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2 Was ist Argumentation?

Dieses Kapitel führt grundlegende Begriffe ein, die in den folgenden Kapiteln aus der Perspektive verschiedener theoretischer Ansätze näher ausbuchstabiert und diskutiert werden. Zudem wird mit Wenzels Ansatz der drei Perspektiven auf Argumentation das Modell erläutert, an dem sich diese Einführung in die Argumentation orientiert.

2.1 Grundlagen des Argumentationsbegriffs
2.1.1 Strittigkeit und Geltung

Wenn Menschen argumentieren, tauschen sie Gründe aus. Spezifisch für das BegründungshandelnBegründungshandeln in einem argumentativen Rahmen ist, dass hier Gründe eingefordert oder gegeben werden, weil etwas strittig geworden ist, d.h. die Geltung einer Aussage bestritten wird. Um von Argumentation zu sprechen, müssen also nicht nur Gründe gegeben (und genommen) werden; diese Gründe müssen sich auch auf einen strittigen Sachverhalt beziehen. Die meisten Ansätze zur Argumentation gehen davon aus, dass das Bestehen einer StreitfrageStreitfrage konstitutiv ist für Argumentation und dass Argumentation sich durch dieses Merkmal auch von anderen Formen des BegründungshandelnsBegründungshandeln wie ErklärenErklären-warum unterscheiden lässt. StrittigkeitStrittigkeit kann allerdings in verschiedenen Formen auftreten: Sie kann von den Argumentationspartnerinnen angenommen werden, ohne dass sie direkt geäußert wird, oder sie kann direkt hergestellt werden, wie im folgenden Beispiel. Hier begründet Juror 2 seine Position, dass der Angeklagte schuldig ist, und Juror 8 bestreitet die Geltung dieser Aussage.

JUROR 1: Zwei Minuten pro Kopf. Sie sind der erste.

JUROR 2: Ja … was soll ich sagen … das ist gar nicht so leicht … ich … ja er ist sicher schuldig. Das ist doch von Anfang an klar gewesen … einen Gegenbeweis hat bisher niemand erbracht.

JUROR 8: Den braucht auch niemand zu erbringen. Die Beweislast obliegt allein dem Gericht. So steht es in unserer Verfassung. Sie brauchen nur nachzulesen.

JUROR 2: Jaja, das weiß ich schon … ich wollte auch nur sagen … na eben, der Mann ist schuldig. Es gibt doch jemand, der die Tat gesehen hat –

Juror 2 begründet hier, warum er glaubt, dass der Angeklagte schuldig ist. Diese Begründung („einen Gegenbeweis hat bisher niemand erbracht“) wird von Juror 8 nicht akzeptiert und er begründet auch, warum er sie nicht akzeptiert („Die Beweislast obliegt allein dem Gericht“). Juror 2 reagiert darauf mit einer etwas vagen Rücknahme seiner Aussage: Er nimmt sie implizit zurück („Jaja, das weiß ich schon“) und bietet eine andere Begründung an („Es gibt doch jemand, der die Tat gesehen hat“).

Dieses Beispiel zeigt, dass unterschieden werden kann zwischen zwei Formen des Bestreitens. Zum einen kann die Aussage an sich bestritten werden, zum anderen die Geltung der Aussage in einem bestimmten Kontext. Juror 8 bestreitet nicht, dass niemand den Gegenbeweis angetreten hat, die Verteidigung konnte tatsächlich nicht beweisen, dass der Angeklagte unschuldig ist. Aber diese Aussage hat keine RelevanzRelevanz für die Fragestellung, ob die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei erwiesen ist, und kann daher keine Geltung beanspruchen, auch wenn die Aussage faktisch richtig ist.

Das Beispiel zeigt außerdem, dass innerhalb von Argumentation oft mehrere StreitfrageStreitfragen auf unterschiedlichen Ebenen behandelt werden. In dem kurzen Beispiel liegen mindestens zwei StreitfrageStreitfragen vor: Ist der Angeklagte schuldig oder nicht? Ist der Mangel an Gegenbeweisen ein guter Grund? Weil es häufig mehrere Streitfragen gibt, kann die Analyse von Argumentation sehr komplex werden (vgl. Kapitel 5).

Argumentation ist die Bearbeitung einer StreitfrageStreitfrage durch das Geben und Nehmen von Gründen.

Argumentation beruht aber nicht nur auf StrittigkeitStrittigkeit, sondern auch auf der Annahme von Übereinstimmung. Durch Argumentation wird StrittigkeitStrittigkeit bearbeitet, indem Aussagen – implizit und explizit – angeführt werden, von denen die Argumentationspartnerinnen1 annehmen, dass ihr Gegenüber diese akzeptiert oder akzeptieren muss/sollte. Damit beruhen Gründe auf Aussagen, die selbst nicht strittig sind, sondern als geltend angenommen werden. Im Beispiel ist dies der Verweis auf die Verfassung. Innerhalb von Argumentation wird also nicht nur deutlich, worüber es divergierende Ansichten gibt. Deutlich wird auch, was die Teilnehmerinnen einer Argumentation als gemeinsame Geltungsbasis ansehen. Diese Aussagen – die strittige und die geltende – befinden sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen: zum einen der Ebene dessen, was als Grund in Bezug auf die Streitfrage angegeben wird und zum anderen auf der Ebene des Übergangs vom Grund zur Konklusion. Dabei bleibt der Übergang vom Grund zur Konklusion oft implizit. Auch das lässt sich im Beispiel gut sehen: Juror 2 führt an, dass niemand einen Gegenbeweis geführt hat. Dies wird in der Runde nicht bestritten, kann also von da an als geteiltes Wissen dieser Teilnehmer angesehen werden. Implizit äußert Juror 2 aber auch, dass dies ein guter Grund dafür ist, dass der Angeklagte schuldig ist. Diese Aussage ließe sich in einer starken Form rekonstruieren als: Wer die eigene Position (Unschuld) nicht beweisen kann, muss die Position der Gegenseite übernehmen (Schuld). Auch diese Aussage wird von Juror 2 als potenziell geteiltes Wissen eingeführt, von Juror 8 aber explizit abgelehnt. Damit wird in der Argumentation nicht nur markiert, was strittig ist, sondern auch, was gilt. Argumentation hat also grundlegend nicht nur die Funktion StrittigkeitStrittigkeit/DissensDissens zu bearbeiten, sondern sie hat auch eine epistemischeArgumentationepistemische Funktion, also auf Wissen bezogene Dimension: Argumentation etabliert was gilt. Sie ist deshalb immer auch „Reden über die Geltungsbedingungen von Äußerungen“ (Kopperschmidt, 1989, S. 26). Ob Argumentation möglich ist, wenn kaum oder keine geteilte Geltungsbasis besteht, ist eine der aktuellen Fragen innerhalb der Argumentationswissenschaft und wird unter der Überschrift des deep dissensus<i>deep dissensus</i> oder dem Problem der Inkommensurabilität diskutiert (vgl. Kapitel 6).

Eine Definition, die die Aspekte der StrittigkeitStrittigkeit oder DissensbearbeitungDissens und der Etablierung von Geltung verbindet, ist die von Wolfgang Klein (1980). Er fasst Argumentation als den Versuch „mit Hilfe des kollektiv Geltenden etwas kollektiv Fragliches in etwas kollektiv Geltendes zu überführen“ (Klein, 1980, S. 19). Damit beinhaltet diese Definition den Aspekt der StrittigkeitStrittigkeit (bzw. etwas weniger stark: Fraglichkeit). Etwas ist (kollektiv) fraglich, wird dann aber mit Hilfe von Gründen (dem kollektiv Geltenden) in etwas kollektiv Geltendes überführt. Argumentation hat also auch bei Klein immer beide Funktionen: die Bearbeitung von StrittigkeitStrittigkeit und die Etablierung von Geltung.

Argumentation hat immer zwei Funktionen. Durch Argumentation wird

1) StrittigkeitStrittigkeit bearbeitet und

2) Geltung hergestellt.

2.1.2 Was ist ein Argument?

Wenn Argumentieren heißt, eine StreitfrageStreitfrage durch das Geben und Nehmen von Gründen zu bearbeiten, was ist dann ein Argument? Wie ist ein Argument aufgebaut? Die Unterscheidung von Argumentation und Argument ist in den verschiedenen Ansätzen zur Argumentation nicht einheitlich. Hier soll Argumentation verstanden werden als die Abfolge und Kopplung verschiedener Argumente in Bezug auf eine StreitfrageStreitfrage. Diese Abfolge kann in verschiedenen Interaktionsformen auftauchen und verschiedene Grade von Komplexität haben. Aber was ist nun ein einzelnes Argument?

Ein Argument ist die Grundeinheit innerhalb einer Argumentation. Dabei ist ein Argument nicht das Gleiche wie ein Grund, auch wenn beide Begriffe alltagssprachlich oft synonym verwendet werden. Das Argument bezieht sich immer schon auf eine StreitfrageStreitfrage und beinhaltet Aussagen, die den Übergang vom Grund zur Konklusion legitimieren. Ein Grund ist also eine Aussage innerhalb eines Arguments. Ein Argument beinhaltet demnach drei Aussagen mit unterschiedlichen Funktionen. Diese Grundeinheit wird seit den Anfängen der Rhetorik als dreiteiliges Modell dargestellt.


Oder übertragen von der Funktion in Positionsbegriffe:


Die einzelnen Funktionen und Positionen dieser dreiteiligen Grundform werden je nach Ansatz unterschiedlich benannt, die entsprechende Terminologie wird in den Abschnitten zu den einzelnen Ansätzen eingeführt. Daher ist die Position, von der aus begründet wird, noch recht allgemein mit „Grund“ benannt. Die Position des Übergangs ist in Anführungsstriche gesetzt, da dieser Begriff an sich in keinem Modell genutzt wird: In den verschiedenen theoretischen Ansätzen hat sie verschiedene Bezeichnungen – SchlussregelSchlussregel, Topos, Oberprämisse, Schlusspräsupposition –, Abstraktionsgrade und theoretische Fundierungen. Ihre Funktion ist immer gleich: die Kopplung des Grundes an die Konklusion.

Ein Argument lässt sich also darstellen als die Verbindung einer Konklusion mit einem Grund auf Basis eines Übergangs. Das heißt aber nicht, dass immer alle Teile dieses Modells in einem Text, in einer Interaktion wirklich auftreten. Häufig, insbesondere in AlltagsargumentationAlltagsargumentationen, werden eine oder zwei Funktionen nicht besetzt (vgl. Kapitel 4.1.2 zum EnthymemEnthymem). Allerdings können sie auf Nachfrage besetzt werden, ja sie müssen dann gefüllt werden können oder das Argument muss zurückgezogen werden.

Wie man bei der Analyse von Argumentation diese grundlegende Form ermittelt, wird deutlich, wenn man das Kriterium der StrittigkeitStrittigkeit hinzunimmt: Argumentation wird nur notwendig, wenn etwas bestritten wird. So lassen sich die drei Funktionen des Modells durch das Bestreiten einzelner Teile herausarbeiten. Eine kurze Sequenz aus dem Beispiel macht dies deutlich:

JUROR 8: Ich weiß nur, daß dieser Junge sein ganzes Leben herumgestoßen wurde. Er ist in einem Elendsviertel aufgewachsen, hat früh seine Mutter verloren. Damals war er neun Jahre alt. Für anderthalb Jahre hat man ihn in ein Waisenhaus gesteckt, weil sein Vater eine Gefängnisstrafe absitzen mußte. Wegen Scheckfälschung, stimmt’s? Ja, das ist kein gutes Sprungbrett fürs Leben. Wie sagten Sie noch – auf freier Wildbahn gegrast? Man hätte sich eben mehr um ihn kümmern sollen.

JUROR 3: Unsere Waisenhäuser sind okay. Wir zahlen Steuern dafür.

Die argumentative Äußerung von Juror 3 lässt sich in der dreiteiligen Form folgendermaßen darstellen.


Die Aussage, die begründet werden muss, ist, dass Waisenhäuser okay sind. Denn Juror 8 hat eine gegenteilige Aussage gemacht, indem er festgestellt hat, dass der Angeklagte in einem Waisenhaus gelebt hat („hineingesteckt wurde“) und dass dies kein gutes Sprungbrett für das Leben sei. Juror 3 widerspricht nicht nur der Aussage von Juror 8, er stellt eine Gegenbehauptung auf und er liefert auch gleich den Grund dazu. Warum sind unsere Waisenhäuser okay? Weil wir Steuern dafür zahlen.

Es fehlt noch die dritte Funktion innerhalb des dreistelligen Modells: der Übergang von Grund zu Konklusion. Kann man, um auf die Funktion des Grundes zu kommen, fragen, warum die Aussage gilt (Unsere Waisenhäuser sind okay! Warum? Weil wir Steuern dafür zahlen), so gelangt man zum Übergang, indem man nach der RelevanzRelevanz fragt: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Was hat die Tatsache, dass wir Steuern für Waisenhäuser zahlen, damit zu tun, dass sie okay sind?


Dieser Übergang bleibt im Beispiel implizit. Hier wird deutlich, dass die Rekonstruktion von impliziten Anteilen wie „denn die Dinge, für die wir Steuern zahlen, sind okay“ nicht immer einfach und vor allem nicht immer eindeutig ist. Man könnte z.B. den Übergang hier auch allgemeiner fassen: Dinge, für die sich die Gesellschaft engagiert, sind gut/Dinge, für die sich die Gesellschaft engagiert, sind ausreichend für alle Mitglieder der Gesellschaft. Sobald der Übergang aber auf einer allgemeineren Ebene rekonstruiert wird, ergeben sich noch mehr Möglichkeiten. So ließe sich der Übergang rekonstruieren als „Dinge, für die sich die Gesellschaft engagiert, sind gut“, aber auch als „Alles, für das man bezahlt, ist gut“. Hier wird bereits ein Aspekt deutlich, der in der Entwicklung der Argumentationstheorie und der Argumentationsanalyse immer wieder relevant wird: das Verhältnis zwischen normativen Modellen und der Beschreibung natürlicher (im Gegensatz zu für die Analyse konstruierter) Argumentation. Konstruierte Beispiele haben den Vorteil, passgenau für ein Modell konzipiert zu sein und damit das Modell auch zutreffend erläutern zu können. Natürliche Argumentation ist häufig schwieriger zu analysieren, u.a. da Aussagen implizit bleiben und sie sich so nicht immer klar in vorgegebene Muster fassen lassen. Das kann man bedauern, man kann es aber auch als das eigentlich Interessante an der Argumentation verstehen. Wer argumentiert, muss oft zwei Aufgaben zugleich bearbeiten: die Aufgabe, Argumente vorzubringen, von denen sie glaubt, dass sie belastbar sind und die Aufgabe, Argumente vorzubringen, von denen sie glaubt, dass das Gegenüber sie akzeptieren wird. Hinzu kommt außerdem, dass Argumentation in der Regel in Interaktionen eingebettet ist und damit auch interaktionale Anforderungen (das Gesicht wahren, die Beziehung zum anderen aufrecht erhalten etc.) bearbeitet werden müssen. Diese verschiedenen Aufgaben werden in Kapitel 5.4 zur Gesprächsforschung und Argumentationsanalyse in den Blick genommen.

2.1.3 Die Funktionen von Argumentation

Nachdem nun die Grundeinheit der Argumentation mit dem dreistelligen Argumentmodell beschrieben ist, soll der Blick vom Argument zur Argumentation gehen: Welche Funktionen hat Argumentation? Warum und wozu argumentieren wir?

JUROR 7: Und was soll dabei rauskommen? Elf der Anwesenden sprechen ihn schuldig. Das ist genug gesprochen! Nicht einer hat das geringste Bedenken – bis auf Sie!

JUROR 10: Nur eine Frage.

JUROR 8: Bitte.

JUROR 10: Glauben Sie dem Jungen ein Wort?

JUROR 8: Ich weiß nicht, ob ich ihm glaube. Vielleicht glaube ich ihm nicht.

JUROR 7: Dann verstehe ich noch weniger, warum Sie für „nicht schuldig“ gestimmt haben!

JUROR 8: Elf haben ihn schuldig gesprochen. Ich kann nicht so einfach meine Hand heben und jemanden in den Tod schicken. Ich muß erst darüber sprechen.

Juror 8 will nicht einfach nur sprechen: Er fordert Gründe ein und will selber Gründe liefern, um die Frage „Ist der Junge schuldig“, in dieser Sequenz gefasst als „Glauben Sie dem Jungen ein Wort?“, zu beantworten. Dabei ist sein Ziel nicht, die anderen von der Unschuld des Jungen zu überzeugen; zur übergreifenden StreitfrageStreitfrage („Ist der Junge schuldig“) formuliert er selbst keinen eigenen StandpunktStandpunkt (keine eigene Konklusion). Zu Argumentieren – und wenn nur für eine Stunde – hat hier die Funktion, eine Entscheidung, die getroffen werden muss, zu einer fundierten, argumentativ gesicherten Entscheidung zu machen. Es geht hier (auch) um die Legitimation einer Entscheidung.

Argumentation wird in vielen theoretischen Ansätzen über ihre Funktion gefasst. Dabei lassen sich, wie oben eingeführt, zwei Funktionen von Argumentation unterscheiden: die Bearbeitung von DissensDissens oder StrittigkeitStrittigkeit und die Funktion der Geltungsetablierung. Diese Funktionen schließen einander nicht aus, sondern bedingen einander und sind eng gekoppelt. Die epistemischeArgumentationepistemische Funktion Funktion, die Funktion Geltung zu etablieren, ist oben schon kurz beleuchtet worden. Sie betrifft vor allem den „Übergang“, die Herstellung von RelevanzRelevanz zwischen Grund und Konklusion, von der die Sprecherin annimmt, dass sie vom Gegenüber geteilt wird. Diese Funktion findet sich in der Argumentationstheorie vor allem unter den Überschriften TopikTopik und ArgumentationsschemataArgumentationsschema wieder (vgl. Kapitel 4.3). Die Funktion der Bearbeitung von StrittigkeitStrittigkeit soll hier noch einmal genauer betrachtet werden, da sie selbst nicht ganz unstrittig ist.

Was bedeutet es, „StrittigkeitStrittigkeit zu bearbeiten“, was genau ist das Ziel von Argumentation? Eine gemeinsame Lösung, einen KonsensKonsens oder Kompromiss zu erlangen und am Ende den bestehenden DissensDissens aufgelöst zu haben? Oder kann auch eine Verschärfung des DissensesDissens Ziel einer Argumentation sein? Es gibt einige Ansätze, die den KonsensKonsens als Ziel von Argumentation sehen (so z.B. die Theorie kommunikativen Handelns von Habermas, vgl. Kapitel 3.3) oder zumindest das Zurückziehen entweder der Problematisierung oder des StandpunktStandpunktes nach einer argumentativen Phase (so z.B. die Pragma-Dialektik, vgl. Kapitel 3.6). Andere Ansätze sehen die Verschärfung einer StreitfrageStreitfrage durchaus auch als Ziel von Argumentation. Völzing (1979) stellt fest: „Es ist die Funktion von Argumentationen, in KonfliktenKonflikt dazu zu dienen, gegenteilige Meinungen oder Ansichten herauszuarbeiten, per Kompromiß oder KonsensKonsens Lösungsmöglichkeiten anzubieten, aber auch Potential zur Verschärfung eines KonfliktsKonflikt bereitzuhalten“ (Völzing, 1979, S. 12). Hier dient Argumentation also nicht ausschließlich der Lösung von KonfliktenKonflikt, sondern kann auch der Zuspitzung von Gegensätzen dienen, ohne einen direkten Einigungswillen. So sind beispielsweise parlamentarische Debatten oder politische Talkshows nicht darauf ausgelegt, KonsensKonsens zu erzielen, sondern vielmehr darauf, gegensätzliche Positionen vor einem Publikum aufzuführen. Vertreterinnen einer KonsensorientierungKonsensorientierung der Argumentation würden an dieser Stelle aber vermutlich argumentieren, dass die Verschärfung ein Zwischenstadium ist, um für einen Zeitraum unterschiedliche Positionen auszustellen und zu pointieren und damit ein Publikum in die Lage zu versetzen, eine fundierte Entscheidung zu treffen. Wie Klein (2001) treffend sagt, besteht in Situationen, in denen die Argumentierenden sich aufeinander beziehen, aber den DissensDissens nicht lösen können, „die Chance, dass aus unbegriffenem DissensDissens begriffener DissensDissens wird – was bei der Vorbereitung von Entscheidungen häufig notwendige Bedingung für tragfähige Kompromisse ist“ (S. 1311).

Inwieweit ein argumentativer Austausch auf einen KonsensKonsensorientierung orientiert ist, hängt vom Argumentationskontext und speziell vom Grad an AgonalitätAgonalität ab. Im Beispiel des Ausschnitts aus „Die zwölf Geschworenen“ ist dies ein Kontext, in dem zwei Parteien – Anklage und Verteidigung – einander gegenüberstehen und eine Entscheidung nach bestimmten Verfahrensregeln getroffen werden muss. Zugleich rahmt Juror 8 die Situation eher als gemeinsames Problemlösen: Er hat noch keinen eigenen StandpunktStandpunkt, formuliert Zweifel an dem geäußerten Standpunkt und will über das Abwägen von Gründen zu einer fundierten, legitimen Entscheidung kommen. Der Grad an Agonalität ist hier deutlich geringer als in einer Konfrontation zwischen unterschiedlichen, klar formulierten Positionen.

AgonalitätAgonalität bestimmt Situationen, die auf einen Wettkampf oder eine kämpferische Auseinandersetzung bezogen sind. Lyotard (1989) nutzt den Begriff AgonistikAgonistik in Bezug auf die argumentative Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien mit einer dritten, beobachtenden Partei als Entscheidungsinstanz.

Die Differenzierung zwischen verschiedenen Graden von AgonalitätAgonalität ist eine Frage, die momentan wieder stärker in den Fokus rückt. So kontrastiert Ehlich (2014, S. 41) explorativesArgumentierenexploratives und persuasivesArgumentierenpersuasives Argumentieren. Dabei geht er, im Anschluss an Trautmann (2004), davon aus, dass Argumentation eine Form der Wissensbearbeitung darstellt: Argumentation wird dann notwendig, wenn sich Differenzen zwischen den Wissenssystemen der Gesprächspartnerinnen ergeben (vgl. Ehlich, 2014, S. 45). Die Grundannahme ist hier, wie in fast allen Argumentationstheorien, dass Argumentation dann genutzt wird, wenn die Kommunikation zwischen den Partnern nicht mehr glatt verläuft, also Problematisierungen auftreten. Ehlich differenziert zwischen verschiedenen Arten der Differenzen zwischen den Wissenssystemen: Im persuasivenArgumentierenpersuasives Argumentieren versuchen Gesprächspartnerinnen „interessebezogen die eigene Position in Bezug auf etwas gemeinschaftlich Fragliches zur Geltung zu bringen“ (S. 46), in explorativerArgumentierenexploratives Argumentation geht es „primär um eine gemeinsame Weiterentwicklung von Wissen als Umwandlung von präzisiert Unbekanntem in Bekanntes“ (S. 47). Eine Weiterentwicklung dieser Differenzierung steht noch aus. Als theoretische Setzung gilt für so gut wie alle argumentationstheoretischen Ansätze, dass auch für Argumentation mit einem geringen Grad an AgonalitätAgonalität StrittigkeitStrittigkeit gegeben ist, wenn auch nur implizit. StrittigkeitStrittigkeit ist damit konstitutiv für Argumentation.

Argumentation hat also zwei Funktionen: Die Bearbeitung von StrittigkeitStrittigkeit und die Etablierung von Geltung. Je nach argumentativer Situation kann eine der Funktionen im Vordergrund stehen, ohne dass dann die andere Funktion gänzlich fehlt.

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