Kitabı oku: «Spiegelfluch & Eulenzauber», sayfa 4
ANTHEA!
Ich holte bebend Atem, zwang die Luft durch meine zugeschnürte Kehle und stach mir den Splitter mit der Spitze voraus ins Auge.
6
Lisbeth
Lisbeth marschierte mit Klara im Schlepptau zur Küche. Sie brodelte vor Zorn und es war ihr egal, ob man ihr das ansah. Zwei Wochen. Zwei Wochen waren seit ihrer Ankunft auf Burg Wolkenstein vergangen und ihr Alltag bestand aus Spaziergängen im Garten, Spaziergängen im Hof, Sticken am Fenster, Sticken am Kaminfeuer und einer Abfolge von Mahlzeiten, die stets zur selben Zeit und in denselben Räumen serviert wurden. Immer wieder hatte Barbara versprochen, sie in die Arbeitsabläufe auf der Burg einzubinden. Immer wieder hatte sie Lisbeth vertröstet. Es gab noch keine gute Gelegenheit, es war momentan zu viel zu tun, sie sollte sich erst einleben, es blieb noch mehr als genug Zeit, sich mit einem für sie geeigneten Aufgabenfeld vertraut zu machen.
Seit ihrem sechsten Lebensjahr hatte sich Lisbeth nicht mehr so bevormundet gefühlt. Und heute war ihre Geduld aufgebraucht. Die Wahrheit war: Sie brauchte Barbaras Anleitung nicht. Sie war sehr wohl fähig, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen.
Die Küche der Burg lag im Erdgeschoss des östlichen Trakts. Klara öffnete ihr die Tür und Lisbeth schritt an ihr vorbei.
»Warte hier«, sagte sie und trat über die Schwelle.
Der Hauptraum der Küche war mit großen Steinplatten gefliest. Die gewölbten Decken waren mit Kalk getüncht, aber über den drei großen Herdkaminen verschmierte Ruß den Putz. Pfannen und allerhand Kellen hingen über einer Reihe breiter Tische, die in der Mitte des Raumes aufgestellt waren.
Noch brannten die Feuer in den Herdstellen nicht, aber dennoch wurde in allen Ecken eifrig gearbeitet. An einem Ende des Tisches kneteten eine Bäckerin und ihre Gehilfinnen Teig, zwei Küchenjungen rupften Gänse und einer der Köche steckte mit beiden Händen in einem großen Bottich. Blut überzog seine Arme bis zu den Ellenbogen.
Niemand schien Lisbeths Eintreten bemerkt zu haben. Einen Augenblick lang fehlten ihr die Worte und sie fühlte sich mehr denn je wie ein Eindringling.
Reiß dich zusammen, sagte sie sich. Du weißt, was du zu tun hast.
Sie trat einen Schritt nach vorn und hielt einen der vorbeihuschenden Küchengehilfen an.
»Holt mir Meister Oswald«, sagte sie. »Ich will die Speiseabfolge für das Erntedankfest festlegen.«
Der Gehilfe, ein rotbackiger Junge mit einer schief sitzenden Stoffhaube, starrte sie mit großen Augen an. Lisbeth hob eine Braue und er eilte davon. Ohne Verbeugung, wie sie sehr wohl bemerkte. Aber daran konnten sie später arbeiten. Sie faltete die Hände vor ihrem Bauch, ließ ihren Blick durch die Küche schweifen und versuchte dabei so auszusehen, als könnte sie nichts aus der Ruhe bringen.
Mittlerweile waren auch die anderen Bediensteten auf sie aufmerksam geworden. Köpfe drehten sich in ihre Richtung, nur kurz, bevor sich alle wieder ihren Aufgaben widmeten. Lisbeth fragte sich schon, ob sie eine der Mägde ansprechen sollte, als Meister Oswald aus einem hinteren Bereich der Küche auf sie zumarschierte.
Eine tiefe Falte hatte sich zwischen seine Brauen gegraben. Er war verärgert und er verhehlte es schlecht. Lisbeth wappnete sich.
»Meister Oswald«, begrüßte sie ihn, doch wenn sie gehofft hatte, ihn mit ihrem freundlichen Ton für sich einzunehmen, dann hatte sie sich geirrt.
Der grobschlächtige Küchenmeister rieb sich die Hände an seiner Schürze ab und verbeugte sich kurz. »Herrin. Wie kann ich Euch zu Diensten sein?«
Lisbeth zwang sich, seinem Blick standzuhalten. Offensichtlich hatte sie ihn bei etwas gestört, aber darüber konnte er sich schlecht beschweren. Genauso wenig konnte sie jetzt einen Rückzieher machen. Sie hob ihr Kinn und setzte eine Miene auf, die, wie sie hoffte, die kühle Entschlossenheit ihrer Mutter widerspiegelte.
»Wo ist Euer Buch?«, fragte sie. Sollte er gleich merken, dass sie über die Abläufe in einer Burgküche Bescheid wusste.
Die Falte grub sich noch tiefer zwischen Oswalds Brauen, aber er nickte und führte sie zu einem klobigen Tisch am Rand der Küche. Ein großes, in Leder gebundenes Buch lag aufgeschlagen zwischen einem Dutzend Zwiebeln und einem halb zerpflückten Strauß Thymian. Lisbeth rümpfte die Nase. Das Haushaltsbuch sollte nicht zwischen verstreuten Zutaten liegen, aber auch diese Kurskorrektur hob sie sich für später auf.
»Euch ist sicher bewusst, dass das Michaelisfest näher rückt. Es ist zwar noch Zeit, aber ich denke, wir sollten mit den Planungen beginnen.« Oswald warf ihr einen überraschten Blick zu, aber Lisbeth entschied, ihn vorerst zu ignorieren. »Als Vorspeise stelle ich mir eine Zwiebelsuppe vor, gefolgt von einem Wildgang. Bevorzugt Hase oder Fasan.«
Als Oswald sie nur weiter anstarrte, hielt sie irritiert inne. „Wollt ihr Euch das nicht notieren?«, fragte sie.
Bevor er antworten konnte, öffnete sich irgendwo hinter Lisbeths Rücken eine Tür und eine Stimme wurde über dem Klappern von Töpfen laut. Es war eine Stimme, die Lisbeth in den letzten vierzehn Tagen viel zu häufig gehört hatte.
»… ihm am besten zehn von denen mit Rosinen und Mandeln. Ach was, mach zwanzig daraus. Er hat immer bessere Laune mit einem gefüllten Bauch.«
Lisbeth schloss kurz die Augen. Barbara. So würdevoll wie möglich drehte sie sich um. Ihre Schwägerin stand in der offenen Tür zu einem der weiteren Küchenräume. Sie hatte sich eine Schürze umgebunden und unterhielt sich mit einer Frau, deren Hände und Arme bis zu den Ellenbogen mit Mehl bestäubt waren. Ein junges Mädchen stellte einen Leinensack bei ihnen ab.
Barbara lachte über etwas, was die andere Frau sagte, dann sah sie Lisbeth. Ihre Augen weiteten sich überrascht, sie raunte der Bäckerin etwas zu und kam zu Lisbeth herüber.
»Schwester«, sagte sie zur Begrüßung. »Was bringt Euch hierher? Wenn Ihr Hunger habt, hättet Ihr Euch an einen der Kammerdiener wenden können.« Bei jemand anderem hätte das wie ein gut gemeinter Rat geklungen, aber aus Barbaras Mund klang es wie eine Zurechtweisung.
Lisbeth hob die Mundwinkel zu einem milden Lächeln. »Ich bin bestens versorgt, Schwester, ich danke Euch. Bitte, lasst Euch nicht bei Eurer Arbeit stören. Ich bin nur hier, um mit Meister Oswald die Menüabfolge für das Michaelisfest zu besprechen.« Sie neigte ihren Kopf in Oswalds Richtung. »In unserem Haushalt beginnen wir immer schon einen Monat vor Erntedank mit der Planung, aber ich denke, wir werden ein wunderbares Festmahl zusammenstellen.«
Barbara und Oswald tauschten einen Blick aus, eine schnelle, stumme Kommunikation, von der Lisbeth gänzlich ausgeschlossen war. Sie zwang sich, ihre gleichmütige Miene beizubehalten. Ihr fehlten wichtige Informationen. So viel zumindest begriff sie. Informationen, die sie im Vorfeld hätte einholen müssen …
»Wir haben die Menüabfolge bereits vor einer Woche festgelegt«, sagte Barbara prompt. Ihre Stimme klang sanfter als sonst, beinahe mitleidig. Es war, als würde sie ein Zündholz in einen Öltiegel werfen. Wut und Scham loderten in Lisbeth hoch wie eine Stichflamme. Vor einer Woche. Während sie in ihrem Kämmerlein gesessen und brav darauf gewartet hatte, dass man ihr eine verantwortungsvolle Aufgabe übertrug. Eine Aufgabe, die ihrer Position verdammt noch mal angemessen war.
Ruhig jetzt, mahnte sie sich und sagte mit eisiger Stimme: »Warum wurde ich nicht konsultiert?«
Sie hatte kaum ausgesprochen, da brüllte Oswald nach einem Küchenjungen und ging davon. Lisbeth ballte die Fäuste. Sie hatte ihm nicht erlaubt zu gehen.
Barbara wischte sich indes die Hände an ihrer Schürze ab. »Es schien mir nicht nötig zu sein«, sagte sie, ertappte sich dann aber wohl bei ihrer eigenen Anmaßung. Als sie weitersprach, klang sie entschuldigend, als würde ihr tatsächlich erst im Nachhinein aufgehen, dass Lisbeth ihre Eigenmacht als Beleidigung auffassen könnte. »Es war keine böse Absicht«, versicherte sie. »Wir kennen unsere Traditionen und wissen, was unsere Gäste erwarten. Wir feiern Michaelis jedes Jahr und da haben sich gewisse Abläufe eingeschliffen. Es ist einfacher, das Ganze so wie immer ins Rollen zu bringen. Sicher war das in Eurem alten Zuhause nicht anders?«
Wenn das ein Friedensangebot war, dann kam es zu spät. Lisbeth suchte noch nach einer Antwort, als einer der Küchenjungen einen Stuhl für Barbara heranschleppte. Ein zweiter brachte ihr einen Becher, der dem Geruch nach mit gekühltem Apfelwein gefüllt war. Lisbeth wartete vergeblich darauf, dass man ihr ebenfalls ein Getränk anbot.
Barbara nahm einen Schluck, nickte zufrieden und sagte: »Gut, sehr gut. Jetzt noch den neuen Wein vom südlichen Hang.«
Die Wangen des Jungen leuchteten vor Stolz, bevor er sich verbeugte und davoneilte.
Lisbeth sah ihm nach. Es war wie ein Tanz, in dem jeder seine Schritte genau kannte. Barbara, Meister Oswald, die Küchenjungen. Nur Lisbeth hatte in diesem Reigen keinen Platz. »Dann scheint ja alles in geordneten Bahnen zu verlaufen«, brachte sie mit gepresster Stimme hervor.
Barbara, die ihren Tonfall entweder nicht bemerkte oder ignorierte, nickte zufrieden. »Das tut es, seid unbesorgt.« Sie versuchte es tatsächlich mit einem Lächeln, als sie hinzufügte: »Es wird wunderbar, Ihr werdet sehen. Lehnt Euch zurück und genießt Euer erstes Michaelis auf Wolkenstein.«
Lisbeth neigte den Kopf. Eine Erwiderung brachte sie nicht mehr zustande. Barbara nickte ebenfalls, war aber sofort abgelenkt, als der Küchenjunge mit einem weiteren Becher zurückkehrte.
Und damit war Lisbeth abgehakt. Entlassen, als wäre sie ein Mädchen, das die Mutter auf sein Zimmer schickte. Der Drang, Barbara den Becher aus der Hand zu schlagen, war so groß, dass sie sich nur mit Mühe abwenden konnte. Ihre Fäuste waren immer noch geballt, aber sie schaffte es nicht, ihre Finger zu lockern. Sie spürte die Blicke des Küchenpersonals, wie es ihr nachsah, wie es Maß nahm. Sie musste hier raus, sofort. Sie versuchte, sich im Zaum zu halten und beschleunigte dann doch ihren Schritt, als ihr just die kleine Bäckersmagd von vorhin in den Weg stolperte. Das Mädchen prallte gegen Lisbeth, ließ einen Leinensack fallen und mindestens ein Pfund Hirse ergoss sich mit einem Prasseln über den Boden.
»Dumme Gans!«, entfuhr es Lisbeth, genau im gleichen Moment, als das Mädchen einen bestürzten Laut ausstieß und auf die Knie sank, um die verstreuten Körner aufzusammeln.
Die Bäckersfrau kam angelaufen, um dem Mädchen zu helfen, aber Lisbeth hielt sie zurück. Sie hatte genug von der Missachtung dieser Leute. »Lass sie selbst aufkehren.«
»Herrin …«, begann die Frau, aber Lisbeth riss nun endgültig der Geduldsfaden.
»Rede ich undeutlich?«, herrschte sie die Frau an. Die wurde zwar blass, öffnete aber schon wieder den Mund, um etwas zu erwidern. Lisbeths Finger zuckten bereits, als Barbara an ihrer Schulter auftauchte.
»Schon gut«, sagte sie. Lisbeth fuhr zu ihr herum, bereit, ihr alles, wirklich alles an den Kopf zu werfen. Bevor sie ihrer Wut jedoch freien Lauf lassen konnte, fügte Barbara ruhig hinzu: »Das Mädchen ist blind.«
Lisbeth stand da wie vom Donner gerührt, sie konnte es nicht verhindern. Ein Fehler. Ein weiterer Fehler, der sie vor Barbara als unfähig hinstellte. Und nicht nur vor ihr. Die absolute Stille, die Barbaras Worten folgte, sagte Lisbeth sehr deutlich, dass alle Anwesenden diese Szene beobachteten.
Lisbeth holte Luft und stellte entsetzt fest, dass sie dabei zitterte. Sie richtete sich so gerade wie möglich auf und zog den Saum ihres Rockes aus den verstreuten Hirsekügelchen. »Das ändert nichts daran, dass sie ihre eigene Unordnung beseitigen sollte«, sagte sie, drehte sich um und verließ die Küche in der Hoffnung, dass ihr Gesicht nicht so rot glühte, wie es sich anfühlte.
Die Hitze breitete sich von ihren Wangen in ihren ganzen Körper aus. Lisbeth wollte etwas packen, etwas kaputt schlagen, Vasen zu Boden werfen oder, besser noch, in Barbaras Gesicht schleudern. Klara, die sich vor der Küche mit einer Magd unterhielt, drehte sich nach ihr um. Bei Lisbeths Anblick machte sie ein bestürztes Gesicht, aber Lisbeth winkte nur ungeduldig ab.
»Nicht jetzt.«
Sie stürmte an Klara vorbei. Ihre Haut glühte und ihr verdammtes Kleid war viel zu eng geschnürt. Sie versuchte sich zu erinnern, welcher Gang sie nach draußen führen würde, aber jeder Schritt schien sie nur tiefer in die Eingeweide der Burg zu führen.
Ertappt, entlarvt, jammerte eine hohe Stimme in ihrem Kopf. Ihre Mutter hatte sie vorbereitet. Hatte dafür gesorgt, dass sie alles lernte, was sie zum Überleben als Herrin eines Anwesens brauchte. Sie konnte rechnen, war mit den Abläufen in den unterschiedlichen Sparten eines Haushalts vertraut, kannte sich mit Wappenkunde und Politik aus. Wenn ihre Brüder Geschichtsunterricht hatten, war sie mit Klara hinter einem Paravent gesessen, ihren Stickrahmen als Vorwand in der Hand.
Und all das, all diese Lektionen zerrannen ihr jetzt wie Sand zwischen den Fingern. Sie war nicht vorbereitet genug, nicht selbstbewusst genug, war unfähig und überfordert. Oh, sie wollte nichts sehnlicher, als die klagende Stimme in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen. Wenn sie auch nur einen Wimpernschlag zu lang auf ihre Zweifel hörte …
Tageslicht fiel durch ein schmales Fenster unter der Gewölbedecke und kurz darauf erreichte Lisbeth eine Seitentür. Mit zitternden Händen tastete sie nach dem Knauf, stieß die Tür auf und trat nach draußen. Ein Schwall frischer Luft schlug ihr ins Gesicht und sie schloss erleichtert die Augen. Ihre Hand glitt von dem Türknauf ab. Sie hob das Gesicht in den Wind, atmete ein, atmete aus. Das Gefühl, entweder zu ersticken oder von innen heraus zu verbrennen, verklang. Die Morgenluft kühlte ihre Wangen.
Mit einem letzten langen Atemzug öffnete sie die Augen. Sie stand am Rand des Zwingers, nahe dem unteren Tor und der Stallungen. Der Himmel über den Zinnen leuchtete blassblau und ein paar Wolken zogen nach Süden, in Richtung der Berge.
Lisbeth wischte sich mit der Hand über die vom Schweiß feuchte Stirn. Irgendwo tief in ihrem Innern wimmerte die ängstliche Stimme, aber sie stellte sich vor, wie sie diesen Teil ihres Selbsts in eine eiserne Kiste sperrte und mit einem schweren Deckel verschloss. Eine Frau von ihrem Stand konnte sich keine Ängste leisten. Auch das hatte ihre Mutter ihr beigebracht.
Ihre Finger berührten eine lose Haarsträhne und Lisbeth steckte sie sorgsam zurück an ihren Platz. Sie hatte einen Fehler gemacht, war in die Küche marschiert, ohne richtig vorbereitet zu sein. Ohne Zweifel hatte sie Barbara damit in ihrem Glauben bestärkt, dass sie nicht in der Lage war, die Verantwortung in diesem Haushalt zu übernehmen. Diesen Fauxpas konnte sie zwar nicht zurücknehmen, aber sie würde sich auch nicht mehr von Barbara in ihre Schranken weisen lassen. Sie musste sich nur eine gute Strategie überlegen. Sich selbst mit den Routinen und Gebräuchen hier vertraut machen. Dann würde sie über kurz oder lang auf Wolkenstein die Zügel in der Hand halten.
Sollte Barbara sie ruhig unterschätzen. Ihre Schwägerin hatte keine Ahnung, wozu sie fähig war.
Lisbeth tastete über ihr Haarnetz, dann straffte sie die Schultern und ging den Zwinger hinauf. Sie war noch keine fünf Schritt weit gegangen, als sich eine der Stalltüren öffnete und ein Rudel Jagdhunde daraus hervorpurzelte wie eine Horde aufgeregter Kinder. Ein Lächeln stahl sich auf Lisbeths Gesicht. Sie beschleunigte ihren Schritt und kurz darauf stand sie im Zentrum der bellenden, schwanzwedelnden Meute. Sie lachte auf, ging in die Hocke und streichelte Köpfe und Rücken. Sie kannte jeden einzelnen von ihnen, aber als ein besonders forscher Rüde sich seinen Weg durch die Meute boxte, ging ihr das Herz auf vor Freude. Fenn!
»Guter Junge!«, rief sie aus, als er zu ihr sprang und versuchte, ihr das Gesicht abzulecken. Sie lachte wieder, kraulte seinen Nacken und presste ihre Stirn gegen seine. Sie hatte Fenn nach dem Fenriswolf in den Sagen benannt. Dem Wolf, der am Ende der Welt seine Fesseln sprengen und den Göttervater verschlingen würde. Sie hatte ihn selbst großgezogen und stolz miterlebt, wie er sich die Rudelführung erkämpft hatte. Es gab ihr ein Gefühl tiefer Befriedigung, dass ein kleines Wesen mit solch unbändigem Mut und ungebrochener Wildheit ihr von Herzen zugetan war.
Jemand schnippte zweimal mit den Fingern und die Meute beruhigte sich. Nur Fenn behielt seine Begeisterung bei, drückte seine Vorderpfoten auf Lisbeths Oberschenkel und stieß seine warme, weiche Schnauze gegen ihre Wange. Sie kraulte ihn noch einmal hinter dem Ohr, dann erhob sie sich.
Jakob stand mit verschränkten Armen vor ihr und beim Anblick seines vertrauten Gesichtes löste sich für Lisbeth das letzte bisschen Anspannung. Als verheiratete Tochter war ihr Gefolge klein gewesen. Weshalb sollte ihr Vater den eigenen Hausstand schmälern, wenn sie sich als Braut ohnehin in den Haushalt ihres Ehemannes einfügen würde? Lisbeth war darauf vorbereitet gewesen, sich von so gut wie allen, die sie kannte, verabschieden zu müssen, aber sie hatte darauf bestanden, ihre Jagdhunde mitnehmen zu dürfen. Es war tatsächlich die einzige Zusage, die sie ihrem Vater abgerungen hatte. Und mit ihren Hunden kam Jakob mit, der Sohn des Stallmeisters, der sie seit vier Jahren bei der Zucht ihrer Bracken unterstützte.
Als Jakob erneut mit den Fingern schnippte, lief Fenn gehorsam an seine Seite. Jakob erwiderte Lisbeths Blick und seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, das er nicht ganz unterdrücken konnte.
»Sie sehen gut aus«, sagte Lisbeth und trat auf ihn zu. »Reitest du mit ihnen aus?«
»Ich hatte es vor«, sagte er. »Soll ich dein Pferd satteln lassen?«
Die vertraute Anrede jagte ein Flattern durch ihren Unterleib. Sie warf einen raschen Blick über den Hof, um sicherzustellen, dass niemand in der Nähe war, dann trat sie einen weiteren Schritt auf Jakob zu. Er stand noch halb im Schatten der Stalltür, aber ein Streifen Morgenlicht fiel schräg über sein Gesicht. Er hatte schon immer einen dunkleren Teint als sie gehabt, aber seit dem Ritt nach Wolkenstein hatte seine Haut einen warmen, fast bronzefarbenen Ton angenommen. Wenn sie ihn ansah, dachte sie an Ausritte entlang des Flusses, an den Geruch von Lederfett und die strahlend blaue Farbe des Himmels, kurz nachdem sich der Morgennebel lichtete. Wie fremd hatte sie sich in der Küche gefühlt, wie fehl am Platz. Hier, zwischen ihren Hunden und mit Jakob nur eine Handbreit entfernt, hatte sie das Gefühl, zu Hause zu sein. Wenn schon nicht in dieser Burg, dann wenigstens in ihrer eigenen Haut.
Sie lächelte zu ihm hoch. »Redet man etwa so mit seiner Herrin?«
Sein Lächeln wurde breiter. Er zog sich die Kappe vom Kopf und verbeugte sich. »Ich bitte um Vergebung«, antwortete er mit übertriebener Höflichkeit und hob seine leere Hand in die Höhe.
Lisbeth schüttelte den Kopf, aber sie legte ihre Hand in seine. Er küsste ihren Handrücken und ja, da war er wieder, dieser süße Schauer, der ihr genauso vertraut war wie die Wege durch die Wälder ihrer Heimat. Jakob zögerte den Kuss hinaus, seine Lippen warm an ihrer Haut.
Lisbeth warf ihre Vorsicht über Bord und fuhr mit ihrem Daumen erst über die weiche Linie seines Mundes, dann über den Bart, den er ihr zuliebe immer kurz gestutzt hielt. Irgendwo weiter oben auf dem Hof fiel eine Tür ins Schloss und die Stimmen mehrerer Männer näherten sich. Und noch immer hielt Jakob ihre Hand fest.
»Heute nicht«, sagte Lisbeth leise. »Aber morgen.«
Jakob nickte. »Zur Jagd?«
Natürlich. Natürlich wusste er genau, was sie jetzt brauchte. Einen Ausritt mit ihren Hunden, den Rausch der Jagd, für wenige Stunden alles andere vergessen … ahnte Jakob, wie sehr ihr allein der Gedanke daran half? »Zur Jagd«, bestätigte sie. »Bei Sonnenaufgang.«
Er nickte erneut. Die Männer waren jetzt nah genug, dass Lisbeth einzelne Wortfetzen verstehen konnte. Ein letztes Mal berührte sie Jakobs Mundwinkel, dann entzog sie ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück. Immer noch lächelnd drehte sie sich um und ging davon.
Ja. Barbara wusste längst nicht, wozu sie fähig war.