichtet werden müsse. Schließlich könne eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch den Gesetzgeber nur dann vorliegen, wenn die in Frage stehende Regelung unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheine, so dass die Unsachlichkeit evident sei.309
Nach Herschels Ansicht wird das Problem der Anwendbarkeit durch das BVerfG310 außerdem unzulässig verkürzt, wenn dieses feststellt, „das BetrVG gehöre nicht zu den für alle geltenden Gesetzen, ‚indem es zugunsten der Religionsgemeinschaften und ihrer karitativen und erzieherischen Einrichtungen, unbeschadet deren Rechtsform, in § 118 Abs. 2 einen ausdrücklichen Vorbehalt macht’.“311 Vielmehr sei man förmlich gezwungen, die Eigenschaft des BetrVG als ein „für alle geltendes Gesetz“ zu bejahen, denn es gehöre zu den tragenden Gesetzen des sozialen Rechtsstaats und berühre die Religionsgemeinschaften gerade nicht in ihrer besonderen Eigenart, sondern habe für sie dieselbe Bedeutung wie für jedermann. Die Nichtanwendung des BetrVG auf kirchliche Einrichtungen könne somit nicht von dem Prinzip des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts abgeleitet werden.312 Die Ausklammerung erfolge vielmehr aufgrund der einfachgesetzlichen Regelung und sei nicht zwingend verfassungsrechtlich geprägt.313
Diese Ansichten sind insgesamt verfehlt, weil sie das BetrVG als ein „für alle geltendes Gesetz“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV ansehen, das der Kirchenautonomie eine Schranke setzt.314 Tatsächlich ist das jedoch nicht der Fall und wäre es auch dann nicht, wenn das BetrVG die Ausklammerung zugunsten der Kirche nicht explizit enthielte.315 Denn schließlich wären die Religionsgemeinschaften durch eine staatliche Mitbestimmungsregelung wegen ihres Rechts auf Selbstverwaltung stets härter als andere betroffen.316 Mitbestimmungsregelungen sind untrennbar mit der Dienstverfassung verbunden, deren Gestaltung allerdings unbestritten zu den eigenen Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft gem. Art. 137 Abs. 3 WRV gehört.317 Der Gesetzgeber nimmt mit § 118 Abs. 2 BetrVG also auf das verfassungsrechtlich Gebotene Rücksicht318, wie das BVerfG feststellt.319 Auch eine Relativklausel entsprechend § 118 Abs. 1 BetrVG für Tendenzunternehmen würde der Verfassungsgarantie des Art. 137 Abs. 3 WRV nicht gerecht, da die Kirchen auch damit an die Grundstruktur der Betriebsverfassung gebunden wären. Durch die Geltung des BetrVG im kirchlichen Bereich würde die „materielle Wertentscheidung der Verfassung, die über einen für die Staatsgewalt unantastbaren Freiheitsbereich hinaus die besondere Eigenständigkeit der Kirchen und ihrer Einrichtungen gegenüber dem Staat anerkennt“320 umgangen. Vor allem der Bezug zur Entscheidungsautonomie der Unternehmensleitung und damit die direkte Einflussnahme auf die Leitung und Organisation der Dienststelle wird bei den dargestellten Gegenmeinungen vollkommen außer Acht gelassen.321 Bestehen nämlich paritätische Beteiligungsrechte, so ist der Betriebsrat ein Unternehmensorgan, das der Unternehmensleitung gleichberechtigt gegenübersteht.322 Die Dienstverfassung der Kirche und anderer Religionsgemeinschaften würde dadurch berührt. Das gilt vor allem dann, wenn die Kirche bereits eigene Regelungen in diesem Bereich geschaffen hat.
[3.]Verhältnis der Freistellung zum Sozialstaatsprinzip
Obwohl die staatliche Regelung des Mitbestimmungsgesetzes auf dem Sozialstaatsprinzip beruht, rechtfertigt dieses nicht, dass der Staat den Religionsgemeinschaften ein Mitbestimmungssystem aufzwingt, das ihrem Selbstverständnis entgegensteht.323 Das bedeutet, dass auch solche, dem sozialen Rechtsstaat entsprechende Gesetze der Kirchenautonomie nur Schranken setzen, wenn und soweit sie ein „für alle geltendes Gesetz“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV darstellen.324
Wie soeben aufgezeigt handelt es sich bei dem BetrVG um kein „für alle geltendes Gesetz“, weil das Aufdrängen des Systems der staatlichen Betriebsverfassung gerade nicht mit der Verfassungsgarantie der Religionsgemeinschaften vereinbar ist, ihre Organisation und Dienstverfassung entsprechend ihrem Selbstverständnis zu arrangieren. Die Religionsgemeinschaften wären vom BetrVG härter betroffen als jedermann.
Das Sozialstaatsprinzip ist durch die Freistellung von der Anwendbarkeit des BetrVG auch nicht verletzt, weil die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Sozialstaats offen lässt, wie dieses zu erfüllen ist.325 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts326 ist der Staat durch das Sozialstaatsprinzip zu sozialer Gerechtigkeit verpflichtet und bestimmt damit lediglich das „Was“ des staatlichen Handelns. „Wie“ und mit welchen Mitteln und Gesetzen diese Zielvorgabe erreicht werden soll, bleibt dem Gesetzgeber überlassen.327 So ist auch nicht vorgegeben, dass die Mitbestimmungsregelungen überall dieselben sein müssen, so dass auch die verschiedenen Gesetzgebungskompetenzen für die Betriebsverfassung und die Personalvertretung das Sozialstaatsprinzip nicht berühren.328 Letztlich ist auch zu beachten, dass der Sinn und Zweck der in § 118 Abs. 2 BetrVG erfolgten Ausklammerung, der Kirche die Gestaltung von ihrem Selbstverständnis entsprechenden Mitbestimmungsregelungen zu überlassen, durchaus mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar ist.329
[4.]Verhältnis der Freistellung zum Europarecht
Die Freistellung der Religionsgemeinschaften von der Anwendbarkeit des BetrVG verletzt auch nicht das Europäische Gemeinschaftsrecht und ist nach überwiegender Ansicht der Literatur insbesondere mit der Richtlinie 2002/14/EG330 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft vereinbar.331 Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie enthält für Tendenzbetriebe einen Vorbehalt, nach dem nationale Regelungen weiterhin Bestand haben sollen, die dem Tendenzschutz im Bereich der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte Rechnung tragen, wie § 118 Abs. 1 BetrVG.332 Eine entsprechende Bestimmung für kirchliche Einrichtungen fehlt. Allerdings überwiegt in der Literatur die Ansicht, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie neben § 118 Abs. 1 BetrVG erst recht auch den Bereich der religionsgemeinschaftlichen Einrichtungen i.S.v. § 118 Abs. 2 BetrVG erfasst.333 Somit gilt auch für sie die Anforderung des Art. 3 Abs. 2, dass der Tendenzschutz nur „unter Einhaltung der in der Richtlinie festgelegten Grundsätze und Ziele“ greift. Dieses mitbestimmungsrechtliche „Minimum“ haben also auch die Mitarbeitervertretungsgesetze der Kirchen zu beachten, obwohl die Kirchen und Religionsgemeinschaften keine Adressaten von EG-Richtlinien sind. Denn die Pflicht zur Richtlinienumsetzung ist grundsätzlich erfüllt, wenn die Richtlinie in einem Mitgliedstaat dem jeweiligen Verfassungsrecht entsprechend umgesetzt worden ist. Im deutschen Verfassungsrecht ist der kirchliche Gesetzgeber für die zugewiesene Aufgabe für kirchliche Einrichtungen in deren Betriebsverfassung zuständig und die Richtlinie deshalb durch eine entsprechende Regelung des kirchlichen Gesetzgebers umgesetzt.334
Die Gegenmeinung in der Literatur335 ist allerdings der Ansicht, dass die Vereinbarkeit der generellen Bereichsausnahme der Religionsgemeinschaften in § 118 Abs. 2 BetrVG mit der Richtlinie strittig sei und der Gesetzgeber die Religionsgemeinschaften wenigstens zu einer Mitarbeitervertretung verpflichten müsse, die der Regelung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie entspreche. Denn die freiwilligen Mitarbeiterregelungen der kirchlichen Einrichtungen verfehlten das Unterrichtungsund Anhörungsniveau der Richtlinie bei weitem.336 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Rahmen-MAVO seit 2003 insgesamt vier Novellierungen erfahren hat und sich die Rechtslage bezüglich vieler Beteiligungsrechte mittlerweile grundlegend verbessert hat, wie etwa mit § 27 a Rahmen-MAVO, der eine Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten seit der Novellierung von 2003 vorsieht.337
Mittlerweile ist dieser Streit ohnehin infolge der neuen primärrechtlichen Vorschrift des Art. 17 des „Vertrag[s] über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)“ überholt, da dieser der Richtlinie als Primärrecht vorgeht und das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV und damit auch den § 118 Abs. 2 BetrVG deckt.338 Dadurch werden die Kirchen in ihrem „Status“ ausdrücklich berücksichtigt, auch wenn durch sie keine Bereichsausnahme für kirchliche Sachverhalte normiert wird.339 Dennoch geht das Beeinträchtigungsverbot nach Art. 17 AEUV als primärrechtliche Verankerung über den bisherigen Schutz durch Erklärung Nr. 11 des Amsterdamer Vertrages hinaus, die lediglich als Auslegungshilfe zu berücksichtigen war.340 Auch wenn Art. 17 AEUV keine justiziablen, subjektiven Rechte der Kirchen begründet, so verpflichtet er mithin ab jetzt primärrechtlich den Unionsgesetzgeber objektivrechtlich im Rechtsetzungsverfahren, die Interessen und Belange der Kirche zu berücksichtigen.341 Ein bloßer Tendenzschutz ist gerade nicht ausreichend.342 Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, wie es in Deutschland prägend ist, ist damit auch europarechtlich gesichert.343
c.Gerechtfertigte Ungleichbehandlung im kirchlichen Bereich
Hahn344 unterzieht diese Freistellung von der Anwendbarkeit des BetrVG einer weiteren Untersuchung unter einem anderen Blickwinkel. Sie prüft, ob die Freistellung auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 GG gerechtfertigt ist, an den der staatliche Gesetzgeber gebunden ist.
[1.]Bindung des Gesetzgebers aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes
Die Wertenscheidung des staatlichen Gesetzgebers, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene gesetzlich festzulegen, hat zur Konsequenz, dass der Gesetzgeber den Mitbestimmungsrechten auch umfassend zur Umsetzung verhelfen muss.345 Aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG kann der Gesetzgeber die Geltung der Gesetze nicht willkürlich für bestimmte Unternehmen und Betriebe festsetzen.
[2.]Art. 3 Abs. 1 GG
Der allgemeine Gleichheitssatz gilt als „verfassungsrechtliche Grundentscheidung“346 für alle Bereiche des deutschen Rechts und gewährt jedem Einzelnen gegenüber dem Staat ein subjektives öffentliches Recht auf Rechtsgleichheit. Dabei bindet er Gesetzgebung, Rechtsprechung und die Verwaltung.347 Er entspringt der im Gerechtigkeitsbegriff verwurzelten Grundidee „Gleiches rechtlich gleich, Ungleiches jedoch seinem Wesen nach ungleich zu behandeln.“348
[3.]Berücksichtigung des Gleichheitssatzes durch den staatlichen Gesetzgeber
Der staatliche Gesetzgeber ist bei der Schaffung von Regelungen an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Ist eine Bestimmung verfassungsrechtlich geboten oder entscheidet sich der staatliche Gesetzgeber dazu, bestimmte Sachverhalte mit Normen zu schützen, so muss dieser Schutz allen Normadressaten zuteil werden. Andernfalls würde er gegen das Willkürverbot verstoßen. Eine Ungleichbehandlung kann allerdings gerechtfertigt und auch geboten sein, wenn für sie ein sachlicher Grund, also die Ungleichheit von Sachverhalten vorliegt und im konkreten Fall kein grundsätzliches Differenzierungsverbot ersichtlich ist.349
Insgesamt hat der Gesetzgeber anhand zweier Maßstäbe zu entscheiden, wie er seine Regelungen gestaltet. Zum einen muss er den Maßstab der Sachgerechtigkeit beachten, indem er die tatsächlichen Gegebenheiten und den Regelungsbedarf sachgerecht würdigt und gegebenenfalls differenziert.350 Das bedeutet, der Gesetzgeber soll rechtliche oder tatsächliche Ungleichheiten, die er bei der Prüfung des zu regelnden Gegenstandes herausgearbeitet hat, als Rechtfertigungsgrund für die Unterscheidung in seinen Normen vorbringen. Sind keine Ungleichheiten vorhanden, so ist diese Tatsache ebenfalls als Rechtfertigungsgrund für eine Gleichbehandlung zu würdigen.351 Zum anderen verlangt das Gebot der Folgerichtigkeit, dass der staatliche Gesetzgeber die Gesamtrechtsordnung berücksichtigt, er dementsprechend auch mit der neu geschaffenen Regelung weiterhin die Gleichheit in der bereits bestehenden Ordnung gewährleistet. Die Regelung muss sich in die Gesamtrechtsordnung einfügen und folgerichtig muss eine Gleich- oder Ungleichbehandlung bei Ähnlichkeiten bzw. Verschiedenheiten nach den rechtlichen Wertungen der Gesamtrechtsordnung geregelt werden.352 Der Gesetzgeber ist durch das Gebot der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen gebunden, außer er strebt in Abgrenzung zu früheren Entscheidungen ganz bewusst einen Systemwechsel an.353 Zudem hat der staatliche Gesetzgeber zur Sicherung der Verfassungskonformität seiner Regelungen grundsätzlich den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Staatliche Regelungen, die Grundrechte Dritter berühren, müssen nach diesem Grundsatz geeignet, erforderlich und angemessen sein in Bezug auf den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck.354 Alle betroffenen Grundrechtspositionen fließen in die erforderliche Abwägung mit ein.
Wird in Bezug auf eine Unterscheidung des Gesetzgebers die Unsachlichkeit der Differenzierung ersichtlich, so könnte ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegen. Bestätigt sich bei der Prüfung der Differenzierungsgründe dieser Verdacht, so führt dies zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Norm.355
[4.]Berücksichtigung des Gleichheitssatzes in Bezug auf die Mitbestimmungsgesetze
Aufgrund des Gleichheitssatzes ist der Gesetzgeber generell verpflichtet, seinen geschaffenen Mitbestimmungsgesetzen in allen Betrieben, Unternehmen und Dienststellen im Bereich der staatlichen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen. Schließlich können Mitarbeiter im kirchlichen Dienst sich grundsätzlich auch auf Art. 3 GG gegenüber dem Staat berufen und denselben sozialen Schutz für abhängig Beschäftigte in Form von Mitbestimmungsrechten einfordern, den andere Arbeitnehmer und Beschäftigte durch die staatlichen Regelungen erlangen.356 Allerdings ist eine unterschiedliche Behandlung von Normadressatengruppen in Bezug auf die betriebs- und unternehmensbezogene Mitbestimmung in Betrieben durchaus möglich, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist. Weder Art. 3 Abs. 1 GG noch anderen Verfassungsbestimmungen ist diesbezüglich nämlich ein grundlegendes Differenzierungsverbot zu entnehmen.357 Eine Ungleichbehandlung verschiedener Normadressaten ist gerechtfertigt, wenn zwischen ihnen „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“.358
Hält der staatliche Gesetzgeber also eine Ungleichbehandlung einer Normadressatengruppe aufgrund ihrer bestimmten Eigenart für notwendig, so kann er diese Gruppe entweder teilweise oder vollständig von der Anwendung der Mitbestimmungsgesetze ausnehmen.359 Zusätzlich muss die Ungleichbehandlung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgestaltet werden, also die konkrete Freistellung von der Anwendung der staatlichen Regelungen muss zum Schutz der Normadressatengruppe geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Beispielsweise ist eine Ungleichbehandlung in Bezug auf das BetrVG nach Ansicht des Gesetzgebers gerechtfertigt, wenn ein Betrieb entsprechend § 1 Abs. 1 BetrVG weniger als fünf ständige und zur Betriebsratswahl berechtigte Arbeitnehmer hat. Solche Kleinbetriebe werden durch die Vorschrift vollständig aus dem Anwendungsbereich des BetrVG ausgenommen. Diese Freistellung ist verhältnismäßig, weil die Betriebe wegen ihrer Größe nicht geeignet sind, die vom Gesetzgeber im BetrVG vorgesehenen Betriebsratsstrukturen einzuführen. Durch die Freistellung werden sie auch von diesen verbindlichen Betriebsratsstrukturen ausgenommen (Geeignetheit). Eine nur teilweise Freistellung wäre diesbezüglich nicht zielführend (Erforderlichkeit) und nach Abwägung der sich durch die Freistellung der Kleinbetriebe für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und den Betrieb ergebenden Vor- und Nachteile überwiegen die Vorteile (Angemessenheit). Die Freistellung der Kleinbetriebe vom BetrVG, wegen der mit einer geringen Betriebsgröße verbundenen Schwierigkeit, Betriebsratsstrukturen zu etablieren, ist als sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig anzusehen.360
[5.]Ungleichbehandlung im kirchlichen Bereich
Zu prüfen ist, ob die in § 118 Abs. 2 BetrVG vom Gesetzgeber normierte Freistellung der Religionsgemeinschaften und die damit einhergehende Ungleichbehandlung im Vergleich zu staatlichen Betrieben und Unternehmen sachlich gerechtfertigt ist. Dazu müsste zum einen ein sachlicher Grund vorliegen und zum anderen muss die Freistellungsregelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten, weil durch sie Grundrechtspositionen der Mitarbeiter berührt sind.
[a.]Sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung
Im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Wirtschaftsbetrieben verfolgen religionsgemeinschaftliche Einrichtungen und Betriebe nicht (nur) ökonomische Interessen, sondern haben vor allem auch Ziele, die grundrechtlichem Schutz unterliegen. So werden in karitativen Einrichtungen neben den Garantien der Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG auch die Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verwirklicht. In Einrichtungen mit erzieherischem Schwerpunkt kommen auch die Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG als zusätzlich geschützte Grundrechtsverwirklichung in Betracht.361 Bei Tendenzbetrieben, die ebenfalls Ziele verwirklichen, die einen solchen Grundrechtsbezug aufweisen, wurde dieser Grundrechtsbezug als sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung der Tendenzbetriebe nach § 118 Abs. 1 BetrVG angesehen.362 Ihre grundrechtlich geschützte Entfaltung soll nicht durch kollektive Mitbestimmungsrechte beeinträchtigt werden.363
Im Gegensatz zu bloßen Tendenzbetrieben weisen kirchliche Einrichtungen bei der Erfüllung ihrer Tätigkeiten einen Bezug zur Garantie der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auf, wie er bei der Tätigkeit in bloßen Tendenzbetrieben gerade nicht vorzufinden ist. Schließlich umfasst die Kirche in ihrem geistig-religiösen Auftrag den Menschen in seiner Gesamtheit und schließt damit alle Lebensbereiche mit ein, wohingegen sich Tendenzunternehmen nur auf bestimmte
Grundrechtsgewährleistungen im Rahmen ihrer Ziele spezifizieren.364 Art. 4 GG aber ist es, der den staatlichen „bestimmenden Zugriff auf die religiöse oder weltanschauliche Dimension des Menschen“365 insgesamt verhindert. Deshalb besitzen die Kirchen zum Staat auch ein qualitativ anderes Verhältnis als jede andere gesellschaftliche Großgruppe, denn sie spricht „den Menschen als Ganzes in allen Feldern seiner Betätigung und seines Verhaltens“366 an367
Die Ungleichbehandlung ist letztlich also mit der Eigenart des kirchlichen Dienstes zu begründen, die sich durch den Bezug der ausgeübten Tätigkeiten zu Art. 4 GG darlegen lässt. Insgesamt stellt dieser Grundrechtsbezug der in den kirchlichen Einrichtungen verrichteten Tätigkeiten den sachlichen Grund dar, der eine Ungleichbehandlung der Religionsgemeinschaften und ihrer Einrichtungen gegenüber staatlichen Betrieben und Einrichtungen rechtfertigt. Die grundrechtlich geschützten Ziele ihrer Tätigkeit dürfen nicht behindert werden.368
[b.]Verhältnismäßigkeit der Freistellung
Bei der gesetzlichen Verankerung der Ungleichbehandlung der Religionsgemeinschaften und ihren Einrichtungen muss der Gesetzgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, weil Grundrechtspositionen der Mitarbeiter, wie die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG, berührt sind. Seine geschaffene Regelung muss deshalb in Bezug auf die ihr zugrunde liegenden, sachlichen Gründe geeignet, erforderlich und angemessen sein.369 Die Prüfung umfasst demnach die Frage, ob die von der Gesetzgebung eingesetzten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zu den Zwecken stehen, die erreicht werden sollen.370 In Bezug auf das BetrVG und die Ausklammerung der Religionsgemeinschaften aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes bedeutet das, dass diese vollständige Ausklammerung eine geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme zum Schutz ihrer grund rechtlich nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützten Tätigkeiten darstellen und verhältnismäßig sein muss.371
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.